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19. Januar 2019Andreas Rumpfhuber
Der Standard

Leben in der gesellschaftlichen Fabrik

Wien ist immer noch Welthauptstadt des öffentlichen Wohnbaus. Es fehlt aber an Mut, sich auf dringend nötige Experimente für nachhaltigen, zukunftsfähigen Wohn- und Stadtraum einzulassen.

Wien ist immer noch Welthauptstadt des öffentlichen Wohnbaus. Es fehlt aber an Mut, sich auf dringend nötige Experimente für nachhaltigen, zukunftsfähigen Wohn- und Stadtraum einzulassen.

Wien gilt zu Recht als Welthauptstadt des öffentlichen und öffentlich geförderten Wohnbaus. Ein Wohnbau, dessen Ziele eine gerechte Ressourcenverteilung und qualitativ hochwertiger Wohnraum für alle sind. Demgegenüber steht seit jeher der Wohnungsbau des privaten Sektors, der sich durch Renditenmaximierung für die Investoren auszeichnet. In seiner 100-jährigen Geschichte entwickelte sich das Wiener Wohnungswesen jedoch von einem emanzipatorischen Projekt des Proletariats hin zu einem durchökonomisierten Unternehmen, in dem öffentlicher und privater Wohnbau zunehmend ununterscheidbar werden und damit auch die Errungenschaften für ein gutes und sozial gerecht verteiltes Zusammenleben in der Stadt in Gefahr geraten.

Der Wohnbau ist heute zielgruppenorientiert individualisiert, thematisch gebranded und „partizipativ“ geplant. Zynisch mutet dabei die heute omnipräsente Diskussion über das Minimum an, das man für das Leben der Menschen als angemessen erachtet und das seit 2012 als Smart-Wohnbauprogramm verkauft wird. Hier nähern sich die Grundrissgrößen den winzigen Wohnungen des Zwischenkriegswohnbaus an, müssen jedoch allen derzeit geltenden Standards und Normen entsprechen.

Die von Bürgermeister Michael Ludwig 2015 ins Leben gerufene Internationale Bauausstellung (IBA Wien 2022) will im Jahr 2022 eine Reihe von Projekten eröffnen, die neue Impulse für die Stadt und den Wohnbau darstellen. Eine IBA wäre als international bewährtes Instrument der Stadtplanung geeignet, Innovationen zu fördern. Sie wäre eine Chance, räumlich-architektonische Experimente zu ermöglichen, die sich jenseits der rein ökonomischen Diskussion über Leistbarkeit als soziales Engagement verstehen und damit dem öffentlichen Wohnbau wieder Kontur verleihen können.

Unnötige Architekten?

Die derzeitigen Projekte der IBA Wien, die sich das Leitbild „Neues soziales Wohnen“ an ihre Fahne geheftet hat, bleiben jedoch den normativen Vorstellungen von dem, was Wohnen ist, sowie den Vorgaben der Wohnbauindustrie und -politik verpflichtet. Es entsteht der Eindruck, dass ohnehin geplante Projekte mit einem hübschen Mascherl versehen werden und Innovation sich auf rhetorische Gesten beschränkt.

Die Disziplin der Architektur, ihre Kompetenzen und ihr Input werden dabei als unnötiges Wissen im Diskurs marginalisiert. In dieser Stadt hat das leider System. Bezeichnend ist, dass der Chronist moderner Architektur, Sigfried Giedion, in seinem Standardwerk Raum, Zeit, Architektur die Architektur des Roten Wien nicht erwähnt. Auch Vienna Rossa, die fundierte Kritik des italienischen Architekturtheoretikers Manfredo Tafuri, immerhin das Standardwerk der Rezeption des Wiener Wohnbaus in Italien, Frankreich, Spanien und Südamerika, wurde nie auf Deutsch publiziert. Dies sind nur zwei historische Hinweise für eine geringe Wertschätzung von Architektur und ihres kritisch-konstruktiven Potenzials für das Wiener Wohnbaumodell, die sich bis heute fortsetzt.

Gerade aber eine Auseinandersetzung, die sich jenseits ökonomischer Interessen ansiedelt und sich insbesondere der räumlichen Qualitäten der Organisation von Menschen in der Stadt bewusst ist, kann helfen, eine positive Vision einer lebenswerten Stadt für alle zu entwerfen. Dies heißt nicht, die Ökonomie zu vergessen oder die Anstrengungen der derzeitigen Stadtregierung kleinzureden, leistbaren Wohnraum mithilfe der Instrumente der Raumordnung und der Bauordnung zu garantieren. Leistbarkeit ist jedoch kein Qualitätskriterium für nachhaltigen und zukunftsfähigen Wohn- und Stadtraum, sondern eine rein ökonomische Größe.

Ein Hinweis darauf, was zukunftsfähig sein kann, findet sich in der Geschichte des Wohnens. Der Wohnungsbau hat sich erst mit der ersten industriellen Revolution als Gegenüber zur Fabrik herausgebildet. Das Wohnen, wie wir es heute kennen, wurde über zwei Jahrhunderte hinweg eingelernt. Spätestens seit den 1970er-Jahren erleben wir jedoch eine radikale Reorganisierung unserer Ökonomie.

Die Erwerbsarbeit wird zunehmend vom Selbstunternehmertum abgelöst, die Kreativindustrie und die Wissensarbeit gewinnen an Bedeutung, und die schmutzige Industrie wird in ferne Länder ausgelagert. Der italienische Philosoph Mario Tronti hat uns mit dem Begriff der „gesellschaftlichen Fabrik“ ein probates Mittel an die Hand gegeben, die Veränderung auf einer städtebaulichen, räumlichen Ebene zu verstehen. Die Grenzen der Fabrik verschwinden. Die ganze Stadt, die ganze Gesellschaft wird zur Fabrik.

Dies bedeutet, dass sich der Grund, warum der Wohnungsbau ursprünglich entstanden ist, nämlich die Fabrik und ihr Regime, radikal verändert hat. So mutet es anachronistisch an, dass wir heute noch Wohnungen und Stadtquartiere errichten, deren Organisation den überkommenen Idealen einer komplett anderen Ökonomie und Gesellschaft verpflichtet ist und deren Wohngrundrisse bestenfalls den IndustrieStandards angepasst wurden. Wir brauchen heute Lösungen, die auf die offensichtlichen Realitäten der Gesellschaft reagieren: etwa das Verschwinden der Erwerbsarbeit und die Fragmentierung von Familien. Solche Lösungen entwerfen dabei nicht nur neue Formen des städtischen Zusammenlebens, sondern werden die gängigen Geschäftsmodelle der Wohnbauindustrie infrage stellen.

Es wäre naiv zu glauben, dass die über 200 Jahre eingeübten Formen und Organisationen des Wohnens von heute auf morgen verlernt werden können. Die gezielte Öffnung des Diskurses, was denn der öffentliche Wohnbau jenseits der Anbiederung an liberale Ideen, wie die Individualisierung, sowie der Unterwerfung unter eine ohnehin konstruierte ökonomische Knappheit heute sein kann, und daran anschließende räumlich-organisatorische Experimente wären erste, unbedingt notwendige Schritte, dem Wiener Wohnmodell eine neue Kontur und Zukunft zu geben. Insbesondere die junge Generation von Architekten wäre dafür prädestiniert.

Konkret könnte das heißen, fünf Prozent der Neubauleistung, also circa 500 Wohnungen im Jahr, im öffentlich geförderten Wohnbau zweckgebunden für Experimente zu reservieren, die bestimmte Normen oder Vorstellungen, wie Wohnen auszusehen hat, außer Kraft setzen. Derartige Projekte wäre dazu angetan, alternative Formen und Organisationen des Zusammenlebens auszuloten. Gleichzeitig würden sie durch ihren Innovationscharakter die Grenze zwischen öffentlich-gefördertem und privatem Wohnungsbau wieder schärfen. Dann hätte das „neue soziale Wohnen“ seinen Namen verdient.

Der Standard, Sa., 2019.01.19

17. Januar 2012Andreas Rumpfhuber
dérive

Introduction: The Vienna Model of Housing Provision in Times of Austerity

Public & Social Housing in General

Social and public housing once qualified as a means of intervening in society in order to achieve the equal distribution...

Public & Social Housing in General

Social and public housing once qualified as a means of intervening in society in order to achieve the equal distribution...

Public & Social Housing in General

Social and public housing once qualified as a means of intervening in society in order to achieve the equal distribution of ever expanding wealth in Europe. Municipal housing, as well as state owned industry, restrictive regulations such as taxation on luxury and speculation and the stimulus of subsidies were the legitimate and broadly accepted tools by which to implement a social liberalist society. Today, however, all these governmental tools and actions seem to be tired out and no longer accepted by a broader popular discourse. The labour class, which was at the core of the social democratic discourse on public housing, seems to have disappeared: dissolved into what are today called target groups: young families, senior citizens, single households, carless collectives, etc.

In recent years, underpinned by the liberal discourse of Western industrial nations and in parallel with the advancements of the so-called financial capitalism (Marazzi 2010) that has led to the current financial crises, it has appeared that there is no acute housing shortage and no misery, and thus no need for public housing or subsidies any longer. With this development the individual subject was made to believe that they had sole responsibility for their good or bad »luck«. The state and municipalities could easily and without resistance outsource the housing question – that is to build affordable housing for all – and get rid of real estate in order to implement a lean administration and fill the supposedly empty city treasury. In many European cities a traditional renters-market was and still is gradually being transformed into an exclusive owners-market.

The pragmatic social-democratic attitude of reforming society towards a distributed wealth – which has, from the beginning, been strongly associated with the production of housing – has been replaced by a generally accepted impetus towards (reduced state intervention) less state and a wide-reaching austerity policy. Friedrich Engels’ position in his seminal text The Housing Question (1872) seems bereft of any basis; in particular, the argument that: »only by the solution of the social question, that is, by the abolition of the capitalist mode of production, is the solution of the housing question made possible.« (Engels 1872)

Since the 1960s the capitalist mode of production has expanded radically into society at large (Tronti 1974), including into what Marx had called the Non-Labour. The labour class has disintegrated since this time; its particularized contemporaries are no longer represented within the general discourse. This has led to a situation in which the social question has been excluded, as if it has already been solved by individualization and particularization. Thus the current situation has presented itself as if there is, on the one hand, no need to reform and actualize the current liberalized systems of housing provision towards more common wealth. On the other hand, the current situation has created status setting in which it is utterly unacceptable to speak about revolutionary policy. Still I believe that exactly this idea of a possible revolutionary politics is necessary in order to not succumb to the liberal promise that we are all liable for our own luck.

