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21. März 2009Christoph Affentranger
zuschnitt

Normalfall Holz

Ein Wortspiel am Anfang: „Holzhausen“, der Projektname für das erste sechsgeschossige Haus in Holz in der Schweiz, steht in Steinhausen (Kanton Zug). Steinhausen...

Ein Wortspiel am Anfang: „Holzhausen“, der Projektname für das erste sechsgeschossige Haus in Holz in der Schweiz, steht in Steinhausen (Kanton Zug). Steinhausen...

Ein Wortspiel am Anfang: „Holzhausen“, der Projektname für das erste sechsgeschossige Haus in Holz in der Schweiz, steht in Steinhausen (Kanton Zug). Steinhausen ist eine Ortschaft, die in den letzten gut 50 Jahren aus dem Nukleus eines kleinen Dorfes zu einer typisch schweizerischen Agglomerationsgemeinde mit rund 9000 Einwohnern herangewachsen ist. Die Kantonshauptstadt ist in zehn Minuten zu erreichen, Zürich in 40 Bahnminuten. Und trotzdem, typisch Schweiz, hat Steinhausen alles, was eine Kleinstadt benötigt: Kirchen, Schulhäuser, einen gut frequentierten Bahnhof, ein grosses Einkaufszentrum, Ärzte und sogar den Hauptsitz einer Firma von Weltformat. Und eben: das erste sechsgeschossige Holzgebäude in der jüngeren Schweizer Baugeschichte. Die Bauherrschaft entschloss sich aufgrund eigener guter Erfahrungen und aus ökologischer Überzeugung zu einem Holzbau. Der Neubau steht direkt an der Hauptstrasse in einem Umfeld von Bauten aus den 1950er bis 70er Jahren. Das Untergeschoss sowie das Treppenhaus wurden in massiver Stahlbetonweise und die fünf Vollgeschosse sowie das Attikageschoss in Holzbauweise ausgeführt, eingekleidet in kanadische rote Zeder. Das Haus umfasst zwei Gewerbe- und neun Wohneinheiten im Eigentumsstandard. Die Holzbauteile wurden vorgefertigt und innert acht Wochen auf der Baustelle zum Rohbau zusammengefügt. Die süd- und westorientierten, eingezogenen Balkontürme und die konstruktiv bedingt orthogonal angeordneten Fenster prägen das Haus von aussen. Grosse, hohe und helle Räume und gekonnt gesetzte Öffnungen zeichnen das Innere aus.

In der Schweiz sind es die Feuer- und Gebäudeversicherungen, die in Fragen des Brandschutzes das Sagen haben. Da die entsprechenden Gesetze auf Kantonsstufe verankert sind, gibt es beinahe so viele Umsetzungen wie Kantone. In einigen, zum Beispiel im Kanton Zug, versichern ausschliesslich die kantonalen Gebäudeversicherungen Häuser. In anderen gibt es den Wettbewerb privater Versicherer. Im Kanton Zug muss jedes Baugesuch bei der halbstaatlich organisierten Gebäudeversicherung GVZ zur Prüfung eingereicht werden. Die Gebäudeversicherung legt in eigener Verantwortung als Versicherer die Auflagen fest. Andere Kantone haben ähnliche, aber häufig anders bezeichnete Stellen. Die Vorgaben werden im Sinne einer Harmonisierung auf freiwilliger Basis durch die Kantone seit Jahren schon von der Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen VKF in verschiedenen Schriften landesweit koordiniert. Im Jahr 2001 lancierten die Dachorganisation der Schweizer Wald- und Holzwirtschaft „Lignum“ und das Förderprogramm „holz21“ des bafu (Bundesamt für Umwelt) das Programm „Bauen in Holz – Qualitätssicherung und Brandschutz“ und ebneten dem Holzbau den Weg in die Mehrgeschossigkeit. Die damit neu erarbeiteten technischen und methodischen Grundlagen für Bauteile ermöglichten die Einführung der neuen Brandschutznormen der VKF, welche seit 1. Januar 2005 Holzbauten mit bis zu sechs Geschossen und 60 Minuten Feuerwiderstand zulassen.

Die Lösung der Problematik Schall- und Brandschutz im Projekt Holzhausen kann sehr gut anhand des Detailplans zum Knoten Geschossdecken/ Wohnungstrennwand nachvollzogen werden. Der Schallschutz wird wesentlich durch eine biegeweich ausgeführte, abgehängte Decke mittels Gipskartonplatten und durch die Beschwerung des Bodens mittels Betonplatten erreicht (besserer Schallschutz im tieffrequenten Bereich). Durch getrennt auf separaten Wandscheiben aufliegende Deckenelemente und der GYS-Vorwandinstallation werden Nebenwege in der Schallübertragung verhindert und zugleich ein optimaler Brandschutz erreicht. Die Ausführung des Treppenhauses in einem nichtbrennbaren Material (Beton) ist Teil des Brandschutzkonzepts. Durch den asymmetrischen Grundriss des Mehrfamilienhauses und infolge der in grossen Mengen verwendeten Materialien lasten auf einzelnen Elementen in den unteren Geschossen enorme Kräfte. Dies verlangte eine hohe Disziplin in Bezug auf die vertikale Lastabtragung.

Die betroffenen Wände wurden deshalb aus massiven, mit Stahl verstärkten Mehrschichtplatten (bis 200 mm dick) gefertigt. Die Holzkonstruktion ist zudem über spezielle Stahlteile am Treppenturm befestigt. Diese ermöglichen den verschiedenartigen Baustoffen eine spannungsarme Ausdehnung. Sämtliche Berechnungen sowie die Ausführungen auf dem Bauplatz wurden durch einen neutralen Fachingenieur genauestens geprüft und ohne Vorbehalte abgenommen. Die Anforderungen an den Erdbebenschutz eines Gebäudes in der Schweiz sind in der Norm geregelt. Die Bemessung berücksichtigt die lokalen Anforderungen des Untergrunds und ist materialunabhängig formuliert.

Was unter Lärm zu verstehen ist, muss nicht zuletzt auf sehr subjektiv empfundene Wahrnehmungen zurückgeführt werden. Die Bewohner beurteilen das Resultat der Schallschutzmassnahmen eher kritisch, sowohl innerhalb des Gebäudes als auch gegenüber dem Lärm von der Strasse. Der Unternehmer hingegen verweist auf Messprotokolle, die die erforderlichen, schweiztypisch eher hohen Werte gemäss den Normen nachweisen. Laut dem Amt für Statistik der Schweiz entstanden im Jahr 2007 rund 10.800 Wohnungen (von total ca. 26.700) in Mehrfamilienhäusern, die in Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohnern liegen. Bezogen auf den gesamten Bestand von rund 227.800 Mehrfamilienhäusern in der Schweiz per 2000 zählen nur 38.100 fünf und mehr Geschosse, hingegen rund 165.000 drei oder vier Geschosse. Auch wenn die Vergangenheit nie zwingend den Weg in die Zukunft weist, dürften in der zugegebenermassen kleinstrukturierten Schweiz aber auf absehbare Zeit immer noch hauptsächlich drei- bis viergeschossige Gebäude in Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohnern gebaut werden – also in Gemeinden, die in vielem Steinhausen gleichen und irgendwo in der Nähe der fünf grossen städtischen Zentren Zürich, Bern, Genf, Basel und Lausanne liegen. Neubauten in Holz mit fünf oder mehr Geschossen hätten vor allem „Leuchtturmcharakter“. Die Zukunft des mehrgeschossigen Holzbaus in der Schweiz liegt in der Unscheinbarkeit des Materials. Holz in der Konstruktion, weder von aussen noch, wie mehrheitlich in den Wohnungen von Holzhausen, von innen sichtbar, wird auf absehbare Zeit so normal werden wie der Backstein. Bloss nachhaltiger.

zuschnitt, Sa., 2009.03.21



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Mehrfamilienhaus Holzhausen



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zuschnitt 33 Holz stapelt hoch

07. November 2006Christoph Affentranger
Neue Zürcher Zeitung

Tempel der Baukunst

Der in Finnland geborene Eero Saarinen gilt als einer der grossen Baukünstler der Nachkriegszeit. Mit einer ihm gewidmeten Ausstellung in der Kunsthalle Helsinki feiert das Finnische Architekturmuseum, eines der ältesten Zentren für Baukunst überhaupt, sein fünfzigjähriges Bestehen.

Der in Finnland geborene Eero Saarinen gilt als einer der grossen Baukünstler der Nachkriegszeit. Mit einer ihm gewidmeten Ausstellung in der Kunsthalle Helsinki feiert das Finnische Architekturmuseum, eines der ältesten Zentren für Baukunst überhaupt, sein fünfzigjähriges Bestehen.

Der Sinn für Architektur ist in Finnland weit verbreitet. Deshalb erstaunt es nicht, dass mit Eliel Saarinen und Alvar Aalto gleich zwei überragende Meister des 20. Jahrhunderts aus dem nordischen Land stammen. Das Interesse an der Baukunst führte in Helsinki früh schon zur Einrichtung eines Architekturmuseums. Dieses ging 1956 aus dem 1949 gegründeten Fotoarchiv des Vereins Finnischer Architekten hervor. Mit über 450 Ausstellungen im Ausland und noch weit mehr Anlässen im eigenen Land hat das Museum massgeblich zur Verbreitung der finnischen Architektur und zu deren gutem Image weltweit beigetragen. So stellte ein englischer Kritiker Ende 1957 anlässlich der ersten der Architektur Finnlands gewidmeten Ausstellung in Grossbritannien überrascht fest, dass es neben Alvar Aalto auch noch andere hervorragende finnische Architekten gebe. Wenig später war Finnland zu einem Mekka der modernen Architektur geworden, das unter anderem zahlreiche Schweizer anzog.

Finnland und die Welt

Das Architekturmuseum in Helsinki organisiert aber nicht nur Ausstellungen, es archiviert, forscht und publiziert auch, führt Finnlands umfangreichste Architekturbibliothek und wendet sich vermehrt auch mit speziellen Programmen zu Architektur und Umwelt an Kinder. Angesichts seiner überreichen Vergangenheit entschied sich das Museum, die unvermeidliche Aufarbeitung von Fakten und Geschichten in einer Publikation zu leisten und die Jubiläumsausstellung demjenigen finnischen Architekten zu widmen, der - trotz Weltruf - in seiner Heimat nur einmal, als Student, an einem Projekt beteiligt war, das auch realisiert wurde: Eero Saarinen.

Der 1910 in Helsinki geborene Eero Saarinen verbrachte die ersten Lebensjahre meist im Büro seines Vaters Eliel Saarinen (1873-1950). Dieses befand sich in Hvitträsk, einem vom Architektentrio Gsellius/Lindgren/Saarinen 1903 im Stil der finnischen Nationalromantik vollendeten Gebäudekomplex vor den Toren der Stadt. Hierher kehrte Eero zeitlebens immer wieder zurück, nachdem sein Vater, weltweit bekannt geworden mit seinem zweitplacierten Wettbewerbsbeitrag für den Chicago Tribune Tower, 1923 mit der ganzen Familie in die USA emigriert war. Dort wuchs Eero Saarinen in einem kreativen Umfeld auf: Seine Mutter war eine bekannte Textildesignerin und Bildhauerin, seine Schwester eine begabte Innenarchitektin. Nach einem zweijährigen Praktikum, das er in Helsinki absolvierte, stieg Eero 1936 in das Architekturbüro seines Vaters ein und übernahm dieses nach dessen Tod im Jahre 1950. Zu jenem Zeitpunkt galt er bereits als einer der führenden Architekten und Designer der USA. Seine wichtigsten Arbeiten, zu denen das TWA- Terminal in New York (1956-62) und das United States Jefferson National Memorial in St. Louis (1947-65) zählen, wurden zu Ikonen des modernen Amerika der Nachkriegszeit. Als Eero Saarinen 1961 vergleichsweise jung starb, hinterliess er neun seiner wichtigsten Projekte unvollendet. Sie wurden aber alle postum realisiert, derart überzeugt waren die Bauherren von ihnen.

Leben und Werk eines Meisters

Die Ausstellung «Eero Saarinen - Shaping The Future», die aus Platzgründen in der Kunsthalle Helsinki gezeigt wird, entstand in enger Zusammenarbeit zwischen dem Finnischen Architekturmuseum, dem Finnischen Kulturinstitut in New York, dem National Building Museum, Washington D. C., und der Yale School of Architecture, der Alma Mater Saarinens, für die er auch massgeblich geplant und gebaut hat. Dem Besucher wird das Werk des grossen Entwerfers mit zahlreichen Modellen, Fotografien, Filmen und Möbeln zugänglich gemacht sowie mit Plänen, die zu einem grossen Teil erstmals öffentlich zu sehen sind (bis 6. Dezember). Die Ausstellung wird begleitet von einer umfassende Monographie zu Eero Saarinen sowie einem kleinen Katalogheft (8 Euro). Ergänzend zur Schau in der Kunsthalle ist in Hvitträsk noch bis zum 10. Dezember die Ausstellung «Would you draw me a horse - Eero Saarinen's Childhood at Hvitträsk» zu sehen, die alle Facetten von Eeros Jugend in Finnland beleuchtet.

[ Bis 6. Dezember in der Kunsthalle Helsinki; anschliessend tourt die Ausstellung bis 2010 durch Europa und die USA. Monographie: Eero Saarinen - Shaping The Future (englisch). Yale University Press, New Haven 2006. 408 S., Euro 65.- ]

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2006.11.07

29. September 2006Christoph Affentranger
Neue Zürcher Zeitung

Bauen mit Holz

Architektonische und technisch-konstruktive Innovationen im Holzbau entstehen heute vor allem in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz. Früher hingegen...

Architektonische und technisch-konstruktive Innovationen im Holzbau entstehen heute vor allem in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz. Früher hingegen...

Architektonische und technisch-konstruktive Innovationen im Holzbau entstehen heute vor allem in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz. Früher hingegen kamen die Neuerungen oft aus Finnland: Alvar Aalto setzte Massstäbe im Umgang mit Holz - etwa mit der Villa Mairea (1939). Auch die nachfolgende Generation schuf international beachtete Werke: Kaija und Heikki Sirén die Kapelle in Otaniemi (1957) oder Kristian Gullichsen und Juhani Pallasmaa das Systemhaus «Module 225» (1968). Seit 1994 versucht die finnische Holzindustrie mit dem Finnischen Holzpreis, der dieses Jahr dem Geschäftshaus der Finnforest in Tapiola zugesprochen wird, das Bauen mit Holz zu fördern und die technischen und gestalterischen Möglichkeiten von Holzbauten dem Publikum bekanntzumachen.

Zudem wurde 1998 die Wood In Culture Association gegründet. Unterstützt von der finnischen Wald-Stiftung, vergibt sie alle zwei Jahre den mit 50 000 Euro dotierten Spirit of Nature Wood Architecture Award für das herausragende Werk eines Architekten im Kontext von ökologischem und nachhaltigem Bauen mit Holz. Nach Renzo Piano (2000), Kengo Kuma (2002) und Richard Leplastrier (2004) wurde gestern im Konzerthaus Sibelius in Lahti der Preis dem Schweizer Architekten Peter Zumthor überreicht. Geehrt wird damit ein Werk, das nicht zuletzt auch durch den schöpferischen Umgang mit Holz und das präzise Einfügen der Bauten in den Kontext brilliert. Die Reihe von Zumthors Arbeiten in Holz begann mit den Schutzbauten über römischen Ruinen in Chur (1986), setzte sich fort mit seinem eigenen Atelier in Haldenstein (1986), der Kapelle Sogn Benedetg in Sumvitg (1988) und der Ergänzung eines Bauernhauses in Gagalun (1994). Später kam der Klangkörper genannte Schweizer Pavillon an der Weltausstellung 2000 in Hannover dazu. Bei jedem dieser Werke setzte Zumthor Holz immer wieder anders und wegweisend neuartig ein. Bleibt zu hoffen, dass die notwendigen finanziellen Mittel zum Bau des Restaurants auf der Insel Ufenau im Zürichsee gefunden werden, damit diese Reihe herausragender Holzbauten ihre Fortsetzung finden kann.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2006.09.29



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Zumthor Peter

03. Oktober 2003Christoph Affentranger
Neue Zürcher Zeitung

Schwebende Verbindung

Eine moderne Holzbrücke im städtischen Kontext

Eine moderne Holzbrücke im städtischen Kontext

Frauenfeld lag ursprünglich am rechten Ufer der Murg. Heute aber fliesst der kleine Fluss mitten durch die Stadt hindurch. Deshalb gehören zum Stadtbild von Frauenfeld auch zahlreiche Brücken. Die neuste wurde vom Bonaduzer Ingenieur Walter Bieler entworfen und schliesst eine Lücke im Netz der innerstädtischen Fussgängerwege. Bielers Brücke ist 20 Meter lang. Sie überspringt die Murg und führt von der kleinen, einem Einkaufszentrum vorgelagerten Schanz hinüber zum Schlossbezirk. Auf den architektonisch heterogenen, von Bauten aus unterschiedlichen Epochen geprägten Flussabschnitt reagierte Bielers Konzept mit Mitteln der Asymmetrie. Ein auf der flussaufwärts gelegenen Seite um 45 Zentimeter höheres, aus Lärchenlatten mit Zwischenraum bestehendes Geländer orientiert den Blick des Fussgängers in Richtung des hoch über die Murg aufragenden Schlosses mit dem Rathaus und der alten Mühle zu Füssen. Mit einer Gesamthöhe von 2,3 Metern deckt das höhere Geländer (im Gegensatz zum niedrigeren) auch die unterhalb der Gehfläche liegenden Brettschichtholzträger ab, welche die Brücke tragen.

Durch die asymmetrische Verschiebung des von einem Geländer gefassten, 1,8 Meter breiten Gehwegs des Oberbaus gegenüber dem 1,2 Meter breiten, mit einer Lärchenholzschalung eingepackten Träger des Unterbaus entsteht beim Blick flussabwärts der Eindruck einer geschlossenen, kubischen und schweren Brücke; flussaufwärts hingegen wirkt die Brücke dank der räumlichen Gliederung in die Tiefe filigran. Altstadtseitig liegt die Brücke auf einem Betonauflager auf, schanzseitig hingegen ist sie an die alten Mauern angehängt. Bieler hat diesen Unterschied noch zusätzlich überhöht, in dem er die Brücke in Form einer in den Strassenbelag eingelegten Betonzunge in die Altstadt hinein künstlich verlängert hat. Auf der Seite der Schanz hingegen besteht der Anschluss in einer minimal gehaltenen Unterbrechung des geschlossenen Betongeländers. Die Brücke ist ein gelungenes Geschenk der Bürgergemeinde an Frauenfeld, das vor 200 Jahren zur Kantonshauptstadt ernannt wurde, und zugleich ein klärender Eingriff in eine urbanistisch schwierige Situation.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2003.10.03



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Holzbrücke

04. Januar 2002Christoph Affentranger
Neue Zürcher Zeitung

Eine Metropole im Aufbruch

Neue Architektur und Stadtplanung in Helsinki

Neue Architektur und Stadtplanung in Helsinki

Architektur ist in Finnland seit langem ein zentraler Bestandteil des Kulturlebens. Das geht nicht nur aus einem Ende 1998 erlassenen Regierungsbeschluss hervor, das wird auch bei jedem Besuch Helsinkis und anderer Städte auf Schritt und Tritt deutlich.

Bereits in der Entstehungszeit des erst 1917 gegründeten Nationalstaates spielte die Architektur neben der Musik eines Jean Sibelius und der Malerei eines Akseli Gallen-Kallela eine entscheidende Rolle bei der Suche nach einem nationalen Selbstverständnis. So errichtete das junge Architektentrio Armas Lindgren, Herman Gesellius und Eliel Saarinen für die Pariser Weltausstellung im Jahre 1900 einen vielbeachteten Pavillon für das damals noch russische Grossherzogtum Finnland. Fast 100 Jahre später hielt die finnische Regierung in ihrem Beschluss zur Architekturpolitik von Ende 1998 als zentrale Punkte «die Unterstützung architektonisch hochwertigen Bauens» sowie «Richtlinien zum Schutz unseres architektonischen Erbes» fest. Darüber hinaus erklärte sie, sie werde Ausstellungen und Publikationen im Bereich der Architektur fördern, «die Notwendigkeit des Architekturverständnisses bei der Verflechtung der Schulausbildung mit dem kulturellen Leben» beachten und «die Architekturausbildung im Rahmen der Erwachsenenweiterbildung» prüfen.


