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22. Mai 2010Gerhard Mumelter
Der Standard

Abschaffung des rechten Winkels

Mit seinen fließenden Formen und der radikalen Absage an die Vertikale stellt Zaha Hadids neues Kunstmuseum in Rom an Kuratoren gewaltige Herausforderungen

Mit seinen fließenden Formen und der radikalen Absage an die Vertikale stellt Zaha Hadids neues Kunstmuseum in Rom an Kuratoren gewaltige Herausforderungen

Längst haben sich Anrainer im römischen Flaminio-Viertel an die Fragen ratloser Passanten gewöhnt. „Il museo? E' qui“, deutet eine vom nahen Markt kommende Hausfrau auf die Fassaden grauer Kasernen in der Via Reni. Dort kann die Gruppe britischer Studenten nur einen ungewohnten Betonkeil orten, der aus dem Dach einer ehemaligen Kaserne ragt. Dass man ein monumentales Museum wie Roms neues Maxxi einfach übersehen kann, gehört zu den irritierenden Aspekten von Zaha Hadids vieldiskutiertem Neubau.

In der vom Tiberufer zu Renzo Pianos Auditorium führenden Straße drücken Passanten an der unauffälligen Adresse 4 A ihren Kopf an einen hohen Gitterzaun, um einen dürftigen Seitenblick auf das neue Architekturwunder der Hauptstadt zu werfen. Der horizontal konzipierte Neubau versteckt sich förmlich in der unspektakulären Umgebung eines aufgelassenen Militärareals. Erst beim Betreten des weiträumigen Freigeländes verrät die geschwungene Fassade den Impetus, mit dem sich der ungewöhnliche Bau gegen jede museale Tradition stemmt.

Auf dünnen Stahlsäulen, die aus weißem Schotter ragen, balanciert unbändige Dynamik, die den Besucher sofort in ihren Bann zwingt. „Tagliatelle“ nennen italienische Medien die drei X-förmig verschlungenen Betonstränge, mit denen die Londoner Architektin unter 273 Teilnehmern im Wettbewerb siegte, den Rom 1998 unter dem Eindruck des eben eröffneten Guggenheim-Museums in Bilbao ausgeschrieben hatte. Von der Warnung ihres Leidensgefährten Renzo Piano, ein öffentlicher Bauauftrag in Rom sei „wie die Durchquerung des Wilden Westens im Planwagen“, ließ sich die gebürtige Irakerin nicht abschrecken.

Hat die Errichtung wichtiger Prachtbauten in der ewigen Stadt nicht von jeher viel Zeit und Aufwand erfordert? So irritierte es kaum jemanden, dass die Bauzeit des ersten Nationalmuseums für zeitgenössische Kunst und Architektur jener des Kolosseums entsprach und die Kosten in zehn Jahren auf 150 Millionen Euro kletterten. Mit der Last des historischen Erbes konnte Hadid locker umgehen: „Ich bin Babylonierin und komme aus einer 5000 Jahre alten Kultur.“ Eher stieß ihr Projekt auf verständnisloses Kopfschütteln: Was soll die traditionsverliebte Hauptstadt, die zu neuer Architektur und Kunst ein gestörtes Verhältnis pflegt, mit einem derart überproportionierten Museum? Seine wahre Dimension gibt der suggestive Bau freilich erst nach und nach preis.

Tritt der Besucher ins imposante Foyer, erliegt er umgehend der Dynamik schwebender Rampen und lichter Schneisen, dem Geflecht schwarzer, mit milchigen Lichtbändern unterlegter Treppen, die sich wie ein schwereloses Skulpturengewirr in die Höhe winden. Ein Zentrum ist in dem Kaleidoskop dissonanter Bewegungen nicht auszumachen. Wer sich den Treppen und Gängen anvertraut, taucht in ein spannendes Wechselspiel von Schwere und Leichtigkeit. Ununterbrochen ergeben sich neue Durchblicke und Perspektiven. Der Besucher lässt sich im Bewegungsstrom von Zada Hadids „verflüssigten Räumen“ förmlich treiben.

Verflüssigung von Raum

Ist man jetzt hinten oder vorn? Soll man rechts oder links abbiegen? Wie in Eschers irritierenden Mäandern verflechten sich Oben und Unten, Weite und Enge, schwebende Brücken, sanft ansteigende Rampen, gewölbte Wände und enge Korridore. Eines gibt es in dieser furiosen Choreografie nicht: Stillstand. Nie wurde Heraklits Motto panta rhei konsequenter umgesetzt als hier. „Der Bau soll fließen und seine Umgebung in Schwingung versetzen“, schildert die Architektin ihre Intention, „mein Ziel war die Verflüssigung von Räumen.“ Mit der verhassten „Diktatur des rechten Winkels“ rechnet die kosmopolitische Pritzker-Preisträgerin im römischen Neubau gnadenlos ab. Symbolhaft genug: Das ebenerdige WC mit seinen Stahltoiletten ist der einzige rechtwinklige Raum im 30.000 Quadratmeter umfassenden Museum. Hadid wertet ihre Kreation denn auch „weniger als Objekt oder Bauwerk“, sondern als „urbanen Kunstcampus, in den man eintaucht“. Ein Museum sei schließlich kein Container mehr, keine Schachtel mit Kunstlicht: „Natürliches Tageslicht ist für die Kunst das Beste.“

Mächtiger Schaukasten

Durch das mit Betonlamellen unterlegte Glasdach fließt das Licht üppig in die fünf ineinander verschlungenen Galerien, mit denen Kuratoren ihre liebe Not haben dürften. Keine einzige senkrechte Wand, an der sich ein Bild aufhängen ließe. Kurven, Wölbungen und kraftvolle Linien sperren sich förmlich gegen herkömmliche Ausstellungskonzepte. Schräge Böden und geneigte Wände machen unmissverständlich klar, dass hier Architektur dominiert und Kunst sich anzupassen hat. Das von Hadid und ihrem Partner Patrik Schumacher errichtete Gebäude entpuppt sich als Bau, der Kunst bestenfalls duldet. Dagegen fügte sich die von Sascha Waltz konzipierte Tanzperformance zur Eröffnung harmonisch in die bewegte Dynamik des Museums, in dem grauer Sichtbeton dominiert.

In Rom konnte Hadid „der langen Tradition der Italiener im modernen Betonbau“ vertrauen, wie sie Pier Luigi Nervis naher Palazzetto dello Sport aus dem Olympiajahr 1960 verkörpert. Für die gewölbten Betonwände wurden 14 Meter hohe Schalungselemente angefertigt, besonderes Schalholz aus Skandinavien wurde mit Phenolharzen behandelt. „Beton hat eine raue Qualität, die ich sehr mag“, schwärmt Hadid, „er gibt der Architektur eine vitale, erdige Ausstrahlung.“ Wirkt die massive Hülle aus Sichtbeton von außen fast abweisend, überraschen die Innenräume durch ihre Dimensionen und ihre Helligkeit. Beim Gang durch die drei Ebenen des Hauses finden schwindelfreie Besucher nach der Achterbahn von Kurven, verschlungenen Gängen und Traversen erst am höchsten Punkt ihre Orientierung wieder: In 23 Metern Höhe öffnet sich eine ansteigende Galerie zu einem mächtigen Schaukasten und gibt durch eine nach innen geneigte Glasscheibe den Blick nach draußen frei. Der weiße Kies erinnert an aufgelassene Bahngeleise, die Bäume und die von Hadid entworfenen fließenden Bänke suggerieren ein Bild entrückter Ruhe - ohne Straßen, Autos und den pulsierenden Verkehr der Hauptstadt.

Obwohl Hadids Neubau scheinbar alle Dogmen der Moderne unterläuft und die Geometrie Lügen straft, erfolgt die von der Architektin proklamierte „Auflösung der Erstarrung“ mit eleganter Zurückhaltung. Im raffinierten Spiel aus Stahlbeton, Glas und Metall erscheint die Welt nicht als Zustand, sondern als Bewegung.

Hadid hat auf das schmale, L-förmige Grundstück keinen Kunstspeicher gesetzt, sondern ein neues Raumerlebnis aus sich überlagernden Ebenen, deren Galerie sie als „Suiten“ definiert. Auf deren erste Bewährungsprobe darf man gespannt sein. Ein halbes Jahr nach seiner Fertigstellung sollen am kommenden Wochenende vier Großausstellungen die Kunsttauglichkeit des neuen Museums testen: 90 Werke aus der ständigen Sammlung der Maxxi-Stiftung, zwei Retrospektiven des Künstlers Gino De Dominicis und des Architekten Luigi Moretti und die Video-Installation Mesopotamische Erzählungen des Türken Kutlug Ataman. Dann wird sich erweisen, ob Kunst in der Lage ist, sich in Zaha Hadids dominierender Architektur zu emanzipieren.

Mit der Last des historischen römischen Erbes konnte Zaha Hadid locker umgehen: ,Ich bin Babylonierin und komme aus einer fünftausend Jahre alten Kultur.'

