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06. Juli 2023Rolf Mauer
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Kultur als Retter?

In der spanischen Provinz haben Magén Arquitectos einen beeindruckenden Bau realisiert, der alle Erwartungen erfüllt. Entstanden ist ein Theater von hoher Qualität, das sich in seiner Materialität gut in die Altstadt einfügt.

In der spanischen Provinz haben Magén Arquitectos einen beeindruckenden Bau realisiert, der alle Erwartungen erfüllt. Entstanden ist ein Theater von hoher Qualität, das sich in seiner Materialität gut in die Altstadt einfügt.

Architektur hat manchmal sehr schwierige Aufgaben zu erfüllen. Wir erinnern zum Beispiel an den viel zitierten Bilbao-Effekt – eine Umschreibung für die gezielte Aufwertung von Städten durch spektakuläre Bauten. Mit diesem Begriff benennt man die städtebauliche Situation in Bilbao im Zusammenhang mit dem im Jahr 1997 fertiggestellten Guggenheim-Museum des US-amerikanischen Architekten Frank O. Gehry.

Bilbao, eine Stadt, die unter dem Niedergang ihrer bedeutenden Industrie zu leiden hatte, erfand sich neu und ließ sich von dem amerikanischen Architekten Frank O. Gehry eine spektakuläre Architekturikone bauen. Diese Architektur wurde zum Symbol für die Neuerfindung der Stadt, die heute zu einer der bekanntesten Städte der Welt zählt.

Lernen von Bilbao?

Der Bilbao-Effekt wurde oft kopiert und fast immer ging es schief. Warum erzählen wir hier davon? Weil auch kleinere Städte versuchen, diesen Effekt zu kopieren, um ihre wirtschaftlichen und sozialen Strukturen, also ihre Lebensfähigkeit, zu erhalten. Ein ähnlicher Versuch, städtisches Leben durch Architektur zu fördern, startete im spanischen Illueca. Die Kleinstadt mit weniger als 3 000 Einwohnern liegt westlich von Zaragossa und ist das Verwaltungszentrum von Aranda, einem der am dünnsten besiedelten Gebiete Aragoniens. Jahrhundertelang lebte man hier als landwirtschaftliche Selbstversorger.

Um der Entvölkerung entgegenzuwirken und Freizeitangebote zu schaffen, schrieb der Stadtrat einen Wettbewerb für den Bau eines Theaters an der Stelle des alten Kinos aus. Obwohl Aragonien die viertgrößte Region Spaniens ist, gibt es keine Strände und eine eintönige Landschaft.

Das Fehlen jeglichen Massentourismus lässt diesen Teil des Landes sehr ursprünglich erscheinen. Trotzdem sucht man sein Heil im Tourismus, denn es fehlen schlicht Alternativen. Um das kulturelle Leben in Illueca zu fördern, schrieb die Stadtverwaltung einen Wettbewerb aus: Auf dem Gelände eines alten Kinos – wer braucht heute noch Kleinstadtkinos – sollte ein gemeinsamer Veranstaltungsort für Theater, Konzerte und Filmvorführungen entstehen, mit Platz für eine Musikschule und einem Proberaum für die Musiker des Ortes.
Den Wettbewerb gewann 2016 das Büro Magén Arquitectos aus dem nahe gelegenen Zaragoza, das von den Brüdern Jaime und Francisco Javier Magén geleitet wird. Das erfolgreiche Büro der beiden arbeitet bevorzugt in Spanien und Deutschland und wird international wahrgenommen.

Ziegel als Fassadenmaterial

Die geforderten 1 000 m² Nutzfläche wurden in ein Volumen gepackt, das im Inneren große Räume zulässt, von außen aber als kleinteilige und kleinstädtische Struktur wahrgenommen wird. Der Baukörper umschließt den vorher vom Kino besetzten städtischen Block entlang der östlichen Innenstadtgrenze und schließt im Norden an die dortige Wohnbebauung an. Die schmalen innerstädtischen Wege und die Blockränder wurden neu definiert. An der Stelle des Eingangs ist die Fassade zurückgesetzt und definiert auf unaufdringliche Art den Eingang zum Haus.

Die benachbarte Ruine des alten Kinos erschien den Eigentümern angesichts des Neubaus wohl zu schäbig, sodass hier ein Reinemachen durch Abriss stattfand. Eine städtebauliche Maßnahme, die noch nicht abgeschlossen ist. Lediglich eine neue Mauer grenzt die benachbarte innerstädtische Brache ab. Ob die Aufwertung des kulturellen Lebens in Illueca gelingt, wird auch davon abhängen, wie sich die unmittelbare Nachbarschaft weiterentwickelt. In jedem Fall haben die Architekten die Messlatte für die weitere Entwicklung dieses Areals hoch gelegt.

Um sich den ortsüblichen, massiv gebauten Fassaden mit ihren klein dimensionierten Fensteröffnungen anzupassen, wählten die Architekten den Ziegel als Fassadenmaterial und setzten zugleich auf die innenarchitektonischen Qualitäten dieses schönen Werkstoffes. Aus dem Foyer ergeben sich fein temperierte Ausblicke, die daraus resultieren, dass dieser Bau trotz massiver Ziegelwände außen und innen, sowie einer Sichtbetondecke eine grazile innenräumliche Ausstrahlung hat.

Unterschiedliche Ziegeloberflächen

Lochziegelwände, hinter denen sich eine Glasfassade mit Holzprofilen verbirgt, lockern die Fassade auf. Abhängig vom Sonnenstand beleben die dadurch entstehenden Schattenspiele die Wände. Gleichzeitig sind kleinformatige, pointiert gesetzte Fenster in die Fassade eingelassen. Sie wirken wie zufällig entstanden und zitieren damit die gebaute Nachbarschaft, deren Fassaden von unzähligen Umbauten erzählen.

Die Kleinteiligkeit der Fassade setzt sich im Inneren fort. Durch die Verwendung unterschiedlicher Ziegeloberflächen und -formate im Wechsel mit verputzten Wandflächen wirkt das Foyer wie ein überdachter städtischer Platz. Da die unmittelbar angrenzende, bebaute Nachbarschaft eine entsprechende Qualität noch vermissen lässt, hält man sich hier gerne auf. Das ist letztlich das Ziel des Auditoriums: Durch hochwertige Architektur eine Aufenthaltsqualität zu bieten, die dieses Haus mit Leben füllt. Ganzglasgeländer flankieren die Wege in den oberen Geschossen und steigern die Transparenz. Auch wenn wir uns wiederholen: Trotz massiver Wandscheiben und einer schweren Sichtbetondecke ist das im Grunde ein leicht wirkendes Haus.