The Research

Our local research project Modelling Vienna as part of a larger research consortium comprising a team at the University of Westminster, a team from the School of Architecture in Oslo, and colleagues from Iceland – sets out to research the specific practice of the Vienna model of public housing provision. The research in Vienna will be conducted in two phases. The first part is an endeavour to analyse the current model of public housing provision, understanding the domain of housing as a field that is crossed by many different professions and disciplines. The research so far includes: the missing history of Red Vienna’s post World War II legacy, interviews with experts in Vienna, analysis of the discourse that occurs in and around the model of housing provision, and reviews of cases (concrete objects of the currently themed housing production, from the »car-free settlement« to »young and affordable housing« to »young architects«). In the second (future) phase the research aims to develop alternative scenarios for a future model of housing provision, beyond the simple binary of liberalism versus socialism, engaging in the current state of austerity measures …

Vienna Model of Social Housing Provision

Somehow the city of Vienna managed to keep its stock of Gemeindebauten that the municipality had built since the early 1920s; additionally, in the 1990s it was able to rearrange the production of public and social housing in a specific way: it liberalized the system of social housing provision, securing its leading position within the Vienna market. Thus the municipality is still the main player setting the criteria for the production of housing, actually owning or through subsidies indirectly controlling about 50% of the housing stock in Vienna.

It thus has a huge influence on the private market of real estate and through this, one can argue, has established a kind of alternative economy in the city of Vienna.

Only slowly are we able to identify the limits of the system of social housing provision and its alternative economy beyond an obvious critique of the anachronistic and unbearable attitude of the centralistic model of governance that is in place in Vienna. And we start to understand how the overall highly successful model of housing provision is coming under scrutiny and being diluted by its actors (be it architects, be it developers, be it politicans) unable to step outside the binary of liberalism versus socialism. With the global financial crisis and an ever more dominant dictum of austerity policy, even the City of Vienna aims to consolidate its treasury and proposes supposedly »innovative« ways of solving the problem of affordable housing production with the introduction of the so-called Wohnbauinitiative. The city hands out public money to socalled private partners building large housing projects. In return these new consortia of financial service providers and building contractors are bound to a specific maximum rent for the next 10 years. At the same time, bottom-up initiatives promoting Co-Housing have recently sprung up making themselves visible within the city’s discourse …

In this issue of dérive we are able to present some of the findings of our research so far. Starting with a genealogy of publicly funded housing since the end of the World War II, the text investigates the alteration of a formerly ideologically coined politics towards a liberalized system of an integrated housing market in which Vienna’s municipality directly and indirectly controls about the half of housing real estate in the Austrian capital, and in which the boundaries between social housing and private investment are blurry. The subsequent text presents parts of a wider analysis of the discourse in and around the Vienna model of housing provision, discussing the aspiration of the city of Vienna to address a multitude of possible »consumers«.

A third text reports on a series of (anonymous) interviews conducted by the research team last winter. The interviewees speak about their personal prospects and challenges in the Vienna housing provision. Finally, the concluding text tries to frame the current situation by looking at the Superblock turned Überstadt. The text aims to address the specific Viennese situation and its innovative efforts.

All the texts in this issue of dérive are written in English and accompanied by only a short abstract in German. This is exceptional for dérive. After a long discussion the editorial team and the authors decided to publish in English in order to make this very special situation – the alternative economy in Vienna beyond the mythic »Red Vienna« – accessible to a broader international community. Thus the issue also contains a glossary in which we have tried to translate specific concepts of the Vienna discourse into English.

The Vienna research team includes Andreas Rumpfhuber, Michael Klein, Georg Kolmayr, Teresa Klestorfer, and Lisa Ehrenstrasser (until 09/2011). The project is funded by the HERA Joint Research Program (heranet.info): SCIBE – Scarcity and Creativity in the Built Environment (www.scibe. eu). It is hosted by the Institute of Design Assessment and the Multidisciplinary Design Group at TU Vienna. We are grateful to Professor Ina Wagner who facilitated our research proposal.

1) The City owns 27% of the housing stock in Vienna (Public Housing, Gemeindebauten). A further 21% of the housing stock is owned (and controlled) by limited profit housing developers; they are socially bound, and through the subsidies and the quality measures indirectly controlled by the municipality.


[Andreas Rumpfhuber is an architect and researcher living in Vienna. He founded Expanded Design, an office for design and research. Andreas is currently director of the Austrian Science Fund Project »The Architecture of Cybernetics of Architecture«, a project about the invention of office landscaping in the 1950s and is principal investigator of the esf/hera-funded research project SCIBE. Andreas Rumpfhuber is an architect and researcher living in Vienna. He founded Expanded Design, an office for design and research. Andreas is currently director of the Austrian Science Fund Project »The Architecture of Cybernetics of Architecture«, a project about the invention of office landscaping in the 1950s and is principal investigator of the esf/hera-funded research project SCIBE.]


Literature:
Marazzi, Christian (2010): The Violence of Financial Capitalism, Semiotext(e) intervention series, Los Angeles: Semiotext(e)
Engels, Friedrich (1872): The Housing Question. Online: http://www.marxists.org/archive/marx/works/1872/housingquestion/ index.htm, German: Friedrich Engels: Zur Wohnungsfrage: http://www.mlwerke.de/me/me18/me18_209.htm
Tronti, Mario (1974): Arbeiter und Kapital. Frankfurt am Main: Verlag Neue Kritik, (Italian Original: 1966; the text Factory and Society was first published in: Quaderni Rossi, 2/1962, pp. 17— 40).

dérive, Di., 2012.01.17



verknüpfte Zeitschriften
dérive 46 Vom Superblock zur Überstadt. Das Modell Wiener Wohnbau

13. Januar 2009Andreas Rumpfhuber
dérive

Arbeit Leben

Seit jeher markiert und organisiert Architektur Räume der Produktion, formuliert strukturelle wie symbolische Ordnungen, die nach innen wie nach außen...

Seit jeher markiert und organisiert Architektur Räume der Produktion, formuliert strukturelle wie symbolische Ordnungen, die nach innen wie nach außen...

Seit jeher markiert und organisiert Architektur Räume der Produktion, formuliert strukturelle wie symbolische Ordnungen, die nach innen wie nach außen wirken. Es ist dabei egal, ob die Arbeitsgemeinschaften von einem/einer quasi-transzendenten HerrscherIn oder UnternehmerIn von außen gesetzt werden oder ob es selbstorganisierte Interessensgemeinschaften sind, die Architektur rahmt. Die Exklusivität der Produktionsräume ist in unterschiedlicher Art und Weise konzipiert, jedoch immer durch Verhaltensmaßregeln und Kodices reglementiert. Sie werden zudem seit jeher in Relation zum Leben – zum Wohnen und zur Freizeit – definiert. Ihre innere Logik entsteht zunächst in Abgrenzung dazu, gleichzeitig werden aber Aspekte des Lebens in ihr etabliert. So sind Produktionsstätten auch Designs, die Arbeitsbedingungen der versammelten Arbeiter und Arbeiterinnen in Differenz zu vorhandenen Lebensbedingungen modifizieren.

Brennpunkt moderner Produktionsräume ist das Arbeitsleben des Menschen, dessen Arbeitskraft an einfache, dynamische oder energetische Maschinen oder auch kyber-netische Apparate und Computer angeschlossen ist.[1] Im Innenraum wird die Arbeitskraft hervorgebracht und nimmt dort idealerweise zu. Dabei geht es mit den Mitteln der Architektur darum, eine Gruppe von Menschen zu versammeln und deren Arbeitsleben anzureichern, es produktiv zu machen, zu maximieren, es zu komponieren und zu administrieren.[2]

Arbeitsarchitektur ist Teil diskontinuierlicher Prozesse der Subjektivierung, denen entsprechend sich ArbeiterIn, LeistungsträgerIn, ArchitektIn, UnternehmerIn als Subjekt „das heißt als rationale, reflexive, sozial orientierte, moralische, expressive, grenzüberschreitende, begehrende etc. Instanz zu modellieren hat und modellieren will“,[3] und stellt mithin nicht einfach bloß neutralen Raum bereit, sondern ist als Praxis direkt auf Subjekte ausgerichtet. Als Mittel der Subjektivierung ist sie Teil einer Organisation und Repräsentation von Produktion, die das Leben durch Arbeitszeiten und Produktionszyklen rhythmisiert, organisiert und strukturiert und gleichsam die Arbeitsverhältnisse und Produktionsbedingungen spiegelt und auf sie einwirkt. So kann Arbeitsarchitektur als ein spezielles Konfliktfeld verstanden werden, das für die Produktion von Subjekten mitkonstituierend ist, wie sie im vorliegenden Heft von dérive anhand zeitgenössischer Beispiele verhandelt wird.