Der Standard, Sa., 2010.05.22



verknüpfte Bauwerke
MAXXI - Museo Nazionale delle Arti del XXI Secolo

23. Dezember 2009Gerhard Mumelter
Der Standard

Ein urbaner Campus für moderne Kunst

Zaha Hadids spektakuläres Museum für Moderne Kunst des 21. Jahrhunderts - kurz MAXXI - in Rom

Zaha Hadids spektakuläres Museum für Moderne Kunst des 21. Jahrhunderts - kurz MAXXI - in Rom

Als bescheiden können ihre Ansprüche nicht gelten. Sie will „die Diktatur des rechten Winkels durch die Diagonale ablösen, Räume verflüssigen und Proportionen verschieben“. Heraklits Motto „Panta rhei“ („Alles fließt“) hat die irakisch-britische Architektin Zaha Hadid auf einem ehemaligen Kasernengelände im römischen Stadtteil Flaminio auf geniale Weise umgesetzt und der Stadt zu einem Nationalmuseum für die Kunst des 21. Jahrhunderts verholfen. Das Museo Nazionale Delle Arti del XXI Secolo nennt man in Kurzform MAXXI.

„Meine Gebäude sollen fließen und Schwingungen nach außen übertragen“, versichert die Architektin. In ihrem spektakulären Neubau fließt alles ineinander: schwebende Treppen, verflochtene Galerien, schräge Rampen, lichte Schneisen. Die bewegten Konfigurationen vermitteln eine Dynamik, die sich unmittelbar auf den Besucher überträgt. Herausforderungen liebt die Pritzker-Preisträgerin.

Vergeblich hatte ihr Kollege Renzo Piano, dessen Musiktheater nur wenige Minuten entfernt liegt, Hadid gewarnt: „In Rom zu bauen ist wie die Durchquerung des Wilden Westens im Planwagen.“ Die Bauzeit des neuen Museums entsprach in der Tat jener des Kolosseums. Aber auch dem Zeitlupentempo kann Hadid Positives abgewinnen: „So konnte ich öfter nach Rom zurückkehren, wo ich als Kind einige Jahre gelebt habe.“

Zehn Jahre nach der Ausschreibung des internationalen Wettbewerbs ist der 150-Millionen-Bau fertiggestellt. Auf fast 30.000 Quadratmetern beherbergt das neuartige Museum fünf Galerien ohne rechtwinklige Schauräume und lotrechte Museumswände, deren Bewegungslinien für Kuratoren eine echte Herausforderung darstellen.

Die technisch aufwändige Konstruktion aus Stahlbeton, Glas und Metall versagt sich herkömmlicher Raumwahrnehmungen. Einen der flachen Kasernenbauten des Areals hat Zaha Hadid in ihr Projekt integriert. Als „urbanen Campus“ versteht die 59-jährige Architektin das MAXXI. Doch womit soll die enorme Ausstellungsfläche gefüllt werden? Rom verfügt über keine nennenswerte Sammlung zeitgenössischer Kunst. Die mit der Führung des Museums beauftragte Stiftung hat in den letzten Jahren gerade mal 300 Werke italienischer und internationaler Künstler erworben, die im Frühjahr 2010 in der ersten Ausstellung, Spazio (Raum), gezeigt werden sollen.

Zur Eröffnung Mitte November begnügte man sich mit einer von der deutschen Star-Choreografin Sasha Waltz konzipierten Performance von 30 Tänzern. Drei Tage lang strömten tausende neugieriger Besucher ins neue Museum, stiegen über die elegante schwarze Marmortreppe nach oben, wo das zweite Stockwerk wie ein verglaster Kontrollraum vorragt.

Eine Ausstellung vermisste eigentlich niemand - Hadids bewegtes Szenarium genügte für nachhaltige Eindrücke. Dann wurde der Neubau wieder für ein halbes Jahr geschlossen. Im Mai 2010 ist eine Retrospektive des vor elf Jahren gestorbenen Künstlers Gino De Dominicis geplant. Den Einwand, das MAXXI sei für eine Stadt ohne relevante Kunstszene wie Rom eine Nummer zu groß, weist Stiftungspräsident Pio Baldi zurück: „Das ist nicht nur ein Ausstellungsgebäude, sondern ein Ort kultureller Erneuerung, an dem Tendenzen und Ausdrucksformen aufeinandertreffen, ein Labor für künstlerische Experimente, eine Produktionsstätte für ästhetische Inhalte“.

Dass die als Kunst am Bau preisgekrönte Laser-Installation des Künstlers Maurizio Mochetti nicht realisiert wird, spricht nicht für Baldis These. Auch dass mit Anna Mattirolo (Kunst) und Margherita Guccione (Architektur) zwei leitende Beamtinnen des Kulturministeriums zu den Direktorinnen des neuen Museums gekürt wurden, ruft Skeptiker auf den Plan. Da scheint die Aussicht tröstlich, dass Zaha Hadids MAXXI auch ohne Ausstellungen zahlreiche Besucher anziehen wird.

Der Standard, Mi., 2009.12.23



verknüpfte Bauwerke
MAXXI - Museo Nazionale delle Arti del XXI Secolo

19. Juni 2008Gerhard Mumelter
Der Standard

„Bauten, die mich erschaudern lassen“

Roms Bürgermeister will „negative Eingriffe“ im Stadtbild korrigieren und „frevlerische Bauten“ abtragen. Überhaupt setzt Italiens Rechte auf traditionsorientierte Ästhetik, während die Front der linken Kultur bröckelt.

Roms Bürgermeister will „negative Eingriffe“ im Stadtbild korrigieren und „frevlerische Bauten“ abtragen. Überhaupt setzt Italiens Rechte auf traditionsorientierte Ästhetik, während die Front der linken Kultur bröckelt.

Das pompöse Mausoleum, das er sich im Park seiner Villa vom Bildhauer Piero Cascella errichten ließ, hält Silvio Berlusconi für das Maß aller Dinge. Zumindest ästhetisch.

Verständlich, dass es zwischen dem italienischen Premier und Daniel Libeskind keine Berührungspunkte gibt. „Absolut horrend“ findet der Regierungschef das Hochhaus des US-Architekten, dessen Bau in Kürze in Mailand begonnen werden soll. Ein „Symbol der Impotenz“ stellt das „schräge Machwerk“ in den Augen des Cavaliere dar. Kaum milder beurteilt er zwei weitere Hochhäuser, die zur Expo 2015 von Zaha Hadid und Arata Isozaki entworfen wurden: „Projekte, die nicht nur mich erschaudern lassen, sondern die meisten Mailänder. Diese Fremdkörper haben mit der architektonischen Tradition unserer Stadt nichts gemein.“ Berlusconis Forderung, die „Horrorprojekte“ sofort zu stoppen, löste in der Stadtverwaltung Alarmstimmung aus. Bürgermeisterin Letizia Moratti musste den Premier darüber aufklären, dass die drei Hochhäuser bereits genehmigt und finanziert seien. Jede Änderung führe zu „verhängnisvollen Verzögerungen im Expo-Zeitplan“.

Roms neuer Bürgermeister Gianni Alemanno geht schon einen Schritt weiter. Zu seinen Prioritäten gehört der Abriss des neuen Ara-Pacis-Museums von Richard Meier. Der „frevlerische Bau“ werde abgetragen und „irgendwo am Stadtrand“ wieder aufgestellt, versicherte der ehemalige faschistische Hardliner. Meiers umstrittenes Museum war 1995 von Bürgermeister Francesco Rutelli in Auftrag gegeben und nach einer wechselvollen Baugeschichte erst 2006 fertiggestellt worden. Mit 14 Millionen Euro betrugen die Baukosten das Doppelte der veranschlagten Summe.

Nicht nur Richard Meiers neben dem Mausoleum des Augustus platzierter Bau ist Denkmalstürmer Alemanno ein Dorn im Auge. Alle „negativen Eingriffe“ ins Stadtbild müssten korrigiert werden. Dabei müsse „italienischen Architekten“ Vorrang eingeräumt werden. Nicht ohne Einschränkung: der Römer Massimiliano Fuksas etwa genießt als Kommunist nicht Alemannos Vertrauen.

Spuren Veltronis tilgen

Dessen Projekt für die Küstenbebauung in Ostia lehnte er ab, weil es „ohne Wettbewerb“ entstanden sei. In der Tat: Fuksas hatte sein Projekt der Stadtverwaltung kostenlos überlassen. Mit pathetischer Eile versucht Alemanno, die kulturpolitischen Spuren seines Vorgängers Walter Veltroni zu tilgen. Dessen Vertrauensmann Goffredo Bettini musste als Präsident der Festa del Cinema zurücktreten und wurde durch den 88-jährigen Filmkritiker Gianluigi Rondi ersetzt, der „mehr italienisches Kino“ in Aussicht stellte. La Repubblica bedachte die peinliche Rochade mit beißendem Spott: „Jugend voran!“ Die Direktoren der städtischen Galerien mussten zurücktreten, der römische Kultursommer wurde „aus Kostengründen“ beschnitten.

Alemannos Bannstrahl traf auch den symbolhaftesten Ort linker Kulturpolitik: das Auditorium von Renzo Piano, mit über einer Million Besuchern Europas erfolgreichstes Musiktheater. Stattdessen kündigte der neue Bürgermeister eine verstärkte Förderung des antiquierten Teatro dell' Opera an, dessen Qualität trotz hoher Subventionen auch von kleinen Opernhäusern wie Parma und Cagliari übertroffen wird. Als neuer Stadtradt für Kultur agiert in der Hauptstadt nun Umberto Croppi, ehemaliges Vorstandsmitglied der rechtsextremen Fronte della Gioventù, in der auch Alemanno als faschistischer Schläger aktiv war.

