Übersicht

Alle 9 Bauwerke ansehen

Texte

10. September 2006Friedrich Kurrent
Spectrum

Vom Drunter und vom Drüber

Dem Riesenrad fehlt, seit es nach der Beschädigung im Zweiten Weltkrieg wieder in Schwung gebracht wurde, jeder zweite Waggon. Das Riesenrad ist ein Symbol für Wien: alles halb! Marginalien zur Stadtentwicklung.

Dem Riesenrad fehlt, seit es nach der Beschädigung im Zweiten Weltkrieg wieder in Schwung gebracht wurde, jeder zweite Waggon. Das Riesenrad ist ein Symbol für Wien: alles halb! Marginalien zur Stadtentwicklung.

Vor 40 Jahren, 1966, hielt ich unter dem Titel „Kontinuität und Diskontinuität der Wiener Stadtentwicklung“ meinen ersten öffentlichen Vortrag. Diesen beendete ich mit der Frage, ob die Kraft der Stadt ausreiche, sich in zwei Richtungen zu entwickeln: nach Süden, wie es Roland Rainer nach dem Vorbild der „Bandstadt“ vorschlug, oder nach Nordosten, über die Donau, wie wir (Johannes Spalt und ich) es in unserem Projekt „Wien der Zukunft - Wien jenseits der Donau“ propagierten.

Als Le Corbusier 1948 seinen einzigen Wiener Vortrag hielt, führte ihn der damalige Senatsrat Johann A. Boeck im Wiener Rathaus zum wandgroßen Stadtplan von Wien mit der Frage, wie und wo sich die Stadt seiner Meinung nach erweitern solle. Le Corbusier deutete weit hinaus nach Transdanubien und machte mit der Hand, einem Kreissegment folgend, punktuelle Drehbewegungen. Diese sollten raumabsteckende Hochhausgebilde bedeuten, vielleicht solche, die man von seinem „Plan Voisin“ für Paris kannte?

In unserem Zukunftsprojekt vor 40 Jahren dachten wir an ein donaustädtisches Zentrum am nordöstlichen Gestade, am stillen Wasser der Alten Donau, das offen nach Südwesten für den gesamten drüberen Stadtteil von Floridsdorf bis Kagran und Stadlau ein zweites Wiener Stadtzentrum für Transdanubien hätte werden sollen. Im Rücken der ergänzte Gürtel, daran anschließend die neue „Donau-Universität“. Eben nicht ein isoliertes Hochhauszentrum mit Bürotürmen, wie sie auf der sogenannten „Platte“ in den vergangenen 15 Jahren entstanden sind, sondern das Herz einer neuen drüberen Stadt mit den Lungenflügeln stadtlandschaftlicher Erholungsflächen.

Die Schließung des Gürtels jenseits der Donau, zwischen Stadlau, Kagran und Floridsdorf, ist der Wiener Stadtplanung bis heute nicht gelungen. Die jetzt „Donau-City“ genannte Bebauung auf der „Platte“ hat ihre eigene Entstehungsgeschichte: Hier sollte 1995 eine gemeinsame Weltausstellung „Wien-Budapest“ stattfinden. Die Planungen und der Wettbewerb dazu waren weit gediehen. Nach dem Durchzwicken des Eisernen Vorhangs im Jahre 1989 änderte sich die Interessenslage; 1991 wurde das Expo-Projekt in einer Volksabstimmung hinterfragt. Die Wiener sagten nein.

Die Donauufer-Autobahn wurde überplattet, die darüberliegenden und anschließenden Gründe verkauft; auf die Platte setzte sich die „Donau-City“ - das propagierte „Neue Wien“ im Schaufenster gegenüber der alten Stadt. Die Hochhaus-City zwischen Donau und Alter Donau ist aber isoliert! Sie zeigt sich arrogant in ihrer Isolation. So stellt sich seither ein Hochhaus vor das andere. Die Letzten werden die Höchsten sein. Aber Wien ist nicht New York.

Hochhaus-Massierungen? Damit ist es so eine Sache. Wien schreit nicht danach. München auch nicht. Trotzdem ist da wie dort alles in diese Richtung im Gange, alles im Schwange. Dass man damit vor wenigen Jahren zu nahe an die Innenstadt heranrücken wollte, führte zu einem Eklat mit der Hochhausgruppe „Wien-Mitte“ hinter dem Wienfluss an der Landstraßer Hauptstraße/Marxergasse. Das nächste städtebauliche Desaster ist in der Gegend des neuen Wiener Zentralbahnhofs vorprogrammiert, der bekanntlich anstelle von Süd- und Ostbahnhof errichtet werden soll. Die Diagonallage des künftigen Bahnhofs zwischen Gürtel und verlängerter Prinz-Eugen-Straße, also schräg gegenüber dem Oberen Belvedere, lässt ein dreieckiges Grundstück frei, das mit elf Hochhäusern mit einer Höhe von bis zu 100 Metern besetzt werden soll. Von offizieller Seite wird proklamiert, dass alles aus der historischen Sichtachse gerückt sei. Dabei wird vergessen, dass der moderne Mensch von überallher überallhin schaut, dass dort die Anhöhe erreicht ist, auf der sich Prinz Eugen sein Schloss und seinen ansteigenden Garten errichten ließ, um „in die Stadt“ zu seinen Füßen hinunterzublicken. Die geplante Hochhausgruppe würde unweigerlich eine schwere Störung der einmaligen topografischen Situation dieses Stadtgebietes verursachen.

Das Wiener Hochhaus-Problem wird auch am „Florido Tower“ ersichtlich, der ortlos irgendwo in Floridsdorf herumsteht. Der 200 Meter hohe „Millennium Tower“ am stadtseitigen Ufer ist im Bezirk Brigittenau immerhin ansatzweise städtebaulich verankert; von Norden begrüßt er die Anreisenden, von Süden betrachtet, fährt er mit seiner ganzen Höhe in die einprägsame Silhouette von Leopoldsberg-Kahlenberg gnadenlos hinein.

Es ist bedauerlich, dass heutige Stadtplanung die wunderbare topografische Situation der Stadt Wien kaum oder gar nicht berücksichtigt. So finde ich Hochhäuser auf den Wiener Stadtbergen, Hügelzügen, Stadterhebungen (Beispiel neues AKH) falsch. Falsch am Wienerberg; falsch am Laaer Berg. Das bedeutet nicht, dass eine niedrige Bebauung diesen Höhenrücken hinunter nach Süden bis zur Stadtgrenze nicht legitim wäre, wie sie sich ja etwa bereits von Liesing bis Oberlaa erstreckt. Die wunderbare Umfassung der Stadt durch den Wienerwald, beginnend am Leopoldsberg, Kahlenberg im Norden, weitergeführt im Westen, mit der Fortsetzung im Süden, eben mit Wienerberg und Laaer Berg, verleiht der Stadt Wien ihre einmalige Einbettung in das gesamte Gebiet rechts der Donau und seine Öffnung über den Strom hinweg, südlich des Bisamberges ins flache, erhebungslose ideale Erweiterungsgebiet links der Donau, weit hinaus ins Marchfeld.