Grosse Umwandlungen

Wie wichtig das Ringen um gute Architektur im Spannungsfeld zwischen Funktionalität, Ästhetik und Ökonomie in ganz Finnland ist, wird bei einer Fahrt durchs Land deutlich. Viele international bekannte Bauten liegen weitab von grossen Zentren, so die auf der Unesco-Liste des Weltkulturerbes figurierende Holzkirche in Petäjävesi aus dem 17. Jahrhundert, Alvar Aaltos Sanatorium von 1933 in Paimio bei Turku oder das 1998 eröffnete Volkskunstzentrum in Kaustinen, entworfen vom Architekturbüro Mikko Kaira, Ilmari Lahdelma und Rainer Mahlamäki. Gleichwohl zieht die Grossstadt auch in Finnland die Menschen in ihren Bann, so dass heute in der 3000 Quadratkilometer grossen Agglomeration Helsinki, zu der auch Vantaa, Espoo und Kauniainen gehören, rund 1,2 Millionen Menschen oder knapp ein Viertel der Bevölkerung des Landes leben. Der Migrationsdruck auf Helsinki ist enorm. In den vergangenen zehn Jahren ist die Bevölkerung der Kernstadt um gut 50 000 auf 546 300 Personen gewachsen, und rund 56 000 Studenten, die an acht Universitäten und an mehreren Fachhochschulen studieren, bestimmen den Puls der Stadt. Dabei stand die erste Hälfte der neunziger Jahre im Zeichen einer schlimmen Rezession mit einer Arbeitslosenquote von zeitweise mehr als 20 Prozent.

Der Zusammenbruch des Handels mit der ehemaligen Sowjetunion führte zu einer Umschichtung in der Arbeitswelt, die sich auch im Stadtbild bemerkbar macht. Die Bautätigkeit der öffentlichen Hand kam zum Erliegen. Viele der Hafenanlagen, Kohleberge, Fabriken und grossen Werften, die einst Helsinkis Ufer prägten, sind bereits verschwunden oder werden in den nächsten Jahren noch verschwinden. Dafür bestimmen die Büropaläste von Technologiefirmen wie Nokia immer stärker das Stadtbild. In Vuosaari, 14 Kilometer östlich des Stadtzentrums von Helsinki, entsteht der grösste und modernste Cargohafen des Landes mit rund 13 Millionen Tonnen Umschlagskapazität pro Jahr. Dorthin werden die Hafenaktivitäten bis ins Jahr 2005 verlagert. Gut 85 Prozent des Güterhandels mit dem Ausland erfolgen per Schiff. Und die Zahl der Passagiere im Hafen von Helsinki ist mit rund 9 Millionen etwa gleich gross wie diejenige des in den vergangenen Jahren von Pekka Salminen vollständig umgebauten internationalen Flughafens Helsinki-Vantaa.


Ehemalige Hafenareale

Durch die Verlagerung der Hafenanlagen bleiben in der Stadt riesige Brachen an bester Lage zurück. Diese werden sukzessive in Wohnquartiere umgebaut. Der Ausbau der Halbinsel Ruoholahti, rund zwei Kilometer westlich des Hauptbahnhofes gelegen, ist von den neueren, zentrumsnahen Gebieten am weitesten gediehen. In mehr als zehn Jahren entstanden hier rund um die alte Kabelfabrik auf 58 Hektaren Wohnraum und Arbeitsplätze für 8000 Menschen. Einige der besten Architekturbüros des Landes haben hier mehr oder weniger gelungene Bauten realisiert. Nun soll auch das letzte Kohlenlager auf Ruoholahti weichen - und zwar einer vom französischen Architekten Dominique Perrault konzipierten Bebauung. Obwohl Perrault drei Vorschläge einreichte, die alle aus einem scheibenartigen Gebäude, einem langen Riegel und einem an die alten Kohlenberge erinnernden, «Hügel» genannten Gebäude bestehen, fand keiner die Gnade der lokalen Kritiker. Zurzeit wird in Helsinki intensiv über die Stadt und das Stadtbild debattiert.


Mitsprache der Bevölkerung

Vor einem Jahr führte deshalb das finnische Architekturmuseum eine von einem Katalog begleitete Ausstellung mit Diskussionsforen unter dem Titel «Talking about the city» durch. Für einmal hat die Öffentlichkeit tatsächlich alle Trümpfe in den Händen: 66 Prozent des Landes gehören der Stadt, 13 Prozent dem finnischen Staat, und bloss 21 Prozent sind in privater Hand. Dem Stadtplanungsamt kommen so weitreichende Kompetenzen zu, kann es doch sowohl in der Erschliessungs- und in der Planungs- wie auch in der Bauphase steuernd eingreifen und etwa bei der sozialen Durchmischung der Bewohner oder bei der Preispolitik (sowohl bei Alt- wie auch bei Neubauten) entscheidend mitreden. Dem Stadtplanungsamt zur Seite steht das «Helsinki City Real Estate Department», das sich um die Finanzierung, die Vermietung, den Verkauf und den Unterhalt der städtischen Liegenschaften kümmert. Es ist auch dafür verantwortlich, dass in jüngster Zeit zahlreiche Gebäude der Moderne renoviert wurden, darunter der direkt beim Busbahnhof Kamppi gelegene Lasipalatsi (der 1935 von den Studenten Niilo Kokko, Viljo Revell und Heimo Riihimäki geplante «Glaspalast»), Helge Lundströms Tennispalatsi von 1938 und - als Repräsentantin der frühen Nachkriegsarchitektur - die Schule für Ökonomie und Verwaltung Helsinki, erbaut von Hugo Harmia und Woldemar Baeckman.

Die Debatte um das Stadtbild betrifft aber nicht nur das Gebiet von Ruoholahti, es geht auch um den zwischen Ruoholahti und dem Hauptbahnhof gelegenen Busbahnhof Kamppi. Dieser Platz von etwa 300 auf 120 Meter, auf dem sich jeden Freitag- und Samstagabend so etwas wie die Seele der Finnen manifestiert, soll überbaut und der Busbahnhof in den Untergrund verlegt werden. Ein erster städtebaulicher Wettbewerb wurde im Dezember 2000 entschieden. Der siegreiche Vorschlag einer Gruppe um Pekka Helin, Marja-Riitta Norri, Mikko Heikkinen, Markku Komonen und Kirsi Leiman hat in der öffentlichen Diskussion hohe Wellen geschlagen.

Eine Grundsatzdebatte betrifft auch das Areal des ehemaligen Güterbahnhofs, wo sich Widerstand breit macht gegen den Abbruch der letzten Schuppen und gegen die Überbauung mit Geschäftshäusern und einem neuen Haus für Musik. Für diese Schlüsselstelle des Stadtbildes unmittelbar neben dem Hauptbahnhof, am südlichen Ende des Töölönlahti, einer seeartigen Meeresbucht, haben Generationen von Architekten, darunter Eliel Saarinen und Alvar Aalto, Vorschläge geliefert. Bis heute konnten hier aber als Resultat des schwierigen Planungsprozesses erst drei Gebäude errichtet werden: das Kultur- und Kongresszentrum Finlandia von Alvar Aalto (1975), das Museum für zeitgenössische Kunst Kiasma von Steven Holl (1998) sowie - in Sichtweite zum Parlamentsgebäude - der neue Sitz von Finnlands grösstem Medienkonzern, das Sanoma-Haus (Architekten Antti-Matti Siikala und Jan Söderlund). Doch der politische Entscheid scheint gefallen. Auf der Basis des siegreich aus einem internationalen Wettbewerb hervorgegangenen Landschaftsprojektes von Hannu Tikka und Kimmo Lintula entsteht hier entlang der Bahnlinie eine Überbauung mit Geschäftshäusern an bester Lage. Mittelfristig soll also das südliche Ende des Helsinki Central Park, eines grünen Korridors, der vom Töölönlahti rund 11 Kilometer Richtung Norden reicht und dessen Verwirklichung auf den Masterplan von Bertel Jung aus dem Jahre 1911 zurückgeht, ein Gesicht erhalten.

In westlicher Richtung scheint die urbane Entwicklung von Helsinki, von Einzelbauten einmal abgesehen, zum Abschluss gekommen zu sein. Eine Ausnahme bildet die Umwandlung der wie Ruoholahti ebenfalls zum Westhafen zählenden Halbinsel Jätkäsaari und des Munkkisaarenranta zu Wohngebieten für rund 13 000 Bewohner. Allerdings beginnen die Bauarbeiten dazu nicht vor der im Jahre 2005 abgeschlossenen Verlegung des Hafens nach Vuosaari. Für weitere Entwicklungen westwärts bleibt ansonsten kaum Raum, liegt doch die Grenze zu Espoo nur wenige Kilometer entfernt. Ganz anders sieht es in nördlicher und östlicher Richtung aus. Das Gebiet des alten Fischereihafens Kalasatama grenzt unmittelbar nordöstlich an das alte Stadtzentrum Helsinkis, von diesem nur durch eine der vielen Meeresbuchten getrennt. Durch die Verlegung des Hafens wird auch hier Platz frei. Vorgesehen sind stark verdichtete Wohnanlagen für 15 000 Menschen und gegen 10 000 Arbeitsplätze.

Etwa zwei Kilometer nördlich des Kalasatama befindet sich der Arabiaranta (der «Arabische Strand»), welcher von den aus der Jahrhundertwende stammenden Fabrikanlagen des bekannten Tonwarenherstellers Arabia dominiert wird. Die Fabrikanlagen beherbergen nach dem Auszug von Arabia und nach dem Umbau durch Kai Wartiainen das Institut für Kunst und Medien des Polytechnikums, die Schule für Pop und Jazz sowie die Universität für Kunst und Design. Letztere wurde kürzlich um einen interessanten Annexbau der Architekten Mikko Heikkinen und Markku Komonen erweitert, der unter anderem das modernste Aufnahmestudio Finnlands besitzt. Über Jahrzehnte diente der Strand vor dem Fabrikareal als Mülldeponie, nun wird die oberste Schicht abgetragen und durch Humus ersetzt. Mit dem Bau eines langgestreckten Wohnquartiers für etwa 7000 Bewohner, vom Strand durch einen 50 Hektaren grossen Park getrennt, wurde bereits begonnen. Die ersten Bewohner sind im Herbst eingezogen.


Städtische Planungsstrategien

Der innere Bereich der Stadt wird auch heute noch von zahlreichen Wäldern und einigen offenen Ackerflächen umschlossen. Diese Freiräume werden seit 30 Jahren mit zunehmenden Tempo für den Bau von Satellitenstädten genutzt. Hier stellt sich die Frage nach dem Bild und der Struktur eines neuen Stadtteils. Dazu meint Pekka Pakkala vom Stadtplanungsamt Helsinki: «Wir versuchen stets, allzu starre Planungsschemen im grossen Stil zu vermeiden und ein Gleichgewicht zu finden zwischen vereinheitlichenden Vorgaben wie Baulinien und Materialien einerseits und Abwechslung in Form von kreativen Freiräumen für Bauherren und Architekten anderseits. Dabei sind bereits vorhandene Strukturen und die hügelige Topographie von Helsinki ein sehr hilfreiches Mittel. Für die Planung einzelner Gebäude steht dann aber der Architekturwettbewerb im Vordergrund. Selbstredend ist die Planung eines Stadtteiles nie wirklich abgeschlossen. Häufig reagieren wir auch auf Einzelobjekte noch mit leichten Änderungen am Bebauungsplan.» Was damit gemeint ist, lässt sich am Beispiel der beiden neuen Stadtteile Vikki und Vuosaari nachvollziehen.

Vikki ist ein grünes Naherholungsgebiet, rund acht Kilometer nordöstlich des Stadtzentrums direkt an der Ausfallstrasse Richtung Lahti gelegen. Erste Planungen wurden hier von Architekten durchgeführt, danach übernahm das Stadtplanungsamt unter der Leitung von Riitta Jalkanen das Projekt. 290 der 1100 Hektaren von Vikki sind für Bauten und Strassen reserviert, die restliche Fläche bleibt Wald, Feld, Park oder Naturschutzzone. Dereinst sollen hier 13 000 Einwohner leben, zudem werden 6000 Arbeitsplätze und 6000 Studienplätze angestrebt. Der Wissenschaftspark wird von den Instituten der Universität Helsinki dominiert, die hier seit 1995 bereits zahlreiche Neubauten für Forschung in den Bereichen Biowissenschaften, Biotechnologie, Nahrungsmittel, Agrikultur und Waldwirtschaft errichtet hat. Dazu gehört auch das 1999 eröffnete Informationszentrum mit Bibliothek und Auditorium direkt am Eingang des Universitätsgeländes.

Dieses zylinderförmige Gebäude, aus dem ein Viertelkreis als Vorplatz zum Eingang ausgespart blieb, wurde von Hannu Huttunen, Markku Erholtz und Pentti Kareoja entworfen. Das Haus ist von einer Glashaut umgeben, die ein orthogonales Raumsystem mit kreuzförmig, zentral angeordneten Erschliessungsachsen zu einem Zylinder schliesst. Der Raum zwischen der äusseren und der inneren Hülle wird als Wintergarten genutzt. Dieses Raumkonzept mit einer eigentlichen Wintergartenhülle versteht sich als ein experimenteller Beitrag zum nachhaltigen Bauen. Kein Zufall, denn Vikki soll laut stadtplanerischer Vorgabe zum führenden Labor für ökologische Architektur in Finnland werden. Auf diesem Gebiet besteht im finnischen Bauwesen ein Aufholbedarf.

In welchem Tempo Helsinki wächst, lässt sich am besten in Vuosaari verdeutlichen. Im Jahr 2005 soll hier der neue «Port of Helsinki» seinen Betrieb aufnehmen, bestens erschlossen mit Bahn und Ringautobahn, so dass von hier Güter ohne Umladen bis nach Wladiwostok transportiert werden können. Während der neunziger Jahre stieg die Zahl der Bewohner Vuosaaris von 13 000 auf 25 000, und im Jahr 2010 dürften es 37 000 Menschen sein. Das Herz dieser Stadt in der Stadt bildet die Metrostation, an die sich ein Einkaufsbezirk anschliesst. Schulen und öffentliche Gebäude gehören ebenso dazu wie verschiedene Quartiere mit mehrgeschossigen Wohnbauten, aber auch eigentliche Einfamilienhauszonen. Seit König Gustav I. Wasa 1550 sein Dekret erliess, welches die Bürger von Porvoo, Tammisaari, Rauma und Uvila zwang, sich an der Mündung des Vantaanjoki niederzulassen, ist viel Zeit vergangen. Geblieben sind eine vielgestaltige Uferlandschaft und eine Agglomeration, die vielleicht noch nie dem Puls der Zeit näher war als heute.


[ Die finnische Architekturpolitik - das Architekturprogramm der finnischen Regierung. ISBN 951-9307-03-6. Auf Deutsch erhältlich bei der Finnischen Zentralkommission für Kunst, Maneesinkatu 7, 00170 Helsinki (tkt-Kirjasto@minedu.fi). - Talking about the city. Hrsg. Architekturmuseum, Helsinki 2000. ISBN 952-5195-13-9. 176 S., FMk. 220.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.01.04

04. Dezember 2001Christoph Affentranger
Neue Zürcher Zeitung

Der Architekt als Uomo universale

Eine Monographie zu Arne Jacobsen

Eine Monographie zu Arne Jacobsen

Wie nur wenige Architekten besass Arne Jacobsen (1902-1971) ein aussergewöhnliches zeichnerisches Talent. Vielleicht spielte deshalb in all seinen Entwürfen die geschwungene Linie eine derart wichtige Rolle. Ursprünglich wollte denn auch der junge Jacobsen, der in einer bürgerlichen Kopenhagener Familie aufgewachsen war, Maler werden. Doch es kam anders, und aus Jacobsen wurde einer der grossen Architekten und Designer des 20. Jahrhunderts. Seine Entwürfe waren nach der Jahrhundertmitte derart stilprägend, dass Stanley Kubrick im Film «2001: A Space Odyssey» die 1957 von Jacobsen entworfene Besteckserie «AJ» verwendete, eine Kreation der ungewohnten Art.

Steht dieses Besteck für Jacobsens zukunftsorientiertes Arbeiten, so ist sein Stuhl «3100», die sogenannte Ameise aus dem Jahr 1952, bis auf den heutigen Tag gleichsam der Prototyp eines einfachen und alltagstauglichen Sitzmöbels aus weich geformtem Sperrholz. Die «Serie 7», von Jacobsen als Antwort auf die Kritiken am Modell «3100» entworfen, wurde zum Inbegriff des stapelbaren Stuhls; man begegnet ihm europaweit in vielen Wohnungen, Schulen und Geschäftshäusern. Zu den Möbelklassikern des 20. Jahrhunderts zählen auch Jacobsens Sessel «3316» (das «Ei») und der Bürostuhl FH «3320» (der «Schwan») sowie die Oxford-Serie. Einige seiner Arbeiten wurden derart populär, dass sie heute vielfach ganz allgemein als dänisches Design wahrgenommen werden und nicht als Werke Jacobsens. Dazu zählen die 1967 für Stelton entworfenen Töpfe, Platten und Kannen der «Cylinda»-Linie ebenso wie die seit 1969 produzierte Sanitärlinie «Vola», die heute noch von jedem guten Fachgeschäft angeboten wird.

Arne Jacobsen war aber auch ein begnadeter Architekt. Als solcher hat er massgeblich das Bild der dänischen Baukunst im 20. Jahrhundert mitgeprägt. Zu seinen bekanntesten Arbeiten zählen die Siedlung Bellavista und das Theater Bellevue in Klampenborg (1931-37), das Stelling-Haus im Zentrum von Kopenhagen (1934-37), die Rathäuser in Århus (1937-42), Søllerød (1939-42) und Rødovre (1952-56), das SAS-Haus in Kopenhagen (1955-60), das St. Catherine's College in Oxford (1959-64) und die Dänische Nationalbank, die er zwischen 1961 und 1978 zusammen mit Dissing & Weitling in Kopenhagen realisierte.

Rechtzeitig zum bevorstehenden 100. Geburtstag des Architekten am kommenden 11. Februar liegt nun die englischsprachige Ausgabe der umfassendsten Monographie vor, die bisher zu Jacobsens Leben und Werk geschrieben wurde. Zehn Jahre haben Carsten Thau und Kjeld Vindum an diesem 560 Seiten starken Band gearbeitet. Entstanden ist eine Arbeit, die den Leser von den frühen Lausbubenstreichen des jungen Arne bis zum Spätwerk des grossen Baukünstlers führt. Thau und Vindum haben ein Kompendium geschaffen, das zukünftigen Arbeiten über Jacobsen als Massstab dienen wird, und zugleich auch gezeigt, wie sich Jacobsens weitläufiges Werk kompetent, übersichtlich und spannend zugleich zwischen zwei Buchdeckeln zusammenfassen lässt. Im ersten Teil werden Leben und Werk von Jacobsen in einen grösseren Rahmen eingebettet sowie die formalen und stilistischen Einflüsse vom dänischen Neoklassizismus bis hin zur Monumentalität der Moderne verfolgt. Der zweite Teil ist der Analyse ausgesuchter Werke gewidmet. In beiden Teilen ist den Autoren der schwierige Spagat zwischen Aufzählen, Beschreiben, Analysieren, Einordnen und Kommentieren auf beispielhafte Weise gelungen. Die Monographie wird abgerundet durch eine komplette Werkliste, einen kurzen Lebenslauf, ein Ausstellungsverzeichnis, eine Bibliographie und ein Register. Kurz: Diese Publikation dürfte wohl (ganz ähnlich wie die Arbeiten von Jacobsen) auch übermorgen noch aktuell sein.


[Carsten Thau & Kjeld Vindum: Arne Jacobsen. Englisch. Danish Architectural Press, Kopenhagen 2001. 560 S., 1200 Abb., Fr. 140.-. Eine deutsche Ausgabe ist geplant.]

