Übersicht

Texte

28. Februar 2025Achim Geissinger
db

HCC Heidelberg Congress Center

Am Heidelberger Hauptbahnhof zieht das Kongresszentrum die Blicke auf sich. Das gelingt ihm trotz der relativ niedrigen und großflächig gegliederten Kubatur durch seine Materialität. Sie strahlt Wertigkeit aus und kontrastiert in Farbe und subtiler Bearbeitung stark mit der gerasterten Umgebungsbebauung. Die Fassade aus lokalem Buntsandstein verortet das HCC klar in der Region und macht es als öffentliches Gebäude erkennbar.

Am Heidelberger Hauptbahnhof zieht das Kongresszentrum die Blicke auf sich. Das gelingt ihm trotz der relativ niedrigen und großflächig gegliederten Kubatur durch seine Materialität. Sie strahlt Wertigkeit aus und kontrastiert in Farbe und subtiler Bearbeitung stark mit der gerasterten Umgebungsbebauung. Die Fassade aus lokalem Buntsandstein verortet das HCC klar in der Region und macht es als öffentliches Gebäude erkennbar.

Das »Filetgrundstück« auf der Südseite des Heidelberger Hauptbahnhofs, jenes mit direktem Gleisanschluss, ist von einem Bankgebäude belegt. Das Kongresszentrum hingegen steht in zweiter Reihe. Bahnreisende haben zunächst die volle Länge des neuen Europaplatzes – immerhin wettergeschützt durch eine beeindruckende Kolonnade – und anschließend eine breite Straße zu überwinden, bevor sie den neuen Ort des Wissenstransfers erreichen. Die Lage bietet jedoch den Vorteil, dass der Sonderbau als eine Art Scharnier zwischen dem Südausgang des Bahnhofs und der anschließenden Bahnstadt wirken kann. Über die weitläufige Grünfläche des Zollhofgartens hinweg ergibt sich eine Sichtachse zum nächsten Sonderbau, dem Schul- und Bürgerzentrum »B³ Gadamerplatz« mit seinen rötlichen Ziegelwänden (Datscha Architekten, Stuttgart, db 9|2018, S. 62). Der farbliche Zusammenhang schafft den nötigen Wiedererkennungswert, den es unter all den neutralen, doch arg austauschbaren, Büro- und Wohnblöcken der Bahnstadt braucht.

Ebenso naheliegend wie überzeugend: die Wahl eines rötlichen Sandsteins für die Fassaden des neuen Stadtbausteins. Es handelt sich um den Neckartäler Hartsandstein, wie er schon seit 1 000 Jahren im Umland gebrochen wird und zumeist die öffentlichen Bauten von Rathaus über Heiliggeist- und Jesuitenkirche, Zeughaus, Stadthalle bis natürlich Schloss samt dortigem Besucherzentrum (2011, Max Dudler, db 4/2012, S. 28) ziert.

Für den 2017 international ausgelobten Realisierungswettbewerb entwarfen Degelo Architekten einen kompakten Baukörper, dessen monumentale Fassaden nahezu ohne Fenster auszukommen scheinen und keinen Anhaltspunkt zu Geschossanzahl oder Abmessungen geben. Zu den Nebenstraßen hin und an den Ecken folgt die Kubatur penibel den Fluchten der Nachbarbebauung und ordnet sich auch in der Höhenentwicklung dem städtebaulichen Gefüge der Bahnstadt unter. Ohne sich eines Hochpunkts bedienen zu können, gewinnt das Gebäude Präsenz und Sonderstellung allein aus Kubatur und Fassadenmaterial und lässt dem HCC mit der Erscheinung als schwer lastender Monolith die gebührende Bedeutung zukommen.

Zunächst signalisieren zwei zu den Freiräumen hin orientierte Glasfronten, jeweils drei Geschosse hoch, wo die beiden Foyers zu erwarten sind. Leicht schräg zueinander gestellte Wände und Stürze bilden dazu eine Rahmung und geben als hausgroße Willkommensgesten dem Gebäude einen gleichermaßen repräsentativen wie offenen und einladenden Charakter. Durch das Einziehen der Eingangsfronten ergeben sich schmale Vorplätze, die es für Ankunft und Sammeln braucht und die sich in anderen Entwürfen als mühsam dem Baukörper abgetrotzte Ausschnitte zeigen.

Subtil ornamentiert

Die selbsttragende Vorsatzschale aus massivem Buntsandstein ist zwischen 11,5 und 16 cm dick und mit feinen Mörtelfugen von 4 mm im Regelformat von ca. 62,5 x 25 cm bis knapp 20 m hoch gemauert, freilich durch Luftschichtanker gesichert und über den Fenster- und Türstürzen auf Konsolen gelagert. Es folgen 4 cm Hinterlüftung und 24 cm vlieskaschierte Mineralwolldämmung auf dem 30 bis 40 cm dicken Stahlbeton.

An den langen Gebäudeseiten zeigt sich eine Art Kolossalordnung, die sich aus der konkaven Eintiefung der Steine ergibt und der Fassade im Spiel von Licht- und Schatten einerseits den Eindruck von noch mehr Materialtiefe verleiht, andererseits aber auch die Strenge der Geometrie aufzulockern versteht. Analogien zu einem Theatervorhang sind zwar nicht explizit beabsichtigt, lassen sich aber besonders leicht an den Stürzen der rechteckig angeschnittenen Öffnungen für Notausgänge oder Anlieferung assoziieren.

Für die Kanneluren bediente man sich der alten Steinmetztechnik der Linienscharrierung, bei der zunächst einzelne Nuten so tief eingefräst wurden (heute freilich digital), wie es der gewünschten Krümmung entspricht, um anschließend die stehengebliebenen Stege manuell auszubrechen. Der Effekt der stark strukturierten Oberfläche liegt u. a. darin, dass die Maserung des Natursteins in den Hintergrund tritt und ein Kontrast zu den handschmeichelnd feingeschliffenen Oberflächen an den Eingangs-Nischen entsteht. Die feinen gelblichen Einschlüsse im Stein treten hier wiederum klar hervor und adeln den Ort des Eintretens.

Um die monolithische Erscheinung nicht durch banale Fenster zu stören, wurde ein Kreisformat gewählt, das überdies durch plastisch hervortretende Faschen betont wird. Auch sie sind fein geschliffen und bilden mit ihrer auf die Grate der Kanneluren auslaufenden Tropfenform ein subtiles, unverwechselbares Ornament, das den Ansichten eine weitere Ebene der Wertigkeit zukommen lässt.

Präzision in Planung und Ausführung

Florian Walter, seit 2015 Partner von Degelo Architekten, zeigt sich nachhaltig begeistert vom Können und Kooperationswillen des ausführenden Natursteinunternehmens (Bamberger Natursteinwerk Hermann Graser), das auch eine maßgeschneiderte Lösung für die Akustikrückwand des großen Saals entwickelte. Dort hat es kleine Quadratformate aus Mainsandstein kreisrund gelocht und in beneidenswerter Präzision bis unter die Saaldecke gemauert. Dahinter beeinflussen verschiedene Absorber je nach Bedarf die Nachhallzeit des beeindruckenden, großflächig mit Akustikputz versehenen Raums, der bis zu 1 800 Personen fasst.

Aber auch die Betonbauer sind zu loben. Ihnen gelangen fein geschalte Oberflächen aus Weißbeton, die zusammen mit hellen Terrazzoböden und ganz im Kontrast zum massiv gestalteten Äußeren trotz aller Schwere der Konstruktion das Gebäudeinnere überraschend hell und bisweilen wie entmaterialisiert erscheinen lassen. Die großen Spannweiten werden stützenfrei von wandartigen Trägern überbrückt. Die Breite des großen Saals von 31 m überspannen 3,3 m hohe Träger, zwischen denen die Lüftungstechnik genügend Raum findet und mit denen die ähnlich einer Kappendecke ausgebildete Unterdecke verbunden ist – allesamt in Ortbeton ausgeführt. Durch elliptische Aussparungen am seitlichen Rand des Kappengewölbes strömt natürliches Licht herab.

Insgesamt sind 2 500 m³ Weißbeton und 23 000 m³ Ortbeton unterschiedlicher Festigkeitsklassen verbaut. Ebenfalls darf man die Bauschreiner nicht vergessen: Ihre Ausbaudetails aus Ulmenholz von Handlauf über Wandbekleidung bis hin zu ausladenden Brandschutztoren erleichtern die Orientierung und lassen den hellen, wohlproportionierten Räumen durch Haptik und Farbe einen weiteren angenehmen, fast wohnlichen Aspekt zukommen.

Gold-Standard

Die Energieversorgung der beiden Säle, der neun teilweise miteinander kombinierbaren Tagungsräume, des Studios für Live-Streaming und Videoproduktion sowie der Showküche im Zwischengeschoss erfolgt über Fernwärme/-kälte und Photovoltaik. Die massiven Bauteile werden als thermische Speichermasse herangezogen, unterstützt von der weitgehend geschlossenen Fassade und vom günstigen A/V-Verhältnis. Mit den gering gehaltenen Erschließungsflächen, Nachtauskühlung, Wärmerückgewinnung, Passivhausstandard, Gründach, gesundheits- und umweltverträglichen Materialien stehen die Aussichten auf das angestrebte DGNB-Gold-Zertifikat nicht schlecht.

Den Ausgangspunkt für die Raumstruktur bildete die Notwendigkeit, maximal flexible Bespielbarkeit zu gewährleisten: für große und kleine Veranstaltungen aller Art, vom wissenschaftlichen Kongress bis zu Theater und Konzert, bei Bedarf in voneinander getrennten Bereichen, deren Wege sich durch die beiden Eingänge mit je eigenem Foyer nicht kreuzen.

Allzu gern streift man durch die weiten Flure, über die luftigen Treppen hinauf zu den Galerien, genießt den spannungsreichen Wechsel von engen und weiten, von niedrigen und sehr hohen Räumen, die empfangen, überleiten, umlenken und mit zahlreichen Blickbeziehungen überraschen. Das sieht auch die Heidelberger Bevölkerung so, die den Neubau sehr wohlwollend aufgenommen hat, auch wenn er Veranstaltungsbesucher:innen vorbehalten und nicht allgemein zugänglich ist. Schön kommt an. Und schön, darin sind sich Architekt und Bauherrschaft einig, muss nicht teurer sein als der Standard.

db, Fr., 2025.02.28



verknüpfte Zeitschriften
db 2025|03 Steinern

11. Juli 2022Achim Geissinger
db

Edles Entree

Durch Umnutzung und Aufstockung ließ sich in einem ehemaligen Verwaltungsgebäude aus den 50er Jahren innerstädtischer Wohnraum für Studierende schaffen. Als attraktive Raumkante setzt das reanimierte Haus nun den Maßstab für die weitere Entwicklung des Quartiers – nicht nur gestalterisch, sondern auch als Baustein der nachhaltigen Sanierung und Belebung des gesamten Stadtteils

Durch Umnutzung und Aufstockung ließ sich in einem ehemaligen Verwaltungsgebäude aus den 50er Jahren innerstädtischer Wohnraum für Studierende schaffen. Als attraktive Raumkante setzt das reanimierte Haus nun den Maßstab für die weitere Entwicklung des Quartiers – nicht nur gestalterisch, sondern auch als Baustein der nachhaltigen Sanierung und Belebung des gesamten Stadtteils

Darmstadt hat es im Krieg schlimm erwischt. So blieb z. B. von der westlichen Stadterweiterung aus nachnapoleonischer Zeit und dem Klassizismus des Weinbrenner-Schülers Georg Moller kaum mehr als das Straßenraster übrig. An der Stelle gepflegter Quartiere für die führende Gesellschaft der großherzoglichen Residenz stehen heute zügig hochgezogene Geschäfts- und Verwaltungsbauten, zumeist mit wenig Hang zur stadtbildenden Gestalt. Vom Hauptbahnhof in Richtung Zentrum spazierend lässt sich etwa am stark begrünten Steubenplatz wahrnehmen, wie eine städtebaulich weitgehend formlose Gewerbeansiedlung zur kompakten Blockstruktur der Mollerstadt und somit dem Beginn der eigentlichen Innenstadt wechselt. Belebter oder urbaner wird es dadurch aber nicht; der Charakter der Häuser reicht von abweisend bis verkommen, spärliches Gewerbe krallt sich an die letzten Groschen der Kundschaft, die eine Frisur, etwas Shisha-Dampf oder eine Waffe braucht.

Die Verwaltung verschließt davor keineswegs die Augen, sondern geht diesen Bereich schon seit einiger Zeit im Rahmen der Städtebauförderung als urbane Sanierungsmaßnahme an, auch energetisch. Als eine Art Glücksfall darf man es ansehen, dass die Unternehmensgruppe Krieger + Schramm in den Besitz eines prominent platzierten Verwaltungsgebäudes am Steubenplatz kam: Der aus einem Bauunternehmen hervorgegangene, inzwischen auf Wohnungsbau spezialisierte Investor wog zusammen mit dem Architekturbüro planquadrat die Optionen Neubau und Sanierung ergebnisoffen gegeneinander ab. Studentisches Wohnen stand als Nutzung mehr oder minder schon fest. Die wegen Ensembleschutz baurechtlich stark begrenzten Ausdehnungsmöglichkeiten sprachen für den Erhalt, aber auch die geeignete innere Struktur des Bestands und die Chance, so manche aktuelle Norm zu umgehen, z. B. in Bezug auf fragwürdige Stellplatzvorgaben. Dazu trat der erklärte Wille zur Nachhaltigkeit und somit zur Nutzung der bereits im Gebäude steckenden grauen Energie.

Norm versus Leichtigkeit

Ganz widerstandslos ließ sich der über die Jahre immer wieder überformte Bürozellenstapel aber nicht adaptieren. Sein Raster passte letztlich nicht exakt zu dem leicht vermarktbaren Wohnraumkonzept der Einzelapartments, die sich zwar an einem gemeinsamen Flur nebeneinander aufreihen, aber mit jeweils eigenem Bad und Kochnische autark sind. Die leichten Trennwände fielen, genauso große Teile der monoton durchfensterten Fassaden – die Bereiche um die stark vergrößerten Fenster wurden mit Hochlochziegeln neu aufgemauert, mit Stahlbeton verstärkt und die gesamten Wandflächen mit einem WDVS versehen.

Zum verkehrsbelasteten Platz hin erlaubten sich die Architekten nur wenig Plastizität, indem sie in einigen der bodentiefen Fensteröffnungen jeweils eine leicht auskragende Stahlkonstruktion einfügten, die aus den französischen Balkonen immerhin kleine Austritte macht. Diese betonen die Mitte der Gebäudeansicht und sind explizit so ausgestaltet, dass sie subtil das Bild beleben, dabei aber aus keiner Perspektive, v. a. nicht vom Gehweg aus, aufdringlich wirken oder dem Charakter der umliegenden Häuser entgegenstehen. Der private Innenhof hingegen erlaubte das Aufstellen luftiger Balkone als Stahlkonstruktionen, die genügend Tiefe für Bistro-Möblierung oder Liegestuhl bieten.

Weichen musste zum allgemeinen Bedauern auch die originale Haupttreppe in all ihrer Leichtigkeit mit bezaubernd feinem Geländer samt der zugehörigen Pfosten-Riegel-Fassade. 50er-Jahre-Eleganz und heutige Sicherheitsnormen vertragen sich einfach nicht. Den vormals frei stehenden Rundstützen kann man, wenn man es weiß, in einem halbrunden Mauerabschluss noch nachspüren. Immerhin drückte die örtliche Brandaufsicht angesichts ein paar fehlender Zentimeter bei der Flurbreite die Augen zu, denn mit zwei abgeschlossenen Treppenhäusern und nicht allzu langen Fluren sind ausreichende Fluchtmöglichkeiten vorhanden. Der neu hinzugekommene Aufzug erleichtert nicht nur den Zugang vom Hof aus zu den acht als barrierefrei ausgewiesenen Wohneinheiten im Hochparterre, sondern steigert auch den Komfort für alle übrigen Apartments bis hinauf ins neue DG. Das angedeutete Walmdach knüpft gestalterisch an das Gesamtbild der Nachbarbauten an und bietet ganz oben Fläche für extensive Begrünung.

Nachhaltig auf vielen Ebenen

Der Hof wurde nach Abbruch einer Garage entsiegelt und so weit wie möglich biodivers begrünt. Ganz autofrei ist er jedoch nicht geworden; man handelte mit der Stadt aber aus, die drei geforderten Stellplätze einem Car-Sharing-Anbieter zur Verfügung zu stellen. Die Kellerräume bieten reichlich Platz für Fahrräder samt E-Bike-Ladestationen, dazu Waschküche und Technik für die Pellet-Heizung und die Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung, die jede der 92 Wohneinheiten bedient. Für die hochwertige Ausstattung der voll‧möblierten Apartments, deren Größe zwischen 18 und 55 m² variiert, wurden schadstoffgeprüfte, vom Sentinel Haus Institut freigegebene Oberflächenmaterialien verwendet. Am Haupteingang prangt nun auch eine Plakette, mit der die Stadt das Begrünungs- und Energiekonzept würdigt.

Befand sich genau dieser Eingang bislang am Steubenplatz, so hat man ihn nun um die Ecke zur schmalen Bleichstraße verlegt, um die Loge der Heimleitung, die Briefkästen und den (bislang pandemiehalber noch arg verwaisten) Gemeinschaftsraum sinnvollerweise nahe beieinander haben zu können. Überdies bietet sich dort aber auch Potenzial für eine Art Schokoladenseite. Alle Häuser an der Nordseite des Straßenzugs sind als Kolonnade ausgebildet, die als ein Teil der städtebaulichen Gesamtanlage unter Denkmalschutz steht. Mit der Aufwertung des Eckgebäudes als Auftakt zu dieser – leider sehr verschmuddelten – Straße, die in der Verlängerung schnurstracks zum Landesmuseum und weiter zur Uni führt, lassen sich hoffentlich Begehrlichkeiten wecken und ein Impuls setzten, auch die Nachbarhäuser auf ähnlichem Niveau anzugehen. Das »Studico« setzt dabei nicht auf lautes Marktgeschrei, sondern auf subtile Qualität: austarierte Proportionen, sauber ausgeführte Details, subtile Farbabtönungen der Putzfassaden und goldene Fensterprofile, die bei jedweden Lichtverhältnissen eine sehr angenehme hell-warme Anmutung ergeben. Natürlich signalisiert diese Noblesse auch den Standard des Angebots im Innern: Die Wohnungen wurden als Anlageobjekte vermarktet; wer sich im Grunde nur eine Groß-WG leisten kann, wird hier kaum einziehen können. Dennoch ist es zu loben, wenn Investoren wirtschaftliche Wege suchen, mitten in der Stadt einmal etwas Anderes als hochpreisige Gewerbeflächen zu schaffen – und dabei auch nicht vor den Unwägbarkeiten des Umgangs mit vorhandener Bausubstanz zurückschrecken. Jemand muss den Anfang wagen, wenn der Beweis erbracht werden soll, dass es geht.

