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19. September 2013Matthias Messmer
Neue Zürcher Zeitung

Sprung ins Reich der Mitte

Mit dem Vogelnest genannten Olympiastadion in Peking schufen Herzog & de Meuron den wohl berühmtesten Neubau Chinas. Doch die Werke anderer Schweizer Architekten im Reich der Mitte kennt man kaum, wie ein Blick auf das Schaffen von von zwei jüngeren Architekten zeigt.

Mit dem Vogelnest genannten Olympiastadion in Peking schufen Herzog & de Meuron den wohl berühmtesten Neubau Chinas. Doch die Werke anderer Schweizer Architekten im Reich der Mitte kennt man kaum, wie ein Blick auf das Schaffen von von zwei jüngeren Architekten zeigt.

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20. Juli 2009Matthias Messmer
Neue Zürcher Zeitung

Bulldozer auf der Seidenstrasse

Wenn nicht bald etwas geschieht, wird in der westchinesischen Provinz Xinjiang ein Kulturfrevel stattfinden, der an die Zerstörung der Buddha-Statuen von Bamian erinnert. Die Behörden planen, die muslimische Altstadt von Kashgar an der Seidenstrasse fast ganz abzureissen.

Wenn nicht bald etwas geschieht, wird in der westchinesischen Provinz Xinjiang ein Kulturfrevel stattfinden, der an die Zerstörung der Buddha-Statuen von Bamian erinnert. Die Behörden planen, die muslimische Altstadt von Kashgar an der Seidenstrasse fast ganz abzureissen.

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26. März 2009Matthias Messmer
Neue Zürcher Zeitung

Stadt ohne Seele

Westliche Metropolen, die als globale Weltstädte wahrgenommen werden wollen, verweisen gerne auf ihre kulturelle und ethnische Vielfalt. New York auf Manhattans Chinatown, Berlin auf das von türkischen Immigranten bevorzugte Kreuzberg, Paris auf das Arbeiterviertel Goutte d'Or, in dem sich viele Nordafrikaner niedergelassen haben. Multikulturalität bedeutet im günstigsten Falle Toleranz. Auswärtige Besucher verbinden mit dem Begriff häufig eine Art Faszination des Exotischen.

Westliche Metropolen, die als globale Weltstädte wahrgenommen werden wollen, verweisen gerne auf ihre kulturelle und ethnische Vielfalt. New York auf Manhattans Chinatown, Berlin auf das von türkischen Immigranten bevorzugte Kreuzberg, Paris auf das Arbeiterviertel Goutte d'Or, in dem sich viele Nordafrikaner niedergelassen haben. Multikulturalität bedeutet im günstigsten Falle Toleranz. Auswärtige Besucher verbinden mit dem Begriff häufig eine Art Faszination des Exotischen.

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08. Dezember 2008Matthias Messmer
Neue Zürcher Zeitung

Sehnsucht nach dem Unvergänglichen

Die Modernisierung Chinas manifestiert sich besonders auffällig in den Silhouetten der Grossstädte. In Schanghais Finanzdistrikt entstehen immer höhere Wolkenkratzer. Die Architektur des frühen 20. Jahrhunderts wird nur noch als museale Staffage wahrgenommen. Dabei haben gerade Laszlo Hudecs Bauten nichts von ihrem Charme eingebüsst.

Die Modernisierung Chinas manifestiert sich besonders auffällig in den Silhouetten der Grossstädte. In Schanghais Finanzdistrikt entstehen immer höhere Wolkenkratzer. Die Architektur des frühen 20. Jahrhunderts wird nur noch als museale Staffage wahrgenommen. Dabei haben gerade Laszlo Hudecs Bauten nichts von ihrem Charme eingebüsst.

«Ehret das Alte» lautet eine von Konfuzius' Lehrmeinungen, und glücklicherweise erlebt diese Aussage des Philosophen auch im Zeitalter des ungebändigten Baubooms eine bescheidene Renaissance. Zumindest bei Leuten, die etwas mehr von der reichen Kunst- und Architekturgeschichte Schanghais verstehen als jene, die ohne Zaudern und Gewissen Baubewilligungen für gesichtslose, dafür umso protzigere Bauprojekte vergeben. Unbarmherzig frisst sich die Moderne durch alte Quartiere und einst liebevoll gepflegte Lebensräume hindurch und macht – wenn überhaupt – erst Stopp vor jenen architektonischen Juwelen, auf die die Stadtregierung wegen ihrer Anziehungskraft auf Besucher aus der ganzen Welt angewiesen ist.

