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Texte

23. September 2015Gabriele Hoffmann
Neue Zürcher Zeitung

Vergebene Chancen und gute Ansätze

Nach dem Abriss der Seitenflügel des Hauptbahnhofs rücken andere Einzelbauten von Stuttgart ins Licht. Die einen stimmen hoffnungsvoll, andere sind eine Ermahnung zu mehr städtebaulichem Engagement.

Nach dem Abriss der Seitenflügel des Hauptbahnhofs rücken andere Einzelbauten von Stuttgart ins Licht. Die einen stimmen hoffnungsvoll, andere sind eine Ermahnung zu mehr städtebaulichem Engagement.

Als Vittorio Magnago Lampugnani 2012 im Stuttgarter Rathaus seine «persönlichen Gebrauchsanweisungen zur zeitgenössischen Stadtplanung» vortrug, war in Stuttgart der Zug bereits abgefahren. In die falsche Richtung, wie nach der Eröffnung zweier Shoppingcenter feststeht. Man hatte, trotz starken Verlusten an innerstädtischer Bausubstanz im Zweiten Weltkrieg, noch einmal Reste kleinteiliger Innenstadtstruktur für Grossprojekte geopfert. Wie sieht das Fazit für den Stadtraum im südlichen Teil von Stuttgart-Mitte aus, nachdem hier das Einkaufscenter «Gerber» auf 14 000 Quadratmeter Fläche eröffnet worden ist? Der Architekt Bernd Albers aus Berlin, Gewinner des Wettbewerbs, hat für den Aussenbau an einem der wenigen erhaltenen Gründerzeithäuser Mass genommen: ein doppelstöckiger Sockel sowie Korbbogenfenster als Abschluss der Handelsgeschosse und darüber die kleinteiligere Fassadenstruktur der Wohngeschosse. Vier Eingänge in die Shoppingmall betonen die Einbindung in den Stadtraum. Was dennoch nachdenklich stimmt, ist die Monumentalität des Projekts, die sich bei den Fassaden in einem Staccato der Vertikalen äussert.

Machbares ohne Vision

Ein weiteres Shoppingcenter, das durch pure Grossmassstäblichkeit ein Massenpublikum zu beeindrucken sucht, ist das fast gleichzeitig mit dem «Gerber» 2014 eröffnete «Milaneo». Es verdankt sich dem durch das Bahnprojekt «Stuttgart 21» entstehenden Europaviertel hinter dem durch einen Teilabriss verunstalteten Hauptbahnhof, der in den nächsten Jahren unterirdisch erweitert werden soll. Der Darmstädter Architekt Klaus Trojan, der 1996 den städtebaulichen Wettbewerb gewann, räumt angesichts der desolaten Situation des Areals ein: «Der Bebauungsplan hat zu schnell das Machbare fixiert.» Der Planung fehlte die sorgfältige Klärung der Frage, wie sich das planungsrechtlich und finanziell Mögliche mit dem städtebaulich Wünschenswerten vereinen lässt. Wo eine überdimensionierte Mall wie das «Milaneo» mit den riesigen Fassaden von LBBW-Bank und Süd-Factoring zu konkurrieren scheint, ist trotz ansehnlicher Architektur einzelner Grossbauten und trotz Blöcken mit Eigentumswohnungen Ödnis das Resultat.

Versöhnlich stimmt allein die neue Stadtbibliothek von Eun Young Yi am Mailänder Platz in unmittelbarer Nachbarschaft zum «Milaneo». Doch wer von den zum Teil weither angereisten «Milaneo»-Besuchern wird, bepackt mit vollen Taschen, Lust haben, die Grenzen des Europaquartiers für einen Besuch der Innenstadt zu überschreiten? Wenn Stuttgart unter Stadtplanern keinen guten Ruf hat, so hat es einen umso besseren bei Investoren. Dafür hat der frühere Oberbürgermeister Wolfgang Schuster gesorgt. Der Stadt fehlt eine erkennbare städtebauliche Vision. Selbst wenn es zu einer Umkehr in Stuttgart kommen sollte, dürfte es nach Schätzung des angesehenen Bauingenieurs Werner Sobek drei bis vier Jahrzehnte dauern, bis die neue Handschrift als Lebenswirklichkeit erfahrbar sein wird.

Ein Beispiel für gelungenen Städtebau aus jüngster Zeit ist der neue Hospitalhof, das Bildungszentrum der evangelischen Kirche von Lederer Ragnarsdóttir Oei in der Innenstadt. Wegweisend für das Stuttgarter Architekturbüro war der Bezug zum ehemaligen Dominikanerkloster an diesem Ort mit dem noch vorhandenen Chor der gotischen Kirche. Es ist eine Architektur der kleinen Gesten, die hier überzeugt.

Am ebenfalls in der Innenstadt gelegenen Karlsplatz konnten die Arbeiten für eine städtebauliche Neuordnung des Dorotheenviertels beginnen, nachdem eine Bürgerinitiative gegen den Abriss der Hotel Silber genannten einstigen Gestapozentrale Erfolg hatte. Den Wettbewerb, der einen Neubau des Warenhauses Breuninger an der Rückseite des seit 1881 bestehenden Hauses am Marktplatz einschliesst, gewann der Stuttgarter Architekt Stefan Behnisch. «Unsere Häuser sind nun einmal die Wände des öffentlichen Raumes», ein Wort von Behnisch, mit dem er auf die Bedeutung von Stiftskirche, Markthalle und Liederhalle als «Landmarken» hinweist. Wie weit seine Entwürfe – drei aus den Fugen geratene weisse Kisten mit Dachlandschaften für exzeptionelle Nutzungen – geeignet sind, dem Quartier neues Leben einzuhauchen, wird sich zeigen.

Was im autogerechten Stuttgart «Kulturmeile» genannt wird, ist die Konrad-Adenauer-Strasse, eine Stadtautobahn, die streckenweise unter und über der Erde verläuft. Erst seit wenigen Jahren erlauben Ampelanlagen den ebenerdigen Übergang von der Schlossgartenseite mit Oper und Staatstheater zur gegenüberliegenden Hangseite mit Staatsgalerie, Musikhochschule, Landesbibliothek, Staatsarchiv, Haus der Geschichte und dem unter Wilhelm I. erbauten Wilhelmspalais, das zurzeit zum Stadtmuseum umgebaut wird. Sehr zu begrüssen ist die Entscheidung, mit dem erforderlichen Erweiterungsbau für die Württembergische Landesbibliothek direkt an die Konrad-Adenauer-Strasse zu gehen. Das beauftragte Büro Lederer Ragnarsdóttir Oei strebt ein Mehr an Urbanität an. Eine Freitreppe soll zwischen Alt- und Neubau vermitteln. Man spricht bereits von einer beginnenden «Boulevardisierung» der Konrad-Adenauer-Strasse. So wünschenswert die weitere Bebauung auf beiden Seiten wäre, muss doch Schwerpunkt konkreter Überlegungen sein, die Umwelt und Kultur belastende Situation der Stadtautobahn zu korrigieren.

Städtebaulichen Gewinn für das Quartier hinter der Alten Staatsgalerie verspricht der Neubau der John-Cranko-Ballettschule. Den Wettbewerb haben die Münchner Architekten Stefan Burger und Birgit Rudacs gewonnen. Prägend für ihren Entwurf ist die Auseinandersetzung mit der Hanglage – drei in die Höhe gestaffelte Reihen von Einzelhäusern. Es ist ein Entwurf, der auf die spezifische Nutzung der Schule und ihre stadträumliche Beziehung zu Oper und Stadttheater reagiert.

Engagement für Baukultur

Die negativen Erfahrungen mit Investoren-Architektur im Stuttgarter Europaviertel haben dazu beigetragen, dass Anfang 2015 die «Landesinitiative Baukultur Baden-Württemberg» an den Start ging. Eine gute Möglichkeit, sich für Baukultur auch bei historischen Bauten einzusetzen, bietet sich bei der Villa Berg. Die um 1850 vom Hofarchitekten Christian Friedrich Leins für Kronprinz Karl und seine Gemahlin erbaute Sommerresidenz besteht aus einer Villa im Stil der Neorenaissance und einem Park.

Eine bauliche Neuerung der damaligen Zeit war das zentrale Treppenhaus mit Glasdach-Konstruktion. Die Villa erlitt starke Schäden im Zweiten Weltkrieg. Nach einer vereinfachenden Rekonstruktion des Aussenbaus, bei der die Ecktürme und zwei niedrige Flügelbauten wegfielen, übergab die Stadt die Villa und den Park dem Süddeutschen Rundfunk, der 1950/51 nach Plänen von Egon Eiermann den grossen Sendesaal einbauen liess. Heute befindet sich die Villa Berg in einem desaströsen baulichen Zustand. Umso erfreulicher ist die Tatsache, dass die Stadt Stuttgart das Ensemble von Villa, Park und Fernsehstudios im vergangenen Juni vom bisherigen Eigentümer, dem Investor PDI, für 300 000 Euro zurückgekauft hat. Für das «identitätsstiftende Bauwerk» Villa Berg dürfte die bauliche Sanierung gerade noch in letzter Minute kommen.

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2015.09.23

04. September 2014Gabriele Hoffmann
Neue Zürcher Zeitung

Baukünstlerische Friedenssicherung

Mit Städten, die vom Krieg beschädigt wurden, beschäftigt sich die neuste Ausstellung des Architekturmuseums der TU München. Um diese Orte vor neuen Gewaltausbrüchen zu schützen, sind räumlich-soziale Strategien in Architektur und Städteplanung gefragt.

Mit Städten, die vom Krieg beschädigt wurden, beschäftigt sich die neuste Ausstellung des Architekturmuseums der TU München. Um diese Orte vor neuen Gewaltausbrüchen zu schützen, sind räumlich-soziale Strategien in Architektur und Städteplanung gefragt.

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08. März 2014Gabriele Hoffmann
Neue Zürcher Zeitung

Hauchdünne Betonschalen

Der Abriss des «Ahornblatts» im Juni 2000 war ein Skandal, denn das als Schalenbaukonstruktion zwischen 1970 und 1973 von Ulrich Müther erbaute Grossrestaurant...

Der Abriss des «Ahornblatts» im Juni 2000 war ein Skandal, denn das als Schalenbaukonstruktion zwischen 1970 und 1973 von Ulrich Müther erbaute Grossrestaurant...

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04. November 2011Gabriele Hoffmann
Neue Zürcher Zeitung

Erstes Haus am Platz

Die vom koreanischen Architekten Eun Young Yi entworfene neue Stadtbibliothek Stuttgart ist ein nach aussen sich abschottender Monolith. Umso überraschender ist der Eindruck von Weite im Innern. Beides zusammen verleiht der Idee der Bibliothek, Ort individuellen Lernens und Ort der Begegnung zu sein, Ausdruck.

Die vom koreanischen Architekten Eun Young Yi entworfene neue Stadtbibliothek Stuttgart ist ein nach aussen sich abschottender Monolith. Umso überraschender ist der Eindruck von Weite im Innern. Beides zusammen verleiht der Idee der Bibliothek, Ort individuellen Lernens und Ort der Begegnung zu sein, Ausdruck.