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2001.12.04

06. Juli 2001Christoph Affentranger
Neue Zürcher Zeitung

Erneuerung des Westhafens

Wohnausstellung in Malmö

Wohnausstellung in Malmö

Bauausstellungen haben in Schweden Tradition. Legendär ist die Ausstellung von 1930 in Stockholm, die massgeblich zum Durchbruch der Moderne in Skandinavien beitrug. Seit 1985 gibt es in Schweden alle zwei Jahre eine «Bomässa», bei der sich alles um das Wohnen dreht. Um die meist mit einem städtischen Entwicklungsschwerpunkt verbundene Durchführung der Veranstaltung bewerben sich jeweils verschiedene Städte. Für die diesjährige Wohnausstellung «Bo 01», die laut Veranstalter erstmals auch international ausstrahlen soll, erhielt Malmö den Zuschlag. Ort ist eine 180 000 Quadratmeter grosse Brache im Westhafen der Stadt, unmittelbar neben der Messehalle. Wie immer bei der «Bomässa» stehen die gebauten Objekte im Vordergrund: diesmal Ein- und Mehrfamilienhäuser mit insgesamt rund 500 Wohnungen. In beinahe allen Häusern gibt es Musterwohnungen zu besichtigen, 41 insgesamt. Diese sind eingerichtet und setzen damitTrends. Die Wohnungen in diesem neuen Stadtteil sind zu einem grossen Teil bereits verkauft. Kein Wunder, versüssen doch ein eigener Jachthafen sowie mehrere Plätze und Parkanlagen das Leben am windigen Øresund. - Die meist als Investoren auftretenden Baukonzerne haben namhafte Architekten mit Entwürfen beauftragt, darunter Ralph Erskine und Gert Windgårdh aus Schweden, den Finnen Kai Wartiainen sowie Mario Campi und Santiago Calatrava aus der Schweiz. Das Gebaute wird ergänzt durch mehrere Ausstellungen, etwa «Visions - The City of Tomorrow» und «Secret Gardens». Die Beiträge, sowohl die gebauten als auch die ausgestellten, dürften in der Fachwelt keine allzu grossen Wellen schlagen. Die Themen, die sich vorwiegend um nachhaltiges Bauen drehen, wurden bereits vielfach behandelt, allerdings noch selten im Rahmen eines eigens dafür geschaffenen Stadtteiles. Die «Bo 01» verspricht Nordeuropas grösstes Ausstellungsereignis des Jahres 2001 zu werden. Sicher aber ist sie die attraktivste Bau- und Wohnmesse dieses Jahres.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2001.07.06

07. April 2000Christoph Affentranger
Neue Zürcher Zeitung

Eine Stadtlandschaft im Umbruch

Mit zahlreichen Aktivitäten begeht Oslo seinen 1000. Geburtstag. Unter die Freudenklänge mischen sich aber auch Misstöne. Die politischen Entscheide rund um den zurzeit laufenden Wettbewerb für ein neues, über 180 Millionen Franken teures Opernhaus, das 2008 bezogen werden soll, lösten eine heftige Debatte aus über Standort und Vorgehensweise.

Mit zahlreichen Aktivitäten begeht Oslo seinen 1000. Geburtstag. Unter die Freudenklänge mischen sich aber auch Misstöne. Die politischen Entscheide rund um den zurzeit laufenden Wettbewerb für ein neues, über 180 Millionen Franken teures Opernhaus, das 2008 bezogen werden soll, lösten eine heftige Debatte aus über Standort und Vorgehensweise.

Der Ursprung von Oslo, der Stadt am Fluss Akerselv, liegt ebenso im dunkeln wie die Herkunft ihres Namens. Archäologische Funde haben Reste einzelner Höfe rund um den Fjord zutage gefördert, deren Entstehungszeit zum Teil noch vor dem Jahr 850 liegt. Die Gründung von Oslo wurde um 1230 vom isländischen Sagenschreiber Snorre Sturlasson dem norwegischen König Harald Hardråde zugeschrieben, der zwischen 1047 und 1066 regierte. Damals war die Bucht Bjørvika, in die der Akerselv immer noch fliesst, wenn auch durch unterirdische Tunnels, erheblich grösser und umfasste ziemlich genau das ganze Areal des heutigen Hauptbahnhofes. Am südöstlichen Ufer dieser Bucht lagen die ersten Häuser, die Mitte des 12. Jahrhunderts um mehrere steinerne Kirchen ergänzt wurden. Die kleine Stadt war aber zu keinem Zeitpunkt von einer Stadtmauer umgeben. Auf der anderen Seite der Bucht stand schon seit dem 14. Jahrhundert eine Burg, die über die Jahrhunderte zur Akershus-Festung ausgebaut wurde. 1624 brannte das alte Oslo praktisch vollständig ab. König Christian IV. nutzte die Chance und liess die Stadt auf der Seite von Akershus auf einem Schachbrettraster neu errichten. Bis 1925 hiess die neue Stadt Christiania. Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden entlang des Akerselv die ersten Fabriken; zwei Bahnhöfe im Osten und Westen von Christiania wurden gebaut. Zwischen 1875 und 1900 gingen die ersten Tramlinien in Betrieb.


Folgenreiche Boomphasen

Im 20. Jahrhundert wuchs die Stadt sukzessiv in die umliegende Waldlandschaft hinein und die Hänge hinauf. Weite Teile des Zentrums sind geprägt von Bebauungen der Jahrhundertwende. Für ihren Erhalt bis auf den heutigen Tag musste zeitweise gekämpft werden. Der Stadtteil Grünerløkka zum Beispiel war in den siebziger und achtziger Jahren von zahlreichen Eingriffen und Abrissen bedroht. Ein Sanierungsprogramm vermochte dann glücklicherweise eine Trendwende einzuleiten. Die grosszügigen Grünanlagen und die Bebauungsstrukturen blieben erhalten und ziehen im Sommer zahlreiche Parkbesucher an.

Einige bemerkenswerte Bauten verdankt die Stadt der Moderne, zum Beispiel das Kunsternes Hus von Blakstad und Munthe-Kaas (1930; das Haus wird dieses Jahr komplett saniert), das Ekebjerg-Restaurant von Lars Backer (1929), das Oslo Arbeidersamfund von Ove Bang (1934-41) und zahlreiche Villen des CIAM-Mitgliedes Arne Korsmo. Ob die grösseren Bauprojekte der vergangenen 20 Jahre, darunter das neu bebaute Werftareal Akerbrygge, als gelungen bezeichnet werden dürfen, ist schwer zu beurteilen. In der Gunst der Besucher stehen die Malls und Shopping center aber mit Sicherheit. Die Begeisterung für alles Amerikanische, nicht zuletzt Zeichen eines neuen Wohlstandes, prägt schliesslich auch die Stadtstruktur. Aus den Hinterhöfen der Blocks werden gedeckte Hallen und Fussgängerzonen, die Strassen hingegen verwandeln sich, in Umkehrung bisheriger Verkehrsflüsse, zu Zubringern. Positiv ins Gewicht fällt dafür, dass die Kneipen-, Café- und Galerienszene in ständigem Wachstum begriffen ist, qualitativ wie quantitativ.

Bis heute weitgehend ungelöst sind allerdings einige städtebauliche Schnittpunkte und Beziehungen, deren Wurzeln weit in die Vergangenheit zurückreichen. König Christian IV. hatte seine neue Stadt aus strategischen Gründen auf der dem Meer abgewandten Seite der Festung Akershus errichten lassen. Von dort entwickelte sich die Stadt landeinwärts - vom Wasser durch Hafenareale, militärische Sperrgebiete und nicht zuletzt durch Bahn und Strasse getrennt. In einem ersten Schritt wurden deshalb in den siebziger Jahren zwei Tunnels für die Bahn und den Autoverkehr gebaut, die das alte Christiania parallel zur Küste unterqueren. Beide Tunnels tauchen im Bereich der Mündung des Akerselv, dessen Delta die Bucht am Akerselv teilweise zugeschüttet hat, wieder auf. Hier, zwischen dem Ostbahnhof und dem bloss 200 Meter entfernten Meer, mit Blick auf die praktisch unbebauten Hänge auf der Ostseite des Fjords, entstand ein Verkehrsknoten mit zahlreichen Kunstbauten. Wer in dieser Bucht mit dem Schiff ankommt, der benötigt als Ortsunkundiger Bus oder Taxi, um diese 200 Meter sicher zu überwinden und den Anschluss an Bahn, Bus oder T-Bahn (die Metro von Oslo) zu finden.


Ein Opernhaus für Norwegen

Genau hier, im Niemandsland zwischen Wasser, Containern und Schnellstrasse, soll das erste Opernhaus des Landes zu stehen kommen. Dabei haben es die Veranstalter, die Stadt und der Staat, geschafft, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Trotz heftigem Protest aus Fachkreisen wurde der Opernhaus-Wettbewerb in Angriff genommen, bevor überhaupt ein Konzept zur Entwicklung dieses äusserst schwierigen Gebietes vorlag, das unter anderem auch Reste des mittelalterlichen Oslo umfasst. Mitte März wurden Studienaufträge an vier vorselektionierte Teams (darunter eines mit Richard Rogers) erteilt, Resultate sind Anfang September zu erwarten. Parallel dazu wird der Opernhaus-Wettbewerb juriert, wobei sämtliche Vorschläge direkt nach der Abgabe für vier Tage öffentlich ausgestellt werden - was ein Unikum für einen einstufigen anonymen Projektwettbewerb darstellen dürfte. Die Unterlagen zum Opernhaus-Wettbewerb allerdings zeigen, dass einige Überlegungen der Stadt bezüglich des gesamten Areals trotz fehlendem Konzept überraschend präzise sind. So präzise, dass der landesweit grösste Investor unmittelbar nach dem Entscheid über den Standort des neuen Opernhauses im vergangenen Herbst direkt neben der jüngst vollendeten Vorfahrt zum Ostbahnhof mit dem Bau des Hotels Opera beginnen konnte.

Eine heftige Debatte entbrannte aber auch um den Standortentscheid. Unter anderem hat die Behörde den Zuschlag für Bjørvika damit begründet, hier mit dem Bau des Opernhauses einen Impuls für die Entwicklung des gesamten Gebietes setzen zu wollen. Am zweiten möglichen Standort, einer Bucht weiter Richtung Westen, hätte der unter Denkmalschutz stehende alte Westbahnhof geopfert werden müssen. Dieser allerdings, in den siebziger Jahren durch den kürzlich erweiterten unterirdischen Bahnhof «Nationaltheater» ersetzt und damals seines eigentlichen Inhalts beraubt, wirkt zwischen den gewaltigen Bauvolumen von Akerbrygge, dem Rathaus und weiteren Bauten der Umgebung wie eine Karikatur aus einer anderen Zeit, nicht die einzige übrigens in dieser Stadt. Der Schutz hätte früher einsetzen und auch die Entwicklung des Inhaltes und der Umgebung mit einbeziehen müssen, um die gegenwärtige Argumentation gegen einen zweiten Standort glaubhaft zu machen. Für diesen hätte die gut erschlossene, zentrale Lage in Sichtweite des Meeres und ohne trennende Verkehrsadern gesprochen. Doch der aus Investoren, Grundstückbesitzern und Politikern bestehende Filz war offensichtlich zu dicht, um die urbanistisch beste Lösung durchzusetzen. Es wäre allerdings nicht der erste entschiedene Wettbewerb jüngeren Datums in Oslo, dessen Realisierung nie stattgefunden hat.


Bahnhöfe im Wandel

Wurde der Westbahnhof über die Jahre zu einem Artefakt in einer völlig veränderten Umgebung, so ist die Entwicklung rund um den Ostbahnhof nicht minder problematisch. Er wurde einst als Kopfbahnhof gebaut. Dabei wurde das erste, 1854 von Heinrich Schirmer und Wilhelm von Hanno realisierte Stationsgebäude 1882 von Georg Bull geschickt zum Nordflügel eines U-förmigen neuen Stationsgebäudes uminterpretiert. Der Hauptzugang schliesslich wurde insgesamt viermal komplett gewechselt. In den achtziger Jahren wurden zwei Geleise unterirdisch in Ost- West-Richtung angelegt. Auf dem Deckel über der Rampe, auf der die Geleise in die Tiefe führen, entstand auf der Nordseite des Altbaus von 1882 ein neuer Bahnhof von Engh und Seip, den man ein Geschoss über dem Stadtniveau betritt. Der Wettbewerb dazu war bereits 1946 (!) vom damaligen Büro Engh und Qvam gewonnen worden.

Der alte Bahnhof, immerhin das eine Ende der vom Königsschloss ausgehenden städtebaulichen Achse, wurde entleert und mit Kleingeschäften vollgestopft. Im vergangenen Sommer eröffnete ein Anbau in der Verlängerung des alten Stationsgebäudes seine Tore. Dieser Anbau wurde primär für die neue Schnellbahn zum neuen Flughafen gebaut. Dafür wurden sämtliche Zufahrten von der Nordwestecke des Bahnhofes auf die Südseite verlagert. Nun liegt der Haupteingang zum Bahnhof meerwärts und - zumindest bis zur Fertigstellung des Hotels Opera - in Sichtweite des noch zu bauenden Opernhauses. Die Bahnhofshalle von 1987 erhält demnächst einen neuen Gebäuderiegel vorgesetzt und wird, wie der ebenfalls neu gebaute Nordzugang, zu einer Shopping mall umgebaut. Als eigentlicher Bahnhof bleiben der neue Anbau und die Verteilzone quer über den Geleisen übrig. Der Bahnhof als Tor zur Hauptstadt präsentiert sich als eine Restfläche zwischen Kleiderboutiquen, Imbissbuden und Elektronikgeschäften. Die Frage des speziellen Charakters eines Bahnhofes ist in der Privatisierungseuphorie der Norwegischen Staatsbahnen zu einer Marginalie verkommen. Diese Haltung bedroht inzwischen auch andere Bahnhöfe, darunter den bemerkenswert schönen in Bergen.

In diesem Umfeld mutet es beinahe zynisch an, dass der Norwegische Architektenverbund (NAL) im kommenden Herbst im Rahmen von Oslos 1000-Jahr-Feier eine Architekturtriennale organisiert. Fünf Teams sind eingeladen, Visionen zur Verdichtung von Oslo zu entwickeln und dabei Platz für 100 000 dringend benötigte neue Wohnungen auszuweisen. Solche Projekte, auch wenn sie im öffentlichen Raum ausgestellt werden, können über die zurzeit herrschenden Planungsdefizite in der Hauptstadt und das mangelnde Engagement des NAL (nicht aber seiner Mitglieder) nicht hinwegtäuschen. So präsentiert sich Oslo zu seinem 1000. Geburtstag in einem frisch aufgemachten Kleid mit einigen Perlen aus der Vergangenheit und viel Klunker aus der Gegenwart.


[ Rechtzeitig zum Jubiläum ist ein neuer Architekturführer zu Oslo erschienen - allerdings bisher nur auf norwegisch. Doch lassen sich auch ohne Kenntnisse der Sprache die wichtigsten Fakten eruieren: Ole Daniel Bruun: Arkitektur i Oslo. En veiviser til byens Bygningsmiljø. Kunnskapsforlaget, Oslo 1999 (ISBN 82-573-0948-6). nKr. 348.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2000.04.07

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Presseschau 12

21. März 2009Christoph Affentranger
zuschnitt

Normalfall Holz

Ein Wortspiel am Anfang: „Holzhausen“, der Projektname für das erste sechsgeschossige Haus in Holz in der Schweiz, steht in Steinhausen (Kanton Zug). Steinhausen...

Ein Wortspiel am Anfang: „Holzhausen“, der Projektname für das erste sechsgeschossige Haus in Holz in der Schweiz, steht in Steinhausen (Kanton Zug). Steinhausen...

Ein Wortspiel am Anfang: „Holzhausen“, der Projektname für das erste sechsgeschossige Haus in Holz in der Schweiz, steht in Steinhausen (Kanton Zug). Steinhausen ist eine Ortschaft, die in den letzten gut 50 Jahren aus dem Nukleus eines kleinen Dorfes zu einer typisch schweizerischen Agglomerationsgemeinde mit rund 9000 Einwohnern herangewachsen ist. Die Kantonshauptstadt ist in zehn Minuten zu erreichen, Zürich in 40 Bahnminuten. Und trotzdem, typisch Schweiz, hat Steinhausen alles, was eine Kleinstadt benötigt: Kirchen, Schulhäuser, einen gut frequentierten Bahnhof, ein grosses Einkaufszentrum, Ärzte und sogar den Hauptsitz einer Firma von Weltformat. Und eben: das erste sechsgeschossige Holzgebäude in der jüngeren Schweizer Baugeschichte. Die Bauherrschaft entschloss sich aufgrund eigener guter Erfahrungen und aus ökologischer Überzeugung zu einem Holzbau. Der Neubau steht direkt an der Hauptstrasse in einem Umfeld von Bauten aus den 1950er bis 70er Jahren. Das Untergeschoss sowie das Treppenhaus wurden in massiver Stahlbetonweise und die fünf Vollgeschosse sowie das Attikageschoss in Holzbauweise ausgeführt, eingekleidet in kanadische rote Zeder. Das Haus umfasst zwei Gewerbe- und neun Wohneinheiten im Eigentumsstandard. Die Holzbauteile wurden vorgefertigt und innert acht Wochen auf der Baustelle zum Rohbau zusammengefügt. Die süd- und westorientierten, eingezogenen Balkontürme und die konstruktiv bedingt orthogonal angeordneten Fenster prägen das Haus von aussen. Grosse, hohe und helle Räume und gekonnt gesetzte Öffnungen zeichnen das Innere aus.

In der Schweiz sind es die Feuer- und Gebäudeversicherungen, die in Fragen des Brandschutzes das Sagen haben. Da die entsprechenden Gesetze auf Kantonsstufe verankert sind, gibt es beinahe so viele Umsetzungen wie Kantone. In einigen, zum Beispiel im Kanton Zug, versichern ausschliesslich die kantonalen Gebäudeversicherungen Häuser. In anderen gibt es den Wettbewerb privater Versicherer. Im Kanton Zug muss jedes Baugesuch bei der halbstaatlich organisierten Gebäudeversicherung GVZ zur Prüfung eingereicht werden. Die Gebäudeversicherung legt in eigener Verantwortung als Versicherer die Auflagen fest. Andere Kantone haben ähnliche, aber häufig anders bezeichnete Stellen. Die Vorgaben werden im Sinne einer Harmonisierung auf freiwilliger Basis durch die Kantone seit Jahren schon von der Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen VKF in verschiedenen Schriften landesweit koordiniert. Im Jahr 2001 lancierten die Dachorganisation der Schweizer Wald- und Holzwirtschaft „Lignum“ und das Förderprogramm „holz21“ des bafu (Bundesamt für Umwelt) das Programm „Bauen in Holz – Qualitätssicherung und Brandschutz“ und ebneten dem Holzbau den Weg in die Mehrgeschossigkeit. Die damit neu erarbeiteten technischen und methodischen Grundlagen für Bauteile ermöglichten die Einführung der neuen Brandschutznormen der VKF, welche seit 1. Januar 2005 Holzbauten mit bis zu sechs Geschossen und 60 Minuten Feuerwiderstand zulassen.

Die Lösung der Problematik Schall- und Brandschutz im Projekt Holzhausen kann sehr gut anhand des Detailplans zum Knoten Geschossdecken/ Wohnungstrennwand nachvollzogen werden. Der Schallschutz wird wesentlich durch eine biegeweich ausgeführte, abgehängte Decke mittels Gipskartonplatten und durch die Beschwerung des Bodens mittels Betonplatten erreicht (besserer Schallschutz im tieffrequenten Bereich). Durch getrennt auf separaten Wandscheiben aufliegende Deckenelemente und der GYS-Vorwandinstallation werden Nebenwege in der Schallübertragung verhindert und zugleich ein optimaler Brandschutz erreicht. Die Ausführung des Treppenhauses in einem nichtbrennbaren Material (Beton) ist Teil des Brandschutzkonzepts. Durch den asymmetrischen Grundriss des Mehrfamilienhauses und infolge der in grossen Mengen verwendeten Materialien lasten auf einzelnen Elementen in den unteren Geschossen enorme Kräfte. Dies verlangte eine hohe Disziplin in Bezug auf die vertikale Lastabtragung.