Aufenthaltsqualität

Das eigentliche Theater mit seiner akustisch wirksamen, perforierten Holzverkleidung, der roten Bestuhlung und dem geschwungenen Dach unterstützt traditionelle Sehgewohnheiten. Der Saal bietet Platz für 224 Zuschauer, eine durchgehende Bestuhlung mit verschiedenen Bereichen, darunter ein leicht ansteigendes Parkett und Balkone im Oberrang.

Ob die seitlichen Balkone an allen Plätzen die notwendige Theaterqualität einer guten Sicht auf die Bühne bieten, darf bezweifelt werden. Zumal die Einzelsitze auch dem gemeinsamen Erleben entgegenwirken. Etwas Dialog braucht auch der Zuschauer, solange er diskret ist und nicht stört.

Die rote Bestuhlung zitiert die Farbe des Backsteins, ansonsten ist der Verzicht auf farbige Flächen einer der Gründe für die zurückhaltende Qualität des Auditoriums. Lässt sich der Bilbao-Effekt mit überdurchschnittlicher Architektur wiederholen? Nein, denn es war nicht die Architektur von Gehry, die Bilbao aus seiner Situation als „verrottende Industrieleiche“ rettete, sondern ein wirtschaftlicher Umbau mit dem Schwerpunkt Tourismus. Gehry setzte nur den pointierten Schlussstein.
Magén Arquitectos haben es konsequent vermieden, Architektur mit Bedeutung aufzuladen. Die wirklichen gesellschaftlichen Veränderungen gehen von den Menschen aus.

db, Do., 2023.07.06



verknüpfte Zeitschriften
db 2023|07 Material wirkt

01. Dezember 2008Rolf Mauer
db

Gegenüberstellung

Vor Jahren schied der Schweizer Architekt Kurt Hauenstein aus einer Zürcher Büropartnerschaft aus, um in Fläsch ein neues Büro zu eröffnen. Seine spezielle Ortskenntnis und die Erfahrung, die er sich mit zahlreichen Bauten und Sanierungen in Fläsch und im Kanton Graubünden aneignete, führten für sein eigenes Wohnhaus zu einem Entwurf, der in bäuerlicher Lebenskultur gründet und dörfliches Leben neu interpretiert. Hauenstein stellte einem alten Weinbauernhaus einen bewusst einfach gehaltenen, schroffen Betonkubus gegenüber, der sich überzeugend in Ort und Alpenlandschaft fügt.

Vor Jahren schied der Schweizer Architekt Kurt Hauenstein aus einer Zürcher Büropartnerschaft aus, um in Fläsch ein neues Büro zu eröffnen. Seine spezielle Ortskenntnis und die Erfahrung, die er sich mit zahlreichen Bauten und Sanierungen in Fläsch und im Kanton Graubünden aneignete, führten für sein eigenes Wohnhaus zu einem Entwurf, der in bäuerlicher Lebenskultur gründet und dörfliches Leben neu interpretiert. Hauenstein stellte einem alten Weinbauernhaus einen bewusst einfach gehaltenen, schroffen Betonkubus gegenüber, der sich überzeugend in Ort und Alpenlandschaft fügt.

Im größten Schweizer Kanton Graubünden ist der Rhein nur ein knietiefes Rinnsal. Erst der Zufluss von Schmelzwasser im Frühjahr vermittelt eine Ahnung, zu welcher Größe der Fluss auf seinem Weg in die Nordsee noch anschwillt. »Bündner Herrschaft« wird der Teil des Kantons Graubünden genannt, in dem das Dorf Fläsch liegt. Der Name geht zurück auf eine Zeit, als der Kreis als Freistaatskonstrukt von drei Schweizer Bünden politisch verwaltet wurde.

Fläsch mit seinen knapp 600 Einwohnern liegt im nördlichsten Teil der »Bündner Herrschaft« am Fuß des Fläscherberges. Seit dem 9. Jahrhundert wird hier Wein angebaut. 16 Weinbaubetriebe bewirtschaften heute 48 Hektar Rebland. Aus ihrer Mitte kommt der »Winzer des Jahres 2008«, Daniel Gantenbein, dessen Weingut anlässlich des Balthasar-Neumann-Preises 2008 mit einer Anerkennung ausgezeichnet wurde (siehe db 6/2008).

Fläsch ist im Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS) aufgeführt. Die Gemeinde will die Weinlagen, die teilweise im Ort liegen, erhalten und vor einer Überbauung schützen. Nach einem Entwurf der Hochschule für Technik und Wirtschaft Chur wurden ein Neugestaltungskonzept und ein neues Baugesetz vorgeschlagen, um im Dorfkern gelegene Weinlagen, die als Bauland (Kerngebiet) ausgewiesen wurden, zugunsten der weiteren landwirtschaftlichen Nutzung zu schützen. Angesichts der hohen Grundstückspreise wurde diese Maßnahme und die beabsichtigten Entschädigungen der Grundstücksbesitzer nicht ohne begleitende Neiddebatte geführt. Nach einer ersten Ablehnung in der Gemeindeversammlung im Jahr 2007 konnte die neuen Verordnungen erst Anfang November 2008 beschlossen werden. In diesem Umfeld erwarben der Architekt Kurt Hauenstein und seine Frau Marilies Düsterhaus, die vor zehn Jahren aus Zürich nach Fläsch gezogen waren, ein Grundstück in Randlage; mit einem Gebäudebestand aus einer Zeit, in der die Bündner Herrschaft noch bestand. Das vermutlich Anfang des 18. Jahrhunderts erbaute Bauernhaus wurde von Hauenstein von Grund auf saniert und der ursprüngliche Grundriss mit dem engen und steilen Treppenhaus und den beiden flankierenden Räumen wiederhergestellt.

Die Ausweisung des Grundstücks als bauliches »Kerngebiet« hätte auch einen Komplettabriss mit einem mehrgeschossigen Neubau ermöglicht. Hauenstein entschied sich aber für den Bestand und ersetzte nur die angebaute ehemalige Scheune durch einen Neubau.