Wenden wir uns dem Donaukanal zu: Das vorausschauende Wettbewerbsprojekt von Lois Welzenbacher aus dem Jahr 1946 wollte die geschwungene Linie des (1944 durch Bombenabwürfe zerstörten) Kanals rhythmisch mit quergestellten höheren Häusern begleiten und akzentuieren. In der Bautätigkeit der Sechziger- und Siebzigerjahre wurde davon nichts aufgenommen; sperrige Bürokästen riegeln den zweiten Bezirk, die Leopoldstadt, ab; das schützenswerte Dianabad wurde vernichtet.

Erst die jüngere Zeit findet dort ein Betätigungsfeld: das Bürohaus „k47“ anstelle des „Kai-Palastes“, eines frühen Eisenbetonbaus, errichtet; das X-beinige Uniqa- Bürohaus mit der aufgerissenen Brust gegenüber der Urania; und das derzeit vor Baubeginn stehende, von Jean Nouvel geplante hohe Gebäude Ecke Taborstraße/Donaukanal. Allerdings wäre, das letzte Beispiel betreffend, das Wettbewerbsprojekt des Spaniers Rafael Moneo aus städtebaulichen Gründen vorzuziehen gewesen, weil es statt 70 Metern nur eine Höhe von 50 Metern erreicht und den anschließenden zweiten Bezirk besser „hereingeholt“ hätte.

Parallel zur Ende der Sechzigerjahre einsetzenden U-Bahn-Streckennetz-Diskussion entwickelten Hermann Czech, Hugo Potyka, Johannes Spalt und ich eine nichtamtliche U-Bahn-Netz-Studie. Dabei gingen wir von gerade verlaufenden Durchmesserlinien aus, die sich, drei an der Zahl, in der Inneren Stadt an drei Punkten kreuzen sollten: am Stephansplatz, am Albertinaplatz und an der Freyung, in Verbindung mit, wie ja verwirklicht, den Radiallinien (Zweier-Linie, heute U2), der Gürtel-Stadtbahn-Linie, der Wientallinie und der Vorortelinie aus der Otto-Wagner-Zeit.

Die Planungsgeschichte zeigt, wie richtige Ansätze mit politischen beziehungsweise stadtpolitischen Realitäten verquickt werden und wurden. So wurde die heutige Linie U1, vom Stephansplatz, Praterstraße, Praterstern nach Nordosten über die Donau ab Stephansplatz in Gegenrichtung nach Favoriten bis Reumannplatz nach Süden hin gebogen, weil dort der starke sozialistische ehemalige Arbeiterbezirk Favoriten auf eine frühe öffentliche Verkehrsanbindung pochte. „Unsere“ Linie hätte schnurgerade über die Mariahilfer Straße zum Westbahnhof weitergeführt. Aber wenn man einmal mit dem Verbiegen anfängt, ist man verurteilt weiterzubiegen. So wurde die aus dem südöstlichen Erdberg kommende heutige Linie U3 ab Stephansplatz nicht mit den nordwestlichen, sondern mit den westlichen Bezirken verbunden. „Unsere“ Erdberger Linie wäre wiederum ab Stephansplatz schnurgerade nach Währing in den Nordwesten weitergefahren.

In der ersten amtlichen Planungsphase fuhr man unter der Lindengasse am Westbahnhof glattweg vorbei. Erst nach harten Diskussionen wurde zur Mariahilfer Straße zurückgebogen und der Westbahnhof dann doch noch erreicht. Dass diese Linie später (angeblich nach einer Idee des damaligen mächtigen Finanzstadtrats Hans Mayr) weiter zum ehemaligen Arbeiterbezirk Ottakring hinübergebogen wurde, war eine weitere Konsequenz des Wiener Biegeplans.

Auch die derzeit in Bau befindliche Verlängerung der U2 (bislang am Donaukanal beim Ringturm endend) in den zweiten Bezirk mit den Stationen Taborstraße, Praterstern, Prater, Messegelände, Stadion, dann die Donau überquerend nach Stadlau und später nach Aspern in Wien-Donaustadt (ehemaliges Flugfeld, derzeitiges Hoffnungsgebiet) ergibt eine geschlängelte, gebogene Wiener Linie.

Und nun zum größten Schildbürgerstreich seit drei Jahrzehnten: Den Süd- und Ostbahnhof erreicht man mit der U-Bahn nicht. Die Linie U1, die Station Südtirolerplatz, ist viel zu weit vom Bahnhof entfernt, man müsste von dort seine Koffer eine gute Viertelstunde schleppen. Neben einigen Gürtel-Tramlinien erreicht nur die gemütliche Straßenbahnlinie D, aus der Heurigengegend Nussdorf kommend, den Bahnhof. Der D-Wagen soll auch dem neuen Zentralbahnhof weiterhin die angeheiterten Fahrgäste liefern. Dabei wäre es ein Leichtes gewesen, die U2 von der derzeitigen Wende- und Endstelle am Karlsplatz unter der Prinz-Eugen-Straße bis zum Bahnhof zu verlängern.

Schilda grüßt Wien.

Ein großes Plus gebührt hingegen der architektonischen Gestaltung der U-Bahn-Stationen. Dass Ende der Sechzigerjahre erreicht wurde, einen Architektenwettbewerb auszuloben, nachdem bereits alles in alleiniger Hand der Tiefbauer zu einer Tiefbauangelegenheit zu werden drohte, wurde den Stadtbehörden buchstäblich in letzter Minute abgerungen. Die bis heute aktive Arbeitsgruppe U-Bahn, bestehend aus den ersten und zweiten Preisträgern (Wilhelm Holzbauer, Heinz Marschalek, Georg Ladstätter, Norbert Gantar), leistete und leistet gute baulich-architektonische Arbeit. Auch spätere Stationsplaner von Teillinien (U6 nach Siebenhirten von Johann Georg Gsteu, verlängerte U2 von Paul Katzberger) setzten und setzen mit architektonischer Qualität fort. Man muss sich, um die Wichtigkeit einer derartigen Aufgabe für eine Stadt zu begreifen, nur die Stadtbahnbauten von Otto Wagner vor Augen führen, die die Physiognomie des Stadtkörpers bis heute entscheidend prägen.