Art-déco-Freilichtmuseum

Eileen Chang, André Malraux, Vicki Baum und andere Schriftsteller haben dem Schanghai der 1930er Jahre literarische Denkmäler gesetzt. Doch der Charme des vorrevolutionären «Paris des Ostens» liegt greifbarer noch in den hinter Mauern und Bäumen versteckten Villen der ehemaligen französischen Konzession oder in kunstvollen Altbauwohnungen, Theatern und Kinopalästen. Zwar sind die Mieter von damals längst ausgezogen, öffentliche Räume sind zweckentfremdet und wertvolle Innendekorationen für immer zerstört oder verloren gegangen. Stehengeblieben sind aber prächtige Hausfassaden, hinter denen sich manchmal neues, manchmal aber auch gar kein Leben mehr breitmacht. Selbst das vielerorts aufgrund der Einwirkungen von Krieg und Revolution verblichene Äussere erinnert mitunter noch an die ebenso eigenwillige wie glanzvolle Vergangenheit.

Der Ungar Laszlo Hudec zählte zusammen mit den Franzosen Leonard, Veysseyre und Kruze oder dem Amerikaner Hazzard zu jenen Architekten, welche Schanghai durch ihr Wirken einen westlichen Stempel aufgedrückt haben. Mit mehr als sechzig innerhalb von knapp drei Jahrzehnten realisierten Gebäuden – darunter Villen, Wohnblöcke, Spitäler, Kirchen, Hotels, Banken, Schulen und sogar eine Brauerei sowie ein Elektrizitätswerk – galt der 1893 in der heutigen Slowakei geborene Hudec als einer der produktivsten Vertreter seiner Zunft. Dabei verlief seine Karriere keineswegs kontinuierlich: Als junger Offizier der Habsburgermonarchie wurde er 1916 von den Russen gefangen genommen und nach Sibirien verbannt. Nach zwei Jahren gelang ihm die Flucht, zuerst nach Wladiwostok, dann nach Harbin. Schliesslich fand er den Weg nach Schanghai.

Arbeitgeber aus Ost und West

Nach einer kurzen Anstellung beim amerikanischen Architekturbüro R. A. Curry gründete Hudec 1925 seine eigene Firma. Fortan zählte er zu den führenden Baukünstlern der Stadt und machte sich vor allem wegen seines ebenso innovativen wie eleganten Stils einen Namen. Als Hudecs Meisterstück gilt das im Art-déco-Stil entworfene und 1934 eröffnete Parkhotel in Schanghai. Es war damals das höchste Gebäude im Fernen Osten und lag in unmittelbarer Nähe der Pferderennbahn, wo sich heute der Volksplatz befindet. Das zeitlose, linienbetonte Design dieses Gebäudes mit dem ausfahrbaren Dach direkt über dem Nachtklub im 22. Stock beeinflusste einst Ieoh Ming Pei, Chinas derzeit berühmtestem Architekten, bei seiner Berufswahl, wie er selbst einmal betonte.

Hudec war keineswegs nur dem Art-déco zugetan, jenem Stil, der Schanghai ähnlich wie Miami Beach oder Melbourne nachhaltig prägte. Der bei westlichen wie chinesischen Auftraggebern gleichermassen beliebte Architekt selbst wohnte viele Jahre in einem Haus im englischen Landhausstil mit weitläufiger Grünanlage. Das auf einem Ziegelsteinfundament gebaute Riegelhaus mit dem übergrossen Kamin hatte ihm und seiner Familie vielleicht jenes Heimatgefühl vermittelt, das er hier vermisste. Heute steht es verfallen und verlassen da, inmitten eines verwilderten Gartens. Der Putz fällt von den Wänden, und die Stuckdecke spiegelt lediglich noch die Geschichte einer kulturell glanzvolleren Zeit wider. Leider sind noch immer viele Meisterwerke von Hudec für den Normalbesucher unzugänglich. Immerhin hat das Büro der Schanghaier Denkmalpflege bei der Mehrzahl der von Hudec konzipierten Gebäude Tafeln anbringen lassen, die dem Betrachter Kurzinformationen bieten.

In Hudecs Arbeiten spielten auch die gotisch geformten Fenster immer wieder eine Rolle, wie etwa in der Ende der zwanziger Jahre im spanischen Stile errichteten crèmefarbenen Villa von Sun Fo, dem Sohn des Republikgründers Sun Yat-sen. Heute beherbergt das an der einstigen Columbia Road (Pan Yu Lu) gelegene grosszügige Haus mit der lauschigen Parkanlage und dem chinesisch angehauchten Teich im Innenhof ein Institut für biologische Forschung.