Den massiven Wänden des Altbaus hat der Architekt die 50 cm dicken Wände des Neubaus mit einem Gesamtaufbau aus einer innen liegenden 11 cm dicken Fichtenschalung einschließlich Unterkonstruktion mit 14 cm Dämmung und 25 cm Sichtbeton gegenübergestellt. Der eingefärbte Ortbeton der Außenwand wurde abschließend zusätzlich anthrazit hydrophobiert und zitiert nicht nur die dunkel verwitterten Fassaden alter Scheunen, sondern auch die hinter dem Ort aufgehende schwarze Steilwand des Fläscherberges. Die Lochfassade des Neubaus hat ihre Entsprechung in den kleinteiligen Fenstern des alten Wohngebäudes. Die Fenster wurden so in die Kubatur gefügt, dass aus den nahe stehenden Nachbargebäuden kein Einblick möglich ist und jedes der Fenster einen genau komponierten Ausblick in die beeindruckende Kulisse der Schweizer Alpen ermöglicht.

Auf einem als Garage genutzten Sockelgeschoss stehend, sind die beiden Wohngeschosse nur andeutungsweise unterteilt und bilden über die gemeinsame Galerie einen großen Wohnraum, der im Obergeschoss von einem zentralen Kamin dominiert wird. Nebenräume wie Bäder, Toiletten und Aufzugsschacht sind im Zwischenbau untergebracht. Auch hier sind die Räume durch überraschende Ausblicke geprägt; so ist durch das gläserne Dach des oberen Bads eine Sichtbeziehung auf den nahen Berg gegeben. Auch wenn die vorhandene, abenteuerlich steile Treppe des Altbaus nicht modernem Komfortempfinden entspricht, wurde zugunsten eines Aufzuges auf ein weiteres Treppenhaus verzichtet. Zwar läuft der Bauherr diese Treppenanlage mittlerweile leichtfüßig herunter, der Besucher fühlt sich jedoch an einen bergsteigerischen Abstieg erinnert.

Bewusst lebt das Paar mit den Widersprüchen zwischen Alt und Neu. Der Bestand hätte nicht hinreichend gedämmt werden können, ohne dem Bau seinen Charakter zu nehmen. Auf eine thermische und lüftungstechnische Abschottung des Neubaus zum Altbau mit allen seinen offenen Fugen wurde verzichtet. Den »perfekten« Oberflächen im Neubau stehen die von Gebrauchsspuren gezeichneten Türen und Wandvertäfelungen im Altbau gegenüber. Vorgefundene Farbreste in der Küche wurden erhalten und konterkarieren den Perfektionismus einer mit modernsten Geräten ausgestatteten Küche mit ihrem hochpolierten Edelstahl. Umschlossen wird das Grundstück von einer dunklen Mauer aus Stampfbeton, die den typischen grob verputzten Bruchsteinmauern der Gegend formal entspricht. Auch die im Ortsbild häufig vorkommenden ehemaligen Viehtränken hat der Architekt mit einem monolithisch betonierten Brunnen auf seinem Grundstück zitiert.
»Casascura«, dunkles Haus, hat das Ehepaar sein Gebäudeensemble genannt. Der in den massiven Stahl des Hoftores geschnittene Name mag zwar vordergründig den Neubau umschreiben, tatsächlich findet er seinen Ursprung im Nachnamen der Hausherrin.

Für G. W. F. Hegel ist Harmonie ein Moment, in dem sich das qualitativ Verschiedene nicht nur als Gegensatz und Widerspruch darstellt, sondern »eine zusammenstimmende Einheit« bildet. Hauenstein spiegelte den vorgefundenen Grundriss des Altbaus und verbindet diesen gestalterischen Dialog mit einem gläsernen Zwischenbau zu einer architektonischen Gesamtaussage, in der Neu und Alt nebeneinander bestehen können. Bemerkenswert ist auch die »gespiegelte« Materialwahl für den Neubau: Rauer Sichtbeton steht einem grob verputzten Gebäude gegenüber. Die erhaltene Holzvertäfelung im alten Wohnraum und die Putzflächen im Altbau wurden in eine weiß gekalkte Holzschalung aus Fichte an den Innenseiten des Neubaus übersetzt und sind dort durchgängig über Wand- und Deckenflächen geführt. Als Mittler zwischen Alt und Neu dient ein durch alle Räumlichkeiten durchlaufender Eichenholzboden, der mit Kalkzusatz geölt und damit ebenfalls aufgehellt wurde. Es sind auch diese wenigen, aber gut überlegten Materialentscheidungen, die das Gebäudeensemble zu einer »zusammenstimmenden Einheit« machen.

db, Mo., 2008.12.01



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Am Weinberg - Weiterbauen im Bestand



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db 2008|12 Spätlese

01. Juni 2008Rolf Mauer
db

Letzigrund Stadion Zürich

JuryBegründung: Das Bauwerk fügt sich wie selbstverständlich und bescheiden ins Stadtbild und ist für ein Stadion angenehm unspektakulär. In der Durcharbeitung und Umsetzung wird die gemeinsame, gelungene Zusammenarbeit zwischen Architekt und Ingenieur deutlich.

JuryBegründung: Das Bauwerk fügt sich wie selbstverständlich und bescheiden ins Stadtbild und ist für ein Stadion angenehm unspektakulär. In der Durcharbeitung und Umsetzung wird die gemeinsame, gelungene Zusammenarbeit zwischen Architekt und Ingenieur deutlich.

Wer im Zürcher Stadtteil Altstetten den Letzigraben in Richtung FC Zürich Platz entlanggeht, trifft linker Hand, zwischen kleinbürgerlicher Wohnbebauung, auf das Freibad Letzigraben des Schweizer Schriftstellers und Architekten Max Frisch. Das 1949 eröffnete Bad blieb sein einziges größeres Gebäude und steht heute als Max-Frisch-Bad unter Denkmalschutz. Nur einige Schritte entfernt liegt das neue Stadion Letzigrund. Die räumliche Nähe der beiden Sportanlagen scheint auf den Entwurf des Stadionneubaus stillen Einfluss genommen zu haben. Die gewaltige Dachkonstruktion des Stadions senkt sich zum FC Zürich Platz so weit zur Straße, dass es wie eine angedeutete Fortführung der Traufhöhe des Freibades wirkt. Für die gesamte Anlage haben die Erlenbacher Architekten Bétrix & Consolascio in Zusammenarbeit mit den Ingenieuren Walt Galmarini eine Maßstäblichkeit gewählt, die für Stadionbauten ganz untypisch ist.

