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10. September 2012Karl R. Kegler
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Auftauchen über der Stadt

Zwei Welten verbindet die Bad- und Thermenanlage in den Kellern und auf dem Dach einer ehemaligen Brauerei in Zürich. In den Gewölbekellern, in denen einmal Bierfässer gelagert wurden, ist eine komplexe Bäderlandschaft entstanden. Das Dach fasziniert durch einen Pool unter freiem Himmel, der eine einzigartige Aussicht eröffnet.

Zwei Welten verbindet die Bad- und Thermenanlage in den Kellern und auf dem Dach einer ehemaligen Brauerei in Zürich. In den Gewölbekellern, in denen einmal Bierfässer gelagert wurden, ist eine komplexe Bäderlandschaft entstanden. Das Dach fasziniert durch einen Pool unter freiem Himmel, der eine einzigartige Aussicht eröffnet.

Als Finanzmetropole genießt Zürich den Ruf der Nüchternheit. Wer in den Sommermonaten am Ufer des Sees oder der Flüsse Sihl und Limmat unterwegs ist, gewinnt einen anderen Eindruck. Kaum eine zweite Stadt kann in Relation zu ihrer Einwohnerzahl mit einer solchen Dichte an öffentlichen Bädern aufwarten.

Wenig bekannt ist, dass die Stadt auch eine Thermalquelle besitzt. Im Jahr 1976 stieß die Hürlimann-Brauerei in Zürich-Enge bei Bohrungen auf ihrem Werksgelände in 600 m Tiefe auf warmes, mineralreiches Wasser, das zwischenzeitlich für die Bierproduktion genutzt wurde. Als das traditionsreiche Unternehmen 1997 mit einem Konkurrenten fusionierte und die Produktion auf dem Areal stillgelegt wurde, endeten hier mehr als 100 Jahre Brauereigeschichte. Das Gelände wurde mit Wohn- und Gewerbebauten nachverdichtet, der denkmalgeschützte Bestand teilweise umgenutzt.

Das Sudhaus als das eigentliche Herz des Brauereikomplexes blieb dagegen zunächst ohne Nachnutzung. Der seit 1867 immer wieder erweiterte und veränderte Baukomplex liegt dominant auf einem Hügelrücken, der das Flussbett der Sihl vom Becken des Zürichsees trennt. Unter dem Sudhaus liegt ein verzweigtes System von Gewölbekellern, die als Lager für Bierfässer dienten. 2007 entschloss sich nach mehreren gescheiterten Anläufen der neue Besitzer der Liegenschaft zu einem Umbau des Komplexes als Hotel und Thermenanlage, die als zwei unabhängige Einheiten betrieben werden. Eine besondere Herausforderung des Projekts bestand darin, den heterogenen und z. T. denkmalgeschützten Bestand in ein Thermalbad umzugestalten, das auf 150 000 Besucher im Jahr ausgelegt ist.

Durch den Berg zur Aussicht

Heute betritt der Besucher die Thermenanlage durch die ehemaligen Stall- und Werkstattgebäude am Fuß des Hügels in Umkehrung des Wegs, den in früherer Zeit die Bierfässer vom Ort der Produktion zur Auslieferung nahmen. Ein 30 m langer Gang führt in den Berg. Auf einer tieferen Kellerebene sind hier Umkleiden, Duschen und ein Kursbad für geschlossene Gruppen angeordnet. Die Hauptebene der Thermalbäder und Anwendungen ein Stockwerk höher erreicht der Gast von dort über eine großzügige zweiläufige Treppe. Die Arbeitsgemeinschaft aus dem Züricher Büro Althammer Hochuli Architekten und der Innenarchitektin Ushi Tamborriello hat es hier verstanden, aus einem heterogenen Bestand, einen ebenen und weiträumigen Badebereich zu formen, der von der Geschichte des Ortes lebt. Neue oder wieder geöffnete Durchbrüche schaffen auf dieser unterirdischen Hauptebene aus den vormals unübersichtlichen Gewölben eine großzügige Raumfolge. Eine einheitliche Laufebene zwischen den Kellern, die zueinander versetzte Fußbodenniveaus besaßen, konnte hier dadurch geschaffen werden, dass die Badebereiche im nördlichen Teil als große Bottiche aus Schweizer Lärchenholz auf den Fußboden aufgestellt sind, in anderen Bereichen dagegen als Becken abgesenkt wurden. Die unterirdische Welt der Therme findet ihren Kontrapunkt 30 m höher in einem Außenbad, das auf dem Dach des ehemaligen Sudhauses angelegt wurde. Beide Bereiche sind durch einen Schnelllift miteinander verbunden, zwischen ihnen liegen die vier Geschosse des Hotels, das zwar als eigene Einheit betrieben wird aber eine direkte Verbindung zur Therme besitzt. Aus den Aufzügen gelangt der Gast in einen Bistro- und Ruhebereich, der auf Liegen und Sesseln Platz für gut 70 Gäste bietet. War das unterirdische Badegeschoss durch die Atmosphäre der steinernen Gewölbe geprägt, findet sich der Besucher im Bistro in einer hölzernen Welt prismatisch verschobener Raumvolumen, die an einen Dachboden erinnern sollen. In diesem speziellsten aller Räume des Bads kann sich, wer mag, auf dem bequemen und feuchtigkeitsunempfindlichen Polstermobiliar niederlassen und einen Drink nehmen. Die Zwischenwände und -decken aus Lattungen sind wie ein Zelt in das oberste Geschoss des Sudhauses eingestellt und verbergen ihren Charakter als Einbauten nicht. Die Zwischenräume der Lattenroste sind mit einem schwarzen Glasfaservlies hinterspannt, das auch als Sichtblende im Übergang zu einigen kreisförmigen Oberlichtern dient. In den Zwischenräumen hinter der hölzernen Schale sind, für den Besucher unsichtbar, die technischen Installationen für Klimatisierung und für den Betrieb des Außenbeckens über ihren Köpfen untergebracht.

Absturz- und erdbebensicher

Auf das Dach gelangt der Gast vom Bistro aus über eine abgewinkelte Treppe. Ihre letzten Stufen führen sogleich wieder in ein Becken aus Edelstahl hinab. Sein kantiger Umriss ist in die Mitte des sehr flach geneigten Walmdachs, welches das Sudhaus bekrönt, hineingestanzt. An zwei Stellen steigt das Dach zwischen den Ausläufern des Beckens weiter bis über den Wasserspiegel hinaus an, ansonsten ist der Pool die höchste Stelle des gesamten Gebäudes und eröffnet den badenden Gäste in drei Himmelsrichtungen einen Panoramablick über Zürich. Diese Inszenierung des Badeerlebnisses scheint Wirkung zu zeigen, sodass man an einem Sonntagabend schon ein wenig suchen muss, um einen ruhigen Platz im Becken zu ergattern. Nach Südwesten schirmt der prismatisch geformte, an einen Felsen erinnernde Dachaustritt die Badegäste gegen den Einblick von einem 7-geschossigen Wohn- und Bürogebäude ab, das wenige Meter entfernt auf dem Platz der ehemaligen Gärtankanlage der Brauerei steht. Zwischen Dachaustritt und Becken finden auf einem Liegedeck einige wenige Sonnenliegen ihren geschützten Platz.

Der Ausblick aus dem Wasser auf die Stadt kann seine Wirkung ungestört entfalten, weil auf eine Absturzsicherung rund um das Becken verzichtet werden konnte. Der Rand des Beckens und weitere Details sind darauf ausgerichtet, dass der Badegast das Wasser gar nicht erst verlässt. Das Dach außerhalb des Pools ist mit spitzwinklig abgefasten Sipolatten verkleidet, die es unmöglich machen, dort mit nackten Füßen zu laufen. Sollte ein Gast oder ein unbeobachtetes Kind dennoch diese Zone betreten, wird die Person an einem Galerie-Umgang, der um den Fuß des Walmdachs herumläuft, aufgehalten. Das Planungsteam nutzte zur Unterbringung dieser Galerie die denkmalgeschützte hohe Attika des Sudhauses. Die Dachkonstruktion ist wie das gesamte übrige Sudhaus von innen gedämmt.

Zur Aufnahme der Wasserlasten ist das Dach als massive Betonkonstruktion ausgebildet. Der unregelmäßige Umriss sowie die für unterschiedliche Anwendungen (tiefere Zonen, Whirlpool oder Sprudelliegen im Wasser) variierende Tiefe des Pools erzeugen ein steifes dreidimensionales Betonfaltwerk. Die statische Last mit hohem Schwerpunkt im Gebäude musste darüber hinaus erdbebensicher gelagert werden. Aus diesem Grund genügte eine Lastabtragung über die historischen Außenmauern nicht. Der Aussteifung der Dachkonstruktion und der darunterliegenden Hoteletagen gegen horizontal angreifende Kräfte dient ein im Querschnitt fünfeckiger Betontrichter, der vom Außenbad bis zu einem Tagungsraum im 1. OG des Hotels hinabreicht und diesen von oben belichtet.

Durch die Thermalquelle im Untergrund kann der Großteil der für das Bad benötigten Energie auf dem Gelände selbst gewonnen werden. Das im Untergrund geförderte Thermalwasser hat eine Temperatur von etwa 25 °C. Ein Teil des Vorkommens wird genutzt, um das für den Badebereich geförderte Wasser über Wärmetauscher weiter aufzuheizen. Das Wasser für den Pool auf dem Dach wird nachts in ein gedämmtes Retentionsbecken auf der Ebene des Bistros abgepumpt, um Wärmeverluste zu vermeiden. Für die unterirdischen Teile der Thermenanlage konnte in einem aufwendigen Verfahren nachgewiesen werden, dass keine zusätzliche Wärmedämmung erforderlich ist, weil sich im Dauerbetrieb im umgebenden Erdreich eine Wärmeblase ausbildet, die einen ähnlichen Effekt hat wie eine konventionelle Dämmung.

Aus dem Bestand entwickelt

Eine frühe Entscheidung des Planungsteams aus Architekten und Innenarchitektin war es, die Grundlinien der Gestaltung aus dem Bestand selbst heraus zu entwickeln. Genau diese Haltung überzeugte den Bauherrn, als er 2007 unter vier Büros ein Planerauswahlverfahren durchführte. Das erfolgreiche Büro Althammer Hochuli hatte schon 2002 ein Wohnbauprojekt auf einem anderen Teil des Brauerei-Areals realisieren können und war deshalb mit den Gegebenheiten sehr gut vertraut. Der Betreiber »Aqua Spa Resorts« brachte die Architekten in einem nächsten Schritt mit der Innenarchitektin Ushi Tamborriello als Expertin für moderne Bäder und Wellnessanlagen zusammen. Zuschnitt und Gestaltung der Bäder wurden, so Margit Althammer, »in jeder einzelnen Linie« von diesem Dreierteam in enger Abstimmung mit der Denkmalpflege Raum für Raum entwickelt. Von außen ist von den Umbauten so gut wie nichts zu erkennen, lediglich der markante Dachaustritt zeichnet sich ab, wenn man die ehemalige Brauerei aus der Distanz betrachtet. Ergebnis der Planung ist vor allem eine Innenwelt von unaufgeregten, aber atmosphärisch starken Räumen, denen man die Komplexität der technischen und denkmalbezogenen Planungsaufgabe nicht anmerkt. Zu den außergewöhnlichen Qualitäten des Konzepts gehört es, diese Innenwelt mit einem schlicht, aber wirkungsvoll inszenierten Außenbad auf dem Dach zu kontrastieren.

db, Mo., 2012.09.10



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db 2012|09 Dachlandschaften

17. Januar 2011Karl R. Kegler
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Zeichensprache

Wie eine Skulptur aus grünen Keramikelementen wächst das neue jüdische Gemeindezentrum direkt aus dem schwarzen Asphalt. Das expressive Gebäude von hoher Qualität signalisiert Selbstbewusstsein und eine gewisse Anspannung, weniger ruhige Gelassenheit.

Wie eine Skulptur aus grünen Keramikelementen wächst das neue jüdische Gemeindezentrum direkt aus dem schwarzen Asphalt. Das expressive Gebäude von hoher Qualität signalisiert Selbstbewusstsein und eine gewisse Anspannung, weniger ruhige Gelassenheit.

Am Haupteingang des neuen Mainzer Synagogenzentrums ist ein grünes Keramikkästchen angebracht. Es ist eine Mesusa, eine Kapsel, die ein Pergament mit dem zentralen Glaubensbekenntnis des Judentums aus dem fünften Buch Mose enthält. Nach jüdischer Tradition findet dieses Zeichen seinen Platz an jedem Türrahmen eines Hauses. Auf dem kleinen Behälter ist die Silhouette des Neubaus eingeprägt; sie wirkt als abstrahierte Linie wie ein Schriftzug. Dass der Kubatur des Synagogenzentrums auch selbst eine Buchstabenfolge – das hebräische Qadushah: »Heiligung« – eingeschrieben ist, vermag der unkundige Betrachter allenfalls über dieses Detail zu erahnen. Auch Kenner des hebräischen Alphabets werden ihre Schwierigkeiten haben, die fünf Buchstaben Quoph, Daleth, Waw, Shin und He in der Silhouette zu erkennen. Doch auch ohne dieses Wissen kann man sich schwer der Wirkung der gezackten skulpturalen Form des Gebäudes entziehen. Wie eine vieltürmige expressionistische Stadt legt sich der langgezogene Baukörper bandartig um einen geschützten Innenbereich. Im Grundriss knickt das linear organisierte Gebäude dreimal ab, definiert nach Süden und Westen einen Blockrand und bildet zur Innenstadt einen Vorplatz vor dem Haupteingang aus. In seinen Dimensionen bleibt das expressive Ensemble dagegen zurückhaltend. Das trichterartige, riesige Oberlicht des Gebetsraums – das mit Abstand höchste Bauteil – überragt ein angrenzendes viergeschossiges Wohnhaus nur marginal und bleibt niedriger als die benachbarten sechsgeschossigen Baublöcke der Mainzer Neustadt.

Sieben Straßen laufen aus allen Richtungen auf die »Bauinsel« zu, die sich das Synagogenzentrum mit dem genannten Wohnhaus und einem eingeschossigen Kindergarten teilt. An dieser Stelle entstand 1912 die alte Hauptsynagoge, eine von drei Mainzer Synagogen, die die Nationalsozialisten im November 1938 zerstörten. 1999 gewann der damals gerade 29-jährige Architekt Manuel Herz den Wettbewerb für die Neuerrichtung des jüdischen Gemeindezentrums an historischer Stelle. Im November 2008, 70 Jahre nach der Zerstörung des Vorgängerbaus, erfolgte nach einer langen Finanzierungsphase die Grundsteinlegung. Das vollendete Bauwerk weicht erstaunlicher- und erfreulicherweise nur wenig von den Wettbewerbsplänen von 1999 ab.

Form und Formauflösung

Zu den Grundgedanken des Entwurfs gehört die Gestaltung der Längsfassaden mit plastischen Keramikelementen. Die dunkelgrün glasierten Formteile legen sich in konzentrischen Rahmen um die unregelmäßig eingeschnittenen Fenster und füllen die gesamte Fassadenfläche. Die verschieden ausgerichteten Rahmenfelder aus parallelen Zackenkämmen treffen in stumpfen und spitzen Winkeln aufeinander und zeichnen ein Muster aus verzogenen Dreiecken, Rhomben und Trapezen, das zwischen Form und Formauflösung oszilliert. Ein verblüffender und überaus reizvoller Effekt der Fassade besteht darin, dass die lotrechten Außenwände eine kubistische Dreidimensionalität und Tiefe gewinnen. Dies ist durch das unregelmäßige Patchwork aus Feldern paralleler Linien bedingt, die das Gehirn als dreidimensionale Körper interpretiert. Verstärkend kommt hinzu, dass Licht und Schatten auf den dreidimensionalen Elementen unterschiedliche Zonen von spiegelnder Helligkeit und tiefem Schwarz erzeugen. ›

Eine ähnliche optische Tiefenwirkung hat der amerikanische Künstler Frank Stella, der zu den Inspirationsquellen des Architekten zählt, in den späten 60er Jahren in minimalistischen Linienbildern erkundet. Stella stellte traditionelle Bildformate und -rahmungen in Frage und entwickelte aus den Polygonfeldern seiner zweidimensionalen Linienbilder dreidimensionale Skulpturen. Für das Mainzer Synagogenzentrum hat Manuel Herz ein ähnliches Verwirrspiel aus Flächenmustern auf die mehrfach abknickenden Längsseiten des Gebäudes übertragen. Eine gewisse Nervosität in dieser Inszenierung wird vor allem auf der Gartenseite deutlich. Im optisch vieldeutigen Spiel der keramischen Rahmenelemente sind die unregelmäßig eingeschnittenen Fenster lediglich Restflächen. Das Linienmuster wirkt zwar dreidimensional, bleibt aber ein zweidimensionales »Bild«. Die Keramikbekleidung ist eine Skulptur aus abknickenden Flächen, weniger die Hülle eines dreidimensionalen Körpers. Folgerichtig haben die Schmalseiten des Gebäudes, das ganz aus einer Stahlbetonkonstruktion besteht, einen anderen Charakter als die aufwendig gestalteten Längs- und Bildseiten und sind mit blaugrau vorpatinierten Zinkblechen verkleidet, die sich gewissermaßen in einer einzigen Bahn von der Sockelzone im Osten über die etwa 30 Mal abknickende Dachfläche bis zur gegenüberliegenden Schmalseite ziehen.