Die in diesem Heft vorgestellten Untersuchungen beleuchten spezifische zeitgenössische Formen einer sich verändernden Architektur der Arbeit, in der Arbeit und Leben zunehmend konvergieren, was seit den 1960er Jahren in den Zentren des Kapitalismus vermehrt im Diskurs thematisiert wird. Der Philosoph Antonio Negri und der Literaturwissenschafter Michael Hardt beschreiben diese Veränderungen als Übergang vom Massenarbeiter zum gesellschaftlichen Arbeiter. In Anlehnung an den (und gleichzeitiger Distanzierung vom) italienischen Philosophen und Operaisten Mario Tronti[4] nennen sie dies die gesellschaftlichen Fabrik:

„Die Verallgemeinerung des Fabrikregimes ging einher mit Veränderungen in der Art und Qualität der Arbeitsprozesse. Arbeit heißt in den gegenwärtigen metropolitanen Gesellschaften mit ungebrochener Tendenz immaterielle Arbeit – also intellektuelle, affektiv-emotionale und technowissenschaftliche Tätigkeit, Arbeit des Cyborg.“[5]

Negri und Hardt erweitern den traditionellen marxistischen Begriff der Arbeit durch die Vielfalt der gesellschaftlichen Produktion, die als wertschaffende Praxisform gleichermaßen natürliche Bedürfnisse, künstliche Wünsche und gesellschaftliche Verhältnisse anspricht und auch die Sphäre der Marx’schen Nichtarbeit beinhaltet. Indem Negri und Hardt Arbeit mit den Prozessen der Selbstverwertung als Möglichkeit verstehen, durch Affirmation eine andere Gesellschaft zu denken, versuchen sie subversive Kräfte zu erkennen, die Ordnungen des Kapitals und der Staatsapparate, die der Kontrolle und Ausbeutung dienen, zu unterwandern und ihnen eine radikale Alternative entgegenstellen können (Multitude).[6]

Die beiden Autoren thematisieren damit Konditionen und Modi des Lebens, die in westlichen Industriegesellschaften immer bedeutender werden, weisen auf die Veränderung der begrifflichen Konzeption, der Eigenschaften und Bedingungen der Arbeit hin, die sich zusehendes vom vormals festgeschriebenen und bestimmten Ort der Produktion löst und eine Kategorisierung von produktiver versus unproduktiver Arbeit, oder auch die Unterscheidung zwischen Arbeiten, Herstellen und Handeln,[7] obsolet macht. Der Begriff der gesellschaftlichen Fabrik ist einer, der „die informationelle und kulturelle Dimension der Ware hervorbringende Qualität [...] artikuliert“[8] und damit eine Form der Arbeit beschreibt, die heute zunehmend diffus wird:[9] Arbeitszeit und Freizeit vermischen sich, die eigentliche Tätigkeit wird ununterscheidbar zur Aus- bzw. Weiterbildung, das Privatleben und die Vita Activa vermengen sich, wie dies Mario Tronti bereits 1966 beschreibt:

„Wenn sich die Fabrik zum Herren der gesamten Gesellschaft aufwirft – die gesamte gesellschaftliche Produktion wird industrielle Produktion –, dann verlieren sich die besonderen Merkmale der Fabrik innerhalb der allgemeinen Merkmale der Gesellschaft. Wenn die gesamte Gesellschaft auf die Fabrik reduziert wird, dann scheint die Fabrik als solche zu verschwinden.“[10]

Natürlich existiert diese Form der Arbeit gleichzeitig zu anderen Formen der Fabrikation und Produktion, die aber zusehends aus den westlichen Industrienationen ausgelagert werden. Ihre Signifikanz liegt darin, dass sie den erstarkenden Produktionsmodus einer kulturellen Praxis und einer Diskursformation beschreibt, die Luc Boltanski und Eve Chiapello als Den neuen Geist des Kapitalismus bezeichnen und als eine neue, allgemeine Ideologie darstellen, „die das Engagement für den Kapitalismus rechtfertigt.“[11] Dessen massenhafte Verbreitung verbinden die beiden französischen AutorInnen eng mit der Emanzipationsbewegung der 1960er Jahre und ihrer Kritik am Kapitalismus. Neue Arbeitsorganisationen, unsichere Beschäftigungsverhältnisse, Aufspaltung der Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer (Outsourcing, Gastarbeiter, Gastarbeiterinnen), der Abbau des Arbeitnehmerschutzes und der Sozialstandards sowie die wachsende Arbeitsbelastung bei gleichbleibenden Lohn sind für Boltanski und Chiapello die sichtbaren Folgen.[12]

Dem räumlichen Aspekt einer allseits in der Gesellschaft aufgehenden Produktionsform geht dieses Heft von dérive nach. Die Artikel, die hier versammelt sind, erforschen räumliche Konstruktionen, die keiner herkömmlichen Fertigung von physischen Erzeugnissen entsprechen und sich gleichermaßen überall in unseren urbanen Agglomerationen verteilen. Die Texte verfolgen Bewegungen und spüren Formationen nach, die in den paradigmatischen Arbeitsarchitekturen der 1960er Jahre erstmals modellhaft sichtbar werden.[13] Exemplarisch sind hier zu nennen: die Bürolandschaften (1956ff.) der Gebrüder Schnelle und ihres Quickborner Teams, Cedric Price’ Fun Palace (1962-66), das Bürogebäude der Versicherungsanstalt Centraal Beheer (1968-71) des Architekten Herman Hertzberger, die Hollein’sche Fernsehperformance Mobiles Büro (1969), der Friedensaktivismus von John Lennon und Yoko Ono, das Bed-In (März und Mai 1969) in Amsterdam und in Montreal, aber auch die als Freizeitarchitekturen im Diskurs flottierenden Projekte wie Constants New Babylon oder auch die Ville Spatiale von Yona Friedman sind Beispiele, die teils reaktiv auf einen erstarkenden Diskurs, der sich in den 1960er Jahren am Denkmodell der Kybernetik und dem damit einhergehenden politischen Versprechen einer konsensualen, konfliktfreien Demokratie und am Populärdiskurs über die Freizeitgesellschaft orientiert und teils – im Blick auf eine heute erst voll absehbare Entwicklung der Arbeitsmodi und Arbeitsbedingungen – prophetisch sind.

Die Organisationsberater Gebrüder Schnelle haben eine wissenschaftlich-ökonomische Planungsmethode, die Organisationskybernetik, entwickelt, in der sie, in Verlängerung der Tradition des scientific management und gleichzeitig in Distanzierung dazu, über die diagrammatische Analyse des Informationsflusses die Arbeitsorganisation von Menschen und Maschinen optimierten und einen horizontalen, schier unendlichen, dennoch nach außen hin klar begrenzten Raum der Bürolandschaft produzierten. In dem sollten sich Menschen wie Maschinen möglichst frei, ungezwungen und dennoch einfach fassbar und kontrollierbar anordnen lassen.[14] Die innere Organisation gehorcht einer funktional differenzierten, flachen Hierarchie, in der alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Expertinnen und Experten gleichgestellt in Teams, funktional getrennt von einer disziplinarischen Instanz, selbstorganisiert und konsensual zusammenarbeiten sollen.[15]

Der Fun-Palace stellt einen netzwerkartigen Raum als Infrastruktur dar, in dem nicht mehr gearbeitet werden muss, sondern die Fort- und Weiterbildung Programm ist. Die bewegliche, räumliche Struktur ist die architektonische Repräsentation des kybernetischen Modells, das sich ohne Grenzen als gigantisches Mobile in permanenter und fortdauernder Modulation und Reform über die Welt zieht. Wie der Innenraum der Bürolandschaft wird der Raum des Fun-Palace in kleinen überschaubaren Gruppen, den Enclosures, organisiert, die als Aktivitätszonen architektonisch möglichst neutral gehalten werden, um jedes beliebige (zukünftige) Programm aufnehmen zu können.

Herman Hertzberger dagegen versucht im Bürokomplex Centraal Beheer, eine Art Kolonie in einer neuen Stadt, ein statisches Bollwerk der Arbeit als Wohnhaus zu schaffen, das er als Antithese zur Bürolandschaft versteht und das ausschließlich durch den Gebrauch, durch die aktive Appropriation der Struktur zum wohnlichen Arbeitsplatz werden kann. Hertzberger setzt in seinem Entwurf aktive, autonome und mündige Subjekte voraus, die in horizontaler Organisation kleiner untereinander abhängiger Gruppen in der dreidimensionalen Matrix des Gebäudes angeordnet werden. Die geschlossene Idealform, die noch charakteristisch für die Bürolandschaft ist, wird zur Stadt hin geöffnet und durch die Situierung eines quasi-öffentlichen Konsumraumes hybridisiert. In Material und Organisation werden privater Innenraum und öffentlicher Stadtraum ununterscheidbar. Ideell gedacht beginnt der kybernetisch organisierte Raum ins Außen zu fließen und sich in der Stadt auszubreiten.

Die beiden experimentellen Architektur-projekte New Babylon des niederländischen Künstlers Constant Nieuwenhuys und die Raumstadt des israelischen Architekten Yona Friedman zählen ebenfalls zu einer Reihe von Projekten, die reaktiv den vorherrschenden Diskurs spiegeln, die Architektur u. a. durch kleine überschaubare, horizontal organisierte Gemeinschaften – Teams, wenn man so will – ordnen, die zueinander in enger Relation stehen und deren Mitglieder untereinander abhängig sind. Sie reflektieren dabei den Diskurs der Kybernetik und postulieren die unschuldige Gesellschaft jenseits jeglichen Konflikts, die durch Verflachung der Hierarchien, durch Teambildung und Feedbackschleifen, sprich durch den Umbau der Gesellschaften von einer disziplinaren hin zu einer kontrollierenden, konstruiert wird.

In seinem Projekt Mobiles Büro, das im Rahmen der Sendung Das österreichische Portrait im Dezember 1969 im österreichischen Fernsehen präsentiert wurde, inszeniert sich Hans Hollein als der hybride, global agierende Unternehmer, als Idea Man, der ein erweitertes Verständnis von Architektur hin zu einem ganzheitlichen Design propagiert und umsetzt. Hollein öffnet sich den neuen Informationstechnologien und setzt sich als virtuoser visionärer Pragmatiker ohne moralischen Impetus in Szene. Mit dem radikalen Design des Mobilen Büros macht er eine Arbeits- und Lebenssituation sichtbar und umreißt damit die Problematik, aber auch gleichzeitig die notwendigen materiellen und programmatischen Qualitäten einer Arbeitsarchitektur für den modernen, individualisierten Arbeitsnomaden: eine klimatische und psychologische Schutzhülle, die sich jeder Situation und jedem Gebrauch anpasst und die als Blase für den Einzelnen notwendigerweise adäquate technologische Anschlussmöglichkeiten für Gesellschaft beinhaltet.

John Lennon und Yoko Ono dagegen eignen sich in einem unternehmerischen Akt für ihre Vision einer alternativen Gesellschaft den hybrid gebrauchten Arbeits- und Lebensraum des Grand Hotels an. Mit dem Bed-In affimieren sie den hegemonialen Raum einer exklusiven Gesellschaft, den öffentlichen Charakter der transparenten Architektur und die Praxis der bürgerlichen Produktion, das Gespräch, für ihre verstörendes Unternehmen und drehen im Augenblick der Performance den Status des Hotelzimmers und des Bettes um. In der Performance werden das Hotelzimmer und das Bett zum Symbol eines Inklusionsraumes einer künstlerisch-unternehmerischen Praxis des Entzugs. Sie refigurieren den gewohnten Raum des Establishments für den Moment als utopischen Ort des Rückzugs als Zeichen einer anderen Gesellschaft, indem sie die künstlerische Praxis Yoko Onos mit der unternehmerischen Handlung John Lennons konvergieren lassen.