Die Eingangsfrage aus dem Jahre 1966, vor 40 Jahren, ob die Kraft der Stadt ausreiche, sich in zwei Richtungen zu entwickeln, nach Süden und nach Nordosten, über die Donau, ist erstaunlicherweise durch die Realität der vergangenen Jahrzehnte nach beiden Richtungen beantwortet worden.
Die Frage, ob dadurch der Stadtorganismus einer ihm eingeschriebenen Kontinuität gefolgt ist oder ob er sich diskontinuierlich entwickelt hat, ist trotzdem zu stellen. Falsche städtebauliche Maßnahmen erzeugen oft einen „Kropf“ in der Stadt. Man kann diesen schon tragen, aber schön ist er nicht. Eine Stadt ist wie ein Lebewesen; Verwachsungen werden im Laufe der Zeit wieder ausgeglichen. Diskontinuitäten können wieder gemildert und in eine kontinuierliche Stadtentwicklung eingebunden werden.
So finde ich großmaßstäbliche hohe Bauten am Wiener Südrand - wie schon gesagt - aus städtebaulich-landschaftlich-topografischen Gründen falsch, mögen sie auch für sich genommen von guter architektonischer Qualität sein. Der Stadt sind dort Kröpfe zugewachsen.
Über die Donau, nach Nordosten hin, wo in den späten Sechzigerjahren in Floridsdorf (Großfeldsiedlung), Kagran, Stadlau bis Aspern und Essling Neubebauungen begannen, überschlugen sich später die baulichen Aktivitäten. Auf der Platte liefern sich Wiener und internationale Stararchitekten ein Kräftemessen, dass man als Zuschauer nur staunen kann.
Der Traum von einer Stadt jenseits der Donau, wofür es sich ausgezahlt hätte, die Kräfte der Stadt zu bündeln, der Traum von einem Neu-Wien erfüllte sich (bisher) nicht. Es wurde in zwei Richtungen investiert, dadurch halbierten sich die Kräfte.
Alles halb.
Dem Riesenrad fehlt, seit es nach der Beschädigung im Zweiten Weltkrieg wieder in Schwung gebracht wurde, jeder zweite Waggon. Das Riesenrad ist ein Symbol für Wien.
Alles halb.

Spectrum, So., 2006.09.10

23. Dezember 2002Friedrich Kurrent
Die Presse

An der Nabe der Stadt

Die unverantwortliche Baumasse und Höhenentwicklung des Projekts Wien-Mitte beweisen die Schwäche der derzeitigen Stadtplanung - und die Stärke der Investoren. Von besseren und schlechteren Lagen - und wie aus dem einen das andere wird. Eine Attacke.

Die unverantwortliche Baumasse und Höhenentwicklung des Projekts Wien-Mitte beweisen die Schwäche der derzeitigen Stadtplanung - und die Stärke der Investoren. Von besseren und schlechteren Lagen - und wie aus dem einen das andere wird. Eine Attacke.

Hinweis: Leider können Sie den vollständigen Artikel nicht in nextroom lesen. Sie haben jedoch die Möglichkeit, diesen im „Die Presse“ Archiv abzurufen. Vollständigen Artikel anssehen


verknüpfte Bauwerke
Urban Entertainment Center

Publikationen

Bauwerke

Artikel 12

15. Oktober 2011Franziska Leeb
Spectrum

„Der Platz vor dem Ring ist verhaut“

Friedrich Kurrent im Gespräch. Über seine Gewinn- und Verlustrechnung, Freund- und Feindschaften – sowie seinen noch offenen großen Wunsch: eine Synagoge am Wiener Ring.

Friedrich Kurrent im Gespräch. Über seine Gewinn- und Verlustrechnung, Freund- und Feindschaften – sowie seinen noch offenen großen Wunsch: eine Synagoge am Wiener Ring.

Friedrich Kurrent, den Prolog zu Ihrem ersten autobiografischen Buch beschließen Sie mit dem Satz: „Der Bach rauscht vorbei, das Leben rauscht vorbei“, den zur kürzlich erschienenen Fortsetzung über „Die Nullerjahre“ mit den Worten: „Das Wasser stürzt herab.“ Wie wichtig ist Ihnen das Wasser?

Mir war es immer wichtig, dass eine Siedlung an einem Bach ist.

Warum?

Weil man Schnee hineinschaufeln kann!

Schmerzt es Sie, nie einen größeren Wohnbau realisiert zu haben?

Ja, das ist bedauerlich. Schade ist es um ein Haus in einer Baulücke am Spittelberg. Der Einreichplan war genehmigt, es wäre ein zeitgemäßes Spittelberg-Haus geworden. Rudolf Wurzer hat es umgebracht. Sein Vorgänger als Planungsstadtrat, Fritz Hofmann, musste nach dem Reichsbrücken-Einsturz 1976 zurücktreten. Auf dem Bauplatz sind dann Bäume aufgeschossen. Wenn ich gewusst hätte, was kommt, hätte ich sie damals ausgerissen. Die gleiche Gemeinde Wien, die mir mit der einen Hand den Auftrag gegeben hat, hat ihn mir mit der anderen genommen.

Es gab auch noch andere Wohnbaukonzepte.

Für ein Gutachten an der Brünner Straße, 1970, habe ich ein einen Kilometer langes Haus vorgeschlagen. Abgestuft, um wenig Schatten zu erzeugen, und hinten waren lange Rampen, weil jede Wohnung den Autoabstellplatz direkt bei der Wohnung gehabt hätte. Heute mit den Elektroautos überhaupt kein Problem, damals zu utopisch. Also kann ich nicht sagen, es war ein Verlust.

Auch die Wohnraumschule, die Sie 1953 mit der Arbeitsgruppe 4 entwickelt haben, wäre nach heutigen Maßstäben aktuell.

Ja, genau so etwas sucht man heute: eine ganglose Schule, wo es nicht nur Klassen und Freiluftklassen gibt, sondern auch Wohnraum, wo alles stattfinden kann. Eine Schule mit Tierhaltung und Pflanzen, Nischen zum Basteln und so weiter.

„Ich glaube, er sieht die verrückte Alte noch immer gern“, beschrieb Michael Guttenbrunner Ihr Verhältnis zu Wien.

Ich habe Wien nie ausgelassen, wollte nie weggehen. Aber plötzlich hat man mich für das Bewerbungsverfahren für die Nachfolge von Johannes Ludwig an der TU München geladen. Nach drei Jahren bekam ich auch den Sakralbau-Lehrstuhl, den zuvor Josef Wiedemann innehatte.

Sie scheuen sich nicht, Kritik an Kollegen zu üben. Kommt das mit dem Alter?

