Übersicht

Texte

11. Oktober 2001Ines Mitterer
ORF.at

„Ein Architekturzentrum muss neutral sein“

Das Gespräch mit dem Leiter des AzW, dem Architekturtheoretiker Dietmar Steiner führte Ines Mitterer.

Das Gespräch mit dem Leiter des AzW, dem Architekturtheoretiker Dietmar Steiner führte Ines Mitterer.

ON Kultur: Dietmar Steiner, sie haben bis jetzt immer auf zwei Ebenen gearbeitet - die eine war eine sehr sichtbare, die Ausstellungen. Andererseits gab es stets die weniger sichtbare Arbeit mit Archiven oder Symposien - wo wird in Zukunft der Schwerpunkt liegen?

Steiner: Ein ganz wesentliches Anliegen ist mir, dass gerade dieser Dienstleistungsanteil, das heißt Auskunft geben über Architektur, jetzt auf einen adäquaten Raum im Informationszentrum bei unserem Haupteingang gefunden hat. Und dass wir jetzt durch die Anzahl der Räume auch verschiedene, weitere Tätigkeiten machen können. Es ist jetzt nicht mehr notwendig die Vortragshalle durch Ausstellungen zu blockieren, sondern wir können hier zwischen zwei großen Ausstellungsräumen wechseln. Wir können kleine schnelle Ausstellungen machen zu Wettbewerben acht Jahren Probebetrieb sozusagen - die Infrastruktur, die wir von Anfang an benötigt hätten.

ON Kultur: Sie haben bei der allgemeinen Repräsentationswut hier im Museumsquartier nicht wirklich mitgemacht. Die alte Halle ist überhaupt noch ganz bescheiden, so wie sie immer war. Warum diese Entscheidung sich da so zurückzuhalten als Architekturzentrum?

Steiner: Naja, das ist eine Grundsatzentscheidung. Erstens einmal sind wir über die alten, aber doch schönen Räume sehr froh und zweitens ist es für ein Architekturzentrum doch ungemein wichtig, wenn es verschiedene Architekturen von verschiedenen Architekten ausstellt, dass der Hintergrund, das heißt der Raum an sich in dem das stattfindet sehr roh, sehr nüchtern, sehr neutral ist - und das ist uns mit unserem Architekten sehr gelungen.

ON Kultur: Die Architektur der Cafeteria ist auch besonders. Sie haben ein französisches Architektenteam eingeladen das zu machen - warum ist die Entscheidung auf Lacaton/Vassal gefallen?

Steiner: Die erste Entscheidung war einmal, dass das AzW als bedeutendste Architekturinstitution Österreichs keinen österreichischen Architekten nehmen kann, weil sonst alle anderen auf uns böse wären. Und weil es auch unserer Aufgabe ist internationale Architekturentwicklungen nach Wien zu bringen.

Die zweite Entscheidung war dann: Es sollte ein junges Architektenteam sein, das gut zu den Ideen, zur Identität, zur Konzeption des AzW passt, das heißt das mit geringen Mitteln, mit wenig Geld versucht, ein Optimum an Atmosphäre, an Konzeption zu verwirklichen. Da fiel die Wahl auf Lacaton und Vassal aus Bordeaux, die damals vor drei Jahren die Universität in Grenoble umgebaut haben und zwei, drei kleine Einfamilienhäuser hatten, die aber in der Zwischenzeit damals schon durchaus Weltgeltung hatten und dann begann die Konzeption der Cafeteria.

ON Kultur: Drei der anderen Institutionen im Museumsquartier haben einen Neubau bekommen - sie als Architekturzentrum müssen sich mit den alten Räumen zufrieden geben, tut ihnen das leid?

Steiner: Komisch, diese Frage stellt mir jeder! Ich sage: Zur Zeit definitiv „nein“. Es tut mir nicht leid, wir sind mit unseren Räumen zufrieden. Wir sind sehr zufrieden über den Standort, dass wir überhaupt im Museumsquartier sein können. Das ist das alte Argument von allen Immobilienexperten: Lage! Lage! Lage! Der Bedarf für einen Neubau, muss ich auch ganz ehrlich sagen, stellt sich jetzt nicht, der Bedarf der Erweiterung, den sehe ich in ganz anderen Dimensionen.

ON Kultur: Nämlich?

Steiner: Ich glaube, dass wir hier in Wien sehr gut eingebunden sind in das amerikanisch-westeuropäische Netzwerk vergleichbarer Architekturinstitutionen. Wir sehen aber nicht weit von uns entfernt die Notwendigkeit dieses Netzwerk aufzubauen. Das heißt wir wollen verstärkte Kontakte mit Budapest, Prag, Bratislava, Belgrad etc. machen, um mit unserem Know-How, das auch international anerkannt ist, Strukturen in den Nachbarländern aufzubauen.

ON Kultur: Also die Erweiterung im Kopf sozusagen?

Steiner: Die Erweiterung im Kopf und im Konzept und nicht im Raum.

ORF.at, Do., 2001.10.11

27. August 2001Ines Mitterer
ORF.at

Zerstörtes Architektur-Denkmal?

Vom Ausland wird es gelobt, von der heimischen Architektur-Kritik getadelt: das neue Zentrum in den Gasometern.

Vom Ausland wird es gelobt, von der heimischen Architektur-Kritik getadelt: das neue Zentrum in den Gasometern.

Mit einem spektakulären Volksfest eröffnet Freitag dieser Woche die G-Town - das neue Stadtviertel, das in Wiens historischen Gasometern entstanden ist. Vier angesehene Architekturbüros, Jean Nouvel, Coop Himmelblau, Manfred Wehdorn und Wilhelm Holzbauer haben in die historische Hülle der vier Gasometer Wohnungen, Büros und Geschäftsräume eingebaut.

Obwohl Architekten, Bauträger, neue Mieter und sogar der Denkmalschutz mit dem Resultat hoch zufrieden sind, gibt es lautstarken Protest von Seiten der Architekturkritiker. Sie sehen ein großzügiges Denkmal der Industriearchitektur für immer zerstört.


Internationale Architekten

Die Gasometer - das sind vier beeindruckende Giganten der Industriearchitektur des 19. Jahrhunderts, die jahrzehntelang funktionslos die Skyline des 11. Wiener Gemeindebezirkes verschönerten. Als der historische Ziegelbau zu zerfallen drohte, suchte man nach einer Lösung. Denn die vier ehemaligen Gasbehälter bloß als solche zu erhalten, war aus finanziellen Gründen nicht möglich. Bekannte Architekten aus dem In- und Ausland wurden eingeladen, die Gasometer mit Einbauten zu versorgen.


600 Wohnungen, Büros, ein Einkaufszentrum sowie eine Veranstaltungshalle machen schon jetzt aus dem teuren
Prestigeprojekt ein lebendiges neues Stadtzentrum, wie es sich auch Wolf Prix vom Architekturbüro Coop Himmelblau gewünscht hat: „Ich finde dieses Projekt aus drei Gründen ein wichtiges Projekt: Erstens, weil es sich mit Wohnbau auseinandersetzt, zweitens, weil es sich mit Denkmälern auseinandersetzt und der dritte Grund ist ein städtebaulicher Grund. Ich denke, dass Wien unbedingt neue Zentren braucht.“


Kritik an der Architektur

Die ersten Mieter sind schon eingezogen, die Wohnungen waren schnell vergeben: attraktive Preise, ein schräges Projekt und die U-Bahnstation vor der Haustüre haben viele junge Leute, Singles oder Paare nach Simmering gelockt. Die Bauträger sind zufrieden, die Mieter auch. Aber - wie immer bei Bauprojekten dieser Größenordnung - regte sich auch in diesem Fall schnell der Protest. Diesmal kommt er von Seiten der Architekturliebhaber und der Architekturkritiker.