So nehmen das Mobile Büro wie auch das Bed-In Formen zeitgenössischer Arbeitsweisen und den Gebrauch von Architektur vorweg: Zum einen der flexible, permanent mobile Kreativarbeiter, der Projekte macht, zum anderen die ultimative Arbeitsutopie des Arbeitens im Bett. Sind sie jedoch für die 1960er Jahren als politische Projekte lesbar, die im Moment der Intervention die Verhältnisse, die den gewohnten Arbeitsplatz bestimmen, im Verhältnis zur Gemeinschaft neu ordnen, kippt die emanzipatorische Vorstellung des neuen Arbeitens heute dialektisch um und wird zur Norm, Arbeit wird Leben ... oder in den Worten Negris und Hardts: „Die Welt ist Arbeit.“[16]

Hier schließen die Beiträge dieses Hefts an. Sie thematisieren anhand von konkreten zeitgenössischen Phänomenen und Situationen eine Entwicklung, hinter die wir nicht mehr zurück können, und explizieren eine Forschung, die sich auf eine zeitgenössische Arbeitsarchitektur einlässt und sie als ein sich permanent veränderndes Netzwerk räumlicher Praxen versteht, das sich nicht einzig auf exzellente, herausragende Gebäude oder urbane Strukturen reduzieren lässt, sondern verschiedenste Formen von Interventionen und Vermittlungen inkludiert.

Das Heft wird von einem Text der Ökonomin Ulrike Mühlberger eröffnet. Mühlberger diskutiert die rechtlichen Konstruktionen formal Selbstständiger, die ohne MitarbeiterInnen exklusiv für eine Firma arbeiten und dort angestellten-ähnliche Bedingungen vorfinden, jedoch arbeitsrechtlich schlechter gestellt sind, und eine hybride Position zwischen Beschäftigung und Selbstständigkeit einnehmen müssen, in der sie einen Teil des Unternehmensrisikos tragen und gleichzeitig durch Kontrollmechanismen an einer echten Selbstständigkeit gehindert werden. Mühlbergers Beitrag rahmt mit ihrer empirischen Analyse die vier Fallbeispiele, von denen Katharina Morawek, Julia Wieger, Christina Linortner und Gabu Heindl berichten.

Den ersten Fall stellt der Themenpark Minopolis in Wien-Floridsdorf dar. Katharina Morawek, Kunstvermittlerin und Lehrbeauftragte an der Akademie der bildenden Künste in Wien, berichtet darüber, wie Kindern zwischen 4 und 12 Jahren urbanes Arbeitsleben, das ausschließlich durch Arbeit und Konsum bestimmt scheint, spielerisch vermittelt wird. Im zweiten Fallbericht begleitet die Architektin Julia Wieger den Umgestaltungsprozess des Max-Winter-Platzes als Form eines exklusiven Arbeitsprozesses der Kommunikation. Das aufgrud der Präsenz von Sexarbeiterinnen als Problemviertel deklarierte Stuwerviertel in Wien-Leopoldstadt soll durch ein exklusives partizipatives Verfahren aufgewertet werden. Dabei werden einerseits Kinder in den Arbeitsprozess integriert und andererseits die Sexarbeiterinnen ausgeschlossen. Im dritten Fallbeispiel dieses Heftes portraitiert Christina Linortner gute Geister in Los Angeles. Sie berichtet über zweierlei Arten von Ghostwritern, einerseits den working poor, die als mobile Putzkräfte, oft ohne Aufenthaltsbewilligung in den Vereinigten Staaten, meist mehrere Jobs haben und permanent in der „Stadt der Engel“ unterwegs sind, und andererseits den AutorInnen, die für andere Menschen Bücher schreiben und oftmals eine bestimmte Zeit hinweg in den Villen ihrer meist berühmten AuftraggeberInnen wohnen. Zuletzt berichtet die Architektin Gabu Heindl über ein zeitgenössisches Leben in Zellen. Heindl spannt einen großen Bogen und analysiert das Motiv der Zelle anhand verschiedener kultureller Artefakte, um auf eine spezifische Form einer aktuellen Arbeitszelle zu kommen: die Manga Kissas, die Internetcafés in Japan.

Illustriert werden die Berichte von Portraits aus der Fotoserie Reservate der deutschen Künstlerin Sinje Dillenkofer. Sie zeigen Sekretärinnen von Vorstandsvorsitzenden aus New York und verschiedenen deutschen Städten. Das inszenierte (im Original) farbige und das dokumentarisch schwarzweiße Portrait wurden jeweils am Arbeitsplatz aufgenommen. Die farblosen Bilder zeigen die Frauen in ihrer alltäglichen Arbeitskleidung und werden mit den Inszenierungen ihrer wahren oder imaginierten privaten Identitäten in Relation gesetzt und konfrontiert.


Anmerkungen:
[1] Vgl. dazu Deleuze, Gilles (1993): Kontrolle und Werden, in: Ders.: Unterhandlungen, 1972-1990. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 243-253 (zuerst publiziert in: Futur antérieur, Nr.1, Frühjahr 1990). Im Gespräch mit Toni Negri exemplifiziert Deleuze den Übergang von den Disziplinargesellschaften zu den Kontrollgesellschaften. Dabei assoziiert er mit jedem Gesellschaftstypen einen Maschinentypen: „Jeden Gesellschaftstyp kann man selbstverständlich mit einem Maschinentypen in Beziehung in Beziehung setzen: einfache oder dynamische Maschinen für die Souveränitätsgesellschaften, Kybernetik und Computer für die Kontrollgesellschaften.“ (S. 251)
[2] Vgl. Foucault, Michel (2006): Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Geschichte der Gouvernementalität I. Frankfurt: Suhrkamp (Franz. Originalausgabe: 2004, Vorlesung: 1978), S. 145-150
[3] Reckwitz, Andreas (2006): Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne. Göttingen: Velbrück Wissenschaft, S. 10
[4] Vgl. Tronti, Mario (1974): Arbeiter und Kapital. Frankfurt: Verlag Neue Kritik,1974 (Italienisches Original: 1966; der Text Fabrik und Gesellschaft wurde erstmals in Quaderni Rossi 2/1962 publiziert), S. 17-40. Zu einer ausführlichen Diskussion Trontis politischer Konzeption in Relation zur Architektur und zu den unterschiedlichen politischen Konzeptionen siehe: Aurielli, Pier Vittorio (2008): The Project of Autonomy, Politics and Architecture within and against Capitalism. New York: Princeton Architectural Press, vor allem S. 31-38
[5] Negri, Antonio; Hardt; Michael (1997): Die Arbeit des Dionysos. Materialistische Staatskritik in der Postmoderne. Berlin/Amsterdam: Edition ID-Archiv,(Original: 1994 und 177), S. 14f.
[6] a.a.O., S. 5 und 13. Zum Begriff der Multitude: Negri, Antonio; Hardt; Michael (2004): Multitude. Krieg und Demokratie im Empire. Frankfurt: Campus, (Englisches Original: 2004)
[7] Vgl. Arendt, Hannah (2007): Vita Activa oder Vom tätigen Leben. München: Pieper, (Englisches Original: 1958)
[8] Lazzarato, Maurizio (1998): Immaterielle Arbeit. Gesellschaftliche Tätigkeit unter den Bedingungen des Postfordismus. In: Atzert, Thomas (Hg.); Negri, Antonio; Lazzarato, Maurizio & Virno, Paolo: Umherschweifende Produzenten. Berlin: ID Verlag, S. 39-52, hier: 39
[9] Vgl. auch: Boutang, Yann Moulier (1998): Vorwort. In: Atzert, Thomas (Hg.); Negri, Antonio; Lazzarato, Maurizio & Virno, Paolo: Umherschweifende Produzenten. Berlin: ID Verlag,
[10] Vgl. Tronti, Mario (1974): Arbeiter und Kapital. Frankfurt: Verlag Neue Kritik,1974 (Italienisches Original: 1966; der Text Fabrik und Gesellschaft wurde erstmals in Quaderni Rossi 2/1962 publiziert), S. 17-40, hier: S. 32
[11] Boltanski, Luc; Chiapello, Éve (2006): Der neue Geist des Kapitalismus. Konstanz: UVK VerlagsgesmbH, (Französisches Original: 1999), S. 43
[12] a.a.O., S. 270-304
[13] Ich habe unter dem Titel Architektur immaterieller Arbeit meine Untersuchungen der im Folgenden genannten Projekte im Dezember als Dissertation an der Königlichen Akademie der Künste in Kopenhagen eingereicht. Eine digitale Fassung findet sich aufwww.rumpfhuber.org
[14] Das Team der Gebrüder Schnelle weist an mehreren Stellen darauf hin, dass das Bürogebäude als klare, eindeutige räumliche Markierung nur notwendig sei, so lange die Technologie nicht weit genug entwickelt sei, von zu Hause oder sonstwo aus zu arbeiten. Vgl. zum Beispiel: Gottschalk, Ottmar; Lorenzen; Hans J. (1966): Eine neue Form von Bürogebäuden. In: Kommunikation, Nr. 4, Vol. II
[15] Die Belegschaften, die in die neuartigen Büroräume umgesiedelt werden sollen, werden in Seminaren auf die Arbeitsräume vorbereitet. Zudem sind sie in den Organisationsprozess eingebunden, um ein möglichst friktionsfreies Klima zu schaffen.
[16] Negri, Antonio; Hardt; Michael (1997): Die Arbeit des Dionysos. Materialistische Staatskritik in der Postmoderne. Berlin/Amsterdam: Edition ID-Archiv,(Original: 1994 und 177), S. 16

dérive, Di., 2009.01.13



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dérive 34 Arbeit Leben

Presseschau 12

19. Januar 2019Andreas Rumpfhuber
Der Standard

Leben in der gesellschaftlichen Fabrik

Wien ist immer noch Welthauptstadt des öffentlichen Wohnbaus. Es fehlt aber an Mut, sich auf dringend nötige Experimente für nachhaltigen, zukunftsfähigen Wohn- und Stadtraum einzulassen.

Wien ist immer noch Welthauptstadt des öffentlichen Wohnbaus. Es fehlt aber an Mut, sich auf dringend nötige Experimente für nachhaltigen, zukunftsfähigen Wohn- und Stadtraum einzulassen.