Nein, das habe ich immer gemacht. Peichl ist mein Lieblingsfeind. Ich bin aus der von ihm organisierten Ausstellung „Die Sieben vom Schillerplatz“ ausgestiegen (Anm.: weil Ottokar Uhl und Anton Schweighofer nicht mit einbezogen wurden). Dann waren es nur noch sechs. Auf dem Sechser-Foto hat Peichl jedem eine rote Rose angesteckt – wie bei der Mafia. 20 Jahre später wurden in einem Fernsehfilm auch „Die vom Schillerplatz“ gezeigt, und man sah eine Einstellung mit diesem Foto, aus dem Spalt, Gsteu und Lackner ausgeblendet und Peichl, Holzbauer und Hollein zusammengerückt waren. Peichl war immer Karikaturist, und seine Architektur hat einen Stich ins Karikaturistische. Roland Rainer, der ihn bei der Stadthalle dazugenommen hat, hatte immer großen Respekt vor den Medien, aber Peichl hat das noch geschickter verstanden.

Das heißt, die Medien haben über Erfolg und Misserfolg mitentschieden.

Das hat damals begonnen. Wenn sie in München nach Rainer gefragt haben, sagte ich: „Er ist eine Kapazität, die mir aus der Entfernung lieber ist.“

Hat das auf Gegenseitigkeit beruht?

Ja, mit Schwankungen. Wir waren gut miteinander. 1990 hat mich Rainer angerufen und gefragt, ob ich für den „Kurier“ Architekturkritiken schreiben will. Ja, aber nicht ständig, habe ich gesagt. Wirklich meldet sich der Kulturressortchef Endler am nächsten Tag. „Machen Sie's?“, fragte er, und ich sagte, ja, hie und da. „Es muss nächste Woche sein, da wird das Haas-Haus eröffnet.“ Das „Haas-Haus“ hatte Rainer nicht erwähnt. Ich habe geantwortet, das kann ich nicht, weil ich noch nicht drin war. „Na, dann muss sich der Professor Rainer wen anderen suchen“, war die Antwort.

Sie haben etliche Gedenktafeln gestaltet.

Ja, für Adolf Loos und Josef Hoffmann zum 100. Geburtstag, dann für Plischke und für Josef Frank und die letzte für Anna Lülja Praun. So viele waren es nicht.

Zum 200. Geburtstag von Theophil Hansen 2013 wüssten Sie auch ein posthumes Geschenk – die Verlängerung der Hansenstraße.

Sie muss dann „Theophil-Hansen-Straße“ heißen, er hat hier gewohnt. Die Straße ist kurz, aber nicht zufällig so breit angeordnet, sie richtet sich nach der Flucht der Seitenrisalite der Museen. Aber der Platz vor dem Justizpalast bis zum Ring ist verhaut. Camillo Sitte kritisierte schon die „unrhythmische Stelle“ und schlug einen mächtigen Rundbau als Gelenk zwischen Parlament und Palais Epstein vor. Ich denke, dort müsste eine Synagoge hin. In den ersten Bezirk, nicht in die Leopoldstadt. Erstens war Leopold I. ein Antisemit, zweitens schrieb Ferdinand Kürnberger schon im 19. Jahrhundert: „Die Juden und die Praterhirschen wurden abgedrängt in Richtung Donau.“ An der Breitseite des Zwickels, gegenüber vom Justizpalast, nächst dem Parlament, wäre die ideale Stelle für ein „Haus der Geschichte“. Das muss natürlich ein Wettbewerb werden.

Seit wann arbeiten Sie an der Synagoge?

Schon im Jahr 2000 habe ich einen Typus für den Wettbewerb in München entwickelt, den man überall verwenden kann – größer, kleiner oder woanders. Dann hatte ich in der Neujahrsnacht 2006 den Geistesblitz, man könnte den Typus in Wien verwenden. Ich möchte, dass sie Wirklichkeit wird. Heuer im Februar habe ich Bürgermeister Häupl um einen Termin gebeten. Immerhin hat er mir zum Geburtstag gratuliert

10. September 2011Wolfgang Freitag
Spectrum

Rand? Erscheinung!

Am 10. September vor zehn Jahren wurde sein Siebziger im Wiener Semperdepot groß gefeiert. „Einen Tag später“, erinnert sich Friedrich Kurrent heute, hätte...

Am 10. September vor zehn Jahren wurde sein Siebziger im Wiener Semperdepot groß gefeiert. „Einen Tag später“, erinnert sich Friedrich Kurrent heute, hätte...

Am 10. September vor zehn Jahren wurde sein Siebziger im Wiener Semperdepot groß gefeiert. „Einen Tag später“, erinnert sich Friedrich Kurrent heute, hätte man nicht mehr feiern können, ja „nicht mehr dürfen“. Und wenn es am heurigen 10. September seinen Achtziger zu feiern gilt, dann wird zwangsläufig sehr viel mehr von jenem Tag danach die Rede sein.

So sei wenigstens in dieser Randspalte an einen erinnert, der gewiss keine Randerscheinung ist: nicht zuletzt als Mitglied der legendären „Arbeitsgruppe 4“ wesentlicher Mitgestalter der heimischen Nachkriegsarchitektur, stets streitbar, widerständig – und bis weit in einen Lebensabschnitt, den andere Ruhestand nennen, von einer Rührigkeit, die nicht so leicht etwas ruhen oder stehen lässt. Dieser Tage erscheint bei Müry Salzmann, Salzburg, sein neues Buch, den „Nullerjahren“ gewidmet. Und es wäre nicht Friedrich Kurrent, fände sich darin nicht auch eine Zukunftsvision: das Projekt einer Synagoge am Wiener Ring, das Kurrent erstmals vor drei Jahren im Architekturzentrum Wien vorgestellt hat.

Der Schmerlingplatz, „zwischen Parlament und Palais Epstein, im Schutze des Justizpalastes“, sei dafür „die richtige Stelle“, meint Kurrent. „Viele Freunde und Fachleute haben mich bisher beim Synagogenprojekt unterstützt. Vom Wiener Bürgermeister erwarte ich eine Antwort.“ Und die sollte er nicht erst zu seinem Hunderter erhoffen dürfen.

09. September 2006Wojciech Czaja
Der Standard

Ich hätte gerne mehr gebaut

Anstatt zu bauen, hat er mehr gedacht, gerettet und geschrieben: Friedrich Kurrent, einer der wenigen der alten Schule. Ein Gespräch aus Anlass des 75. Geburtstages.

Anstatt zu bauen, hat er mehr gedacht, gerettet und geschrieben: Friedrich Kurrent, einer der wenigen der alten Schule. Ein Gespräch aus Anlass des 75. Geburtstages.