Ebenso untypisch ist bereits der Standort des Neubaus mitten in der Stadt. Weil durch große Ansammlungen von Menschen Probleme entstehen können, wählt man für Sportstätten städtische Randlagen oder erschließt außerstädtische Bereiche. Dort entstehen dann meist spektakuläre Architekturmarken, deren Sinnhaftigkeit nur wenig mehr als neunzig Minuten dauert und die danach wieder zu abgeschirmten, stark gesicherten Festungen geschlossen werden.

In Zürich-Altstetten ist alles anders. Das 1925 erbaute Vorgängerstadion lag anfangs noch außerhalb der Stadt in Sichtweite des Arbeiterviertels Aussersihl. Mit den Jahren umschloss Zürich den Bereich mit einer Mixtur aus Gewerbe- und Industrieareal, Banken- und Einkaufszonen sowie Wohnhochhäusern wie den Hardau-Türmen, die lange Zeit die höchsten Hochhäuser der Schweiz waren. Mitten in einem Wohnquartier gelegen wurde der Altbau trotz der Belastungen für die Anwohner ein populärer Identitätsträger. Um das geplante Abwandern sportlicher Veranstaltungen aus Zürich zu verhindern und die Teilnahme Zürichs an der »Euro 2008« zu sichern, blieb nur der Abriss und Ersatz des alten Stadions. Als Sieger eines 2003 veranstalteten Wettbewerbes mit zwölf eingeladenen Büros wurden die Architekten 2005 beauftragt, den Neubau noch im November 2005 an gleicher Stelle zu beginnen. Die Planer hatten sich für eine Absenkung der gesamten Spiel- und Leichtathletikfläche um etwa acht Meter unter das Straßenniveau der Herdernstraße entschieden und vergruben so einen Großteil des Gebäudevolumens in der Erde. Die etwa auf Straßenniveau befindlichen obersten Sitzreihen der Tribünen entlang der Herdernstraße variieren in der Höhe und bilden das natürliche Gefälle der Straße nach, während der geneigten Dachkonstruktion durch die niedrige Traufhöhe zur Herdernstraße hin viel von ihrer optischen Höhe genommen wird. Den Tribünen an der Herdernstrasse gegenüber befindet sich die Westtribüne, mit den VIP-Logen, Mannschafts- und Trainingsräumen sowie dem Restaurant »Oval«, von dem aus sich Stadion und Stadtviertel überblicken lassen. Der Haupteingang zum Tribünengebäude liegt auf der Ebene der neben dem Stadion gelegenen Trainingsfelder. Auf drei Seiten besitzt der Komplex keine Fassade und lässt einen ungehinderten Durchblick zu, nur von Westen her ist die Außenseite des Tribünengebäudes als geschlossenes Bauwerk wahrnehmbar.

Ein »fliegendes« Wahrzeichen

Über dem gesamten Rund »schwebt«, als flaches Band auf 31 Stützenpaaren stehend, eine aus der Horizontalen gekippte Dachkonstruktion. Die Stützenpaare nehmen die Druck- und Zugkräfte des Daches mit Auskragungen bis zu 32 Meter auf und sind trotz der unterschiedlichen Beanspruchungen annähernd in den gleichen Dimensionen ausgeführt. Alle Stützen wurden einzeln in einem dreidimensionalen Verfahren berechnet, um die gewaltige Hebelwirkung der bis 45 Meter langen und 52 Tonnen schweren Binder und die zusätzliche Dachlast zuverlässig ermitteln zu können. Eine Untersicht aus heller ungarischer Robinie lässt das Dach leicht erscheinen, die Verkleidung aus rostendem Cortenstahl dagegen die Zug- und Druckstützen vor dem Stadionhintergrund fast verschwinden. Die Wirkung eines schwebenden Daches könnte nicht überzeugender sein.

So wie sich der gesamte Neubau auf seine wesentlichen Bestandteile, Dach, Tribüne, Spielfeld reduziert darstellt, überzeugt auch der Innenausbau durch die Auswahl weniger Materialien mit einer sorgfältigen Detailplanung. Anthrazit eingefärbter Beton, Stahl und Glas bilden die vorherrschenden, gegeneinander scharf abgegrenzten Oberflächen. Dem Bonmot »Ist ein Gebäude(teil) zu lang, verlängere es« des Tessiner Architekten Luigi Snozzi folgend, sind die Flure des Tribünengebäudes nicht unterteilt, sondern durchziehen die gesamte Gebäudelänge mit einer surrealistischen Wirkung von Unendlichkeit. Generell ist eine Atmosphäre von Leichtigkeit und Offenheit zu spüren, die sich aus den Innenräumen nahtlos nach außen fortsetzt. Das Letzigrund Stadion ist nicht nur eine öffentliche Sportanlage, sondern steht den Anwohnern auch als städtische Freifläche zur Verfügung. Den Spagat aus den Sicherheitsanforderungen für internationale Sportveranstaltungen und der Durchlässigkeit einer öffentlichen Fläche bewältigten Bétrix & Consolascio, indem sie die Zugangskontrolle an den Rand der Gesamtanlage verlegten. Das Gelände ist mit einem Zaun aus senkrecht zur Straße stehenden Corten-Flachstählen abgetrennt, die eine ungehinderte Durchsicht ermöglichen und durch acht Tore unterbrochen sind. Bei Bedarf können die Tore geschlossen und mit Drehkreuzen kontrolliert werden, die übrige Zeit steht der Zugang zum Stadion, nicht jedoch die Spielfläche, jedem Besucher offen. Der innerstädtischen Lage geschuldet ist der Umstand, dass am Letzigrund keine Parkmöglichkeiten angeboten werden. Die fast 31000 Zuschauer von Sportveranstaltungen wie der »Euro 2008« und die knapp über 50000 Besucher von Konzerten sind gezwungen, mit öffentlichen Verkehrsmitteln anzureisen.

db, So., 2008.06.01



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Stadion Letzigrund



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db 2008|06 Balthasar-Neumann-Preis 2008

Presseschau 12

06. Juli 2023Rolf Mauer
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Kultur als Retter?

In der spanischen Provinz haben Magén Arquitectos einen beeindruckenden Bau realisiert, der alle Erwartungen erfüllt. Entstanden ist ein Theater von hoher Qualität, das sich in seiner Materialität gut in die Altstadt einfügt.