Zu dicht, zu banal, zu wenig visionär und zu wenig großzügig: so lautete das überwiegende Urteil in der österreichischen Presse. Zu lesen war von „Möchtegern-City“, von unübertrefflicher Banalität und von pervertiertem Kitsch. Ein Eindruck, den Architektur-Journalistin Ute Woltron von der Tageszeitung „Der Standard“ teilt: „So, wie sie jetzt dastehen, sind sie, wie ein Kritiker gemeint hat, Hühner, in die man einen Pferdedarm hinein gestopft hat. Sie sind teilweise so atemberaubend dicht, dass mir das Grauen kommt. Die weniger dichten, wie der Turm den Jean Nouvel, sind deshalb weniger dicht, weil man das Herausgenommene anderswo, also zum Beispiel im Himmelblau-Turm hineingestopft hat.“


Kühner Himmelblau-Bau

Jean Nouvell, Coop Himmelblau und Manfred Wehdorn haben in ihren Gasometern einen runden Innenhof unverbaut gelassen, Wilhelm Holzbauer stellt sein Gebäude in Form eines Mercedes-Sterns in die Mitte und erreicht daher kleine Höfe am Rand. Dem Coop-Himmelblau-Gasometer ist ein kühnes Schild angelehnt. Es ist der einzige neue Baukörper, den man von außen sehen kann und der die Vorbeifahrenden auf der Flughafenautobahn in Staunen versetzt. Und das alles im Dienste der Dichte: „Ich sehe, wenn es Kritik am Gasometer-Projekt gibt, nicht die Kritik an der Behandlung eines Denkmals, sondern als Kritik an der Dichte. Aber gerade Dichte ist, was das Projekt urban macht. Ohne Dichte gibt es keine Stadt. Es wäre undenkbar für Europäer, Los Angeles zu reproduzieren“, stellt Prix fest.


Lob aus dem Ausland

Ausländische Architektur-Kritiker teilen die Meinung von Wolf Prix und feiern das erstaunliche Architekturprojekt hymnisch - so etwa in der renommierten New York Times.


Geschichte der Gasometer

Die Gemeinde Wien schrieb 1892 einen Wettbewerb zum Bau eigener Gaswerke aus, weil die bis dahin in Wien vorherrschende englische Gasgesellschaft „Imperial Continental Gas Association“ mit ihr zerstritten war. Die Genehmigung zum Bau des Gaswerks in Simmering erfolgte am 27. Oktober 1896. Das Gaswerk war auf eine tägliche Gaserzeugung von 432.000 Kubikmeter ausgerichtet und erforderte die Herstellung eines über 700 Kilometer langen Straßenrohrnetzes. Das Werk musste in 3 Jahren betriebsfertig sein. Man war also unter großem Zeitdruck.


Fertigstellung 1898

Die erste Gruppe der Behälter war am 10. Mai 1898, die zweite Gruppe am 1. Juli 1898 fertiggestellt. Der Bau der Gasometer erforderte folgende, auszugsweise wiedergegebene Arbeiten und Materialausmaße: 75.000 Kubikmeter Erdaushub, 17.500 Kubikmeter Beton sowie 13 Millionen Stück Ziegel. Die Kosten für alle vier Gasbehälter wurden mit 4.400.000 Gulden - nach heutigem Wert wären das etwa 600 Millionen Schilling - veranschlagt. Durchgeführt wurden die Arbeiten von der Union-Baugesellschaft Wien. Sie weigerte sich bei diesem Auftrag allerdings, jegliche Haftung für die Dichtheit der Bassins zu übernehmen.

ORF.at, Mo., 2001.08.27



verknüpfte Bauwerke
Gasometer Simmering - Neubau und Revitalisierung

28. Juni 2001Ines Mitterer
ORF.at

Radikaler Umbau

Die erste Ausstellung im neuen Architekturzentrum ist ein Projekt mit Sprengkraft, wie Ines Mitterer berichtet.

Die erste Ausstellung im neuen Architekturzentrum ist ein Projekt mit Sprengkraft, wie Ines Mitterer berichtet.

50 Minuten der Zerstörung auf sieben Projektionsflächen. Altbauten stürzen ein, die alte Kuppel des Berliner Reichstags fliegt in die Luft, ein Schornstein bricht in sich zusammen, ein Wolkenkratzer wird zu Schutt und Staub. Der Tod des Gebäudes, wie er in Wochenschauen, Fernseh-Nachrichtensendungen und den privaten Filmaufnahmen von Sprengmeistern zu sehen ist.

Über tausend Sprengungen aus der Nachkriegszeit haben die beiden Künstler Julian Rosefeldt und Piero Steinle recherchiert und in ihrer raumfüllenden Installation komponiert. Herausgekommen ist dabei ein Panorama der deutschen Nachkriegsgeschichte. „Wir wollten dem ständig propagierten Optimismus ein ebenso reales Bild entsetzen. Deutschland baut nicht auf, Deutschland sprengt“, verkünden die beiden.


Gesellschaftliches Reinigungsritual

Was gesprengt wird, erzählt vom herrschenden Konsens in Politik und Gesellschaft: die Bauten des dritten Reiches gleich nach dem Krieg, ganze Straßenzüge mit Altbauten in den 50er Jahren - im Berlin des Wirtschaftswunders braucht man Platz für Stadtautobahnen -, Industrieanlagen im Ruhrgebiet der 70er Jahre, Plattenbausiedlungen in den 90er Jahren des wiedervereinten Deutschland.

Am leichtesten gesprengt hat man nach dem Krieg - auch aus ideologischen Gründen, fanden Rosefeldt und Steinle heraus. „Es wurde aber auch gleich vieles aus dem 19. Jahrhundert weggesprengt. Man wollte auch das alte Gerümpel aus der Kaiserzeit nicht mehr sehen und hat mit großer Lust alles Alte in die Luft gejagt. Ideologisch gesehen war das sicherlich die radikalste Sprengphase.“


Lang lebe das MQ

Ästhetisch und emotional geben diese Sprengungen einiges her. Jeder Gebäudetyp stirbt anders. Ziegelbauten, Betonklötze, Stahlkonstruktionen. Und neben der Beklemmung gegenüber diesem Zerstörungswerk schleicht sich doch auch Faszination ein. Mit dieser Eröffnungsausstellung, die noch bis 3. September läuft, wünscht das Architekturzentrum Wien dem Museumsquartier ein langes Leben...

ORF.at, Do., 2001.06.28

19. Juni 2001Ines Mitterer
ORF.at

Metropolen, Großstädte, Knotenpunkte

Worum ging es den Avantgarde-Architekten in Städten wie Brünn, Lemberg, Prag, Zagreb, Budapest oder Wien zur letzten Jahrhundertwende?

Worum ging es den Avantgarde-Architekten in Städten wie Brünn, Lemberg, Prag, Zagreb, Budapest oder Wien zur letzten Jahrhundertwende?

Ein ungewohntes Bild für das Kunstforum Wien: Stahlgerüste halten Pläne von gebauten und ungebauten Architekturen, Skizzen von möglichen Städten, Architekturzeichnungen von Otto Wagner, Camillo Sitte, Adolf Loos, Ödön Lechner und vielen mehr. Mitteleuropäische Gebäude, Plätze und Stadtviertel, wie man sie in jeder großen Stadt im Bereich der Donaumonarchie findet - und Gebäude, Plätze und Viertel, die nur in Budapest, Laibach oder Temeschwar stehen können und nirgends sonst.

Das Bemühen der Architekten und Städteplaner in Mitteleuropa vor hundert Jahren: einerseits einem internationalen Stil zum Durchbruch zu verhelfen, andererseits auf besondere nationale Kulturmerkmale einzugehen. Die Architektur der Ausstellung Mythos Großstadt, gestaltet von Coop Himmelb(l)au, entspricht dieser Konstellation von Gemeinsamkeiten und Unterschieden.


Transparente Architektur

Sie lädt zum Entdecken ein, meint Kurator Dieter Bogner: „Wenn man durch diese transparente Architektur von Coop Himmelb(l)au geht, sieht man zum Beispiel von der ungarischen Sektion mit ihrem Ornamentalismus durch die Wiener Klassik hinüber zum tschechischen Kubismus. Das ist ein Erlebnis, wo man in dieser Ausstellung zufällige Verbindungen sehen kann. Man geht suchen, man geht entdecken.“

Viel von dem, was in dieser Ausstellung zu sehen ist, stammt aus Archiven der ehemals kommunistischen Länder, die erst jetzt, nach 1989, wieder zugänglich sind. Das Material zeigt, dass die sieben in der Ausstellung vertretenen Städte alle die Anlage zur multiethnischen, multikulturellen, offenen Weltstadt hatten. Erster und Zweiter Weltkrieg und die darauffolgende Zeit der kommunistischen Diktaturen hat den realistischen Plan Großstadt in Mitteleuropa zum noch immer unerreichten Mythos werden lassen.