Sandro Bondi kommt aus der entgegengesetzten politischen Ecke. Italiens neuer Kulturminister kann auf eine Laufbahn als Aktivist der KPI zurückblicken. Er wirkte als Bürgermeister der toskanischen Gemeinde Fivizzano, bevor er sich unversehens zum Bewunderer Silvio Berlusconis mauserte. Weil „Kultur nicht links ist“, umwirbt der priesterlich wirkende 49-Jährige, der die „Wiederentdeckung der Schönheit“ propagiert, linke Ikonen wie den Liedermacher Jovanotti. Der findet es „durchaus sympathisch“, dass der Minister ihm ein Gedicht gewidmet habe. Musik sei schließlich „weder links noch rechts“. Geschickt nützt Bondi das Bröckeln der linken Front der Kulturschaffenden. Den Sänger Francesco De Gregori, Leitfigur der 68er-Generation, preist er als „unverzichtbaren Begleiter“ seiner Jugendjahre. Von der Linken enttäuscht, erwartet sich De Gregori von Berlusconi eine „Modernisierung des Landes“.

Schmusen mit dem Kaiman

Neapels populärster Liedermacher, Pino Daniele, der von Lega-Chef Umberto Bossi wegen Beleidigung angezeigt worden war, bescheinigt der Lega Nord jetzt „größere Reife und Ausgewogenheit“. Zu den Unbeugsamen zählt Regisseur Nanni Moretti. Er sieht im Cavaliere „nach wie vor den Kaiman“. Vom „Klima der Verbrüderung“ will er sich nicht blenden lassen: „Berlusconi war 15 Jahre lang eine Katastrophe. An eine Änderung glaube ich nicht.“ Auch Roms populärster Theaterschauspieler Gigi Proietti beurteilt den „Schmusekurs“ mit Skepsis. Dagegen wollen linke Sänger wie Antonello Venditti und Giuliana De Sio Roms neuem Bürgermeister ebenso einen Vertrauensvorschuss gewähren wie die Schauspieler Michele Placido und Sabrina Ferilli. „Ich bleibe links, aber Alemanno gebe ich durchaus eine Chance“, versichert Ferilli.

Der linke Schauspieler Massimo Ghini ist es leid, „mit dem Etikett eines Parteigängers herumzulaufen“. Das Spiel mit den „politischen Tifosi“ müsse aufhören. Von einer „neuen Rechtskultur“ träumt Ghinis Kollege Luca Babareschi. Der rechte Schauspieler, der sich als Abgeordneter von Berlusconis Koalition vergeblich um das Staatssekretariat im Kulturministerium bemüht hatte, sitzt nun im Vorstand der römischen Festa del Cinema.

Dort ereifert er sich über die italienischen Beiträge zum Festival von Cannes. Die preisgekrönten Filme über die Camorra und Giulio Andreotti seien „eine skandalöse Nestbeschmutzung Italiens, die sich nicht wiederholen“ dürfe.

Der Standard, Do., 2008.06.19

20. Dezember 2003Gerhard Mumelter
Der Standard

Die fundamentale Wirkung des Lichts

Richard Meiers neue Kirche Dives in misericordia in Rom

Richard Meiers neue Kirche Dives in misericordia in Rom

Ignazio Breccia hält inne, stellt seine Tasche auf den Boden aus Travertin und setzt die blaue Schirmmütze auf: „Ich benötige jetzt nämlich beide Hände“, warnt der Bauingenieur. Dann rudern seine Arme in der Luft, beschreiben Kreise und Ellipsen, fahren den Rundungen der schneeweißen Segel in seinem Rücken nach. Jeder Versuch, Breccias Redefluss zu stoppen, wäre zum Scheitern verurteilt.

Warum auch? Schließlich weiß niemand mehr über Richard Meiers neue Kirche zu erzählen. Und vermutlich kennt nur einer den Neubau zwischen den Wohnsilos der römischen Peripherie besser als Ignazio Breccia: Richard Meier selbst, der Projektant, der die Kirche als sein „gelungenstes Werk“ lobt.

Irgendwie könnte das auch Ignazio Breccia sagen. Denn dass es die Kirche gibt, ist allein sein Verdienst. Ihm gelang es, das römische Vikariat zu überreden, sechs weltweit bekannte Architekten zu einem Wettbewerb einzuladen. Und weil „die im Vikariat von Architektur keinen blassen Dunst“ haben, wählte Breccia die Namen gleich selbst aus: Frank Gehry, Peter Eisenman, Santiago Calatrava, Tadao Ando, Günter Behnisch und Richard Meier. Dass er mit dieser Auswahl Erfolg hatte, wertet er als „Zufallstreffer“. Ein missglückter Wettbewerb mit über 500 Teilnehmern hatte das Terrain für Breccias ehrgeizige Initiative geebnet. Doch seine Hoffnungen wurden enttäuscht: „Es bleibt leider eine Eintagsfliege“, ärgerte er sich.

Der Bauingenieur ist ein Humanist alter Schule. Einer, der es „unverzeihlich“ findet, dass die katholische Kirche kein Verhältnis zur zeitgenössischen Architektur hat: „Eine triste Angelegenheit“, schimpft er und schwärmt von den Zeiten, als die Päpste noch große Mäzene waren. „Bei Julius II. ging Raffael ein und aus. Heute gibt es zwischen Papst und Kunst keinen Bezug mehr.“
Dass der 76-jährige Ingenieur mit der Begeisterungsfähigkeit eines Jugendlichen die Bauleitung für das Siegerprojekt von Richard Meier übernommen hat, findet er „durchaus normal. Ich liebe die Herausforderung. Wer, bitte, könnte sich dem Reiz entziehen, an einem Jahrhundertbau mitzuwirken?“ Für den Bau von vier Kirchen war der Sachverständige des Vikariats bereits zuständig. Meiers Projekt allerdings hatte andere Dimensionen. Ohne finanzkräftige Mäzene wäre es nicht realisierbar gewesen. Große Unternehmen ließen sich als Sponsoren gewinnen: der Zementkoloss Italcementi etwa, der britische Glashersteller Pilkington oder der Farbenhersteller Sikkens.

12.000 Stunden verbrachten allein Italcementi-Ingenieure an ihren Computern, um die größte Herausforderung des Neubaus zu meistern: die Errichtung der drei bis zu 27 Meter hohen Segel aus weißem Beton. Schließlich montierten sie an der Baustelle ein 38 Meter hohes, fahrbares Stahlmonstrum, das die 256 vorgefertigten Bauteile zu je zwölf Tonnen hydraulisch in die Höhe hievte und so drehte, dass sie millimetergenau eingesetzt werden konnten.

Dass der 40-jährige Pfarrer Don Gianfranco mit dem Umzug aus dem anonymen Fertigbau in die neue Kirche einige Mühe hat, zeigt die blaue Plastikmadonna mit den elektrischen Kerzen neben dem Altar. Und die mit Klebestreifen an die Travertinwand gehefteten Christusbilder. „Ich fotografiere das alles und schicke es an Meier. Dann gibt es immer wieder ein reinigendes Gewitter“, freut sich Breccia.

Don Gianfranco hat noch andere Sorgen. Die Fotografen gehören dazu und die rund 100 Neugierigen, die den Neubau täglich besuchen. „Sie stören die Andacht der Betenden.“ Ratlosigkeit herrscht auch über die Verwendung des überdimensionalen Pfarrzentrums. „Wir müssen versuchen, am Boden der Realität zu bleiben“, versichert der Pfarrer, der sich nur auf die Mitarbeit Freiwilliger stützen kann.

Tor Tre Teste ist ein Stadtteil an der östlichen Peripherie Roms. Rundum hässliche Mietskasernen, aber legal gebaut. Mit großen, gepflegten Grünflächen. „Ein friedliches Stadtviertel“, versichert Don Gianfranco. Das lichtdurchflutete Innere der Kirche ist ein Raum voller Harmonie. Das Licht will der amerikanische Architekt als „Metapher für das Gute“ verstanden wissen. Die Schmucklosigkeit des Raums mit den Bänken aus Kirschholz sieht er als „Quelle der Inspiration“. Sein Vorbild findet er im Rom früherer Jahrhunderte: „Kein Architekt hat den Umgang mit Licht so revolutionär gepflegt wie Francesco Borromini“, schwärmt der Amerikaner.

„Der Bau ist ein Triumph der Ingenieurkunst“, findet der Projektant. „Was Italcementi hier geleistet hat, ist enorm.“ Für die Kirche entwickelte das italienische Unternehmen einen eigenen weißen Zement mit Titan-Bioxyd, der Schadstoffe bei Sonneneinstrahlung zu Kohlenwasserstoff oxydiert. 600 Tonnen davon flossen in den Kirchenbau. 2600 Tonnen weißer Marmor aus Carrara wurden zu Granulat gemahlen, 550 Tonnen Spezialmörtel verwendet. Acht Kilometer Stahlspannseile und 7,5 Kilometer Stahlgestänge verleihen den luftigen Segeln und Glasdächern Stabilität. 23.000 Stunden verbrachte Meiers Team am Zeichentisch - von ersten Skizzen bis zur Realisierung des Projekts.

Ignazio Breccia, der in den vergangenen Jahren über 4000 Architekten aus aller Welt durch die Baustelle führte, steht noch immer draußen auf der gleißenden Travertinfläche hinter der Kirche. Seine linke Hand greift nach der Tasche, seine Rechte deutet auf die Bögen der altrömischen Wasserleitung in der ausgedehnten Grünfläche. „Architektur“, sagt er mit resigniertem Ton, „war schon immer ein Ausdruck geistiger Größe“.