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verknüpfte Bauwerke
Stadtbibliothek am Mailänder Platz

07. Oktober 2006Gabriele Hoffmann
Neue Zürcher Zeitung

Orientalischer Glanz und modernes Chaos

Urbanistische Visionen für das Kairo von übermorgen

Urbanistische Visionen für das Kairo von übermorgen

Kairo - eine Megacity? Ungern lassen wir uns den orientalischen Klang des Namens durch den statistischen Befund von 17 Millionen Einwohnern trüben. Doch der internationale Wettbewerb zum Neubau des Ägyptischen Museums in Gizeh hat der Metropolenentwicklung Kairos neue Aufmerksamkeit beschert. In diesem Kontext ist auch die Ausstellung «Kairo - Bauen und Planen für übermorgen» im Stuttgarter Institut für Auslandsbeziehungen (IfA) zu sehen. Iris Lenz, Kuratorin der Reihe «Stadtansichten», korrigiert mit ausgewählten Projekten zur Kairoer Stadtentwicklung einseitige Vorstellungen von orientalischem Glanz und modernem Chaos.

Beispielhaft für das Prinzip der punktuellen Stadterneuerung ist der 2003 eröffnete Al-Azhar- Park, ein Geschenk des Aga Khan, das die Restaurierung der fatimidischen Stadtmauer und die Revitalisierung des benachbarten Darb al- Ahmar, eines der ärmsten Altstadtquartiere, nach sich zog. Im Jahre 1967 war infolge des Bevölkerungszuwachses die erste «informelle Siedlung» Kairos entstanden; 1995 lagen 80 Prozent des seither neu erstellten Wohnraums in Gebieten ohne Wasser- und Elektrizitätsversorgung, ohne Abwasser- und Abfallbeseitigung. Manshiet Nasser, die 600 000 Einwohner zählende Spontansiedlung auf dem innerstädtischen Mokattam-Felsen, bekommt durch ein von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) planerisch und finanziell gefördertes Projekt eine moderne Infrastruktur. Die ausgestellten Dokumentarfotos lassen ein «partizipatorisches Modell» erkennen, das die Bewohner, von denen viele für wenig Geld den bebauten Grund nachträglich erwerben, in die Planung einbezieht und so zu Eigeninitiativen anregt.

In eine ganz andere Richtung weisen Pläne für New Cairo City. Die für 2,5 Millionen Einwohner projektierte Stadt in der Wüste soll durch Abnabelung von Kairo das Pendlerproblem der Metropole lösen helfen. Die diesbezüglichen Exponate, ein Flächennutzungsplan und Ansichten von einer streng hierarchisch gegliederten Wohnbebauung, werfen freilich Fragen nach dem urbanen Konzept auf. Hoffnungsfroh stimmen die Ergebnisse eines Kooperationsprojekts, das Architekturstudenten aus Stuttgart und Kairo zusammenführte. Ihre Entwürfe für das geschichtsträchtige Maspiro am Nilufer sind Versuche, das Alte durch eine konsequent neue Bebauungsstruktur zu retten.

[ Bis 29. Oktober in der IfA-Galerie Stuttgart, anschliessend vom 10. November bis 14. Januar 2007 in der IfA-Galerie Berlin. Katalog: Stadtansichten. Kairo - Bauen und Planen für übermorgen. Hrsg. IfA-Galerie, Stuttgart 2006. 132 S., Euro 12.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2006.10.07

14. März 2005Gabriele Hoffmann
Neue Zürcher Zeitung

In bester Lage

«Angekommen», mit diesem Ausruf der Freude und Erleichterung hat die Stadt Stuttgart ihr neues Kunstmuseum eröffnet. Zwar sorgt der gläserne Kubus schon...

«Angekommen», mit diesem Ausruf der Freude und Erleichterung hat die Stadt Stuttgart ihr neues Kunstmuseum eröffnet. Zwar sorgt der gläserne Kubus schon...

«Angekommen», mit diesem Ausruf der Freude und Erleichterung hat die Stadt Stuttgart ihr neues Kunstmuseum eröffnet. Zwar sorgt der gläserne Kubus schon seit vier Monaten für einen unübersehbaren baulichen Akzent am Kleinen Schlossplatz (NZZ 22. 11. 04) und in der Flucht der Königstrasse, wo 1963 die Ruine des Kronprinzenpalais abgerissen wurde. Doch «angekommen» als Museum ist der Solitär erst jetzt mit der Ausstellungspremiere, die Museumsdirektorin Marion Ackermann ausschliesslich der über achtzig Jahre gewachsenen Städtischen Sammlung widmet. Graf Silvio della Valle di Casanova hatte 1925 mit der Schenkung seiner Gemäldesammlung den Grundstock für die Städtische Gemäldesammlung gelegt, die bis 1943 ihr Domizil in der für den Kronprinzen erbauten Villa Berg hatte und 1961 als Galerie der Stadt Stuttgart in das wiederaufgebaute Kunstgebäude von Theodor Fischer einzog. Eugen Keuerleber, Leiter der Galerie seit 1945, legte den Schwerpunkt seiner Ankäufe auf südwestdeutsche Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts mit Adolf Hölzel, Otto Dix und Willi Baumeister im Zentrum.

Bedeutendste Dix-Sammlung

Marion Ackermanns Vorgänger Johann-Karl Schmidt baute die Dix-Sammlung zur weltweit bedeutendsten Kollektion dieses Künstlers aus. Und so wundert es nicht, dass dem Olympier im neuen Haus zurzeit die gesamte oberste Ausstellungsebene zugewiesen ist. Hier hängen Hauptwerke aus den zwanziger Jahren: Die «Prager Strasse» mit den rhythmisch ineinander verhakten Elendsfiguren, das Lebensgier ausstrahlende «Grossstadt»-Triptychon und das schrille «Bildnis der Tänzerin Anita Berber». Und weil auch ein Otto Dix in dem geschlossenen Saal zu abgeschottet wäre, kam Bruce Naumans «Two Wolves, Two Deers» in die Saalmitte - geschundene Tierleiber, beäugt von Dix' Kriegskrüppeln, ältlichen Huren, Künstlern und Spiessern.

Ebenso präsent ist in dieser Eröffnungsschau der ab 1905 an der Stuttgarter Akademie lehrende Adolf Hölzel, Wegbereiter der deutschen Moderne. Von seinen Meisterschülern nimmt Willi Baumeister in der Sammlung den ersten Platz ein. Ein am Bauhaus entstandener Teppich von Hölzels Lieblingsschülerin Ida Kerkovius findet möglicherweise erstmals den Weg aus dem Depot ins Licht der Öffentlichkeit.

An der vom Foyer ausgehenden sechzig Meter langen Erschliessungsachse liegen kleinere Räume mit süddeutscher Malerei aus dem 19. Jahrhundert - herausragend bei den Impressionisten Hermann Pleuer mit «Lokomotive im Schnee». Unter den Expressionisten stand Heckel in der Gunst der schwäbischen Sammler besonders hoch. Den Gegenpol zur meditativ gestischen Malerei Bissiers bildet K. R. H. Sonderborgs impulsive Bearbeitung grosser Leinwände mit Messern und Spachteln.

Starke malerische Akzente setzt die Malerei der Grieshaber-Schüler Walter Stöhrer, Horst Antes und Dieter Krieg. Zu den bedeutenden Kunstsammlungen, die Schmidt als Dauerleihgaben an die Galerie der Stadt binden konnte, kam unter Marion Ackermann die Sammlung Teufel hinzu. Ihr verdankt die Ausstellung exemplarische Werke der konkreten Kunst von Schoonhoven, Lohse und Graeser, jetzt in Nachbarschaft mit Hard-Edge-Malerei von Georg-Karl Pfahler.
Grandioses Panorama

Schon die erste Ausstellung gibt den Berliner Architekten Hascher & Jehle Recht mit ihrem Konzept einer Verzahnung von «introvertierten Kunsträumen» und offenen «kommunikativen Bereichen». Wer vom Erdgeschoss aus den Parcours über die drei Ausstellungsebenen bis ins Höhencafé geschafft hat, wird erst einmal das grandiose Panorama mit Schlossplatz, Altem und Neuem Schloss und der sich an den Höhen hinaufwindenden Stadt geniessen, bevor er über die Treppe zwischen der Glashaut und der inneren Schale des Kubus aus krustigem Solenhofer Jurakalk hinabsteigt, um dann im Erd- und Untergeschoss den Werken der Gegenwartskunst zu begegnen. Im querliegenden 500 m² grossen Versammlungssaal provoziert eine Wandinstallation von Jannis Kounellis, «Senza Titolo», archaische Vorstellungen, wenn über Stahlplatten kleine Flammen zischen.

Die beiden kommunizierenden Ausstellungsebenen nutzen eine stillgelegte, leicht schräg verlaufende Autotunnelröhre unter dem Kleinen Schlossplatz. Alle Räume der 114 m langen und 14 m breiten Grundfläche sind durch diese Vorgabe nicht ganz rechtwinklig, und diese «Störung» wirkt auch im Kubus belebend. So richtig wohl fühlen kann sich im Untergeschoss die exzellente Dieter-Roth-Sammlung. Auch die Werkgruppen der international renommierten Künstler Wolfgang Laib, Joseph Kosuth und Günther Förg gehören seit langem zum Bestand, der in jüngster Zeit von Marion Ackermann durch Ankäufe aktueller Kunst, darunter mehrere Werke von Karin Sander, erweitert wurde. «Les Délices des Evêques» von Rebecca Horn wird im neuen Museumskonzept ein Kristallisationspunkt für Werke mit politisch-sozialkritischer Ausrichtung sein, so wie René Sraubs Video «Umsonst ist der Tod» für das Thema «Ornament». In Zukunft werden die beiden unteren Ausstellungsebenen mit Werken aus der Sammlung quasi als Fundament dienen für die jährlich drei Wechselausstellungen im gläsernen Kubus.

[ Bis 31. Juli. Katalog (Hatje-Cantz-Verlag) Euro 39.80. ]

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2005.03.14



verknüpfte Bauwerke
Kunstmuseum Stuttgart

22. November 2004Gabriele Hoffmann
Neue Zürcher Zeitung

Glaswürfel am Schlossplatz

Stuttgarts städtische Kunstsammlung, die in „Kunstmuseum Stuttgart“ umbenannte Städtische Galerie, darf in einen Neubau umziehen. Vorbei sind die Zeiten...

Stuttgarts städtische Kunstsammlung, die in „Kunstmuseum Stuttgart“ umbenannte Städtische Galerie, darf in einen Neubau umziehen. Vorbei sind die Zeiten...

Stuttgarts städtische Kunstsammlung, die in „Kunstmuseum Stuttgart“ umbenannte Städtische Galerie, darf in einen Neubau umziehen. Vorbei sind die Zeiten des schwierigen räumlichen Arrangements mit dem Württembergischen Kunstverein. Die in Berlin tätigen Architekten Hascher & Jehle, gebürtige Stuttgarter, verstehen ihr Werk als „Stadtreparatur“. Konzipiert als kompakter Kubus mit gläserner Hülle, steht der Neubau dort, wo Ende der sechziger Jahre die Untertunnelung der Königstrasse zur Anlage des städtebaulich unbefriedigenden Kleinen Schlossplatzes führte. Etwas aus der Fluchtlinie zurückgesetzt, betont der sich unaufdringlich gebende Bau seine Zugehörigkeit zur Königstrasse ebenso wie seine Funktion als kultureller Solitär in einem neu erbauten Ensemble von Banken und Geschäftshäusern. Tagsüber beherrscht der seine Umgebung spiegelnde Glaswürfel mit aufgedruckter Streifenstruktur das Bild, nachts leuchtet sein mit Naturstein verkleideter Kern.