Wien-Temeswar-Wien

„Ein Schlagwort“ bringt Bogner ins Spiel: „Schnellzug nach Temeswar, zweimal täglich - Vision oder Gegenwart?“ Weder noch, meint Bogner, sondern vielmehr Vergangenheit: „Um 1910 fuhr man schneller nach Temeswar mit dem Zug als heute - und das zweimal täglich.“

Die Verbindungen zum heute sind in diesem Überblick zu architektonischen Fragestellungen der Geschichte immer präsent: Wie sollen Städte wachsen? Wie sollen menschenfreundliche Siedlungen aussehen, wie sehr kann Architektur Identität vermitteln? Hundert Jahre sind nicht viel in der Geschichte unserer Städte, findet Kurator Dieter Bogner, der als ehemaliger Chef des geplanten Museumsquartiers mit dieser Schau seinen Beitrag zur Eröffnung desselben liefern will.


Mythos Museumsquartier

„Auch das Museumsquartier ist quasi der Mythos Großstadt“, so Bogner. „Wien will aufholen, will sich in die ersten Plätze vorarbeiten. Und letztlich war es wie vor hundert Jahren, als Otto Wagner das große Stadtmuseum am Karlsplatz geplant hat. Es wurde nicht gebaut, abgelehnt durch eine Quasi-Volksabstimmung - so ähnlich wie beim Museumsquartier.“

Die Schau ist als internationales Projekt von Kunstforum Wien, Österreichischem Wissenschaftsministerium, dem Canadian Centre for Architecture in Montreal, sowie dem Getty Research Institute in Los Angeles entstanden. Sie zeigt mit einem enormen Aufgebot an Plänen, Modellen und Photos, worum es den Avantgarde-Architekten in Städten wie Brünn, Lemberg, Prag, Zagreb, Budapest oder Wien zur letzten Jahrhundertwende gegangen ist.

Begleitet wird die Ausstellung im Kunstforum, die bis 26. August läuft, von einem sorgfältig recherchierten Katalogbuch, das im Prestel-Verlag erschienen ist.


[Tipp:
Mythos Großstadt im Bank Austria Kunstforum Wien; 19.06. bis 26.08, täglich 10.00 - 18.00 Uhr, Mittwoch 10.00 - 21.00 Uhr. Jeden Mittwoch Abend finden um 18 Uhr 30 Spezialführungen statt.]

ORF.at, Di., 2001.06.19

21. Mai 2001Ines Mitterer
ORF.at

Wohnen durch die Soziologenbrille

„Livescapes“ sammelt Erkenntnisse über zukünftige Wohnformen.

„Livescapes“ sammelt Erkenntnisse über zukünftige Wohnformen.

Die Interieurs und modischen Möbelbegehrlichkeiten wechseln, die Grundsehnsüchte des Wohnens hören sich auch im 21. Jahrhundert grundvertraut an. „Im Grünen, aber natürlich mitten in der Stadt, vorne die Ostsee, hinten der Ku'damm, wie Tucholsky gesagt hat, das ist nach wie vor der Traum der Leute, daran hat sich eigentlich gar nicht so schrecklich viel geändert“, fasst Michael Andritzky die Wohnsehnsüchte der Deutschen zusammen.

My Home is my...

Egal, wo man es sich einrichtet, der Raum wird sofort den persönlichen Bedürfnissen angepasst, den funktionellen aber auch den symbolischen. Von der Bauernstube bis zum Le-Courbusier-Möbel, von der venezianischen Gondel bis zum türkischen Spitzendeckchen auf dem Fernseher. Wohnen ist innerste kulturelle Bastion jeder Gesellschaft und kommt als Idee sogar mit in die Emigration.


Interkulturelle Spannungen

In Pariser Sozialwohnungen kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen, als eingewanderte Algerier ihre Balkone zum rituellen Schlachten von Schafen verwendeten. „Die Blutspuren würden die ganze Fassade verschandeln,“ erinnert sich der Kunsthistoriker Georges Teyssot, „dabei ist das doch besser als jedes Kunstwerk, es ist wunderschön.“

Für Teyssot markieren solche Zeremonien ebenso die Wohnfläche wie banalere Handlungen. Bestimmte Orte innerhalb der Wohnung können negativ besetzt sein, weil man an dieser Stelle einmal eine heftige Auseinandersetzung hatte; andere stehen für positive Erinnerungen und Möglichkeiten. Georges Teyssot nennt sie die erogenen Zonen einer Wohnung.


Spiegel der Persönlichkeit

„Ein Haus ist nie neutrales Terrain“, sagt Teyssot, aber nicht Architekten und Designer definieren die Qualität einer Wohnung, sondern die Bewohner." Die Maxime lautet: Erkenne dich selbst und lass zu, dass andere dich erkennen.

Sparsamkeit oder Luxus, Schmutz oder Sauberkeit, Alt oder Neu, die Wohnung ist Spiegel unseres Selbst. Das ist die Konstante aller Trends. Für Stefan Andritzky gibt es „Hausflüchter“ und „Haussucher“, und es gibt die sogenannten urbanen Neonomaden, die eigentlich gar kein Zuhause mehr wollen. Eine der berühmtesten stammt aus Wien. Hans Dampf In Allen Gassen, Peter Weibel, behauptet von sich, er hätte keine Wohnung mehr sondern nur noch Kleiderdepots und ansonsten seien ihm Luxushotels am liebsten.

ORF.at, Mo., 2001.05.21

23. März 2001Ines Mitterer
ORF.at

„Man kann immer Grenzen dehnen“

Coop Himmelb(l)au bauen ein Science-Museum in Lyon und ein Entertainment Center in Guadalajara.

Coop Himmelb(l)au bauen ein Science-Museum in Lyon und ein Entertainment Center in Guadalajara.

Das Architektenteam Coop Himmelb(l)au, alias Wolf Prix und Helmut Swiczinsky, ist begeistert. Sie haben den Zuschlag für einen Museumsbau in Lyon gewonnen. „Von der Lage her erinnert uns das Gelände an Bilbao, wo wir gegen Frank Gehry verloren haben“, freut sich Wolf Prix bei einem seiner selten gewordenen Besuche in Wien.


Neues Museumskonzept

Auf einer Landzunge zwischen den Flüssen Rhone und Saone gelegen, wird das neue „Musée des Confluences“ ab dem Jahr 2005 die allerneuesten Entwicklungen in Sachen Wissenschaft zeigen. Dass die Hülle dafür auch den neuesten Erkenntnissen in Sachen Architektur und Städtebau entspricht, dafür sorgt Coop Himmelb(l)au.

Kein konventionelles Museum verbirgt sich im Bauch der Wolke und im Körper des Kristalls, wie die entsprechenden Gebäudeteile poetisch heißen, sondern ein Museumsprogramm, das dem Besucher Wissen, Erholung, Freizeitaktivitäten, Kommunikation und nicht zuletzt spannende Raumerlebnisse gleichzeitig bietet. Wolf Prix spricht von einem „offenen Gebäude“, in dem die Architektur auf die vielen Wünsche „interaktiv“ reagieren kann.


Sitzen und liegen

Dieses Aufbrechen traditioneller Museumsräume, dieses Verschlingen verschiedener Raumangebote miteinander lässt den Besucher das eine Mal stehen und konzentriert schauen, wie das in einem Museum so üblich ist, das andere Mal aber sitzen oder liegen, entspannen oder zerstreut wahrnehmen.


Zersplitternder Düsenjet

Auch nach außen hin signalisiert das Gebäude Aufbruch durch die Durchdringung transparenter und solider Baukörper, die Verschränkung öffentlicher und privater Plätze, die Verbindung geometrischer und amorpher Körper. Das Bild, das sich daraus ergibt, ist schlicht spektakulär, ähnelt einem zersplitternden Düsenjet, der da auf dem schmalen Grundstück am Zusammenlauf der beiden Flüsse gelandet ist.


Neues Wahrzeichen für Lyon

Das zukünftige Musée des Confluences zieht vermutlich alle Blicke auf sich und lässt damit entstehen, was sich die architekturbewussten Stadtväter von Lyon gewünscht haben: ein neues Wahrzeichen der Stadt. Eventueller Kritik, das Gebäude sei vielleicht zu aufregend, kommt Wolf Prix im Voraus entgegen: „Manche Leute verwechseln Aufgeregtheit mit Lebendigkeit und haben keine Augen, um zu sehen, welche Vielfalt dahinter steckt“, so Prix.