Der Standard, Sa., 2003.12.20



verknüpfte Bauwerke
Chiesa del Giubileo

16. Dezember 2002Gerhard Mumelter
Der Standard

„Ein Pantheon ohne Fassade“

Das Trentino eröffnete am vergangenen Wochenende sein neues von Mario Botta gestaltetes Kunstmuseum - das „Museo di arte moderna e contemporanea di Trento e Rovereto“ („MART“) ist in Italien die wichtigste einschlägige Neugründung der letzten Jahrzehnte.

Das Trentino eröffnete am vergangenen Wochenende sein neues von Mario Botta gestaltetes Kunstmuseum - das „Museo di arte moderna e contemporanea di Trento e Rovereto“ („MART“) ist in Italien die wichtigste einschlägige Neugründung der letzten Jahrzehnte.

Rovereto - Für Gabriella Belli ist es schlicht „das Ende eines schwierigen, geradlinigen Wegs“. Natürlich weiß sie, dass Museumsdirektoren in aller Welt sie um ihren Neubau beneiden. Doch eine Frau großer Worte war Belli nie. 20 Jahre lang bereitete sie beharrlich ihr Lebenswerk vor, das an diesem Wochenende eröffnet wurde: das 50 Millionen Euro teure Museum für moderne Kunst in Rovereto.

In jahrelanger Kleinarbeit überzeugte Belli Landes- und Kommunalpolitiker, richtete im historischen „Palazzo delle Albere“ in Trient eine erste Sammlung moderner Kunst ein, bemühte sich um Ankäufe und Leihgaben und rückte mit über 100 Ausstellungen die kulturbeflissene Kleinstadt Rovereto südlich von Trient in den Blickpunkt internationaler Aufmerksamkeit.

Wenn Gabriella Belli von der „kulturellen Berufung“ der Stadt spricht, meint sie damit nicht Mozarts erstes italienisches Konzert im Winter 1769 oder Goethes Aufenthalt im Jahre 1784. Sie denkt etwa daran, dass die Stadt 1784 für ihre 6000 Einwohner ein Theater errichtete, das so groß war wie jenes von Petersburg. Sie denkt an die 1750 gegründete „Accademia degli Agiati“. Vor allem aber denkt sie an den aus Rovereto stammenden Pionier des Futurismus, Fortunato Depero, der die Bürger der Stadt mit Kunstaktionen provozierte.

Allein von Depero hat Belli 3000 Arbeiten gesammelt - von der Skulptur bis zum Theaterplakat. Mit 80.000 Dokumenten hat sie das weltweit größte Archiv des Futurismus zusammengetragen. Was ihr bisher fehlte, war nur ein geeignetes Gebäude für die Sammlungen.

Fünf Jahre dauerten die Bauarbeiten auf dem 29.000 Quadratmeter großen Areal. Erste Skizzen von Mario Botta reichen ins Jahr 1988 zurück. Die Aufgabe des Tessiner Architekten war wegen des historischen Kontexts verzwickt. Denn der Bauplatz liegt hinter zwei Palazzi aus dem 18. Jahrhundert - an der historischen Via Bettini mit ihren vornehmen Bürgerhäusern. So ent-stand ein Bau, den Botta als „Pantheon ohne Fassade“ bezeichnet - wegen der mächtigen Glaskuppel, deren Durch-messer mit 40 Meter dem des Pantheons entspricht.


„Ausdruckswelten“

Von dieser lichtdurchfluteten, zentralen „Agora“ aus erreicht der Besucher Ausstellungsräume, Bibliothek, Auditorium und Restaurant. Die Hälfte der 12.000 Quadratmeter des Neubaus sind Ausstellungsflächen, die andere Hälfte ist der Forschung und Zweckräumen wie Museumsshop und Cafeteria vorbehalten. Die Agora, die 1200 Personen Platz bietet, erschließt sich über zwei Wendeltreppen: „Das erinnert ein wenig an das Guggenheim-Museum“, meint Botta. Der erste Stock ist für wechselnde Ausstellungen konzipiert, im zweiten zeigt das Museum einen Teil seiner ständigen Sammlung. Die umfasst über 7000 Arbeiten - von Mario Merz bis Joseph Beuys, von Tony Cragg bis Anselm Kiefer.

„Räume der Kunst“ nennt sich die Eröffnungsausstellung, mit der sich das Museo di arte moderna e contemporanea di Trento e Rovereto (MART) seinen Besuchern präsentiert. „Es ist ein Rundgang durch die Ausdruckswelten des 20. Jahrhunderts“, so Belli. Vom Trentiner Giovanni Segantini bis zur Visual Art. 100 Leihgaben aus aller Welt ergänzen die eigenen Exponate. Belli will damit „Beziehungen, Bruchlinien, Wechselwirkungen und Affinitäten“ aufzeigen - vom Kubismus über den Futurismus bis zur Konkreten Kunst, von der Po-Art über den Wiener Aktionismus bis zur Performance-Art von Marina Abramovic.

Zum MART gehören auch das Museum moderner Kunst in Trient, das dem 19. Jahrhundert vorbehalten ist, und das Wohnhaus des Futuristen Depero in Rovereto, das zurzeit restauriert wird. Für die autonome Provinz Trient ist Italiens wichtigster Museumsneubau seit einem halben Jahrhundert ein Prestigeobjekt. Großzügig wird er von der Landesregierung unterstützt. Die Museumsdirektorin ist also nicht von finanziellen Sorgen geplagt. Während sie hinaufblickt in die 25 Meter hohe Glaskuppel, lässt sich Gabriella Belli kurz von der Emotion überwältigen: „Das ist die Verwirklichung eines großen Traumes.“

Der Standard, Mo., 2002.12.16



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MART - Museo di arte moderna e contemporanea di Trento e Rovereto

23. April 2002Gerhard Mumelter
Der Standard

Töne aus dem Bauch des Wals

Musiker reagieren begeistert auf Renzo Pianos Konzerthaus in Rom

Musiker reagieren begeistert auf Renzo Pianos Konzerthaus in Rom

Kinder tollen über die Stufen aus weißem Travertin, Liebespaare dösen auf den Rasenflächen in der Sonne, Familien wandern neugierig durch die Parkanlagen. Noch drehen sich über dem gigantischen neuen Konzerthaus die Baukräne, da haben die Römer das Areal bereits im Sturm erobert. Tausende drängten sich am Wochenende auf dem 55.000 Quadratmeter großen, mit Ölbäumen und Korkeichen bepflanzten Gelände. Für den italienischen Stararchitekten Renzo Piano Anlass zu Begeisterung. „Mein urbanistisches Konzept war es, einen neuen Mittelpunkt für das Stadtviertel Flaminio zu schaffen. Die große Arena mit 3000 Sitzplätzen ist als Piazza konzipiert. Dass die Bewohner sie so schnell annehmen, ist für einen Architekten traumhaft.“


Berio und Boulez

Drinnen, in den Konzertsälen, mutet die plötzliche Stille beängstigend an. Nicht ein Laut dringt nach innen. „Auch kein Hubschrauberlärm“, versichert Renzo Piano stolz. An der Akustik hat der Architekt mit akribischer Hingabe gearbeitet. Mit dem Problembereich ist er seit der Planung des Institut de Recherche et Coordination Acoustique/Musique in Paris 1973 vertraut.

Der Neubau in Rom entstand in enger Zusammenarbeit mit Luciano Berio und Pierre Boulez. Berio, Präsident des Orchestra di Santa Cecilia, das ins neue Konzerthaus einzieht, gibt sich begeistert: „Die Akustik ist phänomenal.“ „Fantastisch“, schwärmt Patti Smith, die um Mitternacht das letzte der 13 Eröffnungskonzerte bestritt. „Noch nie habe ich meine Stimme so durch einen Saal gleiten hören. Es war wie im Bauch eines Wals.“


Perfekte Akustik

„Verblüffend perfekt“, staunt der Musiker und Oscar-Preisträger Nicola Piovani (Das Leben ist schön), und Gianna Nannini freut sich schon auf ihr Konzert am 27. Mai: „Das ist auch für Rockmusik ein Schauplatz der ganz besonderen Art.“

Renzo Pianos am Sonntag mit einem 14-stündigen Konzertmarathon eröffnete fabbrica della musica ist ein Bau der Superlative: 500.000 verbaute Kubikmeter, 6020 Tonnen Stahl, 1600 Kubikmeter Holz, 2,5 Millionen Ziegel, 40.000 Quadratmeter Parkanlagen. Er enthält drei Konzertsäle für 2850, 1250 und 700 Zuhörer, fünf Tonstudios, Kaffeehäuser, Restaurants, Musikgeschäfte und Ausstellungsfächen. Aus dem Foyer fällt der Blick auf die alte römische Villa aus dem 6. Jahrhundert v. Chr., die bei den Bauarbeiten entdeckt und von Piano in die Gesamtanlage integriert wurde. Vielleicht ist es dieser suggestive Ausblick voller Gegensätze, der Maurizio Pucci die Latte so hoch legen lässt.

