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12. September 2008Roland Raderschall
anthos

Stadtsiedlung Talwiesen

Das in sich geschlossene vormalige Gewerbeareal in der Binz, Zürich Wiedikon, hat sich in den letzten vier Jahren zu einem lebendigen, offenen Stadtquartier entwickelt.

Das in sich geschlossene vormalige Gewerbeareal in der Binz, Zürich Wiedikon, hat sich in den letzten vier Jahren zu einem lebendigen, offenen Stadtquartier entwickelt.

Das ehemalige Werkhof- und Gewerbeareal der Baufirma Hatt-Haller war jahrzehntelang eine unpassierbare Insel im Wohnquartier, die wichtige Stadtbezüge innerhalb von Wiedikon voneinander abschnitt. Heute sind zwei Bauetappen der neuen Stadtsiedlung Talwiesen Binz ausgeführt und zum Teil seit Jahren bewohnt, die dritte befindet sich im Bau, die vierte und letzte ist in Planung.

Ein neuer Stadtteil entsteht

Aus dem ehemaligen «Sperrgebiet» ist ein neuer Stadtteil gewachsen, der die Quartiere der Binz untereinander verbindet. 1999 bestimmte ein Studienverfahren die zukünftige Stadtstruktur in diesem sich stark verändernden Quartier. Vor rund zehn Jahren begann die heutige Implenia das Areal zu entwickeln.

Vier lange von Nordwest nach Südost verlaufende Gebäudezeilen bilden breite, gassenartige Räume. Die vier- bis sechsgeschossigen Gebäude mit an den Enden höheren Kopfbauten springen in der Breite leicht vor und zurück und formen damit trotz ihrer Länge abwechslungsreiche Räume. In der Mitte rahmen die Baukörper den grossen zentralen Platz, an dem Ateliers, Läden und Bistros in Zukunft öffentliches Leben entfalten sollen. Zwei Wasserinstallationen untermalen die Situation. Tiefgaragen sammeln an den Kopfenden den Fahrzeugverkehr, sodass oberirdisch nur wenige Besucherparkplätze am Rande angeordnet sind. Damit ist die Siedlung frei von Autos. Querende Verbindungen komplettieren das lineare Wegsystem. Sie bilden eine feine Vernetzung und eine Abfolge von unterschiedlichen Platz- und Grünflächen. Die Gassen werden grundsätzlich in urbane und in gartenartige Räume unterschieden, die sich abwechseln. Da alle Wohnungen nach zwei Seiten orientiert sind, hat jede Ausblick auf die beiden unterschiedlichen Freiraumstimmungen.

Pocketparks

Die jeweils aussen liegenden, an die gewachsene Stadt angrenzenden Zonen mit ihren gegebenen Formen und Flächen sind als kleine Parkanlagen ausgebildet. Der spärlich vorhandene Baumbestand wurde integriert und vermittelt so von Beginn an einen reifen Eindruck der Anlage. Sitzplätze, eine Pergola und Spielflächen für Kleinkinder bestücken die nördliche der beiden Flächen. Wilder Wein berankt den mehrere Meter hohen Geländesprung zu den bestehenden Gärten entlang der Haldenstrasse. Kleine intime Sitzplätze formulieren die konstruktiv notwendigen Nischen im Mauerwerk aus. Eine extensive Grünfläche, Kräuterwiese ohne Möblierung, bildet im Süden einen kleinen Park. Bereits vorhandene Nuss- und Obstbäume wurden ergänzt, eine blühende Wildhecke verdichtet, sie schirmt so eine bestehende Trafostation ab.