»Die Farbe gefällt mir einfach«

Der Wettbewerbsentwurf von 1999 sah die Umsetzung der skulpturalen Fassade durch vorgefertigte Betontafeln vor, was sich nicht als praktikabel erwies. Herz entwickelte darauf die Winkelelemente der Fassadenverkleidung in Zusammenarbeit mit dem Kölner Keramik-Experten Niels Dietrich und einem Deutschen Keramik-Hersteller. Grundelement ist eine einzelne Strangpressform, die werksseitig auf drei Längenmodule, drei Standard-Gehrungslemente sowie für spezielle Pass- und Anschlussstücke zugerichtet wurde. Die rationelle Produktion der Grundform und die Herstellung von Passstücken halten sich bei diesem System die Waage. Die einzelnen Winkelelemente, die wie Nut und Feder ineinandergreifen, werden auf ein Befestigungssystem aus Aluminiumschienen aufgesetzt, das exakt das spätere Linienmuster vorzeichnet. Durch die unterschiedlichen Längenmodule wird das optisch unbefriedigende Zusammentreffen von Stoßfugen vermieden. Die Keramikelemente zeichnen – in Analogie zur Fachsprache der Maurer – einen wilden Verband.

Ein wichtiges Element für die Wirkung der Keramikfassade ist ihre Farbe. Durch ihre dreidimensionale Form wird der Farbverlauf der dunkelgrün glasierten Teile im Brennprozess leicht unregelmäßig. Bei direktem Sonnenlicht strahlt die Außenhaut in einer Vielzahl leicht changierender Grüntöne, bei trübem Wetter wirkt sie fast schwarz. Die ausgewählte grüne Glasur ist Ergebnis einer langen Versuchsreihe aber letztlich eine Setzung des Architekten. »Mir gefällt die Farbe einfach«, erzählt Manuel Herz. Die Zulassung der völlig neu entwickelten Fassade war aufgrund der Unterstützung der Prüfingenieure des Herstellers kein Problem.

Offen & expressiv

Vorteil der dreidimensionalen Fassadenelemente und ihrer Glasierung ist nicht zuletzt, dass sie für das Anbringen von Graffitis unattraktiv ist und leicht gereinigt werden kann. Jedes Element kann zudem im Bedarfsfall einzeln ersetzt werden. In vielen Detailfragen spielten bei der Planung auch Sicherheitsüberlegungen eine Rolle. Ein direktes Heranfahren an das Gebäude ist von keiner Seite möglich, sämtliche Fenster bestehen aus Sicherheitsglas. Es ist das Verdienst der jüdischen Gemeinde und des Architekten, dass sich der Gebäudekomplex trotzdem ohne Zäune und schwere Betonbarrieren zur Stadt hin öffnet. Auffälligstes Bauteil des Ensembles ist das riesige, kantige, trichterförmige Oberlicht der Synagoge, das fast genausoviel Volumen umschließt wie der Versammlungsraum selbst. Die zinkverkleidete Untersicht dieses »Lichttrichters«, der an ein »Schofar«, ein zeremonielles Widderhorn, erinnern soll, bietet von außen leider eine weniger attraktive Ansicht als die Keramik verkleideten Längsseiten. Im Innern des Gebetsraums ist die Wirkung vollkommen anders. Dem Architekten ist das wirkliche Meisterstück gelungen, der nach innen orientierten Versammlungsstätte durch die Lichtführung eine Richtung zu geben, ohne den meditativen Charakter des Zentralraums zu relativieren. Der Gebetsraum wirkt harmonisch, ruhig und selbstverständlich. Das riesige Fenster des Oberlichts weist nach Osten, nach Jerusalem. Alle Wandflächen sind mit einem goldfarbenen Stuckrelief aus Tausenden dicht an dicht stehenden hebräischen Buchstaben gestaltet. Die Buchstabentextur lichtet sich an herausgehobenen Stellen; dort werden hebräische Texte Mainzer Rabbiner des 11. Jahrhunderts lesbar.

Das übrige Raumprogramm besteht aus einem Foyer, einem Versammlungssaal, Schulungs- und Verwaltungsräumen und zwei Wohnungen für Hausmeister und Rabbiner. Die öffentlichen Nutzungen bilden ein spannungsvolles Raumkontinuum. Die Nutzungsbereiche sind jeweils durch abwechselnd niedrige und sehr hohe Deckenzonen gekennzeichnet, die Wände teilweise gekippt und nach innen durchfenstert. Schiebetüren schließen auf dem Galeriegeschoss zwei Seminarbereiche ab. Es sind in ihrer momentanen Leere beinahe beunruhigende Räume. Der Betrachter fühlt sich hier – stilgeschichtlich gesprochen – in das expressionistische Kabinett des Dr. Caligari versetzt.

Innen wie außen präsentiert sich das neue Haus außergewöhnlich offen und selbstbewusst – aber nicht ohne Spannung und expressive Zerrissenheit. Die grünen Fassadenelemente sind mittlerweile zu einem Sinnbild des Bauwerks geworden, das auf einem Sympathieplakat der Stadt Mainz stellvertretend für das ganze Gebäude steht: »Willkommen mitten unter uns! Mainz freut sich über die neue Synagoge.«

db, Mo., 2011.01.17



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Neue Synagoge Mainz



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db 2011|01 Fliesen

03. November 2010Karl R. Kegler
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Libelleneffekt

Je nach Standort, Lichteinfall und Wetterlage gewinnt die schimmernde Glasbekleidung der beiden Wohntürme am Hafengelände einen anderen Farbwert. Ein nüchternes und sehr rationales Immobilienprojekt gewinnt auf diese Weise ein individuelles Gepräge, das in seiner technischen Anmutung gut mit der heterogenen Atmosphäre der Hafenanlagen korrespondiert.

Am Westkaai des Kattedijkdok ankert die MS Britannia. Heimathafen des 110 m langen Binnenschiffs ist Basel. Im Oktober pendelt das schwimmende Hotel auf Städtekreuzfahrt zwischen dem Rhein, Amsterdam und Antwerpen. Die traditionsreichen Kultur- und Handelsbeziehungen zwischen dem Oberrhein und Flandern werden auch durch die beiden Wohntürme repräsentiert, die unmittelbar neben der Anlegestelle aufragen: Der Entwurf der glasverkleideten Bauten stammt vom Basler Büro Diener & Diener.

Je nach Standort, Lichteinfall und Wetterlage gewinnt die schimmernde Glasbekleidung der beiden Wohntürme am Hafengelände einen anderen Farbwert. Ein nüchternes und sehr rationales Immobilienprojekt gewinnt auf diese Weise ein individuelles Gepräge, das in seiner technischen Anmutung gut mit der heterogenen Atmosphäre der Hafenanlagen korrespondiert.

Am Westkaai des Kattedijkdok ankert die MS Britannia. Heimathafen des 110 m langen Binnenschiffs ist Basel. Im Oktober pendelt das schwimmende Hotel auf Städtekreuzfahrt zwischen dem Rhein, Amsterdam und Antwerpen. Die traditionsreichen Kultur- und Handelsbeziehungen zwischen dem Oberrhein und Flandern werden auch durch die beiden Wohntürme repräsentiert, die unmittelbar neben der Anlegestelle aufragen: Der Entwurf der glasverkleideten Bauten stammt vom Basler Büro Diener & Diener.

Die schimmernden Wohntürme inmitten der Dockanlagen markieren den Strukturwandel in einem lange vernachlässigten, traditionell von Hafennutzung und Lagerhäusern geprägten Stadtteil. Die Antwerpener nennen das von Docks, Schleusen und Kanälen durchzogene Viertel nördlich der Altstadt »het Eilandje«. Seit den 90er Jahren werden in Antwerpen Pläne für die Umstrukturierung dieses ältesten Teils des Hafengeländes diskutiert; seit 2002 existiert ein Masterplan. In Zukunft wird eine Kulturachse von der Altstadt über das spektakuläre neue »Museum aan de Strom«, das im Mai 2011 seine Tore öffnet, nach Norden führen. Dort befinden sich, nur wenig entfernt von den neuen Hochhäusern, die Gebäude der königlich flämischen Philharmonie und des Royal Ballet of Flanders. In einer riesigen denkmalgeschützten ehemaligen Lagerhalle werden neue Marktnutzungen, Büros und ein Kinozentrum entstehen. Angrenzend sind nach dem städtischen Masterplan auf der Westseite des Kattendijkdok sechs knapp 60 m hohe Turmhäuser geplant, die jeweils als Paare von einem Architektenteam entworfen werden. Den Auftrag für die ersten zwei Türme erhielten Diener & Diener direkt vom Projektentwickler Project², der 2003 aus einem Investorenwettbewerb für die Umsetzung der städtebaulichen Planung am Westkaai hervorgegangen war. Die anderen beiden Turmpaare werden von David Chipperfield und dem Schweizer Architektenduo Anette Gigon und Mike Guyer geplant.

Gestapelte Wunschgrundrisse

Der städtische Masterplan enthielt sehr genaue Vorgaben über Standort und Außenkontur der Türme. Von Seiten des Projektentwicklers wiederum wurden genaue Erwartungen zu Größe, Aufteilung und Zusammensetzung der Wohnungstypen formuliert, die das Ergebnis einer Markterhebung für Antwerpen waren. Die Architekten organisierten die elf geforderten Appartementgrößen in sieben Geschosstypen, die mindestens einmal, höchstens viermal übereinandergestapelt werden, bevor sie von einem anderen Geschosstyp abgelöst werden. Dieses Organisationsprinzip bildet sich bewusst in der Fassade ab und verdeutlicht sichtbar die Mechanismen der immobilenwirtschaftlichen Kalkulation. Je nach Geschosstyp sind die Fensteröffnungen der Lochfassade versetzt. Die kristalline Großform gewinnt auf diese Weise stärkere Präsenz, da sie nicht durch ein regelmäßiges Raster zerschnitten wird. Konstruktiv hatte diese gestalterische Entscheidung die Folge, dass die Außenwände aus Betonfertigelementen nicht als tragendes Skelett mit ausfachenden Elementen, sondern insgesamt als tragende Wand mit eingeschnittenen Öffnungen zu dimensionieren war.

Die Ausstattung der Wohnungen, die vom Entwickler als »luxe appartementen« (Luxuswohnungen) angeboten werden, ist hochwertig, die Architektursprache des Innern sachlich, nüchtern und zurückgenommen. Käufer haben zahlreiche Möglichkeiten, Ausstattung, Fußbodenmaterial oder auch Details der Grundrissaufteilung nach persönlichen Vorstellungen anpassen zu lassen. Jede Wohnung besitzt eine »Terrasse«, die je nach Wohnungstyp in einer anderen Gebäudeecke angeordnet ist. Über geschosshohe Schiebefenster ist dieser Freisitz mit den Wohnräumen verbunden. In der Fassade ist der geschickt über Eck integrierte Außenwohnraum kaum zu bemerken. Um diese Freisitze zu ermöglichen, war die städtische Planungsbehörde bereit, die vorgegebenen Außenmaße der Türme zu vergrößern. Die Terrassen können an einer Seite mit einem gläsernen Windschutz geschlossen werden. Ein vollständiger Abschluss ist nicht möglich, da die Stadt eine Vergrößerung der Wohnfläche gegenüber der Planung auf diese Weise verhindern wollte.

Beheizt werden die 70 bis 360 m² großen Wohnungen durch Wandkonvektoren. In Wand oder Fußboden integrierte Heizungssysteme sind in Belgien wenig verbreitet, so dass es nicht möglich war, vor Ort einen Anbieter zu finden, der Gewährleistung und den 24-stündigen Service anbieten konnte, auf den der Projektentwickler bestand. Auch in anderer Hinsicht nahmen die Richtlinien und technischen Standards in Belgien Einfluss auf das Projekt. Die strengen belgischen Umweltvorschriften erlauben im Wohnungsbau für Fassaden nur einen Öffnungsanteil von maximal 45 %. Um Energieverluste zu minimieren, werden die Wohnungen im Regelbetrieb künstlich belüftet. Die über das Dach angesaugte Frischluft wird über einen Wärmetauscher durch die Abluft aus Küchen und Bädern erwärmt und über die Wohn- und Schlafräume zugeführt. Ein Öffnen der Fenster ist für die Belüftung nicht nötig, aber grundsätzlich möglich. Aufgrund der starken Winde, die in Küstennähe auftreten können, mussten die Fensterflügel als PASK-Konstruktion (Parallel-Abstell-Schiebe-Kipp) ausgebildet werden. Auf diese Weise bleibt gewährleistet, dass eine einzelne Person auch bei starkem Wind die Fenster schließen kann.

Gold und Champagner

Herausragendes Merkmal der Wohntürme ist ihre Verkleidung mit vorgehängten Strukturgläsern – ein Fassadensystem, das Diener & Diener in ähnlicher Form bereits in der Schweiz, Deutschland und Schweden erprobt haben. Die wärmegedämmte Außenwand ist mit eloxierten Aluminiumblechen verkleidet. Vor der Metallverkleidung sind in einem Abstand von 2,5 cm Gussglasscheiben mit einseitig eingeprägter Rillenstruktur angebracht. Aluminiumhaut, Fenstereinfassungen und alle übrigen Fassadenelemente des südlichen Turms sind einheitlich goldfarben, die des nördlichen Turms champagnerfarben eloxiert. Das geriffelte transparente Material verleiht der Fassade in Zusammenspiel mit der dahinterliegenden Metallhaut eine unbestimmte Tiefe. Die grünliche Eigenfarbe des Glases, Spiegel- und Brechungseffekte erzeugen je nach Blickwinkel und Lichtsituation eine variierende, reizvolle Farbigkeit von eisigen Horizont- bis hin zu Goldtönen. Da sich die Grundfarbe der gegeneinander versetzten Türme leicht unterscheidet, besteht stets eine interessante Farbdifferenz.

Dem Betrachter, der die Fassadenkonstruktion aus der Nähe betrachtet, ergeht es allerdings ähnlich wie dem Naturforscher Goethe bei der Untersuchung des wechselnden Farbenspiels einer Libelle. Der faszinierende Effekt wiederholt sich bei der Betrachtung aus der Nähe nicht. Wo Goethe sich über das »traurig dunkle Blau« des zuvor noch schillernden Insekts beklagte, erkennt der Besucher, der näher an die Westkaai-Türme herantritt, den Grundton der goldenen Metallelemente mit all den Assoziationen, die dieses Material vielleicht an die eloxierten Fassaden früherer Jahrzehnte anklingen lässt. Die Architektur weicht diesem Effekt nicht aus. Das Fassadensystem ist bis ins EG heruntergezogen und bewusst als technische Verkleidung ablesbar. Zwischen den bis zu 3,50 m hohen Glasbahnen verlaufen zentimeterbreite Fugen, die den Blick auf die dahinterliegende Metallhaut freigeben. Auch die Haltevorrichtungen der Glaselemente sind nicht kaschiert. Die industrielle Logik der Details korrespondiert mit der Atmosphäre der ehemaligen Hafenlage.

Befürchtungen bezüglich Vandalismus und Graffiti haben die Architekten ebenso wenig wie Bedenken gegen Verschmutzungen, die sich eventuell zwischen Glashaut und Metallverkleidung festsetzen könnten. Die erste Fassade dieses Typs, die Diener & Diener Ende der 90er Jahre in Malmö realisiert haben, ist mittlerweile mehr als zehn Jahre alt. Die Glashaut wurde bisher weder beschädigt, noch haben sich auf der glatten Innenseite Verschmutzungen ablagern können. »Ich sehe keinen Grund dafür, warum die Fassade nicht 80 Jahre überdauern sollte«, erläutert Uwe Herlyn aus dem Berliner Büro der Architekten. Eine Alternative zur Glasverkleidung, etwa in Form von Naturstein oder Metallelementen, haben die Architekten nicht erwogen, schließlich ließe sich der beabsichtigte »Libelleneffekt« mit anderen Materialien ohnehin nicht erzielen.

db, Mi., 2010.11.03



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db 2010|11 Gläsern

03. März 2010Karl R. Kegler
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Rahmen-Werk

Bühne, Stadtmöbel, Pavillon, gebaute Platzkante, monumentales Fenster, Lichtinstallation – das »stadspodium« des Rotterdamer Atelier Kempe Thill bietet als raumschließende Großform viele Funktionen. Eine Bürgerstiftung ermöglichte den Bau, der seit 2009 intensiv genutzt wird und erfolgreich zur Reaktivierung eines vernachlässigten Stadtplatzes beigetragen hat.

Bühne, Stadtmöbel, Pavillon, gebaute Platzkante, monumentales Fenster, Lichtinstallation – das »stadspodium« des Rotterdamer Atelier Kempe Thill bietet als raumschließende Großform viele Funktionen. Eine Bürgerstiftung ermöglichte den Bau, der seit 2009 intensiv genutzt wird und erfolgreich zur Reaktivierung eines vernachlässigten Stadtplatzes beigetragen hat.

»Hoor hier bonkt het nieuwe hart van Rotterdam.« Der komplett eingerüstete Kirchturm der Sint Laurenskerk ist mit einem Megaposter verkleidet: »Hör' hin, hier schlägt das neue Herz von Rotterdam.« Die spätgotische Hallenkirche ist einer der wenigen historischen Bauten der Stadt, der, schwer beschädigt, den verheerenden deutschen Luftangriff vom Mai 1940 und den späteren Wiederaufbau überstanden hat. Auf den freigeräumten Flächen rund um die Kirche entstand in der Nachkriegszeit eine vollkommen neue Stadtstruktur, die mit niedrigen Ladenzeilen und Fußgängerzonen den damaligen städtebaulichen Leitbildern folgte. Der jetzige Grotekerkplein war einst ein dicht bebautes mittelalterliches Viertel. Heute rahmt eine heterogene Randbebauung mit vier- bis elfgeschossigen Häusern den in der Wiederaufbauperiode neu geschaffenen Platz. Die Westseite wird vom Delfsevaart-Kanal begrenzt, an dem die Schornsteine eines angrenzenden Industriebetriebs weiße Dampfwolken in den Himmel blasen.

Ein Geschenk für die Stadt

2004 ergriff der Rotterdamer Rotary-Club, der damals ein Jubiläum feierte, die Initiative zur Reaktivierung des vernachlässigten Stadtplatzes. Die erste Idee bestand darin, einen Musikpavillon zu stiften, der die wenig genutzte Fläche zwischen zwei Einkaufsstraßen beleben sollte. Aus einem kurzfristig organisierten Wettbewerb, der sich bewusst an junge Rotterdamer Architekturbüros wandte, ging das Atelier Kempe Thill als Sieger hervor.