Nach einem einjährigen Studienaufenthalt in den USA kehrte Hudec 1928 nach Schanghai zurück, voll von Eindrücken von Hochhäusern und den Ideen des Modernismus. Diese liess er beispielsweise in seine Entwürfe für den Bau des Grand Theatre an der Nanjing Road einfliessen: Das stromlinienförmige, mit Keramikkacheln verkleidete Kinotheater bot 2400 Zuschauern Platz, wobei jeder von diesen Plätzen mit Kopfhörern zur Simultanübersetzung ausgerüstet war. Nicht weniger modern wirkt auch heute noch die 1938 fertiggestellte Wu-Residenz, die heute unter anderem ein Restaurant beherbergt und wegen ihrer Farbe auch das «Grüne Haus» genannt wird: Der Färbereibesitzer Wu Tongwen hatte Hudec gebeten, das modernste Privathaus in ganz Schanghai zu bauen. Daraus resultierte eine der geräumigsten und luxuriösesten Residenzen in ganz Fernost, die westlichen Luxus, nämlich einen elektrischen Fahrstuhl, mit chinesischen Bedürfnissen – etwa einer Ahnenhalle – ebenso gekonnt wie funktionell kombinierte.

Vielfältiges Schaffen

Hudec trug bis 1947 zum grossartigen architektonischen Erbe des Westens in Schanghai bei. Ab 1941 wirkte er daneben auch noch als ungarischer Honorarkonsul. Angesichts der unsicheren Lage während des Bürgerkriegs emigrierte er, wie die meisten Ausländer, nach Übersee. Anfänglich lebte er eine Zeitlang in Lausanne und in Italien, später in Berkeley, wo er einen Lehrauftrag annahm. 1958 starb er an einer Herzattacke. Zum fünfzigsten Todesjahr ist ihm das «Hudec-Jahr» mit Symposien und Publikationen gewidmet (www.hudec.sh).

Die zum Gedenken an Hudec und sein vielfältiges Schaffen passendste Örtlichkeit befindet sich wohl im Westen Schanghais: Dort, an vergleichsweise ruhigem Ort in unmittelbarer Nähe des Zoos, errichtete der begnadete Baukünstler 1925 mit einer katholischen Begräbniskirche einen anmutigen Andachtsraum im byzantinischen Stil, der wie geschaffen dazu ist, über das vorrevolutionäre Schanghai und seinen kosmopolitischen Hintergrund nachzusinnen. Zahlreiche Geschichten und Schicksale dieser faszinierenden Metropole liegen noch im Dunkeln und werden vermutlich für immer vergessen gehen. Neue Arbeiten über Hudec und sein Wirken haben einige davon ans Licht gebracht. Die Seele seiner eindrucksvollen Bauten lebt weiter.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2008.12.08

12. Januar 2008Matthias Messmer
Neue Zürcher Zeitung

Ein Riesenei als leise Provokation

Der Vogel kam aus der Ferne. Vor acht Jahren. Und wurde unter mehr als vierzig Konkurrenten auserwählt, ein Ei mitten in eine Umgebung hineinzulegen, die...

Der Vogel kam aus der Ferne. Vor acht Jahren. Und wurde unter mehr als vierzig Konkurrenten auserwählt, ein Ei mitten in eine Umgebung hineinzulegen, die...

Der Vogel kam aus der Ferne. Vor acht Jahren. Und wurde unter mehr als vierzig Konkurrenten auserwählt, ein Ei mitten in eine Umgebung hineinzulegen, die ihm fremd in jeder Hinsicht war. Um das Ausbrüten haben viele ihn beneidet. Mit Geduld verstand er es jedoch, Nörgler und Besserwisser von seiner Sache zu überzeugen. Kurz vor Weihnachten war es dann so weit: Eine Melange von Tönen und Stimmen erklang aus dem wundersamen Ei, das fast jedermann, der es gesehen hat, gleichermassen fasziniert wie provoziert. – Zu solchen Bildern regt Chinas jüngstes Architekturwunder an: das vom Franzosen Paul Andreu entworfene grosse Nationaltheater in Peking, welches im Volksmund wegen seiner Form «das Riesenei» genannt wird. Vor fünfzig Jahren bereits hatte Zhou Enlai, der erste Ministerpräsident der Volksrepublik, den Vorschlag für den Bau einer solchen Kulturinstitution gemacht. Innenpolitische Gründe hatten seinen Plänen damals einen Strich durch die Rechnung gemacht. Dank dem früheren Staatspräsidenten Jiang Zemin, einem Opernliebhaber, sowie dem Bedürfnis des Landes nach internationaler Anerkennung als Weltmacht und Kulturnation wurde schliesslich die Realisierung dieses Grossprojektes möglich.