Coop Himmelb(l)au in Mexiko

Ein neues aufregendes Projekt von Coop Himmelb(l)au ist derzeit auch in der mexikanischen Stadt Guadalajara im Entstehen. Ein Shopping- und Entertainment-Center, das auch mehr sein will als bloßer Konsumtempel.

Vor allem der öffentliche Raum, der Stadtraum, der von allen Städtern unentgeltlich genutzt werden kann, ist den Coops ein Anliegen. Und das auch und vor allem in dem neuen Stadtteil, der in Guadalajara jetzt von Hand der größten Architekturstars der Welt entsteht.


Prominente Nachbarn

In unmittelbarer Nachbarschaft zu Jean Nouvel, Daniel Libeskind, Zaha Hadid oder Frank Gehry definiert Coop Himmelb(l)au die Idee der Shopping-Mall neu. „Durch architektonische Formenvielfalt ist es uns gelungen, den architektonischen Raum bei selber Grundfläche zu verdoppeln. Es handelt sich also eher um einen Marktplatz, auf dem man mehr machen kann, als einfach dasitzen und Kaffeetrinken“, erklärt Prix.


Neue Außenstelle

Mit dem Urban Entertainment Center in Guadalajara hat Coop Himmelb(l)au neben Wien und Los Angeles eine weitere Außenstelle des Büros in Mexiko geschaffen. Wolf Prix als Außenminister des Duos ist jetzt noch mehr unterwegs. Und das, obwohl sich auch die heimischen Bauaufträge mehren: Der coopsche Umbau der Gasometer in Simmering, wo Coop Himmelb(l)au vor kurzem den Großen Österreichischen Staatspreis überreicht bekommen hat, geht in die Endphase.

Auf dem Areal der Liesinger Brauerei soll ein Wohn- und Bürogebäude eine himmelblaue Interpretation erfahren, und weitere Bürogebäude, ebenfalls für Wien, sind geplant. Frisch nach dem alten Credo: „Ich denke, dass man auf jedem Gebiet, sei es ein Entertainment-Center oder ein Wohnbau, Grenzen dehnen kann. Neue Formulierungen im Städtebau sind notwendig, um einen dynamischen Fluss in das Getriebe der Städteplanung zu bringen“, so Prix.

ORF.at, Fr., 2001.03.23

18. Februar 2000Ines Mitterer
ORF.at

Bindewörter als Bürophilosophie

Die Architekten der 68er-Generation schlossen sich häufig noch zu Gruppen zusammen. EoK wollten solche Vertraulichkeiten nicht aufkommen lassen. Sie arbeiten seit 25 Jahren zusammen - oder etwa doch nicht?

Die Architekten der 68er-Generation schlossen sich häufig noch zu Gruppen zusammen. EoK wollten solche Vertraulichkeiten nicht aufkommen lassen. Sie arbeiten seit 25 Jahren zusammen - oder etwa doch nicht?

„Es ist ein Sowohl-Und-Oder-Als auch.“ Wer mit dem Büro Eichinger oder Knechtl zu tun hat, weiß, dass das mit dem „oder“ im Namen kein leerer Scherz ist: Bauherren, Handwerker, Ämter und Journalisten haben es meistens je nach Baustelle mit einem der beiden Gestaltungskünstler zu tun: bei den Bars ist es in der Regel Gregor Eichinger, der Rede und Antwort steht, beim Hauptplatz in Wiener Neustadt oder dem Hannoveraner EXPO-Projekt gibt Christian Knechtl Auskunft.


( Abb. Wr. Neustädter Hauptplatz bei Nacht )


Klares Erscheinungsbild

Nach außen wollen die beiden für Auftraggeber klare Konturen bieten. Innerhalb der vier Bürowände am Wiener Franz-Josefs-Kai verwischen die Grenzen. Vielleicht kommt die berühmte Campari-Flaschen-Beleuchtung im „Wrenkh“ tatsächlich aus der sinnlichen Feder von Gregor Eichinger - den kulinarisch-vegetarischen Hintergrund für das Projekt lieferten aber Christian Knechtls kulinarische Vorlieben.

Je eingeweihter die Mitarbeiter, desto weniger können sie sagen, was von wem stammt. Für den langjährigen EoK-Planer Andy Breuss ist jedes Projekt eine „Eichinger und Knechtl und eventuell Co. Arbeit“.


(Abb. Laks-Watch - Museum Store in Wien )


Bürokratische Geburtshilfe

Zwei Möglichkeiten hatte das Gestalterduo Gregor Eichinger und Christian Knechtl zur Zeit der Bürogründung puncto Namensgebung vor Augen: Entweder man bedient sich der Familiennamen und verbindet sie mit einem „und“, oder man versucht es mit einem Fantasienamen à la Coop Himmelb(l)au oder Hausrucker und Co. Bei der Entscheidungsfindung war im Fall von „Eichinger oder Knechtl“ einmal ausnahmsweise eine Behörde behilflich: Das gemeinsame Auftreten auf dem Briefkopf verwirrte das Finanzamt. Nach langem Hin und Her blieb als einzige Möglichkeit: oder. Da hatte man dann beides: Familiennamen und Fantasieprodukt und den Hinweis, dass man mehr sein will, als eine gewöhnliche Bürogemeinschaft. Erst langsam wurde der Name Programm, mehr aus Zufall und eher ungewollt wie vieles bei EoK.

Ungleichpolige Ladung

EoK - ein Paar von Gegensätzen auch äußerlich: groß und kräftig der eine, kleiner, schlank und drahtig der andere, bekennender Großstadtbewohner der eine, aufs Land gezogen der andere, exzessives Nachtleben versus intensives Familienleben. Beim Kennenlernen in den 70er Jahren an der Technischen Universität in Wien war alles noch ganz anders - nur gegensätzlich waren die beiden Positionen immer. Und es galt mehr das Sprichwort von den Gegensätzen, die sich anziehen, als das vom Gleichen, das sich gern zu gleich gesellt.


( Abb. Monocoque - Dachausbau in Wien )


Rollentausch

Der schüchterne Gregor Eichinger, aufgewachsen am Land, ist fasziniert von der nonchalanten Gesprächigkeit des Wieners Knechtl - so war es am Anfang. Heute ist es Eichinger, der - extrovertiert - gerne in die Welt hinausgeht, und es ist Knechtl, der - introvertiert - lieber innerhalb der Bürowände oder des Computergehäuses forscht. „Der Gregor ist der Außenminister, der Christian der Innenminister“, charakterisiert Ossi Schellmann, Wiener Szenegastronom und einer der frühen Auftraggeber, die beiden.

Was bleibt ist der Gegensatz und die Spannung, die sich dadurch ergibt. Sie verleiht dem Produkt mehr Intensität, glauben sogar Auftraggeber wie Michael Satke, der schon auf Bauherrenerfahrungen mit einem anderen gegensätzlichen Architektenduo, nämlich Prix und Swiscinski von Coop Himmelb(l)au, zurückblicken kann.

Networking

Eichinger oder Knechtl, Rem Koolhaas und sein OMA, Sottsass Associati - Architektur- und Designbüros verstehen sich heute gerne als Verdichtungen inmitten weit verzweigter Netzwerke, die unterschiedlichste Bereiche miteinander verbinden, von der abstraktesten Theorie bis zur alltäglichsten Praxis. So gesehen gibt es viele Partner von Eichinger oder Knechtl: Biologen und Gesundheitsgurus, die bei der Gestaltung von vegetarischen Restaurants ihren Beitrag leisten, Musiker, die beim Layout von Partys tonangebend sind, Quantenphysiker, die einen Raum mitbestimmen, oder fernöstliche Weisen, die sich auf die direkte Zusammenarbeit der beiden auswirken.

Neben dem „oder-Prinzip“ regiert bei EoK denn auch seit jeher das „Lustprinzip“ und wenn es einmal nicht so sein sollte, hat das Netz noch seine altbekannte, circensische Funktion: müde Trapezkünstler aufzufangen.