Damit dieser Startschuss etwas bewirkt, sollte die Stadt jetzt weitermachen, den Steubenplatz zum Park umgestalten, Radwege lieber mit Farbflächen als durch gelbe Kunststoffleisten markieren und überlegen, ob regengeschütztes Flanieren unter Kolonnaden nicht auch einige Meter stadteinwärts geschätzt werden könnte.

db, Mo., 2022.07.11



verknüpfte Zeitschriften
db 2022|07 Wohnbau im Bestand

08. Dezember 2020Achim Geissinger
db

Verbindungselement

Um sowohl den gestiegenen Schülerzahlen als auch den Ansprüchen eines zeitgemäßen Schulbetriebs gerecht zu werden, ordnet der Erweiterungsbau den Grundschulcampus neu. Mit präzisen Setzungen und wohlüberlegten Fügungen gelingt die Einbindung zwischen das identitätsstiftende Jahrhundertwende-Schulhaus und einen funktionalen 50er-Jahre-Bau über eine Kolonnadenarchitektur mit hochwertiger Anmutung.

Um sowohl den gestiegenen Schülerzahlen als auch den Ansprüchen eines zeitgemäßen Schulbetriebs gerecht zu werden, ordnet der Erweiterungsbau den Grundschulcampus neu. Mit präzisen Setzungen und wohlüberlegten Fügungen gelingt die Einbindung zwischen das identitätsstiftende Jahrhundertwende-Schulhaus und einen funktionalen 50er-Jahre-Bau über eine Kolonnadenarchitektur mit hochwertiger Anmutung.

Der Vorort Oßweil ist als Schlafstadt längst mit der Kreisstadt Ludwigsburg zusammengewachsen und dehnte sich jüngst auf Konversionsflächen noch weiter aus. Der daraus entstehende Druck auf die örtlichen Schulen und weiterer Bedarf an Ganztagsbetreuung erzwangen die bauliche Neuordnung der Grundschule im Ortszentrum.

Mit dem Rotstift in der Hand hätte der Gemeinderat beinahe die beiden Altbauten von 1905 und 1954 aufgegeben und es den Architekten mit der Planung eines Komplettneubaus durchaus leicht gemacht. Ein gewisses Maß an Sentimentalität bewirkte jedoch den Erhalt der Bausubstanz und verlangte den Planern bei der Konzeption eines Erweiterungsbaus ein Balance-Spiel ab, das sowohl den Ausgleich unterschiedlicher Boden- und Stockwerksniveaus als auch den dreier Bauepochen bewerkstelligt.

Strukturell und gestalterisch aufräumen

An beide recht weit voneinander abgerückte Altbauten dockt nun ein langer Gebäuderiegel an, der zur Ortsmitte hin einen neuen Eingangsbereich definiert und alle Räume aufnimmt, für die sich der Bestand nicht gut eignet – darunter die Mensa mitsamt Küche und Nebenräumen, die auch den örtlichen Vereinen als Veranstaltungsraum für bis zu 300 Personen zur Verfügung steht. Dazu kommt im OG der Ganztagesbereich mit Spielflur, dessen einzelne Räume bereits so ausgestattet sind, dass sie sich bei Bedarf auch als Klassenzimmer nutzen lassen. Abgesehen von den fensterlosen Toiletten- und Lagerräumen profitiert der Neubau von der Helligkeit und der Weite, die er aus den raumbreiten und -hohen Verglasungen schöpft. Der Blick nach Westen geht über den schmalen Pausenhof und eine grüne Geländekante hinweg hinaus auf den baumumstandenen Fußballrasen. Die ganz in Weiß gehaltenen Räume erfahren schon jetzt durch ihre Bespielung eine enorme Lebendigkeit und bedürfen der Wärme kaum, die sie aus den kräftigen Holzprofilen der Glasfassade beziehen. In den Erschließungsbereichen dominieren robuste, zur Tragstruktur gehörende Oberflächen aus Sichtbeton, naturbelassene Massivholzoberflächen, Schwarzstahl und ein oberflächenfertiger Gussasphaltboden. Es spielt sich aber keines der Materialien in den Vordergrund, vielmehr ergibt der Zusammenklang einen angenehm neutralen Hintergrund für die Ausblicke nach drei Seiten und v. a. für die Aktivitäten der Schüler.

Um die optische und haptische Erlebbarkeit des Gebäudes vor Augen zu führen, erzählt Büropartner Steffen Mayer gerne vom Grundschüler, der staunend über die brettgeschalte Betonoberfläche strich und es kaum fassen konnte, dass man ein solches Relief explizit für die Schüler hergestellt habe.

Der Clou allerdings ist die durchgehende Loggia, die gegen einigen Sparwillen durchgesetzt und auch gegen das ökologische Gewissen aus sandgestrahlten Betonfertigteilen gefügt wurde. Sie bietet tiefe Flächen für freies Spiel und vielleicht sogar Unterricht, und dazu einen gewissen Regenschutz und Verschattung. Zudem ist sie mit zwei Außentreppen, die versteckt hinter den Fassaden der Gebäudeschmalseiten liegen, in das Fluchtwegesystem eingebunden. Notfalls kann die Feuerwehr aber auch direkt vorfahren und ggf. vom teils extensiv begrünten, teils mit Solarpaneelen bestückten Dach retten, das ebenfalls zum Fluchtweg ausgebaut wurde. Die beiden Altbauten blieben so vom Anbau unschöner Außentreppen verschont.

Nach außen hin geben die ausnehmend angenehm proportionierten Kolonnaden dem Neubau die nötige Diszipliniertheit, die das Ensemble gegenüber den Grünflächen gut verträgt und gegenüber der disparaten Nachbarbebauung mit flach gelagertem Vereinsheim und burghaftem Kleinadelsschloss auch dringend braucht. Die Glas-Aluminium-Fassaden mit ihren flirrenden Spiegelungen treten als gestaltendes Element und auch als Raumbegrenzung in den Hintergrund und lassen das Gebäude im EG durch die Mensa hindurch sogar transparent erscheinen. Da beide Altbauten gestalterisch allenfalls durch ihre historischen Geländer und andere Innenraum-Details ins Gewicht fallen, müssen sie sich der Kraft des Neubaus fügen und nach der Fassadensanierung in weiß gestrichenem Putz mitspielen. Ihrer jeweiligen Eigenheit wird das kaum abträglich sein, zumal sich die inneren Strukturen kaum verändern. Am Jahrhundertwendebau lässt sich dies bereits ablesen: Seine »Feuerzangenbowle«-Anmutung wurde erhalten, eine zusätzliche Außenwanddämmung unterblieb, das Dach hingegen wurde thermisch hochwertig gedämmt. Auffallend allein der frische Anstrich und die besonders schlanken Fensterprofile der Dreifachverglasung.

Die beiden halbgeschossig und im Grundriss gegeneinander versetzten Gebäudeflügel von 1954 dienen, dank effektiver Dämmschichten und Dreifachverglasung, auch weiterhin als hauptsächlicher Klassentrakt.

Die Kleinteiligkeit der alten »Penne« von 1905 eignet sich ebenfalls für einzelne Klassen, v. a. aber für die Verwaltung und Arbeitsplätze der Lehrer und Betreuer. Dass auch hier raumhohe Türelemente Einzug halten durften, ist ein großer Gewinn, der sich gegen den Mief des letzten Jahrhunderts stellt. Ebensolche bilden die nötigen Abschlüsse zu den Treppenhäusern und leiten wie selbstverständlich über in den nächsten Trakt. Mit ihren minimalen Schattenfugen wirken sie ein wenig wie eingestellte Möbel und gleichen in gewissem Rahmen die Bautoleranzen und unvermeidliche Unebenheiten aus.

Übernimmt der Neubau die Geschosshöhen von 1905, so braucht es am Übergang zum 50er-Jahre-Gebäude kurze Rampen, um die Bodenniveaus zu erreichen, schließlich wird barrierefreie Zugänglichkeit verlangt.

Die Energiestandards durften je Gebäudeteil einzeln abgewogen werden. Die Gebäudehülle des Neubaus mit ihren thermisch entkoppelten vorgesetzten Bauteilen wurde in Anlehnung an den Passivhausstandard ausgeführt Die Wärmeenergie stammt aus dem städtischen Gas-Blockheizkraftwerk und bei Spitzenlast aus einer eigenen Gasbrennwerttherme. Die 146 PV-Module auf dem Dach liefern 43 kWp für Licht, kontrollierte Lüftung etc.

Das in Ludwigsburg ansässige und über ein Verhandlungsverfahren ins Boot geholte Büro hat mit dem kompetenten Bauherrn auf konstruktive Art so manchen Strauß ausgefochten, musste das Rad aber nicht neu erfinden: Eine ganz ähnlich geartete Bauaufgabe war bereits 2014 nicht weit entfernt am anderen Ende der Siedlung gelöst worden, wo die Schlösslesfeldschule unter einer flexibel bespielbaren Tragstruktur eine Mensa und Räume für den Ganztagesbereich bereitgestellt bekam.

Dort wie hier ist die Architektur von überlegten Fügungen, Anschlüssen und Details geprägt, die, wo nur irgend möglich, der geometrischen Wunsch-Linienführung folgen. Es gibt aber auch viele einzelne Konzessionen an Budget und Umsetzbarkeit, die letztlich vielleicht nicht ganz ein architektonisches Idealbild ergeben, aber doch zu einem Charme führen, der gleichermaßen zur Nutzung wie auch zur Wertschätzung animiert. Eine bessere Grundlage kann ein Schulgebäude kaum bieten.

db, Di., 2020.12.08



verknüpfte Zeitschriften
db 2020|12 Redaktionslieblinge

06. November 2020Achim Geissinger
db

Nahbarer Fremdkörper

Am Ludwigsburger Siedlungsrand setzen neun mit Straßen, Plätzen und rigider Rasterstruktur stark städtisch wirkende Büroblocks und Parkhäuser ein überraschend massives Zeichen. Sie sind die »Duftmarke« eines durch Fusion stetig gewachsenen Versicherungskonzerns, der sich als solider Partner präsentiert und seinen Mitarbeitern eine angenehme Umgebung bietet. Trotz enormer Massierung von Flächen und Material versteht es der Campus, mit ausnehmend angenehmen Räumen und der ständigen Präsenz der umgebenden Landschaft zu trumpfen.

Am Ludwigsburger Siedlungsrand setzen neun mit Straßen, Plätzen und rigider Rasterstruktur stark städtisch wirkende Büroblocks und Parkhäuser ein überraschend massives Zeichen. Sie sind die »Duftmarke« eines durch Fusion stetig gewachsenen Versicherungskonzerns, der sich als solider Partner präsentiert und seinen Mitarbeitern eine angenehme Umgebung bietet. Trotz enormer Massierung von Flächen und Material versteht es der Campus, mit ausnehmend angenehmen Räumen und der ständigen Präsenz der umgebenden Landschaft zu trumpfen.

Dieses Projekt wirft eine ganze Reihe von Fragen auf. Was hat eine explizit großstädtische Struktur am Ortsrand eines Mittelzentrums zu suchen? Ist sie der Vorbote endgültigen Flächenfraßes? Wie korrespondiert der Hauptsitz eines Versicherungskonzerns mit schwäbischen Streuobstwiesen? Wäre nicht eine noch stärkere Verdichtung wünschenswert gewesen – und dies vielleicht besser an ganz anderer Stelle?

Doch der Reihe nach: 1921 wurde im kleinen Ort Wüstenrot bei Heilbronn das Bausparen erfunden. Die erste Bausparkasse der Welt verlegte 1930 ihren Sitz nach Ludwigsburg und erweiterte diesen später u. a. um einen 1972-74 nach Entwürfen von Ludwig Hilmar Kresse errichteten, 72 m hohen Büroturm, der, weithin sichtbar, eine wichtige Landmarke im Norden des Großraums Stuttgart bildet.

Wie vielerorts, haben die über Jahrzehnte hinweg mehr oder minder wild wuchernden Büro-Liegenschaften ihre beste Zeit hinter sich, und der inzwischen durch mehrere Fusionen stark angewachsene Konzern sah sich zur strategischen Neuordnung seiner Standorte gezwungen. Mit der Zielrichtung, den Ludwigsburger Standort schrittweise auszubauen und einen weiteren in der Stuttgarter Innenstadt zu verkleinern, sollte ein nichtoffener Wettbewerb Klärung über die Vorgehensweise bringen. Was er tat. Die Konkurrenten, allesamt mit großen Namen, mühten sich redlich um die Anbindung des angestammten Grundstücksteils in Ludwigsburg über eine unübersichtliche Kreuzung hinweg an ein später in Besitz genommenes Areal auf der Gemarkung der Nachbargemeinde Kornwestheim. O&O Baukunst hingegen schlugen die Konzentration des gesamten Raumprogramms auf der anderen Seite der Gemeindegrenze vor und eröffneten somit ganz neue Optionen für das dann frei werdende Gelände rund um das Hochhaus. Ob dieses nun zügig abgestoßen oder im Portfolio verbleibend für andere Nutzungen ertüchtigt werden soll, wird derzeit geprüft.

Formsuche

Das Gelände zwischen Autokino und scheinbar klar abgegrenztem Siedlungsrand wirkt neben Feldern und privaten Gartengrundstücken zumindest aus der Ferne wie ein Teil eines atemspendenden Grünzugs mitten im Siedlungsbrei. Hätten darauf nicht schon unauffällige Verwaltungsbauten gestanden, wäre einem die Ansiedlung von mehreren Tausend Arbeitsplätzen an dieser Stelle ziemlich abwegig vorgekommen.

Und so wirkt auch die massive Erscheinung der Neubauten – dicht, scharfkantig, steinern und stark farbig – zunächst einmal wie ein Faustschlag. Man muss aber ehrlich bleiben und anerkennen, dass zu dieser Kulturlandschaft auch die gebaute Umwelt gehört, die bereits vor langer Zeit über die Geländekuppen hinweggeschwappt und zum Zeichen des regionalen Wohlstands geworden ist. Kein Anlass also, vor einem selbstbewussten Auftritt zurückschrecken.

Einen echten Anknüpfungspunkt an benachbarte Bebauungsformen gibt es nicht. Die meisten Wohnhäuser und Gewerbebauten in der Nähe ducken sich weg hinter dichtes Abstandsgrün und verweigern genauso wie die kleinstädtischen Strukturen der beiden Gemeinden Qualitäten, die fortzuführen sich lohnen könnte.

Einen zweiten Hochpunkt neben dem bestehenden Hochhaus wusste die Bauherrschaft, auch wegen funktionaler Aspekte, zu unterdrücken. So kam der Grundgedanke von O&O voll zum Tragen, ein städtisches Quartier zu formen, das mit den Archetypen Straße, Gasse, Block und Innenhof operiert.

Offiziell wird von einer dörflichen Struktur gesprochen, die an den Gründungsort Wüstenrot erinnern soll. Dies erscheint weit hergeholt, zumal sich die sieben Büro- und zwei Parkhäuser mit ihren Klinkerfassaden in Dimension und orthogonaler Strenge klarer für die Berliner Friedrichstraße empfehlen als für irgendeinen Ort rund um Ludwigsburg. Aber das ändert sich bereits: O&O bauen derzeit auch in Leinfelden und Stuttgart-Vaihingen ähnlich dimensionierte Städte in der Stadt, genauer: in der Gewerbeödnis, und etablieren damit ein klares Bekenntnis zu städtischer Dichte, wo bislang nur maßloser Flächenfraß zu verzeichnen war.

Den Mitarbeitern kommt dies dort wie hier insofern zugute, als ihr Arbeitsumfeld zu überschaubaren Einheiten in menschlichem Maßstab heruntergebrochen ist. In Kornwestheim basiert alles auf einem frei unterteilbaren Büromodul von 400 m², das zusammen mit einem zweiten und einem verbindenden Erschließungs- und Nebenraumblock einen L-förmigen Grundriss ergibt. Je zwei winklige Baukörper formen einen Block und umschließen einen Innenhof, darin wiederum einen rundum verglasten Tiefhof, der nach Art eines Kreuzgangs Flure aufnimmt und einzelne Seminarräume mit Tageslicht versorgt. Das Erklimmen der wenigen Geschosse erfordert nicht viel Aufwand und auch die Erschließung aller Blöcke über die »Straße«, an der alle Gebäude aufgereiht sind, erzeugt keine allzu langen Wege. Ist das Dach der Straße als Aufenthaltsraum im Freien konzipiert, so sind in die weiten Foyerflächen darunter Cafeterien als umschlossene Inseln eingestellt. Links und rechts der Erschließungsachse sind alle gemeinschaftlichen Funktionen wie Schulung und Tagung, sogar Räume für Sport und Freizeit angelagert. Schwierig, dem informellen Austausch in diesem zentralen, übersichtlichen, luftigen, von den Seiten her mit Tageslicht versorgten Bereich zu entgehen.

An allen Stellen profitieren die Nutzer von Blicken hinaus in die Landschaft mit ihren Feldern und Streuobstwiesen. Selbst in den Tiefgeschossen sind immer wieder Bezüge zum stark durchgrünten Außenraum zu erleben und bleibt die Gewissheit erhalten, jederzeit einen Austritt ins Freie zu finden.

Die Architekten betonen das große Glück, in gewisser Weise eine Idealstadt planen und bauen zu dürfen (der 2. Bauabschnitt befindet sich derzeit im Rohbau) und sich dazu einem verständigen Bauherrn gegenüberzusehen, dem Begriffe wie Wertigkeit und Qualität, aber auch Fürsorge nicht fremd sind und dessen Handeln sich nicht in Lippenbekenntnissen erschöpft. Wie in den angenehm zwischen Betonästhetik und der Wärme ausgesuchter Hölzer changierenden Innenräumen, so setzt man auch bei der äußeren Erscheinung auf den Ausdruck grundsolider, quasi klassischer, tektonischer Architektur und schwere Materialien. Die zwischen Raster- und Lochfassade unentschlossenen, dennoch sehr angenehm proportionierten Fassaden vermitteln durch ihre tiefen Laibungen eine steinerne Unerschütterlichkeit, die sich sicherlich auch dem einen oder anderen Besucher erschließt. Erkauft ist dies freilich mit einem zweischaligen Aufbau aus Betonstruktur und teils aufgemauerter, teils elementweise vorgehängter Vorsatzschale. Die warm­tonigen Klinkersteine variieren farblich stark und bilden so ein lebendiges Bild – das man sich bei den Parkhäusern in Hinblick auf das dann doch irgendwann begrenzte Budget weitgehend verkniffen und durch nahezu schwarzes Streckmetall ersetzt hat. Neben dem satten Grün in der direkten Umgebung fallen diese dunklen Flächen als Abschluss der Bebauung zum offenen Feld hin weitaus weniger ins Gewicht als die leuchtenden Flächen der Büroquader.

Nächster Schritt: Offenheit

Der Modularität des gesamten Projekts (es lassen sich theoretisch einzelne Module ausklinken und fremdvermieten) hätte prinzipiell auch eine Modulbauweise, unter Nachhaltigkeitsaspekten freilich mit Holz, entsprochen. Doch zur Wettbewerbsausschreibung Anfang 2013 war man damit weder auf Auslober- noch auf Planerseite weit gediehen. Auch in Bezug auf Dämmstandards hat sich seither doch vieles getan. Die kleine Versicherungsstadt nutzt aber Fernwärme, Bauteilaktivierung, Wärmerückgewinnung und auch die Abwärme des Rechenzentrums – mit entsprechend gewaltigen Versorgungsschächten im Untergrund und reinen Technikgeschossen als Bekrönung der Bürohäuser.