»Einen Platz mittels Veranstaltungen zu beleben, funktioniert immer«, erklärt Büropartner Oliver Thill die realisierte Entwurfsidee. »Uns ging es darüber hinaus darum, durch das zusätzliche Volumen einen stadträumlichen Abschluss zu schaffen.« Wo der Grotekerkplein an den Kanal grenzt, rahmt das »stadspodium« heute den Blick auf die gegenüberliegende Seite, ohne den Ausblick auf die nüchterne Rückfront einer sechsgeschossigen Zeilenbebauung auf der anderen Seite zu verstellen. Das offene Bauwerk funktioniert von beiden Seiten wie ein überdimensionales Fenster oder ein Filter, der zwischen Platz und Wasser gekonnt vermittelt und die Grenze zwischen den unterschiedlichen Räumen akzentuiert.

Das Podium besteht aus einer 40 m langen, 50 cm hohen Sichtbetonplattform. Auf den beiden Enden dieses 5 m breiten Sockels »sitzen« zwei mit Metallgeflecht verkleidete Würfel, die alle Funktionen aufnehmen, die zum Bespielen des Bauwerks notwendig sind. Das zwischen diesen Kuben über 30 m frei tragende Dach hat genau die gleiche Dicke wie die Plattform. Es besteht aus einer vorgespannten, leicht gewölbten Betonschale. Die Stichhöhe beträgt nur 15 cm.

Da das Bauwerk auch von den Fenstern der hohen Gebäude am Rande des Platzes aus makellos erscheinen sollte, wurde sein Dach zu einer fünften Fassade. Der Beton wurde geschliffen, poliert und so geformt, dass im Zusammenwirken mit der flachen Krümmung die Entwässerung über die beiden Eck-Kuben erfolgen kann. Die polierte Oberfläche benötigt keine zusätzliche Folie als wasserführende Schicht.

Entscheidend ist der Vorhang

Dass die Komposition aus geometrischen Grundformen auch etwas Monumentales ausstrahlt, erfährt, wer vor den 5 m hohen, metallverkleideten Türen der Eck-Würfel steht, die auch einem Kirchenportal zur Ehre gereichen würden. Der nördliche Kubus beherbergt Umkleideräume, eine Toilette und Lagerräume. Der südliche Kubus nimmt einen 70 m langen textilen Vorhang auf, der über Schienen im Dach um die ganze Spielfläche herumgeführt werden kann. Durch dieses Element lässt sich das Bauwerk zu verschiedenen Seiten hin öffnen oder schließen, die Breite der Bühne regulieren oder die Spielfläche in einen introvertierten Raum verwandeln.

Genutzt wird das Podium seit seiner Einweihung im April 2009 von einer Bürgerstiftung, die von Mai bis September teilweise mehrfach wöchentlich Konzerte, Schauspiel oder Tanzveranstaltungen organisiert. In der ersten Spielzeit haben die Künstler – Laiengruppen wie Profis – die Möglichkeiten des Vorhangs intensiv genutzt. Das textile Material strahlt nicht nur durch seine Assoziation zur Theaterbühne eine faszinierende Wirkung aus. Im Spiel von Sonne, Schatten und Wind verwandelt sich die Open-Air-Bühne in ein bewegtes Kunstwerk. Da Vandalismus in Rotterdam wie in allen Großstädten ein Problem darstellt, wird der Vorhang allerdings nur während der Aufführungszeiten hervorgeholt. Auch bei der Planung der übrigen Bauteile mussten die besonderen Beanspruchungen einer Nutzung im öffentlichen Raum bedacht werden. Das robuste Edelstahlgeflecht, das die Würfel umkleidet, bietet wenig Anreiz zum Anbringen von Graffiti. Der Sichtbeton wurde mit einer speziellen Beschichtung vor Verschmutzungen geschützt. Die Spuren von Skateboards und BMX-Rädern auf der Bühne zeigen trotz dieser Vorkehrungen, dass das Podium auch außerhalb der organisierten Vorführungen intensiv in Anspruch genommen wird.

Mit der Errichtung des Pavillons wurde auch der öffentliche Raum um die Sint Laurenskerk neu gestaltet. Entwurf und Ausführung übernahm die Gemeinde Rotterdam, während Kempe Thill als Berater fungierten. Die städtischen Planer verwendeten als Pflasterung den gleichen Backstein und die gleichen Stadtmöbel, die überall in Rotterdam Verwendung finden, so dass der Platzgestaltung eine unauffällige Selbstverständlichkeit eigen ist. Ein wesentliches Anliegen war, die Platzmitte und das Umfeld der Bühne von Straßenlaternen und Installationen frei zu halten. Um den Platz trotzdem ausreichend ausleuchten zu können, wurde ein 15 m hoher Mast installiert, der die Platzmitte mit Scheinwerfern beleuchtet. Auf der Westseite am Kanal fungiert das stadspodium selbst als Straßenbeleuchtung. Strahler sind in die Decke des Podiums integriert und hinter dem Metallgewebe der beiden Eckwürfel Neonleuchten angebracht, die für ausreichendes Licht sorgen und das Gebäude in den Abendstunden in eine Lichtskulptur verwandeln.

Dem Bühnenpavillon gelingt es erfolgreich, in einem extrem heterogenen Umfeld als gestalterische Klammer zu wirken. Dies hat entscheidend mit Dimensionen und Materialität des Bauwerks zu tun. Die zurückgenommene Farbigkeit – der Beton ist mit einem Titanoxid-Zuschlag versehen, der über die Jahre immer weißer wird – korrespondiert mit einem Umfeld, als deren einziges gemeinsames Merkmal eine karge, moderne Nüchternheit auszumachen ist. Auch die große Dimension ist Vorbedingung, um überhaupt Wirkung in einem Umfeld ausüben zu können, das durch das Nebeneinander großer Volumen bestimmt ist. Als Veranstaltungsplattform bietet das Podium weit mehr Raum als erforderlich.

Die Mehrdeutigkeit und »Neutralität« der Großform lädt zur Aneignung durch unterschiedliche Nutzungen ein. Sie bietet einen Rahmen, der auch den alltäglichen Besucher erheben und in eine aktive Position bringen möchte. Die Büropartner Andre Kempe und Oliver Thill, die über Dresden und Tokio ihren Weg nach Rotterdam fanden, fühlen sich als »Schinkel-Fans« in diesem Umgang mit großen Proportionen einer langen Tradition verpflichtet: »Öffnung, Vorhang und Rahmen sind letztlich klassische Themen der Architektur.«

db, Mi., 2010.03.03



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db 2010|03 Außenräume

01. Mai 2009Karl R. Kegler
db

Kunstgriff

Ein kleines Weindorf an der Mosel, ein Grundstück inmitten eines Weinbergs, ein Künstler als Bauherr und ein Bebauungsplan, der Kubatur, Geschosshöhen und Dachneigung sehr genau vorgab. Dass die ungewöhnliche »Wohnskulptur« am Ortseingang so verwirklicht werden konnte, wie es der Bebauungsplan gerade nicht vorsah, ist der fantasievollen Klassifizierung einzelner Bauelemente zu verdanken – dem Baurecht wurde somit Genüge getan, und der Bauherr kann sich über ein besonderes Wohnerlebnis in exponierter Lage freuen.

Ein kleines Weindorf an der Mosel, ein Grundstück inmitten eines Weinbergs, ein Künstler als Bauherr und ein Bebauungsplan, der Kubatur, Geschosshöhen und Dachneigung sehr genau vorgab. Dass die ungewöhnliche »Wohnskulptur« am Ortseingang so verwirklicht werden konnte, wie es der Bebauungsplan gerade nicht vorsah, ist der fantasievollen Klassifizierung einzelner Bauelemente zu verdanken – dem Baurecht wurde somit Genüge getan, und der Bauherr kann sich über ein besonderes Wohnerlebnis in exponierter Lage freuen.

Der mit rostrotem Corten-Stahl verkleidete Bau ist das Haus eines Diplomaten. Die Mosel ist hier etwa achtzig Meter breit; in ihrer Mitte verläuft die Grenze zwischen Luxemburg und Rheinland-Pfalz. Von der Terrasse über dem Ufer geht der Blick von der luxemburgischen auf die deutsche Seite.

Das korrodierte Verkleidungsmaterial mag zunächst gar nicht zu den Assoziationen passen, die man im Kopf mit den Weinbergen und Winzerstädtchen an der Mosel verbindet. Vor Ort stellt sich freilich keinerlei Disharmonie mit der Landschaft ein. Auf luxemburgischer Seite geht am Moselufer die gut ausgebaute Nationalstraße 10 direkt vor dem Haus entlang; die Hänge werden von natursteinverkleideten Böschungsmauern begleitet. Der Ort ist kein romantisches Idyll, sondern merklich durch die Eingriffe von Verkehr und Flurbereinigung in die Landschaft gekennzeichnet. Der Gebrauch eines industriellen Materials wirkt in diesem Umfeld keineswegs deplaziert.

Zwischen Hang und Strasse

Die Widersprüche, die sich aus der reizvollen Aussicht über die Mosel hinweg einerseits und der exponierten Lage an der Straße andererseits ergeben, sind an der heterogenen Nachbarbebauung abzulesen, deren Bewohner sich mit Sichtschutzpflanzungen vor unerwünschten Einblicken zu schützen suchen. Architekt und Bauherr haben hier einen anderen Weg gewählt. Die zur Mosel gewandte Fassade des 2007 fertiggestellten Baus ist vollständig verglast. Als Sonnenschutz für die südostorientierte Fassade dient ein vor das Haus gestelltes 2,30 Meter tiefes Bauteil von gleichem Umriss, gleicher Höhe und Breite wie das Haus. Ohne den Ausblick zu behindern, schirmt dieser »Portalgiebel« das Innere vor unerwünschten seitlichen Einblicken wie vor dem störenden Scheinwerferlicht der vorbeifahrenden Autos ab. Es ist der formalen Konsequenz des Entwurfs geschuldet, dass sich dieses höchst ungewöhnliche Bauteil, stringent aus der übrigen Struktur des Hauses ergibt. Die schlichte Kubatur eines giebelständigen Hauses mit Satteldach, die der Bebauungsplan vorgegeben hatte, wird an den Längsseiten durch drei cortenverkleidete Segmente gegliedert, die das Haus vom Boden bis zum First wie Klammern umschließen. Zwischen den Segmenten verlaufen Fugen aus Glas, die ebenfalls vom Boden bis zum First reichen. Die vertikalen Fensterbänder versorgen das Innere des in den Hang hineingebauten, elf Meter tiefen Hauses wirkungsvoll mit natürlichem Licht. Die vor das Haus gestellte Struktur bildet ein weiteres, viertes Segment, das nicht mehr zum Haus gehört, dessen Proportionen aber optisch verlängert. Durch diesen Kunstgriff entsteht ein Wechselspiel zwischen dem umbauten Volumen und der angedeuteten größeren Form. Die einzigen außen verwandten Materialien sind der rohe Corten-Stahl und transparentes Glas. Der kunstinteressierte Bauherr, der einen Teil seiner Freizeit der Malerei widmet, war von der sachlich-schlichten Architektursprache ebenso begeistert wie vom Kontrast dieser Materialien.

Von den drei Geschossen plus Dachgeschoss, die vom Straßenniveau aufragen, verschwinden zwei Geschosse im ansteigenden Hang. Küche und Essplatz sind im ersten Geschoss zur Straße hin angeordnet. Der Wohnbereich befindet sich auf gleicher Ebene auf der gegenüberliegenden Hangseite. Auch diese Zone ist großzügig, hell und freundlich. Sein Licht erhält der hier zweigeschossige Wohnbereich durch den Luftraum einer Galerie, die sich zu einer Terrasse auf der Hangseite öffnet. Zudem ist das Wohngeschoss, von außen unsichtbar, etwa 1,50 Meter tiefer in den Hang hineingebaut und erhält zusätzliche Helligkeit direkt von oben durch ein Oberlicht. Der Bebauungsplan hätte es zugelassen, den Hang auf dieser Seite ¬tiefer abzugraben, um den rückwärtigen Teil des ersten Geschosses durch Souterrainfenster zu belichten. Dass dies nicht geschah, hat zwei Gründe: Neben die Abneigung gegenüber einer Souterrainbelichtung trat das Problem, eine tiefere Abgrabung am Hang aufwendig abfangen zu müssen.

In der Hochwasserzone

Für die unterste Ebene wurden keine hochwertigen Nutzungen vorgesehen, da die Lage am Ufer der Mosel die Gefahr von Überschwemmungen mit sich bringt. Hier befinden sich lediglich Garage, Garderobe und unbelichtete Nebenräume. Der Hausanschlussraum liegt folgerichtig im ersten Stock. Schon die Bauphase führte die Sinnfälligkeit dieser Entscheidung vor, als ein Moselhochwasser bis zur Baustelle reichte, die durch einen Erdwall abgesichert werden musste. Die Konstruktion ist konventionell. Die ersten zwei Geschosse wurden in Stahlbeton errichtet, das dritte Geschoss gemauert. Das Dach ist ein herkömmliches Sparrendach. Die Verkleidung mit Blechen aus Corten-Stahl wurde aufgeschraubt. Als wasserführende Schicht liegt unter den Blechen eine Kunststofffolie.

Die Wärmeversorgung des Hauses wird durch zwei oberflächennahe Geothermiebohrungen von achtzig Metern Tiefe gewährleistet, die an einen Wärmetauscher angeschlossen sind. Der sonnenexponierte Hang, ein ehemaliger Weinberg, speichert in der Tiefe über das Jahr mehr als genug Wärmeenergie, um die Versorgung in der kalten Jahreszeit sicherzustellen. Im Sommer wird das Haus natürlich gekühlt. Die offenen Treppen und Grundrisse, ohnehin ein Merkmal des gesamten Baus, erlauben eine ungehinderte Luftzirkulation. Die natürliche Thermik bewirkt den Temperaturausgleich zwischen den kühleren Untergeschossen, die in die Erdmasse des Hangs eingebettet sind, und den exponierteren Obergeschossen. Die Glasflächen auf dem Dach können automatisch verschattet werden.

»möglich« und »erlaubt«

Dass gerade die Besonderheiten, die zur Originalität und Qualität des Entwurfs beitragen, aus baurechtlicher Perspektive ein Problem dargestellt haben, gehört zur Geschichte des Projektes. Durch einen Teilbebauungsplan, der drei benachbarte Parzellen am Ortseingang erfasste, waren bei Beginn der Planung Gebäudeform, Baugrenzen, Bauhöhe bereits genau bestimmt. Der vorgegebene giebelständige Haustyp mit Satteldach, der in der Darstellung des Bebauungsplans ein wenig an die Proportionen der bekannten -Monopoly-Häuschen erinnert, findet sich in der unmittelbaren Nachbarschaft nirgends. Gerade die uneinheitliche Umgebung, die ganz verschiedene Haustypen vorweist, dürfte aber dazu beigetragen haben, dass nach einer stärkeren Einheitlichkeit gesucht wurde. Für sich genommen begründet sich die giebelständige Grundform sinnvoll aus dem Zuschnitt der drei relativ schmalen und tiefen Parzellen, in die ein ehemaliger Weinberg aus dem Besitz der Familie des Bauherrn geteilt wurde. Der Bebauungsplan wurde in Abstimmung mit den Grundbesitzern von einem Architekturbüro in Esch-sur-Alzette entwickelt.

Ein Portalgiebel war in dieser Planung natürlich nicht vorgesehen. Genehmigungsrechtlich wurde das vor das Haus gestellte, skulpturale Segment daher erst über seine Klassifizierung als »Dachüberstand« möglich. Die geringfügige Erweiterung des Wohnbereichs in den Hang hinein stellte sich ebenfalls als Problem dar. Der über die Baugrenze hinausreichende Abschnitt wurde schließlich als (unterirdischer) »Erker« genehmigt. Eine Glasscheibe markiert die Grenze, ab der dieser Erker in einen ebenfalls baurechtlich erlaubten »Lichtschacht« übergeht.

Das Ziel des Teilbebauungsplans, an dieser Stelle des Ortseingangs eine möglichst ruhige, einheitliche Bebauung zu erhalten, ist durch das auffallende Haus relativiert. Die Realisierung des Projekts spricht andererseits für die Präsenz und für die Akzeptanz von interessanter zeitgenössischer Architektur im ländlichen Raum. In dieser Hinsicht lohnt sich durchaus ein Blick an die luxemburgische Mosel. Eine Reihe von spannenden Projekten ist in den Nachbargemeinden Wellenstein, Remich, Remerschen oder Schengen zu entdecken. Der kleine Ort Wormeldange leistet sich als beratendes Gremium eine mit Fachleuten besetzte Bautenkommission, die den Bürgermeister bei der Genehmigung von Projekten berät.  Diese Kommission äußerte sich positiv zu der vorgestellten Planung und befürwortete auch die für diesen Standort ungewöhnliche Verkleidung des Hauses mit Corten-Stahl. Weniger die Haltung von Kommission und Bürgermeister als der Druck durch klagende Nachbarn zwingt die Gemeinde im Alltag aber zu einer immer strikteren Einhaltung des Baureglements. Ermessungsspielräume werden dadurch vermindert, Entscheidungen auf Gerichte verlegt. In diesem Fall unterblieb eine gerichtliche Auseinandersetzung nur deshalb, weil die formalen Einspruchsfristen bereits verstrichen waren, als von einem Nachbar Klage eingereicht wurde. Ein Haus mit vergleichbaren Abweichungen vom Bebauungsplan wird es an dieser Stelle daher wohl nicht mehr geben, auch wenn eine unmittelbar benachbarte Bauparzelle noch frei ist. Das rostrote Wohnhaus an der Mosel bleibt ein einmaliger Kunstgriff.

db, Fr., 2009.05.01



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Wohnhaus am Moselufer



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db 2009|05 Bebauungsplankonform

30. Juni 2007Karl R. Kegler
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Reinfahren, Parken, Rausfahren

Der erste Bau des Büros Birk und Heilmeyer verbindet ein geschicktes Erschließungskonzept mit bewusster Zurückhaltung nach außen. Verantwortlich für das Gelingen ist neben dem jungen Architektenpaar auch ein aufgeschlossener Bauherr, der mit einem ungewöhnlichen Wettbewerbsverfahren Architekturabsolventen eine Chance gab.