Boulevard und Stadtgarten

Die drei innen liegenden Freiräume erhielten eine gänzlich neue Gestaltung. Der obere nördliche Stadtraum ist als breiter Boulevard ausgeführt. Eine Abfolge kleiner Kiesplätze, deren Baumbestand gesamthaft eine lange Allee bildet, liegt zwischen zwei Wegverbindungen. Ein übergeordneter städtischer Fahrradweg nutzt den Boulevard zur Durchquerung der Talwiesen-Siedlung. Vierer-Baumsetzungen formulieren die Köpfe der Allee am Siedlungsrand aus. Fest installierte Spielthemen gestalten den südlichsten und kürzesten der drei Gassenfreiräume als eigentliche Spielzone mit Torwand, Wasserschlange, Spielsand. Weitere Installationen bestücken kleine baumbestandene Platzfolgen und begleiten den Strassenraum, der am Ende in einen dreieckigen Spielgarten mit seinen Heckenräumen einmündet. Der in der Mitte liegende Freiraum ist als Stadtgarten – ganz im Unterschied zu den eben beschriebenen Zonen – angelegt. Ein langes Rasenband, von Bäumen gesäumt, durchzieht den Siedlungsraum. In die Rasenstücke wurden Heckenzimmer als in sich geschlossene, intime Gartenräume eingeschrieben, in denen kleine überrankte Folies stehen, die von blühenden Hortensien oder grossen Ziergräsern eingefasst werden. Im Unterschied zu den offenen, städtischen Gassen entstehen hier ruhige Rückzugsräume, die bei Nacht entsprechend zurückhaltender beleuchtet sind als die urbanen Räume.

Wohnungsfreiräume

Fast alle 370 Wohnungen verfügen über einen privaten Freiraum. Die oberen Wohnungen haben grosszügige Dachterrassen mit gedeckten Bereichen. Während die mittleren Geschosse markante auskragende Balkone aufweisen, haben die Erdgeschosswohnungen beidseitig Terrassen oder Sitzplätze, die auf die Strassenzüge orientiert sind. Die Entlüftungen der Tiefgaragen wurden als räumliche Elemente ausgebildet, die den Terrassen Rückhalt und Schutz bieten. Davor liegende Gehölzstreifen gewähren weiteren Sichtschutz und Privatsphäre.

Vegetation und Stadtraum

Ein differenziertes Vegetationskonzept unterstützt die rigide Gliederung und Typisierung der Siedlungsräume. Jeder Gassenraum erhält einen eigenen «Leitbaum». Spitzahorne (Sorte Cleveland) bilden im Boulevard die Baumreihen, die begleitenden Sträucher vor den privaten Terrassen sind japanische Ahorne. Zuckerahorne prägen die Spielgasse, während es im Stadtgarten Kirschbäume und -sträucher sind, die mit ihren Blüten die Atmosphäre unterstützen.

anthos, Fr., 2008.09.12



verknüpfte Zeitschriften
anthos 2008/3 Wohnumgebung

11. Juni 2007Roland Raderschall
anthos

Geschwindigkeit und Langsamkeit

Der alte Bahnhofplatz war in die Jahre gekommen. Als Werk der 1960er Jahre wollte er die Fahrgäste mit Rasenflächen und Rosenrabatten erfreuen. Mit dem zwischenzeitlich völlig veränderten Umfeld und den massiv erhöhten Benutzerfrequenzen wurde eine Neugestaltung des Platzes notwendig.

Der alte Bahnhofplatz war in die Jahre gekommen. Als Werk der 1960er Jahre wollte er die Fahrgäste mit Rasenflächen und Rosenrabatten erfreuen. Mit dem zwischenzeitlich völlig veränderten Umfeld und den massiv erhöhten Benutzerfrequenzen wurde eine Neugestaltung des Platzes notwendig.

Zürich Altstetten hat in den 1980er und 90er Jahren, bis heute anhaltend, den Wandel von einer ruhigen dörflichen Vorortgemeinde zu einer dynamischen Wohn- und Bürostadt durchlaufen. Tausende neue Arbeitplätze sind in den vergangenen Jahren entstanden, unter anderem mit den Hauptsitzen internationaler Firmen wie zum Beispiel der IBM. Der verschlafene Vorortbahnhof ist zu einem der meistfrequentierten Bahnhöfe der Schweiz avanciert und war mit seiner lieblichen gärtnerischen Gestaltung eher zum Ärgernis und Störfaktor der täglichen Pendlerströme gediehen. In einem Studienverfahren suchte die Stadt Zürich demzufolge eine neue Konzeption für den Bahnhofplatz.