ORF.at, Fr., 2000.02.18

Presseschau 12

11. Oktober 2001Ines Mitterer
ORF.at

„Ein Architekturzentrum muss neutral sein“

Das Gespräch mit dem Leiter des AzW, dem Architekturtheoretiker Dietmar Steiner führte Ines Mitterer.

Das Gespräch mit dem Leiter des AzW, dem Architekturtheoretiker Dietmar Steiner führte Ines Mitterer.

ON Kultur: Dietmar Steiner, sie haben bis jetzt immer auf zwei Ebenen gearbeitet - die eine war eine sehr sichtbare, die Ausstellungen. Andererseits gab es stets die weniger sichtbare Arbeit mit Archiven oder Symposien - wo wird in Zukunft der Schwerpunkt liegen?

Steiner: Ein ganz wesentliches Anliegen ist mir, dass gerade dieser Dienstleistungsanteil, das heißt Auskunft geben über Architektur, jetzt auf einen adäquaten Raum im Informationszentrum bei unserem Haupteingang gefunden hat. Und dass wir jetzt durch die Anzahl der Räume auch verschiedene, weitere Tätigkeiten machen können. Es ist jetzt nicht mehr notwendig die Vortragshalle durch Ausstellungen zu blockieren, sondern wir können hier zwischen zwei großen Ausstellungsräumen wechseln. Wir können kleine schnelle Ausstellungen machen zu Wettbewerben acht Jahren Probebetrieb sozusagen - die Infrastruktur, die wir von Anfang an benötigt hätten.

ON Kultur: Sie haben bei der allgemeinen Repräsentationswut hier im Museumsquartier nicht wirklich mitgemacht. Die alte Halle ist überhaupt noch ganz bescheiden, so wie sie immer war. Warum diese Entscheidung sich da so zurückzuhalten als Architekturzentrum?

Steiner: Naja, das ist eine Grundsatzentscheidung. Erstens einmal sind wir über die alten, aber doch schönen Räume sehr froh und zweitens ist es für ein Architekturzentrum doch ungemein wichtig, wenn es verschiedene Architekturen von verschiedenen Architekten ausstellt, dass der Hintergrund, das heißt der Raum an sich in dem das stattfindet sehr roh, sehr nüchtern, sehr neutral ist - und das ist uns mit unserem Architekten sehr gelungen.

ON Kultur: Die Architektur der Cafeteria ist auch besonders. Sie haben ein französisches Architektenteam eingeladen das zu machen - warum ist die Entscheidung auf Lacaton/Vassal gefallen?

Steiner: Die erste Entscheidung war einmal, dass das AzW als bedeutendste Architekturinstitution Österreichs keinen österreichischen Architekten nehmen kann, weil sonst alle anderen auf uns böse wären. Und weil es auch unserer Aufgabe ist internationale Architekturentwicklungen nach Wien zu bringen.

Die zweite Entscheidung war dann: Es sollte ein junges Architektenteam sein, das gut zu den Ideen, zur Identität, zur Konzeption des AzW passt, das heißt das mit geringen Mitteln, mit wenig Geld versucht, ein Optimum an Atmosphäre, an Konzeption zu verwirklichen. Da fiel die Wahl auf Lacaton und Vassal aus Bordeaux, die damals vor drei Jahren die Universität in Grenoble umgebaut haben und zwei, drei kleine Einfamilienhäuser hatten, die aber in der Zwischenzeit damals schon durchaus Weltgeltung hatten und dann begann die Konzeption der Cafeteria.

ON Kultur: Drei der anderen Institutionen im Museumsquartier haben einen Neubau bekommen - sie als Architekturzentrum müssen sich mit den alten Räumen zufrieden geben, tut ihnen das leid?

Steiner: Komisch, diese Frage stellt mir jeder! Ich sage: Zur Zeit definitiv „nein“. Es tut mir nicht leid, wir sind mit unseren Räumen zufrieden. Wir sind sehr zufrieden über den Standort, dass wir überhaupt im Museumsquartier sein können. Das ist das alte Argument von allen Immobilienexperten: Lage! Lage! Lage! Der Bedarf für einen Neubau, muss ich auch ganz ehrlich sagen, stellt sich jetzt nicht, der Bedarf der Erweiterung, den sehe ich in ganz anderen Dimensionen.

ON Kultur: Nämlich?

Steiner: Ich glaube, dass wir hier in Wien sehr gut eingebunden sind in das amerikanisch-westeuropäische Netzwerk vergleichbarer Architekturinstitutionen. Wir sehen aber nicht weit von uns entfernt die Notwendigkeit dieses Netzwerk aufzubauen. Das heißt wir wollen verstärkte Kontakte mit Budapest, Prag, Bratislava, Belgrad etc. machen, um mit unserem Know-How, das auch international anerkannt ist, Strukturen in den Nachbarländern aufzubauen.

ON Kultur: Also die Erweiterung im Kopf sozusagen?

Steiner: Die Erweiterung im Kopf und im Konzept und nicht im Raum.

ORF.at, Do., 2001.10.11

27. August 2001Ines Mitterer
ORF.at

Zerstörtes Architektur-Denkmal?

Vom Ausland wird es gelobt, von der heimischen Architektur-Kritik getadelt: das neue Zentrum in den Gasometern.

Vom Ausland wird es gelobt, von der heimischen Architektur-Kritik getadelt: das neue Zentrum in den Gasometern.

Mit einem spektakulären Volksfest eröffnet Freitag dieser Woche die G-Town - das neue Stadtviertel, das in Wiens historischen Gasometern entstanden ist. Vier angesehene Architekturbüros, Jean Nouvel, Coop Himmelblau, Manfred Wehdorn und Wilhelm Holzbauer haben in die historische Hülle der vier Gasometer Wohnungen, Büros und Geschäftsräume eingebaut.

Obwohl Architekten, Bauträger, neue Mieter und sogar der Denkmalschutz mit dem Resultat hoch zufrieden sind, gibt es lautstarken Protest von Seiten der Architekturkritiker. Sie sehen ein großzügiges Denkmal der Industriearchitektur für immer zerstört.


Internationale Architekten

Die Gasometer - das sind vier beeindruckende Giganten der Industriearchitektur des 19. Jahrhunderts, die jahrzehntelang funktionslos die Skyline des 11. Wiener Gemeindebezirkes verschönerten. Als der historische Ziegelbau zu zerfallen drohte, suchte man nach einer Lösung. Denn die vier ehemaligen Gasbehälter bloß als solche zu erhalten, war aus finanziellen Gründen nicht möglich. Bekannte Architekten aus dem In- und Ausland wurden eingeladen, die Gasometer mit Einbauten zu versorgen.


600 Wohnungen, Büros, ein Einkaufszentrum sowie eine Veranstaltungshalle machen schon jetzt aus dem teuren
Prestigeprojekt ein lebendiges neues Stadtzentrum, wie es sich auch Wolf Prix vom Architekturbüro Coop Himmelblau gewünscht hat: „Ich finde dieses Projekt aus drei Gründen ein wichtiges Projekt: Erstens, weil es sich mit Wohnbau auseinandersetzt, zweitens, weil es sich mit Denkmälern auseinandersetzt und der dritte Grund ist ein städtebaulicher Grund. Ich denke, dass Wien unbedingt neue Zentren braucht.“


Kritik an der Architektur

Die ersten Mieter sind schon eingezogen, die Wohnungen waren schnell vergeben: attraktive Preise, ein schräges Projekt und die U-Bahnstation vor der Haustüre haben viele junge Leute, Singles oder Paare nach Simmering gelockt. Die Bauträger sind zufrieden, die Mieter auch. Aber - wie immer bei Bauprojekten dieser Größenordnung - regte sich auch in diesem Fall schnell der Protest. Diesmal kommt er von Seiten der Architekturliebhaber und der Architekturkritiker.