Vom geräumigen Foyer mit Espressobar und Museumsshop führt eine von Tageslicht erhellte Haupterschliessungsachse in die Tiefe des Baus. Eine Stahltreppe verbindet die beiden Ausstellungsebenen unter dem Niveau des Kleinen Schlossplatzes, die sich der Umnutzung nicht mehr benötigter Tunnelröhren verdanken. Hier werden auf 4000 von insgesamt 5000 Quadratmetern Ausstellungsfläche die Spitzenwerke der 15 000 Objekte des 20. Jahrhunderts umfassenden städtischen Sammlung zu sehen sein. Die darüber liegenden Ebenen im Kubus sind den drei grossen Sonderausstellungen pro Jahr vorbehalten. Getrennt von den introvertierten Ausstellungsbereichen, sorgen auf den oberen Geschossen offene Zonen mit Durchbrüchen für Einblicke ins architektonische Gefüge. Aus den Umgängen zwischen Stein- und Glaskubus sieht man von oben hinab auf das geschäftige Leben in der Tiefe. Endstation des Aufstiegs über vier Etagen ist ein rundum verglastes Restaurant, das mit seinem schönen Ausblick auf Schlossplatz, Stadt und Weinberge nach der Eröffnung des Museums im Frühjahr 2005 nicht nur Ausstellungsbesucher beglücken wird.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2004.11.22



verknüpfte Bauwerke
Kunstmuseum Stuttgart

29. Oktober 2004Gabriele Hoffmann
Neue Zürcher Zeitung

Gärten des Orients

Den Muslimen ist er «das Paradies, das den Gottesfürchtigen versprochen ist»: der orientalische Garten, dessen Ursprung in altorientalischer Zeit liegt....

Den Muslimen ist er «das Paradies, das den Gottesfürchtigen versprochen ist»: der orientalische Garten, dessen Ursprung in altorientalischer Zeit liegt....

Den Muslimen ist er «das Paradies, das den Gottesfürchtigen versprochen ist»: der orientalische Garten, dessen Ursprung in altorientalischer Zeit liegt. Der heutige Umgang mit diesem Erbe ist Thema der Ausstellung «Gärten des Orients. Von Wüste, Wasser, Brunnen und Kanälen», zu der die Stuttgarter «ifa»-Galerie vier prominente Architekten eingeladen hat. Abdelhalim I. Abdelhalim schildert in Plänen und Fotografien das Leben in seinem Kinderkulturpark El-Hod El Marsoud in einem der ältesten Stadtviertel Kairos. Wasser als Lebensader ist das Motiv bei dem von Kamran Diba axial angelegten Niavaran-Garten in Teheran. Er orientiert sich dabei an der traditionellen Bewässerung durch Qanats. Bildhaftigkeit zeichnet Fernando Carunchos Neugestaltung eines Gartens im spanischen La Rioja aus. Halbrunde Treppenanlagen verbinden die Parterres mit ihren geometrisch angelegten Pflanzungen und flachen Wasserbecken. Das eindrucksvolle Grossprojekt von Hans H. Kienle und Mohamed S. Makiya für die Aussenanlagen der Al-Rashid-Universität in Bagdad wurde im Golfkrieg 1988 abgebrochen. Ein Masterplan, Skizzen und Pläne zeigen das Ineinandergreifen einer symmetrischen Gartenanlage und eines Wohngebietes auf dem Campus mit traditionellen Hofhäusern und einem informellen Wegsystem. Die Ausstellungsinszenierung mit hohen abgeschlossenen Raumkompartimenten grenzt nicht nur die sehr unterschiedlichen Bauaufgaben voneinander ab, sie erinnert auch an die Ummauerung als konstitutives Moment orientalischer Gärten.

Bis 7. November. Katalog: Gärten des Orients. Von Wüste, Wasser, Brunnen und Kanälen. Hrsg. ifa-Galerie Stuttgart. Cantz'sche Druckerei, Ostfildern 2004. 85 S., Euro 9.-.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2004.10.29

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Presseschau 12

23. September 2015Gabriele Hoffmann
Neue Zürcher Zeitung

Vergebene Chancen und gute Ansätze

Nach dem Abriss der Seitenflügel des Hauptbahnhofs rücken andere Einzelbauten von Stuttgart ins Licht. Die einen stimmen hoffnungsvoll, andere sind eine Ermahnung zu mehr städtebaulichem Engagement.

Nach dem Abriss der Seitenflügel des Hauptbahnhofs rücken andere Einzelbauten von Stuttgart ins Licht. Die einen stimmen hoffnungsvoll, andere sind eine Ermahnung zu mehr städtebaulichem Engagement.

Als Vittorio Magnago Lampugnani 2012 im Stuttgarter Rathaus seine «persönlichen Gebrauchsanweisungen zur zeitgenössischen Stadtplanung» vortrug, war in Stuttgart der Zug bereits abgefahren. In die falsche Richtung, wie nach der Eröffnung zweier Shoppingcenter feststeht. Man hatte, trotz starken Verlusten an innerstädtischer Bausubstanz im Zweiten Weltkrieg, noch einmal Reste kleinteiliger Innenstadtstruktur für Grossprojekte geopfert. Wie sieht das Fazit für den Stadtraum im südlichen Teil von Stuttgart-Mitte aus, nachdem hier das Einkaufscenter «Gerber» auf 14 000 Quadratmeter Fläche eröffnet worden ist? Der Architekt Bernd Albers aus Berlin, Gewinner des Wettbewerbs, hat für den Aussenbau an einem der wenigen erhaltenen Gründerzeithäuser Mass genommen: ein doppelstöckiger Sockel sowie Korbbogenfenster als Abschluss der Handelsgeschosse und darüber die kleinteiligere Fassadenstruktur der Wohngeschosse. Vier Eingänge in die Shoppingmall betonen die Einbindung in den Stadtraum. Was dennoch nachdenklich stimmt, ist die Monumentalität des Projekts, die sich bei den Fassaden in einem Staccato der Vertikalen äussert.

Machbares ohne Vision

Ein weiteres Shoppingcenter, das durch pure Grossmassstäblichkeit ein Massenpublikum zu beeindrucken sucht, ist das fast gleichzeitig mit dem «Gerber» 2014 eröffnete «Milaneo». Es verdankt sich dem durch das Bahnprojekt «Stuttgart 21» entstehenden Europaviertel hinter dem durch einen Teilabriss verunstalteten Hauptbahnhof, der in den nächsten Jahren unterirdisch erweitert werden soll. Der Darmstädter Architekt Klaus Trojan, der 1996 den städtebaulichen Wettbewerb gewann, räumt angesichts der desolaten Situation des Areals ein: «Der Bebauungsplan hat zu schnell das Machbare fixiert.» Der Planung fehlte die sorgfältige Klärung der Frage, wie sich das planungsrechtlich und finanziell Mögliche mit dem städtebaulich Wünschenswerten vereinen lässt. Wo eine überdimensionierte Mall wie das «Milaneo» mit den riesigen Fassaden von LBBW-Bank und Süd-Factoring zu konkurrieren scheint, ist trotz ansehnlicher Architektur einzelner Grossbauten und trotz Blöcken mit Eigentumswohnungen Ödnis das Resultat.

Versöhnlich stimmt allein die neue Stadtbibliothek von Eun Young Yi am Mailänder Platz in unmittelbarer Nachbarschaft zum «Milaneo». Doch wer von den zum Teil weither angereisten «Milaneo»-Besuchern wird, bepackt mit vollen Taschen, Lust haben, die Grenzen des Europaquartiers für einen Besuch der Innenstadt zu überschreiten? Wenn Stuttgart unter Stadtplanern keinen guten Ruf hat, so hat es einen umso besseren bei Investoren. Dafür hat der frühere Oberbürgermeister Wolfgang Schuster gesorgt. Der Stadt fehlt eine erkennbare städtebauliche Vision. Selbst wenn es zu einer Umkehr in Stuttgart kommen sollte, dürfte es nach Schätzung des angesehenen Bauingenieurs Werner Sobek drei bis vier Jahrzehnte dauern, bis die neue Handschrift als Lebenswirklichkeit erfahrbar sein wird.

Ein Beispiel für gelungenen Städtebau aus jüngster Zeit ist der neue Hospitalhof, das Bildungszentrum der evangelischen Kirche von Lederer Ragnarsdóttir Oei in der Innenstadt. Wegweisend für das Stuttgarter Architekturbüro war der Bezug zum ehemaligen Dominikanerkloster an diesem Ort mit dem noch vorhandenen Chor der gotischen Kirche. Es ist eine Architektur der kleinen Gesten, die hier überzeugt.

Am ebenfalls in der Innenstadt gelegenen Karlsplatz konnten die Arbeiten für eine städtebauliche Neuordnung des Dorotheenviertels beginnen, nachdem eine Bürgerinitiative gegen den Abriss der Hotel Silber genannten einstigen Gestapozentrale Erfolg hatte. Den Wettbewerb, der einen Neubau des Warenhauses Breuninger an der Rückseite des seit 1881 bestehenden Hauses am Marktplatz einschliesst, gewann der Stuttgarter Architekt Stefan Behnisch. «Unsere Häuser sind nun einmal die Wände des öffentlichen Raumes», ein Wort von Behnisch, mit dem er auf die Bedeutung von Stiftskirche, Markthalle und Liederhalle als «Landmarken» hinweist. Wie weit seine Entwürfe – drei aus den Fugen geratene weisse Kisten mit Dachlandschaften für exzeptionelle Nutzungen – geeignet sind, dem Quartier neues Leben einzuhauchen, wird sich zeigen.

Was im autogerechten Stuttgart «Kulturmeile» genannt wird, ist die Konrad-Adenauer-Strasse, eine Stadtautobahn, die streckenweise unter und über der Erde verläuft. Erst seit wenigen Jahren erlauben Ampelanlagen den ebenerdigen Übergang von der Schlossgartenseite mit Oper und Staatstheater zur gegenüberliegenden Hangseite mit Staatsgalerie, Musikhochschule, Landesbibliothek, Staatsarchiv, Haus der Geschichte und dem unter Wilhelm I. erbauten Wilhelmspalais, das zurzeit zum Stadtmuseum umgebaut wird. Sehr zu begrüssen ist die Entscheidung, mit dem erforderlichen Erweiterungsbau für die Württembergische Landesbibliothek direkt an die Konrad-Adenauer-Strasse zu gehen. Das beauftragte Büro Lederer Ragnarsdóttir Oei strebt ein Mehr an Urbanität an. Eine Freitreppe soll zwischen Alt- und Neubau vermitteln. Man spricht bereits von einer beginnenden «Boulevardisierung» der Konrad-Adenauer-Strasse. So wünschenswert die weitere Bebauung auf beiden Seiten wäre, muss doch Schwerpunkt konkreter Überlegungen sein, die Umwelt und Kultur belastende Situation der Stadtautobahn zu korrigieren.

Städtebaulichen Gewinn für das Quartier hinter der Alten Staatsgalerie verspricht der Neubau der John-Cranko-Ballettschule. Den Wettbewerb haben die Münchner Architekten Stefan Burger und Birgit Rudacs gewonnen. Prägend für ihren Entwurf ist die Auseinandersetzung mit der Hanglage – drei in die Höhe gestaffelte Reihen von Einzelhäusern. Es ist ein Entwurf, der auf die spezifische Nutzung der Schule und ihre stadträumliche Beziehung zu Oper und Stadttheater reagiert.