Der erste Bau des Büros Birk und Heilmeyer verbindet ein geschicktes Erschließungskonzept mit bewusster Zurückhaltung nach außen. Verantwortlich für das Gelingen ist neben dem jungen Architektenpaar auch ein aufgeschlossener Bauherr, der mit einem ungewöhnlichen Wettbewerbsverfahren Architekturabsolventen eine Chance gab.

Der Firmensitz des Textilunternehmens Ernsting's-family im münsterländischen Coesfeld-Lette zeichnet sich durch ein Ensemble hochwertiger Architektur aus. Mitte der achtziger Jahre setzte das Unternehmen Maßstäbe im Gewerbebau, als es für sein Vertriebs-Center, einer Halle von knapp 19  000 Quadratmetern Geschossfläche, einen Architekturwettbewerb auslobte, den die Bürogemeinschaft Reichlin, Reinhard, Calatrava gewann. Die auffallenden Falttore Calatravas wurden damals in vielen Architekturzeitschriften publiziert. 1999 und 2000 kamen, gleichfalls nach Wettbewerben, weitere hochwertige Bauten hinzu: die Erweiterung des Vertriebs-Centers durch das Kölner Büro Johannes Schilling und der Bau eines Service-Centers durch den Londoner Architekten David Chipperfield. Die jüngste Ergänzung dieses Firmencampus, ein Parkhaus mit 500 Stellplätzen, erfolgte durch das junge Architekturbüro Birk und Heilmeyer aus Stuttgart, das mit diesem Projekt seinen ersten Bau überhaupt realisierte.

Hell, offen, übersichtlich

Selbstbewusst und zugleich selbstverständlich ergänzt das Parkhaus das Miteinander der bestehenden Bauten. Das lang gezogene, schlichte Volumen ist in zwei drehsymmetrische Baukörper gegliedert, die durch eine Fuge getrennt sind. Durch die Baukörper hindurch laufen zwei Parkrampen nach dem Prinzip einer doppelläufigen Wendeltreppe. Die Rampen sind auf drei Ebenen mittig miteinander verbunden, was einen einfachen Wechsel ermöglicht. Die Länge des Parkhauses von 127 Metern gestattet eine angenehme Steigung von 3,2 Prozent.

Im Inneren ist das Parkhaus hell und übersichtlich, dazu trägt auch die mit 3,06 m vergleichsweise großzügige Geschosshöhe bei. Die Parkrampen sind von zwei Seiten natürlich belichtet und belüftet. Die Fuge zwischen den Baukörpern nimmt Treppen auf und erhellt die Innenseite der Parkdecks. Um möglichst viel Licht einzulassen und auch formal die Trennung der Baukörper zu verdeutlichen, sind die in der Fuge angeordneten Treppen und Überfahrten aus Gitterrosten gebildet. Die Fassade besteht aus einer Lattung aus Kanthölzern von 4 cm Breite und 10 cm Tiefe und hat einen Öffnungsanteil von 70 Prozent. Das Grundmodul des Fassadenrasters (13 cm) ist aus der Breite eines Parkplatzes (2,60 m) und dem Achsmaß der Stahlverbundkonstruktion (5,20 m) entwickelt. Insgesamt ist das konstruktive System auf einen hohen Vorfertigungsgrad ausgelegt. Auf die Stahlkonstruktion wurden Betonfertigdecken gelegt und mit Beton ausgegossen, alle übrigen Verbindungen konnten geschraubt werden.

Das effiziente System aus Parkrampen, das zusätzliche Auffahrten überflüssig macht, ermöglichte es den Architekten, die geforderte Zahl an Parkplätzen im hinteren Teil des L-förmigen Grundstücks anzuordnen und so einen respektvollen Abstand zum Vertriebs- und Service-Center einzuhalten. Das Parkhaus sollte sich nicht in den Vordergrund drängen. Die Kubatur des klar definierten Baukörpers wird durch die aufsteigenden Rampen bestimmt. Die schlichte, zurückgenommene Holzfassade zwischen hohen Bäumen vermittelt zwischen den Büro- und Gewerbebauten auf der Ostseite des Gebäudes und dem Wohngebiet aus Einfamilienhäusern, das auf der Westseite angrenzt. Je nach Abstand und Blickwinkel lassen die Holzlamellen den Baukörper zu einem geschlossenen Volumen zusammentreten oder eröffnen Einblicke auf die Parkdecks. Von innen erlaubt die offene Fassade den Ausblick auf den Vorbereich, der wie das übrige Firmengelände parkartig ausgestaltet wird. Die gewählten Materialien – Holz, dunkelgrau gestrichener Stahl und Beton – erzeugen einen unaufgeregten farblichen Dreiklang. Wer als Gast zuerst in das Firmenparkhaus einfährt, erlebt dieselbe Materialpalette aus Holz, Stahl und Beton, wenn er später in das Service-Center von David Chipperfield eintritt. Helligkeit, Offenheit und Übersichtlichkeit des Parkhauses vermeiden alle negativen Assoziationen, die häufig mit diesem Bautyp verbunden sein können – Ein Eindruck, der Bauherrn und Architekten auch deshalb wichtig war, da ein Großteil der Belegschaft aus Frauen besteht.

Gelungene Nachwuchsförderung

Die Realisierung des Parkhauses in Coesfeld-Lette durch das junge Büro ist die Folge eines ungewöhnlichen Wettbewerbs. Im Dezember 2003 lobte Ernsting's-family einen Wettbewerb unter allen Architekturdiplomanden der Jahre 2002 und 2003 aus, die ihren Abschluss mit einer Note besser als 2,0 erreicht hatten. Von hundertfünfzig Bewerbern wurden aufgrund der eingereichten Diplomarbeiten in einer ersten Phase fünfzig ausgewählt, die zur Bearbeitung des Wettbewerbs eingeladen wurden. In der zweiten Phase erreichten Stephan Birk und Liza Heilmeyer den ersten Platz und wurden mit der Realisierungsplanung beauftragt. Bauleitung und Kostenplanung wurden – auf Wunsch des Bauherrn – in die Hände des Büros Pfeiffer/Ellermann/Preckel gelegt, das sich in größerer Nähe zu Lette befindet.

Für die Preisträger, die zum Zeitpunkt der Wettbewerbsentscheidung Ende 2004 beide im Büro Norman Foster in London beschäftigt waren, war der gewonnene Wettbewerb der Auslöser für den Entschluss, nach Deutschland zurückzukehren und in Stuttgart ein eigenes Büro aufzubauen. Das erste eigene Projekt war Chance und Herausforderung zugleich. Die Zusammenarbeit mit dem Mitarbeiterstab der Ernsting's-Bau-&-Grund und mit Firmengründer Kurt Ernsting, der bei den meisten Baubesprechungen persönlich dabei war, bedeutete die Auseinandersetzung mit einem Auftraggeber, der viel Sinn für architektonische Gestaltung und eine große Erfahrung aus eigenen Projekten einbrachte, aber auch bis ins Detail schlüssige und optimierte Lösungen einforderte. Gestalterische Qualität, so die Überzeugung des Unternehmens, ist nicht allein eine Frage der Ästhetik, sondern lässt sich auch in wirtschaftlichen Erfolgen messen: In einem hochwertigen Arbeitsumfeld sind die Mitarbeiter motivierter und machen weniger Fehler.

Der Zusammenarbeit kam zugute, dass der Bau gegenüber dem Wettbe-werbsentwurf nur wenig verändert werden musste – ein Gesichtspunkt, der sowohl für die Qualität des Entwurfs als auch für das Verfahren spricht. Birk und Heilmeyer konnten ihren Auftraggeber auch von der Machbarkeit der vorgeschlagenen Holzfassade überzeugen, der man anfänglich leicht skeptisch gegenüberstand. Die Kanthölzer aus Douglasie haben einen ersten Schutzanstrich erhalten, sollen aber mit der Zeit natürlich altern können und eine silbergraue Färbung entwickeln. Für diese Behandlung konnten die beiden Architekten auf Erfahrungen aus der Schweiz verweisen. Eine der wenigen nachträglichen Ergänzungen stellt das Falttor an der Einfahrt des Parkhauses dar. Es nimmt ein Architekturmotiv auf, das sich nun in dreifacher Variation auf dem Firmencampus findet: Neben den bekannten Einfahrten Calatravas weist auch die Erweiterung des Vertriebs-Centers durch Johannes Schilling diese markanten Falttore auf.

Der erst seit Kurzem fertiggestellte Bau wurde bereits mehrfach ausgezeichnet, unter anderem Anfang 2007 mit dem Stuttgarter Weißenhof-Architekturförderpreis und im Juni 2007 mit einer Auszeichnung durch den BDA Münster. Diese Preise helfen, aber der Start in die Selbstständigkeit ist trotzdem nicht einfach. Dass der erste Bau ihres Büros nun ein großes Parkhaus darstellt, ist, wie Stephan Birk einräumt, vielleicht etwas ungewöhnlich, »... wir würden allerdings jederzeit wieder eins bauen wollen, die Aufgabe ist wunderbar klar: Reinfahren, Parken, Rausfahren.«

db, Sa., 2007.06.30



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Parkhaus



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db 2007|07 Junge Architekten

12. Februar 2007Karl R. Kegler
db

Musik. Maschinen. Haus.

Weiterbauen statt abreißen: Der denkmalgeschützte Förderturm von 1958, ein mit Glas verkleideter, neuer Zwischenbau und das um zwei Stockwerke erweiterte ehemalige Maschinenhaus bilden auf dem Gelände der stillgelegten Steinkohlenzeche Consolidation nun ein Musikzentrum.

Weiterbauen statt abreißen: Der denkmalgeschützte Förderturm von 1958, ein mit Glas verkleideter, neuer Zwischenbau und das um zwei Stockwerke erweiterte ehemalige Maschinenhaus bilden auf dem Gelände der stillgelegten Steinkohlenzeche Consolidation nun ein Musikzentrum.

Nur wer sich dem ehemaligen Zechengelände Consolidation 3/4/9 von Norden nähert, fängt einen Eindruck ein, wie er vor fast fünfzig Jahren wohl nicht anders gewesen sein dürfte. Hier steht der letzte Abschnitt der roten Backsteinmauer, die ursprünglich das gesamte Gelände einfasste. Hinter der Mauer ragen als Hinterlassenschaft der Industriegeschichte zwei Fördertürme und ein Bewetterungskamin auf. Nach etwa 200 Metern läuft die Mauer aus und ein breiter Weg leitet entlang einer Böschung aus dem gleichen Ziegel über eine Freitreppe auf das Innere des Geländes zu. Diese einladende Inszenierung, die die wenig spektakuläre, aber authentische Grenzmauer des Zechengeländes geschickt einbezieht, illustriert den Umgang von TOR 5 Architekten (Herfried Langer und Markus Wüllner) mit den charakteristischen Elementen der Zweckarchitektur auf dem ehemaligen Industriegelände. Nach einem gewonnenen Wettbewerb – 1998 ausgeschrieben von der Stadt Gelsenkirchen – haben die Architekten auf dem Gelände den Umbau von Förderturm und dem zugehörigen Maschinenhaus an Schacht 4 zu einem Musikprobenzentrum durchgeführt. Ein Folgeauftrag brachte anschließend die Gestaltung der Außenanlagen. Heute bildet das Probenzentrum, zusammen mit einem freien Theater und einer Kunstsammlung, die in einer umgenutzten Halle untergebracht ist, eine Zone kultureller Einrichtungen in Gelsenkirchen-Bismarck. Das übrige Zechengelände wurde in eine Park- und Wiesenlandschaft verwandelt, unter deren grünen Hügeln die Trümmer der abgebrochenen Bauten deponiert sind. Nur anhand alter Fotos kann man sich das Gedränge von Schächten, Kaminen, Werkstätten und Bahnanlagen vorstellen, das an dieser Stelle einmal vorhanden war.

Industrieästhetik

Als Leitlinie für den Umbau von Schacht 4 zu einem Musikprobenzentrum dienten dem jungen Bochumer Büro sehr bewusst die typischen Materialien und die sparsame, funktionale Ästhetik der Industriearchitektur mit ihren spezifischen Details, die an anderer Stelle verloren gegangen sind. Förderturm und Maschinenhaus an Schacht 4 entstanden im Jahr 1958, als auf der Zeche Consolidation noch an die siebentausend Bergleute einfuhren. 1997 wurde die Zeche stillgelegt. Durch die bedachtsamen Ergänzungen der Umbaumaßnahmen treten die formalen Qualitäten der Anlage aus den späten fünfziger Jahren heute mit besonderer Klarheit hervor. Der weiße, von W. A. Gorgen entworfene Betonförderturm – heute das letzte erhaltene Beispiel dieses Bautyps im ganzen Ruhrgebiet – wirkt wie eine Formfantasie der klassischen Moderne. Zu den Grundzügen des Entwurfs gehört, dass die ursprüngliche funktionale Zuordnung von Förderturm und Maschinenhaus erhaltenen geblieben ist. Heute dient der Förderturm als Erschließung für die oberen Etagen des Probenzentrums.
In ihrem Entwurfskonzept entschieden sich die Architekten außerdem, den riesigen Elektromotor und die gewaltige Treibscheibe der Förderanlage aus Gründen der Authentizität im Maschinenhaus zu belassen. Rund um diese Maschine befindet sich heute die zweigeschossige Lobby des Probenzentrums, die als Aufenthalts- und Empfangsraum dient und ihre besondere Atmosphäre durch das technische Großgerät erhält. Die geforderten 40 Probenräume sind in fünf Geschossen untergebracht, die als Haus im Haus in die alte Ziegelhülle der Maschinenhalle hineingestellt sind. Die zwei Geschosse, die über die Attika der ursprünglichen Halle hinausragen, sind bündig mit Profilbauglas verkleidet, so dass die kompakten Umrisse der Anlage fortwirken. Der Materialwechsel markiert den Schnitt zwischen Alt und Neu. Die technischen Installationen und die Be- und Entlüftung der Probenräume verlaufen im Zwischenraum zwischen den Probengeschossen und der Außenhülle aus Ziegel bzw. Glas. Lediglich im Bereich der Lobby wurde die Ziegelhülle großzügig geöffnet und gibt durch eine dreigeschossige Glasfassade den Blick auf die innen liegende Maschine frei.

Die gelungene Einpassung der neuen Nutzung in die industrielle Substanz erweist sich vor allem in der sparsamen, unaufgeregten Sprache und Materialität der Architektur. Es dominieren klare Kanten sowie Materialien und Halbfabrikate aus dem Industriebau. Der rote Fließestrich der Lobby nimmt den Ton von Backstein und rostigen Metallteilen aus der Umgebung auf. Die schweren Stahlrahmensessel mit schwarzer Polsterung wurden von einer Schulungswerkstatt eigens für diesen Raum angefertigt. Die Betonwände blieben unverputzt, alte und neue Oberflächen sind anhand der charakteristischen Schalungs- und Gebrauchsspuren ablesbar. Elektroleitungen verlaufen sichtbar in verzinkten Stahlrohren. Für die Schalter wurde eine Serie aus dem Schiffs- und Kraftwerksbau verwendet. Die oberen Etagen, in denen die Probenräume untergebracht sind, sind von funktionaler Nüchternheit.

Schwieriges Erbe

Dass das fortwirkende bergbauliche Erbe der Schachtanlage noch deutlich mehr beinhaltete als die verlassenen Gebäude, wurde klar, als die Umbaupläne mit technischen und juristischen Einschränkungen konfrontiert wurden. In den unverfüllten Stollen der Zechenanlage sammelt sich in einer schwachen Konzentration Methangas und entweicht aus dem ehemaligen Förderschacht – zu wenig, um energetisch sinnvoll genutzt zu werden, doch genug, um die Nachnutzung mit einer Vielzahl berg- und baurechtlicher Einschränkungen und einer aufwendigen Sicherungsmaßnahme zu belasten. Um jedes Risiko durch das entweichende Methan auszuschließen, musste aufwendig eine Gasdränage angelegt werden. Auch die ursprüngliche Konzeption, die Treppenanlage des Förderturms für die Erschließung der Geschosse mit Probenräumen zu nutzen, erwies sich aus rechtlichen Einschränkungen als undurchführbar. Im Turm der ehemaligen Schachtanlage steht heute lediglich der Aufzug zu den oberen Etagen. Die neue Treppenanlage wurde in einer vorgestellten, mit Streckmetall verkleideten Stahlkonstruktion untergebracht. Mit Glaspanelen verkleidete Stege verbinden Treppe und Aufzug am Förderturm mit den Probegeschossen im ehemaligen Maschinenhaus.

Auf einer Normaletage befinden sich je vier Probenräume rechts und links der mittigen Erschließung. Die Räume sind schalldicht und daher fensterlos. Das Probenzentrum funktioniert wie ein Hotel; Bands mieten sich in den Räumen für längere Zeiträume ein und bringen dort auch ihr umfangreiches Equipment aus Instrumenten, Verstärkern und Effektgeräten unter, so dass nicht bei jeder Probe neu aufgebaut werden muss. Die Architekten entwickelten hier die (bisher nicht umgesetzte) Idee, zusätzliche Equipment-Safes anzubieten, damit die Probenräume von mehreren Bands genutzt werden können.

Aus einer Umnutzungsaufgabe ist mit dem Probenzentrum ein Bautyp ganz eigener Funktionalität entstanden, kein Industriemuseum. Gleichwohl blieben die charakteristischen Qualitäten der Schachtanlage durch einen aufmerksamen Umgang mit der vorhandenen Substanz gewahrt. Die Nachfrage der Musiker belegt den Erfolg des Konzeptes. Eine vergleichbare Einrichtung gibt es nirgends.

db, Mo., 2007.02.12



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db 2007|02 Abriss!?