Ruhe und Bewegung

Der Altstetterplatz verfügt mit drei markanten Gebäuden über klare Begrenzungen, zur Hohlstrasse hingegen fehlte der räumliche Abschluss. Die notwendigen Buswartehallen entlang der Hohlstrasse wurden entsprechend neu entworfen und über das notwendige Mass hinweg so stark vergrössert und architektonisch markant ausformuliert, dass der Platz einen kräftigen, aber durchlässigen Abschluss gegen die Strasse erhielt. Das auf langen Schotten gelagerte Dach wird das Pendant zu den gegenüberliegenden Baumfeldern. Die Wartezone dient als Bushaltestelle und transitorischer Raumabschluss. In die tragenden Schotten integriert wurden die Werbe- und Informationselemente wie auch die Beleuchtung, und nicht zuletzt die Sitzbänke der Haltestelle.

Laufen und Warten sind die entgegengesetzten, aber prägenden Tätigkeiten eines Bahnhofplatzes, Stress und Langeweile die korrespondierenden Gemütszustände. Grosse Fussgängerströme queren den Platz wechselseitig und suchen sich den Weg zu Geleisen, Übergängen und Haltestellen. Diese Bewegungsräume frei zu belassen und die Orientierung zu verbessern, war ein Ziel des Entwurfs. Die neue, asphaltierte Platzfläche ist hindernisfrei gestaltet und bis auf eine, nur in den Randstunden verkehrende, Buslinie für Fahrzeuge gänzlich gesperrt. Die gesamte Parkierungsinfrastruktur, auch für Fahrräder, wurde in den seitlichen Lagen angeordnet, um den Platz auch wirklich frei zu spielen. Farbige Bodeneinbauleuchten in Reihe versetzt leiten den Fussgänger vom Bahnhof zu den Zebrastreifen, respektive umgekehrt. Die Farben Rot und Blau der Lampen verweisen dabei einerseits auf das Logo der SBB, andererseits erinnern sie an die Runways der Flughäfen, sind Metaphern des Reisens. Im Kontrast zu den leeren Bewegungsräumen wurden daneben Aufenthaltsorte geschaffen. Zahlreiche und differenzierte, an der jeweiligen Funktion orientierte Sitzgelegenheiten sowie ein Trinkbrunnen möblieren diese zwei Orte auf dem Platz. Eine mächtige alte und vier Platanen aus den 1960er Jahren wurden erhalten, in Kiesbeläge gesetzt und mit zahlreichen Sitzgelegenheiten versehen, die Warten und Aufenthalt im Schatten der grossen Bäume angenehm gestalten. Die Sitzmöbel sind die Weiterentwicklung eines bereits bestehenden Produktes, das jedoch explizit für den «rauen» Gebrauch auf dem Bahnhofplatz abgeändert wurde. Die nebeneinander liegenden Zonen für das Warten und das Laufen sind somit auch durch «langsame» und «schnelle» Beläge, Kies und Asphalt thematisiert.

Kunst und künstliche Natur

Schon auf dem alten Bahnhofplatz stand die hohe farbige Eisenplastik des Künstlers Bernhard Luginbühl auf einem stufenartigen Sockel. In Absprache mit dem Künstler wurde die Plastik an einen anderen Standort verschoben und erhielt eine neue Bodenplatte. So steht die Plastik nun auf dem Belag, inmitten der Passantenströme, wo sie quasi selber zum Akteur wird.
Der Plastik gegenüber, im Schatten der grossen Platane, wurde ein Wasserfeld angeordnet. In dem langen Wasserbecken ruht eine übermannshohe Mauer aus in Steinkörben geschichteten Kalktuffsteinen. Diese Natursteinmauer wird einseitig permanent mit Wassertröpfchen besprüht. Dadurch entsteht einerseits ein akustisches Gegengewicht zum Verkehrslärm, andererseits entwickelt sich eine eigentümliche Vegetation aus Moosen, Farnen, Flechten. Mit unendlicher Langsamkeit entsteht ein archaischer, zeitloser, lebendiger Mikrokosmos inmitten der dem Verkehr und dem urbanen Alltag gewidmeten Platzfläche. Permanentes Gurgeln und Tropfen tönt aus dem Inneren des massiven Mauerwerks. Mystische Glühwürmchen leuchten in der Dunkelheit geheimnisvoll aus den Ritzen der Mauer.

anthos, Mo., 2007.06.11



verknüpfte Bauwerke
Bahnhofplatz Zürich Altstetten



verknüpfte Zeitschriften
anthos 2007/2 Unterwegs

Bauwerke

Presseschau 12

12. September 2008Roland Raderschall
anthos

Stadtsiedlung Talwiesen

Das in sich geschlossene vormalige Gewerbeareal in der Binz, Zürich Wiedikon, hat sich in den letzten vier Jahren zu einem lebendigen, offenen Stadtquartier entwickelt.