Engagement für Baukultur

Die negativen Erfahrungen mit Investoren-Architektur im Stuttgarter Europaviertel haben dazu beigetragen, dass Anfang 2015 die «Landesinitiative Baukultur Baden-Württemberg» an den Start ging. Eine gute Möglichkeit, sich für Baukultur auch bei historischen Bauten einzusetzen, bietet sich bei der Villa Berg. Die um 1850 vom Hofarchitekten Christian Friedrich Leins für Kronprinz Karl und seine Gemahlin erbaute Sommerresidenz besteht aus einer Villa im Stil der Neorenaissance und einem Park.

Eine bauliche Neuerung der damaligen Zeit war das zentrale Treppenhaus mit Glasdach-Konstruktion. Die Villa erlitt starke Schäden im Zweiten Weltkrieg. Nach einer vereinfachenden Rekonstruktion des Aussenbaus, bei der die Ecktürme und zwei niedrige Flügelbauten wegfielen, übergab die Stadt die Villa und den Park dem Süddeutschen Rundfunk, der 1950/51 nach Plänen von Egon Eiermann den grossen Sendesaal einbauen liess. Heute befindet sich die Villa Berg in einem desaströsen baulichen Zustand. Umso erfreulicher ist die Tatsache, dass die Stadt Stuttgart das Ensemble von Villa, Park und Fernsehstudios im vergangenen Juni vom bisherigen Eigentümer, dem Investor PDI, für 300 000 Euro zurückgekauft hat. Für das «identitätsstiftende Bauwerk» Villa Berg dürfte die bauliche Sanierung gerade noch in letzter Minute kommen.

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 2015.09.23

04. September 2014Gabriele Hoffmann
Neue Zürcher Zeitung

Baukünstlerische Friedenssicherung

Mit Städten, die vom Krieg beschädigt wurden, beschäftigt sich die neuste Ausstellung des Architekturmuseums der TU München. Um diese Orte vor neuen Gewaltausbrüchen zu schützen, sind räumlich-soziale Strategien in Architektur und Städteplanung gefragt.

Mit Städten, die vom Krieg beschädigt wurden, beschäftigt sich die neuste Ausstellung des Architekturmuseums der TU München. Um diese Orte vor neuen Gewaltausbrüchen zu schützen, sind räumlich-soziale Strategien in Architektur und Städteplanung gefragt.

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08. März 2014Gabriele Hoffmann
Neue Zürcher Zeitung

Hauchdünne Betonschalen

Der Abriss des «Ahornblatts» im Juni 2000 war ein Skandal, denn das als Schalenbaukonstruktion zwischen 1970 und 1973 von Ulrich Müther erbaute Grossrestaurant...

Der Abriss des «Ahornblatts» im Juni 2000 war ein Skandal, denn das als Schalenbaukonstruktion zwischen 1970 und 1973 von Ulrich Müther erbaute Grossrestaurant...

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04. November 2011Gabriele Hoffmann
Neue Zürcher Zeitung

Erstes Haus am Platz

Die vom koreanischen Architekten Eun Young Yi entworfene neue Stadtbibliothek Stuttgart ist ein nach aussen sich abschottender Monolith. Umso überraschender ist der Eindruck von Weite im Innern. Beides zusammen verleiht der Idee der Bibliothek, Ort individuellen Lernens und Ort der Begegnung zu sein, Ausdruck.

Die vom koreanischen Architekten Eun Young Yi entworfene neue Stadtbibliothek Stuttgart ist ein nach aussen sich abschottender Monolith. Umso überraschender ist der Eindruck von Weite im Innern. Beides zusammen verleiht der Idee der Bibliothek, Ort individuellen Lernens und Ort der Begegnung zu sein, Ausdruck.

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verknüpfte Bauwerke
Stadtbibliothek am Mailänder Platz

07. Oktober 2006Gabriele Hoffmann
Neue Zürcher Zeitung

Orientalischer Glanz und modernes Chaos

Urbanistische Visionen für das Kairo von übermorgen

Urbanistische Visionen für das Kairo von übermorgen

Kairo - eine Megacity? Ungern lassen wir uns den orientalischen Klang des Namens durch den statistischen Befund von 17 Millionen Einwohnern trüben. Doch der internationale Wettbewerb zum Neubau des Ägyptischen Museums in Gizeh hat der Metropolenentwicklung Kairos neue Aufmerksamkeit beschert. In diesem Kontext ist auch die Ausstellung «Kairo - Bauen und Planen für übermorgen» im Stuttgarter Institut für Auslandsbeziehungen (IfA) zu sehen. Iris Lenz, Kuratorin der Reihe «Stadtansichten», korrigiert mit ausgewählten Projekten zur Kairoer Stadtentwicklung einseitige Vorstellungen von orientalischem Glanz und modernem Chaos.

Beispielhaft für das Prinzip der punktuellen Stadterneuerung ist der 2003 eröffnete Al-Azhar- Park, ein Geschenk des Aga Khan, das die Restaurierung der fatimidischen Stadtmauer und die Revitalisierung des benachbarten Darb al- Ahmar, eines der ärmsten Altstadtquartiere, nach sich zog. Im Jahre 1967 war infolge des Bevölkerungszuwachses die erste «informelle Siedlung» Kairos entstanden; 1995 lagen 80 Prozent des seither neu erstellten Wohnraums in Gebieten ohne Wasser- und Elektrizitätsversorgung, ohne Abwasser- und Abfallbeseitigung. Manshiet Nasser, die 600 000 Einwohner zählende Spontansiedlung auf dem innerstädtischen Mokattam-Felsen, bekommt durch ein von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) planerisch und finanziell gefördertes Projekt eine moderne Infrastruktur. Die ausgestellten Dokumentarfotos lassen ein «partizipatorisches Modell» erkennen, das die Bewohner, von denen viele für wenig Geld den bebauten Grund nachträglich erwerben, in die Planung einbezieht und so zu Eigeninitiativen anregt.

In eine ganz andere Richtung weisen Pläne für New Cairo City. Die für 2,5 Millionen Einwohner projektierte Stadt in der Wüste soll durch Abnabelung von Kairo das Pendlerproblem der Metropole lösen helfen. Die diesbezüglichen Exponate, ein Flächennutzungsplan und Ansichten von einer streng hierarchisch gegliederten Wohnbebauung, werfen freilich Fragen nach dem urbanen Konzept auf. Hoffnungsfroh stimmen die Ergebnisse eines Kooperationsprojekts, das Architekturstudenten aus Stuttgart und Kairo zusammenführte. Ihre Entwürfe für das geschichtsträchtige Maspiro am Nilufer sind Versuche, das Alte durch eine konsequent neue Bebauungsstruktur zu retten.

[ Bis 29. Oktober in der IfA-Galerie Stuttgart, anschliessend vom 10. November bis 14. Januar 2007 in der IfA-Galerie Berlin. Katalog: Stadtansichten. Kairo - Bauen und Planen für übermorgen. Hrsg. IfA-Galerie, Stuttgart 2006. 132 S., Euro 12.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2006.10.07

14. März 2005Gabriele Hoffmann
Neue Zürcher Zeitung

In bester Lage

«Angekommen», mit diesem Ausruf der Freude und Erleichterung hat die Stadt Stuttgart ihr neues Kunstmuseum eröffnet. Zwar sorgt der gläserne Kubus schon...

«Angekommen», mit diesem Ausruf der Freude und Erleichterung hat die Stadt Stuttgart ihr neues Kunstmuseum eröffnet. Zwar sorgt der gläserne Kubus schon...

«Angekommen», mit diesem Ausruf der Freude und Erleichterung hat die Stadt Stuttgart ihr neues Kunstmuseum eröffnet. Zwar sorgt der gläserne Kubus schon seit vier Monaten für einen unübersehbaren baulichen Akzent am Kleinen Schlossplatz (NZZ 22. 11. 04) und in der Flucht der Königstrasse, wo 1963 die Ruine des Kronprinzenpalais abgerissen wurde. Doch «angekommen» als Museum ist der Solitär erst jetzt mit der Ausstellungspremiere, die Museumsdirektorin Marion Ackermann ausschliesslich der über achtzig Jahre gewachsenen Städtischen Sammlung widmet. Graf Silvio della Valle di Casanova hatte 1925 mit der Schenkung seiner Gemäldesammlung den Grundstock für die Städtische Gemäldesammlung gelegt, die bis 1943 ihr Domizil in der für den Kronprinzen erbauten Villa Berg hatte und 1961 als Galerie der Stadt Stuttgart in das wiederaufgebaute Kunstgebäude von Theodor Fischer einzog. Eugen Keuerleber, Leiter der Galerie seit 1945, legte den Schwerpunkt seiner Ankäufe auf südwestdeutsche Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts mit Adolf Hölzel, Otto Dix und Willi Baumeister im Zentrum.

Bedeutendste Dix-Sammlung

Marion Ackermanns Vorgänger Johann-Karl Schmidt baute die Dix-Sammlung zur weltweit bedeutendsten Kollektion dieses Künstlers aus. Und so wundert es nicht, dass dem Olympier im neuen Haus zurzeit die gesamte oberste Ausstellungsebene zugewiesen ist. Hier hängen Hauptwerke aus den zwanziger Jahren: Die «Prager Strasse» mit den rhythmisch ineinander verhakten Elendsfiguren, das Lebensgier ausstrahlende «Grossstadt»-Triptychon und das schrille «Bildnis der Tänzerin Anita Berber». Und weil auch ein Otto Dix in dem geschlossenen Saal zu abgeschottet wäre, kam Bruce Naumans «Two Wolves, Two Deers» in die Saalmitte - geschundene Tierleiber, beäugt von Dix' Kriegskrüppeln, ältlichen Huren, Künstlern und Spiessern.

Ebenso präsent ist in dieser Eröffnungsschau der ab 1905 an der Stuttgarter Akademie lehrende Adolf Hölzel, Wegbereiter der deutschen Moderne. Von seinen Meisterschülern nimmt Willi Baumeister in der Sammlung den ersten Platz ein. Ein am Bauhaus entstandener Teppich von Hölzels Lieblingsschülerin Ida Kerkovius findet möglicherweise erstmals den Weg aus dem Depot ins Licht der Öffentlichkeit.

An der vom Foyer ausgehenden sechzig Meter langen Erschliessungsachse liegen kleinere Räume mit süddeutscher Malerei aus dem 19. Jahrhundert - herausragend bei den Impressionisten Hermann Pleuer mit «Lokomotive im Schnee». Unter den Expressionisten stand Heckel in der Gunst der schwäbischen Sammler besonders hoch. Den Gegenpol zur meditativ gestischen Malerei Bissiers bildet K. R. H. Sonderborgs impulsive Bearbeitung grosser Leinwände mit Messern und Spachteln.