In Bezug auf Struktur, Gestaltung und Atmosphäre der Architektur kann man sich schwer einen besseren Arbeitsplatz denken. Nicht ganz entspricht dieser hohen Wertigkeit die etwas unentschlossene, fast schon ins Unaufgeräumte spielende Ausstattung der Büroeteagen. Auf jeden Fall wirkt die Verzahnung des (aus der Ferne zunächst wehrhaft erscheinenden) Campus mit seiner Umgebung so stark, dass es dringend angeraten scheint, den dunkelgrün weggestrichenen Metallzaun schleunigst zu entfernen und die üppig begrünten Freiflächen der Stadtbevölkerung zugänglich zu machen. Spätestens dann würde alle Verwunderung über das »Zubauen« der Landschaft weichen.

db, Fr., 2020.11.06



verknüpfte Zeitschriften
db 2020|11 Peripherie

06. April 2020Achim Geissinger
db

Größe im kleinen Quadrat

Ein Traum von einem Wohnungsgrundriss: kaum Erschließungsfläche, alle Wohnräume gleich groß und frei von Nutzungsvorgaben, in einem Raster, das potenziell eine unendliche Reihung zulässt. Sophie Delhay treibt den Wohnungstypus mit zentralem Essraum auf die Spitze und bietet mit durchdachten Details dort Mehrwert, wo im sozialen Wohnungsbau sonst der Rotstift herrscht.

Ein Traum von einem Wohnungsgrundriss: kaum Erschließungsfläche, alle Wohnräume gleich groß und frei von Nutzungsvorgaben, in einem Raster, das potenziell eine unendliche Reihung zulässt. Sophie Delhay treibt den Wohnungstypus mit zentralem Essraum auf die Spitze und bietet mit durchdachten Details dort Mehrwert, wo im sozialen Wohnungsbau sonst der Rotstift herrscht.

Auch in Frankreich wird der soziale Wohnungsbau eher stiefmütterlich behandelt und lohnt sich für Wohnungsbauunternehmen nur, sofern der Staat, statt selbst zu bauen, ordentliche Wohnzuschüsse zahlt. In Paris brillieren einzelne Projekte, die mit neuen Konzepten tatsächlich räum­lichen Mehrwert für die Bewohner bieten, durch eine hochwertige Gestaltung gelegentlich sogar Prestige (s. z.B. db 4/2016, S. 44), das allerdings immer nur im kleinen Rahmen mit wenigen Wohneinheiten. Das Gros der annähernd 10 Mio. Menschen, die in den sogenannten HLMs (habitation à loyer modéré) leben, hat mit planerischer und üblicher Massenware auszukommen.

Die Pariser Architektin Sophie Delhay beschäftigt sich seit einiger Zeit schon mit dem Potenzial, das verdichteten Wohnformen innewohnt und das es dringend zu nutzen gilt. Sie konnte bei ihren Projekten Bauträger wie Bewohner vom Mehrwert gemeinschaftlich genutzter Flächen im selben Maße überzeugen wie sie stringent gereihten Grundrissstrukturen räumliche Vielfalt und Nutzwert zu entlocken versteht.

Für die Planung der 40 Sozialwohnungen in Dijon adaptierte sie den altbewährten Typus der großbürgerlichen Wohnung mit mehreren ähnlich geschnittenen Zimmern, deren jeweilige Nutzung erst der Bewohner festlegt. Der Grundgedanke dabei: das gesamte Haus hierarchiefrei aus lauter gleich großen, ungerichteten Räumen ohne spezifische Nutzungszuweisung aufzubauen.

In einem Wohnungsmodul, das der gesamten Anlage zugrunde liegt, sind vier quadratische Kompartimente in den Abmessungen 3,60 x 3,60 m um eine zentrale »Halle« herum gelagert. Eines der Quadrate ist als »Außenzimmer« ausgeformt – als Terrasse oder geräumige Loggia. Ihm ist eine (ein wenig zu klein dimensionierte) Küche mit Bezug nach draußen angeschlossen. Ihr wiederum gegenüberliegend trennt der fensterlose Nassbereich zwei der nutzungsneutralen Räume voneinander. Dazwischen breitet sich die sinnvollerweise zumeist als Esszimmer genutzte Halle aus. Die Erschließungsflächen ließen sich somit minimieren und stattdessen den Wohnräumen, v.a. der Halle zuschlagen. Obwohl innenliegend erhält diese über die Loggia ausreichend Licht, was vorab in Simulationen nachgewiesen wurde. Ein besonders großzügiger Eindruck ergibt sich, sobald eine oder mehrere der Holz-Schiebetüren geöffnet werden, um nahezu raumhohe, 1,20 m breite Durchgänge zu den Zimmern freizumachen. Eine der Mieterinnen berichtet bei der Besichtigung ihrer Wohnung stolz, wie ihre Freunde sie um die großzügig wirkende Wohnung beneiden – zu Recht.

Struktur und Ausnahme

So schön der Gedanke, alles auf dem Quadrat aufzubauen, so schwierig, die beschränkten Wohnflächen und die Mindestabmessungen von Nebenräumen zusammenzubringen. Das Quadratsystem geht nicht ganz auf; die innenliegende Raumspange muss ein wenig tiefer sein. So fällt der zentrale Raum leicht längsrechteckig aus und es braucht in einigen Wohnungen mitunter halbierte Quadrate und auch Durchgangszimmer, um die gewünschte Vielfalt an Wohnungsgrößen unterzubringen, namentlich eine gute Mischung aus Ein- bis Vier-Zimmer-Wohnungen mit 32, 45, 65 und 78 m².

Bei genauerer Betrachtung der Grundrisse lässt sich schnell erkennen, wie vielfältig sich einerseits das einmal gewählte Grundraster bestücken lässt – und wie andererseits das Klötzchenspiel letztlich zur mathematischen Übung und echten Anstrengung geraten ist. Denn hinzu kommt die städtebauliche Großform, deren terrassierte Kubatur zwischen der kleinteiligen Einfamilienhäuschen-Bebauung im Süden und den im Bau befindlichen Geschosswohnungsbauten im Norden vermittelt. Die Stadt Dijon betreibt hier massiv Nachverdichtung auf frei gewordenen und freiwerdenden Flächen eines aufgelassenen Gewerbegebiets, das sich entlang einer Bahntrasse stadtauswärts zieht.

Die Abtreppung der beiden Gebäudeschenkel nimmt der Baumasse die Wucht und eröffnete die Möglichkeit, einigen Wohnungen eine Terrasse vorzuschalten. Um auch die Erschließungsflächen zu minimieren, sind einige Wohnungen in den unteren Geschossen direkt über die Loggia oder über eine Terrasse zugänglich – südländisch geprägten Bewohnern kommt dies entgegen, so mancher findet dagegen die Aufstellung von Sichtbarrieren zwingend. Die individuelle Aneignung hat bereits ihren Lauf genommen.

Bei nur wenigen Wohnungen stolpert man direkt in den Wohnbereich hinein, es gibt sogar Varianten mit veritablen Fluren. Die Bäder und WCs sind im Grunde zu groß, da ein pauschales Gesetz selbst in jenen Wohnungen rollstuhlgerechte Maße verlangt, die gar nicht barrierefrei zu erreichen sind. Der ursprünglich vorgesehene Vorraum vor dem Nassbereich ließ sich dadurch nicht umsetzen – jetzt monieren die Mieter den direkten Zugang vom Ess-Raum aus samt der akustischen Nachteile.

Nutzwert und Raumgewinn

Sehr vorteilhaft hingegen fällt die Umsetzung kluger Detailideen der Architektin aus, die sich z.B. fragte, wie der fehlende Stauraum zu kompensieren sei, und in der Folge für jedes Zimmer ein System aus Einbauschränken entlang der Außenwände durchsetzte. Auf der mit außenliegendem Sonnenschutz bestückten Hofseite ergibt sich, nach Art der Fensterbank in einer Burg, direkt am großflächigen Fenster eine Fläche zum Lümmeln, oder auch als Ablage für allerlei Nippes. Zur Straße hin bildet ein Alkoven einen quasi-urbanen Vorplatz, auf den hin die Schranktüren öffnen – und eben nicht ins Zimmer hinein, das unbeeinträchtigt und somit frei möblierbar bleibt. Die nahezu quadratischen Zimmerflächen nutzen im Übrigen viele Mieter dazu, größere Betten aufzustellen, was v.a. Jugendliche sehr zu schätzen wissen.

Ein Kasten über dem Alkoven sichert die Grundbeleuchtung – mit einem transparenten Kunststoffpaneel zum Raum hin und handgroßen kreisrunden Löchern nach unten, über die sich das Leuchtmittel leicht auswechseln lässt. Weiche, lichtdichte Vorhänge ermöglichen die völlige Verdunkelung.

Die vergleichsweise dünnen Sperrholzbretter der unterschiedlich tiefen Schränke lassen den Sparzwang erahnen; sie schließen mitunter schon nicht mehr sauber. Typisch für Frankreich: Eine Trittschalldämmung gehört nicht zum Standard; der himmelblau gewölkte PVC-Boden muss genügen.

Beitrag zum Selbstwert

Sophie Delhay mag es, in ungewöhnlichen Begriffen zu denken und zu kommunizieren, und damit den Geist zu öffnen. In Bezug auf die Einbauschrank-Alkoven etwa spricht sie von »bewohnten Fassaden«, bei einem weiteren Wohnprojekt in Dijon überhöht sie die zweigeschossigen Wohnzimmer, die sie dort dem Bauträger unter Weglassen jeglicher Oberflächenveredelung ­abtrotzte, zu »Kathedralen«. In diesen Begriffen wird die Wertschätzung deutlich, die Delhay den Bewohnern über die Angebote ihrer Architektur zukommen lassen möchte – und die durchaus wahr- und angenommen werden. Sie wirken der Stigmatisierung, der sich die typische HLM-Bewohnerschaft ausgesetzt sieht, in dem Maße entgegen, in dem der bauliche Mehrwert spürbar, nutzbar und nicht zuletzt vorzeigbar wird.

Um ihre von eingeübten Standards abweichenden Gedanken umsetzen zu können, schaltete sie der näheren Planung Workshops mit dem Bauträger vor. Die zumeist völlig unabhängig voneinander agierenden Abteilungen für Bau und Hausverwaltung lernten dabei einander und die unterschiedlichen Herangehensweisen ebenso kennen wie den allseitigen Nutzen ungewohnter Lösungen.

Am Ende konnte Delhay die Verantwortlichen von »La Quadrata« sogar von der Einrichtung ­eines Gemeinschaftsraums überzeugen, der sich, ausgestattet mit separat ­gelegener Küchenzeile und Nassraum, für allerlei Freizeitaktivitäten eignet. Die geräumige Loggia davor tritt am Hochpunkt der Anlage zwei Geschosse hoch in Erscheinung und bietet einen Ausblick auf das zukünftige Ökoquartier auf der anderen Straßenseite. Noch ist die Möglichkeit der Nutzung durch die Bewohnerschaft nicht offiziell kommuniziert – Andeutungen dazu lassen aber staunende Vorfreude aufkommen.

db, Mo., 2020.04.06



verknüpfte Zeitschriften
db 2020|04 Wohnen

09. Dezember 2019Achim Geissinger
db

Wenn, dann doch gleich richtig

Das kleine, ganz aus massiven Korkblöcken und etwas Holz errichtete Wohnhaus in der Einflugschneise des Flughafens Heathrow kommt fast ganz ohne Folien und Kleber aus. Rechnerisch ist im verwendeten Material mehr CO2 gebunden als über den gesamten Lebenszyklus des atmosphärisch gestalteten Gebäudes je abgegeben wird.

Das kleine, ganz aus massiven Korkblöcken und etwas Holz errichtete Wohnhaus in der Einflugschneise des Flughafens Heathrow kommt fast ganz ohne Folien und Kleber aus. Rechnerisch ist im verwendeten Material mehr CO2 gebunden als über den gesamten Lebenszyklus des atmosphärisch gestalteten Gebäudes je abgegeben wird.

Aus dem Unbehagen heraus, dass selbst beim Bauen mit Naturbaustoffen meist nicht ohne eine Vielzahl von Folien, Klebern, metallischen und mineralischen Bauteilen auszukommen ist, haben sich Dido Milne und ihr Partner Matthew Barnett Howland überlegt, wie der üblicherweise komplexe Schichtaufbau von Wänden und Dächern maximal zu reduzieren sei.

Ihre Erkenntnisse aus langjährigen Recherchen und der Zusammenarbeit mit verschiedenen Instituten und Firmen sind in ein Experiment im Maßstab 1:1 geflossen, das vermutlich nur zustande kommen kann, wenn wie hier Bauherr, Architekt und Bauunternehmer in Personalunion agieren: ein ganz aus Kork aufgeschichtetes, kleines Wohnhaus, dessen eigentümliche Formen Sehgewohnheiten hinterfragen und ein wenig das Klischee britischer Exzentrik bedienen.

Wunder-Material?

Die Suche nach einem Material, das Wandbaustoff, Dämmung, Fassade und innerer Raumabschluss zugleich sein kann, führte die Architekten zu Backkork – einem natürlichen, naturnah belassenen Werkstoff mit bisweilen unwahrscheinlich erscheinenden Eigenschaften, von wasserdicht und gleichzeitig diffusionsoffen, über schwer entflammbar bis hin zu schimmelresistent und insektensicher. Aus Stanzabfällen der Flaschenkorkenproduktion werden unter Einwirkung heißen Wasserdampfs Blöcke oder Platten gepresst. Dabei dehnen sich die Korkpartikel aus, was die Dämmeigenschaften optimiert. Zudem tritt Harz (Suberin) aus, das die Partikel umfließt, um sich beim Erkalten wieder zu verfestigen; künstlicher Bindemittel bedarf es somit nicht.

Mit ihren professionellen Partnern zusammen haben die Architekten Bausteine entwickelt, die sich über Nuten und Falze unverschieblich aufeinanderstapeln lassen, um daraus sowohl die Hauswände wie auch die Dächer aufzuschichten. Kaum zu glauben: Die vom Roboter akkurat gefrästen Korkblöcke (hier kam die Bartlett School of Architecture ins Spiel) sitzen ganz ohne Mörtel, Kleber oder sonstige Ausgleichsschichten aufeinander, allein durch Reibung und den Druck aus dem Eigengewicht der Konstruktion verbleiben sie an Ort und Stelle und – man staune – sind luft- und wasserdicht. Nebenbei bemerkt: Aus dem Fräsabfall wurden Briketts zum Heizen der Fräswerkstatt gepresst.

Einziger Wermutstropfen: ein 10 mm dickes selbstklebendes Komprimierband auf der wetterabgekehrten Seite, also innen, das Luftströme hemmt, sollten in den Fugen doch einmal Spalte entstehen.

Dem Bau des Hauses gingen umfangreiche Tests voraus: Zusammen mit der University of Bath und der BRE Group wurden im Labor einzelne Elemente auf Bewitterung, Dichtigkeit, Feuerbeständigkeit, Dämmeigenschaften usw. hin geprüft.

Die Statiker hatten das richtige Verhältnis zwischen Materialdichte (Tragfähigkeit) und Dämmeigenschaften (Wanddicke) und daraufhin auch das Kriechverhalten (Kommpression bei Auflast) zu berechnen.

Man ließ sich Zeit – auch um die nötigen Fördergelder anzapfen zu können – und erkundete die Eigenschaften von Material und Konstruktion über die Jahreszeiten hinweg zunächst anhand von Prototypen, die immer noch im Garten stehen und seit Jahren der Witterung trotzen. An ihnen wurde deutlich, dass ein ausgeklügeltes System aus Dränagerinnen innerhalb der Blockstruktur unbrauchbar und an den Materialeigenschaften vorbei gedacht war. Vielmehr durfte man zur Kenntnis nehmen, dass der Kork unabhängig von Fugen und Rinnen Feuchtigkeit durch Diffusion ebenso leicht wieder abgibt wie er sie bei Regen aufnimmt.

Form und Lebenszyklus

Einmal gebacken, lässt sich der Kork zwar nicht mehr neu in Form pressen, dafür aber als Granulat für diverse andere Anwendungen, v. a. im Außenbereich hernehmen. Biologisch abbaubar ist er ohnehin. Der Grundstoff, die feuerhemmende Rinde der Korkeiche, kann alle neun Jahre geerntet werden. Das regelmäßige Schälen erhöht sogar den Feuerwiderstand der Bäume durch die Bildung einer noch dickeren Korkschicht. Korkeichen binden etwa fünf mal so viel CO2 wie andere Baumarten, und der Betrieb von Korkplantagen gilt mitunter als besonders nachhaltig, weil das Entfernen von Buschwerk mögliche Brandherde eliminiert und erstaunlicherweise eine höhere Biodiversität hervorbringt.

Die 1 268 Korkblöcke, aus denen das gesamte Korkhaus besteht, sind so dimensioniert, dass sie sich leicht von einer Person bewegen lassen. Matthew Barnett Howland ist stolz, ohne Gerüst oder Hilfskonstruktion die meisten Blöcke selbst von Hand eingebaut zu haben – und alles auf demselben Wege wieder auseinandernehmen zu können.

Als Fundament dienen 14 Stahlschrauben auf der eine (korkgedämmte) Bodenplatte aus Kreuzlagenholz (Fichte) aufliegt. Darauf lagern die Korkblöcke, die es trotz Breite und präzisem Zuschnitt statisch in sich haben – um Bauchungen und Kippen zu verhindern mussten die frei stehend errichteten Wände solange mit Hölzern und Spannriemen zusammengebunden werden, bis die Stürze und Ringbalken aus acetyliertem Holz eingebaut waren und das statische System wirksam wurde.

Ihren Grundgedanken in Bezug auf nachhaltiges Bauen umschreiben die Architekten mit dem Schlagwort »form follows life-cycle«. Dabei versuchen sie, alle Aspekte von der Materialerzeugung, über das Zusammenfügen und die Nutzung bis hin zu Demontage und Wiederverwertung gedanklich zu durchdringen. Dido Milne betont dazu, dass eine Konstruktion umso nachhaltiger ausfällt, je simpler die Geometrie gehalten wird, denn mit jeder Verschneidung wächst der Bedarf an Sonderlösungen mit viel Verschnitt, weiteren Materialien und letztlich Abfall.

Daraus erklärt sich die eigentümliche Struktur des Gebäudes, das sich aus fünf, jeweils von einem Pyramidendach bekrönten Kompartimenten zusammensetzt. Die Frage, wie auch ein Dach einheitlich aus Kork, ohne separate Haut und ohne Sparren ausgeführt werden kann, führte zum uralten Prinzip des falschen Gewölbes, wie man es etwa aus Mykene oder auf den britischen Inseln von Bienenkorb-Häusern her kennt. Schicht um Schicht kragen die Korkblöcke raumwärts ein wenig aus und formen so hohe Dachräume, die dem Innern eine erstaunliche Großzügigkeit verleihen.

Wohngefühl

Das Grundstück mit einem denkmalgeschützten Mühlenhaus aus dem frühen 19. Jahrhundert, das man sich nach der Veräußerung deutlich weniger idyllisch gelegener Liegenschaften leisten konnte, bietet drei unterschiedliche Gartenbereiche. Das Korkhaus fungiert als Trennung und zugleich als Bindeglied zwischen den beiden rückwärtig gelegenen. Die erste von fünf Pyramiden überdeckt eine Art zweiseitig geöffnete Loggia, von der aus Haus und Garten zugänglich sind. Die zweite beinhaltet das Bad und darüber eine per Leiter erreichbare Ebene mit denkbar einfach gehaltenen Gästebetten.