Das in sich geschlossene vormalige Gewerbeareal in der Binz, Zürich Wiedikon, hat sich in den letzten vier Jahren zu einem lebendigen, offenen Stadtquartier entwickelt.

Das ehemalige Werkhof- und Gewerbeareal der Baufirma Hatt-Haller war jahrzehntelang eine unpassierbare Insel im Wohnquartier, die wichtige Stadtbezüge innerhalb von Wiedikon voneinander abschnitt. Heute sind zwei Bauetappen der neuen Stadtsiedlung Talwiesen Binz ausgeführt und zum Teil seit Jahren bewohnt, die dritte befindet sich im Bau, die vierte und letzte ist in Planung.

Ein neuer Stadtteil entsteht

Aus dem ehemaligen «Sperrgebiet» ist ein neuer Stadtteil gewachsen, der die Quartiere der Binz untereinander verbindet. 1999 bestimmte ein Studienverfahren die zukünftige Stadtstruktur in diesem sich stark verändernden Quartier. Vor rund zehn Jahren begann die heutige Implenia das Areal zu entwickeln.

Vier lange von Nordwest nach Südost verlaufende Gebäudezeilen bilden breite, gassenartige Räume. Die vier- bis sechsgeschossigen Gebäude mit an den Enden höheren Kopfbauten springen in der Breite leicht vor und zurück und formen damit trotz ihrer Länge abwechslungsreiche Räume. In der Mitte rahmen die Baukörper den grossen zentralen Platz, an dem Ateliers, Läden und Bistros in Zukunft öffentliches Leben entfalten sollen. Zwei Wasserinstallationen untermalen die Situation. Tiefgaragen sammeln an den Kopfenden den Fahrzeugverkehr, sodass oberirdisch nur wenige Besucherparkplätze am Rande angeordnet sind. Damit ist die Siedlung frei von Autos. Querende Verbindungen komplettieren das lineare Wegsystem. Sie bilden eine feine Vernetzung und eine Abfolge von unterschiedlichen Platz- und Grünflächen. Die Gassen werden grundsätzlich in urbane und in gartenartige Räume unterschieden, die sich abwechseln. Da alle Wohnungen nach zwei Seiten orientiert sind, hat jede Ausblick auf die beiden unterschiedlichen Freiraumstimmungen.

Pocketparks

Die jeweils aussen liegenden, an die gewachsene Stadt angrenzenden Zonen mit ihren gegebenen Formen und Flächen sind als kleine Parkanlagen ausgebildet. Der spärlich vorhandene Baumbestand wurde integriert und vermittelt so von Beginn an einen reifen Eindruck der Anlage. Sitzplätze, eine Pergola und Spielflächen für Kleinkinder bestücken die nördliche der beiden Flächen. Wilder Wein berankt den mehrere Meter hohen Geländesprung zu den bestehenden Gärten entlang der Haldenstrasse. Kleine intime Sitzplätze formulieren die konstruktiv notwendigen Nischen im Mauerwerk aus. Eine extensive Grünfläche, Kräuterwiese ohne Möblierung, bildet im Süden einen kleinen Park. Bereits vorhandene Nuss- und Obstbäume wurden ergänzt, eine blühende Wildhecke verdichtet, sie schirmt so eine bestehende Trafostation ab.