Kritik und Widerstände

Der Wunsch der Führung, sich trotz kommunistischer Ideologie und der Hinwendung auf die eigenen Traditionen weltoffen zu geben und dabei dem Westen zu gefallen, äussert sich in einer ganzen Reihe von Monumentalbauten, die von ausländischen Architektenstars in den letzten Jahren für die Hauptstadt konzipiert wurden: dem Olympiastadion von Herzog & de Meuron, dem CCTV-Fernsehgebäude von Rem Koolhaas oder dem neuen Flughafen von Norman Foster. Wie bei der Realisierung solcher Megaprojekte nicht anders zu erwarten war, hatte auch Paul Andreu zu kämpfen. Kritiker wie Alfred Peng, Architekturprofessor an der renommierten Qinghua-Universität, warfen Andreu vor, «keine Ahnung von chinesischer Kultur zu haben». Eine Hauptstadt müsse die Seele der Nation widerspiegeln, lautete Pengs Überzeugung. Das futuristische Gebäude entspreche aber eher einem über einem See schwebenden Raumschiff oder, in der Nacht, einer im Wasser treibenden, leuchtenden Perle. Anderen Opponenten stiess die Nachbarschaft eines dem Land fremden Opernhauses zur chinesisch geprägten Verbotenen Stadt sauer auf. Dass allerdings auch der getreu dem Vorbild stalinistischer Architektur in den 1950er Jahren erbaute Nationale Volkskongress in unmittelbarer Nähe wenig mit Chinas Traditionen zu tun hat, übersah man bei der Diskussion geflissentlich.

Immer wieder wurden die Arbeiten an Andreus Mammutbau, der eigentlich vor drei Jahren schon hätte eröffnet werden sollen, unterbrochen. In zwei Petitionen an die oberste Staatsführung beanstandeten Wissenschafter und Architekten überdies die enormen Kosten (ungefähr 450 Millionen Franken wurden schliesslich aufgewendet) und monierten, die aus Glas und Titan gebaute Schale des Eies sei angesichts der Pekinger Witterungsbedingungen ökologisch wenig sinnvoll konzipiert. Dass im Jahre 2004 ausgerechnet das Dach eines von Andreu entworfenen Flughafengebäudes in Paris einstürzte, rief schliesslich jene Gegner auf den Plan, die von Anfang an Sicherheitsbedenken vorgebracht hatten.

All diesen Widrigkeiten zum Trotz war es am vergangenen 22. Dezember so weit: Anlässlich der Eröffnung des «National Centre for the Performing Arts» – wie das grosse Nationaltheater in englischer Sprache offiziell heisst – präsentierte man dem begeisterten Publikum eine Auswahl an westlichen und chinesischen Musikstücken, mit zwei Dirigenten und Orchestern, vier Chören und einem halben Dutzend Solisten. Das «Riesenei» mit einer Grundfläche von 150 000 Quadratmetern beherbergt drei verschiedene Hallen mit insgesamt 6500 Sitzplätzen: für Theatervorstellungen, Konzerte und Opernaufführungen. Sie sind durch einen einzigen Tunnel erreichbar, der unter dem Teich hindurchführt, der das Gebäude umgibt. Auch das Innere des Komplexes weckt mit seinem Labyrinth von Gängen und Rolltreppen nicht jenes Gefühl von räumlicher Grosszügigkeit, welches die ovale Kuppel von aussen suggeriert.

Musik und Tanz

Bei der Programmierung setzt man in der ersten Saison, die bis zum 6. April läuft, weitgehend auf ausländische Persönlichkeiten wie den Dirigenten Lorin Maazel (mit der New Yorker Philharmonie). Weiter stehen das St. Petersburger Kirow-Ballett mit dem «Korsaren» ebenso auf dem Programm wie die Schanghaier Oper mit «Othello» oder das chinesische Nationalballett mit «Romeo und Julia». Auch die Tanztruppe der Volksbefreiungsarmee darf mit der Revolutionsoper «Schwester Jiang» ihre Künste vorführen. Das kunterbunte Allerlei an klassischer Musik, Ballett und Theater, das Fehlen eines schlüssigen künstlerischen Konzepts sowie das Nichtvorhandensein eines eigenen Ensembles wurden von internationalen Kritikern bereits bemängelt. Aus westlicher Sicht mögen diese Einwände gelten. Doch in vielen zivilgesellschaftlichen Bereichen versucht China begierig aufzuholen, was Partei und Staat durch menschenfeindliche Politik im Laufe der Jahrzehnte zerstört haben. Auch Andreus Opernhaus muss erst zu sich selbst finden. So mögen genüsslich während einer Vorstellung schmatzende oder fotografierende Besucher auch im «Riesenei» noch eine Weile zum Alltag gehören. Doch das wird die Harmonie im Grossen und Ganzen wenig stören.

Freuen sollte man sich vielmehr daran, dass China nach jahrzehntelanger interkultureller Abkapselung wieder den Anschluss an die Welt gefunden hat. Fast Food, Sex und Pop hat das Reich der Mitte bereits absorbiert. Jetzt gilt es, das Erbe einer universellen Hochkultur als Standbein einer alten Zivilisation wiederherzustellen – nicht nur in Peking, Schanghai oder Guangzhou. Schlangen vor den Ticketschaltern sind ein gutes Zeichen dafür. Garantiert werden muss jedoch, dass die Karten auch für Durchschnittsbürger erschwinglich sind. Und da ist, wie schon beim Legen des Eies, erneut die Politik gefragt.