Nummer 3 und 4 überspannen die Essküche und das Wohnzimmer. Dahinter folgt, abgetrennt, das Schlafzimmer.

Von 44 m² BGF ist die Rede. Das Haus wirkt größer. Dazu trägt sicher die Höhe der Räume bei und auch das großflächige Schiebefenster im Wohnzimmer, das den Garten von Norden her förmlich hereinholt. Es mag aber auch am dunklen Material der Wände liegen, das enorme Mengen Lichts schluckt und der Eindeutigkeit der Raumbegrenzung entgegenwirkt. Nach Süden hin gibt es kaum Öffnungen, denn man schaut nur auf eine Gartenmauer und das städtische Wasserwerk. Entsprechend staunt der Gast über den Raumeindruck, denn der ist durchaus kein düsterer. Selbst an einem wolkenverhangenen Tag erscheinen alle Gegenstände und Personen hell, sind sie doch in Zenitallicht getaucht, das aus den Oberlichtern herunterflutet – Oberlichter deren Gewicht im Übrigen bewirkt, dass die Korkschichten auch bei Sturm an Ort und Stelle verbleiben.

Hell sind auch die Böden aus aufgeschraubten, rau gesägten Eichendielen. Sie sind nicht hundertprozentig plan – die an anderen Stellen gepflegte Akkuratesse war hier nicht gewünscht, um ein Materialgefühl, die Faserigkeit des Werkstoffs, auch beim Gehen zu vermitteln. Hell auch Teile der beiden Schrankeinbauten, die als Scheiben der Queraussteifung dienen und neben Stauraum auch Platz für die Küchen- und Badarmaturen aus Messing bieten.

Vertraut wirkt die Hörsamkeit, wie in einem Blockhaus, recht ungewohnt hingegen die Mauerwerksanmutung der im Verband gesetzten Korkblöcke, deren Oberflächen auf Druck ganz leicht nachgeben.

In allen Einzelbereichen des kleinen Hauses ergibt sich ein merkwürdig zwittriger, gleichzeitig höhlig-gemütlicher aber auch offen-heller Raumeindruck, der kaum attraktiver sein könnte. … sicher nicht für jedes Gemüt geeignet, spätestens wenn der Holzofen bollert, aber behaglich und idealer Ausgangspunkt für »hyggelige« Gefühle, zumal überall der leicht rauchige, durchaus nicht aufdringliche typische Duft des gebackenen Korks präsent ist.
Das Korkhaus kann sicherlich nicht als Blaupause für flächendeckendes Bauen dienen. Als Experiment und Prototyp seiner selbst führt es aber den Beweis, dass die Kombination aus Natur-Materialien, altbewährten einfachen Konzepten und neuen Techniken zu vertretbarer Bautätigkeit führen kann.

Es gilt dranzubleiben und nach allen Richtungen zu forschen.

So bleibt abzuwarten, wie das Haus altert – voraussichtlich wird es weder Patina noch Flechten oder Moos ansetzen. Allein die Farbe kann sich unter UV-Einwirkung leicht verändern und, wenn es klappt, im selben Maße vergrauen wie die schützenden Planken aus dem Holz der Riesen-Thuja auf dem Dach.

Und es ist auch noch gar nicht geklärt, ob Dido und Matthew selbst einziehen, sobald der Hype um das Haus abgeklungen ist, oder ob doch die Mutter das Häuschen für sich allein haben darf.

db, Mo., 2019.12.09



verknüpfte Zeitschriften
db 2019|12 Redaktionslieblinge

04. April 2019Achim Geissinger
db

Zwischenstand

Das unauflösbare Spannungsfeld zwischen Altstadtflair und Outletlandschaft, zwischen Platzmangel und Verwertungsdruck wurde zum zentralen Thema des kleinen Boutique-Hotels erhoben. Die Bauformen schaffen sowohl Ausgleich als auch individuellen Ausdruck – an einem Ort, der mit vielerlei Unentschiedenheiten und Spannungen zu kämpfen hat.

Das unauflösbare Spannungsfeld zwischen Altstadtflair und Outletlandschaft, zwischen Platzmangel und Verwertungsdruck wurde zum zentralen Thema des kleinen Boutique-Hotels erhoben. Die Bauformen schaffen sowohl Ausgleich als auch individuellen Ausdruck – an einem Ort, der mit vielerlei Unentschiedenheiten und Spannungen zu kämpfen hat.

Wer will denn in Metzingen übernachten? Eine legitime Frage insofern als Metzingen, wie ungezählte andere schwäbische Klein- und Mittelstädte auch, keine wirklichen Attraktionen zu bieten hat. Zudem hat der Ort das Pech, bei jeglicher Betrachtung immer zwischen den Polen zu stehen: Zwischen Landeshauptstadt und Schwäbischer Alb gelegen darf es sich nicht mehr zur Region Stuttgart zählen, kann aber auch noch nicht mit direktem Naturerlebnis punkten. Er rangiert zwischen wirtschaftlich stark und protestantisch bescheiden, wirkt herausgeputzt, bisweilen aber auch bedauernswert banal.

Aber: Metzingen hat Tradition in der Textilfabrikation und entwickelte sich in den letzten Dekaden zu einem der bekanntesten Outletstandorte in Deutschland. Derzeit werden jährlich etwa 4 Mio. Besucher gezählt – man rechnet künftig mit 7, sobald das neue, in Bau befindliche Outletcenter des örtlichen Platzhirschs Hugo Boss eröffnet sein wird.

Die Schnäppchenjäger strömen über Tag aus allen Richtungen, reisen nach getanem Waidwerk allerdings sofort wieder ab. Für die wenigen, die dennoch ihr müdes Haupt im Ort betten wollen, v. a. aber für Mitarbeiter und Geschäftspartner der ansässigen Textil- und Maschinenbaufirmen hat der Gastronom Angelo Procopio zunächst sein Restaurant »Achtender« um sieben Fremdenzimmer erweitern lassen. Seine Geschäftsidee trug Früchte und mündete schließlich in den Bau eines kleinen Hotels garni wenige Gehminuten entfernt.

Die Bauaufgabe hatte es in sich: Das Grundstück – der rückwärtig gelegene Restflecken eines größeren Areals, das ein Outletbetreiber nur entlang der hochfrequentierten Hauptstraße bebaute – ist eigentlich zu klein und für einen klaren Baukörper zu unregelmäßig geschnitten.

Das nähere Umfeld in einer vom Trubel abgewandten Altstadtgasse will mit seiner ungleichmäßigen, in Teilen schäbigen Bebauung nicht so recht zu einem frischen Boutique-Hotel passen; die gesammelte Gegensätzlichkeit von glitzerndem Outletgetöse und hausbackenem Altstadtflair scheint unauflösbar. Doch statt in einer lauten Architekturgeste die Befreiung aus diversen Restriktionen und Spannungen zu suchen, nahm das Gespann aus Bauherr und Architekten alle Linien auf und erarbeitete einen Beitrag, der sich ebenfalls klar positioniert – aber eben: dazwischen.

Balancefindung

Der Gebäudekubatur ist schon ein wenig anzumerken, wie stark sie vom Willen zur maximalen Grundstücksausnutzung geprägt ist. Die mächtig aufragenden Dachgauben verleihen der Straßenansicht etwas Hochgeschlossenes und drängen das ortstypische Element, die geneigte Ziegeldachfläche, in den Hintergrund. Die Höhenentwicklung nagt am Ermessensspielraum des Baurechtsamts und setzt schon einmal eine Marke für zukünftige Neubauten in der Nachbarschaft.

Trotz der Baumasse und dem strengen Fassadenraster, das sich über dem schaufensterhaften EG erhebt, ergibt sich aus der Farbe der Lärchenholzläden ein auffallender Bezug zum verklinkerten Nachbargebäude aus dem 19. Jahrhundert. Die Grüntöne der Fassade erscheinen zunächst gewagt, sind aber in der Tat dem Bestand entlehnt; die überstrichenen Klinkerriemchen im EG lassen einen inzwischen verschwundenen Sockel von gegenüber farblich weiterleben.

Letztlich verweist die Farbigkeit aber auf das gastronomische Konzept des Betreibers, der mit allerlei Waldassoziationen spielt und auf sein Stammhaus »Achtender« nun diesen Ableger als »Kitz« folgen ließ.

Formal übt sich das junge Ding in Reduktion: Dachüberstände wollte man sich zugunsten der klaren Geometrie verkneifen. Die tragenden Wände über dem Ortbeton-Keller bestehen aus Hohlwandelementen, dazu Element­decken mit Aufbeton, die im Innern allesamt sichtbar belassen wurden. Ihren farblichen und konstruktiven Eigenschaften traute man in Bezug auf die ­Außenansicht dann aber doch nicht über den Weg und entschied sich für konstruktiv weniger Aufwendiges: WDVS.

Im Innern folgt die Ästhetik dem Gedanken des veredelten Rohbaus und zeugt damit von der pragmatischen Vorgehensweise der Architekten: was nicht gebraucht wird wegzulassen. In den scharfen Kontrast aus sauber gearbeiteten Holztüren und Beton-Fertigteilen lassen sich schwäbische Eigenheiten wie der Hang zum Hochwertigen bei gleichzeitiger Verweigerung von Luxus hineinlesen. Freudlos geht es gleichwohl nicht zu. Die seidigen Betonoberflächen verleiten nicht nur Architekten zum Anfassen. Ein riesenhaftes Panoramafenster im Treppenhaus holt den Himmel herein. Durch den Verzicht auf abgehängte Decken bleibt das konstruktive Raster erlebbar und im obersten Geschoss die Dachform spürbar.

Pragmatisch auch die Entscheidung, die Zimmer nicht im dunklen Lärche-Ton der bereits bestellten Türen, Fenster und Klappläden auszustatten, sondern alle Wände aus Sperrholz mit heller Birkenoberfläche zu bekleiden und lieber das Nebeneinander zweier Holzfarben auszuhalten als die ohnehin äußerst knapp bemessenen Räume in schwerer Holzoptik ertrinken zu lassen.

Die 23 Zimmer (zwei davon barrierefrei, vier davon Suiten unterm Dach mit Ausziehcouch und somit bis zu vier Schlafplätzen) haben mit ihren schallharten Oberflächen ohne Teppich oder plüschige Möbel eine eigentümliche, dabei aber keineswegs unangenehme Hörsamkeit. Zwischen Fertigteildecke und geschliffenem Zementestrich wirken sie, nicht zuletzt wegen der ausgeprägten Schattenfugen, wie in den Rohbau eingestellte Boxen – im Grunde sind sie das ja auch; alle Trenn- sind Trockenbauwände.

Viel Stauraum gibt es nicht, schmale Einbauschränke links und rechts der Bettnische müssen reichen – dazu als Kleiderhaken einzelne Holzrundstäbe in den Wänden und ein aus der Wand auszuklappendes Tischchen.

Gute Stube

Was an Platz und Aufenthaltsmöglichkeiten in den Zimmern fehlt, macht der weitläufige, über die gesamte Gebäudebreite reichende Gemeinschaftsraum im EG wett. Als Herz des Hauses vereint er die Funktionen von Rezeption, Lobby, Frühstücksbereich, Bar und Lounge. Die Innenarchitektin Monika Hesprich hat ihn mit stark farbigen Kelims und unterschiedlich hohen Tischen mehrfach in Wohn- und Essbereiche unterteilt und sich bei der Farb- und Formenauswahl subtil von Heimatklischees der 50er Jahre leiten lassen – und das Motiv der Waldidylle und Jägernostalgie glücklicherweise ebenso wenig überstrapaziert wie die Architekten.

Der deutlichste Auswuchs davon ist ein wandhohes Textilbild mit Blattwerk und Waldtieren, das Wohnzimmeratmosphäre schafft. Dazu tragen auch die voluminösen, unterschiedlich getönten Kristallgasleuchten in geometrischen Grundformen bei, deren Unregelmäßigkeiten im Material ihre handwerkliche Herstellung erkennen lassen – ein Prinzip, das sich durch das ganze Haus zieht: eine gewisse Ablesbarkeit und Wertschätzung der handwerklichen Prozesse.

Weniger deutlich fällt die Assoziationskette aus, die von den Absturzsicherungen vor den französischen Fenstern zur Badgestaltung führt: Das diagonal eingefügte Gitter lässt an den Drahtzaun eines Wildgeheges denken. Diagonal verlegt sind folglich die Akustikdämmplatten der Lobby-Untersicht, die tannengrünen Fliesen am und hinter dem Bartresen, die Badfliesen und selbst der Pflasterbelag im Außenbereich.

Die Architekten sind froh, dass verschiedene Einsparungen im Roh- und Ausbau nicht vom Bauherrn einbehalten, sondern in die Qualität der Einrichtung gesteckt wurden. Aufseiten der Technik hat man sich einiges verkniffen – so ist allein der Gemeinschaftsraum zusätzlich zur Fußbodenheizung (per Gastherme und Solarthermie) mit temperierter Belüftung ausgestattet, die Zimmerbäder werden ohne Wärmerückgewinnung entlüftet (Hersteller ästhetisch ansprechender Fensterfalzlüfter mögen sich bitte beim Architekten melden!).

Fahrt aufnehmen

Durch den stetigen Zuzug weiterer Outlets erlebt Metzingen immer wieder neue Entwicklungsschübe. Die etablierten Outletquartiere, die sich auf ehemaligen Industriearealen ausgebreitet haben, punkten inzwischen mit städtischen Plätzen und kurzen autofreien Straßenzügen. Die Stadt versucht mit einer aufgehübschten, für kleinere Läden des täglichen Bedarfs interessant gemachten Fußgängerzone, dem etwas entgegenzusetzen. Doch die parallel verlaufende Pfleghofstraße wirkt von der Hotellobby aus immer noch so, als würden abends die Bürgersteige hochgeklappt.

Es ist dem Ort nicht zu wünschen, dass seine Bebauung neue Höhenmarken erklimmt oder zum Träger architektonischer Duftmarken verkommt – was an einzelnen Stellen schon zu lautstarken Störungen im Stadtbild geführt hat. Mut machen aber ein paar wenige architektonische Glanzstücke, die mit Einfühlung und ohne Anbiederung die richtige Richtung weisen. Wenn man also Bauherren und Architekten gewinnt, die im gemeinsamen Aushandeln die örtlichen Gegebenheiten zu nutzen und zu transformieren verstehen, dann kann aus dem ärmlichen Weinbauerndorf ein schmuckes Städtchen werden. Ein kleiner Baustein dazu ist das »Kitz«, dessen Betreiber mit seinen Architekten schräg gegenüber schon das nächste Projekt plant.

db, Do., 2019.04.04



verknüpfte Zeitschriften
db 2019|04 Auf Reisen

03. Dezember 2018Achim Geissinger
db

Sicher und ausgeglichen

Das direkt am Rhein gelegene Gebäude vermindert die Ängste vor der Aufgabe der eigenen Wohnung und vor dem drohenden Autonomieverlust beim Umzug in eine Einrichtung des Betreuten Wohnens. Die gesamte Anlage hat etwas Selbstverständliches und Unaufgeregtes und bietet damit den passenden Rahmen für ein im Prinzip doch ganz normales Leben inmitten der örtlichen Strukturen.

Das direkt am Rhein gelegene Gebäude vermindert die Ängste vor der Aufgabe der eigenen Wohnung und vor dem drohenden Autonomieverlust beim Umzug in eine Einrichtung des Betreuten Wohnens. Die gesamte Anlage hat etwas Selbstverständliches und Unaufgeregtes und bietet damit den passenden Rahmen für ein im Prinzip doch ganz normales Leben inmitten der örtlichen Strukturen.

Wer Dominique Coulons kompromisslose Farb- und scharfkantige Geo­metriespiele kennt, wird in Huningue fast ein wenig enttäuscht sein. Die Seniorenresidenz fällt zwischen der in kubischer Formensprache gestalteten Kindertagesstätte »La Nef« und einer Reihe recht durchschnittlicher Doppelhäuser kaum ins Gewicht. Sie führt vor Augen, dass gute Architektur weniger von der ästhetischen Gestalt abhängt als vielmehr von den Angeboten, die sie macht.

Am Bedarf orientiert

Seit 1987 arbeitet die französische Ersatzkasse MSA am Wohnkonzept MARPA (Maisons d’Accueil et de Résidence Pour l’Autonomie), das älteren Menschen, die zu Hause nicht mehr gut zurechtkommen und vielleicht sogar zu verein­samen drohen, in Wohngemeinschaften ein angenehmes Umfeld, Versorgung und Geselligkeit bietet. Vorrangig für kleine ländliche Gemeinden gedacht, gibt es in Frankreich – neben ganz ähnlich gearteten Angeboten – inzwischen mehr als 200 dieser überschaubar großen, personell gut zu betreuenden Wohngemeinschaften, sieben Stück davon im Elsass.

In Huningue war dazu ein besonders langer Atem nötig: Bereits 1996 hatte der damalige Bürgermeister die Frage nach geeigneten Wohnformen für ­Senioren aufgeworfen. Nach langwierigen Untersuchungen zu Bedarf, Genehmigungsfähigkeit und Umsetzbarkeit, sogar nach einer Erhebung unter der örtlichen Rentnerschaft holte die genehmigende Regionalverwaltung das für die Agglomeration Saint-Louis als zweitrangig priorisierte Projekt endlich aus der Schublade und die Realisierung dieses Wohnangebots konnte beginnen.

Meins und Unseres

Die meisten MARPAs sind mit Rücksicht auf die eingeschränkte Mobilität vieler Bewohner ebenerdig angelegt. Im Grunde fühlen sich die Bewohner im OG aber wohler, weil sicherer, der Grad an Privatheit wird dort als höher eingeschätzt. In Huningue liegen auch deshalb – v. a. aber wegen der begrenzten Grundstücksfläche – die meisten der 22 Apartments in der Beletage. Zwei Einheiten sind mit je etwa 50 m² für Ehepaare gedacht, eine steht mit 32 m² je nach Sachlage zum Probewohnen oder als kurzfristige Unterkunft in Not­fällen bereit, die übrigen Single-Studios bieten auf rund 40 m² jeweils einen Wohnbereich samt Alkoven für das Bett, ein seniorengerechtes Bad und nahe der Küchenzeile einigen Stauraum in Einbauschränken.

Besonders angenehm wirkt ein Deckenversprung zwischen dem niedrigeren Eingang und dem höheren Wohnbereich, der beim Eintreten unterschwellig ein Gefühl von Großzügigkeit vermittelt. Die oft gehörte Kritik, man könne den Mietern doch keine kahlen Flächen und graue Böden zumuten, verblasst vor der Tatsache, dass eine ästhetische Vorgabe einen Eingriff in die persönliche Autonomie der Bewohner bedeuten würde. Schließlich handelt es sich um Mietwohnungen, wenn auch recht kleine, auf deren neutralem Hintergrund durch die mitgebrachten Möbel und Ausstattungsgegenstände ein individuelles Ambiente erst entstehen kann.