Der Direktor der mit der Führung des Konzerthauses beauftragten Gesellschaft Musica per Roma: „Wir wünschen uns, dass die Besucher nicht nur für Kolosseum und Petersdom nach Rom reisen, sondern auch für das neue Konzerthaus.“

Der Standard, Di., 2002.04.23



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Auditorium Parco della Musica

Presseschau 12

22. Mai 2010Gerhard Mumelter
Der Standard

Abschaffung des rechten Winkels

Mit seinen fließenden Formen und der radikalen Absage an die Vertikale stellt Zaha Hadids neues Kunstmuseum in Rom an Kuratoren gewaltige Herausforderungen

Mit seinen fließenden Formen und der radikalen Absage an die Vertikale stellt Zaha Hadids neues Kunstmuseum in Rom an Kuratoren gewaltige Herausforderungen

Längst haben sich Anrainer im römischen Flaminio-Viertel an die Fragen ratloser Passanten gewöhnt. „Il museo? E' qui“, deutet eine vom nahen Markt kommende Hausfrau auf die Fassaden grauer Kasernen in der Via Reni. Dort kann die Gruppe britischer Studenten nur einen ungewohnten Betonkeil orten, der aus dem Dach einer ehemaligen Kaserne ragt. Dass man ein monumentales Museum wie Roms neues Maxxi einfach übersehen kann, gehört zu den irritierenden Aspekten von Zaha Hadids vieldiskutiertem Neubau.

In der vom Tiberufer zu Renzo Pianos Auditorium führenden Straße drücken Passanten an der unauffälligen Adresse 4 A ihren Kopf an einen hohen Gitterzaun, um einen dürftigen Seitenblick auf das neue Architekturwunder der Hauptstadt zu werfen. Der horizontal konzipierte Neubau versteckt sich förmlich in der unspektakulären Umgebung eines aufgelassenen Militärareals. Erst beim Betreten des weiträumigen Freigeländes verrät die geschwungene Fassade den Impetus, mit dem sich der ungewöhnliche Bau gegen jede museale Tradition stemmt.

Auf dünnen Stahlsäulen, die aus weißem Schotter ragen, balanciert unbändige Dynamik, die den Besucher sofort in ihren Bann zwingt. „Tagliatelle“ nennen italienische Medien die drei X-förmig verschlungenen Betonstränge, mit denen die Londoner Architektin unter 273 Teilnehmern im Wettbewerb siegte, den Rom 1998 unter dem Eindruck des eben eröffneten Guggenheim-Museums in Bilbao ausgeschrieben hatte. Von der Warnung ihres Leidensgefährten Renzo Piano, ein öffentlicher Bauauftrag in Rom sei „wie die Durchquerung des Wilden Westens im Planwagen“, ließ sich die gebürtige Irakerin nicht abschrecken.

Hat die Errichtung wichtiger Prachtbauten in der ewigen Stadt nicht von jeher viel Zeit und Aufwand erfordert? So irritierte es kaum jemanden, dass die Bauzeit des ersten Nationalmuseums für zeitgenössische Kunst und Architektur jener des Kolosseums entsprach und die Kosten in zehn Jahren auf 150 Millionen Euro kletterten. Mit der Last des historischen Erbes konnte Hadid locker umgehen: „Ich bin Babylonierin und komme aus einer 5000 Jahre alten Kultur.“ Eher stieß ihr Projekt auf verständnisloses Kopfschütteln: Was soll die traditionsverliebte Hauptstadt, die zu neuer Architektur und Kunst ein gestörtes Verhältnis pflegt, mit einem derart überproportionierten Museum? Seine wahre Dimension gibt der suggestive Bau freilich erst nach und nach preis.

Tritt der Besucher ins imposante Foyer, erliegt er umgehend der Dynamik schwebender Rampen und lichter Schneisen, dem Geflecht schwarzer, mit milchigen Lichtbändern unterlegter Treppen, die sich wie ein schwereloses Skulpturengewirr in die Höhe winden. Ein Zentrum ist in dem Kaleidoskop dissonanter Bewegungen nicht auszumachen. Wer sich den Treppen und Gängen anvertraut, taucht in ein spannendes Wechselspiel von Schwere und Leichtigkeit. Ununterbrochen ergeben sich neue Durchblicke und Perspektiven. Der Besucher lässt sich im Bewegungsstrom von Zada Hadids „verflüssigten Räumen“ förmlich treiben.

Verflüssigung von Raum

Ist man jetzt hinten oder vorn? Soll man rechts oder links abbiegen? Wie in Eschers irritierenden Mäandern verflechten sich Oben und Unten, Weite und Enge, schwebende Brücken, sanft ansteigende Rampen, gewölbte Wände und enge Korridore. Eines gibt es in dieser furiosen Choreografie nicht: Stillstand. Nie wurde Heraklits Motto panta rhei konsequenter umgesetzt als hier. „Der Bau soll fließen und seine Umgebung in Schwingung versetzen“, schildert die Architektin ihre Intention, „mein Ziel war die Verflüssigung von Räumen.“ Mit der verhassten „Diktatur des rechten Winkels“ rechnet die kosmopolitische Pritzker-Preisträgerin im römischen Neubau gnadenlos ab. Symbolhaft genug: Das ebenerdige WC mit seinen Stahltoiletten ist der einzige rechtwinklige Raum im 30.000 Quadratmeter umfassenden Museum. Hadid wertet ihre Kreation denn auch „weniger als Objekt oder Bauwerk“, sondern als „urbanen Kunstcampus, in den man eintaucht“. Ein Museum sei schließlich kein Container mehr, keine Schachtel mit Kunstlicht: „Natürliches Tageslicht ist für die Kunst das Beste.“

Mächtiger Schaukasten

Durch das mit Betonlamellen unterlegte Glasdach fließt das Licht üppig in die fünf ineinander verschlungenen Galerien, mit denen Kuratoren ihre liebe Not haben dürften. Keine einzige senkrechte Wand, an der sich ein Bild aufhängen ließe. Kurven, Wölbungen und kraftvolle Linien sperren sich förmlich gegen herkömmliche Ausstellungskonzepte. Schräge Böden und geneigte Wände machen unmissverständlich klar, dass hier Architektur dominiert und Kunst sich anzupassen hat. Das von Hadid und ihrem Partner Patrik Schumacher errichtete Gebäude entpuppt sich als Bau, der Kunst bestenfalls duldet. Dagegen fügte sich die von Sascha Waltz konzipierte Tanzperformance zur Eröffnung harmonisch in die bewegte Dynamik des Museums, in dem grauer Sichtbeton dominiert.

In Rom konnte Hadid „der langen Tradition der Italiener im modernen Betonbau“ vertrauen, wie sie Pier Luigi Nervis naher Palazzetto dello Sport aus dem Olympiajahr 1960 verkörpert. Für die gewölbten Betonwände wurden 14 Meter hohe Schalungselemente angefertigt, besonderes Schalholz aus Skandinavien wurde mit Phenolharzen behandelt. „Beton hat eine raue Qualität, die ich sehr mag“, schwärmt Hadid, „er gibt der Architektur eine vitale, erdige Ausstrahlung.“ Wirkt die massive Hülle aus Sichtbeton von außen fast abweisend, überraschen die Innenräume durch ihre Dimensionen und ihre Helligkeit. Beim Gang durch die drei Ebenen des Hauses finden schwindelfreie Besucher nach der Achterbahn von Kurven, verschlungenen Gängen und Traversen erst am höchsten Punkt ihre Orientierung wieder: In 23 Metern Höhe öffnet sich eine ansteigende Galerie zu einem mächtigen Schaukasten und gibt durch eine nach innen geneigte Glasscheibe den Blick nach draußen frei. Der weiße Kies erinnert an aufgelassene Bahngeleise, die Bäume und die von Hadid entworfenen fließenden Bänke suggerieren ein Bild entrückter Ruhe - ohne Straßen, Autos und den pulsierenden Verkehr der Hauptstadt.

Obwohl Hadids Neubau scheinbar alle Dogmen der Moderne unterläuft und die Geometrie Lügen straft, erfolgt die von der Architektin proklamierte „Auflösung der Erstarrung“ mit eleganter Zurückhaltung. Im raffinierten Spiel aus Stahlbeton, Glas und Metall erscheint die Welt nicht als Zustand, sondern als Bewegung.

Hadid hat auf das schmale, L-förmige Grundstück keinen Kunstspeicher gesetzt, sondern ein neues Raumerlebnis aus sich überlagernden Ebenen, deren Galerie sie als „Suiten“ definiert. Auf deren erste Bewährungsprobe darf man gespannt sein. Ein halbes Jahr nach seiner Fertigstellung sollen am kommenden Wochenende vier Großausstellungen die Kunsttauglichkeit des neuen Museums testen: 90 Werke aus der ständigen Sammlung der Maxxi-Stiftung, zwei Retrospektiven des Künstlers Gino De Dominicis und des Architekten Luigi Moretti und die Video-Installation Mesopotamische Erzählungen des Türken Kutlug Ataman. Dann wird sich erweisen, ob Kunst in der Lage ist, sich in Zaha Hadids dominierender Architektur zu emanzipieren.

Mit der Last des historischen römischen Erbes konnte Zaha Hadid locker umgehen: ,Ich bin Babylonierin und komme aus einer fünftausend Jahre alten Kultur.'