In der spanischen Provinz haben Magén Arquitectos einen beeindruckenden Bau realisiert, der alle Erwartungen erfüllt. Entstanden ist ein Theater von hoher Qualität, das sich in seiner Materialität gut in die Altstadt einfügt.

Architektur hat manchmal sehr schwierige Aufgaben zu erfüllen. Wir erinnern zum Beispiel an den viel zitierten Bilbao-Effekt – eine Umschreibung für die gezielte Aufwertung von Städten durch spektakuläre Bauten. Mit diesem Begriff benennt man die städtebauliche Situation in Bilbao im Zusammenhang mit dem im Jahr 1997 fertiggestellten Guggenheim-Museum des US-amerikanischen Architekten Frank O. Gehry.

Bilbao, eine Stadt, die unter dem Niedergang ihrer bedeutenden Industrie zu leiden hatte, erfand sich neu und ließ sich von dem amerikanischen Architekten Frank O. Gehry eine spektakuläre Architekturikone bauen. Diese Architektur wurde zum Symbol für die Neuerfindung der Stadt, die heute zu einer der bekanntesten Städte der Welt zählt.

Lernen von Bilbao?

Der Bilbao-Effekt wurde oft kopiert und fast immer ging es schief. Warum erzählen wir hier davon? Weil auch kleinere Städte versuchen, diesen Effekt zu kopieren, um ihre wirtschaftlichen und sozialen Strukturen, also ihre Lebensfähigkeit, zu erhalten. Ein ähnlicher Versuch, städtisches Leben durch Architektur zu fördern, startete im spanischen Illueca. Die Kleinstadt mit weniger als 3 000 Einwohnern liegt westlich von Zaragossa und ist das Verwaltungszentrum von Aranda, einem der am dünnsten besiedelten Gebiete Aragoniens. Jahrhundertelang lebte man hier als landwirtschaftliche Selbstversorger.

Um der Entvölkerung entgegenzuwirken und Freizeitangebote zu schaffen, schrieb der Stadtrat einen Wettbewerb für den Bau eines Theaters an der Stelle des alten Kinos aus. Obwohl Aragonien die viertgrößte Region Spaniens ist, gibt es keine Strände und eine eintönige Landschaft.

Das Fehlen jeglichen Massentourismus lässt diesen Teil des Landes sehr ursprünglich erscheinen. Trotzdem sucht man sein Heil im Tourismus, denn es fehlen schlicht Alternativen. Um das kulturelle Leben in Illueca zu fördern, schrieb die Stadtverwaltung einen Wettbewerb aus: Auf dem Gelände eines alten Kinos – wer braucht heute noch Kleinstadtkinos – sollte ein gemeinsamer Veranstaltungsort für Theater, Konzerte und Filmvorführungen entstehen, mit Platz für eine Musikschule und einem Proberaum für die Musiker des Ortes.
Den Wettbewerb gewann 2016 das Büro Magén Arquitectos aus dem nahe gelegenen Zaragoza, das von den Brüdern Jaime und Francisco Javier Magén geleitet wird. Das erfolgreiche Büro der beiden arbeitet bevorzugt in Spanien und Deutschland und wird international wahrgenommen.

Ziegel als Fassadenmaterial

Die geforderten 1 000 m² Nutzfläche wurden in ein Volumen gepackt, das im Inneren große Räume zulässt, von außen aber als kleinteilige und kleinstädtische Struktur wahrgenommen wird. Der Baukörper umschließt den vorher vom Kino besetzten städtischen Block entlang der östlichen Innenstadtgrenze und schließt im Norden an die dortige Wohnbebauung an. Die schmalen innerstädtischen Wege und die Blockränder wurden neu definiert. An der Stelle des Eingangs ist die Fassade zurückgesetzt und definiert auf unaufdringliche Art den Eingang zum Haus.

Die benachbarte Ruine des alten Kinos erschien den Eigentümern angesichts des Neubaus wohl zu schäbig, sodass hier ein Reinemachen durch Abriss stattfand. Eine städtebauliche Maßnahme, die noch nicht abgeschlossen ist. Lediglich eine neue Mauer grenzt die benachbarte innerstädtische Brache ab. Ob die Aufwertung des kulturellen Lebens in Illueca gelingt, wird auch davon abhängen, wie sich die unmittelbare Nachbarschaft weiterentwickelt. In jedem Fall haben die Architekten die Messlatte für die weitere Entwicklung dieses Areals hoch gelegt.

Um sich den ortsüblichen, massiv gebauten Fassaden mit ihren klein dimensionierten Fensteröffnungen anzupassen, wählten die Architekten den Ziegel als Fassadenmaterial und setzten zugleich auf die innenarchitektonischen Qualitäten dieses schönen Werkstoffes. Aus dem Foyer ergeben sich fein temperierte Ausblicke, die daraus resultieren, dass dieser Bau trotz massiver Ziegelwände außen und innen, sowie einer Sichtbetondecke eine grazile innenräumliche Ausstrahlung hat.

Unterschiedliche Ziegeloberflächen

Lochziegelwände, hinter denen sich eine Glasfassade mit Holzprofilen verbirgt, lockern die Fassade auf. Abhängig vom Sonnenstand beleben die dadurch entstehenden Schattenspiele die Wände. Gleichzeitig sind kleinformatige, pointiert gesetzte Fenster in die Fassade eingelassen. Sie wirken wie zufällig entstanden und zitieren damit die gebaute Nachbarschaft, deren Fassaden von unzähligen Umbauten erzählen.