Die in den Fenstersturz eingelassenen Vorhangschienen werden dazu ebenso genutzt wie die Scheiben der kleinen Fensterchen, die von der Küchenzeile aus eine Sichtverbindung zu den Fluren ermöglichen. Dass deren Holzläden, wenn auch nach außen hin gut sichtbar dekoriert, zumeist verschlossen sind, zeugt von der Notwendigkeit einer klaren Trennung zwischen privatem Rückzugsraum und öffentlichen Bereichen.

Alle Wohneinheiten sind um einen zentralen Erschließungsbereich herum arrangiert, der über abwechslungsreiche Wege in intime Sackgassen und auf weite Plätze führt. Der allgegenwärtige rote Ton des pigmentierten Sichtbetons lehnt sich an den des in der Region häufig verwendeten Sandsteins an und wird als solcher erkannt und geschätzt. Angesichts der wolkigen Oberfläche und so mancher Ausbesserung wünscht man sich jedoch mehr schweizerisches Know-how im Umgang mit dem Material. Den spannungsreichen Perspektiven tut das jedoch keinen Abbruch, vielmehr sorgt die unsaubere Betonstruktur für zusätzliche Belebung des Spiels von Licht und Schatten, Geometrie und Material, ja, sie mildert sogar den Kontrast zu den stark geflammten Oberflächen der Sperrholzplatten, mit denen die Wohnungseingänge akzentuiert sind. Besonders angenehm ist der Tageslichteinfall durch Oberlichter – z. T. auch in den Studios –, durch Einschnitte in die Gebäudekubatur oder den im OG eingeklinkten, leider nicht als Aufenthaltsfläche konzipierten Lichthof. Natürlich gibt es einen geräumigen Aufzug, beliebter ist jedoch die offene Treppe, die Überblick über die Halle und eine Sitzgelegenheit auf dem Zwischenpodest bietet – beliebt selbst bei jenen, für die das Bewältigen der Stufen eine ordentliche Anstrengung bedeutet.

Hat die Eingangshalle mit ihren schallharten Oberflächen und der Achse, die von der Straße aus längs durch das Gebäude über die überdachte Terrasse hinaus bis zur gegenüberliegenden Rheinseite weist, einen klar öffentlichen Charakter, so verbreitet der angrenzende Ess- und Wohnbereich eine sehr angenehme Wohnzimmeratmosphäre. Eine zweiseitig belichtete Sequenz ineinander übergehender Raumsituationen lässt zwischen gemeinsamen Aktivitäten und teilnehmender Vereinzelung vieles zu. Hier wird bei der Zubereitung der Mahlzeiten geholfen, gegessen, debattiert, ferngesehen oder auch einfach nur im Sessel gelesen oder sich am Kachelofen aufgewärmt. Die Akustikdecke tut hier – andernorts selten genug zu erleben – ihren Dienst und sorgt für eine auffallend angenehme Hörsamkeit.

Stützend und sicher

Die Bewohner zahlen etwa 660 Euro im Monat für die Warmmiete und zusätzliche 450 Euro für die Pflege der üppigen Gemeinschaftsflächen, die Teleassistenz per Notrufarmband und für die sechs Alltagsbegleiterinnen, die Versorgung rund um die Uhr und auch einiges an unterhaltsamem Programm anbieten. Die Mahlzeiten werden nochmals gesondert abgerechnet. Schnell addieren sich die moderaten Preise zu Summen, die sich die Interessenten erst einmal leisten können müssen. Der bezugreiche Name des Hauses kommt nicht von ungefähr: »Dunette« bezeichnet auf Französisch die oberste Ebene des Achterdecks von Segelschiffen, auf der die ranghöchsten Passagiere untergebracht werden.

Man geht davon aus, dass sich die Bewohner im Grunde selbst versorgen können. Das tun sie z. T. auch, was die Anzahl der Stellplätze in der Tiefgarage erklärt: Einige erhalten sich ihre (Auto-)Mobilität und erledigen ihre Einkäufe motorisiert.

Alle profitieren von Computerkursen in einem eigens dafür eingerichteten Raum, von einer Frisierstube daneben, einem Bastelraum im UG, einem Gemüse-Garten und dem Pétanque-Feld am Eingang, das auch gerne von Senioren aus der Nachbarschaft genutzt wird. Der Standort könnte kaum besser gewählt sein: Hinten die Rheinpromenade, vorne eine der Hauptstraßen samt Bushaltestelle, keine drei Schritte entfernt von den parkartig angelegten Ufern eines Rhein-Kanals. Direkt nebenan bietet ein Seniorentreff diverse Freizeitbeschäftigungen an, und auch die frühkindliche Betreuungseinrichtung gegenüber findet immer wieder Anlass, mit den Kleinen auf einen Besuch ­herüberzukommen.

Auf konzeptioneller wie auf gestalterischer Ebene findet das Haus die Balance zwischen dem nötigen geschützten Rahmen, aber auch einer gewissen Durchlässigkeit, die Möglichkeiten eröffnet. Das Betreten des Grundstücks ist mit Rücksicht auf die Privatsphäre nicht unbedingt erwünscht, aber auch nicht explizit untersagt. Ein Bezug zum Außenraum ist von fast allen Stellen aus gewährleistet. Das äußere Erscheinungsbild hebt sich in seiner Klarheit zwar deutlich vom Umfeld ab, leitet aber mit der Ziegelfassade wie selbstverständlich von der Kindertagesstätte über zur Wohnbebauung. Das flirrende Bild der handgearbeiteten, stellenweise zu Mustern arrangierten Steine mildert die Schärfe der Kanten ab und gibt den Oberflächen eine erstaunliche Tiefe. Das Gefühl von Schwere und Festigkeit des Mauerwerks bleibt dabei erhalten.

Über die Verschwenkung der Felder neben den Fenstern kann man streiten; innerhalb der orthogonalen Fassadenstruktur wirken die Schrägen fremd und unnötig. In den Zimmern betonen sie jedoch die großzügige Festverglasung und geben dem Wohnraum Struktur. Beim Öffnen der Lüftungsflügel versperrt unerwartet ein Ziegelgitter den freien Blick; es bedient Sicherheitsaspekte von Einbrechen bis Hinausfallen. Der Querschnitt kann im Hochsommer kein Gefühl der Erfrischung mehr vermitteln, obwohl die mechanische Zwangslüftung übers Bad ausreichend dimensioniert ist. Auch ist die Brüstung zu niedrig, um auf ihr sitzen zu können – optisch hingegen ist das Maß richtig gewählt.

Als gute Wahl erscheint auch die Pelletheizung, die sowohl die Kita als auch das Wohngebäude versorgt. Die Fußbodenheizung in der Halle wird im OG und in den Wohneinheiten von Radiatoren ergänzt – ein gusseisernes Modell, das in angedeutetem Vintage-Design Bekanntes und Gewohntes anklingen lässt.
Die ersten Anzeichen fortschreitender Aneignung verträgt das Gebäude sehr gut. Einige Pflanzen haben den Weg in Flure und Hallen gefunden wie auch das eine oder andere Kunstwerk. Es gibt viel Solidarität unter den Bewohnern, man schaut nacheinander und unterstützt sich nach Kräften. So manchem hat der Einzug ins Achterdeck zu mehr Selbstständigkeit im Alltag verholfen, zu neuer Energie – Würde.

db, Mo., 2018.12.03



verknüpfte Zeitschriften
db 2018|12 Redaktionslieblinge

Alle 27 Texte ansehen

Presseschau 12

28. Februar 2025Achim Geissinger
db

HCC Heidelberg Congress Center

Am Heidelberger Hauptbahnhof zieht das Kongresszentrum die Blicke auf sich. Das gelingt ihm trotz der relativ niedrigen und großflächig gegliederten Kubatur durch seine Materialität. Sie strahlt Wertigkeit aus und kontrastiert in Farbe und subtiler Bearbeitung stark mit der gerasterten Umgebungsbebauung. Die Fassade aus lokalem Buntsandstein verortet das HCC klar in der Region und macht es als öffentliches Gebäude erkennbar.

Am Heidelberger Hauptbahnhof zieht das Kongresszentrum die Blicke auf sich. Das gelingt ihm trotz der relativ niedrigen und großflächig gegliederten Kubatur durch seine Materialität. Sie strahlt Wertigkeit aus und kontrastiert in Farbe und subtiler Bearbeitung stark mit der gerasterten Umgebungsbebauung. Die Fassade aus lokalem Buntsandstein verortet das HCC klar in der Region und macht es als öffentliches Gebäude erkennbar.

Das »Filetgrundstück« auf der Südseite des Heidelberger Hauptbahnhofs, jenes mit direktem Gleisanschluss, ist von einem Bankgebäude belegt. Das Kongresszentrum hingegen steht in zweiter Reihe. Bahnreisende haben zunächst die volle Länge des neuen Europaplatzes – immerhin wettergeschützt durch eine beeindruckende Kolonnade – und anschließend eine breite Straße zu überwinden, bevor sie den neuen Ort des Wissenstransfers erreichen. Die Lage bietet jedoch den Vorteil, dass der Sonderbau als eine Art Scharnier zwischen dem Südausgang des Bahnhofs und der anschließenden Bahnstadt wirken kann. Über die weitläufige Grünfläche des Zollhofgartens hinweg ergibt sich eine Sichtachse zum nächsten Sonderbau, dem Schul- und Bürgerzentrum »B³ Gadamerplatz« mit seinen rötlichen Ziegelwänden (Datscha Architekten, Stuttgart, db 9|2018, S. 62). Der farbliche Zusammenhang schafft den nötigen Wiedererkennungswert, den es unter all den neutralen, doch arg austauschbaren, Büro- und Wohnblöcken der Bahnstadt braucht.

Ebenso naheliegend wie überzeugend: die Wahl eines rötlichen Sandsteins für die Fassaden des neuen Stadtbausteins. Es handelt sich um den Neckartäler Hartsandstein, wie er schon seit 1 000 Jahren im Umland gebrochen wird und zumeist die öffentlichen Bauten von Rathaus über Heiliggeist- und Jesuitenkirche, Zeughaus, Stadthalle bis natürlich Schloss samt dortigem Besucherzentrum (2011, Max Dudler, db 4/2012, S. 28) ziert.

Für den 2017 international ausgelobten Realisierungswettbewerb entwarfen Degelo Architekten einen kompakten Baukörper, dessen monumentale Fassaden nahezu ohne Fenster auszukommen scheinen und keinen Anhaltspunkt zu Geschossanzahl oder Abmessungen geben. Zu den Nebenstraßen hin und an den Ecken folgt die Kubatur penibel den Fluchten der Nachbarbebauung und ordnet sich auch in der Höhenentwicklung dem städtebaulichen Gefüge der Bahnstadt unter. Ohne sich eines Hochpunkts bedienen zu können, gewinnt das Gebäude Präsenz und Sonderstellung allein aus Kubatur und Fassadenmaterial und lässt dem HCC mit der Erscheinung als schwer lastender Monolith die gebührende Bedeutung zukommen.

Zunächst signalisieren zwei zu den Freiräumen hin orientierte Glasfronten, jeweils drei Geschosse hoch, wo die beiden Foyers zu erwarten sind. Leicht schräg zueinander gestellte Wände und Stürze bilden dazu eine Rahmung und geben als hausgroße Willkommensgesten dem Gebäude einen gleichermaßen repräsentativen wie offenen und einladenden Charakter. Durch das Einziehen der Eingangsfronten ergeben sich schmale Vorplätze, die es für Ankunft und Sammeln braucht und die sich in anderen Entwürfen als mühsam dem Baukörper abgetrotzte Ausschnitte zeigen.

Subtil ornamentiert

Die selbsttragende Vorsatzschale aus massivem Buntsandstein ist zwischen 11,5 und 16 cm dick und mit feinen Mörtelfugen von 4 mm im Regelformat von ca. 62,5 x 25 cm bis knapp 20 m hoch gemauert, freilich durch Luftschichtanker gesichert und über den Fenster- und Türstürzen auf Konsolen gelagert. Es folgen 4 cm Hinterlüftung und 24 cm vlieskaschierte Mineralwolldämmung auf dem 30 bis 40 cm dicken Stahlbeton.

An den langen Gebäudeseiten zeigt sich eine Art Kolossalordnung, die sich aus der konkaven Eintiefung der Steine ergibt und der Fassade im Spiel von Licht- und Schatten einerseits den Eindruck von noch mehr Materialtiefe verleiht, andererseits aber auch die Strenge der Geometrie aufzulockern versteht. Analogien zu einem Theatervorhang sind zwar nicht explizit beabsichtigt, lassen sich aber besonders leicht an den Stürzen der rechteckig angeschnittenen Öffnungen für Notausgänge oder Anlieferung assoziieren.

Für die Kanneluren bediente man sich der alten Steinmetztechnik der Linienscharrierung, bei der zunächst einzelne Nuten so tief eingefräst wurden (heute freilich digital), wie es der gewünschten Krümmung entspricht, um anschließend die stehengebliebenen Stege manuell auszubrechen. Der Effekt der stark strukturierten Oberfläche liegt u. a. darin, dass die Maserung des Natursteins in den Hintergrund tritt und ein Kontrast zu den handschmeichelnd feingeschliffenen Oberflächen an den Eingangs-Nischen entsteht. Die feinen gelblichen Einschlüsse im Stein treten hier wiederum klar hervor und adeln den Ort des Eintretens.

Um die monolithische Erscheinung nicht durch banale Fenster zu stören, wurde ein Kreisformat gewählt, das überdies durch plastisch hervortretende Faschen betont wird. Auch sie sind fein geschliffen und bilden mit ihrer auf die Grate der Kanneluren auslaufenden Tropfenform ein subtiles, unverwechselbares Ornament, das den Ansichten eine weitere Ebene der Wertigkeit zukommen lässt.

Präzision in Planung und Ausführung

Florian Walter, seit 2015 Partner von Degelo Architekten, zeigt sich nachhaltig begeistert vom Können und Kooperationswillen des ausführenden Natursteinunternehmens (Bamberger Natursteinwerk Hermann Graser), das auch eine maßgeschneiderte Lösung für die Akustikrückwand des großen Saals entwickelte. Dort hat es kleine Quadratformate aus Mainsandstein kreisrund gelocht und in beneidenswerter Präzision bis unter die Saaldecke gemauert. Dahinter beeinflussen verschiedene Absorber je nach Bedarf die Nachhallzeit des beeindruckenden, großflächig mit Akustikputz versehenen Raums, der bis zu 1 800 Personen fasst.

Aber auch die Betonbauer sind zu loben. Ihnen gelangen fein geschalte Oberflächen aus Weißbeton, die zusammen mit hellen Terrazzoböden und ganz im Kontrast zum massiv gestalteten Äußeren trotz aller Schwere der Konstruktion das Gebäudeinnere überraschend hell und bisweilen wie entmaterialisiert erscheinen lassen. Die großen Spannweiten werden stützenfrei von wandartigen Trägern überbrückt. Die Breite des großen Saals von 31 m überspannen 3,3 m hohe Träger, zwischen denen die Lüftungstechnik genügend Raum findet und mit denen die ähnlich einer Kappendecke ausgebildete Unterdecke verbunden ist – allesamt in Ortbeton ausgeführt. Durch elliptische Aussparungen am seitlichen Rand des Kappengewölbes strömt natürliches Licht herab.

Insgesamt sind 2 500 m³ Weißbeton und 23 000 m³ Ortbeton unterschiedlicher Festigkeitsklassen verbaut. Ebenfalls darf man die Bauschreiner nicht vergessen: Ihre Ausbaudetails aus Ulmenholz von Handlauf über Wandbekleidung bis hin zu ausladenden Brandschutztoren erleichtern die Orientierung und lassen den hellen, wohlproportionierten Räumen durch Haptik und Farbe einen weiteren angenehmen, fast wohnlichen Aspekt zukommen.

Gold-Standard

Die Energieversorgung der beiden Säle, der neun teilweise miteinander kombinierbaren Tagungsräume, des Studios für Live-Streaming und Videoproduktion sowie der Showküche im Zwischengeschoss erfolgt über Fernwärme/-kälte und Photovoltaik. Die massiven Bauteile werden als thermische Speichermasse herangezogen, unterstützt von der weitgehend geschlossenen Fassade und vom günstigen A/V-Verhältnis. Mit den gering gehaltenen Erschließungsflächen, Nachtauskühlung, Wärmerückgewinnung, Passivhausstandard, Gründach, gesundheits- und umweltverträglichen Materialien stehen die Aussichten auf das angestrebte DGNB-Gold-Zertifikat nicht schlecht.

Den Ausgangspunkt für die Raumstruktur bildete die Notwendigkeit, maximal flexible Bespielbarkeit zu gewährleisten: für große und kleine Veranstaltungen aller Art, vom wissenschaftlichen Kongress bis zu Theater und Konzert, bei Bedarf in voneinander getrennten Bereichen, deren Wege sich durch die beiden Eingänge mit je eigenem Foyer nicht kreuzen.

Allzu gern streift man durch die weiten Flure, über die luftigen Treppen hinauf zu den Galerien, genießt den spannungsreichen Wechsel von engen und weiten, von niedrigen und sehr hohen Räumen, die empfangen, überleiten, umlenken und mit zahlreichen Blickbeziehungen überraschen. Das sieht auch die Heidelberger Bevölkerung so, die den Neubau sehr wohlwollend aufgenommen hat, auch wenn er Veranstaltungsbesucher:innen vorbehalten und nicht allgemein zugänglich ist. Schön kommt an. Und schön, darin sind sich Architekt und Bauherrschaft einig, muss nicht teurer sein als der Standard.

db, Fr., 2025.02.28



verknüpfte Zeitschriften
db 2025|03 Steinern

11. Juli 2022Achim Geissinger
db

Edles Entree

Durch Umnutzung und Aufstockung ließ sich in einem ehemaligen Verwaltungsgebäude aus den 50er Jahren innerstädtischer Wohnraum für Studierende schaffen. Als attraktive Raumkante setzt das reanimierte Haus nun den Maßstab für die weitere Entwicklung des Quartiers – nicht nur gestalterisch, sondern auch als Baustein der nachhaltigen Sanierung und Belebung des gesamten Stadtteils

Durch Umnutzung und Aufstockung ließ sich in einem ehemaligen Verwaltungsgebäude aus den 50er Jahren innerstädtischer Wohnraum für Studierende schaffen. Als attraktive Raumkante setzt das reanimierte Haus nun den Maßstab für die weitere Entwicklung des Quartiers – nicht nur gestalterisch, sondern auch als Baustein der nachhaltigen Sanierung und Belebung des gesamten Stadtteils

Darmstadt hat es im Krieg schlimm erwischt. So blieb z. B. von der westlichen Stadterweiterung aus nachnapoleonischer Zeit und dem Klassizismus des Weinbrenner-Schülers Georg Moller kaum mehr als das Straßenraster übrig. An der Stelle gepflegter Quartiere für die führende Gesellschaft der großherzoglichen Residenz stehen heute zügig hochgezogene Geschäfts- und Verwaltungsbauten, zumeist mit wenig Hang zur stadtbildenden Gestalt. Vom Hauptbahnhof in Richtung Zentrum spazierend lässt sich etwa am stark begrünten Steubenplatz wahrnehmen, wie eine städtebaulich weitgehend formlose Gewerbeansiedlung zur kompakten Blockstruktur der Mollerstadt und somit dem Beginn der eigentlichen Innenstadt wechselt. Belebter oder urbaner wird es dadurch aber nicht; der Charakter der Häuser reicht von abweisend bis verkommen, spärliches Gewerbe krallt sich an die letzten Groschen der Kundschaft, die eine Frisur, etwas Shisha-Dampf oder eine Waffe braucht.