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2008.01.12



verknüpfte Bauwerke
Grosses Nationaltheater

Presseschau 12

19. September 2013Matthias Messmer
Neue Zürcher Zeitung

Sprung ins Reich der Mitte

Mit dem Vogelnest genannten Olympiastadion in Peking schufen Herzog & de Meuron den wohl berühmtesten Neubau Chinas. Doch die Werke anderer Schweizer Architekten im Reich der Mitte kennt man kaum, wie ein Blick auf das Schaffen von von zwei jüngeren Architekten zeigt.

Mit dem Vogelnest genannten Olympiastadion in Peking schufen Herzog & de Meuron den wohl berühmtesten Neubau Chinas. Doch die Werke anderer Schweizer Architekten im Reich der Mitte kennt man kaum, wie ein Blick auf das Schaffen von von zwei jüngeren Architekten zeigt.

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20. Juli 2009Matthias Messmer
Neue Zürcher Zeitung

Bulldozer auf der Seidenstrasse

Wenn nicht bald etwas geschieht, wird in der westchinesischen Provinz Xinjiang ein Kulturfrevel stattfinden, der an die Zerstörung der Buddha-Statuen von Bamian erinnert. Die Behörden planen, die muslimische Altstadt von Kashgar an der Seidenstrasse fast ganz abzureissen.

Wenn nicht bald etwas geschieht, wird in der westchinesischen Provinz Xinjiang ein Kulturfrevel stattfinden, der an die Zerstörung der Buddha-Statuen von Bamian erinnert. Die Behörden planen, die muslimische Altstadt von Kashgar an der Seidenstrasse fast ganz abzureissen.

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26. März 2009Matthias Messmer
Neue Zürcher Zeitung

Stadt ohne Seele

Westliche Metropolen, die als globale Weltstädte wahrgenommen werden wollen, verweisen gerne auf ihre kulturelle und ethnische Vielfalt. New York auf Manhattans Chinatown, Berlin auf das von türkischen Immigranten bevorzugte Kreuzberg, Paris auf das Arbeiterviertel Goutte d'Or, in dem sich viele Nordafrikaner niedergelassen haben. Multikulturalität bedeutet im günstigsten Falle Toleranz. Auswärtige Besucher verbinden mit dem Begriff häufig eine Art Faszination des Exotischen.

Westliche Metropolen, die als globale Weltstädte wahrgenommen werden wollen, verweisen gerne auf ihre kulturelle und ethnische Vielfalt. New York auf Manhattans Chinatown, Berlin auf das von türkischen Immigranten bevorzugte Kreuzberg, Paris auf das Arbeiterviertel Goutte d'Or, in dem sich viele Nordafrikaner niedergelassen haben. Multikulturalität bedeutet im günstigsten Falle Toleranz. Auswärtige Besucher verbinden mit dem Begriff häufig eine Art Faszination des Exotischen.

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08. Dezember 2008Matthias Messmer
Neue Zürcher Zeitung

Sehnsucht nach dem Unvergänglichen

Die Modernisierung Chinas manifestiert sich besonders auffällig in den Silhouetten der Grossstädte. In Schanghais Finanzdistrikt entstehen immer höhere Wolkenkratzer. Die Architektur des frühen 20. Jahrhunderts wird nur noch als museale Staffage wahrgenommen. Dabei haben gerade Laszlo Hudecs Bauten nichts von ihrem Charme eingebüsst.

Die Modernisierung Chinas manifestiert sich besonders auffällig in den Silhouetten der Grossstädte. In Schanghais Finanzdistrikt entstehen immer höhere Wolkenkratzer. Die Architektur des frühen 20. Jahrhunderts wird nur noch als museale Staffage wahrgenommen. Dabei haben gerade Laszlo Hudecs Bauten nichts von ihrem Charme eingebüsst.

«Ehret das Alte» lautet eine von Konfuzius' Lehrmeinungen, und glücklicherweise erlebt diese Aussage des Philosophen auch im Zeitalter des ungebändigten Baubooms eine bescheidene Renaissance. Zumindest bei Leuten, die etwas mehr von der reichen Kunst- und Architekturgeschichte Schanghais verstehen als jene, die ohne Zaudern und Gewissen Baubewilligungen für gesichtslose, dafür umso protzigere Bauprojekte vergeben. Unbarmherzig frisst sich die Moderne durch alte Quartiere und einst liebevoll gepflegte Lebensräume hindurch und macht – wenn überhaupt – erst Stopp vor jenen architektonischen Juwelen, auf die die Stadtregierung wegen ihrer Anziehungskraft auf Besucher aus der ganzen Welt angewiesen ist.