Zu dicht, zu banal, zu wenig visionär und zu wenig großzügig: so lautete das überwiegende Urteil in der österreichischen Presse. Zu lesen war von „Möchtegern-City“, von unübertrefflicher Banalität und von pervertiertem Kitsch. Ein Eindruck, den Architektur-Journalistin Ute Woltron von der Tageszeitung „Der Standard“ teilt: „So, wie sie jetzt dastehen, sind sie, wie ein Kritiker gemeint hat, Hühner, in die man einen Pferdedarm hinein gestopft hat. Sie sind teilweise so atemberaubend dicht, dass mir das Grauen kommt. Die weniger dichten, wie der Turm den Jean Nouvel, sind deshalb weniger dicht, weil man das Herausgenommene anderswo, also zum Beispiel im Himmelblau-Turm hineingestopft hat.“


Kühner Himmelblau-Bau

Jean Nouvell, Coop Himmelblau und Manfred Wehdorn haben in ihren Gasometern einen runden Innenhof unverbaut gelassen, Wilhelm Holzbauer stellt sein Gebäude in Form eines Mercedes-Sterns in die Mitte und erreicht daher kleine Höfe am Rand. Dem Coop-Himmelblau-Gasometer ist ein kühnes Schild angelehnt. Es ist der einzige neue Baukörper, den man von außen sehen kann und der die Vorbeifahrenden auf der Flughafenautobahn in Staunen versetzt. Und das alles im Dienste der Dichte: „Ich sehe, wenn es Kritik am Gasometer-Projekt gibt, nicht die Kritik an der Behandlung eines Denkmals, sondern als Kritik an der Dichte. Aber gerade Dichte ist, was das Projekt urban macht. Ohne Dichte gibt es keine Stadt. Es wäre undenkbar für Europäer, Los Angeles zu reproduzieren“, stellt Prix fest.


Lob aus dem Ausland

Ausländische Architektur-Kritiker teilen die Meinung von Wolf Prix und feiern das erstaunliche Architekturprojekt hymnisch - so etwa in der renommierten New York Times.


Geschichte der Gasometer

Die Gemeinde Wien schrieb 1892 einen Wettbewerb zum Bau eigener Gaswerke aus, weil die bis dahin in Wien vorherrschende englische Gasgesellschaft „Imperial Continental Gas Association“ mit ihr zerstritten war. Die Genehmigung zum Bau des Gaswerks in Simmering erfolgte am 27. Oktober 1896. Das Gaswerk war auf eine tägliche Gaserzeugung von 432.000 Kubikmeter ausgerichtet und erforderte die Herstellung eines über 700 Kilometer langen Straßenrohrnetzes. Das Werk musste in 3 Jahren betriebsfertig sein. Man war also unter großem Zeitdruck.


Fertigstellung 1898

Die erste Gruppe der Behälter war am 10. Mai 1898, die zweite Gruppe am 1. Juli 1898 fertiggestellt. Der Bau der Gasometer erforderte folgende, auszugsweise wiedergegebene Arbeiten und Materialausmaße: 75.000 Kubikmeter Erdaushub, 17.500 Kubikmeter Beton sowie 13 Millionen Stück Ziegel. Die Kosten für alle vier Gasbehälter wurden mit 4.400.000 Gulden - nach heutigem Wert wären das etwa 600 Millionen Schilling - veranschlagt. Durchgeführt wurden die Arbeiten von der Union-Baugesellschaft Wien. Sie weigerte sich bei diesem Auftrag allerdings, jegliche Haftung für die Dichtheit der Bassins zu übernehmen.

ORF.at, Mo., 2001.08.27



verknüpfte Bauwerke
Gasometer Simmering - Neubau und Revitalisierung

28. Juni 2001Ines Mitterer
ORF.at

Radikaler Umbau

Die erste Ausstellung im neuen Architekturzentrum ist ein Projekt mit Sprengkraft, wie Ines Mitterer berichtet.

Die erste Ausstellung im neuen Architekturzentrum ist ein Projekt mit Sprengkraft, wie Ines Mitterer berichtet.

50 Minuten der Zerstörung auf sieben Projektionsflächen. Altbauten stürzen ein, die alte Kuppel des Berliner Reichstags fliegt in die Luft, ein Schornstein bricht in sich zusammen, ein Wolkenkratzer wird zu Schutt und Staub. Der Tod des Gebäudes, wie er in Wochenschauen, Fernseh-Nachrichtensendungen und den privaten Filmaufnahmen von Sprengmeistern zu sehen ist.

Über tausend Sprengungen aus der Nachkriegszeit haben die beiden Künstler Julian Rosefeldt und Piero Steinle recherchiert und in ihrer raumfüllenden Installation komponiert. Herausgekommen ist dabei ein Panorama der deutschen Nachkriegsgeschichte. „Wir wollten dem ständig propagierten Optimismus ein ebenso reales Bild entsetzen. Deutschland baut nicht auf, Deutschland sprengt“, verkünden die beiden.


Gesellschaftliches Reinigungsritual

Was gesprengt wird, erzählt vom herrschenden Konsens in Politik und Gesellschaft: die Bauten des dritten Reiches gleich nach dem Krieg, ganze Straßenzüge mit Altbauten in den 50er Jahren - im Berlin des Wirtschaftswunders braucht man Platz für Stadtautobahnen -, Industrieanlagen im Ruhrgebiet der 70er Jahre, Plattenbausiedlungen in den 90er Jahren des wiedervereinten Deutschland.

Am leichtesten gesprengt hat man nach dem Krieg - auch aus ideologischen Gründen, fanden Rosefeldt und Steinle heraus. „Es wurde aber auch gleich vieles aus dem 19. Jahrhundert weggesprengt. Man wollte auch das alte Gerümpel aus der Kaiserzeit nicht mehr sehen und hat mit großer Lust alles Alte in die Luft gejagt. Ideologisch gesehen war das sicherlich die radikalste Sprengphase.“


Lang lebe das MQ

Ästhetisch und emotional geben diese Sprengungen einiges her. Jeder Gebäudetyp stirbt anders. Ziegelbauten, Betonklötze, Stahlkonstruktionen. Und neben der Beklemmung gegenüber diesem Zerstörungswerk schleicht sich doch auch Faszination ein. Mit dieser Eröffnungsausstellung, die noch bis 3. September läuft, wünscht das Architekturzentrum Wien dem Museumsquartier ein langes Leben...

ORF.at, Do., 2001.06.28

19. Juni 2001Ines Mitterer
ORF.at

Metropolen, Großstädte, Knotenpunkte

Worum ging es den Avantgarde-Architekten in Städten wie Brünn, Lemberg, Prag, Zagreb, Budapest oder Wien zur letzten Jahrhundertwende?

Worum ging es den Avantgarde-Architekten in Städten wie Brünn, Lemberg, Prag, Zagreb, Budapest oder Wien zur letzten Jahrhundertwende?

Ein ungewohntes Bild für das Kunstforum Wien: Stahlgerüste halten Pläne von gebauten und ungebauten Architekturen, Skizzen von möglichen Städten, Architekturzeichnungen von Otto Wagner, Camillo Sitte, Adolf Loos, Ödön Lechner und vielen mehr. Mitteleuropäische Gebäude, Plätze und Stadtviertel, wie man sie in jeder großen Stadt im Bereich der Donaumonarchie findet - und Gebäude, Plätze und Viertel, die nur in Budapest, Laibach oder Temeschwar stehen können und nirgends sonst.

Das Bemühen der Architekten und Städteplaner in Mitteleuropa vor hundert Jahren: einerseits einem internationalen Stil zum Durchbruch zu verhelfen, andererseits auf besondere nationale Kulturmerkmale einzugehen. Die Architektur der Ausstellung Mythos Großstadt, gestaltet von Coop Himmelb(l)au, entspricht dieser Konstellation von Gemeinsamkeiten und Unterschieden.


Transparente Architektur

Sie lädt zum Entdecken ein, meint Kurator Dieter Bogner: „Wenn man durch diese transparente Architektur von Coop Himmelb(l)au geht, sieht man zum Beispiel von der ungarischen Sektion mit ihrem Ornamentalismus durch die Wiener Klassik hinüber zum tschechischen Kubismus. Das ist ein Erlebnis, wo man in dieser Ausstellung zufällige Verbindungen sehen kann. Man geht suchen, man geht entdecken.“

Viel von dem, was in dieser Ausstellung zu sehen ist, stammt aus Archiven der ehemals kommunistischen Länder, die erst jetzt, nach 1989, wieder zugänglich sind. Das Material zeigt, dass die sieben in der Ausstellung vertretenen Städte alle die Anlage zur multiethnischen, multikulturellen, offenen Weltstadt hatten. Erster und Zweiter Weltkrieg und die darauffolgende Zeit der kommunistischen Diktaturen hat den realistischen Plan Großstadt in Mitteleuropa zum noch immer unerreichten Mythos werden lassen.