Die betroffenen Wände wurden deshalb aus massiven, mit Stahl verstärkten Mehrschichtplatten (bis 200 mm dick) gefertigt. Die Holzkonstruktion ist zudem über spezielle Stahlteile am Treppenturm befestigt. Diese ermöglichen den verschiedenartigen Baustoffen eine spannungsarme Ausdehnung. Sämtliche Berechnungen sowie die Ausführungen auf dem Bauplatz wurden durch einen neutralen Fachingenieur genauestens geprüft und ohne Vorbehalte abgenommen. Die Anforderungen an den Erdbebenschutz eines Gebäudes in der Schweiz sind in der Norm geregelt. Die Bemessung berücksichtigt die lokalen Anforderungen des Untergrunds und ist materialunabhängig formuliert.

Was unter Lärm zu verstehen ist, muss nicht zuletzt auf sehr subjektiv empfundene Wahrnehmungen zurückgeführt werden. Die Bewohner beurteilen das Resultat der Schallschutzmassnahmen eher kritisch, sowohl innerhalb des Gebäudes als auch gegenüber dem Lärm von der Strasse. Der Unternehmer hingegen verweist auf Messprotokolle, die die erforderlichen, schweiztypisch eher hohen Werte gemäss den Normen nachweisen. Laut dem Amt für Statistik der Schweiz entstanden im Jahr 2007 rund 10.800 Wohnungen (von total ca. 26.700) in Mehrfamilienhäusern, die in Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohnern liegen. Bezogen auf den gesamten Bestand von rund 227.800 Mehrfamilienhäusern in der Schweiz per 2000 zählen nur 38.100 fünf und mehr Geschosse, hingegen rund 165.000 drei oder vier Geschosse. Auch wenn die Vergangenheit nie zwingend den Weg in die Zukunft weist, dürften in der zugegebenermassen kleinstrukturierten Schweiz aber auf absehbare Zeit immer noch hauptsächlich drei- bis viergeschossige Gebäude in Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohnern gebaut werden – also in Gemeinden, die in vielem Steinhausen gleichen und irgendwo in der Nähe der fünf grossen städtischen Zentren Zürich, Bern, Genf, Basel und Lausanne liegen. Neubauten in Holz mit fünf oder mehr Geschossen hätten vor allem „Leuchtturmcharakter“. Die Zukunft des mehrgeschossigen Holzbaus in der Schweiz liegt in der Unscheinbarkeit des Materials. Holz in der Konstruktion, weder von aussen noch, wie mehrheitlich in den Wohnungen von Holzhausen, von innen sichtbar, wird auf absehbare Zeit so normal werden wie der Backstein. Bloss nachhaltiger.

zuschnitt, Sa., 2009.03.21



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zuschnitt 33 Holz stapelt hoch

07. November 2006Christoph Affentranger
Neue Zürcher Zeitung

Tempel der Baukunst

Der in Finnland geborene Eero Saarinen gilt als einer der grossen Baukünstler der Nachkriegszeit. Mit einer ihm gewidmeten Ausstellung in der Kunsthalle Helsinki feiert das Finnische Architekturmuseum, eines der ältesten Zentren für Baukunst überhaupt, sein fünfzigjähriges Bestehen.

Der in Finnland geborene Eero Saarinen gilt als einer der grossen Baukünstler der Nachkriegszeit. Mit einer ihm gewidmeten Ausstellung in der Kunsthalle Helsinki feiert das Finnische Architekturmuseum, eines der ältesten Zentren für Baukunst überhaupt, sein fünfzigjähriges Bestehen.

Der Sinn für Architektur ist in Finnland weit verbreitet. Deshalb erstaunt es nicht, dass mit Eliel Saarinen und Alvar Aalto gleich zwei überragende Meister des 20. Jahrhunderts aus dem nordischen Land stammen. Das Interesse an der Baukunst führte in Helsinki früh schon zur Einrichtung eines Architekturmuseums. Dieses ging 1956 aus dem 1949 gegründeten Fotoarchiv des Vereins Finnischer Architekten hervor. Mit über 450 Ausstellungen im Ausland und noch weit mehr Anlässen im eigenen Land hat das Museum massgeblich zur Verbreitung der finnischen Architektur und zu deren gutem Image weltweit beigetragen. So stellte ein englischer Kritiker Ende 1957 anlässlich der ersten der Architektur Finnlands gewidmeten Ausstellung in Grossbritannien überrascht fest, dass es neben Alvar Aalto auch noch andere hervorragende finnische Architekten gebe. Wenig später war Finnland zu einem Mekka der modernen Architektur geworden, das unter anderem zahlreiche Schweizer anzog.

Finnland und die Welt

Das Architekturmuseum in Helsinki organisiert aber nicht nur Ausstellungen, es archiviert, forscht und publiziert auch, führt Finnlands umfangreichste Architekturbibliothek und wendet sich vermehrt auch mit speziellen Programmen zu Architektur und Umwelt an Kinder. Angesichts seiner überreichen Vergangenheit entschied sich das Museum, die unvermeidliche Aufarbeitung von Fakten und Geschichten in einer Publikation zu leisten und die Jubiläumsausstellung demjenigen finnischen Architekten zu widmen, der - trotz Weltruf - in seiner Heimat nur einmal, als Student, an einem Projekt beteiligt war, das auch realisiert wurde: Eero Saarinen.

Der 1910 in Helsinki geborene Eero Saarinen verbrachte die ersten Lebensjahre meist im Büro seines Vaters Eliel Saarinen (1873-1950). Dieses befand sich in Hvitträsk, einem vom Architektentrio Gsellius/Lindgren/Saarinen 1903 im Stil der finnischen Nationalromantik vollendeten Gebäudekomplex vor den Toren der Stadt. Hierher kehrte Eero zeitlebens immer wieder zurück, nachdem sein Vater, weltweit bekannt geworden mit seinem zweitplacierten Wettbewerbsbeitrag für den Chicago Tribune Tower, 1923 mit der ganzen Familie in die USA emigriert war. Dort wuchs Eero Saarinen in einem kreativen Umfeld auf: Seine Mutter war eine bekannte Textildesignerin und Bildhauerin, seine Schwester eine begabte Innenarchitektin. Nach einem zweijährigen Praktikum, das er in Helsinki absolvierte, stieg Eero 1936 in das Architekturbüro seines Vaters ein und übernahm dieses nach dessen Tod im Jahre 1950. Zu jenem Zeitpunkt galt er bereits als einer der führenden Architekten und Designer der USA. Seine wichtigsten Arbeiten, zu denen das TWA- Terminal in New York (1956-62) und das United States Jefferson National Memorial in St. Louis (1947-65) zählen, wurden zu Ikonen des modernen Amerika der Nachkriegszeit. Als Eero Saarinen 1961 vergleichsweise jung starb, hinterliess er neun seiner wichtigsten Projekte unvollendet. Sie wurden aber alle postum realisiert, derart überzeugt waren die Bauherren von ihnen.

Leben und Werk eines Meisters

Die Ausstellung «Eero Saarinen - Shaping The Future», die aus Platzgründen in der Kunsthalle Helsinki gezeigt wird, entstand in enger Zusammenarbeit zwischen dem Finnischen Architekturmuseum, dem Finnischen Kulturinstitut in New York, dem National Building Museum, Washington D. C., und der Yale School of Architecture, der Alma Mater Saarinens, für die er auch massgeblich geplant und gebaut hat. Dem Besucher wird das Werk des grossen Entwerfers mit zahlreichen Modellen, Fotografien, Filmen und Möbeln zugänglich gemacht sowie mit Plänen, die zu einem grossen Teil erstmals öffentlich zu sehen sind (bis 6. Dezember). Die Ausstellung wird begleitet von einer umfassende Monographie zu Eero Saarinen sowie einem kleinen Katalogheft (8 Euro). Ergänzend zur Schau in der Kunsthalle ist in Hvitträsk noch bis zum 10. Dezember die Ausstellung «Would you draw me a horse - Eero Saarinen's Childhood at Hvitträsk» zu sehen, die alle Facetten von Eeros Jugend in Finnland beleuchtet.

[ Bis 6. Dezember in der Kunsthalle Helsinki; anschliessend tourt die Ausstellung bis 2010 durch Europa und die USA. Monographie: Eero Saarinen - Shaping The Future (englisch). Yale University Press, New Haven 2006. 408 S., Euro 65.- ]

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2006.11.07

29. September 2006Christoph Affentranger
Neue Zürcher Zeitung

Bauen mit Holz

Architektonische und technisch-konstruktive Innovationen im Holzbau entstehen heute vor allem in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz. Früher hingegen...

Architektonische und technisch-konstruktive Innovationen im Holzbau entstehen heute vor allem in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz. Früher hingegen...

Architektonische und technisch-konstruktive Innovationen im Holzbau entstehen heute vor allem in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz. Früher hingegen kamen die Neuerungen oft aus Finnland: Alvar Aalto setzte Massstäbe im Umgang mit Holz - etwa mit der Villa Mairea (1939). Auch die nachfolgende Generation schuf international beachtete Werke: Kaija und Heikki Sirén die Kapelle in Otaniemi (1957) oder Kristian Gullichsen und Juhani Pallasmaa das Systemhaus «Module 225» (1968). Seit 1994 versucht die finnische Holzindustrie mit dem Finnischen Holzpreis, der dieses Jahr dem Geschäftshaus der Finnforest in Tapiola zugesprochen wird, das Bauen mit Holz zu fördern und die technischen und gestalterischen Möglichkeiten von Holzbauten dem Publikum bekanntzumachen.

Zudem wurde 1998 die Wood In Culture Association gegründet. Unterstützt von der finnischen Wald-Stiftung, vergibt sie alle zwei Jahre den mit 50 000 Euro dotierten Spirit of Nature Wood Architecture Award für das herausragende Werk eines Architekten im Kontext von ökologischem und nachhaltigem Bauen mit Holz. Nach Renzo Piano (2000), Kengo Kuma (2002) und Richard Leplastrier (2004) wurde gestern im Konzerthaus Sibelius in Lahti der Preis dem Schweizer Architekten Peter Zumthor überreicht. Geehrt wird damit ein Werk, das nicht zuletzt auch durch den schöpferischen Umgang mit Holz und das präzise Einfügen der Bauten in den Kontext brilliert. Die Reihe von Zumthors Arbeiten in Holz begann mit den Schutzbauten über römischen Ruinen in Chur (1986), setzte sich fort mit seinem eigenen Atelier in Haldenstein (1986), der Kapelle Sogn Benedetg in Sumvitg (1988) und der Ergänzung eines Bauernhauses in Gagalun (1994). Später kam der Klangkörper genannte Schweizer Pavillon an der Weltausstellung 2000 in Hannover dazu. Bei jedem dieser Werke setzte Zumthor Holz immer wieder anders und wegweisend neuartig ein. Bleibt zu hoffen, dass die notwendigen finanziellen Mittel zum Bau des Restaurants auf der Insel Ufenau im Zürichsee gefunden werden, damit diese Reihe herausragender Holzbauten ihre Fortsetzung finden kann.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2006.09.29



verknüpfte Akteure
Zumthor Peter

03. Oktober 2003Christoph Affentranger
Neue Zürcher Zeitung

Schwebende Verbindung

Eine moderne Holzbrücke im städtischen Kontext

Eine moderne Holzbrücke im städtischen Kontext

Frauenfeld lag ursprünglich am rechten Ufer der Murg. Heute aber fliesst der kleine Fluss mitten durch die Stadt hindurch. Deshalb gehören zum Stadtbild von Frauenfeld auch zahlreiche Brücken. Die neuste wurde vom Bonaduzer Ingenieur Walter Bieler entworfen und schliesst eine Lücke im Netz der innerstädtischen Fussgängerwege. Bielers Brücke ist 20 Meter lang. Sie überspringt die Murg und führt von der kleinen, einem Einkaufszentrum vorgelagerten Schanz hinüber zum Schlossbezirk. Auf den architektonisch heterogenen, von Bauten aus unterschiedlichen Epochen geprägten Flussabschnitt reagierte Bielers Konzept mit Mitteln der Asymmetrie. Ein auf der flussaufwärts gelegenen Seite um 45 Zentimeter höheres, aus Lärchenlatten mit Zwischenraum bestehendes Geländer orientiert den Blick des Fussgängers in Richtung des hoch über die Murg aufragenden Schlosses mit dem Rathaus und der alten Mühle zu Füssen. Mit einer Gesamthöhe von 2,3 Metern deckt das höhere Geländer (im Gegensatz zum niedrigeren) auch die unterhalb der Gehfläche liegenden Brettschichtholzträger ab, welche die Brücke tragen.

Durch die asymmetrische Verschiebung des von einem Geländer gefassten, 1,8 Meter breiten Gehwegs des Oberbaus gegenüber dem 1,2 Meter breiten, mit einer Lärchenholzschalung eingepackten Träger des Unterbaus entsteht beim Blick flussabwärts der Eindruck einer geschlossenen, kubischen und schweren Brücke; flussaufwärts hingegen wirkt die Brücke dank der räumlichen Gliederung in die Tiefe filigran. Altstadtseitig liegt die Brücke auf einem Betonauflager auf, schanzseitig hingegen ist sie an die alten Mauern angehängt. Bieler hat diesen Unterschied noch zusätzlich überhöht, in dem er die Brücke in Form einer in den Strassenbelag eingelegten Betonzunge in die Altstadt hinein künstlich verlängert hat. Auf der Seite der Schanz hingegen besteht der Anschluss in einer minimal gehaltenen Unterbrechung des geschlossenen Betongeländers. Die Brücke ist ein gelungenes Geschenk der Bürgergemeinde an Frauenfeld, das vor 200 Jahren zur Kantonshauptstadt ernannt wurde, und zugleich ein klärender Eingriff in eine urbanistisch schwierige Situation.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2003.10.03



verknüpfte Bauwerke
Holzbrücke

04. Januar 2002Christoph Affentranger
Neue Zürcher Zeitung

Eine Metropole im Aufbruch

Neue Architektur und Stadtplanung in Helsinki

Neue Architektur und Stadtplanung in Helsinki

Architektur ist in Finnland seit langem ein zentraler Bestandteil des Kulturlebens. Das geht nicht nur aus einem Ende 1998 erlassenen Regierungsbeschluss hervor, das wird auch bei jedem Besuch Helsinkis und anderer Städte auf Schritt und Tritt deutlich.

Bereits in der Entstehungszeit des erst 1917 gegründeten Nationalstaates spielte die Architektur neben der Musik eines Jean Sibelius und der Malerei eines Akseli Gallen-Kallela eine entscheidende Rolle bei der Suche nach einem nationalen Selbstverständnis. So errichtete das junge Architektentrio Armas Lindgren, Herman Gesellius und Eliel Saarinen für die Pariser Weltausstellung im Jahre 1900 einen vielbeachteten Pavillon für das damals noch russische Grossherzogtum Finnland. Fast 100 Jahre später hielt die finnische Regierung in ihrem Beschluss zur Architekturpolitik von Ende 1998 als zentrale Punkte «die Unterstützung architektonisch hochwertigen Bauens» sowie «Richtlinien zum Schutz unseres architektonischen Erbes» fest. Darüber hinaus erklärte sie, sie werde Ausstellungen und Publikationen im Bereich der Architektur fördern, «die Notwendigkeit des Architekturverständnisses bei der Verflechtung der Schulausbildung mit dem kulturellen Leben» beachten und «die Architekturausbildung im Rahmen der Erwachsenenweiterbildung» prüfen.


Grosse Umwandlungen

Wie wichtig das Ringen um gute Architektur im Spannungsfeld zwischen Funktionalität, Ästhetik und Ökonomie in ganz Finnland ist, wird bei einer Fahrt durchs Land deutlich. Viele international bekannte Bauten liegen weitab von grossen Zentren, so die auf der Unesco-Liste des Weltkulturerbes figurierende Holzkirche in Petäjävesi aus dem 17. Jahrhundert, Alvar Aaltos Sanatorium von 1933 in Paimio bei Turku oder das 1998 eröffnete Volkskunstzentrum in Kaustinen, entworfen vom Architekturbüro Mikko Kaira, Ilmari Lahdelma und Rainer Mahlamäki. Gleichwohl zieht die Grossstadt auch in Finnland die Menschen in ihren Bann, so dass heute in der 3000 Quadratkilometer grossen Agglomeration Helsinki, zu der auch Vantaa, Espoo und Kauniainen gehören, rund 1,2 Millionen Menschen oder knapp ein Viertel der Bevölkerung des Landes leben. Der Migrationsdruck auf Helsinki ist enorm. In den vergangenen zehn Jahren ist die Bevölkerung der Kernstadt um gut 50 000 auf 546 300 Personen gewachsen, und rund 56 000 Studenten, die an acht Universitäten und an mehreren Fachhochschulen studieren, bestimmen den Puls der Stadt. Dabei stand die erste Hälfte der neunziger Jahre im Zeichen einer schlimmen Rezession mit einer Arbeitslosenquote von zeitweise mehr als 20 Prozent.

Der Zusammenbruch des Handels mit der ehemaligen Sowjetunion führte zu einer Umschichtung in der Arbeitswelt, die sich auch im Stadtbild bemerkbar macht. Die Bautätigkeit der öffentlichen Hand kam zum Erliegen. Viele der Hafenanlagen, Kohleberge, Fabriken und grossen Werften, die einst Helsinkis Ufer prägten, sind bereits verschwunden oder werden in den nächsten Jahren noch verschwinden. Dafür bestimmen die Büropaläste von Technologiefirmen wie Nokia immer stärker das Stadtbild. In Vuosaari, 14 Kilometer östlich des Stadtzentrums von Helsinki, entsteht der grösste und modernste Cargohafen des Landes mit rund 13 Millionen Tonnen Umschlagskapazität pro Jahr. Dorthin werden die Hafenaktivitäten bis ins Jahr 2005 verlagert. Gut 85 Prozent des Güterhandels mit dem Ausland erfolgen per Schiff. Und die Zahl der Passagiere im Hafen von Helsinki ist mit rund 9 Millionen etwa gleich gross wie diejenige des in den vergangenen Jahren von Pekka Salminen vollständig umgebauten internationalen Flughafens Helsinki-Vantaa.


Ehemalige Hafenareale

Durch die Verlagerung der Hafenanlagen bleiben in der Stadt riesige Brachen an bester Lage zurück. Diese werden sukzessive in Wohnquartiere umgebaut. Der Ausbau der Halbinsel Ruoholahti, rund zwei Kilometer westlich des Hauptbahnhofes gelegen, ist von den neueren, zentrumsnahen Gebieten am weitesten gediehen. In mehr als zehn Jahren entstanden hier rund um die alte Kabelfabrik auf 58 Hektaren Wohnraum und Arbeitsplätze für 8000 Menschen. Einige der besten Architekturbüros des Landes haben hier mehr oder weniger gelungene Bauten realisiert. Nun soll auch das letzte Kohlenlager auf Ruoholahti weichen - und zwar einer vom französischen Architekten Dominique Perrault konzipierten Bebauung. Obwohl Perrault drei Vorschläge einreichte, die alle aus einem scheibenartigen Gebäude, einem langen Riegel und einem an die alten Kohlenberge erinnernden, «Hügel» genannten Gebäude bestehen, fand keiner die Gnade der lokalen Kritiker. Zurzeit wird in Helsinki intensiv über die Stadt und das Stadtbild debattiert.


Mitsprache der Bevölkerung

Vor einem Jahr führte deshalb das finnische Architekturmuseum eine von einem Katalog begleitete Ausstellung mit Diskussionsforen unter dem Titel «Talking about the city» durch. Für einmal hat die Öffentlichkeit tatsächlich alle Trümpfe in den Händen: 66 Prozent des Landes gehören der Stadt, 13 Prozent dem finnischen Staat, und bloss 21 Prozent sind in privater Hand. Dem Stadtplanungsamt kommen so weitreichende Kompetenzen zu, kann es doch sowohl in der Erschliessungs- und in der Planungs- wie auch in der Bauphase steuernd eingreifen und etwa bei der sozialen Durchmischung der Bewohner oder bei der Preispolitik (sowohl bei Alt- wie auch bei Neubauten) entscheidend mitreden. Dem Stadtplanungsamt zur Seite steht das «Helsinki City Real Estate Department», das sich um die Finanzierung, die Vermietung, den Verkauf und den Unterhalt der städtischen Liegenschaften kümmert. Es ist auch dafür verantwortlich, dass in jüngster Zeit zahlreiche Gebäude der Moderne renoviert wurden, darunter der direkt beim Busbahnhof Kamppi gelegene Lasipalatsi (der 1935 von den Studenten Niilo Kokko, Viljo Revell und Heimo Riihimäki geplante «Glaspalast»), Helge Lundströms Tennispalatsi von 1938 und - als Repräsentantin der frühen Nachkriegsarchitektur - die Schule für Ökonomie und Verwaltung Helsinki, erbaut von Hugo Harmia und Woldemar Baeckman.