Die Kleinteiligkeit der Fassade setzt sich im Inneren fort. Durch die Verwendung unterschiedlicher Ziegeloberflächen und -formate im Wechsel mit verputzten Wandflächen wirkt das Foyer wie ein überdachter städtischer Platz. Da die unmittelbar angrenzende, bebaute Nachbarschaft eine entsprechende Qualität noch vermissen lässt, hält man sich hier gerne auf. Das ist letztlich das Ziel des Auditoriums: Durch hochwertige Architektur eine Aufenthaltsqualität zu bieten, die dieses Haus mit Leben füllt. Ganzglasgeländer flankieren die Wege in den oberen Geschossen und steigern die Transparenz. Auch wenn wir uns wiederholen: Trotz massiver Wandscheiben und einer schweren Sichtbetondecke ist das im Grunde ein leicht wirkendes Haus.

Aufenthaltsqualität

Das eigentliche Theater mit seiner akustisch wirksamen, perforierten Holzverkleidung, der roten Bestuhlung und dem geschwungenen Dach unterstützt traditionelle Sehgewohnheiten. Der Saal bietet Platz für 224 Zuschauer, eine durchgehende Bestuhlung mit verschiedenen Bereichen, darunter ein leicht ansteigendes Parkett und Balkone im Oberrang.

Ob die seitlichen Balkone an allen Plätzen die notwendige Theaterqualität einer guten Sicht auf die Bühne bieten, darf bezweifelt werden. Zumal die Einzelsitze auch dem gemeinsamen Erleben entgegenwirken. Etwas Dialog braucht auch der Zuschauer, solange er diskret ist und nicht stört.

Die rote Bestuhlung zitiert die Farbe des Backsteins, ansonsten ist der Verzicht auf farbige Flächen einer der Gründe für die zurückhaltende Qualität des Auditoriums. Lässt sich der Bilbao-Effekt mit überdurchschnittlicher Architektur wiederholen? Nein, denn es war nicht die Architektur von Gehry, die Bilbao aus seiner Situation als „verrottende Industrieleiche“ rettete, sondern ein wirtschaftlicher Umbau mit dem Schwerpunkt Tourismus. Gehry setzte nur den pointierten Schlussstein.
Magén Arquitectos haben es konsequent vermieden, Architektur mit Bedeutung aufzuladen. Die wirklichen gesellschaftlichen Veränderungen gehen von den Menschen aus.

db, Do., 2023.07.06



verknüpfte Zeitschriften
db 2023|07 Material wirkt

01. Dezember 2008Rolf Mauer
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Gegenüberstellung

Vor Jahren schied der Schweizer Architekt Kurt Hauenstein aus einer Zürcher Büropartnerschaft aus, um in Fläsch ein neues Büro zu eröffnen. Seine spezielle Ortskenntnis und die Erfahrung, die er sich mit zahlreichen Bauten und Sanierungen in Fläsch und im Kanton Graubünden aneignete, führten für sein eigenes Wohnhaus zu einem Entwurf, der in bäuerlicher Lebenskultur gründet und dörfliches Leben neu interpretiert. Hauenstein stellte einem alten Weinbauernhaus einen bewusst einfach gehaltenen, schroffen Betonkubus gegenüber, der sich überzeugend in Ort und Alpenlandschaft fügt.

Vor Jahren schied der Schweizer Architekt Kurt Hauenstein aus einer Zürcher Büropartnerschaft aus, um in Fläsch ein neues Büro zu eröffnen. Seine spezielle Ortskenntnis und die Erfahrung, die er sich mit zahlreichen Bauten und Sanierungen in Fläsch und im Kanton Graubünden aneignete, führten für sein eigenes Wohnhaus zu einem Entwurf, der in bäuerlicher Lebenskultur gründet und dörfliches Leben neu interpretiert. Hauenstein stellte einem alten Weinbauernhaus einen bewusst einfach gehaltenen, schroffen Betonkubus gegenüber, der sich überzeugend in Ort und Alpenlandschaft fügt.

Im größten Schweizer Kanton Graubünden ist der Rhein nur ein knietiefes Rinnsal. Erst der Zufluss von Schmelzwasser im Frühjahr vermittelt eine Ahnung, zu welcher Größe der Fluss auf seinem Weg in die Nordsee noch anschwillt. »Bündner Herrschaft« wird der Teil des Kantons Graubünden genannt, in dem das Dorf Fläsch liegt. Der Name geht zurück auf eine Zeit, als der Kreis als Freistaatskonstrukt von drei Schweizer Bünden politisch verwaltet wurde.

Fläsch mit seinen knapp 600 Einwohnern liegt im nördlichsten Teil der »Bündner Herrschaft« am Fuß des Fläscherberges. Seit dem 9. Jahrhundert wird hier Wein angebaut. 16 Weinbaubetriebe bewirtschaften heute 48 Hektar Rebland. Aus ihrer Mitte kommt der »Winzer des Jahres 2008«, Daniel Gantenbein, dessen Weingut anlässlich des Balthasar-Neumann-Preises 2008 mit einer Anerkennung ausgezeichnet wurde (siehe db 6/2008).

Fläsch ist im Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS) aufgeführt. Die Gemeinde will die Weinlagen, die teilweise im Ort liegen, erhalten und vor einer Überbauung schützen. Nach einem Entwurf der Hochschule für Technik und Wirtschaft Chur wurden ein Neugestaltungskonzept und ein neues Baugesetz vorgeschlagen, um im Dorfkern gelegene Weinlagen, die als Bauland (Kerngebiet) ausgewiesen wurden, zugunsten der weiteren landwirtschaftlichen Nutzung zu schützen. Angesichts der hohen Grundstückspreise wurde diese Maßnahme und die beabsichtigten Entschädigungen der Grundstücksbesitzer nicht ohne begleitende Neiddebatte geführt. Nach einer ersten Ablehnung in der Gemeindeversammlung im Jahr 2007 konnte die neuen Verordnungen erst Anfang November 2008 beschlossen werden. In diesem Umfeld erwarben der Architekt Kurt Hauenstein und seine Frau Marilies Düsterhaus, die vor zehn Jahren aus Zürich nach Fläsch gezogen waren, ein Grundstück in Randlage; mit einem Gebäudebestand aus einer Zeit, in der die Bündner Herrschaft noch bestand. Das vermutlich Anfang des 18. Jahrhunderts erbaute Bauernhaus wurde von Hauenstein von Grund auf saniert und der ursprüngliche Grundriss mit dem engen und steilen Treppenhaus und den beiden flankierenden Räumen wiederhergestellt.