Art-déco-Freilichtmuseum

Eileen Chang, André Malraux, Vicki Baum und andere Schriftsteller haben dem Schanghai der 1930er Jahre literarische Denkmäler gesetzt. Doch der Charme des vorrevolutionären «Paris des Ostens» liegt greifbarer noch in den hinter Mauern und Bäumen versteckten Villen der ehemaligen französischen Konzession oder in kunstvollen Altbauwohnungen, Theatern und Kinopalästen. Zwar sind die Mieter von damals längst ausgezogen, öffentliche Räume sind zweckentfremdet und wertvolle Innendekorationen für immer zerstört oder verloren gegangen. Stehengeblieben sind aber prächtige Hausfassaden, hinter denen sich manchmal neues, manchmal aber auch gar kein Leben mehr breitmacht. Selbst das vielerorts aufgrund der Einwirkungen von Krieg und Revolution verblichene Äussere erinnert mitunter noch an die ebenso eigenwillige wie glanzvolle Vergangenheit.

Der Ungar Laszlo Hudec zählte zusammen mit den Franzosen Leonard, Veysseyre und Kruze oder dem Amerikaner Hazzard zu jenen Architekten, welche Schanghai durch ihr Wirken einen westlichen Stempel aufgedrückt haben. Mit mehr als sechzig innerhalb von knapp drei Jahrzehnten realisierten Gebäuden – darunter Villen, Wohnblöcke, Spitäler, Kirchen, Hotels, Banken, Schulen und sogar eine Brauerei sowie ein Elektrizitätswerk – galt der 1893 in der heutigen Slowakei geborene Hudec als einer der produktivsten Vertreter seiner Zunft. Dabei verlief seine Karriere keineswegs kontinuierlich: Als junger Offizier der Habsburgermonarchie wurde er 1916 von den Russen gefangen genommen und nach Sibirien verbannt. Nach zwei Jahren gelang ihm die Flucht, zuerst nach Wladiwostok, dann nach Harbin. Schliesslich fand er den Weg nach Schanghai.

Arbeitgeber aus Ost und West

Nach einer kurzen Anstellung beim amerikanischen Architekturbüro R. A. Curry gründete Hudec 1925 seine eigene Firma. Fortan zählte er zu den führenden Baukünstlern der Stadt und machte sich vor allem wegen seines ebenso innovativen wie eleganten Stils einen Namen. Als Hudecs Meisterstück gilt das im Art-déco-Stil entworfene und 1934 eröffnete Parkhotel in Schanghai. Es war damals das höchste Gebäude im Fernen Osten und lag in unmittelbarer Nähe der Pferderennbahn, wo sich heute der Volksplatz befindet. Das zeitlose, linienbetonte Design dieses Gebäudes mit dem ausfahrbaren Dach direkt über dem Nachtklub im 22. Stock beeinflusste einst Ieoh Ming Pei, Chinas derzeit berühmtestem Architekten, bei seiner Berufswahl, wie er selbst einmal betonte.

Hudec war keineswegs nur dem Art-déco zugetan, jenem Stil, der Schanghai ähnlich wie Miami Beach oder Melbourne nachhaltig prägte. Der bei westlichen wie chinesischen Auftraggebern gleichermassen beliebte Architekt selbst wohnte viele Jahre in einem Haus im englischen Landhausstil mit weitläufiger Grünanlage. Das auf einem Ziegelsteinfundament gebaute Riegelhaus mit dem übergrossen Kamin hatte ihm und seiner Familie vielleicht jenes Heimatgefühl vermittelt, das er hier vermisste. Heute steht es verfallen und verlassen da, inmitten eines verwilderten Gartens. Der Putz fällt von den Wänden, und die Stuckdecke spiegelt lediglich noch die Geschichte einer kulturell glanzvolleren Zeit wider. Leider sind noch immer viele Meisterwerke von Hudec für den Normalbesucher unzugänglich. Immerhin hat das Büro der Schanghaier Denkmalpflege bei der Mehrzahl der von Hudec konzipierten Gebäude Tafeln anbringen lassen, die dem Betrachter Kurzinformationen bieten.

In Hudecs Arbeiten spielten auch die gotisch geformten Fenster immer wieder eine Rolle, wie etwa in der Ende der zwanziger Jahre im spanischen Stile errichteten crèmefarbenen Villa von Sun Fo, dem Sohn des Republikgründers Sun Yat-sen. Heute beherbergt das an der einstigen Columbia Road (Pan Yu Lu) gelegene grosszügige Haus mit der lauschigen Parkanlage und dem chinesisch angehauchten Teich im Innenhof ein Institut für biologische Forschung.