Starke malerische Akzente setzt die Malerei der Grieshaber-Schüler Walter Stöhrer, Horst Antes und Dieter Krieg. Zu den bedeutenden Kunstsammlungen, die Schmidt als Dauerleihgaben an die Galerie der Stadt binden konnte, kam unter Marion Ackermann die Sammlung Teufel hinzu. Ihr verdankt die Ausstellung exemplarische Werke der konkreten Kunst von Schoonhoven, Lohse und Graeser, jetzt in Nachbarschaft mit Hard-Edge-Malerei von Georg-Karl Pfahler.
Grandioses Panorama

Schon die erste Ausstellung gibt den Berliner Architekten Hascher & Jehle Recht mit ihrem Konzept einer Verzahnung von «introvertierten Kunsträumen» und offenen «kommunikativen Bereichen». Wer vom Erdgeschoss aus den Parcours über die drei Ausstellungsebenen bis ins Höhencafé geschafft hat, wird erst einmal das grandiose Panorama mit Schlossplatz, Altem und Neuem Schloss und der sich an den Höhen hinaufwindenden Stadt geniessen, bevor er über die Treppe zwischen der Glashaut und der inneren Schale des Kubus aus krustigem Solenhofer Jurakalk hinabsteigt, um dann im Erd- und Untergeschoss den Werken der Gegenwartskunst zu begegnen. Im querliegenden 500 m² grossen Versammlungssaal provoziert eine Wandinstallation von Jannis Kounellis, «Senza Titolo», archaische Vorstellungen, wenn über Stahlplatten kleine Flammen zischen.

Die beiden kommunizierenden Ausstellungsebenen nutzen eine stillgelegte, leicht schräg verlaufende Autotunnelröhre unter dem Kleinen Schlossplatz. Alle Räume der 114 m langen und 14 m breiten Grundfläche sind durch diese Vorgabe nicht ganz rechtwinklig, und diese «Störung» wirkt auch im Kubus belebend. So richtig wohl fühlen kann sich im Untergeschoss die exzellente Dieter-Roth-Sammlung. Auch die Werkgruppen der international renommierten Künstler Wolfgang Laib, Joseph Kosuth und Günther Förg gehören seit langem zum Bestand, der in jüngster Zeit von Marion Ackermann durch Ankäufe aktueller Kunst, darunter mehrere Werke von Karin Sander, erweitert wurde. «Les Délices des Evêques» von Rebecca Horn wird im neuen Museumskonzept ein Kristallisationspunkt für Werke mit politisch-sozialkritischer Ausrichtung sein, so wie René Sraubs Video «Umsonst ist der Tod» für das Thema «Ornament». In Zukunft werden die beiden unteren Ausstellungsebenen mit Werken aus der Sammlung quasi als Fundament dienen für die jährlich drei Wechselausstellungen im gläsernen Kubus.

[ Bis 31. Juli. Katalog (Hatje-Cantz-Verlag) Euro 39.80. ]

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2005.03.14



verknüpfte Bauwerke
Kunstmuseum Stuttgart

22. November 2004Gabriele Hoffmann
Neue Zürcher Zeitung

Glaswürfel am Schlossplatz

Stuttgarts städtische Kunstsammlung, die in „Kunstmuseum Stuttgart“ umbenannte Städtische Galerie, darf in einen Neubau umziehen. Vorbei sind die Zeiten...

Stuttgarts städtische Kunstsammlung, die in „Kunstmuseum Stuttgart“ umbenannte Städtische Galerie, darf in einen Neubau umziehen. Vorbei sind die Zeiten...

Stuttgarts städtische Kunstsammlung, die in „Kunstmuseum Stuttgart“ umbenannte Städtische Galerie, darf in einen Neubau umziehen. Vorbei sind die Zeiten des schwierigen räumlichen Arrangements mit dem Württembergischen Kunstverein. Die in Berlin tätigen Architekten Hascher & Jehle, gebürtige Stuttgarter, verstehen ihr Werk als „Stadtreparatur“. Konzipiert als kompakter Kubus mit gläserner Hülle, steht der Neubau dort, wo Ende der sechziger Jahre die Untertunnelung der Königstrasse zur Anlage des städtebaulich unbefriedigenden Kleinen Schlossplatzes führte. Etwas aus der Fluchtlinie zurückgesetzt, betont der sich unaufdringlich gebende Bau seine Zugehörigkeit zur Königstrasse ebenso wie seine Funktion als kultureller Solitär in einem neu erbauten Ensemble von Banken und Geschäftshäusern. Tagsüber beherrscht der seine Umgebung spiegelnde Glaswürfel mit aufgedruckter Streifenstruktur das Bild, nachts leuchtet sein mit Naturstein verkleideter Kern.

Vom geräumigen Foyer mit Espressobar und Museumsshop führt eine von Tageslicht erhellte Haupterschliessungsachse in die Tiefe des Baus. Eine Stahltreppe verbindet die beiden Ausstellungsebenen unter dem Niveau des Kleinen Schlossplatzes, die sich der Umnutzung nicht mehr benötigter Tunnelröhren verdanken. Hier werden auf 4000 von insgesamt 5000 Quadratmetern Ausstellungsfläche die Spitzenwerke der 15 000 Objekte des 20. Jahrhunderts umfassenden städtischen Sammlung zu sehen sein. Die darüber liegenden Ebenen im Kubus sind den drei grossen Sonderausstellungen pro Jahr vorbehalten. Getrennt von den introvertierten Ausstellungsbereichen, sorgen auf den oberen Geschossen offene Zonen mit Durchbrüchen für Einblicke ins architektonische Gefüge. Aus den Umgängen zwischen Stein- und Glaskubus sieht man von oben hinab auf das geschäftige Leben in der Tiefe. Endstation des Aufstiegs über vier Etagen ist ein rundum verglastes Restaurant, das mit seinem schönen Ausblick auf Schlossplatz, Stadt und Weinberge nach der Eröffnung des Museums im Frühjahr 2005 nicht nur Ausstellungsbesucher beglücken wird.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2004.11.22



verknüpfte Bauwerke
Kunstmuseum Stuttgart

29. Oktober 2004Gabriele Hoffmann
Neue Zürcher Zeitung

Gärten des Orients

Den Muslimen ist er «das Paradies, das den Gottesfürchtigen versprochen ist»: der orientalische Garten, dessen Ursprung in altorientalischer Zeit liegt....

Den Muslimen ist er «das Paradies, das den Gottesfürchtigen versprochen ist»: der orientalische Garten, dessen Ursprung in altorientalischer Zeit liegt....

Den Muslimen ist er «das Paradies, das den Gottesfürchtigen versprochen ist»: der orientalische Garten, dessen Ursprung in altorientalischer Zeit liegt. Der heutige Umgang mit diesem Erbe ist Thema der Ausstellung «Gärten des Orients. Von Wüste, Wasser, Brunnen und Kanälen», zu der die Stuttgarter «ifa»-Galerie vier prominente Architekten eingeladen hat. Abdelhalim I. Abdelhalim schildert in Plänen und Fotografien das Leben in seinem Kinderkulturpark El-Hod El Marsoud in einem der ältesten Stadtviertel Kairos. Wasser als Lebensader ist das Motiv bei dem von Kamran Diba axial angelegten Niavaran-Garten in Teheran. Er orientiert sich dabei an der traditionellen Bewässerung durch Qanats. Bildhaftigkeit zeichnet Fernando Carunchos Neugestaltung eines Gartens im spanischen La Rioja aus. Halbrunde Treppenanlagen verbinden die Parterres mit ihren geometrisch angelegten Pflanzungen und flachen Wasserbecken. Das eindrucksvolle Grossprojekt von Hans H. Kienle und Mohamed S. Makiya für die Aussenanlagen der Al-Rashid-Universität in Bagdad wurde im Golfkrieg 1988 abgebrochen. Ein Masterplan, Skizzen und Pläne zeigen das Ineinandergreifen einer symmetrischen Gartenanlage und eines Wohngebietes auf dem Campus mit traditionellen Hofhäusern und einem informellen Wegsystem. Die Ausstellungsinszenierung mit hohen abgeschlossenen Raumkompartimenten grenzt nicht nur die sehr unterschiedlichen Bauaufgaben voneinander ab, sie erinnert auch an die Ummauerung als konstitutives Moment orientalischer Gärten.

Bis 7. November. Katalog: Gärten des Orients. Von Wüste, Wasser, Brunnen und Kanälen. Hrsg. ifa-Galerie Stuttgart. Cantz'sche Druckerei, Ostfildern 2004. 85 S., Euro 9.-.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2004.10.29

23. Oktober 2004Gabriele Hoffmann
Neue Zürcher Zeitung

Ein Brückenschlag in Baden-Baden

Der Unternehmer und Kunstmäzen Frieder Burda entschied sich vor zehn Jahren für eine öffentliche Präsentation seiner Kunstsammlung. Mit deren Einzug in ein eigenes Museum, das Richard Meier neben der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden erbaut hat, bekommt die Öffentlichkeit auf Dauer Zugang zu hochkarätigen Werken.

Der Unternehmer und Kunstmäzen Frieder Burda entschied sich vor zehn Jahren für eine öffentliche Präsentation seiner Kunstsammlung. Mit deren Einzug in ein eigenes Museum, das Richard Meier neben der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden erbaut hat, bekommt die Öffentlichkeit auf Dauer Zugang zu hochkarätigen Werken.

Private Kunstsammler geraten immer mehr ins Rampenlicht. Ein Hauptgrund dafür sind die stark geschrumpften Ankaufsetats öffentlicher Museen. Viele öffnen ihre Häuser privaten Kollektionen auch ohne Garantie für eine längerfristige Leihgabe. Eine andere Wendung hat die vor drei Jahren begonnene Tuchfühlung zwischen dem Sammler Frieder Burda, der Stadt Baden- Baden und dem Land Baden-Württemberg genommen. Der 1936 im badischen Gengenbach geborene Sohn des Verlegerehepaares Franz und Aenne Burda hatte Ende der sechziger Jahre begonnen, die Familientradition des Kunstsammelns fortzusetzen. Galt die Vorliebe der Eltern den deutschen Expressionisten, so legte der Sohn mit einer geschlitzten Leinwand von Lucio Fontana den Grundstein für die eigene Sammlung, die heute 550 Werke moderner und zeitgenössischer Kunst umfasst. Erst vor zehn Jahren kam ihm der Gedanke, sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Als sich sein Wunsch nach einem eigenen Museum im südfranzösischen Mougins, Picassos letztem Wohnsitz, zerschlug, entdeckte der seit über zwanzig Jahren in Baden-Baden ansässige Unternehmer die berühmte Lichtentaler Allee als Alternative. Das Land Baden-Württemberg, interessiert am Verbleib der international angesehenen Sammlung, bot ihm einen Bauplatz unmittelbar neben der Baden-Badener Kunsthalle an. Frieder Burda gründete daraufhin eine Stiftung zur Finanzierung des Baus sowie des späteren Unterhalts und gewann den durch zahlreiche Museumsbauten ausgewiesenen New Yorker Architekten Richard Meier für sein Projekt.