Der Standard, Sa., 2010.05.22



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MAXXI - Museo Nazionale delle Arti del XXI Secolo

23. Dezember 2009Gerhard Mumelter
Der Standard

Ein urbaner Campus für moderne Kunst

Zaha Hadids spektakuläres Museum für Moderne Kunst des 21. Jahrhunderts - kurz MAXXI - in Rom

Zaha Hadids spektakuläres Museum für Moderne Kunst des 21. Jahrhunderts - kurz MAXXI - in Rom

Als bescheiden können ihre Ansprüche nicht gelten. Sie will „die Diktatur des rechten Winkels durch die Diagonale ablösen, Räume verflüssigen und Proportionen verschieben“. Heraklits Motto „Panta rhei“ („Alles fließt“) hat die irakisch-britische Architektin Zaha Hadid auf einem ehemaligen Kasernengelände im römischen Stadtteil Flaminio auf geniale Weise umgesetzt und der Stadt zu einem Nationalmuseum für die Kunst des 21. Jahrhunderts verholfen. Das Museo Nazionale Delle Arti del XXI Secolo nennt man in Kurzform MAXXI.

„Meine Gebäude sollen fließen und Schwingungen nach außen übertragen“, versichert die Architektin. In ihrem spektakulären Neubau fließt alles ineinander: schwebende Treppen, verflochtene Galerien, schräge Rampen, lichte Schneisen. Die bewegten Konfigurationen vermitteln eine Dynamik, die sich unmittelbar auf den Besucher überträgt. Herausforderungen liebt die Pritzker-Preisträgerin.

Vergeblich hatte ihr Kollege Renzo Piano, dessen Musiktheater nur wenige Minuten entfernt liegt, Hadid gewarnt: „In Rom zu bauen ist wie die Durchquerung des Wilden Westens im Planwagen.“ Die Bauzeit des neuen Museums entsprach in der Tat jener des Kolosseums. Aber auch dem Zeitlupentempo kann Hadid Positives abgewinnen: „So konnte ich öfter nach Rom zurückkehren, wo ich als Kind einige Jahre gelebt habe.“

Zehn Jahre nach der Ausschreibung des internationalen Wettbewerbs ist der 150-Millionen-Bau fertiggestellt. Auf fast 30.000 Quadratmetern beherbergt das neuartige Museum fünf Galerien ohne rechtwinklige Schauräume und lotrechte Museumswände, deren Bewegungslinien für Kuratoren eine echte Herausforderung darstellen.

Die technisch aufwändige Konstruktion aus Stahlbeton, Glas und Metall versagt sich herkömmlicher Raumwahrnehmungen. Einen der flachen Kasernenbauten des Areals hat Zaha Hadid in ihr Projekt integriert. Als „urbanen Campus“ versteht die 59-jährige Architektin das MAXXI. Doch womit soll die enorme Ausstellungsfläche gefüllt werden? Rom verfügt über keine nennenswerte Sammlung zeitgenössischer Kunst. Die mit der Führung des Museums beauftragte Stiftung hat in den letzten Jahren gerade mal 300 Werke italienischer und internationaler Künstler erworben, die im Frühjahr 2010 in der ersten Ausstellung, Spazio (Raum), gezeigt werden sollen.

Zur Eröffnung Mitte November begnügte man sich mit einer von der deutschen Star-Choreografin Sasha Waltz konzipierten Performance von 30 Tänzern. Drei Tage lang strömten tausende neugieriger Besucher ins neue Museum, stiegen über die elegante schwarze Marmortreppe nach oben, wo das zweite Stockwerk wie ein verglaster Kontrollraum vorragt.

Eine Ausstellung vermisste eigentlich niemand - Hadids bewegtes Szenarium genügte für nachhaltige Eindrücke. Dann wurde der Neubau wieder für ein halbes Jahr geschlossen. Im Mai 2010 ist eine Retrospektive des vor elf Jahren gestorbenen Künstlers Gino De Dominicis geplant. Den Einwand, das MAXXI sei für eine Stadt ohne relevante Kunstszene wie Rom eine Nummer zu groß, weist Stiftungspräsident Pio Baldi zurück: „Das ist nicht nur ein Ausstellungsgebäude, sondern ein Ort kultureller Erneuerung, an dem Tendenzen und Ausdrucksformen aufeinandertreffen, ein Labor für künstlerische Experimente, eine Produktionsstätte für ästhetische Inhalte“.

Dass die als Kunst am Bau preisgekrönte Laser-Installation des Künstlers Maurizio Mochetti nicht realisiert wird, spricht nicht für Baldis These. Auch dass mit Anna Mattirolo (Kunst) und Margherita Guccione (Architektur) zwei leitende Beamtinnen des Kulturministeriums zu den Direktorinnen des neuen Museums gekürt wurden, ruft Skeptiker auf den Plan. Da scheint die Aussicht tröstlich, dass Zaha Hadids MAXXI auch ohne Ausstellungen zahlreiche Besucher anziehen wird.

Der Standard, Mi., 2009.12.23



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MAXXI - Museo Nazionale delle Arti del XXI Secolo

19. Juni 2008Gerhard Mumelter
Der Standard

„Bauten, die mich erschaudern lassen“

Roms Bürgermeister will „negative Eingriffe“ im Stadtbild korrigieren und „frevlerische Bauten“ abtragen. Überhaupt setzt Italiens Rechte auf traditionsorientierte Ästhetik, während die Front der linken Kultur bröckelt.

Roms Bürgermeister will „negative Eingriffe“ im Stadtbild korrigieren und „frevlerische Bauten“ abtragen. Überhaupt setzt Italiens Rechte auf traditionsorientierte Ästhetik, während die Front der linken Kultur bröckelt.

Das pompöse Mausoleum, das er sich im Park seiner Villa vom Bildhauer Piero Cascella errichten ließ, hält Silvio Berlusconi für das Maß aller Dinge. Zumindest ästhetisch.

Verständlich, dass es zwischen dem italienischen Premier und Daniel Libeskind keine Berührungspunkte gibt. „Absolut horrend“ findet der Regierungschef das Hochhaus des US-Architekten, dessen Bau in Kürze in Mailand begonnen werden soll. Ein „Symbol der Impotenz“ stellt das „schräge Machwerk“ in den Augen des Cavaliere dar. Kaum milder beurteilt er zwei weitere Hochhäuser, die zur Expo 2015 von Zaha Hadid und Arata Isozaki entworfen wurden: „Projekte, die nicht nur mich erschaudern lassen, sondern die meisten Mailänder. Diese Fremdkörper haben mit der architektonischen Tradition unserer Stadt nichts gemein.“ Berlusconis Forderung, die „Horrorprojekte“ sofort zu stoppen, löste in der Stadtverwaltung Alarmstimmung aus. Bürgermeisterin Letizia Moratti musste den Premier darüber aufklären, dass die drei Hochhäuser bereits genehmigt und finanziert seien. Jede Änderung führe zu „verhängnisvollen Verzögerungen im Expo-Zeitplan“.

Roms neuer Bürgermeister Gianni Alemanno geht schon einen Schritt weiter. Zu seinen Prioritäten gehört der Abriss des neuen Ara-Pacis-Museums von Richard Meier. Der „frevlerische Bau“ werde abgetragen und „irgendwo am Stadtrand“ wieder aufgestellt, versicherte der ehemalige faschistische Hardliner. Meiers umstrittenes Museum war 1995 von Bürgermeister Francesco Rutelli in Auftrag gegeben und nach einer wechselvollen Baugeschichte erst 2006 fertiggestellt worden. Mit 14 Millionen Euro betrugen die Baukosten das Doppelte der veranschlagten Summe.

Nicht nur Richard Meiers neben dem Mausoleum des Augustus platzierter Bau ist Denkmalstürmer Alemanno ein Dorn im Auge. Alle „negativen Eingriffe“ ins Stadtbild müssten korrigiert werden. Dabei müsse „italienischen Architekten“ Vorrang eingeräumt werden. Nicht ohne Einschränkung: der Römer Massimiliano Fuksas etwa genießt als Kommunist nicht Alemannos Vertrauen.

Spuren Veltronis tilgen

Dessen Projekt für die Küstenbebauung in Ostia lehnte er ab, weil es „ohne Wettbewerb“ entstanden sei. In der Tat: Fuksas hatte sein Projekt der Stadtverwaltung kostenlos überlassen. Mit pathetischer Eile versucht Alemanno, die kulturpolitischen Spuren seines Vorgängers Walter Veltroni zu tilgen. Dessen Vertrauensmann Goffredo Bettini musste als Präsident der Festa del Cinema zurücktreten und wurde durch den 88-jährigen Filmkritiker Gianluigi Rondi ersetzt, der „mehr italienisches Kino“ in Aussicht stellte. La Repubblica bedachte die peinliche Rochade mit beißendem Spott: „Jugend voran!“ Die Direktoren der städtischen Galerien mussten zurücktreten, der römische Kultursommer wurde „aus Kostengründen“ beschnitten.

Alemannos Bannstrahl traf auch den symbolhaftesten Ort linker Kulturpolitik: das Auditorium von Renzo Piano, mit über einer Million Besuchern Europas erfolgreichstes Musiktheater. Stattdessen kündigte der neue Bürgermeister eine verstärkte Förderung des antiquierten Teatro dell' Opera an, dessen Qualität trotz hoher Subventionen auch von kleinen Opernhäusern wie Parma und Cagliari übertroffen wird. Als neuer Stadtradt für Kultur agiert in der Hauptstadt nun Umberto Croppi, ehemaliges Vorstandsmitglied der rechtsextremen Fronte della Gioventù, in der auch Alemanno als faschistischer Schläger aktiv war.