Presseschau 12

10. September 2012Karl R. Kegler
db

Auftauchen über der Stadt

Zwei Welten verbindet die Bad- und Thermenanlage in den Kellern und auf dem Dach einer ehemaligen Brauerei in Zürich. In den Gewölbekellern, in denen einmal Bierfässer gelagert wurden, ist eine komplexe Bäderlandschaft entstanden. Das Dach fasziniert durch einen Pool unter freiem Himmel, der eine einzigartige Aussicht eröffnet.

Zwei Welten verbindet die Bad- und Thermenanlage in den Kellern und auf dem Dach einer ehemaligen Brauerei in Zürich. In den Gewölbekellern, in denen einmal Bierfässer gelagert wurden, ist eine komplexe Bäderlandschaft entstanden. Das Dach fasziniert durch einen Pool unter freiem Himmel, der eine einzigartige Aussicht eröffnet.

Als Finanzmetropole genießt Zürich den Ruf der Nüchternheit. Wer in den Sommermonaten am Ufer des Sees oder der Flüsse Sihl und Limmat unterwegs ist, gewinnt einen anderen Eindruck. Kaum eine zweite Stadt kann in Relation zu ihrer Einwohnerzahl mit einer solchen Dichte an öffentlichen Bädern aufwarten.

Wenig bekannt ist, dass die Stadt auch eine Thermalquelle besitzt. Im Jahr 1976 stieß die Hürlimann-Brauerei in Zürich-Enge bei Bohrungen auf ihrem Werksgelände in 600 m Tiefe auf warmes, mineralreiches Wasser, das zwischenzeitlich für die Bierproduktion genutzt wurde. Als das traditionsreiche Unternehmen 1997 mit einem Konkurrenten fusionierte und die Produktion auf dem Areal stillgelegt wurde, endeten hier mehr als 100 Jahre Brauereigeschichte. Das Gelände wurde mit Wohn- und Gewerbebauten nachverdichtet, der denkmalgeschützte Bestand teilweise umgenutzt.

Das Sudhaus als das eigentliche Herz des Brauereikomplexes blieb dagegen zunächst ohne Nachnutzung. Der seit 1867 immer wieder erweiterte und veränderte Baukomplex liegt dominant auf einem Hügelrücken, der das Flussbett der Sihl vom Becken des Zürichsees trennt. Unter dem Sudhaus liegt ein verzweigtes System von Gewölbekellern, die als Lager für Bierfässer dienten. 2007 entschloss sich nach mehreren gescheiterten Anläufen der neue Besitzer der Liegenschaft zu einem Umbau des Komplexes als Hotel und Thermenanlage, die als zwei unabhängige Einheiten betrieben werden. Eine besondere Herausforderung des Projekts bestand darin, den heterogenen und z. T. denkmalgeschützten Bestand in ein Thermalbad umzugestalten, das auf 150 000 Besucher im Jahr ausgelegt ist.

Durch den Berg zur Aussicht

Heute betritt der Besucher die Thermenanlage durch die ehemaligen Stall- und Werkstattgebäude am Fuß des Hügels in Umkehrung des Wegs, den in früherer Zeit die Bierfässer vom Ort der Produktion zur Auslieferung nahmen. Ein 30 m langer Gang führt in den Berg. Auf einer tieferen Kellerebene sind hier Umkleiden, Duschen und ein Kursbad für geschlossene Gruppen angeordnet. Die Hauptebene der Thermalbäder und Anwendungen ein Stockwerk höher erreicht der Gast von dort über eine großzügige zweiläufige Treppe. Die Arbeitsgemeinschaft aus dem Züricher Büro Althammer Hochuli Architekten und der Innenarchitektin Ushi Tamborriello hat es hier verstanden, aus einem heterogenen Bestand, einen ebenen und weiträumigen Badebereich zu formen, der von der Geschichte des Ortes lebt. Neue oder wieder geöffnete Durchbrüche schaffen auf dieser unterirdischen Hauptebene aus den vormals unübersichtlichen Gewölben eine großzügige Raumfolge. Eine einheitliche Laufebene zwischen den Kellern, die zueinander versetzte Fußbodenniveaus besaßen, konnte hier dadurch geschaffen werden, dass die Badebereiche im nördlichen Teil als große Bottiche aus Schweizer Lärchenholz auf den Fußboden aufgestellt sind, in anderen Bereichen dagegen als Becken abgesenkt wurden. Die unterirdische Welt der Therme findet ihren Kontrapunkt 30 m höher in einem Außenbad, das auf dem Dach des ehemaligen Sudhauses angelegt wurde. Beide Bereiche sind durch einen Schnelllift miteinander verbunden, zwischen ihnen liegen die vier Geschosse des Hotels, das zwar als eigene Einheit betrieben wird aber eine direkte Verbindung zur Therme besitzt. Aus den Aufzügen gelangt der Gast in einen Bistro- und Ruhebereich, der auf Liegen und Sesseln Platz für gut 70 Gäste bietet. War das unterirdische Badegeschoss durch die Atmosphäre der steinernen Gewölbe geprägt, findet sich der Besucher im Bistro in einer hölzernen Welt prismatisch verschobener Raumvolumen, die an einen Dachboden erinnern sollen. In diesem speziellsten aller Räume des Bads kann sich, wer mag, auf dem bequemen und feuchtigkeitsunempfindlichen Polstermobiliar niederlassen und einen Drink nehmen. Die Zwischenwände und -decken aus Lattungen sind wie ein Zelt in das oberste Geschoss des Sudhauses eingestellt und verbergen ihren Charakter als Einbauten nicht. Die Zwischenräume der Lattenroste sind mit einem schwarzen Glasfaservlies hinterspannt, das auch als Sichtblende im Übergang zu einigen kreisförmigen Oberlichtern dient. In den Zwischenräumen hinter der hölzernen Schale sind, für den Besucher unsichtbar, die technischen Installationen für Klimatisierung und für den Betrieb des Außenbeckens über ihren Köpfen untergebracht.

Absturz- und erdbebensicher

Auf das Dach gelangt der Gast vom Bistro aus über eine abgewinkelte Treppe. Ihre letzten Stufen führen sogleich wieder in ein Becken aus Edelstahl hinab. Sein kantiger Umriss ist in die Mitte des sehr flach geneigten Walmdachs, welches das Sudhaus bekrönt, hineingestanzt. An zwei Stellen steigt das Dach zwischen den Ausläufern des Beckens weiter bis über den Wasserspiegel hinaus an, ansonsten ist der Pool die höchste Stelle des gesamten Gebäudes und eröffnet den badenden Gäste in drei Himmelsrichtungen einen Panoramablick über Zürich. Diese Inszenierung des Badeerlebnisses scheint Wirkung zu zeigen, sodass man an einem Sonntagabend schon ein wenig suchen muss, um einen ruhigen Platz im Becken zu ergattern. Nach Südwesten schirmt der prismatisch geformte, an einen Felsen erinnernde Dachaustritt die Badegäste gegen den Einblick von einem 7-geschossigen Wohn- und Bürogebäude ab, das wenige Meter entfernt auf dem Platz der ehemaligen Gärtankanlage der Brauerei steht. Zwischen Dachaustritt und Becken finden auf einem Liegedeck einige wenige Sonnenliegen ihren geschützten Platz.

Der Ausblick aus dem Wasser auf die Stadt kann seine Wirkung ungestört entfalten, weil auf eine Absturzsicherung rund um das Becken verzichtet werden konnte. Der Rand des Beckens und weitere Details sind darauf ausgerichtet, dass der Badegast das Wasser gar nicht erst verlässt. Das Dach außerhalb des Pools ist mit spitzwinklig abgefasten Sipolatten verkleidet, die es unmöglich machen, dort mit nackten Füßen zu laufen. Sollte ein Gast oder ein unbeobachtetes Kind dennoch diese Zone betreten, wird die Person an einem Galerie-Umgang, der um den Fuß des Walmdachs herumläuft, aufgehalten. Das Planungsteam nutzte zur Unterbringung dieser Galerie die denkmalgeschützte hohe Attika des Sudhauses. Die Dachkonstruktion ist wie das gesamte übrige Sudhaus von innen gedämmt.

Zur Aufnahme der Wasserlasten ist das Dach als massive Betonkonstruktion ausgebildet. Der unregelmäßige Umriss sowie die für unterschiedliche Anwendungen (tiefere Zonen, Whirlpool oder Sprudelliegen im Wasser) variierende Tiefe des Pools erzeugen ein steifes dreidimensionales Betonfaltwerk. Die statische Last mit hohem Schwerpunkt im Gebäude musste darüber hinaus erdbebensicher gelagert werden. Aus diesem Grund genügte eine Lastabtragung über die historischen Außenmauern nicht. Der Aussteifung der Dachkonstruktion und der darunterliegenden Hoteletagen gegen horizontal angreifende Kräfte dient ein im Querschnitt fünfeckiger Betontrichter, der vom Außenbad bis zu einem Tagungsraum im 1. OG des Hotels hinabreicht und diesen von oben belichtet.

Durch die Thermalquelle im Untergrund kann der Großteil der für das Bad benötigten Energie auf dem Gelände selbst gewonnen werden. Das im Untergrund geförderte Thermalwasser hat eine Temperatur von etwa 25 °C. Ein Teil des Vorkommens wird genutzt, um das für den Badebereich geförderte Wasser über Wärmetauscher weiter aufzuheizen. Das Wasser für den Pool auf dem Dach wird nachts in ein gedämmtes Retentionsbecken auf der Ebene des Bistros abgepumpt, um Wärmeverluste zu vermeiden. Für die unterirdischen Teile der Thermenanlage konnte in einem aufwendigen Verfahren nachgewiesen werden, dass keine zusätzliche Wärmedämmung erforderlich ist, weil sich im Dauerbetrieb im umgebenden Erdreich eine Wärmeblase ausbildet, die einen ähnlichen Effekt hat wie eine konventionelle Dämmung.

Aus dem Bestand entwickelt

Eine frühe Entscheidung des Planungsteams aus Architekten und Innenarchitektin war es, die Grundlinien der Gestaltung aus dem Bestand selbst heraus zu entwickeln. Genau diese Haltung überzeugte den Bauherrn, als er 2007 unter vier Büros ein Planerauswahlverfahren durchführte. Das erfolgreiche Büro Althammer Hochuli hatte schon 2002 ein Wohnbauprojekt auf einem anderen Teil des Brauerei-Areals realisieren können und war deshalb mit den Gegebenheiten sehr gut vertraut. Der Betreiber »Aqua Spa Resorts« brachte die Architekten in einem nächsten Schritt mit der Innenarchitektin Ushi Tamborriello als Expertin für moderne Bäder und Wellnessanlagen zusammen. Zuschnitt und Gestaltung der Bäder wurden, so Margit Althammer, »in jeder einzelnen Linie« von diesem Dreierteam in enger Abstimmung mit der Denkmalpflege Raum für Raum entwickelt. Von außen ist von den Umbauten so gut wie nichts zu erkennen, lediglich der markante Dachaustritt zeichnet sich ab, wenn man die ehemalige Brauerei aus der Distanz betrachtet. Ergebnis der Planung ist vor allem eine Innenwelt von unaufgeregten, aber atmosphärisch starken Räumen, denen man die Komplexität der technischen und denkmalbezogenen Planungsaufgabe nicht anmerkt. Zu den außergewöhnlichen Qualitäten des Konzepts gehört es, diese Innenwelt mit einem schlicht, aber wirkungsvoll inszenierten Außenbad auf dem Dach zu kontrastieren.

db, Mo., 2012.09.10



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db 2012|09 Dachlandschaften

17. Januar 2011Karl R. Kegler
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Zeichensprache

Wie eine Skulptur aus grünen Keramikelementen wächst das neue jüdische Gemeindezentrum direkt aus dem schwarzen Asphalt. Das expressive Gebäude von hoher Qualität signalisiert Selbstbewusstsein und eine gewisse Anspannung, weniger ruhige Gelassenheit.

Wie eine Skulptur aus grünen Keramikelementen wächst das neue jüdische Gemeindezentrum direkt aus dem schwarzen Asphalt. Das expressive Gebäude von hoher Qualität signalisiert Selbstbewusstsein und eine gewisse Anspannung, weniger ruhige Gelassenheit.

Am Haupteingang des neuen Mainzer Synagogenzentrums ist ein grünes Keramikkästchen angebracht. Es ist eine Mesusa, eine Kapsel, die ein Pergament mit dem zentralen Glaubensbekenntnis des Judentums aus dem fünften Buch Mose enthält. Nach jüdischer Tradition findet dieses Zeichen seinen Platz an jedem Türrahmen eines Hauses. Auf dem kleinen Behälter ist die Silhouette des Neubaus eingeprägt; sie wirkt als abstrahierte Linie wie ein Schriftzug. Dass der Kubatur des Synagogenzentrums auch selbst eine Buchstabenfolge – das hebräische Qadushah: »Heiligung« – eingeschrieben ist, vermag der unkundige Betrachter allenfalls über dieses Detail zu erahnen. Auch Kenner des hebräischen Alphabets werden ihre Schwierigkeiten haben, die fünf Buchstaben Quoph, Daleth, Waw, Shin und He in der Silhouette zu erkennen. Doch auch ohne dieses Wissen kann man sich schwer der Wirkung der gezackten skulpturalen Form des Gebäudes entziehen. Wie eine vieltürmige expressionistische Stadt legt sich der langgezogene Baukörper bandartig um einen geschützten Innenbereich. Im Grundriss knickt das linear organisierte Gebäude dreimal ab, definiert nach Süden und Westen einen Blockrand und bildet zur Innenstadt einen Vorplatz vor dem Haupteingang aus. In seinen Dimensionen bleibt das expressive Ensemble dagegen zurückhaltend. Das trichterartige, riesige Oberlicht des Gebetsraums – das mit Abstand höchste Bauteil – überragt ein angrenzendes viergeschossiges Wohnhaus nur marginal und bleibt niedriger als die benachbarten sechsgeschossigen Baublöcke der Mainzer Neustadt.

Sieben Straßen laufen aus allen Richtungen auf die »Bauinsel« zu, die sich das Synagogenzentrum mit dem genannten Wohnhaus und einem eingeschossigen Kindergarten teilt. An dieser Stelle entstand 1912 die alte Hauptsynagoge, eine von drei Mainzer Synagogen, die die Nationalsozialisten im November 1938 zerstörten. 1999 gewann der damals gerade 29-jährige Architekt Manuel Herz den Wettbewerb für die Neuerrichtung des jüdischen Gemeindezentrums an historischer Stelle. Im November 2008, 70 Jahre nach der Zerstörung des Vorgängerbaus, erfolgte nach einer langen Finanzierungsphase die Grundsteinlegung. Das vollendete Bauwerk weicht erstaunlicher- und erfreulicherweise nur wenig von den Wettbewerbsplänen von 1999 ab.

Form und Formauflösung

Zu den Grundgedanken des Entwurfs gehört die Gestaltung der Längsfassaden mit plastischen Keramikelementen. Die dunkelgrün glasierten Formteile legen sich in konzentrischen Rahmen um die unregelmäßig eingeschnittenen Fenster und füllen die gesamte Fassadenfläche. Die verschieden ausgerichteten Rahmenfelder aus parallelen Zackenkämmen treffen in stumpfen und spitzen Winkeln aufeinander und zeichnen ein Muster aus verzogenen Dreiecken, Rhomben und Trapezen, das zwischen Form und Formauflösung oszilliert. Ein verblüffender und überaus reizvoller Effekt der Fassade besteht darin, dass die lotrechten Außenwände eine kubistische Dreidimensionalität und Tiefe gewinnen. Dies ist durch das unregelmäßige Patchwork aus Feldern paralleler Linien bedingt, die das Gehirn als dreidimensionale Körper interpretiert. Verstärkend kommt hinzu, dass Licht und Schatten auf den dreidimensionalen Elementen unterschiedliche Zonen von spiegelnder Helligkeit und tiefem Schwarz erzeugen. ›

Eine ähnliche optische Tiefenwirkung hat der amerikanische Künstler Frank Stella, der zu den Inspirationsquellen des Architekten zählt, in den späten 60er Jahren in minimalistischen Linienbildern erkundet. Stella stellte traditionelle Bildformate und -rahmungen in Frage und entwickelte aus den Polygonfeldern seiner zweidimensionalen Linienbilder dreidimensionale Skulpturen. Für das Mainzer Synagogenzentrum hat Manuel Herz ein ähnliches Verwirrspiel aus Flächenmustern auf die mehrfach abknickenden Längsseiten des Gebäudes übertragen. Eine gewisse Nervosität in dieser Inszenierung wird vor allem auf der Gartenseite deutlich. Im optisch vieldeutigen Spiel der keramischen Rahmenelemente sind die unregelmäßig eingeschnittenen Fenster lediglich Restflächen. Das Linienmuster wirkt zwar dreidimensional, bleibt aber ein zweidimensionales »Bild«. Die Keramikbekleidung ist eine Skulptur aus abknickenden Flächen, weniger die Hülle eines dreidimensionalen Körpers. Folgerichtig haben die Schmalseiten des Gebäudes, das ganz aus einer Stahlbetonkonstruktion besteht, einen anderen Charakter als die aufwendig gestalteten Längs- und Bildseiten und sind mit blaugrau vorpatinierten Zinkblechen verkleidet, die sich gewissermaßen in einer einzigen Bahn von der Sockelzone im Osten über die etwa 30 Mal abknickende Dachfläche bis zur gegenüberliegenden Schmalseite ziehen.