Die Ausweisung des Grundstücks als bauliches »Kerngebiet« hätte auch einen Komplettabriss mit einem mehrgeschossigen Neubau ermöglicht. Hauenstein entschied sich aber für den Bestand und ersetzte nur die angebaute ehemalige Scheune durch einen Neubau.

Den massiven Wänden des Altbaus hat der Architekt die 50 cm dicken Wände des Neubaus mit einem Gesamtaufbau aus einer innen liegenden 11 cm dicken Fichtenschalung einschließlich Unterkonstruktion mit 14 cm Dämmung und 25 cm Sichtbeton gegenübergestellt. Der eingefärbte Ortbeton der Außenwand wurde abschließend zusätzlich anthrazit hydrophobiert und zitiert nicht nur die dunkel verwitterten Fassaden alter Scheunen, sondern auch die hinter dem Ort aufgehende schwarze Steilwand des Fläscherberges. Die Lochfassade des Neubaus hat ihre Entsprechung in den kleinteiligen Fenstern des alten Wohngebäudes. Die Fenster wurden so in die Kubatur gefügt, dass aus den nahe stehenden Nachbargebäuden kein Einblick möglich ist und jedes der Fenster einen genau komponierten Ausblick in die beeindruckende Kulisse der Schweizer Alpen ermöglicht.

Auf einem als Garage genutzten Sockelgeschoss stehend, sind die beiden Wohngeschosse nur andeutungsweise unterteilt und bilden über die gemeinsame Galerie einen großen Wohnraum, der im Obergeschoss von einem zentralen Kamin dominiert wird. Nebenräume wie Bäder, Toiletten und Aufzugsschacht sind im Zwischenbau untergebracht. Auch hier sind die Räume durch überraschende Ausblicke geprägt; so ist durch das gläserne Dach des oberen Bads eine Sichtbeziehung auf den nahen Berg gegeben. Auch wenn die vorhandene, abenteuerlich steile Treppe des Altbaus nicht modernem Komfortempfinden entspricht, wurde zugunsten eines Aufzuges auf ein weiteres Treppenhaus verzichtet. Zwar läuft der Bauherr diese Treppenanlage mittlerweile leichtfüßig herunter, der Besucher fühlt sich jedoch an einen bergsteigerischen Abstieg erinnert.

Bewusst lebt das Paar mit den Widersprüchen zwischen Alt und Neu. Der Bestand hätte nicht hinreichend gedämmt werden können, ohne dem Bau seinen Charakter zu nehmen. Auf eine thermische und lüftungstechnische Abschottung des Neubaus zum Altbau mit allen seinen offenen Fugen wurde verzichtet. Den »perfekten« Oberflächen im Neubau stehen die von Gebrauchsspuren gezeichneten Türen und Wandvertäfelungen im Altbau gegenüber. Vorgefundene Farbreste in der Küche wurden erhalten und konterkarieren den Perfektionismus einer mit modernsten Geräten ausgestatteten Küche mit ihrem hochpolierten Edelstahl. Umschlossen wird das Grundstück von einer dunklen Mauer aus Stampfbeton, die den typischen grob verputzten Bruchsteinmauern der Gegend formal entspricht. Auch die im Ortsbild häufig vorkommenden ehemaligen Viehtränken hat der Architekt mit einem monolithisch betonierten Brunnen auf seinem Grundstück zitiert.
»Casascura«, dunkles Haus, hat das Ehepaar sein Gebäudeensemble genannt. Der in den massiven Stahl des Hoftores geschnittene Name mag zwar vordergründig den Neubau umschreiben, tatsächlich findet er seinen Ursprung im Nachnamen der Hausherrin.

Für G. W. F. Hegel ist Harmonie ein Moment, in dem sich das qualitativ Verschiedene nicht nur als Gegensatz und Widerspruch darstellt, sondern »eine zusammenstimmende Einheit« bildet. Hauenstein spiegelte den vorgefundenen Grundriss des Altbaus und verbindet diesen gestalterischen Dialog mit einem gläsernen Zwischenbau zu einer architektonischen Gesamtaussage, in der Neu und Alt nebeneinander bestehen können. Bemerkenswert ist auch die »gespiegelte« Materialwahl für den Neubau: Rauer Sichtbeton steht einem grob verputzten Gebäude gegenüber. Die erhaltene Holzvertäfelung im alten Wohnraum und die Putzflächen im Altbau wurden in eine weiß gekalkte Holzschalung aus Fichte an den Innenseiten des Neubaus übersetzt und sind dort durchgängig über Wand- und Deckenflächen geführt. Als Mittler zwischen Alt und Neu dient ein durch alle Räumlichkeiten durchlaufender Eichenholzboden, der mit Kalkzusatz geölt und damit ebenfalls aufgehellt wurde. Es sind auch diese wenigen, aber gut überlegten Materialentscheidungen, die das Gebäudeensemble zu einer »zusammenstimmenden Einheit« machen.

db, Mo., 2008.12.01



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db 2008|12 Spätlese

01. Juni 2008Rolf Mauer
db

Letzigrund Stadion Zürich

JuryBegründung: Das Bauwerk fügt sich wie selbstverständlich und bescheiden ins Stadtbild und ist für ein Stadion angenehm unspektakulär. In der Durcharbeitung und Umsetzung wird die gemeinsame, gelungene Zusammenarbeit zwischen Architekt und Ingenieur deutlich.

JuryBegründung: Das Bauwerk fügt sich wie selbstverständlich und bescheiden ins Stadtbild und ist für ein Stadion angenehm unspektakulär. In der Durcharbeitung und Umsetzung wird die gemeinsame, gelungene Zusammenarbeit zwischen Architekt und Ingenieur deutlich.

Wer im Zürcher Stadtteil Altstetten den Letzigraben in Richtung FC Zürich Platz entlanggeht, trifft linker Hand, zwischen kleinbürgerlicher Wohnbebauung, auf das Freibad Letzigraben des Schweizer Schriftstellers und Architekten Max Frisch. Das 1949 eröffnete Bad blieb sein einziges größeres Gebäude und steht heute als Max-Frisch-Bad unter Denkmalschutz. Nur einige Schritte entfernt liegt das neue Stadion Letzigrund. Die räumliche Nähe der beiden Sportanlagen scheint auf den Entwurf des Stadionneubaus stillen Einfluss genommen zu haben. Die gewaltige Dachkonstruktion des Stadions senkt sich zum FC Zürich Platz so weit zur Straße, dass es wie eine angedeutete Fortführung der Traufhöhe des Freibades wirkt. Für die gesamte Anlage haben die Erlenbacher Architekten Bétrix & Consolascio in Zusammenarbeit mit den Ingenieuren Walt Galmarini eine Maßstäblichkeit gewählt, die für Stadionbauten ganz untypisch ist.