Gebrochenes Weiss

An diesem Wochenende, drei Jahre nach dem ersten Spatenstich, wird nun die Sammlung Frieder Burda im Haus Lichtentaler Allee 8b eröffnet. So ungewöhnlich wie die bauliche Verbindung durch einen gläsernen Steg zur Kunsthalle Lichtentaler Allee 8a ist der auf Kooperation angelegte ideelle Brückenschlag zwischen der staatlichen Kunstinstitution und dem privaten Sammlermuseum. Eine «grosse Villa» nennt Meier das Bauwerk und verweist damit auf sein Konzept, die Architektur zum Park mit seinem alten Baumbestand und zu der noch immer von Villen geprägten Stadt zu öffnen. Das geschieht in der für Meiers Museumsbauten üblichen Weise durch eine den Gerüstbau umgebende Aussenhaut mit Wandelementen aus Aluminiumplatten in leicht gebrochenem Weiss im Wechsel mit Fassadenteilen aus Glas. Prägend für die Aussenansicht sind Klarheit, Leichtigkeit und Transparenz. Das feinlinige Rechteckraster im Weiss der Aussenwände betont das Statische der Architektur im Kontrast zur Vielfalt der Landschaft mit den im Tages- und Jahresrhythmus wechselnden Farben. Auch der Bezug zur neuklassizistischen Kunsthalle von Hermann Billing mit ihrer dezenten Pilastergliederung im Natursteinmauerwerk besteht in der Balance aus Nähe und Abgrenzung.

Im Innern gewährt die Architektur dem Besucher auf Schritt und Tritt die Sicht nach draussen - fast wie in einem der hier ausgestellten Bilder, dem «Blick aus dem Fenster in Baden-Baden» von Max Beckmann. Für Meier hat die Öffnung der Aussenwände in erster Linie die Funktion, die Kunstwerke in kontrolliertem Tageslicht zu präsentieren. Das perfekte Beleuchtungssystem gewährt selbst dem Untergeschoss noch natürliches Licht. Offene Rampen erschliessen die verschiedenen Ebenen und funktionieren zugleich als Erlebnispfad, der beim Auf- und Absteigen einzelne Räume und das architektonische Ganze in ständig wechselnden Blickwinkeln erscheinen lässt. Die Sammlung verteilt sich auf zwei grosse Säle und zwei Kabinette. Vom Atrium aus betritt man einen Saal für Grossformate. Gedämpftes Licht dringt durch die mit Lamellen abgeschirmte Fensterwand. Beim Blick zur Decke scheint der grosse Saal des Obergeschosses über dem unteren zu schweben. Neben den Rampen sind es die an den Ecken offenen Räume, die dem Besucher ein abwechslungsreiches Zusammenspiel von inszenierter Ausstellung und nicht weniger inszenierter Architektur bieten. «Licht ist hier das wichtigste Baumaterial, ihm kommt eine Schlüsselfunktion zu», hält Meier fest.

Schwerpunkte der Sammlung

Klaus Gallwitz, Gründungsdirektor des Burda- Museums und früher einmal Leiter der benachbarten Kunsthalle, zeigt in der Eröffnungsausstellung 150 Werke der Sammlung, verteilt auf beide Häuser. «Böhmen liegt am Meer», diesem erst 2004 erworbenen Gemälde von Anselm Kiefer weist Gallwitz die Rolle des Präludiums zu. Ein Weg durch Ödland - zwei helle Streifen im Dickicht gebrochener Farben - führt in eine unabsehbare Weite. In seiner Unschärfe ist das Bild mit dem in ungelenken Buchstaben zitierten Anfang eines Gedichtes von Ingeborg Bachmann eine Antithese zur Architektur. Im Parterresaal hängt in Nachbarschaft zu grossformatigen Gemälden von Polke und Baselitz ein Triptychon von Richter («Schräge», «Stand», «Grad»). Die einem zerschlissenen Gewebe ähnliche Textur basiert auf dem Farbauftrag mit Rakeln. Die Ausstellung belegt mit hervorragenden Beispielen - neben späteren abstrakten Bildern auch die Arbeiten «Kerze» und «Party» aus der frühen Phase der Fotomalerei - das anhaltende Interesse des Sammlers am Werk Gerhard Richters. Der obere grosse Saal enthält sieben Bilder von Picasso aus seinem letzten Lebensjahrzehnt. Burda erwarb sie, als das Spätwerk noch kaum Beachtung fand. Frühe figürliche Bilder von Rothko hängen neben «Black Stripe», das im Tageslicht seine Rot verströmt. Ganz in der Nähe eine Leinwand von Clifford Still in flammigem Rot mit durchbrechendem Schwarz und Weiss - ein Highlight in Burdas Sammlung von Gemälden des abstrakten Expressionismus. In einem der beiden Kabinette sind Bilder der deutschen Expressionisten Kirchner, Macke und Jawlensky versammelt, zusammen mit einer «Frauenbüste» von Lehmbruck. Herausragendes bietet die Sammlung Burda in ihrem Beckmann-Schwerpunkt. Im Gemälde «Die Stourdza-Kapelle. Regentag in Baden-Baden» hat der Maler kurz vor seiner Emigration Eindrücke von einem Kuraufenthalt verarbeitet.

Auf der anderen Seite der gläsernen Passage, in der Kunsthalle, begegnet man Richter und Polke noch einmal, jedem in einem eigenen Raum. Den grossen Saal dominiert Baselitz mit wichtigen Werken aus allen Perioden von «Tränenbeutel» (1963) bis zu einem Bild aus der Folge «Knaben» (1998). Erst seit wenigen Jahren sammelt Frieder Burda auch Arbeiten von William Copley: plakativ gemalte Western- und Erotikszenen vor gemusterten Hintergründen. Dass auch weiterhin nicht Schluss sein soll mit dem Sammeln, beweisen die in die Eröffnungsschau eingestreuten Bilder von Corinne Wasmuth und Tim Eitel und ein eigener Raum für die auf dem Kunstmarkt heiss begehrte coole Malerei von Alex Katz. Nur eines wird es bei Frieder Burda wohl nie geben: Kunst mit neuen Medien.

[ Die Eröffnungsausstellung dauert bis zum 20. Februar 2005. Katalog: Sammlung Frieder Burda. Hrsg. Stiftung Frieder Burda. Verlag Hatje Cantz, Ostfildern Ruit 2004. 256 S., Euro 29.-. ]

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2004.10.23



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Museum Sammlung Frieder Burda

09. Januar 2003Gabriele Hoffmann
Neue Zürcher Zeitung

Der Traum von der Europastadt

Görlitz, die östlichste Stadt Deutschlands, hat Chancen, als Weltkulturerbe anerkannt zu werden. 13 Jahre Sanierung haben zur Wiedergeburt einer Stadt geführt, deren bauliche Entwicklung über Jahrhunderte von Fernhandel und Industrialisierung geprägt wurde. Heute fehlt der Stadt an der Grenze zu Polen nur noch eine gewisse Urbanität.

Görlitz, die östlichste Stadt Deutschlands, hat Chancen, als Weltkulturerbe anerkannt zu werden. 13 Jahre Sanierung haben zur Wiedergeburt einer Stadt geführt, deren bauliche Entwicklung über Jahrhunderte von Fernhandel und Industrialisierung geprägt wurde. Heute fehlt der Stadt an der Grenze zu Polen nur noch eine gewisse Urbanität.

Wer als Westbesucher zu DDR-Zeiten nach Görlitz kam, erlebte an der deutsch-polnischen Grenze eine von Bomben und übereiltem Wiederaufbau verschonte deutsche Stadt. Es gab noch den Unter- und Obermarkt mit spätgotischen Laubengängen, Renaissance- und Barockbauten, dazu jenseits der erst 1848 abgebrochenen Stadtmauer die neuen Viertel mit gründerzeitlichen Mietshäusern und grossbürgerlichen Villen. Dreizehn Jahre danach ist Görlitz immer noch zwischen zwei Nationen geteilt. Doch mit dem sich abzeichnenden EU-Beitritt Polens beginnt sich das von Vorurteilen belastete Klima in der Neissestadt zu ändern. Die jungen Leute hüben und drüben stehen in den Startlöchern, um gemeinsam die Europastadt zu bauen, das deutsch- polnische Görlitz/Zgorzelec. Eines der vielen Zeichen guten Willens ist die für nächstes Frühjahr geplante Neukonstruktion der 1945 gesprengten Altstadtbrücke.


Hoffen auf den «Aufschwung Ost»

An Besuchern mangelt es der Grenzstadt schon längst nicht mehr. Was fehlt, sind junge Görlitzer, die verhindern, dass dieses einzigartige, mit viertausend denkmalgeschützten Objekten gesegnete Gemeinwesen zu einem Museum wird. Eine niedrige Geburtenrate und die Abwanderung junger Menschen in den Westen haben dafür gesorgt, dass die Einwohnerzahl von 80 000 Ende der sechziger Jahre auf heute 63 000 geschrumpft ist. Das ist nicht verwunderlich angesichts der Tatsache, dass als einziges grösseres Industriewerk nur der Bombardier-Waggonbau überlebt hat. Die vielen restaurierten Häuser können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der «Aufschwung Ost» in Görlitz noch nicht angekommen ist.

Dabei kann die Stadt auf eine blühende Vergangenheit zurückblicken. Die böhmischen Herzöge, die im 11. Jahrhundert über die Oberlausitz herrschten, besassen mit dem sorbischen Dorf Goreliz einen Kreuzungspunkt zweier bedeutender Handelsstrassen in West-Ost- und Nord-Süd- Richtung. Vom böhmischen König Ottokar I. ins Land gerufene Siedler aus Franken und Thüringen gründeten dann in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts auf dem Westufer der Neisse eine erste Kaufmannssiedlung, die sich bis 1220 zu einem städtischen Fernhandelsplatz erweiterte. Wirtschaftliche Kraft besass die Stadt im Mittelalter durch das Tuchmacherhandwerk sowie den Handel mit Tüchern und dem Färbemittel Waid. Mit königlichen Privilegien wie Münzprägerecht und Hoher Gerichtsbarkeit ausgerüstet, trat Görlitz 1346 dem oberlausitzischen Sechsstädtebund bei. Das Ziel war zunächst der Schutz der Handelswege. Doch mit Beginn der Hussitenkriege setzten die Städte ihre vom König verbriefte Macht mehr und mehr gegen die mit den «Ketzern» sympathisierenden Handwerker und Besitzlosen ein. Aus dem oft blutigen Machtgerangel ging in Görlitz die Ratsoligarchie gestärkt hervor.

Das Bild, das die herausgeputzte Neissestadt heute wieder bietet, ist ein getreues Abbild dieser Entwicklung. Das Repräsentationsbedürfnis der reichen Kaufmannsschicht prägte den Stil der Häuser von der Neissstrasse über den Untermarkt, die Brüderstrasse und den Obermarkt bis zum Kaisertrutz, der mächtigsten unter den mittelalterlichen Bastionen, und seinem über hundert Jahre älteren eleganten Gegenstück, dem Reichenbacher Turm. Die Viertel der Gerber und Tuchfärber lagen zu beiden Seiten des Flusses; Bäcker, Schmiede und Papierschöpfer nutzten die Wasserkraft von Neisse und Lunitz für ihre Mühlen. Der Initiative von Kunsthistorikern, Denkmalpflegern und engagierten Bürgern ist es zu danken, dass in der DDR-Zeit der Abriss historischer Gebäude verhindert werden konnte.