Es gibt türkischen Kaffee. Friedrich Kurrent sitzt in seinem Garten in Sommerein und trägt sommerlichen Arbeitslook: einen Strohhut und einen eingeklemmten Bleistift hinterm Ohr. Dass er zeit seines Lebens leidenschaftlicher Kritiker und Opponent war, sieht man ihm heute kaum noch an. Aber man hört es heraus.

Dabei ist es unter anderem ihm zu verdanken, dass das famose Wittgenstein-Haus in Wien Landstraße heute überhaupt noch steht - die Stadt Wien hatte bereits die Baubewilligung für ein Hotel-Hochhaus erteilt. Dabei ist es gerade seiner Initiative zu verdanken, dass der barocke Wiener Spittelberg nicht demoliert und geschliffen wurde - auch da hatte die Stadt Wien bereits die Baubewilligung für eine völlige Neubebauung erteilt. Und die Existenz der Österreichischen Gesellschaft für Architektur geht ebenfalls auf ihn zurück. Gemeinsam mit ein paar Freunden - darunter auch sein ehemaliger Schulfreund Friedrich Achleitner - hat er das Kind 1965 aus der Taufe gehoben.

Kurrents jüngster Protest galt den Bürotürmen in Wien Mitte. Mit einigen Kollegen - und unter dem großen Deckmäntelchen des Unesco-Weltkulturerbes - brachte er auch dieses Projekt zu Fall. Spätestens mit diesem Vorpreschen spaltet der selten bauende, wenngleich viel schreibende und politisch agierende Architekt die jüngeren Generationen in Fans und Feinde.

Standard: Warum durfte Wien Mitte nicht gebaut werden?

Friedrich Kurrent: In dieser Massivität, in dieser Größenordnung und in dieser Höhe waren die Türme zu nah an der inneren Stadt. Das ist der Punkt. Selbst wenn sie schön gewesen wären, selbst wenn man sie aus Gold gebaut hätte, wären sie an dieser Stelle schlichtweg falsch. Ein paar Architekturkollegen und ich - allesamt sind wir keine Stararchitekten, aber schon über 70 und mit reichlich Erfahrung gesegnet - haben einen Brief an den Bürgermeister und an den Planungsstadtrat Schicker geschrieben. Ein wichtiger Satz darin war: „Ob mit oder ohne Weltkulturerbe: Wien Mitte ist in dieser Form falsch.“ Das hat überhaupt nichts mit einer absoluten Ablehnung von Hochhäusern zu tun, nur kann man in Wien mit hohen Häusern einfach nicht richtig umgehen.

Standard: In Ihrer Biografie haben Sie sich allerdings noch nie für Hochhäuser begeistern können.

Kurrent: Ja, das stimmt. Über den Ringturm habe ich immer geschrieben, er sei ein Grenzfall. Alle anderen Hochhäuser im Einflussbereich der inneren Stadt haben wir immer stark kritisiert.

Standard: 1958 bis 1963 wollten Sie den Wiener Flaktürmen Hochhäuser aufsetzen, die bis zu hundert Meter Höhe erreichen sollten. Also doch Hochhaus?

Kurrent: Ja, der Schicker hat auch schon versucht, mich auszutricksen. Er hat mir das Flakturm-Projekt ebenfalls unter die Nase gerieben. Natürlich wollten wir den Flaktürmen Hochhäuser aufsetzen, nur in einem Punkt hat mich Schicker nicht drangekriegt: Fünf der sechs Flaktürme wären in die Höhe gewachsen, nur der Gefechtsturm in der Stiftskaserne wäre niedrig geblieben, denn er ist viel zu nahe an der Wiener Innenstadt. Diesen einen wollten wir damals als hoch gelegenen Hubschrauber-Landeplatz für Mittelstrecken nutzen. Ein bissl laut wäre das für die Stadt gewesen, die Hubschrauber hätten halt still sein müssen.

Standard: Mit der Entfernung wird ein Hochhaus also wientauglich?

Kurrent: Was haben der Johannes Spalt und ich nicht alles gezeichnet und nachgedacht über das Wien der Zukunft! Wien jenseits der Donau, das war unser Thema! Für uns war es wichtig, auf dem anderen Donauufer in erster Linie den Gürtel zu schließen - dort sollten dann unsere Hochhäuser stehen. Und im Endeffekt sind wir wahrscheinlich die einzigen Architekten geblieben, die dort kein einziges Hütterl gebaut haben.

Standard: Sie sind Schreiber, Denker und Architekt. Ein älteres Buch beschließen Sie mit dem Satz: „Viel ist es nicht, was ich (bisher) bauen konnte. Nur einige Häuser, Kirchen und dergleichen.“ Bereuen Sie's?

Kurrent: Ich hätte gerne mehr gebaut. Vor allem in Wien ist nur sehr wenig entstanden. Mit Johannes Spalt habe ich die Sparkasse am Floridsdorfer Spitz gebaut, hoffentlich wird sie noch lange stehen. Das letzte große Projekt war die Umnutzung des alten AKH zum Universitätscampus. Selbst in München, wo ich als Lehrer 25 Jahre meines Lebens verbracht habe, steht kaum ein Haus von mir. Die Lehre und das permanente Nachdenken nimmt einem bauenden Architekten Zeit und Kraft weg. Wie gern hätte ich Wohnhäuser gebaut! Wie gern hätte ich Schulen gebaut! Wie gern hätte ich ein Museum gebaut! Immerhin habe ich für meine verstorbene Frau Maria Biljan-Bilger in Sommerein ein Ausstellungsgebäude bauen können. Das Einzige, was ich jetzt noch unbedingt bauen möchte, ist eine Synagoge für Wien.

Standard: Einige Ihrer Gebäude sind im Rahmen der arbeitsgruppe 4 entstanden. Besteht mit Ihren ehemaligen Kollegen Johannes Spalt und Wilhelm Holzbauer heute noch eine Verbundenheit?

Kurrent: Mit Johannes Spalt pflege ich nach wie vor eine Freundschaft, leider ist er seit zwei Jahren schwer krank. Was den Holzbauer betrifft, ist dies eine traurige Geschichte. Die Freundschaft zu Holzbauer würde bestehen, wenn er nicht das Salzburger Festspielhaus verhaut hätte. Das muss man klipp und klar sagen. Die Architektur ist in dem Fall so wichtig, dass die Freundschaft dadurch einen enormen Schaden erleidet. Das Festspielhaus hätte in seiner heutigen Form niemals passieren dürfen. Die gesamte Front von Clemens Holzmeister wurde schamlos abgerissen, ein Zeitdokument wurde vernichtet. Und man bedenke: Der alte Holzmeister war nicht nur mein Lehrer, sondern auch Holzbauers Lehrer. Hinzu kommt, dass sich Holzbauer diesen Auftrag von den ursprünglich erstplatzierten Wettbewerbssiegern juristisch erstritten hat - das ist schlimm. Mit diesem Projekt hat sich Wilhelm Holzbauer seinen Namen selbst ruiniert.