Sandro Bondi kommt aus der entgegengesetzten politischen Ecke. Italiens neuer Kulturminister kann auf eine Laufbahn als Aktivist der KPI zurückblicken. Er wirkte als Bürgermeister der toskanischen Gemeinde Fivizzano, bevor er sich unversehens zum Bewunderer Silvio Berlusconis mauserte. Weil „Kultur nicht links ist“, umwirbt der priesterlich wirkende 49-Jährige, der die „Wiederentdeckung der Schönheit“ propagiert, linke Ikonen wie den Liedermacher Jovanotti. Der findet es „durchaus sympathisch“, dass der Minister ihm ein Gedicht gewidmet habe. Musik sei schließlich „weder links noch rechts“. Geschickt nützt Bondi das Bröckeln der linken Front der Kulturschaffenden. Den Sänger Francesco De Gregori, Leitfigur der 68er-Generation, preist er als „unverzichtbaren Begleiter“ seiner Jugendjahre. Von der Linken enttäuscht, erwartet sich De Gregori von Berlusconi eine „Modernisierung des Landes“.

Schmusen mit dem Kaiman

Neapels populärster Liedermacher, Pino Daniele, der von Lega-Chef Umberto Bossi wegen Beleidigung angezeigt worden war, bescheinigt der Lega Nord jetzt „größere Reife und Ausgewogenheit“. Zu den Unbeugsamen zählt Regisseur Nanni Moretti. Er sieht im Cavaliere „nach wie vor den Kaiman“. Vom „Klima der Verbrüderung“ will er sich nicht blenden lassen: „Berlusconi war 15 Jahre lang eine Katastrophe. An eine Änderung glaube ich nicht.“ Auch Roms populärster Theaterschauspieler Gigi Proietti beurteilt den „Schmusekurs“ mit Skepsis. Dagegen wollen linke Sänger wie Antonello Venditti und Giuliana De Sio Roms neuem Bürgermeister ebenso einen Vertrauensvorschuss gewähren wie die Schauspieler Michele Placido und Sabrina Ferilli. „Ich bleibe links, aber Alemanno gebe ich durchaus eine Chance“, versichert Ferilli.

Der linke Schauspieler Massimo Ghini ist es leid, „mit dem Etikett eines Parteigängers herumzulaufen“. Das Spiel mit den „politischen Tifosi“ müsse aufhören. Von einer „neuen Rechtskultur“ träumt Ghinis Kollege Luca Babareschi. Der rechte Schauspieler, der sich als Abgeordneter von Berlusconis Koalition vergeblich um das Staatssekretariat im Kulturministerium bemüht hatte, sitzt nun im Vorstand der römischen Festa del Cinema.

Dort ereifert er sich über die italienischen Beiträge zum Festival von Cannes. Die preisgekrönten Filme über die Camorra und Giulio Andreotti seien „eine skandalöse Nestbeschmutzung Italiens, die sich nicht wiederholen“ dürfe.

Der Standard, Do., 2008.06.19

20. Dezember 2003Gerhard Mumelter
Der Standard

Die fundamentale Wirkung des Lichts

Richard Meiers neue Kirche Dives in misericordia in Rom

Richard Meiers neue Kirche Dives in misericordia in Rom

Ignazio Breccia hält inne, stellt seine Tasche auf den Boden aus Travertin und setzt die blaue Schirmmütze auf: „Ich benötige jetzt nämlich beide Hände“, warnt der Bauingenieur. Dann rudern seine Arme in der Luft, beschreiben Kreise und Ellipsen, fahren den Rundungen der schneeweißen Segel in seinem Rücken nach. Jeder Versuch, Breccias Redefluss zu stoppen, wäre zum Scheitern verurteilt.

Warum auch? Schließlich weiß niemand mehr über Richard Meiers neue Kirche zu erzählen. Und vermutlich kennt nur einer den Neubau zwischen den Wohnsilos der römischen Peripherie besser als Ignazio Breccia: Richard Meier selbst, der Projektant, der die Kirche als sein „gelungenstes Werk“ lobt.

Irgendwie könnte das auch Ignazio Breccia sagen. Denn dass es die Kirche gibt, ist allein sein Verdienst. Ihm gelang es, das römische Vikariat zu überreden, sechs weltweit bekannte Architekten zu einem Wettbewerb einzuladen. Und weil „die im Vikariat von Architektur keinen blassen Dunst“ haben, wählte Breccia die Namen gleich selbst aus: Frank Gehry, Peter Eisenman, Santiago Calatrava, Tadao Ando, Günter Behnisch und Richard Meier. Dass er mit dieser Auswahl Erfolg hatte, wertet er als „Zufallstreffer“. Ein missglückter Wettbewerb mit über 500 Teilnehmern hatte das Terrain für Breccias ehrgeizige Initiative geebnet. Doch seine Hoffnungen wurden enttäuscht: „Es bleibt leider eine Eintagsfliege“, ärgerte er sich.

Der Bauingenieur ist ein Humanist alter Schule. Einer, der es „unverzeihlich“ findet, dass die katholische Kirche kein Verhältnis zur zeitgenössischen Architektur hat: „Eine triste Angelegenheit“, schimpft er und schwärmt von den Zeiten, als die Päpste noch große Mäzene waren. „Bei Julius II. ging Raffael ein und aus. Heute gibt es zwischen Papst und Kunst keinen Bezug mehr.“
Dass der 76-jährige Ingenieur mit der Begeisterungsfähigkeit eines Jugendlichen die Bauleitung für das Siegerprojekt von Richard Meier übernommen hat, findet er „durchaus normal. Ich liebe die Herausforderung. Wer, bitte, könnte sich dem Reiz entziehen, an einem Jahrhundertbau mitzuwirken?“ Für den Bau von vier Kirchen war der Sachverständige des Vikariats bereits zuständig. Meiers Projekt allerdings hatte andere Dimensionen. Ohne finanzkräftige Mäzene wäre es nicht realisierbar gewesen. Große Unternehmen ließen sich als Sponsoren gewinnen: der Zementkoloss Italcementi etwa, der britische Glashersteller Pilkington oder der Farbenhersteller Sikkens.

12.000 Stunden verbrachten allein Italcementi-Ingenieure an ihren Computern, um die größte Herausforderung des Neubaus zu meistern: die Errichtung der drei bis zu 27 Meter hohen Segel aus weißem Beton. Schließlich montierten sie an der Baustelle ein 38 Meter hohes, fahrbares Stahlmonstrum, das die 256 vorgefertigten Bauteile zu je zwölf Tonnen hydraulisch in die Höhe hievte und so drehte, dass sie millimetergenau eingesetzt werden konnten.

Dass der 40-jährige Pfarrer Don Gianfranco mit dem Umzug aus dem anonymen Fertigbau in die neue Kirche einige Mühe hat, zeigt die blaue Plastikmadonna mit den elektrischen Kerzen neben dem Altar. Und die mit Klebestreifen an die Travertinwand gehefteten Christusbilder. „Ich fotografiere das alles und schicke es an Meier. Dann gibt es immer wieder ein reinigendes Gewitter“, freut sich Breccia.

Don Gianfranco hat noch andere Sorgen. Die Fotografen gehören dazu und die rund 100 Neugierigen, die den Neubau täglich besuchen. „Sie stören die Andacht der Betenden.“ Ratlosigkeit herrscht auch über die Verwendung des überdimensionalen Pfarrzentrums. „Wir müssen versuchen, am Boden der Realität zu bleiben“, versichert der Pfarrer, der sich nur auf die Mitarbeit Freiwilliger stützen kann.

Tor Tre Teste ist ein Stadtteil an der östlichen Peripherie Roms. Rundum hässliche Mietskasernen, aber legal gebaut. Mit großen, gepflegten Grünflächen. „Ein friedliches Stadtviertel“, versichert Don Gianfranco. Das lichtdurchflutete Innere der Kirche ist ein Raum voller Harmonie. Das Licht will der amerikanische Architekt als „Metapher für das Gute“ verstanden wissen. Die Schmucklosigkeit des Raums mit den Bänken aus Kirschholz sieht er als „Quelle der Inspiration“. Sein Vorbild findet er im Rom früherer Jahrhunderte: „Kein Architekt hat den Umgang mit Licht so revolutionär gepflegt wie Francesco Borromini“, schwärmt der Amerikaner.

„Der Bau ist ein Triumph der Ingenieurkunst“, findet der Projektant. „Was Italcementi hier geleistet hat, ist enorm.“ Für die Kirche entwickelte das italienische Unternehmen einen eigenen weißen Zement mit Titan-Bioxyd, der Schadstoffe bei Sonneneinstrahlung zu Kohlenwasserstoff oxydiert. 600 Tonnen davon flossen in den Kirchenbau. 2600 Tonnen weißer Marmor aus Carrara wurden zu Granulat gemahlen, 550 Tonnen Spezialmörtel verwendet. Acht Kilometer Stahlspannseile und 7,5 Kilometer Stahlgestänge verleihen den luftigen Segeln und Glasdächern Stabilität. 23.000 Stunden verbrachte Meiers Team am Zeichentisch - von ersten Skizzen bis zur Realisierung des Projekts.

Ignazio Breccia, der in den vergangenen Jahren über 4000 Architekten aus aller Welt durch die Baustelle führte, steht noch immer draußen auf der gleißenden Travertinfläche hinter der Kirche. Seine linke Hand greift nach der Tasche, seine Rechte deutet auf die Bögen der altrömischen Wasserleitung in der ausgedehnten Grünfläche. „Architektur“, sagt er mit resigniertem Ton, „war schon immer ein Ausdruck geistiger Größe“.