Wien gilt zu Recht als Welthauptstadt des öffentlichen und öffentlich geförderten Wohnbaus. Ein Wohnbau, dessen Ziele eine gerechte Ressourcenverteilung und qualitativ hochwertiger Wohnraum für alle sind. Demgegenüber steht seit jeher der Wohnungsbau des privaten Sektors, der sich durch Renditenmaximierung für die Investoren auszeichnet. In seiner 100-jährigen Geschichte entwickelte sich das Wiener Wohnungswesen jedoch von einem emanzipatorischen Projekt des Proletariats hin zu einem durchökonomisierten Unternehmen, in dem öffentlicher und privater Wohnbau zunehmend ununterscheidbar werden und damit auch die Errungenschaften für ein gutes und sozial gerecht verteiltes Zusammenleben in der Stadt in Gefahr geraten.

Der Wohnbau ist heute zielgruppenorientiert individualisiert, thematisch gebranded und „partizipativ“ geplant. Zynisch mutet dabei die heute omnipräsente Diskussion über das Minimum an, das man für das Leben der Menschen als angemessen erachtet und das seit 2012 als Smart-Wohnbauprogramm verkauft wird. Hier nähern sich die Grundrissgrößen den winzigen Wohnungen des Zwischenkriegswohnbaus an, müssen jedoch allen derzeit geltenden Standards und Normen entsprechen.

Die von Bürgermeister Michael Ludwig 2015 ins Leben gerufene Internationale Bauausstellung (IBA Wien 2022) will im Jahr 2022 eine Reihe von Projekten eröffnen, die neue Impulse für die Stadt und den Wohnbau darstellen. Eine IBA wäre als international bewährtes Instrument der Stadtplanung geeignet, Innovationen zu fördern. Sie wäre eine Chance, räumlich-architektonische Experimente zu ermöglichen, die sich jenseits der rein ökonomischen Diskussion über Leistbarkeit als soziales Engagement verstehen und damit dem öffentlichen Wohnbau wieder Kontur verleihen können.

Unnötige Architekten?

Die derzeitigen Projekte der IBA Wien, die sich das Leitbild „Neues soziales Wohnen“ an ihre Fahne geheftet hat, bleiben jedoch den normativen Vorstellungen von dem, was Wohnen ist, sowie den Vorgaben der Wohnbauindustrie und -politik verpflichtet. Es entsteht der Eindruck, dass ohnehin geplante Projekte mit einem hübschen Mascherl versehen werden und Innovation sich auf rhetorische Gesten beschränkt.

Die Disziplin der Architektur, ihre Kompetenzen und ihr Input werden dabei als unnötiges Wissen im Diskurs marginalisiert. In dieser Stadt hat das leider System. Bezeichnend ist, dass der Chronist moderner Architektur, Sigfried Giedion, in seinem Standardwerk Raum, Zeit, Architektur die Architektur des Roten Wien nicht erwähnt. Auch Vienna Rossa, die fundierte Kritik des italienischen Architekturtheoretikers Manfredo Tafuri, immerhin das Standardwerk der Rezeption des Wiener Wohnbaus in Italien, Frankreich, Spanien und Südamerika, wurde nie auf Deutsch publiziert. Dies sind nur zwei historische Hinweise für eine geringe Wertschätzung von Architektur und ihres kritisch-konstruktiven Potenzials für das Wiener Wohnbaumodell, die sich bis heute fortsetzt.

Gerade aber eine Auseinandersetzung, die sich jenseits ökonomischer Interessen ansiedelt und sich insbesondere der räumlichen Qualitäten der Organisation von Menschen in der Stadt bewusst ist, kann helfen, eine positive Vision einer lebenswerten Stadt für alle zu entwerfen. Dies heißt nicht, die Ökonomie zu vergessen oder die Anstrengungen der derzeitigen Stadtregierung kleinzureden, leistbaren Wohnraum mithilfe der Instrumente der Raumordnung und der Bauordnung zu garantieren. Leistbarkeit ist jedoch kein Qualitätskriterium für nachhaltigen und zukunftsfähigen Wohn- und Stadtraum, sondern eine rein ökonomische Größe.

Ein Hinweis darauf, was zukunftsfähig sein kann, findet sich in der Geschichte des Wohnens. Der Wohnungsbau hat sich erst mit der ersten industriellen Revolution als Gegenüber zur Fabrik herausgebildet. Das Wohnen, wie wir es heute kennen, wurde über zwei Jahrhunderte hinweg eingelernt. Spätestens seit den 1970er-Jahren erleben wir jedoch eine radikale Reorganisierung unserer Ökonomie.

Die Erwerbsarbeit wird zunehmend vom Selbstunternehmertum abgelöst, die Kreativindustrie und die Wissensarbeit gewinnen an Bedeutung, und die schmutzige Industrie wird in ferne Länder ausgelagert. Der italienische Philosoph Mario Tronti hat uns mit dem Begriff der „gesellschaftlichen Fabrik“ ein probates Mittel an die Hand gegeben, die Veränderung auf einer städtebaulichen, räumlichen Ebene zu verstehen. Die Grenzen der Fabrik verschwinden. Die ganze Stadt, die ganze Gesellschaft wird zur Fabrik.

Dies bedeutet, dass sich der Grund, warum der Wohnungsbau ursprünglich entstanden ist, nämlich die Fabrik und ihr Regime, radikal verändert hat. So mutet es anachronistisch an, dass wir heute noch Wohnungen und Stadtquartiere errichten, deren Organisation den überkommenen Idealen einer komplett anderen Ökonomie und Gesellschaft verpflichtet ist und deren Wohngrundrisse bestenfalls den IndustrieStandards angepasst wurden. Wir brauchen heute Lösungen, die auf die offensichtlichen Realitäten der Gesellschaft reagieren: etwa das Verschwinden der Erwerbsarbeit und die Fragmentierung von Familien. Solche Lösungen entwerfen dabei nicht nur neue Formen des städtischen Zusammenlebens, sondern werden die gängigen Geschäftsmodelle der Wohnbauindustrie infrage stellen.

Es wäre naiv zu glauben, dass die über 200 Jahre eingeübten Formen und Organisationen des Wohnens von heute auf morgen verlernt werden können. Die gezielte Öffnung des Diskurses, was denn der öffentliche Wohnbau jenseits der Anbiederung an liberale Ideen, wie die Individualisierung, sowie der Unterwerfung unter eine ohnehin konstruierte ökonomische Knappheit heute sein kann, und daran anschließende räumlich-organisatorische Experimente wären erste, unbedingt notwendige Schritte, dem Wiener Wohnmodell eine neue Kontur und Zukunft zu geben. Insbesondere die junge Generation von Architekten wäre dafür prädestiniert.

Konkret könnte das heißen, fünf Prozent der Neubauleistung, also circa 500 Wohnungen im Jahr, im öffentlich geförderten Wohnbau zweckgebunden für Experimente zu reservieren, die bestimmte Normen oder Vorstellungen, wie Wohnen auszusehen hat, außer Kraft setzen. Derartige Projekte wäre dazu angetan, alternative Formen und Organisationen des Zusammenlebens auszuloten. Gleichzeitig würden sie durch ihren Innovationscharakter die Grenze zwischen öffentlich-gefördertem und privatem Wohnungsbau wieder schärfen. Dann hätte das „neue soziale Wohnen“ seinen Namen verdient.

Der Standard, Sa., 2019.01.19

17. Januar 2012Andreas Rumpfhuber
dérive

Introduction: The Vienna Model of Housing Provision in Times of Austerity

Public & Social Housing in General

Social and public housing once qualified as a means of intervening in society in order to achieve the equal distribution...

Public & Social Housing in General

Social and public housing once qualified as a means of intervening in society in order to achieve the equal distribution...

Public & Social Housing in General

Social and public housing once qualified as a means of intervening in society in order to achieve the equal distribution of ever expanding wealth in Europe. Municipal housing, as well as state owned industry, restrictive regulations such as taxation on luxury and speculation and the stimulus of subsidies were the legitimate and broadly accepted tools by which to implement a social liberalist society. Today, however, all these governmental tools and actions seem to be tired out and no longer accepted by a broader popular discourse. The labour class, which was at the core of the social democratic discourse on public housing, seems to have disappeared: dissolved into what are today called target groups: young families, senior citizens, single households, carless collectives, etc.

In recent years, underpinned by the liberal discourse of Western industrial nations and in parallel with the advancements of the so-called financial capitalism (Marazzi 2010) that has led to the current financial crises, it has appeared that there is no acute housing shortage and no misery, and thus no need for public housing or subsidies any longer. With this development the individual subject was made to believe that they had sole responsibility for their good or bad »luck«. The state and municipalities could easily and without resistance outsource the housing question – that is to build affordable housing for all – and get rid of real estate in order to implement a lean administration and fill the supposedly empty city treasury. In many European cities a traditional renters-market was and still is gradually being transformed into an exclusive owners-market.

The pragmatic social-democratic attitude of reforming society towards a distributed wealth – which has, from the beginning, been strongly associated with the production of housing – has been replaced by a generally accepted impetus towards (reduced state intervention) less state and a wide-reaching austerity policy. Friedrich Engels’ position in his seminal text The Housing Question (1872) seems bereft of any basis; in particular, the argument that: »only by the solution of the social question, that is, by the abolition of the capitalist mode of production, is the solution of the housing question made possible.« (Engels 1872)

Since the 1960s the capitalist mode of production has expanded radically into society at large (Tronti 1974), including into what Marx had called the Non-Labour. The labour class has disintegrated since this time; its particularized contemporaries are no longer represented within the general discourse. This has led to a situation in which the social question has been excluded, as if it has already been solved by individualization and particularization. Thus the current situation has presented itself as if there is, on the one hand, no need to reform and actualize the current liberalized systems of housing provision towards more common wealth. On the other hand, the current situation has created status setting in which it is utterly unacceptable to speak about revolutionary policy. Still I believe that exactly this idea of a possible revolutionary politics is necessary in order to not succumb to the liberal promise that we are all liable for our own luck.

The Research

Our local research project Modelling Vienna as part of a larger research consortium comprising a team at the University of Westminster, a team from the School of Architecture in Oslo, and colleagues from Iceland – sets out to research the specific practice of the Vienna model of public housing provision. The research in Vienna will be conducted in two phases. The first part is an endeavour to analyse the current model of public housing provision, understanding the domain of housing as a field that is crossed by many different professions and disciplines. The research so far includes: the missing history of Red Vienna’s post World War II legacy, interviews with experts in Vienna, analysis of the discourse that occurs in and around the model of housing provision, and reviews of cases (concrete objects of the currently themed housing production, from the »car-free settlement« to »young and affordable housing« to »young architects«). In the second (future) phase the research aims to develop alternative scenarios for a future model of housing provision, beyond the simple binary of liberalism versus socialism, engaging in the current state of austerity measures …

Vienna Model of Social Housing Provision

Somehow the city of Vienna managed to keep its stock of Gemeindebauten that the municipality had built since the early 1920s; additionally, in the 1990s it was able to rearrange the production of public and social housing in a specific way: it liberalized the system of social housing provision, securing its leading position within the Vienna market. Thus the municipality is still the main player setting the criteria for the production of housing, actually owning or through subsidies indirectly controlling about 50% of the housing stock in Vienna.