Standard: In Ihrem neuen Buch schreiben Sie von der „Wiener Krankheit“. Damit man von ihr nicht befallen wird, müsse man entweder flüchten oder sie an Ort und Stelle bekämpfen. Ist diese Krankheit denn gefährlich?

Kurrent: Gefährlich ist sie schon. Und ein bissl ansteckend auch. Die Wiener Krankheit ist eine, die die schöne Oberfläche, sozusagen die Haut der Architektur, sehr stark ins Rampenlicht rückt. Architekten, die der Wiener Krankheit anheim gefallen sind, produzieren einfach nur noch schöne Häuser. Und das Außergewöhnliche an der Wiener Krankheit ist, dass nichts dahinter steckt.

Standard: Macht die Wiener Krankheit einen gar zum Star?

Kurrent: Schrecklich dieses Wort! Stararchitektentum ist etwas Mafioses. Und das Unerträglichste an Stararchitekten sind ihre unentwegten Aussprüche, Werbung in Worten. Wenn ich das schon höre! In der Fernsehsendung „Treffpunkt Kultur“ hat Wolf Prix einmal den Spruch losgelassen: „Die Verpflichtung des Architekten ist es, am Turm von Babel weiterzubauen - sonst ist man kein Architekt.“ Das ist doch lächerlich. Ich habe weder am Turm von Babel weitergebaut, noch habe ich überhaupt Türme gebaut, und schon gar nicht habe ich viel gebaut. Aber ich bin Architekt.

07. August 2004Norbert Mayr
Salzburger Nachrichten

Architekt und Forscher

Friedrich Kurrent ist Architekt und Urbanist, Forscher und Publizist, Denkmalschützer, Lehrer und Kritiker. Für seine 1997 verstorbene Frau, die Bildhauerin und Keramikerin Maria Biljan-Bilger, realisierte er im Sommerein am Leithagebirge ein Museum.

Friedrich Kurrent ist Architekt und Urbanist, Forscher und Publizist, Denkmalschützer, Lehrer und Kritiker. Für seine 1997 verstorbene Frau, die Bildhauerin und Keramikerin Maria Biljan-Bilger, realisierte er im Sommerein am Leithagebirge ein Museum.

Hinweis: Leider können Sie den vollständigen Artikel nicht in nextroom lesen. Sie haben jedoch die Möglichkeit, diesen im „Salzburger Nachrichten“ Archiv abzurufen. Vollständigen Artikel anssehen

Presseschau 12

10. September 2006Friedrich Kurrent
Spectrum

Vom Drunter und vom Drüber

Dem Riesenrad fehlt, seit es nach der Beschädigung im Zweiten Weltkrieg wieder in Schwung gebracht wurde, jeder zweite Waggon. Das Riesenrad ist ein Symbol für Wien: alles halb! Marginalien zur Stadtentwicklung.

Dem Riesenrad fehlt, seit es nach der Beschädigung im Zweiten Weltkrieg wieder in Schwung gebracht wurde, jeder zweite Waggon. Das Riesenrad ist ein Symbol für Wien: alles halb! Marginalien zur Stadtentwicklung.

Vor 40 Jahren, 1966, hielt ich unter dem Titel „Kontinuität und Diskontinuität der Wiener Stadtentwicklung“ meinen ersten öffentlichen Vortrag. Diesen beendete ich mit der Frage, ob die Kraft der Stadt ausreiche, sich in zwei Richtungen zu entwickeln: nach Süden, wie es Roland Rainer nach dem Vorbild der „Bandstadt“ vorschlug, oder nach Nordosten, über die Donau, wie wir (Johannes Spalt und ich) es in unserem Projekt „Wien der Zukunft - Wien jenseits der Donau“ propagierten.

Als Le Corbusier 1948 seinen einzigen Wiener Vortrag hielt, führte ihn der damalige Senatsrat Johann A. Boeck im Wiener Rathaus zum wandgroßen Stadtplan von Wien mit der Frage, wie und wo sich die Stadt seiner Meinung nach erweitern solle. Le Corbusier deutete weit hinaus nach Transdanubien und machte mit der Hand, einem Kreissegment folgend, punktuelle Drehbewegungen. Diese sollten raumabsteckende Hochhausgebilde bedeuten, vielleicht solche, die man von seinem „Plan Voisin“ für Paris kannte?

In unserem Zukunftsprojekt vor 40 Jahren dachten wir an ein donaustädtisches Zentrum am nordöstlichen Gestade, am stillen Wasser der Alten Donau, das offen nach Südwesten für den gesamten drüberen Stadtteil von Floridsdorf bis Kagran und Stadlau ein zweites Wiener Stadtzentrum für Transdanubien hätte werden sollen. Im Rücken der ergänzte Gürtel, daran anschließend die neue „Donau-Universität“. Eben nicht ein isoliertes Hochhauszentrum mit Bürotürmen, wie sie auf der sogenannten „Platte“ in den vergangenen 15 Jahren entstanden sind, sondern das Herz einer neuen drüberen Stadt mit den Lungenflügeln stadtlandschaftlicher Erholungsflächen.

Die Schließung des Gürtels jenseits der Donau, zwischen Stadlau, Kagran und Floridsdorf, ist der Wiener Stadtplanung bis heute nicht gelungen. Die jetzt „Donau-City“ genannte Bebauung auf der „Platte“ hat ihre eigene Entstehungsgeschichte: Hier sollte 1995 eine gemeinsame Weltausstellung „Wien-Budapest“ stattfinden. Die Planungen und der Wettbewerb dazu waren weit gediehen. Nach dem Durchzwicken des Eisernen Vorhangs im Jahre 1989 änderte sich die Interessenslage; 1991 wurde das Expo-Projekt in einer Volksabstimmung hinterfragt. Die Wiener sagten nein.

Die Donauufer-Autobahn wurde überplattet, die darüberliegenden und anschließenden Gründe verkauft; auf die Platte setzte sich die „Donau-City“ - das propagierte „Neue Wien“ im Schaufenster gegenüber der alten Stadt. Die Hochhaus-City zwischen Donau und Alter Donau ist aber isoliert! Sie zeigt sich arrogant in ihrer Isolation. So stellt sich seither ein Hochhaus vor das andere. Die Letzten werden die Höchsten sein. Aber Wien ist nicht New York.