Boulevard und Stadtgarten

Die drei innen liegenden Freiräume erhielten eine gänzlich neue Gestaltung. Der obere nördliche Stadtraum ist als breiter Boulevard ausgeführt. Eine Abfolge kleiner Kiesplätze, deren Baumbestand gesamthaft eine lange Allee bildet, liegt zwischen zwei Wegverbindungen. Ein übergeordneter städtischer Fahrradweg nutzt den Boulevard zur Durchquerung der Talwiesen-Siedlung. Vierer-Baumsetzungen formulieren die Köpfe der Allee am Siedlungsrand aus. Fest installierte Spielthemen gestalten den südlichsten und kürzesten der drei Gassenfreiräume als eigentliche Spielzone mit Torwand, Wasserschlange, Spielsand. Weitere Installationen bestücken kleine baumbestandene Platzfolgen und begleiten den Strassenraum, der am Ende in einen dreieckigen Spielgarten mit seinen Heckenräumen einmündet. Der in der Mitte liegende Freiraum ist als Stadtgarten – ganz im Unterschied zu den eben beschriebenen Zonen – angelegt. Ein langes Rasenband, von Bäumen gesäumt, durchzieht den Siedlungsraum. In die Rasenstücke wurden Heckenzimmer als in sich geschlossene, intime Gartenräume eingeschrieben, in denen kleine überrankte Folies stehen, die von blühenden Hortensien oder grossen Ziergräsern eingefasst werden. Im Unterschied zu den offenen, städtischen Gassen entstehen hier ruhige Rückzugsräume, die bei Nacht entsprechend zurückhaltender beleuchtet sind als die urbanen Räume.

Wohnungsfreiräume

Fast alle 370 Wohnungen verfügen über einen privaten Freiraum. Die oberen Wohnungen haben grosszügige Dachterrassen mit gedeckten Bereichen. Während die mittleren Geschosse markante auskragende Balkone aufweisen, haben die Erdgeschosswohnungen beidseitig Terrassen oder Sitzplätze, die auf die Strassenzüge orientiert sind. Die Entlüftungen der Tiefgaragen wurden als räumliche Elemente ausgebildet, die den Terrassen Rückhalt und Schutz bieten. Davor liegende Gehölzstreifen gewähren weiteren Sichtschutz und Privatsphäre.

Vegetation und Stadtraum

Ein differenziertes Vegetationskonzept unterstützt die rigide Gliederung und Typisierung der Siedlungsräume. Jeder Gassenraum erhält einen eigenen «Leitbaum». Spitzahorne (Sorte Cleveland) bilden im Boulevard die Baumreihen, die begleitenden Sträucher vor den privaten Terrassen sind japanische Ahorne. Zuckerahorne prägen die Spielgasse, während es im Stadtgarten Kirschbäume und -sträucher sind, die mit ihren Blüten die Atmosphäre unterstützen.

anthos, Fr., 2008.09.12



verknüpfte Zeitschriften
anthos 2008/3 Wohnumgebung

11. Juni 2007Roland Raderschall
anthos

Geschwindigkeit und Langsamkeit

Der alte Bahnhofplatz war in die Jahre gekommen. Als Werk der 1960er Jahre wollte er die Fahrgäste mit Rasenflächen und Rosenrabatten erfreuen. Mit dem zwischenzeitlich völlig veränderten Umfeld und den massiv erhöhten Benutzerfrequenzen wurde eine Neugestaltung des Platzes notwendig.

Der alte Bahnhofplatz war in die Jahre gekommen. Als Werk der 1960er Jahre wollte er die Fahrgäste mit Rasenflächen und Rosenrabatten erfreuen. Mit dem zwischenzeitlich völlig veränderten Umfeld und den massiv erhöhten Benutzerfrequenzen wurde eine Neugestaltung des Platzes notwendig.

Zürich Altstetten hat in den 1980er und 90er Jahren, bis heute anhaltend, den Wandel von einer ruhigen dörflichen Vorortgemeinde zu einer dynamischen Wohn- und Bürostadt durchlaufen. Tausende neue Arbeitplätze sind in den vergangenen Jahren entstanden, unter anderem mit den Hauptsitzen internationaler Firmen wie zum Beispiel der IBM. Der verschlafene Vorortbahnhof ist zu einem der meistfrequentierten Bahnhöfe der Schweiz avanciert und war mit seiner lieblichen gärtnerischen Gestaltung eher zum Ärgernis und Störfaktor der täglichen Pendlerströme gediehen. In einem Studienverfahren suchte die Stadt Zürich demzufolge eine neue Konzeption für den Bahnhofplatz.