Der Standard, Sa., 2003.12.20



verknüpfte Bauwerke
Chiesa del Giubileo

16. Dezember 2002Gerhard Mumelter
Der Standard

„Ein Pantheon ohne Fassade“

Das Trentino eröffnete am vergangenen Wochenende sein neues von Mario Botta gestaltetes Kunstmuseum - das „Museo di arte moderna e contemporanea di Trento e Rovereto“ („MART“) ist in Italien die wichtigste einschlägige Neugründung der letzten Jahrzehnte.

Das Trentino eröffnete am vergangenen Wochenende sein neues von Mario Botta gestaltetes Kunstmuseum - das „Museo di arte moderna e contemporanea di Trento e Rovereto“ („MART“) ist in Italien die wichtigste einschlägige Neugründung der letzten Jahrzehnte.

Rovereto - Für Gabriella Belli ist es schlicht „das Ende eines schwierigen, geradlinigen Wegs“. Natürlich weiß sie, dass Museumsdirektoren in aller Welt sie um ihren Neubau beneiden. Doch eine Frau großer Worte war Belli nie. 20 Jahre lang bereitete sie beharrlich ihr Lebenswerk vor, das an diesem Wochenende eröffnet wurde: das 50 Millionen Euro teure Museum für moderne Kunst in Rovereto.

In jahrelanger Kleinarbeit überzeugte Belli Landes- und Kommunalpolitiker, richtete im historischen „Palazzo delle Albere“ in Trient eine erste Sammlung moderner Kunst ein, bemühte sich um Ankäufe und Leihgaben und rückte mit über 100 Ausstellungen die kulturbeflissene Kleinstadt Rovereto südlich von Trient in den Blickpunkt internationaler Aufmerksamkeit.

Wenn Gabriella Belli von der „kulturellen Berufung“ der Stadt spricht, meint sie damit nicht Mozarts erstes italienisches Konzert im Winter 1769 oder Goethes Aufenthalt im Jahre 1784. Sie denkt etwa daran, dass die Stadt 1784 für ihre 6000 Einwohner ein Theater errichtete, das so groß war wie jenes von Petersburg. Sie denkt an die 1750 gegründete „Accademia degli Agiati“. Vor allem aber denkt sie an den aus Rovereto stammenden Pionier des Futurismus, Fortunato Depero, der die Bürger der Stadt mit Kunstaktionen provozierte.

Allein von Depero hat Belli 3000 Arbeiten gesammelt - von der Skulptur bis zum Theaterplakat. Mit 80.000 Dokumenten hat sie das weltweit größte Archiv des Futurismus zusammengetragen. Was ihr bisher fehlte, war nur ein geeignetes Gebäude für die Sammlungen.

Fünf Jahre dauerten die Bauarbeiten auf dem 29.000 Quadratmeter großen Areal. Erste Skizzen von Mario Botta reichen ins Jahr 1988 zurück. Die Aufgabe des Tessiner Architekten war wegen des historischen Kontexts verzwickt. Denn der Bauplatz liegt hinter zwei Palazzi aus dem 18. Jahrhundert - an der historischen Via Bettini mit ihren vornehmen Bürgerhäusern. So ent-stand ein Bau, den Botta als „Pantheon ohne Fassade“ bezeichnet - wegen der mächtigen Glaskuppel, deren Durch-messer mit 40 Meter dem des Pantheons entspricht.


„Ausdruckswelten“

Von dieser lichtdurchfluteten, zentralen „Agora“ aus erreicht der Besucher Ausstellungsräume, Bibliothek, Auditorium und Restaurant. Die Hälfte der 12.000 Quadratmeter des Neubaus sind Ausstellungsflächen, die andere Hälfte ist der Forschung und Zweckräumen wie Museumsshop und Cafeteria vorbehalten. Die Agora, die 1200 Personen Platz bietet, erschließt sich über zwei Wendeltreppen: „Das erinnert ein wenig an das Guggenheim-Museum“, meint Botta. Der erste Stock ist für wechselnde Ausstellungen konzipiert, im zweiten zeigt das Museum einen Teil seiner ständigen Sammlung. Die umfasst über 7000 Arbeiten - von Mario Merz bis Joseph Beuys, von Tony Cragg bis Anselm Kiefer.

„Räume der Kunst“ nennt sich die Eröffnungsausstellung, mit der sich das Museo di arte moderna e contemporanea di Trento e Rovereto (MART) seinen Besuchern präsentiert. „Es ist ein Rundgang durch die Ausdruckswelten des 20. Jahrhunderts“, so Belli. Vom Trentiner Giovanni Segantini bis zur Visual Art. 100 Leihgaben aus aller Welt ergänzen die eigenen Exponate. Belli will damit „Beziehungen, Bruchlinien, Wechselwirkungen und Affinitäten“ aufzeigen - vom Kubismus über den Futurismus bis zur Konkreten Kunst, von der Po-Art über den Wiener Aktionismus bis zur Performance-Art von Marina Abramovic.

Zum MART gehören auch das Museum moderner Kunst in Trient, das dem 19. Jahrhundert vorbehalten ist, und das Wohnhaus des Futuristen Depero in Rovereto, das zurzeit restauriert wird. Für die autonome Provinz Trient ist Italiens wichtigster Museumsneubau seit einem halben Jahrhundert ein Prestigeobjekt. Großzügig wird er von der Landesregierung unterstützt. Die Museumsdirektorin ist also nicht von finanziellen Sorgen geplagt. Während sie hinaufblickt in die 25 Meter hohe Glaskuppel, lässt sich Gabriella Belli kurz von der Emotion überwältigen: „Das ist die Verwirklichung eines großen Traumes.“

Der Standard, Mo., 2002.12.16



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MART - Museo di arte moderna e contemporanea di Trento e Rovereto

23. April 2002Gerhard Mumelter
Der Standard

Töne aus dem Bauch des Wals

Musiker reagieren begeistert auf Renzo Pianos Konzerthaus in Rom

Musiker reagieren begeistert auf Renzo Pianos Konzerthaus in Rom

Kinder tollen über die Stufen aus weißem Travertin, Liebespaare dösen auf den Rasenflächen in der Sonne, Familien wandern neugierig durch die Parkanlagen. Noch drehen sich über dem gigantischen neuen Konzerthaus die Baukräne, da haben die Römer das Areal bereits im Sturm erobert. Tausende drängten sich am Wochenende auf dem 55.000 Quadratmeter großen, mit Ölbäumen und Korkeichen bepflanzten Gelände. Für den italienischen Stararchitekten Renzo Piano Anlass zu Begeisterung. „Mein urbanistisches Konzept war es, einen neuen Mittelpunkt für das Stadtviertel Flaminio zu schaffen. Die große Arena mit 3000 Sitzplätzen ist als Piazza konzipiert. Dass die Bewohner sie so schnell annehmen, ist für einen Architekten traumhaft.“


Berio und Boulez

Drinnen, in den Konzertsälen, mutet die plötzliche Stille beängstigend an. Nicht ein Laut dringt nach innen. „Auch kein Hubschrauberlärm“, versichert Renzo Piano stolz. An der Akustik hat der Architekt mit akribischer Hingabe gearbeitet. Mit dem Problembereich ist er seit der Planung des Institut de Recherche et Coordination Acoustique/Musique in Paris 1973 vertraut.

Der Neubau in Rom entstand in enger Zusammenarbeit mit Luciano Berio und Pierre Boulez. Berio, Präsident des Orchestra di Santa Cecilia, das ins neue Konzerthaus einzieht, gibt sich begeistert: „Die Akustik ist phänomenal.“ „Fantastisch“, schwärmt Patti Smith, die um Mitternacht das letzte der 13 Eröffnungskonzerte bestritt. „Noch nie habe ich meine Stimme so durch einen Saal gleiten hören. Es war wie im Bauch eines Wals.“


Perfekte Akustik

„Verblüffend perfekt“, staunt der Musiker und Oscar-Preisträger Nicola Piovani (Das Leben ist schön), und Gianna Nannini freut sich schon auf ihr Konzert am 27. Mai: „Das ist auch für Rockmusik ein Schauplatz der ganz besonderen Art.“

Renzo Pianos am Sonntag mit einem 14-stündigen Konzertmarathon eröffnete fabbrica della musica ist ein Bau der Superlative: 500.000 verbaute Kubikmeter, 6020 Tonnen Stahl, 1600 Kubikmeter Holz, 2,5 Millionen Ziegel, 40.000 Quadratmeter Parkanlagen. Er enthält drei Konzertsäle für 2850, 1250 und 700 Zuhörer, fünf Tonstudios, Kaffeehäuser, Restaurants, Musikgeschäfte und Ausstellungsfächen. Aus dem Foyer fällt der Blick auf die alte römische Villa aus dem 6. Jahrhundert v. Chr., die bei den Bauarbeiten entdeckt und von Piano in die Gesamtanlage integriert wurde. Vielleicht ist es dieser suggestive Ausblick voller Gegensätze, der Maurizio Pucci die Latte so hoch legen lässt.

Der Direktor der mit der Führung des Konzerthauses beauftragten Gesellschaft Musica per Roma: „Wir wünschen uns, dass die Besucher nicht nur für Kolosseum und Petersdom nach Rom reisen, sondern auch für das neue Konzerthaus.“

Der Standard, Di., 2002.04.23



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Auditorium Parco della Musica

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