»Die Farbe gefällt mir einfach«

Der Wettbewerbsentwurf von 1999 sah die Umsetzung der skulpturalen Fassade durch vorgefertigte Betontafeln vor, was sich nicht als praktikabel erwies. Herz entwickelte darauf die Winkelelemente der Fassadenverkleidung in Zusammenarbeit mit dem Kölner Keramik-Experten Niels Dietrich und einem Deutschen Keramik-Hersteller. Grundelement ist eine einzelne Strangpressform, die werksseitig auf drei Längenmodule, drei Standard-Gehrungslemente sowie für spezielle Pass- und Anschlussstücke zugerichtet wurde. Die rationelle Produktion der Grundform und die Herstellung von Passstücken halten sich bei diesem System die Waage. Die einzelnen Winkelelemente, die wie Nut und Feder ineinandergreifen, werden auf ein Befestigungssystem aus Aluminiumschienen aufgesetzt, das exakt das spätere Linienmuster vorzeichnet. Durch die unterschiedlichen Längenmodule wird das optisch unbefriedigende Zusammentreffen von Stoßfugen vermieden. Die Keramikelemente zeichnen – in Analogie zur Fachsprache der Maurer – einen wilden Verband.

Ein wichtiges Element für die Wirkung der Keramikfassade ist ihre Farbe. Durch ihre dreidimensionale Form wird der Farbverlauf der dunkelgrün glasierten Teile im Brennprozess leicht unregelmäßig. Bei direktem Sonnenlicht strahlt die Außenhaut in einer Vielzahl leicht changierender Grüntöne, bei trübem Wetter wirkt sie fast schwarz. Die ausgewählte grüne Glasur ist Ergebnis einer langen Versuchsreihe aber letztlich eine Setzung des Architekten. »Mir gefällt die Farbe einfach«, erzählt Manuel Herz. Die Zulassung der völlig neu entwickelten Fassade war aufgrund der Unterstützung der Prüfingenieure des Herstellers kein Problem.

Offen & expressiv

Vorteil der dreidimensionalen Fassadenelemente und ihrer Glasierung ist nicht zuletzt, dass sie für das Anbringen von Graffitis unattraktiv ist und leicht gereinigt werden kann. Jedes Element kann zudem im Bedarfsfall einzeln ersetzt werden. In vielen Detailfragen spielten bei der Planung auch Sicherheitsüberlegungen eine Rolle. Ein direktes Heranfahren an das Gebäude ist von keiner Seite möglich, sämtliche Fenster bestehen aus Sicherheitsglas. Es ist das Verdienst der jüdischen Gemeinde und des Architekten, dass sich der Gebäudekomplex trotzdem ohne Zäune und schwere Betonbarrieren zur Stadt hin öffnet. Auffälligstes Bauteil des Ensembles ist das riesige, kantige, trichterförmige Oberlicht der Synagoge, das fast genausoviel Volumen umschließt wie der Versammlungsraum selbst. Die zinkverkleidete Untersicht dieses »Lichttrichters«, der an ein »Schofar«, ein zeremonielles Widderhorn, erinnern soll, bietet von außen leider eine weniger attraktive Ansicht als die Keramik verkleideten Längsseiten. Im Innern des Gebetsraums ist die Wirkung vollkommen anders. Dem Architekten ist das wirkliche Meisterstück gelungen, der nach innen orientierten Versammlungsstätte durch die Lichtführung eine Richtung zu geben, ohne den meditativen Charakter des Zentralraums zu relativieren. Der Gebetsraum wirkt harmonisch, ruhig und selbstverständlich. Das riesige Fenster des Oberlichts weist nach Osten, nach Jerusalem. Alle Wandflächen sind mit einem goldfarbenen Stuckrelief aus Tausenden dicht an dicht stehenden hebräischen Buchstaben gestaltet. Die Buchstabentextur lichtet sich an herausgehobenen Stellen; dort werden hebräische Texte Mainzer Rabbiner des 11. Jahrhunderts lesbar.

Das übrige Raumprogramm besteht aus einem Foyer, einem Versammlungssaal, Schulungs- und Verwaltungsräumen und zwei Wohnungen für Hausmeister und Rabbiner. Die öffentlichen Nutzungen bilden ein spannungsvolles Raumkontinuum. Die Nutzungsbereiche sind jeweils durch abwechselnd niedrige und sehr hohe Deckenzonen gekennzeichnet, die Wände teilweise gekippt und nach innen durchfenstert. Schiebetüren schließen auf dem Galeriegeschoss zwei Seminarbereiche ab. Es sind in ihrer momentanen Leere beinahe beunruhigende Räume. Der Betrachter fühlt sich hier – stilgeschichtlich gesprochen – in das expressionistische Kabinett des Dr. Caligari versetzt.

Innen wie außen präsentiert sich das neue Haus außergewöhnlich offen und selbstbewusst – aber nicht ohne Spannung und expressive Zerrissenheit. Die grünen Fassadenelemente sind mittlerweile zu einem Sinnbild des Bauwerks geworden, das auf einem Sympathieplakat der Stadt Mainz stellvertretend für das ganze Gebäude steht: »Willkommen mitten unter uns! Mainz freut sich über die neue Synagoge.«

db, Mo., 2011.01.17



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db 2011|01 Fliesen

03. November 2010Karl R. Kegler
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Libelleneffekt

Je nach Standort, Lichteinfall und Wetterlage gewinnt die schimmernde Glasbekleidung der beiden Wohntürme am Hafengelände einen anderen Farbwert. Ein nüchternes und sehr rationales Immobilienprojekt gewinnt auf diese Weise ein individuelles Gepräge, das in seiner technischen Anmutung gut mit der heterogenen Atmosphäre der Hafenanlagen korrespondiert.

Am Westkaai des Kattedijkdok ankert die MS Britannia. Heimathafen des 110 m langen Binnenschiffs ist Basel. Im Oktober pendelt das schwimmende Hotel auf Städtekreuzfahrt zwischen dem Rhein, Amsterdam und Antwerpen. Die traditionsreichen Kultur- und Handelsbeziehungen zwischen dem Oberrhein und Flandern werden auch durch die beiden Wohntürme repräsentiert, die unmittelbar neben der Anlegestelle aufragen: Der Entwurf der glasverkleideten Bauten stammt vom Basler Büro Diener & Diener.

Je nach Standort, Lichteinfall und Wetterlage gewinnt die schimmernde Glasbekleidung der beiden Wohntürme am Hafengelände einen anderen Farbwert. Ein nüchternes und sehr rationales Immobilienprojekt gewinnt auf diese Weise ein individuelles Gepräge, das in seiner technischen Anmutung gut mit der heterogenen Atmosphäre der Hafenanlagen korrespondiert.

Am Westkaai des Kattedijkdok ankert die MS Britannia. Heimathafen des 110 m langen Binnenschiffs ist Basel. Im Oktober pendelt das schwimmende Hotel auf Städtekreuzfahrt zwischen dem Rhein, Amsterdam und Antwerpen. Die traditionsreichen Kultur- und Handelsbeziehungen zwischen dem Oberrhein und Flandern werden auch durch die beiden Wohntürme repräsentiert, die unmittelbar neben der Anlegestelle aufragen: Der Entwurf der glasverkleideten Bauten stammt vom Basler Büro Diener & Diener.

Die schimmernden Wohntürme inmitten der Dockanlagen markieren den Strukturwandel in einem lange vernachlässigten, traditionell von Hafennutzung und Lagerhäusern geprägten Stadtteil. Die Antwerpener nennen das von Docks, Schleusen und Kanälen durchzogene Viertel nördlich der Altstadt »het Eilandje«. Seit den 90er Jahren werden in Antwerpen Pläne für die Umstrukturierung dieses ältesten Teils des Hafengeländes diskutiert; seit 2002 existiert ein Masterplan. In Zukunft wird eine Kulturachse von der Altstadt über das spektakuläre neue »Museum aan de Strom«, das im Mai 2011 seine Tore öffnet, nach Norden führen. Dort befinden sich, nur wenig entfernt von den neuen Hochhäusern, die Gebäude der königlich flämischen Philharmonie und des Royal Ballet of Flanders. In einer riesigen denkmalgeschützten ehemaligen Lagerhalle werden neue Marktnutzungen, Büros und ein Kinozentrum entstehen. Angrenzend sind nach dem städtischen Masterplan auf der Westseite des Kattendijkdok sechs knapp 60 m hohe Turmhäuser geplant, die jeweils als Paare von einem Architektenteam entworfen werden. Den Auftrag für die ersten zwei Türme erhielten Diener & Diener direkt vom Projektentwickler Project², der 2003 aus einem Investorenwettbewerb für die Umsetzung der städtebaulichen Planung am Westkaai hervorgegangen war. Die anderen beiden Turmpaare werden von David Chipperfield und dem Schweizer Architektenduo Anette Gigon und Mike Guyer geplant.

Gestapelte Wunschgrundrisse

Der städtische Masterplan enthielt sehr genaue Vorgaben über Standort und Außenkontur der Türme. Von Seiten des Projektentwicklers wiederum wurden genaue Erwartungen zu Größe, Aufteilung und Zusammensetzung der Wohnungstypen formuliert, die das Ergebnis einer Markterhebung für Antwerpen waren. Die Architekten organisierten die elf geforderten Appartementgrößen in sieben Geschosstypen, die mindestens einmal, höchstens viermal übereinandergestapelt werden, bevor sie von einem anderen Geschosstyp abgelöst werden. Dieses Organisationsprinzip bildet sich bewusst in der Fassade ab und verdeutlicht sichtbar die Mechanismen der immobilenwirtschaftlichen Kalkulation. Je nach Geschosstyp sind die Fensteröffnungen der Lochfassade versetzt. Die kristalline Großform gewinnt auf diese Weise stärkere Präsenz, da sie nicht durch ein regelmäßiges Raster zerschnitten wird. Konstruktiv hatte diese gestalterische Entscheidung die Folge, dass die Außenwände aus Betonfertigelementen nicht als tragendes Skelett mit ausfachenden Elementen, sondern insgesamt als tragende Wand mit eingeschnittenen Öffnungen zu dimensionieren war.

Die Ausstattung der Wohnungen, die vom Entwickler als »luxe appartementen« (Luxuswohnungen) angeboten werden, ist hochwertig, die Architektursprache des Innern sachlich, nüchtern und zurückgenommen. Käufer haben zahlreiche Möglichkeiten, Ausstattung, Fußbodenmaterial oder auch Details der Grundrissaufteilung nach persönlichen Vorstellungen anpassen zu lassen. Jede Wohnung besitzt eine »Terrasse«, die je nach Wohnungstyp in einer anderen Gebäudeecke angeordnet ist. Über geschosshohe Schiebefenster ist dieser Freisitz mit den Wohnräumen verbunden. In der Fassade ist der geschickt über Eck integrierte Außenwohnraum kaum zu bemerken. Um diese Freisitze zu ermöglichen, war die städtische Planungsbehörde bereit, die vorgegebenen Außenmaße der Türme zu vergrößern. Die Terrassen können an einer Seite mit einem gläsernen Windschutz geschlossen werden. Ein vollständiger Abschluss ist nicht möglich, da die Stadt eine Vergrößerung der Wohnfläche gegenüber der Planung auf diese Weise verhindern wollte.

Beheizt werden die 70 bis 360 m² großen Wohnungen durch Wandkonvektoren. In Wand oder Fußboden integrierte Heizungssysteme sind in Belgien wenig verbreitet, so dass es nicht möglich war, vor Ort einen Anbieter zu finden, der Gewährleistung und den 24-stündigen Service anbieten konnte, auf den der Projektentwickler bestand. Auch in anderer Hinsicht nahmen die Richtlinien und technischen Standards in Belgien Einfluss auf das Projekt. Die strengen belgischen Umweltvorschriften erlauben im Wohnungsbau für Fassaden nur einen Öffnungsanteil von maximal 45 %. Um Energieverluste zu minimieren, werden die Wohnungen im Regelbetrieb künstlich belüftet. Die über das Dach angesaugte Frischluft wird über einen Wärmetauscher durch die Abluft aus Küchen und Bädern erwärmt und über die Wohn- und Schlafräume zugeführt. Ein Öffnen der Fenster ist für die Belüftung nicht nötig, aber grundsätzlich möglich. Aufgrund der starken Winde, die in Küstennähe auftreten können, mussten die Fensterflügel als PASK-Konstruktion (Parallel-Abstell-Schiebe-Kipp) ausgebildet werden. Auf diese Weise bleibt gewährleistet, dass eine einzelne Person auch bei starkem Wind die Fenster schließen kann.

Gold und Champagner

Herausragendes Merkmal der Wohntürme ist ihre Verkleidung mit vorgehängten Strukturgläsern – ein Fassadensystem, das Diener & Diener in ähnlicher Form bereits in der Schweiz, Deutschland und Schweden erprobt haben. Die wärmegedämmte Außenwand ist mit eloxierten Aluminiumblechen verkleidet. Vor der Metallverkleidung sind in einem Abstand von 2,5 cm Gussglasscheiben mit einseitig eingeprägter Rillenstruktur angebracht. Aluminiumhaut, Fenstereinfassungen und alle übrigen Fassadenelemente des südlichen Turms sind einheitlich goldfarben, die des nördlichen Turms champagnerfarben eloxiert. Das geriffelte transparente Material verleiht der Fassade in Zusammenspiel mit der dahinterliegenden Metallhaut eine unbestimmte Tiefe. Die grünliche Eigenfarbe des Glases, Spiegel- und Brechungseffekte erzeugen je nach Blickwinkel und Lichtsituation eine variierende, reizvolle Farbigkeit von eisigen Horizont- bis hin zu Goldtönen. Da sich die Grundfarbe der gegeneinander versetzten Türme leicht unterscheidet, besteht stets eine interessante Farbdifferenz.

Dem Betrachter, der die Fassadenkonstruktion aus der Nähe betrachtet, ergeht es allerdings ähnlich wie dem Naturforscher Goethe bei der Untersuchung des wechselnden Farbenspiels einer Libelle. Der faszinierende Effekt wiederholt sich bei der Betrachtung aus der Nähe nicht. Wo Goethe sich über das »traurig dunkle Blau« des zuvor noch schillernden Insekts beklagte, erkennt der Besucher, der näher an die Westkaai-Türme herantritt, den Grundton der goldenen Metallelemente mit all den Assoziationen, die dieses Material vielleicht an die eloxierten Fassaden früherer Jahrzehnte anklingen lässt. Die Architektur weicht diesem Effekt nicht aus. Das Fassadensystem ist bis ins EG heruntergezogen und bewusst als technische Verkleidung ablesbar. Zwischen den bis zu 3,50 m hohen Glasbahnen verlaufen zentimeterbreite Fugen, die den Blick auf die dahinterliegende Metallhaut freigeben. Auch die Haltevorrichtungen der Glaselemente sind nicht kaschiert. Die industrielle Logik der Details korrespondiert mit der Atmosphäre der ehemaligen Hafenlage.

Befürchtungen bezüglich Vandalismus und Graffiti haben die Architekten ebenso wenig wie Bedenken gegen Verschmutzungen, die sich eventuell zwischen Glashaut und Metallverkleidung festsetzen könnten. Die erste Fassade dieses Typs, die Diener & Diener Ende der 90er Jahre in Malmö realisiert haben, ist mittlerweile mehr als zehn Jahre alt. Die Glashaut wurde bisher weder beschädigt, noch haben sich auf der glatten Innenseite Verschmutzungen ablagern können. »Ich sehe keinen Grund dafür, warum die Fassade nicht 80 Jahre überdauern sollte«, erläutert Uwe Herlyn aus dem Berliner Büro der Architekten. Eine Alternative zur Glasverkleidung, etwa in Form von Naturstein oder Metallelementen, haben die Architekten nicht erwogen, schließlich ließe sich der beabsichtigte »Libelleneffekt« mit anderen Materialien ohnehin nicht erzielen.

db, Mi., 2010.11.03



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db 2010|11 Gläsern

03. März 2010Karl R. Kegler
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Rahmen-Werk

Bühne, Stadtmöbel, Pavillon, gebaute Platzkante, monumentales Fenster, Lichtinstallation – das »stadspodium« des Rotterdamer Atelier Kempe Thill bietet als raumschließende Großform viele Funktionen. Eine Bürgerstiftung ermöglichte den Bau, der seit 2009 intensiv genutzt wird und erfolgreich zur Reaktivierung eines vernachlässigten Stadtplatzes beigetragen hat.

Bühne, Stadtmöbel, Pavillon, gebaute Platzkante, monumentales Fenster, Lichtinstallation – das »stadspodium« des Rotterdamer Atelier Kempe Thill bietet als raumschließende Großform viele Funktionen. Eine Bürgerstiftung ermöglichte den Bau, der seit 2009 intensiv genutzt wird und erfolgreich zur Reaktivierung eines vernachlässigten Stadtplatzes beigetragen hat.

»Hoor hier bonkt het nieuwe hart van Rotterdam.« Der komplett eingerüstete Kirchturm der Sint Laurenskerk ist mit einem Megaposter verkleidet: »Hör' hin, hier schlägt das neue Herz von Rotterdam.« Die spätgotische Hallenkirche ist einer der wenigen historischen Bauten der Stadt, der, schwer beschädigt, den verheerenden deutschen Luftangriff vom Mai 1940 und den späteren Wiederaufbau überstanden hat. Auf den freigeräumten Flächen rund um die Kirche entstand in der Nachkriegszeit eine vollkommen neue Stadtstruktur, die mit niedrigen Ladenzeilen und Fußgängerzonen den damaligen städtebaulichen Leitbildern folgte. Der jetzige Grotekerkplein war einst ein dicht bebautes mittelalterliches Viertel. Heute rahmt eine heterogene Randbebauung mit vier- bis elfgeschossigen Häusern den in der Wiederaufbauperiode neu geschaffenen Platz. Die Westseite wird vom Delfsevaart-Kanal begrenzt, an dem die Schornsteine eines angrenzenden Industriebetriebs weiße Dampfwolken in den Himmel blasen.

Ein Geschenk für die Stadt

2004 ergriff der Rotterdamer Rotary-Club, der damals ein Jubiläum feierte, die Initiative zur Reaktivierung des vernachlässigten Stadtplatzes. Die erste Idee bestand darin, einen Musikpavillon zu stiften, der die wenig genutzte Fläche zwischen zwei Einkaufsstraßen beleben sollte. Aus einem kurzfristig organisierten Wettbewerb, der sich bewusst an junge Rotterdamer Architekturbüros wandte, ging das Atelier Kempe Thill als Sieger hervor.