Die Debatte um das Stadtbild betrifft aber nicht nur das Gebiet von Ruoholahti, es geht auch um den zwischen Ruoholahti und dem Hauptbahnhof gelegenen Busbahnhof Kamppi. Dieser Platz von etwa 300 auf 120 Meter, auf dem sich jeden Freitag- und Samstagabend so etwas wie die Seele der Finnen manifestiert, soll überbaut und der Busbahnhof in den Untergrund verlegt werden. Ein erster städtebaulicher Wettbewerb wurde im Dezember 2000 entschieden. Der siegreiche Vorschlag einer Gruppe um Pekka Helin, Marja-Riitta Norri, Mikko Heikkinen, Markku Komonen und Kirsi Leiman hat in der öffentlichen Diskussion hohe Wellen geschlagen.

Eine Grundsatzdebatte betrifft auch das Areal des ehemaligen Güterbahnhofs, wo sich Widerstand breit macht gegen den Abbruch der letzten Schuppen und gegen die Überbauung mit Geschäftshäusern und einem neuen Haus für Musik. Für diese Schlüsselstelle des Stadtbildes unmittelbar neben dem Hauptbahnhof, am südlichen Ende des Töölönlahti, einer seeartigen Meeresbucht, haben Generationen von Architekten, darunter Eliel Saarinen und Alvar Aalto, Vorschläge geliefert. Bis heute konnten hier aber als Resultat des schwierigen Planungsprozesses erst drei Gebäude errichtet werden: das Kultur- und Kongresszentrum Finlandia von Alvar Aalto (1975), das Museum für zeitgenössische Kunst Kiasma von Steven Holl (1998) sowie - in Sichtweite zum Parlamentsgebäude - der neue Sitz von Finnlands grösstem Medienkonzern, das Sanoma-Haus (Architekten Antti-Matti Siikala und Jan Söderlund). Doch der politische Entscheid scheint gefallen. Auf der Basis des siegreich aus einem internationalen Wettbewerb hervorgegangenen Landschaftsprojektes von Hannu Tikka und Kimmo Lintula entsteht hier entlang der Bahnlinie eine Überbauung mit Geschäftshäusern an bester Lage. Mittelfristig soll also das südliche Ende des Helsinki Central Park, eines grünen Korridors, der vom Töölönlahti rund 11 Kilometer Richtung Norden reicht und dessen Verwirklichung auf den Masterplan von Bertel Jung aus dem Jahre 1911 zurückgeht, ein Gesicht erhalten.

In westlicher Richtung scheint die urbane Entwicklung von Helsinki, von Einzelbauten einmal abgesehen, zum Abschluss gekommen zu sein. Eine Ausnahme bildet die Umwandlung der wie Ruoholahti ebenfalls zum Westhafen zählenden Halbinsel Jätkäsaari und des Munkkisaarenranta zu Wohngebieten für rund 13 000 Bewohner. Allerdings beginnen die Bauarbeiten dazu nicht vor der im Jahre 2005 abgeschlossenen Verlegung des Hafens nach Vuosaari. Für weitere Entwicklungen westwärts bleibt ansonsten kaum Raum, liegt doch die Grenze zu Espoo nur wenige Kilometer entfernt. Ganz anders sieht es in nördlicher und östlicher Richtung aus. Das Gebiet des alten Fischereihafens Kalasatama grenzt unmittelbar nordöstlich an das alte Stadtzentrum Helsinkis, von diesem nur durch eine der vielen Meeresbuchten getrennt. Durch die Verlegung des Hafens wird auch hier Platz frei. Vorgesehen sind stark verdichtete Wohnanlagen für 15 000 Menschen und gegen 10 000 Arbeitsplätze.

Etwa zwei Kilometer nördlich des Kalasatama befindet sich der Arabiaranta (der «Arabische Strand»), welcher von den aus der Jahrhundertwende stammenden Fabrikanlagen des bekannten Tonwarenherstellers Arabia dominiert wird. Die Fabrikanlagen beherbergen nach dem Auszug von Arabia und nach dem Umbau durch Kai Wartiainen das Institut für Kunst und Medien des Polytechnikums, die Schule für Pop und Jazz sowie die Universität für Kunst und Design. Letztere wurde kürzlich um einen interessanten Annexbau der Architekten Mikko Heikkinen und Markku Komonen erweitert, der unter anderem das modernste Aufnahmestudio Finnlands besitzt. Über Jahrzehnte diente der Strand vor dem Fabrikareal als Mülldeponie, nun wird die oberste Schicht abgetragen und durch Humus ersetzt. Mit dem Bau eines langgestreckten Wohnquartiers für etwa 7000 Bewohner, vom Strand durch einen 50 Hektaren grossen Park getrennt, wurde bereits begonnen. Die ersten Bewohner sind im Herbst eingezogen.


Städtische Planungsstrategien

Der innere Bereich der Stadt wird auch heute noch von zahlreichen Wäldern und einigen offenen Ackerflächen umschlossen. Diese Freiräume werden seit 30 Jahren mit zunehmenden Tempo für den Bau von Satellitenstädten genutzt. Hier stellt sich die Frage nach dem Bild und der Struktur eines neuen Stadtteils. Dazu meint Pekka Pakkala vom Stadtplanungsamt Helsinki: «Wir versuchen stets, allzu starre Planungsschemen im grossen Stil zu vermeiden und ein Gleichgewicht zu finden zwischen vereinheitlichenden Vorgaben wie Baulinien und Materialien einerseits und Abwechslung in Form von kreativen Freiräumen für Bauherren und Architekten anderseits. Dabei sind bereits vorhandene Strukturen und die hügelige Topographie von Helsinki ein sehr hilfreiches Mittel. Für die Planung einzelner Gebäude steht dann aber der Architekturwettbewerb im Vordergrund. Selbstredend ist die Planung eines Stadtteiles nie wirklich abgeschlossen. Häufig reagieren wir auch auf Einzelobjekte noch mit leichten Änderungen am Bebauungsplan.» Was damit gemeint ist, lässt sich am Beispiel der beiden neuen Stadtteile Vikki und Vuosaari nachvollziehen.

Vikki ist ein grünes Naherholungsgebiet, rund acht Kilometer nordöstlich des Stadtzentrums direkt an der Ausfallstrasse Richtung Lahti gelegen. Erste Planungen wurden hier von Architekten durchgeführt, danach übernahm das Stadtplanungsamt unter der Leitung von Riitta Jalkanen das Projekt. 290 der 1100 Hektaren von Vikki sind für Bauten und Strassen reserviert, die restliche Fläche bleibt Wald, Feld, Park oder Naturschutzzone. Dereinst sollen hier 13 000 Einwohner leben, zudem werden 6000 Arbeitsplätze und 6000 Studienplätze angestrebt. Der Wissenschaftspark wird von den Instituten der Universität Helsinki dominiert, die hier seit 1995 bereits zahlreiche Neubauten für Forschung in den Bereichen Biowissenschaften, Biotechnologie, Nahrungsmittel, Agrikultur und Waldwirtschaft errichtet hat. Dazu gehört auch das 1999 eröffnete Informationszentrum mit Bibliothek und Auditorium direkt am Eingang des Universitätsgeländes.

Dieses zylinderförmige Gebäude, aus dem ein Viertelkreis als Vorplatz zum Eingang ausgespart blieb, wurde von Hannu Huttunen, Markku Erholtz und Pentti Kareoja entworfen. Das Haus ist von einer Glashaut umgeben, die ein orthogonales Raumsystem mit kreuzförmig, zentral angeordneten Erschliessungsachsen zu einem Zylinder schliesst. Der Raum zwischen der äusseren und der inneren Hülle wird als Wintergarten genutzt. Dieses Raumkonzept mit einer eigentlichen Wintergartenhülle versteht sich als ein experimenteller Beitrag zum nachhaltigen Bauen. Kein Zufall, denn Vikki soll laut stadtplanerischer Vorgabe zum führenden Labor für ökologische Architektur in Finnland werden. Auf diesem Gebiet besteht im finnischen Bauwesen ein Aufholbedarf.

In welchem Tempo Helsinki wächst, lässt sich am besten in Vuosaari verdeutlichen. Im Jahr 2005 soll hier der neue «Port of Helsinki» seinen Betrieb aufnehmen, bestens erschlossen mit Bahn und Ringautobahn, so dass von hier Güter ohne Umladen bis nach Wladiwostok transportiert werden können. Während der neunziger Jahre stieg die Zahl der Bewohner Vuosaaris von 13 000 auf 25 000, und im Jahr 2010 dürften es 37 000 Menschen sein. Das Herz dieser Stadt in der Stadt bildet die Metrostation, an die sich ein Einkaufsbezirk anschliesst. Schulen und öffentliche Gebäude gehören ebenso dazu wie verschiedene Quartiere mit mehrgeschossigen Wohnbauten, aber auch eigentliche Einfamilienhauszonen. Seit König Gustav I. Wasa 1550 sein Dekret erliess, welches die Bürger von Porvoo, Tammisaari, Rauma und Uvila zwang, sich an der Mündung des Vantaanjoki niederzulassen, ist viel Zeit vergangen. Geblieben sind eine vielgestaltige Uferlandschaft und eine Agglomeration, die vielleicht noch nie dem Puls der Zeit näher war als heute.


[ Die finnische Architekturpolitik - das Architekturprogramm der finnischen Regierung. ISBN 951-9307-03-6. Auf Deutsch erhältlich bei der Finnischen Zentralkommission für Kunst, Maneesinkatu 7, 00170 Helsinki (tkt-Kirjasto@minedu.fi). - Talking about the city. Hrsg. Architekturmuseum, Helsinki 2000. ISBN 952-5195-13-9. 176 S., FMk. 220.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.01.04

04. Dezember 2001Christoph Affentranger
Neue Zürcher Zeitung

Der Architekt als Uomo universale

Eine Monographie zu Arne Jacobsen

Eine Monographie zu Arne Jacobsen

Wie nur wenige Architekten besass Arne Jacobsen (1902-1971) ein aussergewöhnliches zeichnerisches Talent. Vielleicht spielte deshalb in all seinen Entwürfen die geschwungene Linie eine derart wichtige Rolle. Ursprünglich wollte denn auch der junge Jacobsen, der in einer bürgerlichen Kopenhagener Familie aufgewachsen war, Maler werden. Doch es kam anders, und aus Jacobsen wurde einer der grossen Architekten und Designer des 20. Jahrhunderts. Seine Entwürfe waren nach der Jahrhundertmitte derart stilprägend, dass Stanley Kubrick im Film «2001: A Space Odyssey» die 1957 von Jacobsen entworfene Besteckserie «AJ» verwendete, eine Kreation der ungewohnten Art.

Steht dieses Besteck für Jacobsens zukunftsorientiertes Arbeiten, so ist sein Stuhl «3100», die sogenannte Ameise aus dem Jahr 1952, bis auf den heutigen Tag gleichsam der Prototyp eines einfachen und alltagstauglichen Sitzmöbels aus weich geformtem Sperrholz. Die «Serie 7», von Jacobsen als Antwort auf die Kritiken am Modell «3100» entworfen, wurde zum Inbegriff des stapelbaren Stuhls; man begegnet ihm europaweit in vielen Wohnungen, Schulen und Geschäftshäusern. Zu den Möbelklassikern des 20. Jahrhunderts zählen auch Jacobsens Sessel «3316» (das «Ei») und der Bürostuhl FH «3320» (der «Schwan») sowie die Oxford-Serie. Einige seiner Arbeiten wurden derart populär, dass sie heute vielfach ganz allgemein als dänisches Design wahrgenommen werden und nicht als Werke Jacobsens. Dazu zählen die 1967 für Stelton entworfenen Töpfe, Platten und Kannen der «Cylinda»-Linie ebenso wie die seit 1969 produzierte Sanitärlinie «Vola», die heute noch von jedem guten Fachgeschäft angeboten wird.

Arne Jacobsen war aber auch ein begnadeter Architekt. Als solcher hat er massgeblich das Bild der dänischen Baukunst im 20. Jahrhundert mitgeprägt. Zu seinen bekanntesten Arbeiten zählen die Siedlung Bellavista und das Theater Bellevue in Klampenborg (1931-37), das Stelling-Haus im Zentrum von Kopenhagen (1934-37), die Rathäuser in Århus (1937-42), Søllerød (1939-42) und Rødovre (1952-56), das SAS-Haus in Kopenhagen (1955-60), das St. Catherine's College in Oxford (1959-64) und die Dänische Nationalbank, die er zwischen 1961 und 1978 zusammen mit Dissing & Weitling in Kopenhagen realisierte.

Rechtzeitig zum bevorstehenden 100. Geburtstag des Architekten am kommenden 11. Februar liegt nun die englischsprachige Ausgabe der umfassendsten Monographie vor, die bisher zu Jacobsens Leben und Werk geschrieben wurde. Zehn Jahre haben Carsten Thau und Kjeld Vindum an diesem 560 Seiten starken Band gearbeitet. Entstanden ist eine Arbeit, die den Leser von den frühen Lausbubenstreichen des jungen Arne bis zum Spätwerk des grossen Baukünstlers führt. Thau und Vindum haben ein Kompendium geschaffen, das zukünftigen Arbeiten über Jacobsen als Massstab dienen wird, und zugleich auch gezeigt, wie sich Jacobsens weitläufiges Werk kompetent, übersichtlich und spannend zugleich zwischen zwei Buchdeckeln zusammenfassen lässt. Im ersten Teil werden Leben und Werk von Jacobsen in einen grösseren Rahmen eingebettet sowie die formalen und stilistischen Einflüsse vom dänischen Neoklassizismus bis hin zur Monumentalität der Moderne verfolgt. Der zweite Teil ist der Analyse ausgesuchter Werke gewidmet. In beiden Teilen ist den Autoren der schwierige Spagat zwischen Aufzählen, Beschreiben, Analysieren, Einordnen und Kommentieren auf beispielhafte Weise gelungen. Die Monographie wird abgerundet durch eine komplette Werkliste, einen kurzen Lebenslauf, ein Ausstellungsverzeichnis, eine Bibliographie und ein Register. Kurz: Diese Publikation dürfte wohl (ganz ähnlich wie die Arbeiten von Jacobsen) auch übermorgen noch aktuell sein.


[Carsten Thau & Kjeld Vindum: Arne Jacobsen. Englisch. Danish Architectural Press, Kopenhagen 2001. 560 S., 1200 Abb., Fr. 140.-. Eine deutsche Ausgabe ist geplant.]

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2001.12.04

06. Juli 2001Christoph Affentranger
Neue Zürcher Zeitung

Erneuerung des Westhafens

Wohnausstellung in Malmö

Wohnausstellung in Malmö

Bauausstellungen haben in Schweden Tradition. Legendär ist die Ausstellung von 1930 in Stockholm, die massgeblich zum Durchbruch der Moderne in Skandinavien beitrug. Seit 1985 gibt es in Schweden alle zwei Jahre eine «Bomässa», bei der sich alles um das Wohnen dreht. Um die meist mit einem städtischen Entwicklungsschwerpunkt verbundene Durchführung der Veranstaltung bewerben sich jeweils verschiedene Städte. Für die diesjährige Wohnausstellung «Bo 01», die laut Veranstalter erstmals auch international ausstrahlen soll, erhielt Malmö den Zuschlag. Ort ist eine 180 000 Quadratmeter grosse Brache im Westhafen der Stadt, unmittelbar neben der Messehalle. Wie immer bei der «Bomässa» stehen die gebauten Objekte im Vordergrund: diesmal Ein- und Mehrfamilienhäuser mit insgesamt rund 500 Wohnungen. In beinahe allen Häusern gibt es Musterwohnungen zu besichtigen, 41 insgesamt. Diese sind eingerichtet und setzen damitTrends. Die Wohnungen in diesem neuen Stadtteil sind zu einem grossen Teil bereits verkauft. Kein Wunder, versüssen doch ein eigener Jachthafen sowie mehrere Plätze und Parkanlagen das Leben am windigen Øresund. - Die meist als Investoren auftretenden Baukonzerne haben namhafte Architekten mit Entwürfen beauftragt, darunter Ralph Erskine und Gert Windgårdh aus Schweden, den Finnen Kai Wartiainen sowie Mario Campi und Santiago Calatrava aus der Schweiz. Das Gebaute wird ergänzt durch mehrere Ausstellungen, etwa «Visions - The City of Tomorrow» und «Secret Gardens». Die Beiträge, sowohl die gebauten als auch die ausgestellten, dürften in der Fachwelt keine allzu grossen Wellen schlagen. Die Themen, die sich vorwiegend um nachhaltiges Bauen drehen, wurden bereits vielfach behandelt, allerdings noch selten im Rahmen eines eigens dafür geschaffenen Stadtteiles. Die «Bo 01» verspricht Nordeuropas grösstes Ausstellungsereignis des Jahres 2001 zu werden. Sicher aber ist sie die attraktivste Bau- und Wohnmesse dieses Jahres.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2001.07.06

07. April 2000Christoph Affentranger
Neue Zürcher Zeitung

Eine Stadtlandschaft im Umbruch

Mit zahlreichen Aktivitäten begeht Oslo seinen 1000. Geburtstag. Unter die Freudenklänge mischen sich aber auch Misstöne. Die politischen Entscheide rund um den zurzeit laufenden Wettbewerb für ein neues, über 180 Millionen Franken teures Opernhaus, das 2008 bezogen werden soll, lösten eine heftige Debatte aus über Standort und Vorgehensweise.

Mit zahlreichen Aktivitäten begeht Oslo seinen 1000. Geburtstag. Unter die Freudenklänge mischen sich aber auch Misstöne. Die politischen Entscheide rund um den zurzeit laufenden Wettbewerb für ein neues, über 180 Millionen Franken teures Opernhaus, das 2008 bezogen werden soll, lösten eine heftige Debatte aus über Standort und Vorgehensweise.

Der Ursprung von Oslo, der Stadt am Fluss Akerselv, liegt ebenso im dunkeln wie die Herkunft ihres Namens. Archäologische Funde haben Reste einzelner Höfe rund um den Fjord zutage gefördert, deren Entstehungszeit zum Teil noch vor dem Jahr 850 liegt. Die Gründung von Oslo wurde um 1230 vom isländischen Sagenschreiber Snorre Sturlasson dem norwegischen König Harald Hardråde zugeschrieben, der zwischen 1047 und 1066 regierte. Damals war die Bucht Bjørvika, in die der Akerselv immer noch fliesst, wenn auch durch unterirdische Tunnels, erheblich grösser und umfasste ziemlich genau das ganze Areal des heutigen Hauptbahnhofes. Am südöstlichen Ufer dieser Bucht lagen die ersten Häuser, die Mitte des 12. Jahrhunderts um mehrere steinerne Kirchen ergänzt wurden. Die kleine Stadt war aber zu keinem Zeitpunkt von einer Stadtmauer umgeben. Auf der anderen Seite der Bucht stand schon seit dem 14. Jahrhundert eine Burg, die über die Jahrhunderte zur Akershus-Festung ausgebaut wurde. 1624 brannte das alte Oslo praktisch vollständig ab. König Christian IV. nutzte die Chance und liess die Stadt auf der Seite von Akershus auf einem Schachbrettraster neu errichten. Bis 1925 hiess die neue Stadt Christiania. Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden entlang des Akerselv die ersten Fabriken; zwei Bahnhöfe im Osten und Westen von Christiania wurden gebaut. Zwischen 1875 und 1900 gingen die ersten Tramlinien in Betrieb.