Kaufmannshäuser und Sakralbauten

Der grösste Teil der Baudenkmäler, die den Krieg und die spätere Verwahrlosung überstanden, wurde saniert und bestimmt heute wieder das Stadtbild. Der ringförmige, durch die «Zeile» in einen nördlichen und einen südlichen Bereich geteilte Untermarkt besitzt auf der Ostseite noch die alten «Hirschläuben», einen gotischen Arkadengang mit Netzrippengewölbe. Nach dem grossen Stadtbrand von 1525 dienten die stehen gebliebenen Verkaufslauben als Substruktion für Neubauten im Stil der Renaissance. Aus dieser Zeit stammt der prachtvolle Schönhof, ein Werk, mit dem der in Schlesien und der Oberlausitz tätige Wendel Roskopf d. Ä. in die Reihe der führenden deutschen Renaissancebaumeister aufrückte. Von ihm stammt auch die Görlitzer Rathaustreppe von 1537 mit Kanzel und Justitia- Standbild. Die Restaurierung nach 1989 galt gewachsenen Ensembles - kleinen und grossen Stadträumen, die miteinander in lebhaftem Austausch stehen. Aus diesem Zusammenklang historischer Stile tönen mal lauter, mal leiser die Stimmen einzelner Architekten und Bauherren.

Wir sind es gewohnt von Residenzstädten baukünstlerische Höchstleistungen zu erwarten. Görlitz ist ein Gegenbeispiel, eine Bürger- und Handelsstadt, die sich ihren architektonischen Reichtum aus den Anpassungen an wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen geschaffen hat. Den überzeugendsten Ausdruck dafür findet man im Typus des Görlitzer Hallenhauses, der Wohn- und Arbeitsstätte eines Handelsherrn. Die Organisation des Hauses lässt sich nur erschliessen, wenn man durch das Portal in die gewölbte Erdgeschosshalle tritt. Von dort führt eine Treppe in den Keller, wo das selbst gebraute Bier lagerte, eine andere in die zentrale Halle, die durch mehrere Stockwerke bis unter das Dach reichte. Von dort empfing sie durch ein Fenster Tageslicht. Eine Öffnung zwischen Zentralhalle und Kontor verschaffte dem Hausherrn die Kontrolle über wichtige Vorgänge in seiner Umgebung. Umlaufende Galerien und die halbgeschossig versetzten Wohn-, Arbeits- und Lagerräume bildeten ein ebenso zweckmässiges wie repräsentatives Ganzes. Die Görlitzer Hallen sind in ihrem heutigen Zustand das Ergebnis mehrerer zweckgerichteter Umbauten, bei denen von der ursprünglichen Grosszügigkeit immer etwas verloren ging. Heftige Diskussionen löst bei jeder Sanierung die Frage aus: Wo soll erhalten, wo zurückgebaut werden? Allgemein gilt, dass historische Veränderungen von zeitgeschichtlicher Bedeutung bewahrt werden.

Unter den Görlitzer Sakralbauten besitzt neben der Peterskirche, einem spätgotischen, in seiner Leichtigkeit beeindruckenden fünfschiffigen Hallenbau, das Heilige Grab stadtgeschichtliche Bedeutung. Die private Stiftung aus dem späten 15. Jahrhundert ist eine ziemlich massstabgetreue Nachbildung des Jerusalemer Heiligen Grabes mit Kreuzkapelle, Grabkapelle und Salbstein in der von den Kreuzrittern im 12. Jahrhundert geschaffenen Form. Von anderen europäischen Heiliggrab-Nachbildungen unterscheidet sich die Görlitzer durch ihre Einbettung in die Landschaft. Die Restaurierung der Anlage bewirkte, dass die Karfreitagsprozession von der Peterskirche zum Heiligen Grab wiederbelebt wurde.

Es gibt noch einen anderen Ort, dem die Görlitz-Enthusiasten zu einem Superlativ verholfen haben: Karstadt, «Deutschlands schönstes Kaufhaus» von 1912. Die Fassade der wuchtigen natursteinverkleideten Stahlskelettkonstruktion verrät nichts von ihrem Inneren. Das Haus empfängt seine Kunden in einem weiten Lichthof unter einer prächtigen Jugendstil-Glaskuppel und geleitet sie über eine stilvolle zweiarmige Treppenanlage zu den drei oberen Einkaufsgalerien. Nach der Restaurierung sind selbst die lange verbannten Lüster wieder an ihren Platz zurückgekehrt. - Seit 1995 werden mit dem jährlich überwiesenen Geld eines anonymen Spenders immer mehr Sanierungsprojekte realisiert. Das ist die eine Wahrheit. Die andere lautet: Zurzeit wird ein «Stadt-Umbau-Programm» diskutiert, das bis 2015 den Abriss von 8500 nicht vermietbaren und also dem Verfall preisgegebenen Wohnungen vorsieht.

Neue Zürcher Zeitung, Do., 2003.01.09

07. Juli 2000Gabriele Hoffmann
Neue Zürcher Zeitung

Eine nordafrikanische Stadt entdeckt ihre Trümpfe

Nach Jahren politischer Ohnmacht versucht Algerien seine Führungsrolle im Maghreb zurückzugewinnen. In der urbanistischen Situation der Hauptstadt spiegeln sich die kulturellen Gegensätze des osmanisch-islamischen und des französisch-kolonialen Erbes. Wie gross sind die Energien, die sich daraus für eine metropolitane Zukunft Algiers gewinnen lassen?

Nach Jahren politischer Ohnmacht versucht Algerien seine Führungsrolle im Maghreb zurückzugewinnen. In der urbanistischen Situation der Hauptstadt spiegeln sich die kulturellen Gegensätze des osmanisch-islamischen und des französisch-kolonialen Erbes. Wie gross sind die Energien, die sich daraus für eine metropolitane Zukunft Algiers gewinnen lassen?

Wenn die Medien in den neunziger Jahren von Algerien Notiz nahmen, dann in der Regel nur im Zusammenhang mit Terrorakten. Für Europäer ist heute aber der Besuch der Hauptstadt Algier wieder möglich; und er ist durchaus auch im Interesse dieses Landes, in dem neue Hoffnungen keimen. Man landet auf dem Flughafen Houari Boumedienne, fährt mit einem Taxi über die Autobahn Richtung Innenstadt und ist sich spätestens beim Einbiegen in die Küstenstrasse bewusst, einen Fehler zu begehen, der nicht wieder gutzumachen ist: Dieser in der Form eines grandiosen Amphitheaters an den sanften Hängen des Sahelgebirges aufsteigenden Hafenstadt müsste man sich eigentlich vom Wasser her nähern.


Die Rettung der Kasbah

Nach Jahren der politischen Gewalt erlebt man heute in Algier nicht nur ein spürbares Aufatmen - man wird Zeuge einer Vision. Die Algerier, Bewohner des grössten maghrebinischen Staates, sehen ihre Hauptstadt als «Metropole des 21. Jahrhunderts». Die Schubladen der für die urbane Entwicklung zuständigen Regierungsstellen und Architekturbüros sind gefüllt mit Masterplänen und mit Projekten für einzelne Stadtteile. Sie alle gehen davon aus, dass die geostrategische Lage von «Grand Alger» in einer weiten halbmondförmigen Meeresbucht ihre vornehmste Trumpfkarte im globalen Wettbewerb der Metropolen sein wird. Und so darf man wohl sicher sein, dass bei der Neugestaltung der Uferzone auch der Blick vom Meer auf die Stadt eine mindestens virtuelle Rehabilitierung erfahren wird.

Die ersten Siedler, die sich die Vorteile dieses Küstenabschnitts zunutze machten, waren im 6. Jahrhundert v. Chr. die Phönizier, die mit ihren Handelsniederlassungen frühe städtische Strukturen schufen. Ab dem dritten vorchristlichen Jahrhundert bildeten Berberstämme grössere Siedlungseinheiten, wobei sie ihre Gunst bald Rom, bald Karthago zukommen liessen. Aus der vorrömischen Periode Algiers haben sich nur sehr geringe archäologische Funde erhalten. Aber auch von den Römern, die in Tunesien und Libyen grossartige Beweise ihrer urbanistischen Leistungsfähigkeit hinterliessen, sind in Algier kaum Spuren nachweisbar. Um 960 begann mit der Gründung von al-Djazair durch den Prinzen Bologhine aus der berberischen Zeriden-Dynastie die nächste Periode städtischer Entwicklung. Im frühen 16. Jahrhundert versuchten die Spanier der Piraterie im Mittelmeer durch Errichtung einer Festung auf der grössten der vier Inseln von al-Djazair ein Ende zu machen. Mit Hilfe der Türken gelang es den Berbern, ihre Stadt vor der Eroberung durch die Spanier zu bewahren, freilich um den Preis, dass 1529 al-Djazair dem Osmanischen Reich eingegliedert wurde. Nach 300 Jahren endete die osmanische Herrschaft 1830 mit der Eroberung Algeriens durch Frankreich.

Es spricht alles dafür, dass die Türken, die als Herrscher und Verbündete kamen, die vorgefundene berberische Stadtstruktur weder zerstörten noch wesentlich veränderten, wohl aber mit ihrem Hausbaustil der urbanen Entwicklung neue Impulse gaben. Die öffentlichen Gebäude in der Kasbah, der Medina Algiers, die Verteidigungsanlagen, Moscheen, Paläste und Brunnen sind auf Grund von Inschriften ins 16. bis 18. Jahrhundert zu datieren. Ein grosser Teil der Stadt dürfte beim Erdbeben 1716 zerstört worden sein. F. Cresti hat bei Untersuchungen zur Baugeschichte der Kasbah herausgefunden, dass die Stadt in der osmanischen Zeit durch Verdichtung in Form einer Aufstockung der Häuser die «definitive Form» annahm, die 1830 von den Franzosen vorgefunden und in ihren militärischen Plänen aufgezeichnet wurde. Von der Stadtmauer im Dreieck umschlossen, strebten die prismatisch ineinander verkeilten, dicht bebauten Strassen und Gassen dem Hafen zu.


Verlust an historischer Substanz

Was in der Kasbah an alten Bauten noch steht, ist in einem erschreckend ruinenhaften Zustand. Die vom Schutt befreiten Lücken im einst dichten urbanen Gewebe wurden von den Jugendlichen in Fussballplätze umfunktioniert. Der Verlust an historischer Substanz ist unübersehbar. In der oberen Kasbah hat man mit der Räumung der Häuser begonnen, um die lange geplante und immer wieder hinausgezögerte Restaurierung endlich in Angriff zu nehmen. Dabei ist neben der Unterbringung der dort lebenden Menschen die Klärung der komplizierten Besitzverhältnisse eines der grössten Probleme. Schon jetzt steht fest, dass der alte Charakter der Kasbah mit ihrer für das europäische Stadtverständnis chaotischen, in Wirklichkeit aber hierarchisch geordneten urbanen Struktur nicht wiederhergestellt werden kann. Man darf froh sein, wenn Wohnen und Tourismus ein erträgliches Gemenge ergeben werden. Der bis heute einzige vollständig restaurierte Gebäudekomplex ist die von Dey Ramdhan 1576 erbaute «Bastion 23», die die Kasbah zum Meer hin abgrenzt. Das vornehmste ihrer vier Gebäude besitzt mit seinem zweigeschossigen, von Arkaden umstellten Innenhof die für die islamische Architektur charakteristische Introvertiertheit. Die Fassaden zum Hof und die angrenzenden Räume sind mit Fayencen prächtig geschmückt. Das Bauwerk ist auch ein Mahnmal, das an die verheerenden Zerstörungen in der unteren Kasbah während der ersten Phase der französischen Kolonisation erinnert. Auf den freigeräumten Flächen entstanden Strassen und Plätze mit mehrgeschossigen Mietshäusern im neoklassizistischen Stil. Vollendet wurde das Werk der kolonialen Barbarei durch die Avenue du 1 er-Novembre, die nach einem um 1930 vorgelegten Plan von Tony Socard in den fünfziger Jahren realisiert wurde.