Wien-Temeswar-Wien

„Ein Schlagwort“ bringt Bogner ins Spiel: „Schnellzug nach Temeswar, zweimal täglich - Vision oder Gegenwart?“ Weder noch, meint Bogner, sondern vielmehr Vergangenheit: „Um 1910 fuhr man schneller nach Temeswar mit dem Zug als heute - und das zweimal täglich.“

Die Verbindungen zum heute sind in diesem Überblick zu architektonischen Fragestellungen der Geschichte immer präsent: Wie sollen Städte wachsen? Wie sollen menschenfreundliche Siedlungen aussehen, wie sehr kann Architektur Identität vermitteln? Hundert Jahre sind nicht viel in der Geschichte unserer Städte, findet Kurator Dieter Bogner, der als ehemaliger Chef des geplanten Museumsquartiers mit dieser Schau seinen Beitrag zur Eröffnung desselben liefern will.


Mythos Museumsquartier

„Auch das Museumsquartier ist quasi der Mythos Großstadt“, so Bogner. „Wien will aufholen, will sich in die ersten Plätze vorarbeiten. Und letztlich war es wie vor hundert Jahren, als Otto Wagner das große Stadtmuseum am Karlsplatz geplant hat. Es wurde nicht gebaut, abgelehnt durch eine Quasi-Volksabstimmung - so ähnlich wie beim Museumsquartier.“

Die Schau ist als internationales Projekt von Kunstforum Wien, Österreichischem Wissenschaftsministerium, dem Canadian Centre for Architecture in Montreal, sowie dem Getty Research Institute in Los Angeles entstanden. Sie zeigt mit einem enormen Aufgebot an Plänen, Modellen und Photos, worum es den Avantgarde-Architekten in Städten wie Brünn, Lemberg, Prag, Zagreb, Budapest oder Wien zur letzten Jahrhundertwende gegangen ist.

Begleitet wird die Ausstellung im Kunstforum, die bis 26. August läuft, von einem sorgfältig recherchierten Katalogbuch, das im Prestel-Verlag erschienen ist.


[Tipp:
Mythos Großstadt im Bank Austria Kunstforum Wien; 19.06. bis 26.08, täglich 10.00 - 18.00 Uhr, Mittwoch 10.00 - 21.00 Uhr. Jeden Mittwoch Abend finden um 18 Uhr 30 Spezialführungen statt.]

ORF.at, Di., 2001.06.19

21. Mai 2001Ines Mitterer
ORF.at

Wohnen durch die Soziologenbrille

„Livescapes“ sammelt Erkenntnisse über zukünftige Wohnformen.

„Livescapes“ sammelt Erkenntnisse über zukünftige Wohnformen.

Die Interieurs und modischen Möbelbegehrlichkeiten wechseln, die Grundsehnsüchte des Wohnens hören sich auch im 21. Jahrhundert grundvertraut an. „Im Grünen, aber natürlich mitten in der Stadt, vorne die Ostsee, hinten der Ku'damm, wie Tucholsky gesagt hat, das ist nach wie vor der Traum der Leute, daran hat sich eigentlich gar nicht so schrecklich viel geändert“, fasst Michael Andritzky die Wohnsehnsüchte der Deutschen zusammen.

My Home is my...

Egal, wo man es sich einrichtet, der Raum wird sofort den persönlichen Bedürfnissen angepasst, den funktionellen aber auch den symbolischen. Von der Bauernstube bis zum Le-Courbusier-Möbel, von der venezianischen Gondel bis zum türkischen Spitzendeckchen auf dem Fernseher. Wohnen ist innerste kulturelle Bastion jeder Gesellschaft und kommt als Idee sogar mit in die Emigration.


Interkulturelle Spannungen

In Pariser Sozialwohnungen kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen, als eingewanderte Algerier ihre Balkone zum rituellen Schlachten von Schafen verwendeten. „Die Blutspuren würden die ganze Fassade verschandeln,“ erinnert sich der Kunsthistoriker Georges Teyssot, „dabei ist das doch besser als jedes Kunstwerk, es ist wunderschön.“

Für Teyssot markieren solche Zeremonien ebenso die Wohnfläche wie banalere Handlungen. Bestimmte Orte innerhalb der Wohnung können negativ besetzt sein, weil man an dieser Stelle einmal eine heftige Auseinandersetzung hatte; andere stehen für positive Erinnerungen und Möglichkeiten. Georges Teyssot nennt sie die erogenen Zonen einer Wohnung.


Spiegel der Persönlichkeit

„Ein Haus ist nie neutrales Terrain“, sagt Teyssot, aber nicht Architekten und Designer definieren die Qualität einer Wohnung, sondern die Bewohner." Die Maxime lautet: Erkenne dich selbst und lass zu, dass andere dich erkennen.

Sparsamkeit oder Luxus, Schmutz oder Sauberkeit, Alt oder Neu, die Wohnung ist Spiegel unseres Selbst. Das ist die Konstante aller Trends. Für Stefan Andritzky gibt es „Hausflüchter“ und „Haussucher“, und es gibt die sogenannten urbanen Neonomaden, die eigentlich gar kein Zuhause mehr wollen. Eine der berühmtesten stammt aus Wien. Hans Dampf In Allen Gassen, Peter Weibel, behauptet von sich, er hätte keine Wohnung mehr sondern nur noch Kleiderdepots und ansonsten seien ihm Luxushotels am liebsten.

ORF.at, Mo., 2001.05.21

23. März 2001Ines Mitterer
ORF.at

„Man kann immer Grenzen dehnen“

Coop Himmelb(l)au bauen ein Science-Museum in Lyon und ein Entertainment Center in Guadalajara.

Coop Himmelb(l)au bauen ein Science-Museum in Lyon und ein Entertainment Center in Guadalajara.

Das Architektenteam Coop Himmelb(l)au, alias Wolf Prix und Helmut Swiczinsky, ist begeistert. Sie haben den Zuschlag für einen Museumsbau in Lyon gewonnen. „Von der Lage her erinnert uns das Gelände an Bilbao, wo wir gegen Frank Gehry verloren haben“, freut sich Wolf Prix bei einem seiner selten gewordenen Besuche in Wien.


Neues Museumskonzept

Auf einer Landzunge zwischen den Flüssen Rhone und Saone gelegen, wird das neue „Musée des Confluences“ ab dem Jahr 2005 die allerneuesten Entwicklungen in Sachen Wissenschaft zeigen. Dass die Hülle dafür auch den neuesten Erkenntnissen in Sachen Architektur und Städtebau entspricht, dafür sorgt Coop Himmelb(l)au.

Kein konventionelles Museum verbirgt sich im Bauch der Wolke und im Körper des Kristalls, wie die entsprechenden Gebäudeteile poetisch heißen, sondern ein Museumsprogramm, das dem Besucher Wissen, Erholung, Freizeitaktivitäten, Kommunikation und nicht zuletzt spannende Raumerlebnisse gleichzeitig bietet. Wolf Prix spricht von einem „offenen Gebäude“, in dem die Architektur auf die vielen Wünsche „interaktiv“ reagieren kann.


Sitzen und liegen

Dieses Aufbrechen traditioneller Museumsräume, dieses Verschlingen verschiedener Raumangebote miteinander lässt den Besucher das eine Mal stehen und konzentriert schauen, wie das in einem Museum so üblich ist, das andere Mal aber sitzen oder liegen, entspannen oder zerstreut wahrnehmen.


Zersplitternder Düsenjet

Auch nach außen hin signalisiert das Gebäude Aufbruch durch die Durchdringung transparenter und solider Baukörper, die Verschränkung öffentlicher und privater Plätze, die Verbindung geometrischer und amorpher Körper. Das Bild, das sich daraus ergibt, ist schlicht spektakulär, ähnelt einem zersplitternden Düsenjet, der da auf dem schmalen Grundstück am Zusammenlauf der beiden Flüsse gelandet ist.


Neues Wahrzeichen für Lyon

Das zukünftige Musée des Confluences zieht vermutlich alle Blicke auf sich und lässt damit entstehen, was sich die architekturbewussten Stadtväter von Lyon gewünscht haben: ein neues Wahrzeichen der Stadt. Eventueller Kritik, das Gebäude sei vielleicht zu aufregend, kommt Wolf Prix im Voraus entgegen: „Manche Leute verwechseln Aufgeregtheit mit Lebendigkeit und haben keine Augen, um zu sehen, welche Vielfalt dahinter steckt“, so Prix.