Folgenreiche Boomphasen

Im 20. Jahrhundert wuchs die Stadt sukzessiv in die umliegende Waldlandschaft hinein und die Hänge hinauf. Weite Teile des Zentrums sind geprägt von Bebauungen der Jahrhundertwende. Für ihren Erhalt bis auf den heutigen Tag musste zeitweise gekämpft werden. Der Stadtteil Grünerløkka zum Beispiel war in den siebziger und achtziger Jahren von zahlreichen Eingriffen und Abrissen bedroht. Ein Sanierungsprogramm vermochte dann glücklicherweise eine Trendwende einzuleiten. Die grosszügigen Grünanlagen und die Bebauungsstrukturen blieben erhalten und ziehen im Sommer zahlreiche Parkbesucher an.

Einige bemerkenswerte Bauten verdankt die Stadt der Moderne, zum Beispiel das Kunsternes Hus von Blakstad und Munthe-Kaas (1930; das Haus wird dieses Jahr komplett saniert), das Ekebjerg-Restaurant von Lars Backer (1929), das Oslo Arbeidersamfund von Ove Bang (1934-41) und zahlreiche Villen des CIAM-Mitgliedes Arne Korsmo. Ob die grösseren Bauprojekte der vergangenen 20 Jahre, darunter das neu bebaute Werftareal Akerbrygge, als gelungen bezeichnet werden dürfen, ist schwer zu beurteilen. In der Gunst der Besucher stehen die Malls und Shopping center aber mit Sicherheit. Die Begeisterung für alles Amerikanische, nicht zuletzt Zeichen eines neuen Wohlstandes, prägt schliesslich auch die Stadtstruktur. Aus den Hinterhöfen der Blocks werden gedeckte Hallen und Fussgängerzonen, die Strassen hingegen verwandeln sich, in Umkehrung bisheriger Verkehrsflüsse, zu Zubringern. Positiv ins Gewicht fällt dafür, dass die Kneipen-, Café- und Galerienszene in ständigem Wachstum begriffen ist, qualitativ wie quantitativ.

Bis heute weitgehend ungelöst sind allerdings einige städtebauliche Schnittpunkte und Beziehungen, deren Wurzeln weit in die Vergangenheit zurückreichen. König Christian IV. hatte seine neue Stadt aus strategischen Gründen auf der dem Meer abgewandten Seite der Festung Akershus errichten lassen. Von dort entwickelte sich die Stadt landeinwärts - vom Wasser durch Hafenareale, militärische Sperrgebiete und nicht zuletzt durch Bahn und Strasse getrennt. In einem ersten Schritt wurden deshalb in den siebziger Jahren zwei Tunnels für die Bahn und den Autoverkehr gebaut, die das alte Christiania parallel zur Küste unterqueren. Beide Tunnels tauchen im Bereich der Mündung des Akerselv, dessen Delta die Bucht am Akerselv teilweise zugeschüttet hat, wieder auf. Hier, zwischen dem Ostbahnhof und dem bloss 200 Meter entfernten Meer, mit Blick auf die praktisch unbebauten Hänge auf der Ostseite des Fjords, entstand ein Verkehrsknoten mit zahlreichen Kunstbauten. Wer in dieser Bucht mit dem Schiff ankommt, der benötigt als Ortsunkundiger Bus oder Taxi, um diese 200 Meter sicher zu überwinden und den Anschluss an Bahn, Bus oder T-Bahn (die Metro von Oslo) zu finden.


Ein Opernhaus für Norwegen

Genau hier, im Niemandsland zwischen Wasser, Containern und Schnellstrasse, soll das erste Opernhaus des Landes zu stehen kommen. Dabei haben es die Veranstalter, die Stadt und der Staat, geschafft, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Trotz heftigem Protest aus Fachkreisen wurde der Opernhaus-Wettbewerb in Angriff genommen, bevor überhaupt ein Konzept zur Entwicklung dieses äusserst schwierigen Gebietes vorlag, das unter anderem auch Reste des mittelalterlichen Oslo umfasst. Mitte März wurden Studienaufträge an vier vorselektionierte Teams (darunter eines mit Richard Rogers) erteilt, Resultate sind Anfang September zu erwarten. Parallel dazu wird der Opernhaus-Wettbewerb juriert, wobei sämtliche Vorschläge direkt nach der Abgabe für vier Tage öffentlich ausgestellt werden - was ein Unikum für einen einstufigen anonymen Projektwettbewerb darstellen dürfte. Die Unterlagen zum Opernhaus-Wettbewerb allerdings zeigen, dass einige Überlegungen der Stadt bezüglich des gesamten Areals trotz fehlendem Konzept überraschend präzise sind. So präzise, dass der landesweit grösste Investor unmittelbar nach dem Entscheid über den Standort des neuen Opernhauses im vergangenen Herbst direkt neben der jüngst vollendeten Vorfahrt zum Ostbahnhof mit dem Bau des Hotels Opera beginnen konnte.

Eine heftige Debatte entbrannte aber auch um den Standortentscheid. Unter anderem hat die Behörde den Zuschlag für Bjørvika damit begründet, hier mit dem Bau des Opernhauses einen Impuls für die Entwicklung des gesamten Gebietes setzen zu wollen. Am zweiten möglichen Standort, einer Bucht weiter Richtung Westen, hätte der unter Denkmalschutz stehende alte Westbahnhof geopfert werden müssen. Dieser allerdings, in den siebziger Jahren durch den kürzlich erweiterten unterirdischen Bahnhof «Nationaltheater» ersetzt und damals seines eigentlichen Inhalts beraubt, wirkt zwischen den gewaltigen Bauvolumen von Akerbrygge, dem Rathaus und weiteren Bauten der Umgebung wie eine Karikatur aus einer anderen Zeit, nicht die einzige übrigens in dieser Stadt. Der Schutz hätte früher einsetzen und auch die Entwicklung des Inhaltes und der Umgebung mit einbeziehen müssen, um die gegenwärtige Argumentation gegen einen zweiten Standort glaubhaft zu machen. Für diesen hätte die gut erschlossene, zentrale Lage in Sichtweite des Meeres und ohne trennende Verkehrsadern gesprochen. Doch der aus Investoren, Grundstückbesitzern und Politikern bestehende Filz war offensichtlich zu dicht, um die urbanistisch beste Lösung durchzusetzen. Es wäre allerdings nicht der erste entschiedene Wettbewerb jüngeren Datums in Oslo, dessen Realisierung nie stattgefunden hat.


Bahnhöfe im Wandel

Wurde der Westbahnhof über die Jahre zu einem Artefakt in einer völlig veränderten Umgebung, so ist die Entwicklung rund um den Ostbahnhof nicht minder problematisch. Er wurde einst als Kopfbahnhof gebaut. Dabei wurde das erste, 1854 von Heinrich Schirmer und Wilhelm von Hanno realisierte Stationsgebäude 1882 von Georg Bull geschickt zum Nordflügel eines U-förmigen neuen Stationsgebäudes uminterpretiert. Der Hauptzugang schliesslich wurde insgesamt viermal komplett gewechselt. In den achtziger Jahren wurden zwei Geleise unterirdisch in Ost- West-Richtung angelegt. Auf dem Deckel über der Rampe, auf der die Geleise in die Tiefe führen, entstand auf der Nordseite des Altbaus von 1882 ein neuer Bahnhof von Engh und Seip, den man ein Geschoss über dem Stadtniveau betritt. Der Wettbewerb dazu war bereits 1946 (!) vom damaligen Büro Engh und Qvam gewonnen worden.

Der alte Bahnhof, immerhin das eine Ende der vom Königsschloss ausgehenden städtebaulichen Achse, wurde entleert und mit Kleingeschäften vollgestopft. Im vergangenen Sommer eröffnete ein Anbau in der Verlängerung des alten Stationsgebäudes seine Tore. Dieser Anbau wurde primär für die neue Schnellbahn zum neuen Flughafen gebaut. Dafür wurden sämtliche Zufahrten von der Nordwestecke des Bahnhofes auf die Südseite verlagert. Nun liegt der Haupteingang zum Bahnhof meerwärts und - zumindest bis zur Fertigstellung des Hotels Opera - in Sichtweite des noch zu bauenden Opernhauses. Die Bahnhofshalle von 1987 erhält demnächst einen neuen Gebäuderiegel vorgesetzt und wird, wie der ebenfalls neu gebaute Nordzugang, zu einer Shopping mall umgebaut. Als eigentlicher Bahnhof bleiben der neue Anbau und die Verteilzone quer über den Geleisen übrig. Der Bahnhof als Tor zur Hauptstadt präsentiert sich als eine Restfläche zwischen Kleiderboutiquen, Imbissbuden und Elektronikgeschäften. Die Frage des speziellen Charakters eines Bahnhofes ist in der Privatisierungseuphorie der Norwegischen Staatsbahnen zu einer Marginalie verkommen. Diese Haltung bedroht inzwischen auch andere Bahnhöfe, darunter den bemerkenswert schönen in Bergen.

In diesem Umfeld mutet es beinahe zynisch an, dass der Norwegische Architektenverbund (NAL) im kommenden Herbst im Rahmen von Oslos 1000-Jahr-Feier eine Architekturtriennale organisiert. Fünf Teams sind eingeladen, Visionen zur Verdichtung von Oslo zu entwickeln und dabei Platz für 100 000 dringend benötigte neue Wohnungen auszuweisen. Solche Projekte, auch wenn sie im öffentlichen Raum ausgestellt werden, können über die zurzeit herrschenden Planungsdefizite in der Hauptstadt und das mangelnde Engagement des NAL (nicht aber seiner Mitglieder) nicht hinwegtäuschen. So präsentiert sich Oslo zu seinem 1000. Geburtstag in einem frisch aufgemachten Kleid mit einigen Perlen aus der Vergangenheit und viel Klunker aus der Gegenwart.


[ Rechtzeitig zum Jubiläum ist ein neuer Architekturführer zu Oslo erschienen - allerdings bisher nur auf norwegisch. Doch lassen sich auch ohne Kenntnisse der Sprache die wichtigsten Fakten eruieren: Ole Daniel Bruun: Arkitektur i Oslo. En veiviser til byens Bygningsmiljø. Kunnskapsforlaget, Oslo 1999 (ISBN 82-573-0948-6). nKr. 348.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2000.04.07

03. Februar 2000Christoph Affentranger
Neue Zürcher Zeitung

Nordische Mythen

Einen Überblick über die Architektur Finnlands im 20. Jahrhundert bietet zurzeit eine Ausstellung im Deutschen Architektur-Museum in Frankfurt am Main. So gehaltvoll das Gezeigte auch ist, der Veranstaltung fehlt doch ein überzeugendes Konzept, das den Besuchern helfen würde, das Gesehene in einen grösseren baukünstlerischen Kontext einzuordnen.

Einen Überblick über die Architektur Finnlands im 20. Jahrhundert bietet zurzeit eine Ausstellung im Deutschen Architektur-Museum in Frankfurt am Main. So gehaltvoll das Gezeigte auch ist, der Veranstaltung fehlt doch ein überzeugendes Konzept, das den Besuchern helfen würde, das Gesehene in einen grösseren baukünstlerischen Kontext einzuordnen.

Im Rahmen seiner Veranstaltungsreihe zur Architektur des 20. Jahrhunderts zeigt das Deutsche Architektur-Museum (DAM) in Frankfurt gegenwärtig einen Überblick über das baukünstlerische Schaffen in Finnland in Form einer Perlenkette von Meisterwerken: Mehr als 140 Bauten und Projekte werden mittels Originalzeichnungen, Modellen und vieler sehr guter Photos auf allen vier Geschossen des DAM präsentiert. Die Auswahl ist ausgewogen - wenn auch mit einem leichten Übergewicht von Beispielen aus den achtziger und neunziger Jahren. Diese Ausgewogenheit ist nicht ganz selbstverständlich, war doch die Integration der Ikonen Alvar Aaltos keine einfache Sache. Wer allerdings Erklärungen und Hintergrundinformationen zum Gezeigten erwartet, wird enttäuscht. Kleingeschriebene Texte erläutern zwar mitunter Einzelbauten oder das Lebenswerk einzelner Architekten. Auch sind poetische Notizen von Erkki Kairamo oder sachliche Überlegungen zur Architektur von Marja-Riitta Norri zu lesen, doch gehen die wenigen Worte in der Flut der Bilder und Modelle völlig unter. Weder erfährt man etwas über die weltweite Ausstrahlung finnischer Architektur, noch wird deren mit dem Werk Aaltos eng verbundener Mythos hinterfragt.

Damit wurde nicht zuletzt die Gelegenheit verpasst, Aaltos Schaffen im Quervergleich die richtigen Proportionen zu verleihen. Mitunter lassen die Bilder und Modelle gewisse Bezüge erahnen, doch ein mit der finnischen Architektur nicht wirklich vertrauter Besucher kann sie kaum nachvollziehen. Ob hier der Katalog die nötigen Ergänzungen nachreichen kann, wird sich Anfang Februar erweisen, wenn er - wie andere Kataloge dieser Länderreihe - mit Verspätung erscheinen wird. Noch schwerer wiegt die Tatsache, dass sich viele Photos und Modelle auf Grund der spärlichen Beschriftungen kaum zuordnen lassen und in einzelnen Fällen Beschriftungen fehlen oder ganz einfach falsch sind. Zieht man den Vergleich mit früheren Ausstellungen dieses Zyklus, so wird man den Eindruck nicht los, dass den Machern die Lust an einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Thema fehlte.

Allein an den finanziellen Schwierigkeiten, unter denen das DAM seit Jahren leidet, kann es diesmal nicht gelegen haben, wurde die Ausstellung doch von Finnland mitgetragen und zusammen mit dem 1956 gegründeten Finnischen Architekturmuseum, dem zweitältesten seiner Art weltweit, organisiert. Dieses Museum, das immer wieder mit gut aufgemachten und inhaltlich überzeugenden Ausstellungen auf sich aufmerksam gemacht hat und im Besitze eines umfassenden Archivs mit Nachlässen und Bildmaterial zur finnischen Architektur ist, wird im Frühjahr die Ausstellung von Frankfurt übernehmen.


Suche nach Identität

Gerade im Falle Finnlands wäre der Versuch, Architektur in den Kontext von Geschichte und Landschaft einer Nation zu setzen, relativ einfach zu bewerkstelligen gewesen. So hätte dem Publikum gezeigt werden können, weshalb sich in den vergangenen 100 Jahren eine derart selbständige, in sich geschlossene Baukultur entwickeln und halten konnte. Die moderne Geschichte Finnlands beginnt im Jahre 1809, als das damalige schwedische Grossherzogtum an Russland fiel. Daraus resultierte für die Finnen eine langwierige Suche nach der eigenen Identität, die an der Schwelle zum 20. Jahrhundert erste Blüten trieb: Der Pavillon auf der Pariser Weltausstellung 1900, ein Wettbewerbserfolg der jungen Architekten Herman Gesellius, Armas Lindgren und Eliel Saarinen, kann zusammen mit den Kompositionen von Jan Sibelius und den Gemälden von Akseli Gallen-Kallela (dessen «Nybygge» kommentarlos an den Anfang der Frankfurter Schau gestellt wurde) als Auftakt zu einer weltweit wahrgenommenen kulturellen Eigenständigkeit betrachtet werden. Die Zeit der Nationalromantik und des Jugendstils endete mit dem Ersten Weltkrieg schlagartig. Lenin anerkannte 1917 die Unabhängigkeit Finnlands, was nach heftigen innenpolitischen Auseinandersetzungen zwischen Sozialisten und Bürgerlichen 1919 zur bis heutige gültigen Verfassung führte.

Abgesehen von einem eklektizistischen Zwischenspiel triumphierte zwischen den Weltkriegen die finnische Moderne. Die Arbeiten von J. S. Sirén (Parlamentsgebäude, 1931), Pauli Blomsted (Bank in Kotka), Erkki Huttunen (Industriebau in Oulu) und Erik Bryggman, vor allem aber von Alvar und Aino Aalto (u. a. das Sanatorium in Paimio, 1932, und die Bibliothek in Viipuri, 1935) sind dieser Periode zuzuordnen. Der Zweite Weltkrieg begann für die Finnen 1939 mit dem ersten Winterkrieg, in dem sie sich gegen die angreifenden Sowjettruppen zur Wehr setzten, den Verlust Kareliens aber nicht verhindern konnten. Für das Land bedeutete dies eine schwere Belastung, mussten doch für Tausende von Flüchtlingen in Windeseile neue Wohnungen errichtet werden. Zwar konnten im zweiten Winterkrieg die verlorengegangenen Gebiete mit deutscher Hilfe kurzfristig zurückerobert werden, doch Finnland ging aus dem Krieg als Verlierer hervor und musste 1955 nicht nur den endgültigen Verlust Kareliens hinnehmen, sondern zusammen mit enormen Reparationszahlungen auch die sowjetische Besatzung gewisser Gebiete. Dazu kam der Wiederaufbau von ganz Lappland, das von den Deutschen auf ihrem Rückzug mit einer Politik der verbrannten Erde überzogen wurde.


Soziales und kulturelles Engagement

Die Zeit vom Weltkrieg bis in die sechziger Jahre war geprägt von einem hochtechnisierten Wohnungsbau. Gleichzeitig entstanden moderne Infrastrukturen mit Schulen, Universitäten, Bürohäusern, Fabriken und Kulturbauten. Aalto, Viljo Revell, Arne Ruusuvuori, Aulis Blomstedt, Reima und Raili Pietilä, Aarne Ervi sowie Kaija und Heikki Sirén sind einige der wichtigsten Vertreter dieser Zeit, deren Werke auch im Ausland mit grossem Interesse wahrgenommen wurden. Umgekehrt setzten sich die Finnen mit den neusten internationalen Tendenzen auseinander. Dabei entstanden keine Kopien, sondern immer wieder eigenständige Lösungen. Trotz schwierigen Umständen blieb auch in der Nachkriegszeit die Baukultur Träger der nationalen Identität, wenn auch nicht mehr so offensichtlich wie einst. In einem Land, in dem fast 90 Prozent der Gebäude nach 1917 entstanden sind, musste der Architektur im Zusammenklang mit Licht und Landschaft bei der Schaffung eines Ortes eine zentrale Rolle zukommen. Insofern steht in Finnland Neues dem Alten nicht als etwas Verdrängendes, Ablösendes gegenüber; vielmehr versteht es sich primär als die Fortsetzung einer langen Linie.

Nur so lässt sich erklären, weshalb auch in Werken der jüngsten Generation, etwa in dem von Studenten der Gruppe Monark entworfenen finnischen Pavillon in Sevilla oder in der kürzlich eröffneten finnischen Botschaft in Berlin, für die ebenfalls eine Gruppe von Studenten verantwortlich zeichnet (beide Arbeiten gingen aus Wettbewerben hervor), sich immer wieder Bezüge zur Landschaft und Kultur Finnlands finden lassen. Und nur aus dem Verständnis für eine Baukultur als Hort der nationalen Identität heraus lässt es sich erklären, dass in Finnland Architektur bis heute als Teil der auch politisch zu fördernden Kultur verstanden wird. Diese politischen und historischen Faktoren werden in der Ausstellung nicht erklärt, als gebaute Spuren aber lassen sie sich dank der guten Auswahl der Projekte sehr wohl nachvollziehen.


[ Bis 27. Februar im DAM in Frankfurt, anschliessend im Finnischen Architekturmuseum in Helsinki. Katalog: Finland. 20th Century Architecture. Englisch. Hrsg. Marja-Riitta Norri, Elina Standertskjöld, Wilfried Wang. Prestel-Verlag, München 2000. 380 S., Fr. 179.- (erscheint in den ersten Februartagen). ]

Neue Zürcher Zeitung, Do., 2000.02.03

20. Dezember 1999Christoph Affentranger
Neue Zürcher Zeitung

Bücher am Wasser

Vor sechs Jahren wurde in Kopenhagen ein Wettbewerb zur Erweiterung der Königlichen Bibliothek mit der Idee ausgeschrieben, eine Institution für das 21. Jahrhundert zu schaffen. Nun konnte das neue Haus von Schmidt, Hammer & Lassen eingeweiht werden. Entstanden ist ein überzeugend in Glas, Stahl, Stein und Holz gestalteter Ort, der die Benutzer ins Zentrum rückt.

Vor sechs Jahren wurde in Kopenhagen ein Wettbewerb zur Erweiterung der Königlichen Bibliothek mit der Idee ausgeschrieben, eine Institution für das 21. Jahrhundert zu schaffen. Nun konnte das neue Haus von Schmidt, Hammer & Lassen eingeweiht werden. Entstanden ist ein überzeugend in Glas, Stahl, Stein und Holz gestalteter Ort, der die Benutzer ins Zentrum rückt.