Die Verwaltung verschließt davor keineswegs die Augen, sondern geht diesen Bereich schon seit einiger Zeit im Rahmen der Städtebauförderung als urbane Sanierungsmaßnahme an, auch energetisch. Als eine Art Glücksfall darf man es ansehen, dass die Unternehmensgruppe Krieger + Schramm in den Besitz eines prominent platzierten Verwaltungsgebäudes am Steubenplatz kam: Der aus einem Bauunternehmen hervorgegangene, inzwischen auf Wohnungsbau spezialisierte Investor wog zusammen mit dem Architekturbüro planquadrat die Optionen Neubau und Sanierung ergebnisoffen gegeneinander ab. Studentisches Wohnen stand als Nutzung mehr oder minder schon fest. Die wegen Ensembleschutz baurechtlich stark begrenzten Ausdehnungsmöglichkeiten sprachen für den Erhalt, aber auch die geeignete innere Struktur des Bestands und die Chance, so manche aktuelle Norm zu umgehen, z. B. in Bezug auf fragwürdige Stellplatzvorgaben. Dazu trat der erklärte Wille zur Nachhaltigkeit und somit zur Nutzung der bereits im Gebäude steckenden grauen Energie.

Norm versus Leichtigkeit

Ganz widerstandslos ließ sich der über die Jahre immer wieder überformte Bürozellenstapel aber nicht adaptieren. Sein Raster passte letztlich nicht exakt zu dem leicht vermarktbaren Wohnraumkonzept der Einzelapartments, die sich zwar an einem gemeinsamen Flur nebeneinander aufreihen, aber mit jeweils eigenem Bad und Kochnische autark sind. Die leichten Trennwände fielen, genauso große Teile der monoton durchfensterten Fassaden – die Bereiche um die stark vergrößerten Fenster wurden mit Hochlochziegeln neu aufgemauert, mit Stahlbeton verstärkt und die gesamten Wandflächen mit einem WDVS versehen.

Zum verkehrsbelasteten Platz hin erlaubten sich die Architekten nur wenig Plastizität, indem sie in einigen der bodentiefen Fensteröffnungen jeweils eine leicht auskragende Stahlkonstruktion einfügten, die aus den französischen Balkonen immerhin kleine Austritte macht. Diese betonen die Mitte der Gebäudeansicht und sind explizit so ausgestaltet, dass sie subtil das Bild beleben, dabei aber aus keiner Perspektive, v. a. nicht vom Gehweg aus, aufdringlich wirken oder dem Charakter der umliegenden Häuser entgegenstehen. Der private Innenhof hingegen erlaubte das Aufstellen luftiger Balkone als Stahlkonstruktionen, die genügend Tiefe für Bistro-Möblierung oder Liegestuhl bieten.

Weichen musste zum allgemeinen Bedauern auch die originale Haupttreppe in all ihrer Leichtigkeit mit bezaubernd feinem Geländer samt der zugehörigen Pfosten-Riegel-Fassade. 50er-Jahre-Eleganz und heutige Sicherheitsnormen vertragen sich einfach nicht. Den vormals frei stehenden Rundstützen kann man, wenn man es weiß, in einem halbrunden Mauerabschluss noch nachspüren. Immerhin drückte die örtliche Brandaufsicht angesichts ein paar fehlender Zentimeter bei der Flurbreite die Augen zu, denn mit zwei abgeschlossenen Treppenhäusern und nicht allzu langen Fluren sind ausreichende Fluchtmöglichkeiten vorhanden. Der neu hinzugekommene Aufzug erleichtert nicht nur den Zugang vom Hof aus zu den acht als barrierefrei ausgewiesenen Wohneinheiten im Hochparterre, sondern steigert auch den Komfort für alle übrigen Apartments bis hinauf ins neue DG. Das angedeutete Walmdach knüpft gestalterisch an das Gesamtbild der Nachbarbauten an und bietet ganz oben Fläche für extensive Begrünung.

Nachhaltig auf vielen Ebenen

Der Hof wurde nach Abbruch einer Garage entsiegelt und so weit wie möglich biodivers begrünt. Ganz autofrei ist er jedoch nicht geworden; man handelte mit der Stadt aber aus, die drei geforderten Stellplätze einem Car-Sharing-Anbieter zur Verfügung zu stellen. Die Kellerräume bieten reichlich Platz für Fahrräder samt E-Bike-Ladestationen, dazu Waschküche und Technik für die Pellet-Heizung und die Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung, die jede der 92 Wohneinheiten bedient. Für die hochwertige Ausstattung der voll‧möblierten Apartments, deren Größe zwischen 18 und 55 m² variiert, wurden schadstoffgeprüfte, vom Sentinel Haus Institut freigegebene Oberflächenmaterialien verwendet. Am Haupteingang prangt nun auch eine Plakette, mit der die Stadt das Begrünungs- und Energiekonzept würdigt.

Befand sich genau dieser Eingang bislang am Steubenplatz, so hat man ihn nun um die Ecke zur schmalen Bleichstraße verlegt, um die Loge der Heimleitung, die Briefkästen und den (bislang pandemiehalber noch arg verwaisten) Gemeinschaftsraum sinnvollerweise nahe beieinander haben zu können. Überdies bietet sich dort aber auch Potenzial für eine Art Schokoladenseite. Alle Häuser an der Nordseite des Straßenzugs sind als Kolonnade ausgebildet, die als ein Teil der städtebaulichen Gesamtanlage unter Denkmalschutz steht. Mit der Aufwertung des Eckgebäudes als Auftakt zu dieser – leider sehr verschmuddelten – Straße, die in der Verlängerung schnurstracks zum Landesmuseum und weiter zur Uni führt, lassen sich hoffentlich Begehrlichkeiten wecken und ein Impuls setzten, auch die Nachbarhäuser auf ähnlichem Niveau anzugehen. Das »Studico« setzt dabei nicht auf lautes Marktgeschrei, sondern auf subtile Qualität: austarierte Proportionen, sauber ausgeführte Details, subtile Farbabtönungen der Putzfassaden und goldene Fensterprofile, die bei jedweden Lichtverhältnissen eine sehr angenehme hell-warme Anmutung ergeben. Natürlich signalisiert diese Noblesse auch den Standard des Angebots im Innern: Die Wohnungen wurden als Anlageobjekte vermarktet; wer sich im Grunde nur eine Groß-WG leisten kann, wird hier kaum einziehen können. Dennoch ist es zu loben, wenn Investoren wirtschaftliche Wege suchen, mitten in der Stadt einmal etwas Anderes als hochpreisige Gewerbeflächen zu schaffen – und dabei auch nicht vor den Unwägbarkeiten des Umgangs mit vorhandener Bausubstanz zurückschrecken. Jemand muss den Anfang wagen, wenn der Beweis erbracht werden soll, dass es geht.

Damit dieser Startschuss etwas bewirkt, sollte die Stadt jetzt weitermachen, den Steubenplatz zum Park umgestalten, Radwege lieber mit Farbflächen als durch gelbe Kunststoffleisten markieren und überlegen, ob regengeschütztes Flanieren unter Kolonnaden nicht auch einige Meter stadteinwärts geschätzt werden könnte.

db, Mo., 2022.07.11



verknüpfte Zeitschriften
db 2022|07 Wohnbau im Bestand

08. Dezember 2020Achim Geissinger
db

Verbindungselement

Um sowohl den gestiegenen Schülerzahlen als auch den Ansprüchen eines zeitgemäßen Schulbetriebs gerecht zu werden, ordnet der Erweiterungsbau den Grundschulcampus neu. Mit präzisen Setzungen und wohlüberlegten Fügungen gelingt die Einbindung zwischen das identitätsstiftende Jahrhundertwende-Schulhaus und einen funktionalen 50er-Jahre-Bau über eine Kolonnadenarchitektur mit hochwertiger Anmutung.

Um sowohl den gestiegenen Schülerzahlen als auch den Ansprüchen eines zeitgemäßen Schulbetriebs gerecht zu werden, ordnet der Erweiterungsbau den Grundschulcampus neu. Mit präzisen Setzungen und wohlüberlegten Fügungen gelingt die Einbindung zwischen das identitätsstiftende Jahrhundertwende-Schulhaus und einen funktionalen 50er-Jahre-Bau über eine Kolonnadenarchitektur mit hochwertiger Anmutung.

Der Vorort Oßweil ist als Schlafstadt längst mit der Kreisstadt Ludwigsburg zusammengewachsen und dehnte sich jüngst auf Konversionsflächen noch weiter aus. Der daraus entstehende Druck auf die örtlichen Schulen und weiterer Bedarf an Ganztagsbetreuung erzwangen die bauliche Neuordnung der Grundschule im Ortszentrum.

Mit dem Rotstift in der Hand hätte der Gemeinderat beinahe die beiden Altbauten von 1905 und 1954 aufgegeben und es den Architekten mit der Planung eines Komplettneubaus durchaus leicht gemacht. Ein gewisses Maß an Sentimentalität bewirkte jedoch den Erhalt der Bausubstanz und verlangte den Planern bei der Konzeption eines Erweiterungsbaus ein Balance-Spiel ab, das sowohl den Ausgleich unterschiedlicher Boden- und Stockwerksniveaus als auch den dreier Bauepochen bewerkstelligt.

Strukturell und gestalterisch aufräumen

An beide recht weit voneinander abgerückte Altbauten dockt nun ein langer Gebäuderiegel an, der zur Ortsmitte hin einen neuen Eingangsbereich definiert und alle Räume aufnimmt, für die sich der Bestand nicht gut eignet – darunter die Mensa mitsamt Küche und Nebenräumen, die auch den örtlichen Vereinen als Veranstaltungsraum für bis zu 300 Personen zur Verfügung steht. Dazu kommt im OG der Ganztagesbereich mit Spielflur, dessen einzelne Räume bereits so ausgestattet sind, dass sie sich bei Bedarf auch als Klassenzimmer nutzen lassen. Abgesehen von den fensterlosen Toiletten- und Lagerräumen profitiert der Neubau von der Helligkeit und der Weite, die er aus den raumbreiten und -hohen Verglasungen schöpft. Der Blick nach Westen geht über den schmalen Pausenhof und eine grüne Geländekante hinweg hinaus auf den baumumstandenen Fußballrasen. Die ganz in Weiß gehaltenen Räume erfahren schon jetzt durch ihre Bespielung eine enorme Lebendigkeit und bedürfen der Wärme kaum, die sie aus den kräftigen Holzprofilen der Glasfassade beziehen. In den Erschließungsbereichen dominieren robuste, zur Tragstruktur gehörende Oberflächen aus Sichtbeton, naturbelassene Massivholzoberflächen, Schwarzstahl und ein oberflächenfertiger Gussasphaltboden. Es spielt sich aber keines der Materialien in den Vordergrund, vielmehr ergibt der Zusammenklang einen angenehm neutralen Hintergrund für die Ausblicke nach drei Seiten und v. a. für die Aktivitäten der Schüler.

Um die optische und haptische Erlebbarkeit des Gebäudes vor Augen zu führen, erzählt Büropartner Steffen Mayer gerne vom Grundschüler, der staunend über die brettgeschalte Betonoberfläche strich und es kaum fassen konnte, dass man ein solches Relief explizit für die Schüler hergestellt habe.

Der Clou allerdings ist die durchgehende Loggia, die gegen einigen Sparwillen durchgesetzt und auch gegen das ökologische Gewissen aus sandgestrahlten Betonfertigteilen gefügt wurde. Sie bietet tiefe Flächen für freies Spiel und vielleicht sogar Unterricht, und dazu einen gewissen Regenschutz und Verschattung. Zudem ist sie mit zwei Außentreppen, die versteckt hinter den Fassaden der Gebäudeschmalseiten liegen, in das Fluchtwegesystem eingebunden. Notfalls kann die Feuerwehr aber auch direkt vorfahren und ggf. vom teils extensiv begrünten, teils mit Solarpaneelen bestückten Dach retten, das ebenfalls zum Fluchtweg ausgebaut wurde. Die beiden Altbauten blieben so vom Anbau unschöner Außentreppen verschont.

Nach außen hin geben die ausnehmend angenehm proportionierten Kolonnaden dem Neubau die nötige Diszipliniertheit, die das Ensemble gegenüber den Grünflächen gut verträgt und gegenüber der disparaten Nachbarbebauung mit flach gelagertem Vereinsheim und burghaftem Kleinadelsschloss auch dringend braucht. Die Glas-Aluminium-Fassaden mit ihren flirrenden Spiegelungen treten als gestaltendes Element und auch als Raumbegrenzung in den Hintergrund und lassen das Gebäude im EG durch die Mensa hindurch sogar transparent erscheinen. Da beide Altbauten gestalterisch allenfalls durch ihre historischen Geländer und andere Innenraum-Details ins Gewicht fallen, müssen sie sich der Kraft des Neubaus fügen und nach der Fassadensanierung in weiß gestrichenem Putz mitspielen. Ihrer jeweiligen Eigenheit wird das kaum abträglich sein, zumal sich die inneren Strukturen kaum verändern. Am Jahrhundertwendebau lässt sich dies bereits ablesen: Seine »Feuerzangenbowle«-Anmutung wurde erhalten, eine zusätzliche Außenwanddämmung unterblieb, das Dach hingegen wurde thermisch hochwertig gedämmt. Auffallend allein der frische Anstrich und die besonders schlanken Fensterprofile der Dreifachverglasung.

Die beiden halbgeschossig und im Grundriss gegeneinander versetzten Gebäudeflügel von 1954 dienen, dank effektiver Dämmschichten und Dreifachverglasung, auch weiterhin als hauptsächlicher Klassentrakt.

Die Kleinteiligkeit der alten »Penne« von 1905 eignet sich ebenfalls für einzelne Klassen, v. a. aber für die Verwaltung und Arbeitsplätze der Lehrer und Betreuer. Dass auch hier raumhohe Türelemente Einzug halten durften, ist ein großer Gewinn, der sich gegen den Mief des letzten Jahrhunderts stellt. Ebensolche bilden die nötigen Abschlüsse zu den Treppenhäusern und leiten wie selbstverständlich über in den nächsten Trakt. Mit ihren minimalen Schattenfugen wirken sie ein wenig wie eingestellte Möbel und gleichen in gewissem Rahmen die Bautoleranzen und unvermeidliche Unebenheiten aus.

Übernimmt der Neubau die Geschosshöhen von 1905, so braucht es am Übergang zum 50er-Jahre-Gebäude kurze Rampen, um die Bodenniveaus zu erreichen, schließlich wird barrierefreie Zugänglichkeit verlangt.

Die Energiestandards durften je Gebäudeteil einzeln abgewogen werden. Die Gebäudehülle des Neubaus mit ihren thermisch entkoppelten vorgesetzten Bauteilen wurde in Anlehnung an den Passivhausstandard ausgeführt Die Wärmeenergie stammt aus dem städtischen Gas-Blockheizkraftwerk und bei Spitzenlast aus einer eigenen Gasbrennwerttherme. Die 146 PV-Module auf dem Dach liefern 43 kWp für Licht, kontrollierte Lüftung etc.

Das in Ludwigsburg ansässige und über ein Verhandlungsverfahren ins Boot geholte Büro hat mit dem kompetenten Bauherrn auf konstruktive Art so manchen Strauß ausgefochten, musste das Rad aber nicht neu erfinden: Eine ganz ähnlich geartete Bauaufgabe war bereits 2014 nicht weit entfernt am anderen Ende der Siedlung gelöst worden, wo die Schlösslesfeldschule unter einer flexibel bespielbaren Tragstruktur eine Mensa und Räume für den Ganztagesbereich bereitgestellt bekam.

Dort wie hier ist die Architektur von überlegten Fügungen, Anschlüssen und Details geprägt, die, wo nur irgend möglich, der geometrischen Wunsch-Linienführung folgen. Es gibt aber auch viele einzelne Konzessionen an Budget und Umsetzbarkeit, die letztlich vielleicht nicht ganz ein architektonisches Idealbild ergeben, aber doch zu einem Charme führen, der gleichermaßen zur Nutzung wie auch zur Wertschätzung animiert. Eine bessere Grundlage kann ein Schulgebäude kaum bieten.

db, Di., 2020.12.08



verknüpfte Zeitschriften
db 2020|12 Redaktionslieblinge

06. November 2020Achim Geissinger
db

Nahbarer Fremdkörper

Am Ludwigsburger Siedlungsrand setzen neun mit Straßen, Plätzen und rigider Rasterstruktur stark städtisch wirkende Büroblocks und Parkhäuser ein überraschend massives Zeichen. Sie sind die »Duftmarke« eines durch Fusion stetig gewachsenen Versicherungskonzerns, der sich als solider Partner präsentiert und seinen Mitarbeitern eine angenehme Umgebung bietet. Trotz enormer Massierung von Flächen und Material versteht es der Campus, mit ausnehmend angenehmen Räumen und der ständigen Präsenz der umgebenden Landschaft zu trumpfen.

Am Ludwigsburger Siedlungsrand setzen neun mit Straßen, Plätzen und rigider Rasterstruktur stark städtisch wirkende Büroblocks und Parkhäuser ein überraschend massives Zeichen. Sie sind die »Duftmarke« eines durch Fusion stetig gewachsenen Versicherungskonzerns, der sich als solider Partner präsentiert und seinen Mitarbeitern eine angenehme Umgebung bietet. Trotz enormer Massierung von Flächen und Material versteht es der Campus, mit ausnehmend angenehmen Räumen und der ständigen Präsenz der umgebenden Landschaft zu trumpfen.

Dieses Projekt wirft eine ganze Reihe von Fragen auf. Was hat eine explizit großstädtische Struktur am Ortsrand eines Mittelzentrums zu suchen? Ist sie der Vorbote endgültigen Flächenfraßes? Wie korrespondiert der Hauptsitz eines Versicherungskonzerns mit schwäbischen Streuobstwiesen? Wäre nicht eine noch stärkere Verdichtung wünschenswert gewesen – und dies vielleicht besser an ganz anderer Stelle?

Doch der Reihe nach: 1921 wurde im kleinen Ort Wüstenrot bei Heilbronn das Bausparen erfunden. Die erste Bausparkasse der Welt verlegte 1930 ihren Sitz nach Ludwigsburg und erweiterte diesen später u. a. um einen 1972-74 nach Entwürfen von Ludwig Hilmar Kresse errichteten, 72 m hohen Büroturm, der, weithin sichtbar, eine wichtige Landmarke im Norden des Großraums Stuttgart bildet.