It thus has a huge influence on the private market of real estate and through this, one can argue, has established a kind of alternative economy in the city of Vienna.

Only slowly are we able to identify the limits of the system of social housing provision and its alternative economy beyond an obvious critique of the anachronistic and unbearable attitude of the centralistic model of governance that is in place in Vienna. And we start to understand how the overall highly successful model of housing provision is coming under scrutiny and being diluted by its actors (be it architects, be it developers, be it politicans) unable to step outside the binary of liberalism versus socialism. With the global financial crisis and an ever more dominant dictum of austerity policy, even the City of Vienna aims to consolidate its treasury and proposes supposedly »innovative« ways of solving the problem of affordable housing production with the introduction of the so-called Wohnbauinitiative. The city hands out public money to socalled private partners building large housing projects. In return these new consortia of financial service providers and building contractors are bound to a specific maximum rent for the next 10 years. At the same time, bottom-up initiatives promoting Co-Housing have recently sprung up making themselves visible within the city’s discourse …

In this issue of dérive we are able to present some of the findings of our research so far. Starting with a genealogy of publicly funded housing since the end of the World War II, the text investigates the alteration of a formerly ideologically coined politics towards a liberalized system of an integrated housing market in which Vienna’s municipality directly and indirectly controls about the half of housing real estate in the Austrian capital, and in which the boundaries between social housing and private investment are blurry. The subsequent text presents parts of a wider analysis of the discourse in and around the Vienna model of housing provision, discussing the aspiration of the city of Vienna to address a multitude of possible »consumers«.

A third text reports on a series of (anonymous) interviews conducted by the research team last winter. The interviewees speak about their personal prospects and challenges in the Vienna housing provision. Finally, the concluding text tries to frame the current situation by looking at the Superblock turned Überstadt. The text aims to address the specific Viennese situation and its innovative efforts.

All the texts in this issue of dérive are written in English and accompanied by only a short abstract in German. This is exceptional for dérive. After a long discussion the editorial team and the authors decided to publish in English in order to make this very special situation – the alternative economy in Vienna beyond the mythic »Red Vienna« – accessible to a broader international community. Thus the issue also contains a glossary in which we have tried to translate specific concepts of the Vienna discourse into English.

The Vienna research team includes Andreas Rumpfhuber, Michael Klein, Georg Kolmayr, Teresa Klestorfer, and Lisa Ehrenstrasser (until 09/2011). The project is funded by the HERA Joint Research Program (heranet.info): SCIBE – Scarcity and Creativity in the Built Environment (www.scibe. eu). It is hosted by the Institute of Design Assessment and the Multidisciplinary Design Group at TU Vienna. We are grateful to Professor Ina Wagner who facilitated our research proposal.

1) The City owns 27% of the housing stock in Vienna (Public Housing, Gemeindebauten). A further 21% of the housing stock is owned (and controlled) by limited profit housing developers; they are socially bound, and through the subsidies and the quality measures indirectly controlled by the municipality.


[Andreas Rumpfhuber is an architect and researcher living in Vienna. He founded Expanded Design, an office for design and research. Andreas is currently director of the Austrian Science Fund Project »The Architecture of Cybernetics of Architecture«, a project about the invention of office landscaping in the 1950s and is principal investigator of the esf/hera-funded research project SCIBE. Andreas Rumpfhuber is an architect and researcher living in Vienna. He founded Expanded Design, an office for design and research. Andreas is currently director of the Austrian Science Fund Project »The Architecture of Cybernetics of Architecture«, a project about the invention of office landscaping in the 1950s and is principal investigator of the esf/hera-funded research project SCIBE.]


Literature:
Marazzi, Christian (2010): The Violence of Financial Capitalism, Semiotext(e) intervention series, Los Angeles: Semiotext(e)
Engels, Friedrich (1872): The Housing Question. Online: http://www.marxists.org/archive/marx/works/1872/housingquestion/ index.htm, German: Friedrich Engels: Zur Wohnungsfrage: http://www.mlwerke.de/me/me18/me18_209.htm
Tronti, Mario (1974): Arbeiter und Kapital. Frankfurt am Main: Verlag Neue Kritik, (Italian Original: 1966; the text Factory and Society was first published in: Quaderni Rossi, 2/1962, pp. 17— 40).

dérive, Di., 2012.01.17



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dérive 46 Vom Superblock zur Überstadt. Das Modell Wiener Wohnbau

13. Januar 2009Andreas Rumpfhuber
dérive

Arbeit Leben

Seit jeher markiert und organisiert Architektur Räume der Produktion, formuliert strukturelle wie symbolische Ordnungen, die nach innen wie nach außen...

Seit jeher markiert und organisiert Architektur Räume der Produktion, formuliert strukturelle wie symbolische Ordnungen, die nach innen wie nach außen...

Seit jeher markiert und organisiert Architektur Räume der Produktion, formuliert strukturelle wie symbolische Ordnungen, die nach innen wie nach außen wirken. Es ist dabei egal, ob die Arbeitsgemeinschaften von einem/einer quasi-transzendenten HerrscherIn oder UnternehmerIn von außen gesetzt werden oder ob es selbstorganisierte Interessensgemeinschaften sind, die Architektur rahmt. Die Exklusivität der Produktionsräume ist in unterschiedlicher Art und Weise konzipiert, jedoch immer durch Verhaltensmaßregeln und Kodices reglementiert. Sie werden zudem seit jeher in Relation zum Leben – zum Wohnen und zur Freizeit – definiert. Ihre innere Logik entsteht zunächst in Abgrenzung dazu, gleichzeitig werden aber Aspekte des Lebens in ihr etabliert. So sind Produktionsstätten auch Designs, die Arbeitsbedingungen der versammelten Arbeiter und Arbeiterinnen in Differenz zu vorhandenen Lebensbedingungen modifizieren.

Brennpunkt moderner Produktionsräume ist das Arbeitsleben des Menschen, dessen Arbeitskraft an einfache, dynamische oder energetische Maschinen oder auch kyber-netische Apparate und Computer angeschlossen ist.[1] Im Innenraum wird die Arbeitskraft hervorgebracht und nimmt dort idealerweise zu. Dabei geht es mit den Mitteln der Architektur darum, eine Gruppe von Menschen zu versammeln und deren Arbeitsleben anzureichern, es produktiv zu machen, zu maximieren, es zu komponieren und zu administrieren.[2]

Arbeitsarchitektur ist Teil diskontinuierlicher Prozesse der Subjektivierung, denen entsprechend sich ArbeiterIn, LeistungsträgerIn, ArchitektIn, UnternehmerIn als Subjekt „das heißt als rationale, reflexive, sozial orientierte, moralische, expressive, grenzüberschreitende, begehrende etc. Instanz zu modellieren hat und modellieren will“,[3] und stellt mithin nicht einfach bloß neutralen Raum bereit, sondern ist als Praxis direkt auf Subjekte ausgerichtet. Als Mittel der Subjektivierung ist sie Teil einer Organisation und Repräsentation von Produktion, die das Leben durch Arbeitszeiten und Produktionszyklen rhythmisiert, organisiert und strukturiert und gleichsam die Arbeitsverhältnisse und Produktionsbedingungen spiegelt und auf sie einwirkt. So kann Arbeitsarchitektur als ein spezielles Konfliktfeld verstanden werden, das für die Produktion von Subjekten mitkonstituierend ist, wie sie im vorliegenden Heft von dérive anhand zeitgenössischer Beispiele verhandelt wird.

Die in diesem Heft vorgestellten Untersuchungen beleuchten spezifische zeitgenössische Formen einer sich verändernden Architektur der Arbeit, in der Arbeit und Leben zunehmend konvergieren, was seit den 1960er Jahren in den Zentren des Kapitalismus vermehrt im Diskurs thematisiert wird. Der Philosoph Antonio Negri und der Literaturwissenschafter Michael Hardt beschreiben diese Veränderungen als Übergang vom Massenarbeiter zum gesellschaftlichen Arbeiter. In Anlehnung an den (und gleichzeitiger Distanzierung vom) italienischen Philosophen und Operaisten Mario Tronti[4] nennen sie dies die gesellschaftlichen Fabrik:

„Die Verallgemeinerung des Fabrikregimes ging einher mit Veränderungen in der Art und Qualität der Arbeitsprozesse. Arbeit heißt in den gegenwärtigen metropolitanen Gesellschaften mit ungebrochener Tendenz immaterielle Arbeit – also intellektuelle, affektiv-emotionale und technowissenschaftliche Tätigkeit, Arbeit des Cyborg.“[5]

Negri und Hardt erweitern den traditionellen marxistischen Begriff der Arbeit durch die Vielfalt der gesellschaftlichen Produktion, die als wertschaffende Praxisform gleichermaßen natürliche Bedürfnisse, künstliche Wünsche und gesellschaftliche Verhältnisse anspricht und auch die Sphäre der Marx’schen Nichtarbeit beinhaltet. Indem Negri und Hardt Arbeit mit den Prozessen der Selbstverwertung als Möglichkeit verstehen, durch Affirmation eine andere Gesellschaft zu denken, versuchen sie subversive Kräfte zu erkennen, die Ordnungen des Kapitals und der Staatsapparate, die der Kontrolle und Ausbeutung dienen, zu unterwandern und ihnen eine radikale Alternative entgegenstellen können (Multitude).[6]

Die beiden Autoren thematisieren damit Konditionen und Modi des Lebens, die in westlichen Industriegesellschaften immer bedeutender werden, weisen auf die Veränderung der begrifflichen Konzeption, der Eigenschaften und Bedingungen der Arbeit hin, die sich zusehendes vom vormals festgeschriebenen und bestimmten Ort der Produktion löst und eine Kategorisierung von produktiver versus unproduktiver Arbeit, oder auch die Unterscheidung zwischen Arbeiten, Herstellen und Handeln,[7] obsolet macht. Der Begriff der gesellschaftlichen Fabrik ist einer, der „die informationelle und kulturelle Dimension der Ware hervorbringende Qualität [...] artikuliert“[8] und damit eine Form der Arbeit beschreibt, die heute zunehmend diffus wird:[9] Arbeitszeit und Freizeit vermischen sich, die eigentliche Tätigkeit wird ununterscheidbar zur Aus- bzw. Weiterbildung, das Privatleben und die Vita Activa vermengen sich, wie dies Mario Tronti bereits 1966 beschreibt:

„Wenn sich die Fabrik zum Herren der gesamten Gesellschaft aufwirft – die gesamte gesellschaftliche Produktion wird industrielle Produktion –, dann verlieren sich die besonderen Merkmale der Fabrik innerhalb der allgemeinen Merkmale der Gesellschaft. Wenn die gesamte Gesellschaft auf die Fabrik reduziert wird, dann scheint die Fabrik als solche zu verschwinden.“[10]

Natürlich existiert diese Form der Arbeit gleichzeitig zu anderen Formen der Fabrikation und Produktion, die aber zusehends aus den westlichen Industrienationen ausgelagert werden. Ihre Signifikanz liegt darin, dass sie den erstarkenden Produktionsmodus einer kulturellen Praxis und einer Diskursformation beschreibt, die Luc Boltanski und Eve Chiapello als Den neuen Geist des Kapitalismus bezeichnen und als eine neue, allgemeine Ideologie darstellen, „die das Engagement für den Kapitalismus rechtfertigt.“[11] Dessen massenhafte Verbreitung verbinden die beiden französischen AutorInnen eng mit der Emanzipationsbewegung der 1960er Jahre und ihrer Kritik am Kapitalismus. Neue Arbeitsorganisationen, unsichere Beschäftigungsverhältnisse, Aufspaltung der Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer (Outsourcing, Gastarbeiter, Gastarbeiterinnen), der Abbau des Arbeitnehmerschutzes und der Sozialstandards sowie die wachsende Arbeitsbelastung bei gleichbleibenden Lohn sind für Boltanski und Chiapello die sichtbaren Folgen.[12]

Dem räumlichen Aspekt einer allseits in der Gesellschaft aufgehenden Produktionsform geht dieses Heft von dérive nach. Die Artikel, die hier versammelt sind, erforschen räumliche Konstruktionen, die keiner herkömmlichen Fertigung von physischen Erzeugnissen entsprechen und sich gleichermaßen überall in unseren urbanen Agglomerationen verteilen. Die Texte verfolgen Bewegungen und spüren Formationen nach, die in den paradigmatischen Arbeitsarchitekturen der 1960er Jahre erstmals modellhaft sichtbar werden.[13] Exemplarisch sind hier zu nennen: die Bürolandschaften (1956ff.) der Gebrüder Schnelle und ihres Quickborner Teams, Cedric Price’ Fun Palace (1962-66), das Bürogebäude der Versicherungsanstalt Centraal Beheer (1968-71) des Architekten Herman Hertzberger, die Hollein’sche Fernsehperformance Mobiles Büro (1969), der Friedensaktivismus von John Lennon und Yoko Ono, das Bed-In (März und Mai 1969) in Amsterdam und in Montreal, aber auch die als Freizeitarchitekturen im Diskurs flottierenden Projekte wie Constants New Babylon oder auch die Ville Spatiale von Yona Friedman sind Beispiele, die teils reaktiv auf einen erstarkenden Diskurs, der sich in den 1960er Jahren am Denkmodell der Kybernetik und dem damit einhergehenden politischen Versprechen einer konsensualen, konfliktfreien Demokratie und am Populärdiskurs über die Freizeitgesellschaft orientiert und teils – im Blick auf eine heute erst voll absehbare Entwicklung der Arbeitsmodi und Arbeitsbedingungen – prophetisch sind.

Die Organisationsberater Gebrüder Schnelle haben eine wissenschaftlich-ökonomische Planungsmethode, die Organisationskybernetik, entwickelt, in der sie, in Verlängerung der Tradition des scientific management und gleichzeitig in Distanzierung dazu, über die diagrammatische Analyse des Informationsflusses die Arbeitsorganisation von Menschen und Maschinen optimierten und einen horizontalen, schier unendlichen, dennoch nach außen hin klar begrenzten Raum der Bürolandschaft produzierten. In dem sollten sich Menschen wie Maschinen möglichst frei, ungezwungen und dennoch einfach fassbar und kontrollierbar anordnen lassen.[14] Die innere Organisation gehorcht einer funktional differenzierten, flachen Hierarchie, in der alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Expertinnen und Experten gleichgestellt in Teams, funktional getrennt von einer disziplinarischen Instanz, selbstorganisiert und konsensual zusammenarbeiten sollen.[15]

Der Fun-Palace stellt einen netzwerkartigen Raum als Infrastruktur dar, in dem nicht mehr gearbeitet werden muss, sondern die Fort- und Weiterbildung Programm ist. Die bewegliche, räumliche Struktur ist die architektonische Repräsentation des kybernetischen Modells, das sich ohne Grenzen als gigantisches Mobile in permanenter und fortdauernder Modulation und Reform über die Welt zieht. Wie der Innenraum der Bürolandschaft wird der Raum des Fun-Palace in kleinen überschaubaren Gruppen, den Enclosures, organisiert, die als Aktivitätszonen architektonisch möglichst neutral gehalten werden, um jedes beliebige (zukünftige) Programm aufnehmen zu können.

Herman Hertzberger dagegen versucht im Bürokomplex Centraal Beheer, eine Art Kolonie in einer neuen Stadt, ein statisches Bollwerk der Arbeit als Wohnhaus zu schaffen, das er als Antithese zur Bürolandschaft versteht und das ausschließlich durch den Gebrauch, durch die aktive Appropriation der Struktur zum wohnlichen Arbeitsplatz werden kann. Hertzberger setzt in seinem Entwurf aktive, autonome und mündige Subjekte voraus, die in horizontaler Organisation kleiner untereinander abhängiger Gruppen in der dreidimensionalen Matrix des Gebäudes angeordnet werden. Die geschlossene Idealform, die noch charakteristisch für die Bürolandschaft ist, wird zur Stadt hin geöffnet und durch die Situierung eines quasi-öffentlichen Konsumraumes hybridisiert. In Material und Organisation werden privater Innenraum und öffentlicher Stadtraum ununterscheidbar. Ideell gedacht beginnt der kybernetisch organisierte Raum ins Außen zu fließen und sich in der Stadt auszubreiten.

Die beiden experimentellen Architektur-projekte New Babylon des niederländischen Künstlers Constant Nieuwenhuys und die Raumstadt des israelischen Architekten Yona Friedman zählen ebenfalls zu einer Reihe von Projekten, die reaktiv den vorherrschenden Diskurs spiegeln, die Architektur u. a. durch kleine überschaubare, horizontal organisierte Gemeinschaften – Teams, wenn man so will – ordnen, die zueinander in enger Relation stehen und deren Mitglieder untereinander abhängig sind. Sie reflektieren dabei den Diskurs der Kybernetik und postulieren die unschuldige Gesellschaft jenseits jeglichen Konflikts, die durch Verflachung der Hierarchien, durch Teambildung und Feedbackschleifen, sprich durch den Umbau der Gesellschaften von einer disziplinaren hin zu einer kontrollierenden, konstruiert wird.

In seinem Projekt Mobiles Büro, das im Rahmen der Sendung Das österreichische Portrait im Dezember 1969 im österreichischen Fernsehen präsentiert wurde, inszeniert sich Hans Hollein als der hybride, global agierende Unternehmer, als Idea Man, der ein erweitertes Verständnis von Architektur hin zu einem ganzheitlichen Design propagiert und umsetzt. Hollein öffnet sich den neuen Informationstechnologien und setzt sich als virtuoser visionärer Pragmatiker ohne moralischen Impetus in Szene. Mit dem radikalen Design des Mobilen Büros macht er eine Arbeits- und Lebenssituation sichtbar und umreißt damit die Problematik, aber auch gleichzeitig die notwendigen materiellen und programmatischen Qualitäten einer Arbeitsarchitektur für den modernen, individualisierten Arbeitsnomaden: eine klimatische und psychologische Schutzhülle, die sich jeder Situation und jedem Gebrauch anpasst und die als Blase für den Einzelnen notwendigerweise adäquate technologische Anschlussmöglichkeiten für Gesellschaft beinhaltet.

John Lennon und Yoko Ono dagegen eignen sich in einem unternehmerischen Akt für ihre Vision einer alternativen Gesellschaft den hybrid gebrauchten Arbeits- und Lebensraum des Grand Hotels an. Mit dem Bed-In affimieren sie den hegemonialen Raum einer exklusiven Gesellschaft, den öffentlichen Charakter der transparenten Architektur und die Praxis der bürgerlichen Produktion, das Gespräch, für ihre verstörendes Unternehmen und drehen im Augenblick der Performance den Status des Hotelzimmers und des Bettes um. In der Performance werden das Hotelzimmer und das Bett zum Symbol eines Inklusionsraumes einer künstlerisch-unternehmerischen Praxis des Entzugs. Sie refigurieren den gewohnten Raum des Establishments für den Moment als utopischen Ort des Rückzugs als Zeichen einer anderen Gesellschaft, indem sie die künstlerische Praxis Yoko Onos mit der unternehmerischen Handlung John Lennons konvergieren lassen.

So nehmen das Mobile Büro wie auch das Bed-In Formen zeitgenössischer Arbeitsweisen und den Gebrauch von Architektur vorweg: Zum einen der flexible, permanent mobile Kreativarbeiter, der Projekte macht, zum anderen die ultimative Arbeitsutopie des Arbeitens im Bett. Sind sie jedoch für die 1960er Jahren als politische Projekte lesbar, die im Moment der Intervention die Verhältnisse, die den gewohnten Arbeitsplatz bestimmen, im Verhältnis zur Gemeinschaft neu ordnen, kippt die emanzipatorische Vorstellung des neuen Arbeitens heute dialektisch um und wird zur Norm, Arbeit wird Leben ... oder in den Worten Negris und Hardts: „Die Welt ist Arbeit.“[16]

Hier schließen die Beiträge dieses Hefts an. Sie thematisieren anhand von konkreten zeitgenössischen Phänomenen und Situationen eine Entwicklung, hinter die wir nicht mehr zurück können, und explizieren eine Forschung, die sich auf eine zeitgenössische Arbeitsarchitektur einlässt und sie als ein sich permanent veränderndes Netzwerk räumlicher Praxen versteht, das sich nicht einzig auf exzellente, herausragende Gebäude oder urbane Strukturen reduzieren lässt, sondern verschiedenste Formen von Interventionen und Vermittlungen inkludiert.