Gesucht war die Bibliothek des 21. Jahrhunderts, als 1993 ein Projektwettbewerb für die Erweiterung der Königlichen Bibliothek im historischen Zentrum Kopenhagens international ausgeschrieben wurde. Eine nicht ganz einfache Aufgabe zu einem Zeitpunkt, in dem das Buch in seiner Rolle als Wissensträger immer deutlicher von den elektronischen Medien verdrängt wird. Noch ein Dezennium zuvor schien die Antwort auf die Fragestellung klar: Büchertürme wie zum Beispiel diejenigen der Französischen Nationalbibliothek in Paris. Doch die dezentralen Kräfte, die von den neuen Medien ausgehen, sind inzwischen nicht mehr zu übersehen. Und aus dem französischen Traum der Büchermasse wurde mittlerweile ein Albtraum der Logistik. Wer also kommt noch zum Buch? Die Architektur und das Betreiberkonzept der neuen Bibliothek an der Einfahrt zum alten Hafen von Kopenhagen bietet darauf eine mögliche Antwort.


Dänische Erfolgsarchitekten

Den Wettbewerb gewonnen hatte damals das junge, ausnehmend erfolgreiche Trio Schmidt, Hammer & Lassen, das inzwischen eines der grössten Architekturbüros von Dänemark leitet. Zu den wichtigsten Arbeiten des Unternehmens zählen das mehrfach ausgezeichnete Nordische Kunst- und Kulturzentrum in Nuuk, Grönland, sowie drei zwischen 1993 und 1996 in Århus realisierte Bauten: das Möbelhaus Ilva, eine Druckerei und das Bürogebäude der Dana Dat. In jüngster Zeit haben Schmidt, Hammer & Lassen unter anderem den Wettbewerb zur Erweiterung des Flughafens in Aalborg sowie zum Bau einer Technikerschule in Kolding gewonnen.

Nach zwei Jahren Planung und vier Jahren Bauzeit konnte jüngst nun die auf Slotsholmen gelegene erweiterte Königliche Bibliothek eröffnet werden. Entstanden ist ein neues Wahrzeichen, ein herausragender Solitär in der sonst - im positiven Sinne - für ihre zurückhaltend ins historische Zentrum eingegliederten Neubauten bekannten Stadt. In unmittelbarer Nähe von Schloss Christiansborg und Arne Jacobsens dänischer Nationalbank direkt am Wasser errichtet, steht das siebengeschossige, schwarz glänzende Prisma des Neubaues, der in seinen Ausmassen so wuchtig und kantig ist wie der 1906 von H. J. Holm erstellte Altbau. Die beiden Gebäude sind durch eine Strasse getrennt, die in Ost-West-Richtung entlang des Kanals verläuft. Schon einmal, nämlich 1968, wurde die Königliche Bibliothek erweitert, ebenfalls zum Kanal hin, mit einem der gesamten Länge des würfelförmigen Altbaues folgenden kubischen Anbau. Geschickt wurde nun diese erste Erweiterung, die den Altbau eher entstellte als respektierte, in ein überzeugendes Gesamtkonzept integriert, aufgestockt und wie der Neubau mit schwarzem südafrikanischem Granit eingekleidet.

Die einzige Verbindung zwischen Altbau und Erweiterung ist eine 18 Meter breite verglaste Brücke im zweiten Obergeschoss. Neu geregelt wurde der Zugang zur Bibliothek. Dieser erfolgt jetzt über den westlich des Neubaus ebenfalls von Schmidt, Hammer & Lassen gestalteten Platz am Kanal und nicht mehr wie früher über den Hof seitlich von Schloss Christiansborg. Durch eine schmale Eingangszone gelangt man direkt ins Herz des Gebäudes, einen bis unter das Dach reichenden, verglasten Lichthof, der das schwarze Prisma quer schneidet. Von hier schweift der Blick über den Kanal nach Christianshavn. Eine Rolltreppe führt hinauf zur breiten Brücke Richtung Altbau, auf der sich die Information und die Bücherausleihe befinden. Die Treppenhäuser in die oberen Geschosse sind von dieser Plattform aus seitlich in einer Raumschicht entlang der Strasse angeordnet. Rechts und links des Atriums sind den Lesesälen Balkone vorgelagert. Von diesen aus können die Säle betreten werden. Diese bieten mehr als 300 Arbeitsplätze, die sich alle auf das Atrium und das Wasser hinaus orientieren.


«Erlebniswelt» Bibliothek

Auf 40 000 Quadratmetern Fläche beherbergt die Bibliothek rund 200 000 Bücher. Praktisch der gesamte Bestand ist jedermann zugänglich, auf Depots wurde weitgehend verzichtet. In einem zweigeschossigen, mit grauem Sandstein verkleideten Anbau auf der Ostseite des schwarzen Prismas haben vier weitere, der Bibliothek angegliederte Institutionen Platz gefunden. Das Dach dieses Anbaues bildet eine begehbare Plattform. Form und Anordnung der Treppe und der Plattform sind eine Anspielung auf die Villa Malaparte auf Capri. Ebenso speziell wie die geglückte räumliche Disposition der Bibliothek ist auch das Betriebskonzept. Auf der Eingangsebene findet sich nicht nur der Zugang zur Bibliothek, sondern auch eine Buchhandlung, ein auf den Hafen gerichtetes Restaurant und ein multifunktionaler Saal für Kongresse und Konzerte. Gemäss der Devise «Das Buch zum Menschen und den Menschen zum Buch bringen» soll mit Speis und Trank, Konzerten und Ausstellungen die Bibliothek in eine eigentliche «Erlebniswelt» verwandelt werden. Vielleicht ist das die Antwort auf die Frage nach der Bibliothek des 21. Jahrhunderts.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 1999.12.20



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Königliche Bibliothek - Erweiterung

05. November 1999Christoph Affentranger
Neue Zürcher Zeitung

Eine Holzkonstruktion für Schwergewichte

Eine Vielzahl von Tälern macht die Schweiz zu einem Land der Brücken. Darunter befinden sich laut einer Erhebung aus dem Jahre 1989 insgesamt 228 gedeckte Holzkonstruktionen. Bis auf wenige Ausnahmen sind diese Brücken 100 und mehr Jahre alt und legen Zeugnis ab für die Dauerhaftigkeit und Anpassungsfähigkeit einer einst weitverbreiteten Bautechnik, die heute etwa bei Walter Bieler wieder auf grosses Interesse stösst.

Eine Vielzahl von Tälern macht die Schweiz zu einem Land der Brücken. Darunter befinden sich laut einer Erhebung aus dem Jahre 1989 insgesamt 228 gedeckte Holzkonstruktionen. Bis auf wenige Ausnahmen sind diese Brücken 100 und mehr Jahre alt und legen Zeugnis ab für die Dauerhaftigkeit und Anpassungsfähigkeit einer einst weitverbreiteten Bautechnik, die heute etwa bei Walter Bieler wieder auf grosses Interesse stösst.

Die Kunst des Brückenbaus mit Holz erlebte in der Schweiz ihren Höhepunkt in den Werken der Baumeisterfamilie Grubenmann, im besonderen mit der von Hans Ulrich Grubenmann 1760 realisierten, 120 Meter langen Brücke über den Rhein bei Schaffhausen. Mit dem Aufkommen von Fachwerkbrücken aus Eisen und schliesslich mit dem Triumph der Brücken aus Beton geriet die Technik des Baus von Holzbrücken in Vergessenheit. Einzig für das Forstwesen und für Fussgänger und Radfahrer entstanden vereinzelt noch Stege aus Holz. Die Trendwende setzte 1985 ein, als in Eggiwil die Dörflibrücke fertiggestellt wurde. In enger Zusammenarbeit mit dem Institut für Baustatik und Stahlbau an der ETH Zürich wurde hier erstmals in der Schweiz eine voll verleimte, quer vorgespannte Fahrbahnplatte aus Brettschichtholz gebaut, so dass die für Strassenbrücken ohne Lastbegrenzung geltenden Anforderungen vollumfänglich erfüllt werden konnten. Doch wie andere Brücken aus Holz, die in den folgenden Jahren entstanden, ist auch die Dörflibrücke eine überdachte Brücke, die sich nur im technischen Detail als eine Brücke des 20. Jahrhunderts zu erkennen gibt. Zudem verursacht das Dach, das für den Schutz der tragenden Hölzer vor Wasser notwendig ist, je nach Brücke und gewähltem statischem Prinzip Mehrkosten von 20 bis 50 Prozent gegenüber einer offenen Brücke aus Beton.


Formale Innovationen

Der Durchbruch in eine neue Formenwelt im Holzbrückenbau gelang schliesslich dem Bündner Ingenieur Walter Bieler zu Beginn der neunziger Jahre. Die von ihm entwickelten Brücken basieren mehrheitlich auf dem Prinzip einer geschützten Furnierschichtholzplatte als Fahrbahnplatte, welche die Last verteilt und auf eine untenliegende Tragstruktur abgibt. Die aufwendige und teure Überdachung traditioneller Holzbrücken reduzierte Bieler auf eine wasserdichte Schicht zwischen Belag und Fahrbahnplatte sowie auf einen aussen angeordneten Wetterschutz für die untenliegende Tragstruktur. Die seitlichen Geländer werden hingegen als Verschleissteil betrachtet und lassen sich ebenso auswechseln wie die Verschalungen, die als Wetterschutz dienen. Mit diesen neuartigen Massnahmen ist der Bau von Holzbrücken technisch und ökonomisch konkurrenzfähig geworden. Ausgehend von diesem Konstruktionsprinzip, entstanden - in enger Zusammenarbeit mit beratenden Architekten - mehrere Brücken, die mit dem Bild der traditionellen Holzbrücken nicht mehr sehr viel gemeinsam haben.

Die Qualitäten von Bielers Entwürfen liegen in der sorgfältigen Einfügung in die Landschaft und in der Harmonie von Funktion und Form, von Holzschutzmassnahmen, Tragwerk und Gestaltung. Zu seinen wichtigsten Arbeiten, die mittlerweile weit über die Landesgrenze hinaus auf Interesse stossen, zählen die Langlaufbrücke bei Pradella/Schuls, 1990, der Fussgängersteg über die Autobahn bei der Raststätte Werdenberg/ Sevelen (ebenfalls 1990), die Sagastäg-Brücke bei Schiers, 1991, die Drostobel-Brücke zwischen Klosters und Serneus, 1993, und die Laader- Brücke bei Nesslau, 1996. Kurz vor der Vollendung steht die Murgbrücke bei Rosental/ Wängi. Ausser Brücken umfasst das Œuvre von Walter Bieler auch zahlreiche Hochbauten, darunter die Eishalle Davos (1978). Als Mitarbeiter beteiligt war er zudem an der Dreifachturnhalle in Riehen (1996, Architekten: Steinegger & Hartmann), am Werkhof in Castrisch (1996, Architekt: Rolf Gerstlauer) und an der ersten Aargauer Mehrzweckhalle aus Holz in Veltheim (1998, Architekt: Hans Oeschger). Für die Schlossfestspiele in Werdenberg, 1991, entwarf Bieler eine ungewohnte Überdeckung: vier aus einem tragenden Telefonmast und handelsüblichen Gartenpfählen gefertigte Schirme mit einer Grundfläche von 18 auf 18 Metern.

Das neuste Projekt von Bieler ist die Brücke Val Tgiplat zwischen Tomils und Scheid im Domleschg. Sie ist eine von fünf Brücken auf einer neuen, topographisch schwierigen Strecke zwischen den beiden Ortschaften und muss, wie bereits frühere Brücken von Bieler, den Anforderungen an sogenannt unbeschränkte Lasten entsprechen. Da eine solche Brücke beliebig schwere Fahrzeuge tragen können muss, liesse sich mit der hier angewandten Technik auch eine Autobahnbrücke bauen - eine Vorstellung, die mit dem gewohnten Bild einer Holzbrücke nicht zu vereinbaren ist, die aber zeigt, welche Fortschritte der Bau von Holzbrücken nicht zuletzt dank der Arbeit von Bieler gemacht hat.


Einpassung in die Landschaft

Der Entwurf der Brücke Val Tgiplat basiert auf der Idee, das Bauwerk perfekt in das Gelände einzupassen. Am Ort des Brückenschlages öffnet sich das kleine Bachtobel talseitig trichterförmig. Daraus leiteten Bieler und der beratende Architekt Reto Zindel einen trapezförmigen Grundriss ab mit einem Fluchtpunkt oberhalb der Brücke im Tobel. Dieses Konzept hat den Vorteil, dass die Auflager dem Terrain folgen können und so talseitig auf hohe Stützmauern beziehungsweise bergseitig auf grössere Felsausbrüche verzichtet werden konnte. Der ungleiche Geländeverlauf mit unterschiedlichen geologischen Verhältnissen auf den beiden Seiten des Baches ermöglichte eine asymmetrische Zwischenabstützung. Das führte zu variablen Spannweiten der einzelnen Längsträger mit unterschiedlichen, den ungleichen Belastungen angepassten Trägerhöhen. Da diese Längsträger mit dem Helikopter zur Baustelle transportiert werden mussten und sich daraus eine Lastbegrenzung von 4,5 Tonnen ergab, verzichtete Bieler bewusst auf ein statisches System mit Sekundärträgern und bevorzugte eine enge Binderschar als Primärträgersystem. Auf diesen längsspannenden Trägern liegt nun eine 13,5 Zentimeter starke, dreilagige, vollflächig verleimte und verschraubte Kerto-Furnierschichtholzplatte als Fahrbahnplatte, die der horizontalen Aussteifung der Brücke dient und die Radlasten auf 2 bis 3 Träger verteilt. Als Wasserisolation liegt auf der Kertoplatte eine Folie. Darüber wurde ein 17 Zentimeter starker Belag aufgebracht.

Talseitig und von der Fahrbahn her zugänglich, verbergen sich in der Geländerkonstruktion die Abwasserleitung und die Stromleitungen. Die seitlichen Geländer sind auf die erforderlichen Anprall-Lasten bemessen und mit einer Lärchenholzschalung verkleidet. Diese Verkleidung, die sich aussen von der Brüstung bis unterhalb der Längsträger spannt und dreiecksförmig auch die Balken der Zwischenabstützung vor Wasser schützt, verleiht der Brücke jene Körperhaftigkeit, die Bielers Brückenbauten eigen ist. Da das Äussere der Brücke von der Strasse nicht einsichtbar ist, entfaltet die Konstruktion erst bei der Begehung im steilen Terrain ihre formale Kraft. Die Absicht von Bieler und Zindel ist es, mit ihren Brücken die Polarität von Horizontalität und Vertikalität, welche den Bau von Brücken als Spannungsbogen bestimmen, spürbar zu machen. Im Falle der Brücke Val Tgiplat ist ihnen dies meisterlich gelungen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 1999.11.05



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Brücke Val Tgiplat

17. August 1999Christoph Affentranger
Neue Zürcher Zeitung

Holz im urbanen Kontext

Innovative Schulhausarchitektur von Meili & Peter in Biel

Innovative Schulhausarchitektur von Meili & Peter in Biel

Ging es um Bauen mit Holz, so hatte die «Landi»-Formel: «Mit Holz Heimat bauen» mehr als ein halbes Jahrhundert lang Gültigkeit. In den vergangenen Jahren konnte man dann aber eine überraschende Trendwende beobachten, deren technische Voraussetzungen neue Holzbautechniken und neue Bauvorschriften bildeten. Der hohe Stellenwert ökologischer Handlungsweisen in unserer Zeit bildet den gesellschaftspolitischen Hintergrund für den Boom. Architekten und Ingenieuren gelang es, das enge Korsett tradierter Formen zu sprengen. Jüngstes Beispiel dafür sind die von den Zürcher Architekten Marcel Meili und Markus Peter mit Zeno Vogel realisierten Neubauten der Hochschule für die Holzwirtschaft in Biel.

Das Grundstück liegt am Rand von Biel direkt an der Hauptstrasse Richtung Solothurn. Eine Industriehalle, eine Wohnanlage, der Höhenzug des Juras und offene Felder bilden den Kontext. Hier sollte nach dem Willen der Bauherrschaft, der Schweizerischen Hochschule für die Holzwirtschaft Biel, die aus zweigeschossigen Schulgebäuden mit flachen Giebeldächern sowie niedrigen Werkhallen und Lagerschuppen bestehende Anlage aus der Nachkriegszeit verdichtet werden. Mit zwei typologisch unterschiedlichen Eingriffen haben die Architekten das relativ grosse Raumprogramm auf dem engen Grundstück überzeugend untergebracht. Zum einen bauten sie die neuen Hallen der Verfahrenstechnik im südlichen Teil des Areals direkt an die bestehenden Werkhallen und verbanden so Alt und Neu zu einem grossen und flachen Bau. Als Gegenpol entstand ein viergeschossiges, kubisches Lehrgebäude, das sich in seiner Mächtigkeit abhebt von den niedrigen Nachbarbauten mit ihren Giebeldächern. Das Besondere an diesem 94 Meter langen und 17 Meter hohen Ankerpunkt im städtebaulichen Kontext ist, dass es sich dabei um einen Holzbau mit einem Erschliessungskern aus Beton und einer vorgehängten hinterlüfteten Fassade aus Eichenholz handelt.

Das dominante, weit auskragende Flachdach ist nicht bloss eine formale Spielerei, sondern entscheidend für den Wetterschutz der Holzkonstruktion. Das Attikageschoss ist auf den Längsseiten um die Balkonschicht zurückversetzt. In den unteren drei Geschossen durchbrechen auf beiden Hauptfassaden des Gebäudes eingezogene Terrassen die mit Fenstern horizontal strukturierten Wände und lassen das Tageslicht bis in die Erschliessungszonen vordringen. In umgekehrter Richtung entstanden so Beziehungen aus dem Gebäude heraus in die Landschaft. Der Rundgang durch das Innere des Gebäudes wird so zu einem Erlebnis mit immer neuen Blickwinkeln.

Auf Kontraste als Kunstgriff setzen die Architekten im Inneren des neuen Lehrgebäudes. Überproportional grosse Türen etwa stehen im Gegensatz zu niedrigen Durchgängen, die wiederum in hohe Räume führen. Auf der Ebene der Materialisierung tritt der rohe Beton der Korridore und Treppenhäuser in ein faszinierendes Wechselspiel mit den aus unterschiedlichen Holzarten gebildeten Oberflächen der Klassenzimmer und der übrigen Räume. Die Freude an Proportionen und präzisen Details bestimmt das ganze Gebäude. Das von den Ingenieuren Conzett, Bronzini, Gartmann aus Chur erarbeitete konstruktive Konzept nutzt beide Materialien, Holz und Beton, optimal. So wurden etwa die den Baukern umgebenden Schuleinheiten als selbsttragende Holzkonstruktion ausgebildet. Dadurch werden die Betondecken des Erschliessungskerns nicht durch die Vertikallasten des Holzbaues belastet. Sie tragen primär sich selbst und wurden deshalb als vorgespannte Flachdecken mit grossen Spannweiten erstellt. Das Lehrgebäude und die Werkhallen der Hochschule für die Holzwirtschaft sind sichtbarer Beleg dafür, dass ein Bau aus Holz auch im städtischen Kontext bestehen kann. Dafür und für den bis ins Detail klugen Einsatz des Baustoffes Holz wurde die Anlage wenige Tage vor der Einweihung am heutigen 17. August mit dem «Prix Lignum» ausgezeichnet.

Neue Zürcher Zeitung, Di., 1999.08.17



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Schweizerische Hochschule für die Holzwirtschaft

17. August 1999Christoph Affentranger
Neue Zürcher Zeitung

Aufbruch am Öresund

Es herrscht Aufbruchstimmung im Süden Skandinaviens. Nur noch gut 100 Meter fehlen bis zur Vollendung des historischen Brückenschlages über den Öresund....

Es herrscht Aufbruchstimmung im Süden Skandinaviens. Nur noch gut 100 Meter fehlen bis zur Vollendung des historischen Brückenschlages über den Öresund....