Nach einem einjährigen Studienaufenthalt in den USA kehrte Hudec 1928 nach Schanghai zurück, voll von Eindrücken von Hochhäusern und den Ideen des Modernismus. Diese liess er beispielsweise in seine Entwürfe für den Bau des Grand Theatre an der Nanjing Road einfliessen: Das stromlinienförmige, mit Keramikkacheln verkleidete Kinotheater bot 2400 Zuschauern Platz, wobei jeder von diesen Plätzen mit Kopfhörern zur Simultanübersetzung ausgerüstet war. Nicht weniger modern wirkt auch heute noch die 1938 fertiggestellte Wu-Residenz, die heute unter anderem ein Restaurant beherbergt und wegen ihrer Farbe auch das «Grüne Haus» genannt wird: Der Färbereibesitzer Wu Tongwen hatte Hudec gebeten, das modernste Privathaus in ganz Schanghai zu bauen. Daraus resultierte eine der geräumigsten und luxuriösesten Residenzen in ganz Fernost, die westlichen Luxus, nämlich einen elektrischen Fahrstuhl, mit chinesischen Bedürfnissen – etwa einer Ahnenhalle – ebenso gekonnt wie funktionell kombinierte.

Vielfältiges Schaffen

Hudec trug bis 1947 zum grossartigen architektonischen Erbe des Westens in Schanghai bei. Ab 1941 wirkte er daneben auch noch als ungarischer Honorarkonsul. Angesichts der unsicheren Lage während des Bürgerkriegs emigrierte er, wie die meisten Ausländer, nach Übersee. Anfänglich lebte er eine Zeitlang in Lausanne und in Italien, später in Berkeley, wo er einen Lehrauftrag annahm. 1958 starb er an einer Herzattacke. Zum fünfzigsten Todesjahr ist ihm das «Hudec-Jahr» mit Symposien und Publikationen gewidmet (www.hudec.sh).

Die zum Gedenken an Hudec und sein vielfältiges Schaffen passendste Örtlichkeit befindet sich wohl im Westen Schanghais: Dort, an vergleichsweise ruhigem Ort in unmittelbarer Nähe des Zoos, errichtete der begnadete Baukünstler 1925 mit einer katholischen Begräbniskirche einen anmutigen Andachtsraum im byzantinischen Stil, der wie geschaffen dazu ist, über das vorrevolutionäre Schanghai und seinen kosmopolitischen Hintergrund nachzusinnen. Zahlreiche Geschichten und Schicksale dieser faszinierenden Metropole liegen noch im Dunkeln und werden vermutlich für immer vergessen gehen. Neue Arbeiten über Hudec und sein Wirken haben einige davon ans Licht gebracht. Die Seele seiner eindrucksvollen Bauten lebt weiter.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2008.12.08

12. Januar 2008Matthias Messmer
Neue Zürcher Zeitung

Ein Riesenei als leise Provokation

Der Vogel kam aus der Ferne. Vor acht Jahren. Und wurde unter mehr als vierzig Konkurrenten auserwählt, ein Ei mitten in eine Umgebung hineinzulegen, die...

Der Vogel kam aus der Ferne. Vor acht Jahren. Und wurde unter mehr als vierzig Konkurrenten auserwählt, ein Ei mitten in eine Umgebung hineinzulegen, die...

Der Vogel kam aus der Ferne. Vor acht Jahren. Und wurde unter mehr als vierzig Konkurrenten auserwählt, ein Ei mitten in eine Umgebung hineinzulegen, die ihm fremd in jeder Hinsicht war. Um das Ausbrüten haben viele ihn beneidet. Mit Geduld verstand er es jedoch, Nörgler und Besserwisser von seiner Sache zu überzeugen. Kurz vor Weihnachten war es dann so weit: Eine Melange von Tönen und Stimmen erklang aus dem wundersamen Ei, das fast jedermann, der es gesehen hat, gleichermassen fasziniert wie provoziert. – Zu solchen Bildern regt Chinas jüngstes Architekturwunder an: das vom Franzosen Paul Andreu entworfene grosse Nationaltheater in Peking, welches im Volksmund wegen seiner Form «das Riesenei» genannt wird. Vor fünfzig Jahren bereits hatte Zhou Enlai, der erste Ministerpräsident der Volksrepublik, den Vorschlag für den Bau einer solchen Kulturinstitution gemacht. Innenpolitische Gründe hatten seinen Plänen damals einen Strich durch die Rechnung gemacht. Dank dem früheren Staatspräsidenten Jiang Zemin, einem Opernliebhaber, sowie dem Bedürfnis des Landes nach internationaler Anerkennung als Weltmacht und Kulturnation wurde schliesslich die Realisierung dieses Grossprojektes möglich.