Hochhaus-Massierungen? Damit ist es so eine Sache. Wien schreit nicht danach. München auch nicht. Trotzdem ist da wie dort alles in diese Richtung im Gange, alles im Schwange. Dass man damit vor wenigen Jahren zu nahe an die Innenstadt heranrücken wollte, führte zu einem Eklat mit der Hochhausgruppe „Wien-Mitte“ hinter dem Wienfluss an der Landstraßer Hauptstraße/Marxergasse. Das nächste städtebauliche Desaster ist in der Gegend des neuen Wiener Zentralbahnhofs vorprogrammiert, der bekanntlich anstelle von Süd- und Ostbahnhof errichtet werden soll. Die Diagonallage des künftigen Bahnhofs zwischen Gürtel und verlängerter Prinz-Eugen-Straße, also schräg gegenüber dem Oberen Belvedere, lässt ein dreieckiges Grundstück frei, das mit elf Hochhäusern mit einer Höhe von bis zu 100 Metern besetzt werden soll. Von offizieller Seite wird proklamiert, dass alles aus der historischen Sichtachse gerückt sei. Dabei wird vergessen, dass der moderne Mensch von überallher überallhin schaut, dass dort die Anhöhe erreicht ist, auf der sich Prinz Eugen sein Schloss und seinen ansteigenden Garten errichten ließ, um „in die Stadt“ zu seinen Füßen hinunterzublicken. Die geplante Hochhausgruppe würde unweigerlich eine schwere Störung der einmaligen topografischen Situation dieses Stadtgebietes verursachen.

Das Wiener Hochhaus-Problem wird auch am „Florido Tower“ ersichtlich, der ortlos irgendwo in Floridsdorf herumsteht. Der 200 Meter hohe „Millennium Tower“ am stadtseitigen Ufer ist im Bezirk Brigittenau immerhin ansatzweise städtebaulich verankert; von Norden begrüßt er die Anreisenden, von Süden betrachtet, fährt er mit seiner ganzen Höhe in die einprägsame Silhouette von Leopoldsberg-Kahlenberg gnadenlos hinein.

Es ist bedauerlich, dass heutige Stadtplanung die wunderbare topografische Situation der Stadt Wien kaum oder gar nicht berücksichtigt. So finde ich Hochhäuser auf den Wiener Stadtbergen, Hügelzügen, Stadterhebungen (Beispiel neues AKH) falsch. Falsch am Wienerberg; falsch am Laaer Berg. Das bedeutet nicht, dass eine niedrige Bebauung diesen Höhenrücken hinunter nach Süden bis zur Stadtgrenze nicht legitim wäre, wie sie sich ja etwa bereits von Liesing bis Oberlaa erstreckt. Die wunderbare Umfassung der Stadt durch den Wienerwald, beginnend am Leopoldsberg, Kahlenberg im Norden, weitergeführt im Westen, mit der Fortsetzung im Süden, eben mit Wienerberg und Laaer Berg, verleiht der Stadt Wien ihre einmalige Einbettung in das gesamte Gebiet rechts der Donau und seine Öffnung über den Strom hinweg, südlich des Bisamberges ins flache, erhebungslose ideale Erweiterungsgebiet links der Donau, weit hinaus ins Marchfeld.

Wenden wir uns dem Donaukanal zu: Das vorausschauende Wettbewerbsprojekt von Lois Welzenbacher aus dem Jahr 1946 wollte die geschwungene Linie des (1944 durch Bombenabwürfe zerstörten) Kanals rhythmisch mit quergestellten höheren Häusern begleiten und akzentuieren. In der Bautätigkeit der Sechziger- und Siebzigerjahre wurde davon nichts aufgenommen; sperrige Bürokästen riegeln den zweiten Bezirk, die Leopoldstadt, ab; das schützenswerte Dianabad wurde vernichtet.

Erst die jüngere Zeit findet dort ein Betätigungsfeld: das Bürohaus „k47“ anstelle des „Kai-Palastes“, eines frühen Eisenbetonbaus, errichtet; das X-beinige Uniqa- Bürohaus mit der aufgerissenen Brust gegenüber der Urania; und das derzeit vor Baubeginn stehende, von Jean Nouvel geplante hohe Gebäude Ecke Taborstraße/Donaukanal. Allerdings wäre, das letzte Beispiel betreffend, das Wettbewerbsprojekt des Spaniers Rafael Moneo aus städtebaulichen Gründen vorzuziehen gewesen, weil es statt 70 Metern nur eine Höhe von 50 Metern erreicht und den anschließenden zweiten Bezirk besser „hereingeholt“ hätte.

Parallel zur Ende der Sechzigerjahre einsetzenden U-Bahn-Streckennetz-Diskussion entwickelten Hermann Czech, Hugo Potyka, Johannes Spalt und ich eine nichtamtliche U-Bahn-Netz-Studie. Dabei gingen wir von gerade verlaufenden Durchmesserlinien aus, die sich, drei an der Zahl, in der Inneren Stadt an drei Punkten kreuzen sollten: am Stephansplatz, am Albertinaplatz und an der Freyung, in Verbindung mit, wie ja verwirklicht, den Radiallinien (Zweier-Linie, heute U2), der Gürtel-Stadtbahn-Linie, der Wientallinie und der Vorortelinie aus der Otto-Wagner-Zeit.

Die Planungsgeschichte zeigt, wie richtige Ansätze mit politischen beziehungsweise stadtpolitischen Realitäten verquickt werden und wurden. So wurde die heutige Linie U1, vom Stephansplatz, Praterstraße, Praterstern nach Nordosten über die Donau ab Stephansplatz in Gegenrichtung nach Favoriten bis Reumannplatz nach Süden hin gebogen, weil dort der starke sozialistische ehemalige Arbeiterbezirk Favoriten auf eine frühe öffentliche Verkehrsanbindung pochte. „Unsere“ Linie hätte schnurgerade über die Mariahilfer Straße zum Westbahnhof weitergeführt. Aber wenn man einmal mit dem Verbiegen anfängt, ist man verurteilt weiterzubiegen. So wurde die aus dem südöstlichen Erdberg kommende heutige Linie U3 ab Stephansplatz nicht mit den nordwestlichen, sondern mit den westlichen Bezirken verbunden. „Unsere“ Erdberger Linie wäre wiederum ab Stephansplatz schnurgerade nach Währing in den Nordwesten weitergefahren.

In der ersten amtlichen Planungsphase fuhr man unter der Lindengasse am Westbahnhof glattweg vorbei. Erst nach harten Diskussionen wurde zur Mariahilfer Straße zurückgebogen und der Westbahnhof dann doch noch erreicht. Dass diese Linie später (angeblich nach einer Idee des damaligen mächtigen Finanzstadtrats Hans Mayr) weiter zum ehemaligen Arbeiterbezirk Ottakring hinübergebogen wurde, war eine weitere Konsequenz des Wiener Biegeplans.