»Einen Platz mittels Veranstaltungen zu beleben, funktioniert immer«, erklärt Büropartner Oliver Thill die realisierte Entwurfsidee. »Uns ging es darüber hinaus darum, durch das zusätzliche Volumen einen stadträumlichen Abschluss zu schaffen.« Wo der Grotekerkplein an den Kanal grenzt, rahmt das »stadspodium« heute den Blick auf die gegenüberliegende Seite, ohne den Ausblick auf die nüchterne Rückfront einer sechsgeschossigen Zeilenbebauung auf der anderen Seite zu verstellen. Das offene Bauwerk funktioniert von beiden Seiten wie ein überdimensionales Fenster oder ein Filter, der zwischen Platz und Wasser gekonnt vermittelt und die Grenze zwischen den unterschiedlichen Räumen akzentuiert.

Das Podium besteht aus einer 40 m langen, 50 cm hohen Sichtbetonplattform. Auf den beiden Enden dieses 5 m breiten Sockels »sitzen« zwei mit Metallgeflecht verkleidete Würfel, die alle Funktionen aufnehmen, die zum Bespielen des Bauwerks notwendig sind. Das zwischen diesen Kuben über 30 m frei tragende Dach hat genau die gleiche Dicke wie die Plattform. Es besteht aus einer vorgespannten, leicht gewölbten Betonschale. Die Stichhöhe beträgt nur 15 cm.

Da das Bauwerk auch von den Fenstern der hohen Gebäude am Rande des Platzes aus makellos erscheinen sollte, wurde sein Dach zu einer fünften Fassade. Der Beton wurde geschliffen, poliert und so geformt, dass im Zusammenwirken mit der flachen Krümmung die Entwässerung über die beiden Eck-Kuben erfolgen kann. Die polierte Oberfläche benötigt keine zusätzliche Folie als wasserführende Schicht.

Entscheidend ist der Vorhang

Dass die Komposition aus geometrischen Grundformen auch etwas Monumentales ausstrahlt, erfährt, wer vor den 5 m hohen, metallverkleideten Türen der Eck-Würfel steht, die auch einem Kirchenportal zur Ehre gereichen würden. Der nördliche Kubus beherbergt Umkleideräume, eine Toilette und Lagerräume. Der südliche Kubus nimmt einen 70 m langen textilen Vorhang auf, der über Schienen im Dach um die ganze Spielfläche herumgeführt werden kann. Durch dieses Element lässt sich das Bauwerk zu verschiedenen Seiten hin öffnen oder schließen, die Breite der Bühne regulieren oder die Spielfläche in einen introvertierten Raum verwandeln.

Genutzt wird das Podium seit seiner Einweihung im April 2009 von einer Bürgerstiftung, die von Mai bis September teilweise mehrfach wöchentlich Konzerte, Schauspiel oder Tanzveranstaltungen organisiert. In der ersten Spielzeit haben die Künstler – Laiengruppen wie Profis – die Möglichkeiten des Vorhangs intensiv genutzt. Das textile Material strahlt nicht nur durch seine Assoziation zur Theaterbühne eine faszinierende Wirkung aus. Im Spiel von Sonne, Schatten und Wind verwandelt sich die Open-Air-Bühne in ein bewegtes Kunstwerk. Da Vandalismus in Rotterdam wie in allen Großstädten ein Problem darstellt, wird der Vorhang allerdings nur während der Aufführungszeiten hervorgeholt. Auch bei der Planung der übrigen Bauteile mussten die besonderen Beanspruchungen einer Nutzung im öffentlichen Raum bedacht werden. Das robuste Edelstahlgeflecht, das die Würfel umkleidet, bietet wenig Anreiz zum Anbringen von Graffiti. Der Sichtbeton wurde mit einer speziellen Beschichtung vor Verschmutzungen geschützt. Die Spuren von Skateboards und BMX-Rädern auf der Bühne zeigen trotz dieser Vorkehrungen, dass das Podium auch außerhalb der organisierten Vorführungen intensiv in Anspruch genommen wird.

Mit der Errichtung des Pavillons wurde auch der öffentliche Raum um die Sint Laurenskerk neu gestaltet. Entwurf und Ausführung übernahm die Gemeinde Rotterdam, während Kempe Thill als Berater fungierten. Die städtischen Planer verwendeten als Pflasterung den gleichen Backstein und die gleichen Stadtmöbel, die überall in Rotterdam Verwendung finden, so dass der Platzgestaltung eine unauffällige Selbstverständlichkeit eigen ist. Ein wesentliches Anliegen war, die Platzmitte und das Umfeld der Bühne von Straßenlaternen und Installationen frei zu halten. Um den Platz trotzdem ausreichend ausleuchten zu können, wurde ein 15 m hoher Mast installiert, der die Platzmitte mit Scheinwerfern beleuchtet. Auf der Westseite am Kanal fungiert das stadspodium selbst als Straßenbeleuchtung. Strahler sind in die Decke des Podiums integriert und hinter dem Metallgewebe der beiden Eckwürfel Neonleuchten angebracht, die für ausreichendes Licht sorgen und das Gebäude in den Abendstunden in eine Lichtskulptur verwandeln.

Dem Bühnenpavillon gelingt es erfolgreich, in einem extrem heterogenen Umfeld als gestalterische Klammer zu wirken. Dies hat entscheidend mit Dimensionen und Materialität des Bauwerks zu tun. Die zurückgenommene Farbigkeit – der Beton ist mit einem Titanoxid-Zuschlag versehen, der über die Jahre immer weißer wird – korrespondiert mit einem Umfeld, als deren einziges gemeinsames Merkmal eine karge, moderne Nüchternheit auszumachen ist. Auch die große Dimension ist Vorbedingung, um überhaupt Wirkung in einem Umfeld ausüben zu können, das durch das Nebeneinander großer Volumen bestimmt ist. Als Veranstaltungsplattform bietet das Podium weit mehr Raum als erforderlich.

Die Mehrdeutigkeit und »Neutralität« der Großform lädt zur Aneignung durch unterschiedliche Nutzungen ein. Sie bietet einen Rahmen, der auch den alltäglichen Besucher erheben und in eine aktive Position bringen möchte. Die Büropartner Andre Kempe und Oliver Thill, die über Dresden und Tokio ihren Weg nach Rotterdam fanden, fühlen sich als »Schinkel-Fans« in diesem Umgang mit großen Proportionen einer langen Tradition verpflichtet: »Öffnung, Vorhang und Rahmen sind letztlich klassische Themen der Architektur.«

db, Mi., 2010.03.03



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Theaterpodium Grotekerkplein



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db 2010|03 Außenräume

01. Mai 2009Karl R. Kegler
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Kunstgriff

Ein kleines Weindorf an der Mosel, ein Grundstück inmitten eines Weinbergs, ein Künstler als Bauherr und ein Bebauungsplan, der Kubatur, Geschosshöhen und Dachneigung sehr genau vorgab. Dass die ungewöhnliche »Wohnskulptur« am Ortseingang so verwirklicht werden konnte, wie es der Bebauungsplan gerade nicht vorsah, ist der fantasievollen Klassifizierung einzelner Bauelemente zu verdanken – dem Baurecht wurde somit Genüge getan, und der Bauherr kann sich über ein besonderes Wohnerlebnis in exponierter Lage freuen.

Ein kleines Weindorf an der Mosel, ein Grundstück inmitten eines Weinbergs, ein Künstler als Bauherr und ein Bebauungsplan, der Kubatur, Geschosshöhen und Dachneigung sehr genau vorgab. Dass die ungewöhnliche »Wohnskulptur« am Ortseingang so verwirklicht werden konnte, wie es der Bebauungsplan gerade nicht vorsah, ist der fantasievollen Klassifizierung einzelner Bauelemente zu verdanken – dem Baurecht wurde somit Genüge getan, und der Bauherr kann sich über ein besonderes Wohnerlebnis in exponierter Lage freuen.

Der mit rostrotem Corten-Stahl verkleidete Bau ist das Haus eines Diplomaten. Die Mosel ist hier etwa achtzig Meter breit; in ihrer Mitte verläuft die Grenze zwischen Luxemburg und Rheinland-Pfalz. Von der Terrasse über dem Ufer geht der Blick von der luxemburgischen auf die deutsche Seite.

Das korrodierte Verkleidungsmaterial mag zunächst gar nicht zu den Assoziationen passen, die man im Kopf mit den Weinbergen und Winzerstädtchen an der Mosel verbindet. Vor Ort stellt sich freilich keinerlei Disharmonie mit der Landschaft ein. Auf luxemburgischer Seite geht am Moselufer die gut ausgebaute Nationalstraße 10 direkt vor dem Haus entlang; die Hänge werden von natursteinverkleideten Böschungsmauern begleitet. Der Ort ist kein romantisches Idyll, sondern merklich durch die Eingriffe von Verkehr und Flurbereinigung in die Landschaft gekennzeichnet. Der Gebrauch eines industriellen Materials wirkt in diesem Umfeld keineswegs deplaziert.

Zwischen Hang und Strasse

Die Widersprüche, die sich aus der reizvollen Aussicht über die Mosel hinweg einerseits und der exponierten Lage an der Straße andererseits ergeben, sind an der heterogenen Nachbarbebauung abzulesen, deren Bewohner sich mit Sichtschutzpflanzungen vor unerwünschten Einblicken zu schützen suchen. Architekt und Bauherr haben hier einen anderen Weg gewählt. Die zur Mosel gewandte Fassade des 2007 fertiggestellten Baus ist vollständig verglast. Als Sonnenschutz für die südostorientierte Fassade dient ein vor das Haus gestelltes 2,30 Meter tiefes Bauteil von gleichem Umriss, gleicher Höhe und Breite wie das Haus. Ohne den Ausblick zu behindern, schirmt dieser »Portalgiebel« das Innere vor unerwünschten seitlichen Einblicken wie vor dem störenden Scheinwerferlicht der vorbeifahrenden Autos ab. Es ist der formalen Konsequenz des Entwurfs geschuldet, dass sich dieses höchst ungewöhnliche Bauteil, stringent aus der übrigen Struktur des Hauses ergibt. Die schlichte Kubatur eines giebelständigen Hauses mit Satteldach, die der Bebauungsplan vorgegeben hatte, wird an den Längsseiten durch drei cortenverkleidete Segmente gegliedert, die das Haus vom Boden bis zum First wie Klammern umschließen. Zwischen den Segmenten verlaufen Fugen aus Glas, die ebenfalls vom Boden bis zum First reichen. Die vertikalen Fensterbänder versorgen das Innere des in den Hang hineingebauten, elf Meter tiefen Hauses wirkungsvoll mit natürlichem Licht. Die vor das Haus gestellte Struktur bildet ein weiteres, viertes Segment, das nicht mehr zum Haus gehört, dessen Proportionen aber optisch verlängert. Durch diesen Kunstgriff entsteht ein Wechselspiel zwischen dem umbauten Volumen und der angedeuteten größeren Form. Die einzigen außen verwandten Materialien sind der rohe Corten-Stahl und transparentes Glas. Der kunstinteressierte Bauherr, der einen Teil seiner Freizeit der Malerei widmet, war von der sachlich-schlichten Architektursprache ebenso begeistert wie vom Kontrast dieser Materialien.

Von den drei Geschossen plus Dachgeschoss, die vom Straßenniveau aufragen, verschwinden zwei Geschosse im ansteigenden Hang. Küche und Essplatz sind im ersten Geschoss zur Straße hin angeordnet. Der Wohnbereich befindet sich auf gleicher Ebene auf der gegenüberliegenden Hangseite. Auch diese Zone ist großzügig, hell und freundlich. Sein Licht erhält der hier zweigeschossige Wohnbereich durch den Luftraum einer Galerie, die sich zu einer Terrasse auf der Hangseite öffnet. Zudem ist das Wohngeschoss, von außen unsichtbar, etwa 1,50 Meter tiefer in den Hang hineingebaut und erhält zusätzliche Helligkeit direkt von oben durch ein Oberlicht. Der Bebauungsplan hätte es zugelassen, den Hang auf dieser Seite ¬tiefer abzugraben, um den rückwärtigen Teil des ersten Geschosses durch Souterrainfenster zu belichten. Dass dies nicht geschah, hat zwei Gründe: Neben die Abneigung gegenüber einer Souterrainbelichtung trat das Problem, eine tiefere Abgrabung am Hang aufwendig abfangen zu müssen.

In der Hochwasserzone

Für die unterste Ebene wurden keine hochwertigen Nutzungen vorgesehen, da die Lage am Ufer der Mosel die Gefahr von Überschwemmungen mit sich bringt. Hier befinden sich lediglich Garage, Garderobe und unbelichtete Nebenräume. Der Hausanschlussraum liegt folgerichtig im ersten Stock. Schon die Bauphase führte die Sinnfälligkeit dieser Entscheidung vor, als ein Moselhochwasser bis zur Baustelle reichte, die durch einen Erdwall abgesichert werden musste. Die Konstruktion ist konventionell. Die ersten zwei Geschosse wurden in Stahlbeton errichtet, das dritte Geschoss gemauert. Das Dach ist ein herkömmliches Sparrendach. Die Verkleidung mit Blechen aus Corten-Stahl wurde aufgeschraubt. Als wasserführende Schicht liegt unter den Blechen eine Kunststofffolie.

Die Wärmeversorgung des Hauses wird durch zwei oberflächennahe Geothermiebohrungen von achtzig Metern Tiefe gewährleistet, die an einen Wärmetauscher angeschlossen sind. Der sonnenexponierte Hang, ein ehemaliger Weinberg, speichert in der Tiefe über das Jahr mehr als genug Wärmeenergie, um die Versorgung in der kalten Jahreszeit sicherzustellen. Im Sommer wird das Haus natürlich gekühlt. Die offenen Treppen und Grundrisse, ohnehin ein Merkmal des gesamten Baus, erlauben eine ungehinderte Luftzirkulation. Die natürliche Thermik bewirkt den Temperaturausgleich zwischen den kühleren Untergeschossen, die in die Erdmasse des Hangs eingebettet sind, und den exponierteren Obergeschossen. Die Glasflächen auf dem Dach können automatisch verschattet werden.

»möglich« und »erlaubt«

Dass gerade die Besonderheiten, die zur Originalität und Qualität des Entwurfs beitragen, aus baurechtlicher Perspektive ein Problem dargestellt haben, gehört zur Geschichte des Projektes. Durch einen Teilbebauungsplan, der drei benachbarte Parzellen am Ortseingang erfasste, waren bei Beginn der Planung Gebäudeform, Baugrenzen, Bauhöhe bereits genau bestimmt. Der vorgegebene giebelständige Haustyp mit Satteldach, der in der Darstellung des Bebauungsplans ein wenig an die Proportionen der bekannten -Monopoly-Häuschen erinnert, findet sich in der unmittelbaren Nachbarschaft nirgends. Gerade die uneinheitliche Umgebung, die ganz verschiedene Haustypen vorweist, dürfte aber dazu beigetragen haben, dass nach einer stärkeren Einheitlichkeit gesucht wurde. Für sich genommen begründet sich die giebelständige Grundform sinnvoll aus dem Zuschnitt der drei relativ schmalen und tiefen Parzellen, in die ein ehemaliger Weinberg aus dem Besitz der Familie des Bauherrn geteilt wurde. Der Bebauungsplan wurde in Abstimmung mit den Grundbesitzern von einem Architekturbüro in Esch-sur-Alzette entwickelt.

Ein Portalgiebel war in dieser Planung natürlich nicht vorgesehen. Genehmigungsrechtlich wurde das vor das Haus gestellte, skulpturale Segment daher erst über seine Klassifizierung als »Dachüberstand« möglich. Die geringfügige Erweiterung des Wohnbereichs in den Hang hinein stellte sich ebenfalls als Problem dar. Der über die Baugrenze hinausreichende Abschnitt wurde schließlich als (unterirdischer) »Erker« genehmigt. Eine Glasscheibe markiert die Grenze, ab der dieser Erker in einen ebenfalls baurechtlich erlaubten »Lichtschacht« übergeht.

Das Ziel des Teilbebauungsplans, an dieser Stelle des Ortseingangs eine möglichst ruhige, einheitliche Bebauung zu erhalten, ist durch das auffallende Haus relativiert. Die Realisierung des Projekts spricht andererseits für die Präsenz und für die Akzeptanz von interessanter zeitgenössischer Architektur im ländlichen Raum. In dieser Hinsicht lohnt sich durchaus ein Blick an die luxemburgische Mosel. Eine Reihe von spannenden Projekten ist in den Nachbargemeinden Wellenstein, Remich, Remerschen oder Schengen zu entdecken. Der kleine Ort Wormeldange leistet sich als beratendes Gremium eine mit Fachleuten besetzte Bautenkommission, die den Bürgermeister bei der Genehmigung von Projekten berät.  Diese Kommission äußerte sich positiv zu der vorgestellten Planung und befürwortete auch die für diesen Standort ungewöhnliche Verkleidung des Hauses mit Corten-Stahl. Weniger die Haltung von Kommission und Bürgermeister als der Druck durch klagende Nachbarn zwingt die Gemeinde im Alltag aber zu einer immer strikteren Einhaltung des Baureglements. Ermessungsspielräume werden dadurch vermindert, Entscheidungen auf Gerichte verlegt. In diesem Fall unterblieb eine gerichtliche Auseinandersetzung nur deshalb, weil die formalen Einspruchsfristen bereits verstrichen waren, als von einem Nachbar Klage eingereicht wurde. Ein Haus mit vergleichbaren Abweichungen vom Bebauungsplan wird es an dieser Stelle daher wohl nicht mehr geben, auch wenn eine unmittelbar benachbarte Bauparzelle noch frei ist. Das rostrote Wohnhaus an der Mosel bleibt ein einmaliger Kunstgriff.

db, Fr., 2009.05.01



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db 2009|05 Bebauungsplankonform

30. Juni 2007Karl R. Kegler
db

Reinfahren, Parken, Rausfahren

Der erste Bau des Büros Birk und Heilmeyer verbindet ein geschicktes Erschließungskonzept mit bewusster Zurückhaltung nach außen. Verantwortlich für das Gelingen ist neben dem jungen Architektenpaar auch ein aufgeschlossener Bauherr, der mit einem ungewöhnlichen Wettbewerbsverfahren Architekturabsolventen eine Chance gab.