Es herrscht Aufbruchstimmung im Süden Skandinaviens. Nur noch gut 100 Meter fehlen bis zur Vollendung des historischen Brückenschlages über den Öresund. Im kommenden Sommer soll die Brücke, die Kopenhagen mit Malmö verbindet, dem Verkehr übergeben werden. Gleichzeitig werden weitere Infrastrukturbauten vorangetrieben: etwa eine neue Metro für Kopenhagen und die neuen Terminals des Flughafens Kastrup. Denn rund um den Öresund wächst eine Region von mehr als 3 Millionen Einwohnern zusammen. Hier entstehen gegenwärtig mehr als 20 000 Wohnungen und Raum für über 80 000 Arbeitsplätze, aber auch mehrere Kulturbauten. Im Herbst sollen in Kopenhagen die von Schmidt, Hammer & Lassen erweiterte Königliche Bibliothek und in Malmö die Erweiterung der städtischen Bibliothek von Henning Larsen eröffnet werden. Zwölf Universitäten und Hochschulen haben sich unter der Bezeichnung Öresunduniversität zu einer Hochburg des Denkens und Forschens zusammengeschlossen. Allenthalben entstehen deshalb neue Universitätsgebäude - beispielsweise die vieldiskutierten der Basler Architekten Diener & Diener. Die enorme Bautätigkeit auf der dänischen Seite wird zurzeit in einer Ausstellung im Architekturmuseum Gammel Dok in Kopenhagen unter dem Titel «Kopenhagen - Konzepte der Kontinuität» anhand von Modellen, Plänen und Videos von über 50 Bauten und Projekten dokumentiert. Dabei ist die Schnellbahn über den Öresund, die 2011 den Betrieb aufnehmen soll, zwar ein eindrückliches Werk, aber bei weitem nicht das einzige.


[ Bis 29. August. Katalog Copenhagen Spaces, Arkitektens Forlag. dKr. 245.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Di., 1999.08.17

06. August 1999Christoph Affentranger
Neue Zürcher Zeitung

Neue Magie eines alten Werkstoffs

Holz steht gegenwärtig hoch im Kurs. Innerhalb weniger Jahre wurde aus einem verpönten Werkstoff ein Material, mit dem die Avantgarde der Architektur und des Bauingenieurwesens Zeitgeist auszudrücken weiss. Poetische Kraft, sinnliche Ausstrahlung und eine besondere Tektonik faszinieren sowohl Bauherren wie auch Architekten.

Holz steht gegenwärtig hoch im Kurs. Innerhalb weniger Jahre wurde aus einem verpönten Werkstoff ein Material, mit dem die Avantgarde der Architektur und des Bauingenieurwesens Zeitgeist auszudrücken weiss. Poetische Kraft, sinnliche Ausstrahlung und eine besondere Tektonik faszinieren sowohl Bauherren wie auch Architekten.

Der anhaltende Aufwärtstrend von Holz als Werkstoff im Schweizer Bauwesen lässt sich auf gesellschaftspolitische, technische und gestalterische Ursachen zurückführen. Überlegungen zur Landschaftspflege, zur Ökologie, zur lokalen Verfügbarkeit von Holz und zum Kreislauf der (Bau-) Stoffe sind die wichtigsten gesellschaftspolitischen Argumente, die von Bauherren häufig angeführt werden. Diese Anliegen kamen jüngst in drei mit Mitteln des Bundes lancierten Programmen («Nationales Forschungsprogramm Holz NFP 12», «Impulsprogramm Holz» und «Förderprogramm Holz 2000») zum Ausdruck. Der Bund erhoffte sich dabei auch die Förderung und den Erhalt von Arbeitsplätzen gerade in den waldreichen Regionen des Landes. Immerhin ist die Wald- und Holzindustrie mit rund 90 000 Arbeitsplätzen einer der wichtigsten Arbeitgeber in den ländlichen Teilen der Schweiz.


Die Imageprobleme von Holz

An der Schnittstelle zwischen Gesellschaft und Technik vermochte die 1997 in überarbeiteter Form erschienene Dokumentation «Brandschutz im Holzbau», herausgegeben von der Lignum und der SIA, einen Meilenstein zu setzen. Neu bildet nun nicht mehr die Brennbarkeit eines Baustoffes an sich das ausschlaggebende Kriterium bei dessen Beurteilung, sondern die sogenannte Abbrandgeschwindigkeit, mit der sich ein Feuer in das Material hineinbewegt und dieses statisch schwächt. Damit wurden mehrgeschossige Wohn- und Geschäftshäuser sowie öffentliche Bauten wie Schulen aus Holz von der Gesetzgebung her möglich. Die Auswirkungen auf die Holzwirtschaft dürften beträchtlich sein. Zwischen 1991 und 1996, im Vorfeld der Revision, legte der Anteil an verbautem Holz im Bereich Hochbau um insgesamt 8 Prozent zu, trotz der durch die Rezession bedingten Abnahme des Bauvolumens in der Schweiz um rund 4 Prozent. Das grösste Wachstumspotential für Holz im Hochbau liegt in dessen Verwendung als Konstruktionsmaterial. Die neuen Brandschutzvorschriften dürften hier einiges bewirken.

Ein besonderes Glück für den Holzbau in der Schweiz ist es, dass Holz zurzeit nicht nur bei Bauherren und Technikern beliebt ist, sondern dass sich in den letzten zwei Dezennien auch die besten Architekten und Ingenieure des Landes mit Holz und seinem Gestaltungspotential intensiv auseinandersetzten. Einige dieser Werke fanden weit über die Landesgrenzen hinaus grosse Beachtung - selbst in den traditionellen Hochburgen des Holzbaues wie Vorarlberg oder Skandinavien. Diese Wiederentdeckung mag überraschen, wenn man bedenkt, dass Holz noch immer als veraltetes Baumaterial mit unangenehmen bauphysikalischen Begleiterscheinungen wie Ringhörigkeit im Inneren und der Tendenz zur Überhitzung im Sommer gilt.

Die siebziger und frühen achtziger Jahre waren die grosse Zeit der Kunststoffe. In den künstlichen Welten von damals durfte das Holz bestenfalls geschroppt, sandgestrahlt und mit dem Bunsenbrenner angesengt als Wandverkleidung in der guten Stube dienen. Mit der Bevorzugung anderer Baustoffe gerieten die Zimmereien in die Defensive. Im Unterschied zu anderen europäischen Ländern wurden sie in der Schweiz aber nicht völlig marginalisiert, da Holz hierzulande das bevorzugte Material für die Tragstruktur von Dächern blieb. Ab Mitte der achtziger Jahre taten sich zunehmend mehr Betriebe mit neuen Ideen hervor. Der aus den USA importierte Holzrahmenbau verdrängte in kürzester Zeit die traditionelle Skelettbauweise. Der Vorfertigungsgrad stieg laufend, so dass heute im Normalfall ein Haus aus Holz in wenigen Tagen erstellt werden kann - dies unabhängig davon, ob es individuell geplant oder als Fertighaus bestellt wurde. Die Breite der angebotenen Bausysteme - von vorfabrizierten Hohlkästen bis zur herkömmlichen Blockbauweise - ist kaum mehr überschaubar.


Renaissance des Holzbaus


Auftakt zur Renaissance des Schweizer Holzbaus machten zwei Bauten in Basel, die in ihrer architektonischen Haltung zwei diametrale Positionen vertraten: Zum einen ist dies ein 1987 von Michael Alder umgebautes Wohnhaus im St.- Alban-Tal. Der schlichte, mit Holz verkleidete, präzis entworfene und in der Gestalt als klassisch zu bezeichnende Bau fügt sich ganz selbstverständlich in die Umgebung ein. Alder führte mit diesem Gebäude die Tradition einfacher, unprätentiöser Wohnbauten fort, wie sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden. Ganz anders dagegen das von Jacques Herzog und Pierre de Meuron 1988 an der Hebelstrasse errichtete, zweigeschossige Wohnhaus, das sich, mit dem Rücken an eine Brandmauer gelehnt, zum Hof öffnet. Die sich gegen oben und unten verjüngenden Stützen der vorgelagerten Loggien und das Abheben des Volumens auf einen Sockel machen aus dem Bau ein Möbel im Hof. In der geistigen Annäherung an das Thema unterscheiden sich die beiden Objekte: Auf der einen Seite finden wir den pragmatischen Baumeister, auf der anderen Seite den Künstlerarchitekten. In beiden Fällen kommt eine radikale Schlichtheit zum Ausdruck, wenn auch auf ganz unterschiedlicher Ebene.

Die Form aus der Konstruktion abzuleiten, ohne etwas hinzuzufügen oder wegzunehmen, führt zu einer einfachen architektonischen Grundhaltung. Dabei erweist sich Holz als ideales Material, denn es erfordert Disziplin im Entwurf und Besinnung auf die konstruktiven Grenzen. Besonders für junge Architekten bietet es attraktives «Neuland», das so neu natürlich nicht ist. Gerade in der Region Basel entstanden mit den Wohnhäusern von Paul Artaria und Hans Schmidt schon in den zwanziger Jahren Bauten, die dem Credo des Schlichten verpflichtet waren. Zusammen mit den Werken von Hans Fischli (Haus Schlehstud, 1933) und Alfred Roth (Sommerhaus in Mammern, 1936) beeinflussten diese die heutigen Architekten, fand doch die Rückbesinnung auf diese Bauten in den achtziger Jahren statt. Damals setzten sich vor allem Marianne Burkhalter und Christian Sumi intensiv mit dem traditionellen Holzbau und mit der Arbeit von Konrad Wachsmann auseinander. Die farbigen Werke der beiden Architekten, darunter das Einfamilienhaus mit Atelier in Langnau am Albis (1986), bei dem sie sich formal auf den Holzbau des Neuen Bauens besannen, die Forstwerkhöfe in Turbenthal (1991-93) und Rheinau (1992-94), das Schulhaus in Laufenburg (1991-92) und die Erweiterung eines Hotels am Zürichberg (1993-95) gaben der Schweizer Gegenwartsarchitektur neue Impulse.

Neben Basel konnte bald auch Graubünden mit aussergewöhnlichen Holzbauten aufwarten. Im Zentrum des Interesses standen dabei die Arbeiten von Peter Zumthor, etwa die Schutzbauten über römischen Funden in Chur, sein Atelier in Haldenstein (beide 1985/86), die Kapelle Sogn Benedetg oberhalb Sumvitg (1985-88) sowie das Wohnhaus Gugalun in Versam (1990-94). Jeder dieser Bauten ist anders, widmet sich anderen Aspekten und Techniken des Bauens mit Holz. Und doch ist allen eines gemeinsam: der unspektakuläre, aber virtuose und sehr sinnliche Umgang mit dem Holz. In Graubünden finden sich aber noch andere Bauten aus und mit Holz, beispielsweise die Häuser von Gion A. Caminada in Vrin, einem kleinen Dorf zuhinterst im Lugnez. Unbeirrt von Trends und Moden übernimmt Caminada bestehende Gebäudetypologien und Bautechniken, meist die Blockbauweise, und geht subtil auf die sozialen Bedürfnisse des Dorfes ein. Das Betriebsgebäude der Genossenschaft Mazlaria und die zugehörigen Viehställe wurden soeben mit dem Prix Lignum ausgezeichnet. Weitere bemerkenswerte Arbeiten von Valentin Bearth und Andrea Deplazes, Anette Gigon und Mike Guyer, von Rolf Gerstlauer und Inger Molne und anderen, allesamt in den letzten zehn Jahren entstanden und international publiziert, zeugen von der Aufmerksamkeit, die das Bauen mit Holz im Kanton Graubünden zurzeit geniesst.

Aber auch in anderen Landesteilen entstanden Projekte mit Holz, die Vorbildcharakter besitzen, darunter die von Marcel Meili und Markus Peter mit Zeno Vogel realisierten und ebenfalls mit dem Lignum-Preis geehrten Gebäude der Hochschule für die Holzwirtschaft SH-Holz in Biel, die in den nächsten Tagen eingeweiht werden können, oder die Försterschule von Itten & Brechbühl in Lyss. Beide Gebäude zeigen, dass mehrgeschossiges Bauen mit Holz, auch im peripheren und städtischen Kontext, gestalterisch zu bewältigen und technisch überzeugend lösbar ist.


Tragstrukturen aus Holz


Holz als Material für Tragstrukturen formvollendet einzusetzen ist besonders schwierig. Zwei frühe Werke von Santiago Calatrava - der 1988 ausgeführte Umbau des Theaters «Tabourettli» in Basel sowie das Gewölbe über der Aula und die «Holzblume» über der Eingangshalle der Kantonsschule in Wohlen aus demselben Jahr - beweisen aber das hohe konstruktiv-gestalterische Potential, das dem Holz innewohnt. Bereits etwas früher, zu Beginn der achtziger Jahre, wurde in der Schweiz und im süddeutschen Raum das Holz für eine Bauaufgabe wiederentdeckt, die schon längst passé zu sein schien: der Bau von Brücken. Schon zu Beginn dieses Jahrhunderts hatten Beton und Stahl das Holz aus dem Brückenbau verdrängt. Gleichwohl gibt es in der Schweiz noch knapp 230 gedeckte Holzbrücken. Trotz guten Langzeiterfahrungen wurden hierzulande lange kaum mehr neue Strassenbrücken aus Holz gebaut. In den letzten 15 Jahren entstanden aber mehrere Brücken, die sowohl bezüglich der technischen Entwicklungen als auch ihrer Ästhetik weit über die Schweiz hinaus Beachtung fanden.

Die Fuss- und Radbrücke über die Simme bei Reutigen/Wimmis, 1989 nach Plänen von Karl Gärtl und Julius Natterer gebaut, wurde nicht zuletzt deshalb viel beachtet, weil sich hier erstmals in der Schweiz eine neue Ästhetik im Holzbrückenbau manifestierte. Der Durchbruch in eine neue Formenwelt für Holzbrücken ohne Lastbeschränkung gelang dem Bündner Ingenieur Walter Bieler in Zusammenarbeit mit dem Architekten Reto Zindel unter anderem mit der Sagastäg- Brücke bei Schiers, der Laaderbrücke bei Nesslau und mit der Brücke Val Tgiplat. Die neuen Tragstrukturen bilden zusammen mit Neuentwicklungen, verbesserten Detaillösungen und neuen Kriterien im Brandschutz ein solides Fundament für die gegenwärtige Renaissance des Holzbaus. Bauen mit Holz ist am Ende des 20. Jahrhunderts nicht mehr rückständig «heimelig», sondern fortschrittlich innovativ und mithin so aktuell wie schon lange nicht mehr.

Christoph Affentranger

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 1999.08.06

06. August 1999Christoph Affentranger
Neue Zürcher Zeitung

Gewinner des Prix Lignum

Die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für das Holz, Lignum, schrieb im Januar 1999 zusammen mit der Firma Basler + Hofmann und unter dem Patronat des...

Die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für das Holz, Lignum, schrieb im Januar 1999 zusammen mit der Firma Basler + Hofmann und unter dem Patronat des...

Die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für das Holz, Lignum, schrieb im Januar 1999 zusammen mit der Firma Basler + Hofmann und unter dem Patronat des Förderprogramms Holz 2000 den Prix Lignum aus. Ziel war es, herausragende Schweizer Holzbauten der letzten 10 Jahre zu würdigen. Eine vergleichbare Auszeichnung fand letztmals vor 15 Jahren statt. Juriert wurden diesmal 185 Bauwerke. Der Preis ging zu gleichen Teilen an drei gestalterisch und technisch überzeugende Arbeiten: das Betriebsgebäude der Genossenschaft Mazlaria in Vrin (1994-99; Architekt: Gion Caminada; Ingenieure: Branger & Conzett und Fanchini & Pérez), für das Schulhaus in St. Peter (1997/98; Architekt: Conradin Clavuot; Ingenieure: Conzett, Bronzini, Gartmann) und für die Neubauten der Schweizerischen Hochschule für die Holzwirtschaft in Biel (1997/99; Architekten: Meili & Peter mit Zeno Vogel; Ingenieure: Conzett, Bronzini, Gartmann). Mit einer speziellen Auszeichnung gewürdigt wurden die Wohnsiedlung «Obere Widen» in Arlesheim (1998-99; Proplaning Architekten; Ingenieure: Natterer und Wolf), der Pavillon des Theaters «AmStramGram» in Genf (1997; Architekt: Alexandre Vaucher; Ingenieur: Robert Haldi), die Brücke Val Tgiplat zwischen Tomils und Scheid (1999; Ingenieur: Walter Bieler; Architekt: Reto Zindel) und «Ein Raum für ein Bild» im Engadin (1997/98; Architekten: Jachen Könz, Ludovica Molo; Ingenieur: Walter Stamm). Die Spezialauszeichnung für Fassaden aus Holz ging an den Umbau eines Bauernhauses in Greppen (1997; Architekten: Fredi Doetsch mit Zita Cotti). Die ausgezeichneten Bauten werden an einer Sonderausstellung der Swissbau Basel im Januar 2000 zu sehen sein. Auf diesen Zeitpunkt hin erscheint eine umfassende Publikation zum Prix Lignum.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 1999.08.06

03. August 1999Christoph Affentranger
Neue Zürcher Zeitung

«Touch Wood»

«Holz. Ein Material hebt ab», ist auf der Titelseite der neusten Ausgabe der Zeitschrift «du» zu lesen. Doch schon das Editorial entlarvt die Fesseln des...

«Holz. Ein Material hebt ab», ist auf der Titelseite der neusten Ausgabe der Zeitschrift «du» zu lesen. Doch schon das Editorial entlarvt die Fesseln des...

«Holz. Ein Material hebt ab», ist auf der Titelseite der neusten Ausgabe der Zeitschrift «du» zu lesen. Doch schon das Editorial entlarvt die Fesseln des Fluges. Mit «Die Mutter sagte 1883 . . .» beginnt hier eine kurze Chronik, die in der vierten Generation mit der Liquidation der familieneigenen Möbelschreinerei endet. Im folgenden kommt kaum ein Beitrag ohne den Bezug zur Geschichte aus, um dem Phänomen Holz auf die Spur zu kommen.

Treffender umschreibt der Titel der Ausstellung, als dessen offene und erzählerische Begleitschrift das Heft erschienen ist, den Inhalt: «Touch Wood. Von der Keule zum Design» (ab 19. August in der Orangerie Elfenau in Bern). Tatsächlich erlebt das Material Holz zurzeit einen Höhenflug, nicht den ersten in diesem Jahrhundert, vielleicht aber, dies durchaus mehrdeutig gemeint, den nachhaltigsten. Dieser Entwicklung auf die Spur zu kommen gelingt dem Heft nicht. Die Beiträge sind zwar durchwegs interessant; das Spektrum reicht vom Schindelmacher über zeitgenössisches Bauen mit Holz bis zu Bildern der Yanomami in Brasiliens Urwald. Doch gerade das, was der Titel verspricht, findet nicht statt. Kein Wort über neue und neuste technische Entwicklungen. Dass Holz zum neuen alten Rohstoff des 21. Jahrhunderts werden kann, auch und gerade in den Industrieländern, haben die Macher des Heftes nicht erkannt. Ganz im Gegensatz zu einem reichen Schweizer Industriellen, der sein Engagement in der Schweiz zugunsten von Aktivitäten in der Holzwirtschaft Südamerikas aufgegeben hat, wie an anderer Stelle zu lesen ist.

Zu stark noch ist im Zusammenhang mit Holz offensichtlich das Bild einer bäuerlich-handwerklichen Tradition. Die Realität allerdings ist heute eine andere, eine hochindustrialisierte und computerisierte, der auch die Möbelschreinerei des Editorials zum Opfer gefallen ist. Das Heft ist zu stark in den Bann der Poesie der Keule geraten, um für das Kreischen der Motorsägen der Holzwirtschaft von heute noch ein Ohr zu haben. Das macht die Artikel nicht weniger lesenswert, nur weniger gegenwartsbezogen.


[ «Holz. Ein Material hebt ab». «du». Die Zeitschrift der Kultur. Heft Nr. 698, August 1999. TA-Media AG Zürich. Fr. 20.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Di., 1999.08.03

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Zahlreiche Artikel, unter anderem für die Neue Zürcher Zeitung, Zuschnitt, db. Eigene Bücher u.a.: Neue Holzarchitektur in Skandinavien,New wood architecture in Scandinavia, 1997.

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