Ruhe und Bewegung

Der Altstetterplatz verfügt mit drei markanten Gebäuden über klare Begrenzungen, zur Hohlstrasse hingegen fehlte der räumliche Abschluss. Die notwendigen Buswartehallen entlang der Hohlstrasse wurden entsprechend neu entworfen und über das notwendige Mass hinweg so stark vergrössert und architektonisch markant ausformuliert, dass der Platz einen kräftigen, aber durchlässigen Abschluss gegen die Strasse erhielt. Das auf langen Schotten gelagerte Dach wird das Pendant zu den gegenüberliegenden Baumfeldern. Die Wartezone dient als Bushaltestelle und transitorischer Raumabschluss. In die tragenden Schotten integriert wurden die Werbe- und Informationselemente wie auch die Beleuchtung, und nicht zuletzt die Sitzbänke der Haltestelle.

Laufen und Warten sind die entgegengesetzten, aber prägenden Tätigkeiten eines Bahnhofplatzes, Stress und Langeweile die korrespondierenden Gemütszustände. Grosse Fussgängerströme queren den Platz wechselseitig und suchen sich den Weg zu Geleisen, Übergängen und Haltestellen. Diese Bewegungsräume frei zu belassen und die Orientierung zu verbessern, war ein Ziel des Entwurfs. Die neue, asphaltierte Platzfläche ist hindernisfrei gestaltet und bis auf eine, nur in den Randstunden verkehrende, Buslinie für Fahrzeuge gänzlich gesperrt. Die gesamte Parkierungsinfrastruktur, auch für Fahrräder, wurde in den seitlichen Lagen angeordnet, um den Platz auch wirklich frei zu spielen. Farbige Bodeneinbauleuchten in Reihe versetzt leiten den Fussgänger vom Bahnhof zu den Zebrastreifen, respektive umgekehrt. Die Farben Rot und Blau der Lampen verweisen dabei einerseits auf das Logo der SBB, andererseits erinnern sie an die Runways der Flughäfen, sind Metaphern des Reisens. Im Kontrast zu den leeren Bewegungsräumen wurden daneben Aufenthaltsorte geschaffen. Zahlreiche und differenzierte, an der jeweiligen Funktion orientierte Sitzgelegenheiten sowie ein Trinkbrunnen möblieren diese zwei Orte auf dem Platz. Eine mächtige alte und vier Platanen aus den 1960er Jahren wurden erhalten, in Kiesbeläge gesetzt und mit zahlreichen Sitzgelegenheiten versehen, die Warten und Aufenthalt im Schatten der grossen Bäume angenehm gestalten. Die Sitzmöbel sind die Weiterentwicklung eines bereits bestehenden Produktes, das jedoch explizit für den «rauen» Gebrauch auf dem Bahnhofplatz abgeändert wurde. Die nebeneinander liegenden Zonen für das Warten und das Laufen sind somit auch durch «langsame» und «schnelle» Beläge, Kies und Asphalt thematisiert.

Kunst und künstliche Natur

Schon auf dem alten Bahnhofplatz stand die hohe farbige Eisenplastik des Künstlers Bernhard Luginbühl auf einem stufenartigen Sockel. In Absprache mit dem Künstler wurde die Plastik an einen anderen Standort verschoben und erhielt eine neue Bodenplatte. So steht die Plastik nun auf dem Belag, inmitten der Passantenströme, wo sie quasi selber zum Akteur wird.
Der Plastik gegenüber, im Schatten der grossen Platane, wurde ein Wasserfeld angeordnet. In dem langen Wasserbecken ruht eine übermannshohe Mauer aus in Steinkörben geschichteten Kalktuffsteinen. Diese Natursteinmauer wird einseitig permanent mit Wassertröpfchen besprüht. Dadurch entsteht einerseits ein akustisches Gegengewicht zum Verkehrslärm, andererseits entwickelt sich eine eigentümliche Vegetation aus Moosen, Farnen, Flechten. Mit unendlicher Langsamkeit entsteht ein archaischer, zeitloser, lebendiger Mikrokosmos inmitten der dem Verkehr und dem urbanen Alltag gewidmeten Platzfläche. Permanentes Gurgeln und Tropfen tönt aus dem Inneren des massiven Mauerwerks. Mystische Glühwürmchen leuchten in der Dunkelheit geheimnisvoll aus den Ritzen der Mauer.

anthos, Mo., 2007.06.11



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Bahnhofplatz Zürich Altstetten



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anthos 2007/2 Unterwegs

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