Das Heft wird von einem Text der Ökonomin Ulrike Mühlberger eröffnet. Mühlberger diskutiert die rechtlichen Konstruktionen formal Selbstständiger, die ohne MitarbeiterInnen exklusiv für eine Firma arbeiten und dort angestellten-ähnliche Bedingungen vorfinden, jedoch arbeitsrechtlich schlechter gestellt sind, und eine hybride Position zwischen Beschäftigung und Selbstständigkeit einnehmen müssen, in der sie einen Teil des Unternehmensrisikos tragen und gleichzeitig durch Kontrollmechanismen an einer echten Selbstständigkeit gehindert werden. Mühlbergers Beitrag rahmt mit ihrer empirischen Analyse die vier Fallbeispiele, von denen Katharina Morawek, Julia Wieger, Christina Linortner und Gabu Heindl berichten.

Den ersten Fall stellt der Themenpark Minopolis in Wien-Floridsdorf dar. Katharina Morawek, Kunstvermittlerin und Lehrbeauftragte an der Akademie der bildenden Künste in Wien, berichtet darüber, wie Kindern zwischen 4 und 12 Jahren urbanes Arbeitsleben, das ausschließlich durch Arbeit und Konsum bestimmt scheint, spielerisch vermittelt wird. Im zweiten Fallbericht begleitet die Architektin Julia Wieger den Umgestaltungsprozess des Max-Winter-Platzes als Form eines exklusiven Arbeitsprozesses der Kommunikation. Das aufgrud der Präsenz von Sexarbeiterinnen als Problemviertel deklarierte Stuwerviertel in Wien-Leopoldstadt soll durch ein exklusives partizipatives Verfahren aufgewertet werden. Dabei werden einerseits Kinder in den Arbeitsprozess integriert und andererseits die Sexarbeiterinnen ausgeschlossen. Im dritten Fallbeispiel dieses Heftes portraitiert Christina Linortner gute Geister in Los Angeles. Sie berichtet über zweierlei Arten von Ghostwritern, einerseits den working poor, die als mobile Putzkräfte, oft ohne Aufenthaltsbewilligung in den Vereinigten Staaten, meist mehrere Jobs haben und permanent in der „Stadt der Engel“ unterwegs sind, und andererseits den AutorInnen, die für andere Menschen Bücher schreiben und oftmals eine bestimmte Zeit hinweg in den Villen ihrer meist berühmten AuftraggeberInnen wohnen. Zuletzt berichtet die Architektin Gabu Heindl über ein zeitgenössisches Leben in Zellen. Heindl spannt einen großen Bogen und analysiert das Motiv der Zelle anhand verschiedener kultureller Artefakte, um auf eine spezifische Form einer aktuellen Arbeitszelle zu kommen: die Manga Kissas, die Internetcafés in Japan.

Illustriert werden die Berichte von Portraits aus der Fotoserie Reservate der deutschen Künstlerin Sinje Dillenkofer. Sie zeigen Sekretärinnen von Vorstandsvorsitzenden aus New York und verschiedenen deutschen Städten. Das inszenierte (im Original) farbige und das dokumentarisch schwarzweiße Portrait wurden jeweils am Arbeitsplatz aufgenommen. Die farblosen Bilder zeigen die Frauen in ihrer alltäglichen Arbeitskleidung und werden mit den Inszenierungen ihrer wahren oder imaginierten privaten Identitäten in Relation gesetzt und konfrontiert.


Anmerkungen:
[1] Vgl. dazu Deleuze, Gilles (1993): Kontrolle und Werden, in: Ders.: Unterhandlungen, 1972-1990. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 243-253 (zuerst publiziert in: Futur antérieur, Nr.1, Frühjahr 1990). Im Gespräch mit Toni Negri exemplifiziert Deleuze den Übergang von den Disziplinargesellschaften zu den Kontrollgesellschaften. Dabei assoziiert er mit jedem Gesellschaftstypen einen Maschinentypen: „Jeden Gesellschaftstyp kann man selbstverständlich mit einem Maschinentypen in Beziehung in Beziehung setzen: einfache oder dynamische Maschinen für die Souveränitätsgesellschaften, Kybernetik und Computer für die Kontrollgesellschaften.“ (S. 251)
[2] Vgl. Foucault, Michel (2006): Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Geschichte der Gouvernementalität I. Frankfurt: Suhrkamp (Franz. Originalausgabe: 2004, Vorlesung: 1978), S. 145-150
[3] Reckwitz, Andreas (2006): Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne. Göttingen: Velbrück Wissenschaft, S. 10
[4] Vgl. Tronti, Mario (1974): Arbeiter und Kapital. Frankfurt: Verlag Neue Kritik,1974 (Italienisches Original: 1966; der Text Fabrik und Gesellschaft wurde erstmals in Quaderni Rossi 2/1962 publiziert), S. 17-40. Zu einer ausführlichen Diskussion Trontis politischer Konzeption in Relation zur Architektur und zu den unterschiedlichen politischen Konzeptionen siehe: Aurielli, Pier Vittorio (2008): The Project of Autonomy, Politics and Architecture within and against Capitalism. New York: Princeton Architectural Press, vor allem S. 31-38
[5] Negri, Antonio; Hardt; Michael (1997): Die Arbeit des Dionysos. Materialistische Staatskritik in der Postmoderne. Berlin/Amsterdam: Edition ID-Archiv,(Original: 1994 und 177), S. 14f.
[6] a.a.O., S. 5 und 13. Zum Begriff der Multitude: Negri, Antonio; Hardt; Michael (2004): Multitude. Krieg und Demokratie im Empire. Frankfurt: Campus, (Englisches Original: 2004)
[7] Vgl. Arendt, Hannah (2007): Vita Activa oder Vom tätigen Leben. München: Pieper, (Englisches Original: 1958)
[8] Lazzarato, Maurizio (1998): Immaterielle Arbeit. Gesellschaftliche Tätigkeit unter den Bedingungen des Postfordismus. In: Atzert, Thomas (Hg.); Negri, Antonio; Lazzarato, Maurizio & Virno, Paolo: Umherschweifende Produzenten. Berlin: ID Verlag, S. 39-52, hier: 39
[9] Vgl. auch: Boutang, Yann Moulier (1998): Vorwort. In: Atzert, Thomas (Hg.); Negri, Antonio; Lazzarato, Maurizio & Virno, Paolo: Umherschweifende Produzenten. Berlin: ID Verlag,
[10] Vgl. Tronti, Mario (1974): Arbeiter und Kapital. Frankfurt: Verlag Neue Kritik,1974 (Italienisches Original: 1966; der Text Fabrik und Gesellschaft wurde erstmals in Quaderni Rossi 2/1962 publiziert), S. 17-40, hier: S. 32
[11] Boltanski, Luc; Chiapello, Éve (2006): Der neue Geist des Kapitalismus. Konstanz: UVK VerlagsgesmbH, (Französisches Original: 1999), S. 43
[12] a.a.O., S. 270-304
[13] Ich habe unter dem Titel Architektur immaterieller Arbeit meine Untersuchungen der im Folgenden genannten Projekte im Dezember als Dissertation an der Königlichen Akademie der Künste in Kopenhagen eingereicht. Eine digitale Fassung findet sich aufwww.rumpfhuber.org
[14] Das Team der Gebrüder Schnelle weist an mehreren Stellen darauf hin, dass das Bürogebäude als klare, eindeutige räumliche Markierung nur notwendig sei, so lange die Technologie nicht weit genug entwickelt sei, von zu Hause oder sonstwo aus zu arbeiten. Vgl. zum Beispiel: Gottschalk, Ottmar; Lorenzen; Hans J. (1966): Eine neue Form von Bürogebäuden. In: Kommunikation, Nr. 4, Vol. II
[15] Die Belegschaften, die in die neuartigen Büroräume umgesiedelt werden sollen, werden in Seminaren auf die Arbeitsräume vorbereitet. Zudem sind sie in den Organisationsprozess eingebunden, um ein möglichst friktionsfreies Klima zu schaffen.
[16] Negri, Antonio; Hardt; Michael (1997): Die Arbeit des Dionysos. Materialistische Staatskritik in der Postmoderne. Berlin/Amsterdam: Edition ID-Archiv,(Original: 1994 und 177), S. 16

dérive, Di., 2009.01.13



verknüpfte Zeitschriften
dérive 34 Arbeit Leben

Profil

Diplom TU Graz (1999, Auszeichnung)
Bartlett School of Architecture, UCL, London (1995/96)
SciArc, Los Angeles (1999)

Promotion an der Royal Danish Academy of Fine Arts, School of Architecture, Copenhagen (2009), Mitglied des DoktorandInnenkollegs am Center for Research Architecture, Goldsmiths College London (2006-09)

Lehrtätigkeit

2021/22 Professur an der Akademie der bildenden Künste Wien
2018 Gastprofessur für Städtebau TU Wien
2015/16 Vertretungsprofessur für öffentliche Räume und Bauten, Städtebau, Staatliche Akademie der Künste Stuttgart
2012/13 Vertretungsprofessur für Raum- und Designstrategien, Muthesius Akademie, Kiel

Mitgliedschaften

Mitgliedschaften
Kammer der Architekt:innen und Ingenieurskonsulent:innen für Wien, NÖ und Burgenland

Publikationen

Bücher:
Architektur immaterieller Arbeit, Turia und Kant: Wien, 2013
The Design of Scarcity, Strelka Press: London/Moskau, 2014
Modelling Vienna, Real Fiction in Social Housing, Turia und Kant: Wien, 2015
Wunschmaschine Wohnanlage, Studie zur funktionalen Nachverdichtung von 46 Grosswohnanlagen der Gemeinde Wien, Sonderzahl: Wien, 2016
Into the Great Wide Open, DPR Barcelona: Barcelona, 2017
Das Design der Knappheit, ADOCS: Hamburg, 2018

Veranstaltungen

Div. Ausstellungsbeteiligungen: u.a. A Section of Now, CCA Montreal (2021), Am Ende: Architektur, AZW (2016)
Div. Vorträge: u.a. AA, KTH Stockholm, ETH Zürich, u.a.

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