Coop Himmelb(l)au in Mexiko

Ein neues aufregendes Projekt von Coop Himmelb(l)au ist derzeit auch in der mexikanischen Stadt Guadalajara im Entstehen. Ein Shopping- und Entertainment-Center, das auch mehr sein will als bloßer Konsumtempel.

Vor allem der öffentliche Raum, der Stadtraum, der von allen Städtern unentgeltlich genutzt werden kann, ist den Coops ein Anliegen. Und das auch und vor allem in dem neuen Stadtteil, der in Guadalajara jetzt von Hand der größten Architekturstars der Welt entsteht.


Prominente Nachbarn

In unmittelbarer Nachbarschaft zu Jean Nouvel, Daniel Libeskind, Zaha Hadid oder Frank Gehry definiert Coop Himmelb(l)au die Idee der Shopping-Mall neu. „Durch architektonische Formenvielfalt ist es uns gelungen, den architektonischen Raum bei selber Grundfläche zu verdoppeln. Es handelt sich also eher um einen Marktplatz, auf dem man mehr machen kann, als einfach dasitzen und Kaffeetrinken“, erklärt Prix.


Neue Außenstelle

Mit dem Urban Entertainment Center in Guadalajara hat Coop Himmelb(l)au neben Wien und Los Angeles eine weitere Außenstelle des Büros in Mexiko geschaffen. Wolf Prix als Außenminister des Duos ist jetzt noch mehr unterwegs. Und das, obwohl sich auch die heimischen Bauaufträge mehren: Der coopsche Umbau der Gasometer in Simmering, wo Coop Himmelb(l)au vor kurzem den Großen Österreichischen Staatspreis überreicht bekommen hat, geht in die Endphase.

Auf dem Areal der Liesinger Brauerei soll ein Wohn- und Bürogebäude eine himmelblaue Interpretation erfahren, und weitere Bürogebäude, ebenfalls für Wien, sind geplant. Frisch nach dem alten Credo: „Ich denke, dass man auf jedem Gebiet, sei es ein Entertainment-Center oder ein Wohnbau, Grenzen dehnen kann. Neue Formulierungen im Städtebau sind notwendig, um einen dynamischen Fluss in das Getriebe der Städteplanung zu bringen“, so Prix.

ORF.at, Fr., 2001.03.23

18. Februar 2000Ines Mitterer
ORF.at

Bindewörter als Bürophilosophie

Die Architekten der 68er-Generation schlossen sich häufig noch zu Gruppen zusammen. EoK wollten solche Vertraulichkeiten nicht aufkommen lassen. Sie arbeiten seit 25 Jahren zusammen - oder etwa doch nicht?

Die Architekten der 68er-Generation schlossen sich häufig noch zu Gruppen zusammen. EoK wollten solche Vertraulichkeiten nicht aufkommen lassen. Sie arbeiten seit 25 Jahren zusammen - oder etwa doch nicht?

„Es ist ein Sowohl-Und-Oder-Als auch.“ Wer mit dem Büro Eichinger oder Knechtl zu tun hat, weiß, dass das mit dem „oder“ im Namen kein leerer Scherz ist: Bauherren, Handwerker, Ämter und Journalisten haben es meistens je nach Baustelle mit einem der beiden Gestaltungskünstler zu tun: bei den Bars ist es in der Regel Gregor Eichinger, der Rede und Antwort steht, beim Hauptplatz in Wiener Neustadt oder dem Hannoveraner EXPO-Projekt gibt Christian Knechtl Auskunft.


( Abb. Wr. Neustädter Hauptplatz bei Nacht )


Klares Erscheinungsbild

Nach außen wollen die beiden für Auftraggeber klare Konturen bieten. Innerhalb der vier Bürowände am Wiener Franz-Josefs-Kai verwischen die Grenzen. Vielleicht kommt die berühmte Campari-Flaschen-Beleuchtung im „Wrenkh“ tatsächlich aus der sinnlichen Feder von Gregor Eichinger - den kulinarisch-vegetarischen Hintergrund für das Projekt lieferten aber Christian Knechtls kulinarische Vorlieben.

Je eingeweihter die Mitarbeiter, desto weniger können sie sagen, was von wem stammt. Für den langjährigen EoK-Planer Andy Breuss ist jedes Projekt eine „Eichinger und Knechtl und eventuell Co. Arbeit“.


(Abb. Laks-Watch - Museum Store in Wien )


Bürokratische Geburtshilfe

Zwei Möglichkeiten hatte das Gestalterduo Gregor Eichinger und Christian Knechtl zur Zeit der Bürogründung puncto Namensgebung vor Augen: Entweder man bedient sich der Familiennamen und verbindet sie mit einem „und“, oder man versucht es mit einem Fantasienamen à la Coop Himmelb(l)au oder Hausrucker und Co. Bei der Entscheidungsfindung war im Fall von „Eichinger oder Knechtl“ einmal ausnahmsweise eine Behörde behilflich: Das gemeinsame Auftreten auf dem Briefkopf verwirrte das Finanzamt. Nach langem Hin und Her blieb als einzige Möglichkeit: oder. Da hatte man dann beides: Familiennamen und Fantasieprodukt und den Hinweis, dass man mehr sein will, als eine gewöhnliche Bürogemeinschaft. Erst langsam wurde der Name Programm, mehr aus Zufall und eher ungewollt wie vieles bei EoK.

Ungleichpolige Ladung

EoK - ein Paar von Gegensätzen auch äußerlich: groß und kräftig der eine, kleiner, schlank und drahtig der andere, bekennender Großstadtbewohner der eine, aufs Land gezogen der andere, exzessives Nachtleben versus intensives Familienleben. Beim Kennenlernen in den 70er Jahren an der Technischen Universität in Wien war alles noch ganz anders - nur gegensätzlich waren die beiden Positionen immer. Und es galt mehr das Sprichwort von den Gegensätzen, die sich anziehen, als das vom Gleichen, das sich gern zu gleich gesellt.


( Abb. Monocoque - Dachausbau in Wien )


Rollentausch

Der schüchterne Gregor Eichinger, aufgewachsen am Land, ist fasziniert von der nonchalanten Gesprächigkeit des Wieners Knechtl - so war es am Anfang. Heute ist es Eichinger, der - extrovertiert - gerne in die Welt hinausgeht, und es ist Knechtl, der - introvertiert - lieber innerhalb der Bürowände oder des Computergehäuses forscht. „Der Gregor ist der Außenminister, der Christian der Innenminister“, charakterisiert Ossi Schellmann, Wiener Szenegastronom und einer der frühen Auftraggeber, die beiden.

Was bleibt ist der Gegensatz und die Spannung, die sich dadurch ergibt. Sie verleiht dem Produkt mehr Intensität, glauben sogar Auftraggeber wie Michael Satke, der schon auf Bauherrenerfahrungen mit einem anderen gegensätzlichen Architektenduo, nämlich Prix und Swiscinski von Coop Himmelb(l)au, zurückblicken kann.

Networking

Eichinger oder Knechtl, Rem Koolhaas und sein OMA, Sottsass Associati - Architektur- und Designbüros verstehen sich heute gerne als Verdichtungen inmitten weit verzweigter Netzwerke, die unterschiedlichste Bereiche miteinander verbinden, von der abstraktesten Theorie bis zur alltäglichsten Praxis. So gesehen gibt es viele Partner von Eichinger oder Knechtl: Biologen und Gesundheitsgurus, die bei der Gestaltung von vegetarischen Restaurants ihren Beitrag leisten, Musiker, die beim Layout von Partys tonangebend sind, Quantenphysiker, die einen Raum mitbestimmen, oder fernöstliche Weisen, die sich auf die direkte Zusammenarbeit der beiden auswirken.

Neben dem „oder-Prinzip“ regiert bei EoK denn auch seit jeher das „Lustprinzip“ und wenn es einmal nicht so sein sollte, hat das Netz noch seine altbekannte, circensische Funktion: müde Trapezkünstler aufzufangen.

ORF.at, Fr., 2000.02.18

Profil

7 | 6 | 5 | 4 | 3 | 2 | 1