Der erste Bau des Büros Birk und Heilmeyer verbindet ein geschicktes Erschließungskonzept mit bewusster Zurückhaltung nach außen. Verantwortlich für das Gelingen ist neben dem jungen Architektenpaar auch ein aufgeschlossener Bauherr, der mit einem ungewöhnlichen Wettbewerbsverfahren Architekturabsolventen eine Chance gab.

Der Firmensitz des Textilunternehmens Ernsting's-family im münsterländischen Coesfeld-Lette zeichnet sich durch ein Ensemble hochwertiger Architektur aus. Mitte der achtziger Jahre setzte das Unternehmen Maßstäbe im Gewerbebau, als es für sein Vertriebs-Center, einer Halle von knapp 19  000 Quadratmetern Geschossfläche, einen Architekturwettbewerb auslobte, den die Bürogemeinschaft Reichlin, Reinhard, Calatrava gewann. Die auffallenden Falttore Calatravas wurden damals in vielen Architekturzeitschriften publiziert. 1999 und 2000 kamen, gleichfalls nach Wettbewerben, weitere hochwertige Bauten hinzu: die Erweiterung des Vertriebs-Centers durch das Kölner Büro Johannes Schilling und der Bau eines Service-Centers durch den Londoner Architekten David Chipperfield. Die jüngste Ergänzung dieses Firmencampus, ein Parkhaus mit 500 Stellplätzen, erfolgte durch das junge Architekturbüro Birk und Heilmeyer aus Stuttgart, das mit diesem Projekt seinen ersten Bau überhaupt realisierte.

Hell, offen, übersichtlich

Selbstbewusst und zugleich selbstverständlich ergänzt das Parkhaus das Miteinander der bestehenden Bauten. Das lang gezogene, schlichte Volumen ist in zwei drehsymmetrische Baukörper gegliedert, die durch eine Fuge getrennt sind. Durch die Baukörper hindurch laufen zwei Parkrampen nach dem Prinzip einer doppelläufigen Wendeltreppe. Die Rampen sind auf drei Ebenen mittig miteinander verbunden, was einen einfachen Wechsel ermöglicht. Die Länge des Parkhauses von 127 Metern gestattet eine angenehme Steigung von 3,2 Prozent.

Im Inneren ist das Parkhaus hell und übersichtlich, dazu trägt auch die mit 3,06 m vergleichsweise großzügige Geschosshöhe bei. Die Parkrampen sind von zwei Seiten natürlich belichtet und belüftet. Die Fuge zwischen den Baukörpern nimmt Treppen auf und erhellt die Innenseite der Parkdecks. Um möglichst viel Licht einzulassen und auch formal die Trennung der Baukörper zu verdeutlichen, sind die in der Fuge angeordneten Treppen und Überfahrten aus Gitterrosten gebildet. Die Fassade besteht aus einer Lattung aus Kanthölzern von 4 cm Breite und 10 cm Tiefe und hat einen Öffnungsanteil von 70 Prozent. Das Grundmodul des Fassadenrasters (13 cm) ist aus der Breite eines Parkplatzes (2,60 m) und dem Achsmaß der Stahlverbundkonstruktion (5,20 m) entwickelt. Insgesamt ist das konstruktive System auf einen hohen Vorfertigungsgrad ausgelegt. Auf die Stahlkonstruktion wurden Betonfertigdecken gelegt und mit Beton ausgegossen, alle übrigen Verbindungen konnten geschraubt werden.

Das effiziente System aus Parkrampen, das zusätzliche Auffahrten überflüssig macht, ermöglichte es den Architekten, die geforderte Zahl an Parkplätzen im hinteren Teil des L-förmigen Grundstücks anzuordnen und so einen respektvollen Abstand zum Vertriebs- und Service-Center einzuhalten. Das Parkhaus sollte sich nicht in den Vordergrund drängen. Die Kubatur des klar definierten Baukörpers wird durch die aufsteigenden Rampen bestimmt. Die schlichte, zurückgenommene Holzfassade zwischen hohen Bäumen vermittelt zwischen den Büro- und Gewerbebauten auf der Ostseite des Gebäudes und dem Wohngebiet aus Einfamilienhäusern, das auf der Westseite angrenzt. Je nach Abstand und Blickwinkel lassen die Holzlamellen den Baukörper zu einem geschlossenen Volumen zusammentreten oder eröffnen Einblicke auf die Parkdecks. Von innen erlaubt die offene Fassade den Ausblick auf den Vorbereich, der wie das übrige Firmengelände parkartig ausgestaltet wird. Die gewählten Materialien – Holz, dunkelgrau gestrichener Stahl und Beton – erzeugen einen unaufgeregten farblichen Dreiklang. Wer als Gast zuerst in das Firmenparkhaus einfährt, erlebt dieselbe Materialpalette aus Holz, Stahl und Beton, wenn er später in das Service-Center von David Chipperfield eintritt. Helligkeit, Offenheit und Übersichtlichkeit des Parkhauses vermeiden alle negativen Assoziationen, die häufig mit diesem Bautyp verbunden sein können – Ein Eindruck, der Bauherrn und Architekten auch deshalb wichtig war, da ein Großteil der Belegschaft aus Frauen besteht.

Gelungene Nachwuchsförderung

Die Realisierung des Parkhauses in Coesfeld-Lette durch das junge Büro ist die Folge eines ungewöhnlichen Wettbewerbs. Im Dezember 2003 lobte Ernsting's-family einen Wettbewerb unter allen Architekturdiplomanden der Jahre 2002 und 2003 aus, die ihren Abschluss mit einer Note besser als 2,0 erreicht hatten. Von hundertfünfzig Bewerbern wurden aufgrund der eingereichten Diplomarbeiten in einer ersten Phase fünfzig ausgewählt, die zur Bearbeitung des Wettbewerbs eingeladen wurden. In der zweiten Phase erreichten Stephan Birk und Liza Heilmeyer den ersten Platz und wurden mit der Realisierungsplanung beauftragt. Bauleitung und Kostenplanung wurden – auf Wunsch des Bauherrn – in die Hände des Büros Pfeiffer/Ellermann/Preckel gelegt, das sich in größerer Nähe zu Lette befindet.

Für die Preisträger, die zum Zeitpunkt der Wettbewerbsentscheidung Ende 2004 beide im Büro Norman Foster in London beschäftigt waren, war der gewonnene Wettbewerb der Auslöser für den Entschluss, nach Deutschland zurückzukehren und in Stuttgart ein eigenes Büro aufzubauen. Das erste eigene Projekt war Chance und Herausforderung zugleich. Die Zusammenarbeit mit dem Mitarbeiterstab der Ernsting's-Bau-&-Grund und mit Firmengründer Kurt Ernsting, der bei den meisten Baubesprechungen persönlich dabei war, bedeutete die Auseinandersetzung mit einem Auftraggeber, der viel Sinn für architektonische Gestaltung und eine große Erfahrung aus eigenen Projekten einbrachte, aber auch bis ins Detail schlüssige und optimierte Lösungen einforderte. Gestalterische Qualität, so die Überzeugung des Unternehmens, ist nicht allein eine Frage der Ästhetik, sondern lässt sich auch in wirtschaftlichen Erfolgen messen: In einem hochwertigen Arbeitsumfeld sind die Mitarbeiter motivierter und machen weniger Fehler.

Der Zusammenarbeit kam zugute, dass der Bau gegenüber dem Wettbe-werbsentwurf nur wenig verändert werden musste – ein Gesichtspunkt, der sowohl für die Qualität des Entwurfs als auch für das Verfahren spricht. Birk und Heilmeyer konnten ihren Auftraggeber auch von der Machbarkeit der vorgeschlagenen Holzfassade überzeugen, der man anfänglich leicht skeptisch gegenüberstand. Die Kanthölzer aus Douglasie haben einen ersten Schutzanstrich erhalten, sollen aber mit der Zeit natürlich altern können und eine silbergraue Färbung entwickeln. Für diese Behandlung konnten die beiden Architekten auf Erfahrungen aus der Schweiz verweisen. Eine der wenigen nachträglichen Ergänzungen stellt das Falttor an der Einfahrt des Parkhauses dar. Es nimmt ein Architekturmotiv auf, das sich nun in dreifacher Variation auf dem Firmencampus findet: Neben den bekannten Einfahrten Calatravas weist auch die Erweiterung des Vertriebs-Centers durch Johannes Schilling diese markanten Falttore auf.

Der erst seit Kurzem fertiggestellte Bau wurde bereits mehrfach ausgezeichnet, unter anderem Anfang 2007 mit dem Stuttgarter Weißenhof-Architekturförderpreis und im Juni 2007 mit einer Auszeichnung durch den BDA Münster. Diese Preise helfen, aber der Start in die Selbstständigkeit ist trotzdem nicht einfach. Dass der erste Bau ihres Büros nun ein großes Parkhaus darstellt, ist, wie Stephan Birk einräumt, vielleicht etwas ungewöhnlich, »... wir würden allerdings jederzeit wieder eins bauen wollen, die Aufgabe ist wunderbar klar: Reinfahren, Parken, Rausfahren.«

db, Sa., 2007.06.30



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db 2007|07 Junge Architekten

12. Februar 2007Karl R. Kegler
db

Musik. Maschinen. Haus.

Weiterbauen statt abreißen: Der denkmalgeschützte Förderturm von 1958, ein mit Glas verkleideter, neuer Zwischenbau und das um zwei Stockwerke erweiterte ehemalige Maschinenhaus bilden auf dem Gelände der stillgelegten Steinkohlenzeche Consolidation nun ein Musikzentrum.

Weiterbauen statt abreißen: Der denkmalgeschützte Förderturm von 1958, ein mit Glas verkleideter, neuer Zwischenbau und das um zwei Stockwerke erweiterte ehemalige Maschinenhaus bilden auf dem Gelände der stillgelegten Steinkohlenzeche Consolidation nun ein Musikzentrum.

Nur wer sich dem ehemaligen Zechengelände Consolidation 3/4/9 von Norden nähert, fängt einen Eindruck ein, wie er vor fast fünfzig Jahren wohl nicht anders gewesen sein dürfte. Hier steht der letzte Abschnitt der roten Backsteinmauer, die ursprünglich das gesamte Gelände einfasste. Hinter der Mauer ragen als Hinterlassenschaft der Industriegeschichte zwei Fördertürme und ein Bewetterungskamin auf. Nach etwa 200 Metern läuft die Mauer aus und ein breiter Weg leitet entlang einer Böschung aus dem gleichen Ziegel über eine Freitreppe auf das Innere des Geländes zu. Diese einladende Inszenierung, die die wenig spektakuläre, aber authentische Grenzmauer des Zechengeländes geschickt einbezieht, illustriert den Umgang von TOR 5 Architekten (Herfried Langer und Markus Wüllner) mit den charakteristischen Elementen der Zweckarchitektur auf dem ehemaligen Industriegelände. Nach einem gewonnenen Wettbewerb – 1998 ausgeschrieben von der Stadt Gelsenkirchen – haben die Architekten auf dem Gelände den Umbau von Förderturm und dem zugehörigen Maschinenhaus an Schacht 4 zu einem Musikprobenzentrum durchgeführt. Ein Folgeauftrag brachte anschließend die Gestaltung der Außenanlagen. Heute bildet das Probenzentrum, zusammen mit einem freien Theater und einer Kunstsammlung, die in einer umgenutzten Halle untergebracht ist, eine Zone kultureller Einrichtungen in Gelsenkirchen-Bismarck. Das übrige Zechengelände wurde in eine Park- und Wiesenlandschaft verwandelt, unter deren grünen Hügeln die Trümmer der abgebrochenen Bauten deponiert sind. Nur anhand alter Fotos kann man sich das Gedränge von Schächten, Kaminen, Werkstätten und Bahnanlagen vorstellen, das an dieser Stelle einmal vorhanden war.

Industrieästhetik

Als Leitlinie für den Umbau von Schacht 4 zu einem Musikprobenzentrum dienten dem jungen Bochumer Büro sehr bewusst die typischen Materialien und die sparsame, funktionale Ästhetik der Industriearchitektur mit ihren spezifischen Details, die an anderer Stelle verloren gegangen sind. Förderturm und Maschinenhaus an Schacht 4 entstanden im Jahr 1958, als auf der Zeche Consolidation noch an die siebentausend Bergleute einfuhren. 1997 wurde die Zeche stillgelegt. Durch die bedachtsamen Ergänzungen der Umbaumaßnahmen treten die formalen Qualitäten der Anlage aus den späten fünfziger Jahren heute mit besonderer Klarheit hervor. Der weiße, von W. A. Gorgen entworfene Betonförderturm – heute das letzte erhaltene Beispiel dieses Bautyps im ganzen Ruhrgebiet – wirkt wie eine Formfantasie der klassischen Moderne. Zu den Grundzügen des Entwurfs gehört, dass die ursprüngliche funktionale Zuordnung von Förderturm und Maschinenhaus erhaltenen geblieben ist. Heute dient der Förderturm als Erschließung für die oberen Etagen des Probenzentrums.
In ihrem Entwurfskonzept entschieden sich die Architekten außerdem, den riesigen Elektromotor und die gewaltige Treibscheibe der Förderanlage aus Gründen der Authentizität im Maschinenhaus zu belassen. Rund um diese Maschine befindet sich heute die zweigeschossige Lobby des Probenzentrums, die als Aufenthalts- und Empfangsraum dient und ihre besondere Atmosphäre durch das technische Großgerät erhält. Die geforderten 40 Probenräume sind in fünf Geschossen untergebracht, die als Haus im Haus in die alte Ziegelhülle der Maschinenhalle hineingestellt sind. Die zwei Geschosse, die über die Attika der ursprünglichen Halle hinausragen, sind bündig mit Profilbauglas verkleidet, so dass die kompakten Umrisse der Anlage fortwirken. Der Materialwechsel markiert den Schnitt zwischen Alt und Neu. Die technischen Installationen und die Be- und Entlüftung der Probenräume verlaufen im Zwischenraum zwischen den Probengeschossen und der Außenhülle aus Ziegel bzw. Glas. Lediglich im Bereich der Lobby wurde die Ziegelhülle großzügig geöffnet und gibt durch eine dreigeschossige Glasfassade den Blick auf die innen liegende Maschine frei.

Die gelungene Einpassung der neuen Nutzung in die industrielle Substanz erweist sich vor allem in der sparsamen, unaufgeregten Sprache und Materialität der Architektur. Es dominieren klare Kanten sowie Materialien und Halbfabrikate aus dem Industriebau. Der rote Fließestrich der Lobby nimmt den Ton von Backstein und rostigen Metallteilen aus der Umgebung auf. Die schweren Stahlrahmensessel mit schwarzer Polsterung wurden von einer Schulungswerkstatt eigens für diesen Raum angefertigt. Die Betonwände blieben unverputzt, alte und neue Oberflächen sind anhand der charakteristischen Schalungs- und Gebrauchsspuren ablesbar. Elektroleitungen verlaufen sichtbar in verzinkten Stahlrohren. Für die Schalter wurde eine Serie aus dem Schiffs- und Kraftwerksbau verwendet. Die oberen Etagen, in denen die Probenräume untergebracht sind, sind von funktionaler Nüchternheit.

Schwieriges Erbe

Dass das fortwirkende bergbauliche Erbe der Schachtanlage noch deutlich mehr beinhaltete als die verlassenen Gebäude, wurde klar, als die Umbaupläne mit technischen und juristischen Einschränkungen konfrontiert wurden. In den unverfüllten Stollen der Zechenanlage sammelt sich in einer schwachen Konzentration Methangas und entweicht aus dem ehemaligen Förderschacht – zu wenig, um energetisch sinnvoll genutzt zu werden, doch genug, um die Nachnutzung mit einer Vielzahl berg- und baurechtlicher Einschränkungen und einer aufwendigen Sicherungsmaßnahme zu belasten. Um jedes Risiko durch das entweichende Methan auszuschließen, musste aufwendig eine Gasdränage angelegt werden. Auch die ursprüngliche Konzeption, die Treppenanlage des Förderturms für die Erschließung der Geschosse mit Probenräumen zu nutzen, erwies sich aus rechtlichen Einschränkungen als undurchführbar. Im Turm der ehemaligen Schachtanlage steht heute lediglich der Aufzug zu den oberen Etagen. Die neue Treppenanlage wurde in einer vorgestellten, mit Streckmetall verkleideten Stahlkonstruktion untergebracht. Mit Glaspanelen verkleidete Stege verbinden Treppe und Aufzug am Förderturm mit den Probegeschossen im ehemaligen Maschinenhaus.

Auf einer Normaletage befinden sich je vier Probenräume rechts und links der mittigen Erschließung. Die Räume sind schalldicht und daher fensterlos. Das Probenzentrum funktioniert wie ein Hotel; Bands mieten sich in den Räumen für längere Zeiträume ein und bringen dort auch ihr umfangreiches Equipment aus Instrumenten, Verstärkern und Effektgeräten unter, so dass nicht bei jeder Probe neu aufgebaut werden muss. Die Architekten entwickelten hier die (bisher nicht umgesetzte) Idee, zusätzliche Equipment-Safes anzubieten, damit die Probenräume von mehreren Bands genutzt werden können.

Aus einer Umnutzungsaufgabe ist mit dem Probenzentrum ein Bautyp ganz eigener Funktionalität entstanden, kein Industriemuseum. Gleichwohl blieben die charakteristischen Qualitäten der Schachtanlage durch einen aufmerksamen Umgang mit der vorhandenen Substanz gewahrt. Die Nachfrage der Musiker belegt den Erfolg des Konzeptes. Eine vergleichbare Einrichtung gibt es nirgends.

db, Mo., 2007.02.12



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