Auch die derzeit in Bau befindliche Verlängerung der U2 (bislang am Donaukanal beim Ringturm endend) in den zweiten Bezirk mit den Stationen Taborstraße, Praterstern, Prater, Messegelände, Stadion, dann die Donau überquerend nach Stadlau und später nach Aspern in Wien-Donaustadt (ehemaliges Flugfeld, derzeitiges Hoffnungsgebiet) ergibt eine geschlängelte, gebogene Wiener Linie.

Und nun zum größten Schildbürgerstreich seit drei Jahrzehnten: Den Süd- und Ostbahnhof erreicht man mit der U-Bahn nicht. Die Linie U1, die Station Südtirolerplatz, ist viel zu weit vom Bahnhof entfernt, man müsste von dort seine Koffer eine gute Viertelstunde schleppen. Neben einigen Gürtel-Tramlinien erreicht nur die gemütliche Straßenbahnlinie D, aus der Heurigengegend Nussdorf kommend, den Bahnhof. Der D-Wagen soll auch dem neuen Zentralbahnhof weiterhin die angeheiterten Fahrgäste liefern. Dabei wäre es ein Leichtes gewesen, die U2 von der derzeitigen Wende- und Endstelle am Karlsplatz unter der Prinz-Eugen-Straße bis zum Bahnhof zu verlängern.

Schilda grüßt Wien.

Ein großes Plus gebührt hingegen der architektonischen Gestaltung der U-Bahn-Stationen. Dass Ende der Sechzigerjahre erreicht wurde, einen Architektenwettbewerb auszuloben, nachdem bereits alles in alleiniger Hand der Tiefbauer zu einer Tiefbauangelegenheit zu werden drohte, wurde den Stadtbehörden buchstäblich in letzter Minute abgerungen. Die bis heute aktive Arbeitsgruppe U-Bahn, bestehend aus den ersten und zweiten Preisträgern (Wilhelm Holzbauer, Heinz Marschalek, Georg Ladstätter, Norbert Gantar), leistete und leistet gute baulich-architektonische Arbeit. Auch spätere Stationsplaner von Teillinien (U6 nach Siebenhirten von Johann Georg Gsteu, verlängerte U2 von Paul Katzberger) setzten und setzen mit architektonischer Qualität fort. Man muss sich, um die Wichtigkeit einer derartigen Aufgabe für eine Stadt zu begreifen, nur die Stadtbahnbauten von Otto Wagner vor Augen führen, die die Physiognomie des Stadtkörpers bis heute entscheidend prägen.

Die Eingangsfrage aus dem Jahre 1966, vor 40 Jahren, ob die Kraft der Stadt ausreiche, sich in zwei Richtungen zu entwickeln, nach Süden und nach Nordosten, über die Donau, ist erstaunlicherweise durch die Realität der vergangenen Jahrzehnte nach beiden Richtungen beantwortet worden.
Die Frage, ob dadurch der Stadtorganismus einer ihm eingeschriebenen Kontinuität gefolgt ist oder ob er sich diskontinuierlich entwickelt hat, ist trotzdem zu stellen. Falsche städtebauliche Maßnahmen erzeugen oft einen „Kropf“ in der Stadt. Man kann diesen schon tragen, aber schön ist er nicht. Eine Stadt ist wie ein Lebewesen; Verwachsungen werden im Laufe der Zeit wieder ausgeglichen. Diskontinuitäten können wieder gemildert und in eine kontinuierliche Stadtentwicklung eingebunden werden.
So finde ich großmaßstäbliche hohe Bauten am Wiener Südrand - wie schon gesagt - aus städtebaulich-landschaftlich-topografischen Gründen falsch, mögen sie auch für sich genommen von guter architektonischer Qualität sein. Der Stadt sind dort Kröpfe zugewachsen.
Über die Donau, nach Nordosten hin, wo in den späten Sechzigerjahren in Floridsdorf (Großfeldsiedlung), Kagran, Stadlau bis Aspern und Essling Neubebauungen begannen, überschlugen sich später die baulichen Aktivitäten. Auf der Platte liefern sich Wiener und internationale Stararchitekten ein Kräftemessen, dass man als Zuschauer nur staunen kann.
Der Traum von einer Stadt jenseits der Donau, wofür es sich ausgezahlt hätte, die Kräfte der Stadt zu bündeln, der Traum von einem Neu-Wien erfüllte sich (bisher) nicht. Es wurde in zwei Richtungen investiert, dadurch halbierten sich die Kräfte.
Alles halb.
Dem Riesenrad fehlt, seit es nach der Beschädigung im Zweiten Weltkrieg wieder in Schwung gebracht wurde, jeder zweite Waggon. Das Riesenrad ist ein Symbol für Wien.
Alles halb.

Spectrum, So., 2006.09.10

23. Dezember 2002Friedrich Kurrent
Die Presse

An der Nabe der Stadt

Die unverantwortliche Baumasse und Höhenentwicklung des Projekts Wien-Mitte beweisen die Schwäche der derzeitigen Stadtplanung - und die Stärke der Investoren. Von besseren und schlechteren Lagen - und wie aus dem einen das andere wird. Eine Attacke.

Die unverantwortliche Baumasse und Höhenentwicklung des Projekts Wien-Mitte beweisen die Schwäche der derzeitigen Stadtplanung - und die Stärke der Investoren. Von besseren und schlechteren Lagen - und wie aus dem einen das andere wird. Eine Attacke.

Hinweis: Leider können Sie den vollständigen Artikel nicht in nextroom lesen. Sie haben jedoch die Möglichkeit, diesen im „Die Presse“ Archiv abzurufen. Vollständigen Artikel anssehen


verknüpfte Bauwerke
Urban Entertainment Center

Profil

Studierte an der Akademie der bildenden Künste (Prof. Holzmeister) in Wien. Er war Mitglied der legendären „Arbeitsgruppe 4“ (Wilhelm Holzbauer, Johannes Spalt), die u.a. die Pfarrkirche Parsch, das Seelsorgezentrum Steyr-Ennsleiten und das Kolleg St.Josef in Salzburg-Aigen realisierte. 1973-96 war er Ordinarius des Lehrstuhls für „Entwerfen, Raumgestaltung und Sakralbau“ an der TU in München. In Wien hat Kurrent 1986 ein Wohnhaus in der Nobilegasse gebaut, in Ramingstein 1991 eine Bergkapelle, in Aschheim bei München 1996 die Evangelische Kirche. Kurrent war federführend am Umbau des Alten Allgemeinen Krankenhauses in Wien beteiligt. Die Pfarrkirche in Kirchham/OÖ wurde 1998 fertiggestellt.

Publikationen

arbeitsgruppe 4, , Müry Salzmann Verlag

7 | 6 | 5 | 4 | 3 | 2 | 1