Ebenso untypisch ist bereits der Standort des Neubaus mitten in der Stadt. Weil durch große Ansammlungen von Menschen Probleme entstehen können, wählt man für Sportstätten städtische Randlagen oder erschließt außerstädtische Bereiche. Dort entstehen dann meist spektakuläre Architekturmarken, deren Sinnhaftigkeit nur wenig mehr als neunzig Minuten dauert und die danach wieder zu abgeschirmten, stark gesicherten Festungen geschlossen werden.

In Zürich-Altstetten ist alles anders. Das 1925 erbaute Vorgängerstadion lag anfangs noch außerhalb der Stadt in Sichtweite des Arbeiterviertels Aussersihl. Mit den Jahren umschloss Zürich den Bereich mit einer Mixtur aus Gewerbe- und Industrieareal, Banken- und Einkaufszonen sowie Wohnhochhäusern wie den Hardau-Türmen, die lange Zeit die höchsten Hochhäuser der Schweiz waren. Mitten in einem Wohnquartier gelegen wurde der Altbau trotz der Belastungen für die Anwohner ein populärer Identitätsträger. Um das geplante Abwandern sportlicher Veranstaltungen aus Zürich zu verhindern und die Teilnahme Zürichs an der »Euro 2008« zu sichern, blieb nur der Abriss und Ersatz des alten Stadions. Als Sieger eines 2003 veranstalteten Wettbewerbes mit zwölf eingeladenen Büros wurden die Architekten 2005 beauftragt, den Neubau noch im November 2005 an gleicher Stelle zu beginnen. Die Planer hatten sich für eine Absenkung der gesamten Spiel- und Leichtathletikfläche um etwa acht Meter unter das Straßenniveau der Herdernstraße entschieden und vergruben so einen Großteil des Gebäudevolumens in der Erde. Die etwa auf Straßenniveau befindlichen obersten Sitzreihen der Tribünen entlang der Herdernstraße variieren in der Höhe und bilden das natürliche Gefälle der Straße nach, während der geneigten Dachkonstruktion durch die niedrige Traufhöhe zur Herdernstraße hin viel von ihrer optischen Höhe genommen wird. Den Tribünen an der Herdernstrasse gegenüber befindet sich die Westtribüne, mit den VIP-Logen, Mannschafts- und Trainingsräumen sowie dem Restaurant »Oval«, von dem aus sich Stadion und Stadtviertel überblicken lassen. Der Haupteingang zum Tribünengebäude liegt auf der Ebene der neben dem Stadion gelegenen Trainingsfelder. Auf drei Seiten besitzt der Komplex keine Fassade und lässt einen ungehinderten Durchblick zu, nur von Westen her ist die Außenseite des Tribünengebäudes als geschlossenes Bauwerk wahrnehmbar.

Ein »fliegendes« Wahrzeichen

Über dem gesamten Rund »schwebt«, als flaches Band auf 31 Stützenpaaren stehend, eine aus der Horizontalen gekippte Dachkonstruktion. Die Stützenpaare nehmen die Druck- und Zugkräfte des Daches mit Auskragungen bis zu 32 Meter auf und sind trotz der unterschiedlichen Beanspruchungen annähernd in den gleichen Dimensionen ausgeführt. Alle Stützen wurden einzeln in einem dreidimensionalen Verfahren berechnet, um die gewaltige Hebelwirkung der bis 45 Meter langen und 52 Tonnen schweren Binder und die zusätzliche Dachlast zuverlässig ermitteln zu können. Eine Untersicht aus heller ungarischer Robinie lässt das Dach leicht erscheinen, die Verkleidung aus rostendem Cortenstahl dagegen die Zug- und Druckstützen vor dem Stadionhintergrund fast verschwinden. Die Wirkung eines schwebenden Daches könnte nicht überzeugender sein.

So wie sich der gesamte Neubau auf seine wesentlichen Bestandteile, Dach, Tribüne, Spielfeld reduziert darstellt, überzeugt auch der Innenausbau durch die Auswahl weniger Materialien mit einer sorgfältigen Detailplanung. Anthrazit eingefärbter Beton, Stahl und Glas bilden die vorherrschenden, gegeneinander scharf abgegrenzten Oberflächen. Dem Bonmot »Ist ein Gebäude(teil) zu lang, verlängere es« des Tessiner Architekten Luigi Snozzi folgend, sind die Flure des Tribünengebäudes nicht unterteilt, sondern durchziehen die gesamte Gebäudelänge mit einer surrealistischen Wirkung von Unendlichkeit. Generell ist eine Atmosphäre von Leichtigkeit und Offenheit zu spüren, die sich aus den Innenräumen nahtlos nach außen fortsetzt. Das Letzigrund Stadion ist nicht nur eine öffentliche Sportanlage, sondern steht den Anwohnern auch als städtische Freifläche zur Verfügung. Den Spagat aus den Sicherheitsanforderungen für internationale Sportveranstaltungen und der Durchlässigkeit einer öffentlichen Fläche bewältigten Bétrix & Consolascio, indem sie die Zugangskontrolle an den Rand der Gesamtanlage verlegten. Das Gelände ist mit einem Zaun aus senkrecht zur Straße stehenden Corten-Flachstählen abgetrennt, die eine ungehinderte Durchsicht ermöglichen und durch acht Tore unterbrochen sind. Bei Bedarf können die Tore geschlossen und mit Drehkreuzen kontrolliert werden, die übrige Zeit steht der Zugang zum Stadion, nicht jedoch die Spielfläche, jedem Besucher offen. Der innerstädtischen Lage geschuldet ist der Umstand, dass am Letzigrund keine Parkmöglichkeiten angeboten werden. Die fast 31000 Zuschauer von Sportveranstaltungen wie der »Euro 2008« und die knapp über 50000 Besucher von Konzerten sind gezwungen, mit öffentlichen Verkehrsmitteln anzureisen.

db, So., 2008.06.01



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