Wie vielerorts, haben die über Jahrzehnte hinweg mehr oder minder wild wuchernden Büro-Liegenschaften ihre beste Zeit hinter sich, und der inzwischen durch mehrere Fusionen stark angewachsene Konzern sah sich zur strategischen Neuordnung seiner Standorte gezwungen. Mit der Zielrichtung, den Ludwigsburger Standort schrittweise auszubauen und einen weiteren in der Stuttgarter Innenstadt zu verkleinern, sollte ein nichtoffener Wettbewerb Klärung über die Vorgehensweise bringen. Was er tat. Die Konkurrenten, allesamt mit großen Namen, mühten sich redlich um die Anbindung des angestammten Grundstücksteils in Ludwigsburg über eine unübersichtliche Kreuzung hinweg an ein später in Besitz genommenes Areal auf der Gemarkung der Nachbargemeinde Kornwestheim. O&O Baukunst hingegen schlugen die Konzentration des gesamten Raumprogramms auf der anderen Seite der Gemeindegrenze vor und eröffneten somit ganz neue Optionen für das dann frei werdende Gelände rund um das Hochhaus. Ob dieses nun zügig abgestoßen oder im Portfolio verbleibend für andere Nutzungen ertüchtigt werden soll, wird derzeit geprüft.

Formsuche

Das Gelände zwischen Autokino und scheinbar klar abgegrenztem Siedlungsrand wirkt neben Feldern und privaten Gartengrundstücken zumindest aus der Ferne wie ein Teil eines atemspendenden Grünzugs mitten im Siedlungsbrei. Hätten darauf nicht schon unauffällige Verwaltungsbauten gestanden, wäre einem die Ansiedlung von mehreren Tausend Arbeitsplätzen an dieser Stelle ziemlich abwegig vorgekommen.

Und so wirkt auch die massive Erscheinung der Neubauten – dicht, scharfkantig, steinern und stark farbig – zunächst einmal wie ein Faustschlag. Man muss aber ehrlich bleiben und anerkennen, dass zu dieser Kulturlandschaft auch die gebaute Umwelt gehört, die bereits vor langer Zeit über die Geländekuppen hinweggeschwappt und zum Zeichen des regionalen Wohlstands geworden ist. Kein Anlass also, vor einem selbstbewussten Auftritt zurückschrecken.

Einen echten Anknüpfungspunkt an benachbarte Bebauungsformen gibt es nicht. Die meisten Wohnhäuser und Gewerbebauten in der Nähe ducken sich weg hinter dichtes Abstandsgrün und verweigern genauso wie die kleinstädtischen Strukturen der beiden Gemeinden Qualitäten, die fortzuführen sich lohnen könnte.

Einen zweiten Hochpunkt neben dem bestehenden Hochhaus wusste die Bauherrschaft, auch wegen funktionaler Aspekte, zu unterdrücken. So kam der Grundgedanke von O&O voll zum Tragen, ein städtisches Quartier zu formen, das mit den Archetypen Straße, Gasse, Block und Innenhof operiert.

Offiziell wird von einer dörflichen Struktur gesprochen, die an den Gründungsort Wüstenrot erinnern soll. Dies erscheint weit hergeholt, zumal sich die sieben Büro- und zwei Parkhäuser mit ihren Klinkerfassaden in Dimension und orthogonaler Strenge klarer für die Berliner Friedrichstraße empfehlen als für irgendeinen Ort rund um Ludwigsburg. Aber das ändert sich bereits: O&O bauen derzeit auch in Leinfelden und Stuttgart-Vaihingen ähnlich dimensionierte Städte in der Stadt, genauer: in der Gewerbeödnis, und etablieren damit ein klares Bekenntnis zu städtischer Dichte, wo bislang nur maßloser Flächenfraß zu verzeichnen war.

Den Mitarbeitern kommt dies dort wie hier insofern zugute, als ihr Arbeitsumfeld zu überschaubaren Einheiten in menschlichem Maßstab heruntergebrochen ist. In Kornwestheim basiert alles auf einem frei unterteilbaren Büromodul von 400 m², das zusammen mit einem zweiten und einem verbindenden Erschließungs- und Nebenraumblock einen L-förmigen Grundriss ergibt. Je zwei winklige Baukörper formen einen Block und umschließen einen Innenhof, darin wiederum einen rundum verglasten Tiefhof, der nach Art eines Kreuzgangs Flure aufnimmt und einzelne Seminarräume mit Tageslicht versorgt. Das Erklimmen der wenigen Geschosse erfordert nicht viel Aufwand und auch die Erschließung aller Blöcke über die »Straße«, an der alle Gebäude aufgereiht sind, erzeugt keine allzu langen Wege. Ist das Dach der Straße als Aufenthaltsraum im Freien konzipiert, so sind in die weiten Foyerflächen darunter Cafeterien als umschlossene Inseln eingestellt. Links und rechts der Erschließungsachse sind alle gemeinschaftlichen Funktionen wie Schulung und Tagung, sogar Räume für Sport und Freizeit angelagert. Schwierig, dem informellen Austausch in diesem zentralen, übersichtlichen, luftigen, von den Seiten her mit Tageslicht versorgten Bereich zu entgehen.

An allen Stellen profitieren die Nutzer von Blicken hinaus in die Landschaft mit ihren Feldern und Streuobstwiesen. Selbst in den Tiefgeschossen sind immer wieder Bezüge zum stark durchgrünten Außenraum zu erleben und bleibt die Gewissheit erhalten, jederzeit einen Austritt ins Freie zu finden.

Die Architekten betonen das große Glück, in gewisser Weise eine Idealstadt planen und bauen zu dürfen (der 2. Bauabschnitt befindet sich derzeit im Rohbau) und sich dazu einem verständigen Bauherrn gegenüberzusehen, dem Begriffe wie Wertigkeit und Qualität, aber auch Fürsorge nicht fremd sind und dessen Handeln sich nicht in Lippenbekenntnissen erschöpft. Wie in den angenehm zwischen Betonästhetik und der Wärme ausgesuchter Hölzer changierenden Innenräumen, so setzt man auch bei der äußeren Erscheinung auf den Ausdruck grundsolider, quasi klassischer, tektonischer Architektur und schwere Materialien. Die zwischen Raster- und Lochfassade unentschlossenen, dennoch sehr angenehm proportionierten Fassaden vermitteln durch ihre tiefen Laibungen eine steinerne Unerschütterlichkeit, die sich sicherlich auch dem einen oder anderen Besucher erschließt. Erkauft ist dies freilich mit einem zweischaligen Aufbau aus Betonstruktur und teils aufgemauerter, teils elementweise vorgehängter Vorsatzschale. Die warm­tonigen Klinkersteine variieren farblich stark und bilden so ein lebendiges Bild – das man sich bei den Parkhäusern in Hinblick auf das dann doch irgendwann begrenzte Budget weitgehend verkniffen und durch nahezu schwarzes Streckmetall ersetzt hat. Neben dem satten Grün in der direkten Umgebung fallen diese dunklen Flächen als Abschluss der Bebauung zum offenen Feld hin weitaus weniger ins Gewicht als die leuchtenden Flächen der Büroquader.

Nächster Schritt: Offenheit

Der Modularität des gesamten Projekts (es lassen sich theoretisch einzelne Module ausklinken und fremdvermieten) hätte prinzipiell auch eine Modulbauweise, unter Nachhaltigkeitsaspekten freilich mit Holz, entsprochen. Doch zur Wettbewerbsausschreibung Anfang 2013 war man damit weder auf Auslober- noch auf Planerseite weit gediehen. Auch in Bezug auf Dämmstandards hat sich seither doch vieles getan. Die kleine Versicherungsstadt nutzt aber Fernwärme, Bauteilaktivierung, Wärmerückgewinnung und auch die Abwärme des Rechenzentrums – mit entsprechend gewaltigen Versorgungsschächten im Untergrund und reinen Technikgeschossen als Bekrönung der Bürohäuser.

In Bezug auf Struktur, Gestaltung und Atmosphäre der Architektur kann man sich schwer einen besseren Arbeitsplatz denken. Nicht ganz entspricht dieser hohen Wertigkeit die etwas unentschlossene, fast schon ins Unaufgeräumte spielende Ausstattung der Büroeteagen. Auf jeden Fall wirkt die Verzahnung des (aus der Ferne zunächst wehrhaft erscheinenden) Campus mit seiner Umgebung so stark, dass es dringend angeraten scheint, den dunkelgrün weggestrichenen Metallzaun schleunigst zu entfernen und die üppig begrünten Freiflächen der Stadtbevölkerung zugänglich zu machen. Spätestens dann würde alle Verwunderung über das »Zubauen« der Landschaft weichen.

db, Fr., 2020.11.06



verknüpfte Zeitschriften
db 2020|11 Peripherie

06. April 2020Achim Geissinger
db

Größe im kleinen Quadrat

Ein Traum von einem Wohnungsgrundriss: kaum Erschließungsfläche, alle Wohnräume gleich groß und frei von Nutzungsvorgaben, in einem Raster, das potenziell eine unendliche Reihung zulässt. Sophie Delhay treibt den Wohnungstypus mit zentralem Essraum auf die Spitze und bietet mit durchdachten Details dort Mehrwert, wo im sozialen Wohnungsbau sonst der Rotstift herrscht.

Ein Traum von einem Wohnungsgrundriss: kaum Erschließungsfläche, alle Wohnräume gleich groß und frei von Nutzungsvorgaben, in einem Raster, das potenziell eine unendliche Reihung zulässt. Sophie Delhay treibt den Wohnungstypus mit zentralem Essraum auf die Spitze und bietet mit durchdachten Details dort Mehrwert, wo im sozialen Wohnungsbau sonst der Rotstift herrscht.

Auch in Frankreich wird der soziale Wohnungsbau eher stiefmütterlich behandelt und lohnt sich für Wohnungsbauunternehmen nur, sofern der Staat, statt selbst zu bauen, ordentliche Wohnzuschüsse zahlt. In Paris brillieren einzelne Projekte, die mit neuen Konzepten tatsächlich räum­lichen Mehrwert für die Bewohner bieten, durch eine hochwertige Gestaltung gelegentlich sogar Prestige (s. z.B. db 4/2016, S. 44), das allerdings immer nur im kleinen Rahmen mit wenigen Wohneinheiten. Das Gros der annähernd 10 Mio. Menschen, die in den sogenannten HLMs (habitation à loyer modéré) leben, hat mit planerischer und üblicher Massenware auszukommen.

Die Pariser Architektin Sophie Delhay beschäftigt sich seit einiger Zeit schon mit dem Potenzial, das verdichteten Wohnformen innewohnt und das es dringend zu nutzen gilt. Sie konnte bei ihren Projekten Bauträger wie Bewohner vom Mehrwert gemeinschaftlich genutzter Flächen im selben Maße überzeugen wie sie stringent gereihten Grundrissstrukturen räumliche Vielfalt und Nutzwert zu entlocken versteht.

Für die Planung der 40 Sozialwohnungen in Dijon adaptierte sie den altbewährten Typus der großbürgerlichen Wohnung mit mehreren ähnlich geschnittenen Zimmern, deren jeweilige Nutzung erst der Bewohner festlegt. Der Grundgedanke dabei: das gesamte Haus hierarchiefrei aus lauter gleich großen, ungerichteten Räumen ohne spezifische Nutzungszuweisung aufzubauen.

In einem Wohnungsmodul, das der gesamten Anlage zugrunde liegt, sind vier quadratische Kompartimente in den Abmessungen 3,60 x 3,60 m um eine zentrale »Halle« herum gelagert. Eines der Quadrate ist als »Außenzimmer« ausgeformt – als Terrasse oder geräumige Loggia. Ihm ist eine (ein wenig zu klein dimensionierte) Küche mit Bezug nach draußen angeschlossen. Ihr wiederum gegenüberliegend trennt der fensterlose Nassbereich zwei der nutzungsneutralen Räume voneinander. Dazwischen breitet sich die sinnvollerweise zumeist als Esszimmer genutzte Halle aus. Die Erschließungsflächen ließen sich somit minimieren und stattdessen den Wohnräumen, v.a. der Halle zuschlagen. Obwohl innenliegend erhält diese über die Loggia ausreichend Licht, was vorab in Simulationen nachgewiesen wurde. Ein besonders großzügiger Eindruck ergibt sich, sobald eine oder mehrere der Holz-Schiebetüren geöffnet werden, um nahezu raumhohe, 1,20 m breite Durchgänge zu den Zimmern freizumachen. Eine der Mieterinnen berichtet bei der Besichtigung ihrer Wohnung stolz, wie ihre Freunde sie um die großzügig wirkende Wohnung beneiden – zu Recht.

Struktur und Ausnahme

So schön der Gedanke, alles auf dem Quadrat aufzubauen, so schwierig, die beschränkten Wohnflächen und die Mindestabmessungen von Nebenräumen zusammenzubringen. Das Quadratsystem geht nicht ganz auf; die innenliegende Raumspange muss ein wenig tiefer sein. So fällt der zentrale Raum leicht längsrechteckig aus und es braucht in einigen Wohnungen mitunter halbierte Quadrate und auch Durchgangszimmer, um die gewünschte Vielfalt an Wohnungsgrößen unterzubringen, namentlich eine gute Mischung aus Ein- bis Vier-Zimmer-Wohnungen mit 32, 45, 65 und 78 m².

Bei genauerer Betrachtung der Grundrisse lässt sich schnell erkennen, wie vielfältig sich einerseits das einmal gewählte Grundraster bestücken lässt – und wie andererseits das Klötzchenspiel letztlich zur mathematischen Übung und echten Anstrengung geraten ist. Denn hinzu kommt die städtebauliche Großform, deren terrassierte Kubatur zwischen der kleinteiligen Einfamilienhäuschen-Bebauung im Süden und den im Bau befindlichen Geschosswohnungsbauten im Norden vermittelt. Die Stadt Dijon betreibt hier massiv Nachverdichtung auf frei gewordenen und freiwerdenden Flächen eines aufgelassenen Gewerbegebiets, das sich entlang einer Bahntrasse stadtauswärts zieht.

Die Abtreppung der beiden Gebäudeschenkel nimmt der Baumasse die Wucht und eröffnete die Möglichkeit, einigen Wohnungen eine Terrasse vorzuschalten. Um auch die Erschließungsflächen zu minimieren, sind einige Wohnungen in den unteren Geschossen direkt über die Loggia oder über eine Terrasse zugänglich – südländisch geprägten Bewohnern kommt dies entgegen, so mancher findet dagegen die Aufstellung von Sichtbarrieren zwingend. Die individuelle Aneignung hat bereits ihren Lauf genommen.

Bei nur wenigen Wohnungen stolpert man direkt in den Wohnbereich hinein, es gibt sogar Varianten mit veritablen Fluren. Die Bäder und WCs sind im Grunde zu groß, da ein pauschales Gesetz selbst in jenen Wohnungen rollstuhlgerechte Maße verlangt, die gar nicht barrierefrei zu erreichen sind. Der ursprünglich vorgesehene Vorraum vor dem Nassbereich ließ sich dadurch nicht umsetzen – jetzt monieren die Mieter den direkten Zugang vom Ess-Raum aus samt der akustischen Nachteile.

Nutzwert und Raumgewinn

Sehr vorteilhaft hingegen fällt die Umsetzung kluger Detailideen der Architektin aus, die sich z.B. fragte, wie der fehlende Stauraum zu kompensieren sei, und in der Folge für jedes Zimmer ein System aus Einbauschränken entlang der Außenwände durchsetzte. Auf der mit außenliegendem Sonnenschutz bestückten Hofseite ergibt sich, nach Art der Fensterbank in einer Burg, direkt am großflächigen Fenster eine Fläche zum Lümmeln, oder auch als Ablage für allerlei Nippes. Zur Straße hin bildet ein Alkoven einen quasi-urbanen Vorplatz, auf den hin die Schranktüren öffnen – und eben nicht ins Zimmer hinein, das unbeeinträchtigt und somit frei möblierbar bleibt. Die nahezu quadratischen Zimmerflächen nutzen im Übrigen viele Mieter dazu, größere Betten aufzustellen, was v.a. Jugendliche sehr zu schätzen wissen.

Ein Kasten über dem Alkoven sichert die Grundbeleuchtung – mit einem transparenten Kunststoffpaneel zum Raum hin und handgroßen kreisrunden Löchern nach unten, über die sich das Leuchtmittel leicht auswechseln lässt. Weiche, lichtdichte Vorhänge ermöglichen die völlige Verdunkelung.

Die vergleichsweise dünnen Sperrholzbretter der unterschiedlich tiefen Schränke lassen den Sparzwang erahnen; sie schließen mitunter schon nicht mehr sauber. Typisch für Frankreich: Eine Trittschalldämmung gehört nicht zum Standard; der himmelblau gewölkte PVC-Boden muss genügen.

Beitrag zum Selbstwert

Sophie Delhay mag es, in ungewöhnlichen Begriffen zu denken und zu kommunizieren, und damit den Geist zu öffnen. In Bezug auf die Einbauschrank-Alkoven etwa spricht sie von »bewohnten Fassaden«, bei einem weiteren Wohnprojekt in Dijon überhöht sie die zweigeschossigen Wohnzimmer, die sie dort dem Bauträger unter Weglassen jeglicher Oberflächenveredelung ­abtrotzte, zu »Kathedralen«. In diesen Begriffen wird die Wertschätzung deutlich, die Delhay den Bewohnern über die Angebote ihrer Architektur zukommen lassen möchte – und die durchaus wahr- und angenommen werden. Sie wirken der Stigmatisierung, der sich die typische HLM-Bewohnerschaft ausgesetzt sieht, in dem Maße entgegen, in dem der bauliche Mehrwert spürbar, nutzbar und nicht zuletzt vorzeigbar wird.

Um ihre von eingeübten Standards abweichenden Gedanken umsetzen zu können, schaltete sie der näheren Planung Workshops mit dem Bauträger vor. Die zumeist völlig unabhängig voneinander agierenden Abteilungen für Bau und Hausverwaltung lernten dabei einander und die unterschiedlichen Herangehensweisen ebenso kennen wie den allseitigen Nutzen ungewohnter Lösungen.

Am Ende konnte Delhay die Verantwortlichen von »La Quadrata« sogar von der Einrichtung ­eines Gemeinschaftsraums überzeugen, der sich, ausgestattet mit separat ­gelegener Küchenzeile und Nassraum, für allerlei Freizeitaktivitäten eignet. Die geräumige Loggia davor tritt am Hochpunkt der Anlage zwei Geschosse hoch in Erscheinung und bietet einen Ausblick auf das zukünftige Ökoquartier auf der anderen Straßenseite. Noch ist die Möglichkeit der Nutzung durch die Bewohnerschaft nicht offiziell kommuniziert – Andeutungen dazu lassen aber staunende Vorfreude aufkommen.

db, Mo., 2020.04.06



verknüpfte Zeitschriften
db 2020|04 Wohnen

09. Dezember 2019Achim Geissinger
db

Wenn, dann doch gleich richtig

Das kleine, ganz aus massiven Korkblöcken und etwas Holz errichtete Wohnhaus in der Einflugschneise des Flughafens Heathrow kommt fast ganz ohne Folien und Kleber aus. Rechnerisch ist im verwendeten Material mehr CO2 gebunden als über den gesamten Lebenszyklus des atmosphärisch gestalteten Gebäudes je abgegeben wird.

Das kleine, ganz aus massiven Korkblöcken und etwas Holz errichtete Wohnhaus in der Einflugschneise des Flughafens Heathrow kommt fast ganz ohne Folien und Kleber aus. Rechnerisch ist im verwendeten Material mehr CO2 gebunden als über den gesamten Lebenszyklus des atmosphärisch gestalteten Gebäudes je abgegeben wird.