Unlängst fand in der Bastion 23 eine Ausstellung mit dem Titel «Architecture, Métropole, Région» statt, die eine zehnjährige Kooperation zwischen dem Städtebau-Institut (SI) der Universität Stuttgart (Prof. Dr. Eckhart Ribbeck) und der Ecole polytechnique d'architecture et d'urbanisme (EPAU) in Algier dokumentierte. Ziel der universitären Zusammenarbeit ist der wissenschaftliche Austausch unter den Lehrenden über Fragen der Stadtplanung und des Städtebaus mit den Schwerpunkten Algier («ein metropolitanes Projekt») und Ghardaia («ein regionales Projekt»). Einzelne urbanistische Projekte werden in gemeinsamen Workshops von algerischen und deutschen Studenten bearbeitet. Eine Hauptaufgabe der von der GTZ (Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit) geförderten Partnerschaft betrifft die ideelle und materielle Förderung der EPAU mit dem doppelten Ziel: nach aussen Stärkung ihrer Aktivitäten auf internationaler Ebene, nach innen die Entwicklung der Stadtforschung und der aktiven Beteiligung bei wichtigen Projekten in Algerien.


Haussmann in Algier

Wie in Ägypten oder in Libanon hatte auch in Algerien die Kolonialisierung eine beschleunigte Industrialisierung zur Folge. Der wachsende Bedarf an Arbeitskräften liess die Menschen aus den ländlichen Gebieten in die Städte strömen. Die Kasbah, die zur Zeit der französischen Kolonisation zur peripheren Enklave für die arabische Bevölkerung herabsank, bekam die Funktion eines sozialen Schmelztiegels, in dem sich zwangsläufig neue Formen des Zusammenlebens von Menschen verschiedener Herkunft entwickelten. Guiauchain, der prominenteste Stadtplaner Algiers im 19. Jahrhundert, schuf mit seinem Erweiterungsplan von 1846 die Grundlage für die «neue Stadt» nach dem Vorbild Haussmanns in Paris: gradlinige Strassenzüge mit mehrgeschossigen Wohn- und Geschäftshäusern gleicher Höhe, überdachte Galerien im Erdgeschoss und eine dem Rang der Strasse in der städtischen Hierarchie angemessene Fassadengestaltung. Als beste Adresse galt die Uferstrasse, der 250 Meter breite Boulevard de la République.

Mit dem Bau einer neuen Stadtmauer bis 1848 wurden alte arabische Vororte wie Bab Azzoun und Bab al-Oued in den städtischen Kernbereich einbezogen, die alten Ringmauern wurden zu Boulevards umgestaltet. Chassériau, zuvor Direktor der städtischen Bauten in Marseille, setzte mit seiner berühmten Uferbebauung - ein 150 Meter langer Damm mit 18 bis zu 15 Metern hohen Arkaden - ein unübersehbares Zeichen für die kulturelle Zweiteilung der Stadt, die immer mehr den Charakter einer sozialen Segregation annahm. Ganz im Geist Napoleons III. wurde Napoléonville, ein zum Meer hin orientiertes Viertel für 60 000 Menschen, aus dem Boden gestampft. Ab 1880 begann sich die Militärstadt Algier in eine Handels- und Dienstleistungsstadt zu verwandeln. Doch die vom zunehmenden Wohnungsbedarf diktierte Bautätigkeit erfolgte noch bis weit ins 20. Jahrhundert ohne städtebauliches Gesamtkonzept. In den höher gelegenen Randbezirken erstellten laut S. Hammache zwischen 1922 und 1929 private Baugesellschaften 25 Siedlungen. Während das «Grand ensemble», der vielgeschossige Wohnblock in Plattenbauweise, zum bevorzugten städtischen Bautypus avancierte, breiteten sich an der Peripherie der Stadt die ersten «Spontansiedlungen» aus.


Le Corbusier und die Folgen

Ein erster Leitplan (Plan directeur) «zur Verschönerung und Erweiterung der Stadt» datiert von 1931. Es ist die Geburtsstunde der «Region Algier», des Zusammenschlusses der Stadt Algier mit 17 Gemeinden zu einer Verwaltungseinheit. Geprägt war das Bauen der dreissiger Jahre von einer Funktionalität und Rationalität verpflichteten internationalen Architektursprache. Der individuelle, durch Natur und Tradition bestimmte Ort existiert nicht mehr, lautete ihre stereotype Charakterisierung. Für Le Corbusier und seinen Plan «Obus» («Granate») von 1931 stimmte das allerdings nur bedingt. Der Plan Obus zeichnete sich durch vier Elemente aus: am Wasser gelegen die Cité d'affaires mit scheibenförmigen Hochhäusern, an den Hängen des Fort de l'Empereur eine abstrakte Figuration aus konvexen und konkaven Gebäuden, zwischen beiden eine Autostrasse und parallel zur Küstenlinie ein mäandrierender, über 100 Meter hoher Viadukt mit Wohneinheiten, Läden und einer Autobahn als Bekrönung. Eine bewundernswerte Einheit von Natur und Architektur, sagen die einen; eine bauliche Bestätigung der real existierenden Klassenunterschiede, kontern die anderen. Der Entwurf, auch in seinen entschärften Varianten, kam nicht zur Ausführung. 1942 scheiterte Le Corbusier in Algier noch einmal mit einem Hochhausprojekt für das Quartier de la Marine. Seine Bedeutung für Algerien liegt wohl eher in der Tatsache, dass er und seine Schüler der Charta von Athen und damit dem Gedanken der Verdichtung durch Höhe Eingang in die algerische Stadtplanung verschafften.

Mehr als die gründerzeitliche Architektur der Boulevards bestimmen heute die Grands ensembles und HLM-Bauten (Habitat à loyer modéré) das Stadtbild vor allem in den Aussenbezirken. Zu den architektonisch herausragenden Beispielen gehören die Siedlungen des Architekten Fernand Pouillon aus den fünfziger Jahren. In Diar al-Mahçoul gruppieren sich die mehrgeschossigen Wohnbauten um einen Wohnturm. Kräftige vertikale Mauerbänder in rhythmischer Gliederung dominieren die Fassaden. Mit einem Dekor aus Holz und farbiger Keramik nimmt Pouillon die Architektursprache der Medina auf. Er ahmt das Alte nicht nach, er verwendet es innerhalb eines Zeichensystems. In Diar al-Mahçoul leben mit Sicherheit zu viele Menschen auf engstem Raum. Beobachtet man aber das Treiben in den Höfen, bekommt man den Eindruck, dass sich mit der erzwungenen Nähe ein starker gemeinsamer Willen für eine friedliche Zukunft entwickelt.

Zu den bekannten Architekten, die in Algier ihre Spuren hinterlassen haben, gehört auch der Brasilianer Oscar Niemeyer, der die Universität für Naturwissenschaften und Technik und die Architekturhochschule EPAU errichtete. Als Beispiel für die nachhaltige Wirkung Le Corbusiers sei der von einem Architektenteam (Bourlier, Perret, Miquel) erbaute gigantische Hochhauskomplex «L'Aéro Habitat» genannt.

Wer vom «Mémorial des Martyres» auf die Stadt hinabschaut, erkennt westlich vom Park Essai, dem in der Kolonialzeit angelegten Botanischen Garten, eine riesige Baulücke. Sie ist Teil einer geplanten städtischen Achse, die bis zur Place du 1er-Mai führen soll. Die gegenwärtige wirtschaftliche Entwicklung Algeriens macht eine Realisierung solcher urbanistischen Grossprojekte in absehbarer Zukunft eher unwahrscheinlich. Doch es gilt das Wort von «Alger, capitale du 21e siècle». 1997 wurde für dieses Ziel ein neues Verwaltungsorgan eingesetzt: das Gouvernorat d'Alger mit einem Gouverneur im Ministerrang an der Spitze. Ihm beigeordnet ist ein Volksrat (Conseil populaire du Gouvernorat). Vom demographischen Wachstum her hat Gross-Algier mit 2 562 000 Einwohnern sein Soll für eine moderne Metropole erfüllt. Doch wie sieht es aus mit den Wachstumsenergien in Wirtschaft, Verkehr, Wissenschaft und Kultur?


Aufbruch ins 21. Jahrhundert

Die Stadt Algier ist sicher keine Kandidatin für eine Global- oder Hightech-City nach Massgabe südostasiatischer Boom-Städte. Wenn Algier sich Zukunftschancen für eine Höherqualifizierung als Metropole ausrechnet, dann sicher auch nicht allein wegen seiner europäischen Erbschaft, sondern wegen eines sehr heterogenen Erbes. Im westlichen Mittelmeer tritt Algier in Konkurrenz mit Barcelona, Marseille, Genua, allesamt europäische Städte, deren demographische Entwicklung umgekehrt zu der Algiers verläuft. Das anhaltende Bevölkerungswachstum - in den Maghrebstaaten wird für 2025 fast eine Verdoppelung von heute 70 auf 130 Millionen Menschen prognostiziert - ist für die qualitative Metropolenentwicklung das Hauptrisiko. Algiers «Grand projet urbain», der neue Masterplan für Raumordnung und Urbanismus, fördert, so sehen es viele Kritiker, zu einseitig die «zentralen Gebiete der Agglomeration». Die sechs darin genannten Entwicklungszonen befinden sich allesamt in Küstennähe. Das heisst: Bei allen liegt der Schwerpunkt auf Dienstleistungsfunktionen wie Sport, Freizeit und Tourismus.

Ewa Berezowska-Azzag unterzog jüngst im Vortrag «Algier zwischen Traum und Wirklichkeit» die in den Plänen des Gouvernorat genannten Entwicklungschancen Algiers einer kritischen Überprüfung. Die in Algier tätige Architektin und Urbanistin sieht in Opposition zum «Grand projet urbain» eine Perspektive für die Metropole allein in einem Prozess der Dezentralisierung. Satellitenstädte mit spezialisierter Funktion könnten ein «Netz urbaner Hüllen» um die Kernstadt bilden. Nur so liesse sich die für eine Metropole unabdingbare Multifunktionalität erreichen. Warum sollten sich international konkurrenzfähige Wissenschafts-, Technologie- und Kulturzentren nicht als «sekundäre Pole» an möglichst vielen Stellen im urbanen Gefüge etablieren? Will man sozialen Sprengstoff verhindern, so müsste ausser mit Grossprojekten auch mit der «Requalifikation» einiger Grands ensembles endlich begonnen werden.

Die aus der Kolonialzeit stammende und nach 1962 weiter ausgebaute Infrastruktur mit Hafen, Eisenbahn- und Strassennetz gehört neben den Vorzügen der geographischen Lage zweifellos zum wertvollsten Kapital der Agglomeration Algier. Unterschätzt wird noch der Wert eines aus mehreren Kulturen sich zusammensetzenden Erbes. Bei jungen Leuten spürt man Zurückhaltung, wenn es um Fragen ihrer Identität geht. Identität ist für die Architektin und Dozentin Naima Chabbi-Chemrouk kein Produkt, sondern ein Prozess. Die Zukunft der Metropole Algier sieht sie in der «harmonischen Verbindung der Konstanten der lokalen Tradition mit dem Besten, was die Globalisierung zu bieten hat».

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2000.07.07

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