Kritik und Widerstände

Der Wunsch der Führung, sich trotz kommunistischer Ideologie und der Hinwendung auf die eigenen Traditionen weltoffen zu geben und dabei dem Westen zu gefallen, äussert sich in einer ganzen Reihe von Monumentalbauten, die von ausländischen Architektenstars in den letzten Jahren für die Hauptstadt konzipiert wurden: dem Olympiastadion von Herzog & de Meuron, dem CCTV-Fernsehgebäude von Rem Koolhaas oder dem neuen Flughafen von Norman Foster. Wie bei der Realisierung solcher Megaprojekte nicht anders zu erwarten war, hatte auch Paul Andreu zu kämpfen. Kritiker wie Alfred Peng, Architekturprofessor an der renommierten Qinghua-Universität, warfen Andreu vor, «keine Ahnung von chinesischer Kultur zu haben». Eine Hauptstadt müsse die Seele der Nation widerspiegeln, lautete Pengs Überzeugung. Das futuristische Gebäude entspreche aber eher einem über einem See schwebenden Raumschiff oder, in der Nacht, einer im Wasser treibenden, leuchtenden Perle. Anderen Opponenten stiess die Nachbarschaft eines dem Land fremden Opernhauses zur chinesisch geprägten Verbotenen Stadt sauer auf. Dass allerdings auch der getreu dem Vorbild stalinistischer Architektur in den 1950er Jahren erbaute Nationale Volkskongress in unmittelbarer Nähe wenig mit Chinas Traditionen zu tun hat, übersah man bei der Diskussion geflissentlich.

Immer wieder wurden die Arbeiten an Andreus Mammutbau, der eigentlich vor drei Jahren schon hätte eröffnet werden sollen, unterbrochen. In zwei Petitionen an die oberste Staatsführung beanstandeten Wissenschafter und Architekten überdies die enormen Kosten (ungefähr 450 Millionen Franken wurden schliesslich aufgewendet) und monierten, die aus Glas und Titan gebaute Schale des Eies sei angesichts der Pekinger Witterungsbedingungen ökologisch wenig sinnvoll konzipiert. Dass im Jahre 2004 ausgerechnet das Dach eines von Andreu entworfenen Flughafengebäudes in Paris einstürzte, rief schliesslich jene Gegner auf den Plan, die von Anfang an Sicherheitsbedenken vorgebracht hatten.

All diesen Widrigkeiten zum Trotz war es am vergangenen 22. Dezember so weit: Anlässlich der Eröffnung des «National Centre for the Performing Arts» – wie das grosse Nationaltheater in englischer Sprache offiziell heisst – präsentierte man dem begeisterten Publikum eine Auswahl an westlichen und chinesischen Musikstücken, mit zwei Dirigenten und Orchestern, vier Chören und einem halben Dutzend Solisten. Das «Riesenei» mit einer Grundfläche von 150 000 Quadratmetern beherbergt drei verschiedene Hallen mit insgesamt 6500 Sitzplätzen: für Theatervorstellungen, Konzerte und Opernaufführungen. Sie sind durch einen einzigen Tunnel erreichbar, der unter dem Teich hindurchführt, der das Gebäude umgibt. Auch das Innere des Komplexes weckt mit seinem Labyrinth von Gängen und Rolltreppen nicht jenes Gefühl von räumlicher Grosszügigkeit, welches die ovale Kuppel von aussen suggeriert.

Musik und Tanz

Bei der Programmierung setzt man in der ersten Saison, die bis zum 6. April läuft, weitgehend auf ausländische Persönlichkeiten wie den Dirigenten Lorin Maazel (mit der New Yorker Philharmonie). Weiter stehen das St. Petersburger Kirow-Ballett mit dem «Korsaren» ebenso auf dem Programm wie die Schanghaier Oper mit «Othello» oder das chinesische Nationalballett mit «Romeo und Julia». Auch die Tanztruppe der Volksbefreiungsarmee darf mit der Revolutionsoper «Schwester Jiang» ihre Künste vorführen. Das kunterbunte Allerlei an klassischer Musik, Ballett und Theater, das Fehlen eines schlüssigen künstlerischen Konzepts sowie das Nichtvorhandensein eines eigenen Ensembles wurden von internationalen Kritikern bereits bemängelt. Aus westlicher Sicht mögen diese Einwände gelten. Doch in vielen zivilgesellschaftlichen Bereichen versucht China begierig aufzuholen, was Partei und Staat durch menschenfeindliche Politik im Laufe der Jahrzehnte zerstört haben. Auch Andreus Opernhaus muss erst zu sich selbst finden. So mögen genüsslich während einer Vorstellung schmatzende oder fotografierende Besucher auch im «Riesenei» noch eine Weile zum Alltag gehören. Doch das wird die Harmonie im Grossen und Ganzen wenig stören.

Freuen sollte man sich vielmehr daran, dass China nach jahrzehntelanger interkultureller Abkapselung wieder den Anschluss an die Welt gefunden hat. Fast Food, Sex und Pop hat das Reich der Mitte bereits absorbiert. Jetzt gilt es, das Erbe einer universellen Hochkultur als Standbein einer alten Zivilisation wiederherzustellen – nicht nur in Peking, Schanghai oder Guangzhou. Schlangen vor den Ticketschaltern sind ein gutes Zeichen dafür. Garantiert werden muss jedoch, dass die Karten auch für Durchschnittsbürger erschwinglich sind. Und da ist, wie schon beim Legen des Eies, erneut die Politik gefragt.

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2008.01.12



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