Aus dem Unbehagen heraus, dass selbst beim Bauen mit Naturbaustoffen meist nicht ohne eine Vielzahl von Folien, Klebern, metallischen und mineralischen Bauteilen auszukommen ist, haben sich Dido Milne und ihr Partner Matthew Barnett Howland überlegt, wie der üblicherweise komplexe Schichtaufbau von Wänden und Dächern maximal zu reduzieren sei.

Ihre Erkenntnisse aus langjährigen Recherchen und der Zusammenarbeit mit verschiedenen Instituten und Firmen sind in ein Experiment im Maßstab 1:1 geflossen, das vermutlich nur zustande kommen kann, wenn wie hier Bauherr, Architekt und Bauunternehmer in Personalunion agieren: ein ganz aus Kork aufgeschichtetes, kleines Wohnhaus, dessen eigentümliche Formen Sehgewohnheiten hinterfragen und ein wenig das Klischee britischer Exzentrik bedienen.

Wunder-Material?

Die Suche nach einem Material, das Wandbaustoff, Dämmung, Fassade und innerer Raumabschluss zugleich sein kann, führte die Architekten zu Backkork – einem natürlichen, naturnah belassenen Werkstoff mit bisweilen unwahrscheinlich erscheinenden Eigenschaften, von wasserdicht und gleichzeitig diffusionsoffen, über schwer entflammbar bis hin zu schimmelresistent und insektensicher. Aus Stanzabfällen der Flaschenkorkenproduktion werden unter Einwirkung heißen Wasserdampfs Blöcke oder Platten gepresst. Dabei dehnen sich die Korkpartikel aus, was die Dämmeigenschaften optimiert. Zudem tritt Harz (Suberin) aus, das die Partikel umfließt, um sich beim Erkalten wieder zu verfestigen; künstlicher Bindemittel bedarf es somit nicht.

Mit ihren professionellen Partnern zusammen haben die Architekten Bausteine entwickelt, die sich über Nuten und Falze unverschieblich aufeinanderstapeln lassen, um daraus sowohl die Hauswände wie auch die Dächer aufzuschichten. Kaum zu glauben: Die vom Roboter akkurat gefrästen Korkblöcke (hier kam die Bartlett School of Architecture ins Spiel) sitzen ganz ohne Mörtel, Kleber oder sonstige Ausgleichsschichten aufeinander, allein durch Reibung und den Druck aus dem Eigengewicht der Konstruktion verbleiben sie an Ort und Stelle und – man staune – sind luft- und wasserdicht. Nebenbei bemerkt: Aus dem Fräsabfall wurden Briketts zum Heizen der Fräswerkstatt gepresst.

Einziger Wermutstropfen: ein 10 mm dickes selbstklebendes Komprimierband auf der wetterabgekehrten Seite, also innen, das Luftströme hemmt, sollten in den Fugen doch einmal Spalte entstehen.

Dem Bau des Hauses gingen umfangreiche Tests voraus: Zusammen mit der University of Bath und der BRE Group wurden im Labor einzelne Elemente auf Bewitterung, Dichtigkeit, Feuerbeständigkeit, Dämmeigenschaften usw. hin geprüft.

Die Statiker hatten das richtige Verhältnis zwischen Materialdichte (Tragfähigkeit) und Dämmeigenschaften (Wanddicke) und daraufhin auch das Kriechverhalten (Kommpression bei Auflast) zu berechnen.

Man ließ sich Zeit – auch um die nötigen Fördergelder anzapfen zu können – und erkundete die Eigenschaften von Material und Konstruktion über die Jahreszeiten hinweg zunächst anhand von Prototypen, die immer noch im Garten stehen und seit Jahren der Witterung trotzen. An ihnen wurde deutlich, dass ein ausgeklügeltes System aus Dränagerinnen innerhalb der Blockstruktur unbrauchbar und an den Materialeigenschaften vorbei gedacht war. Vielmehr durfte man zur Kenntnis nehmen, dass der Kork unabhängig von Fugen und Rinnen Feuchtigkeit durch Diffusion ebenso leicht wieder abgibt wie er sie bei Regen aufnimmt.

Form und Lebenszyklus

Einmal gebacken, lässt sich der Kork zwar nicht mehr neu in Form pressen, dafür aber als Granulat für diverse andere Anwendungen, v. a. im Außenbereich hernehmen. Biologisch abbaubar ist er ohnehin. Der Grundstoff, die feuerhemmende Rinde der Korkeiche, kann alle neun Jahre geerntet werden. Das regelmäßige Schälen erhöht sogar den Feuerwiderstand der Bäume durch die Bildung einer noch dickeren Korkschicht. Korkeichen binden etwa fünf mal so viel CO2 wie andere Baumarten, und der Betrieb von Korkplantagen gilt mitunter als besonders nachhaltig, weil das Entfernen von Buschwerk mögliche Brandherde eliminiert und erstaunlicherweise eine höhere Biodiversität hervorbringt.

Die 1 268 Korkblöcke, aus denen das gesamte Korkhaus besteht, sind so dimensioniert, dass sie sich leicht von einer Person bewegen lassen. Matthew Barnett Howland ist stolz, ohne Gerüst oder Hilfskonstruktion die meisten Blöcke selbst von Hand eingebaut zu haben – und alles auf demselben Wege wieder auseinandernehmen zu können.

Als Fundament dienen 14 Stahlschrauben auf der eine (korkgedämmte) Bodenplatte aus Kreuzlagenholz (Fichte) aufliegt. Darauf lagern die Korkblöcke, die es trotz Breite und präzisem Zuschnitt statisch in sich haben – um Bauchungen und Kippen zu verhindern mussten die frei stehend errichteten Wände solange mit Hölzern und Spannriemen zusammengebunden werden, bis die Stürze und Ringbalken aus acetyliertem Holz eingebaut waren und das statische System wirksam wurde.

Ihren Grundgedanken in Bezug auf nachhaltiges Bauen umschreiben die Architekten mit dem Schlagwort »form follows life-cycle«. Dabei versuchen sie, alle Aspekte von der Materialerzeugung, über das Zusammenfügen und die Nutzung bis hin zu Demontage und Wiederverwertung gedanklich zu durchdringen. Dido Milne betont dazu, dass eine Konstruktion umso nachhaltiger ausfällt, je simpler die Geometrie gehalten wird, denn mit jeder Verschneidung wächst der Bedarf an Sonderlösungen mit viel Verschnitt, weiteren Materialien und letztlich Abfall.

Daraus erklärt sich die eigentümliche Struktur des Gebäudes, das sich aus fünf, jeweils von einem Pyramidendach bekrönten Kompartimenten zusammensetzt. Die Frage, wie auch ein Dach einheitlich aus Kork, ohne separate Haut und ohne Sparren ausgeführt werden kann, führte zum uralten Prinzip des falschen Gewölbes, wie man es etwa aus Mykene oder auf den britischen Inseln von Bienenkorb-Häusern her kennt. Schicht um Schicht kragen die Korkblöcke raumwärts ein wenig aus und formen so hohe Dachräume, die dem Innern eine erstaunliche Großzügigkeit verleihen.

Wohngefühl

Das Grundstück mit einem denkmalgeschützten Mühlenhaus aus dem frühen 19. Jahrhundert, das man sich nach der Veräußerung deutlich weniger idyllisch gelegener Liegenschaften leisten konnte, bietet drei unterschiedliche Gartenbereiche. Das Korkhaus fungiert als Trennung und zugleich als Bindeglied zwischen den beiden rückwärtig gelegenen. Die erste von fünf Pyramiden überdeckt eine Art zweiseitig geöffnete Loggia, von der aus Haus und Garten zugänglich sind. Die zweite beinhaltet das Bad und darüber eine per Leiter erreichbare Ebene mit denkbar einfach gehaltenen Gästebetten.

Nummer 3 und 4 überspannen die Essküche und das Wohnzimmer. Dahinter folgt, abgetrennt, das Schlafzimmer.

Von 44 m² BGF ist die Rede. Das Haus wirkt größer. Dazu trägt sicher die Höhe der Räume bei und auch das großflächige Schiebefenster im Wohnzimmer, das den Garten von Norden her förmlich hereinholt. Es mag aber auch am dunklen Material der Wände liegen, das enorme Mengen Lichts schluckt und der Eindeutigkeit der Raumbegrenzung entgegenwirkt. Nach Süden hin gibt es kaum Öffnungen, denn man schaut nur auf eine Gartenmauer und das städtische Wasserwerk. Entsprechend staunt der Gast über den Raumeindruck, denn der ist durchaus kein düsterer. Selbst an einem wolkenverhangenen Tag erscheinen alle Gegenstände und Personen hell, sind sie doch in Zenitallicht getaucht, das aus den Oberlichtern herunterflutet – Oberlichter deren Gewicht im Übrigen bewirkt, dass die Korkschichten auch bei Sturm an Ort und Stelle verbleiben.

Hell sind auch die Böden aus aufgeschraubten, rau gesägten Eichendielen. Sie sind nicht hundertprozentig plan – die an anderen Stellen gepflegte Akkuratesse war hier nicht gewünscht, um ein Materialgefühl, die Faserigkeit des Werkstoffs, auch beim Gehen zu vermitteln. Hell auch Teile der beiden Schrankeinbauten, die als Scheiben der Queraussteifung dienen und neben Stauraum auch Platz für die Küchen- und Badarmaturen aus Messing bieten.

Vertraut wirkt die Hörsamkeit, wie in einem Blockhaus, recht ungewohnt hingegen die Mauerwerksanmutung der im Verband gesetzten Korkblöcke, deren Oberflächen auf Druck ganz leicht nachgeben.

In allen Einzelbereichen des kleinen Hauses ergibt sich ein merkwürdig zwittriger, gleichzeitig höhlig-gemütlicher aber auch offen-heller Raumeindruck, der kaum attraktiver sein könnte. … sicher nicht für jedes Gemüt geeignet, spätestens wenn der Holzofen bollert, aber behaglich und idealer Ausgangspunkt für »hyggelige« Gefühle, zumal überall der leicht rauchige, durchaus nicht aufdringliche typische Duft des gebackenen Korks präsent ist.
Das Korkhaus kann sicherlich nicht als Blaupause für flächendeckendes Bauen dienen. Als Experiment und Prototyp seiner selbst führt es aber den Beweis, dass die Kombination aus Natur-Materialien, altbewährten einfachen Konzepten und neuen Techniken zu vertretbarer Bautätigkeit führen kann.

Es gilt dranzubleiben und nach allen Richtungen zu forschen.

So bleibt abzuwarten, wie das Haus altert – voraussichtlich wird es weder Patina noch Flechten oder Moos ansetzen. Allein die Farbe kann sich unter UV-Einwirkung leicht verändern und, wenn es klappt, im selben Maße vergrauen wie die schützenden Planken aus dem Holz der Riesen-Thuja auf dem Dach.

Und es ist auch noch gar nicht geklärt, ob Dido und Matthew selbst einziehen, sobald der Hype um das Haus abgeklungen ist, oder ob doch die Mutter das Häuschen für sich allein haben darf.

db, Mo., 2019.12.09



verknüpfte Zeitschriften
db 2019|12 Redaktionslieblinge

04. April 2019Achim Geissinger
db

Zwischenstand

Das unauflösbare Spannungsfeld zwischen Altstadtflair und Outletlandschaft, zwischen Platzmangel und Verwertungsdruck wurde zum zentralen Thema des kleinen Boutique-Hotels erhoben. Die Bauformen schaffen sowohl Ausgleich als auch individuellen Ausdruck – an einem Ort, der mit vielerlei Unentschiedenheiten und Spannungen zu kämpfen hat.

Das unauflösbare Spannungsfeld zwischen Altstadtflair und Outletlandschaft, zwischen Platzmangel und Verwertungsdruck wurde zum zentralen Thema des kleinen Boutique-Hotels erhoben. Die Bauformen schaffen sowohl Ausgleich als auch individuellen Ausdruck – an einem Ort, der mit vielerlei Unentschiedenheiten und Spannungen zu kämpfen hat.

Wer will denn in Metzingen übernachten? Eine legitime Frage insofern als Metzingen, wie ungezählte andere schwäbische Klein- und Mittelstädte auch, keine wirklichen Attraktionen zu bieten hat. Zudem hat der Ort das Pech, bei jeglicher Betrachtung immer zwischen den Polen zu stehen: Zwischen Landeshauptstadt und Schwäbischer Alb gelegen darf es sich nicht mehr zur Region Stuttgart zählen, kann aber auch noch nicht mit direktem Naturerlebnis punkten. Er rangiert zwischen wirtschaftlich stark und protestantisch bescheiden, wirkt herausgeputzt, bisweilen aber auch bedauernswert banal.

Aber: Metzingen hat Tradition in der Textilfabrikation und entwickelte sich in den letzten Dekaden zu einem der bekanntesten Outletstandorte in Deutschland. Derzeit werden jährlich etwa 4 Mio. Besucher gezählt – man rechnet künftig mit 7, sobald das neue, in Bau befindliche Outletcenter des örtlichen Platzhirschs Hugo Boss eröffnet sein wird.

Die Schnäppchenjäger strömen über Tag aus allen Richtungen, reisen nach getanem Waidwerk allerdings sofort wieder ab. Für die wenigen, die dennoch ihr müdes Haupt im Ort betten wollen, v. a. aber für Mitarbeiter und Geschäftspartner der ansässigen Textil- und Maschinenbaufirmen hat der Gastronom Angelo Procopio zunächst sein Restaurant »Achtender« um sieben Fremdenzimmer erweitern lassen. Seine Geschäftsidee trug Früchte und mündete schließlich in den Bau eines kleinen Hotels garni wenige Gehminuten entfernt.

Die Bauaufgabe hatte es in sich: Das Grundstück – der rückwärtig gelegene Restflecken eines größeren Areals, das ein Outletbetreiber nur entlang der hochfrequentierten Hauptstraße bebaute – ist eigentlich zu klein und für einen klaren Baukörper zu unregelmäßig geschnitten.

Das nähere Umfeld in einer vom Trubel abgewandten Altstadtgasse will mit seiner ungleichmäßigen, in Teilen schäbigen Bebauung nicht so recht zu einem frischen Boutique-Hotel passen; die gesammelte Gegensätzlichkeit von glitzerndem Outletgetöse und hausbackenem Altstadtflair scheint unauflösbar. Doch statt in einer lauten Architekturgeste die Befreiung aus diversen Restriktionen und Spannungen zu suchen, nahm das Gespann aus Bauherr und Architekten alle Linien auf und erarbeitete einen Beitrag, der sich ebenfalls klar positioniert – aber eben: dazwischen.

Balancefindung

Der Gebäudekubatur ist schon ein wenig anzumerken, wie stark sie vom Willen zur maximalen Grundstücksausnutzung geprägt ist. Die mächtig aufragenden Dachgauben verleihen der Straßenansicht etwas Hochgeschlossenes und drängen das ortstypische Element, die geneigte Ziegeldachfläche, in den Hintergrund. Die Höhenentwicklung nagt am Ermessensspielraum des Baurechtsamts und setzt schon einmal eine Marke für zukünftige Neubauten in der Nachbarschaft.

Trotz der Baumasse und dem strengen Fassadenraster, das sich über dem schaufensterhaften EG erhebt, ergibt sich aus der Farbe der Lärchenholzläden ein auffallender Bezug zum verklinkerten Nachbargebäude aus dem 19. Jahrhundert. Die Grüntöne der Fassade erscheinen zunächst gewagt, sind aber in der Tat dem Bestand entlehnt; die überstrichenen Klinkerriemchen im EG lassen einen inzwischen verschwundenen Sockel von gegenüber farblich weiterleben.

Letztlich verweist die Farbigkeit aber auf das gastronomische Konzept des Betreibers, der mit allerlei Waldassoziationen spielt und auf sein Stammhaus »Achtender« nun diesen Ableger als »Kitz« folgen ließ.

Formal übt sich das junge Ding in Reduktion: Dachüberstände wollte man sich zugunsten der klaren Geometrie verkneifen. Die tragenden Wände über dem Ortbeton-Keller bestehen aus Hohlwandelementen, dazu Element­decken mit Aufbeton, die im Innern allesamt sichtbar belassen wurden. Ihren farblichen und konstruktiven Eigenschaften traute man in Bezug auf die ­Außenansicht dann aber doch nicht über den Weg und entschied sich für konstruktiv weniger Aufwendiges: WDVS.

Im Innern folgt die Ästhetik dem Gedanken des veredelten Rohbaus und zeugt damit von der pragmatischen Vorgehensweise der Architekten: was nicht gebraucht wird wegzulassen. In den scharfen Kontrast aus sauber gearbeiteten Holztüren und Beton-Fertigteilen lassen sich schwäbische Eigenheiten wie der Hang zum Hochwertigen bei gleichzeitiger Verweigerung von Luxus hineinlesen. Freudlos geht es gleichwohl nicht zu. Die seidigen Betonoberflächen verleiten nicht nur Architekten zum Anfassen. Ein riesenhaftes Panoramafenster im Treppenhaus holt den Himmel herein. Durch den Verzicht auf abgehängte Decken bleibt das konstruktive Raster erlebbar und im obersten Geschoss die Dachform spürbar.

Pragmatisch auch die Entscheidung, die Zimmer nicht im dunklen Lärche-Ton der bereits bestellten Türen, Fenster und Klappläden auszustatten, sondern alle Wände aus Sperrholz mit heller Birkenoberfläche zu bekleiden und lieber das Nebeneinander zweier Holzfarben auszuhalten als die ohnehin äußerst knapp bemessenen Räume in schwerer Holzoptik ertrinken zu lassen.

Die 23 Zimmer (zwei davon barrierefrei, vier davon Suiten unterm Dach mit Ausziehcouch und somit bis zu vier Schlafplätzen) haben mit ihren schallharten Oberflächen ohne Teppich oder plüschige Möbel eine eigentümliche, dabei aber keineswegs unangenehme Hörsamkeit. Zwischen Fertigteildecke und geschliffenem Zementestrich wirken sie, nicht zuletzt wegen der ausgeprägten Schattenfugen, wie in den Rohbau eingestellte Boxen – im Grunde sind sie das ja auch; alle Trenn- sind Trockenbauwände.

Viel Stauraum gibt es nicht, schmale Einbauschränke links und rechts der Bettnische müssen reichen – dazu als Kleiderhaken einzelne Holzrundstäbe in den Wänden und ein aus der Wand auszuklappendes Tischchen.

Gute Stube

Was an Platz und Aufenthaltsmöglichkeiten in den Zimmern fehlt, macht der weitläufige, über die gesamte Gebäudebreite reichende Gemeinschaftsraum im EG wett. Als Herz des Hauses vereint er die Funktionen von Rezeption, Lobby, Frühstücksbereich, Bar und Lounge. Die Innenarchitektin Monika Hesprich hat ihn mit stark farbigen Kelims und unterschiedlich hohen Tischen mehrfach in Wohn- und Essbereiche unterteilt und sich bei der Farb- und Formenauswahl subtil von Heimatklischees der 50er Jahre leiten lassen – und das Motiv der Waldidylle und Jägernostalgie glücklicherweise ebenso wenig überstrapaziert wie die Architekten.

Der deutlichste Auswuchs davon ist ein wandhohes Textilbild mit Blattwerk und Waldtieren, das Wohnzimmeratmosphäre schafft. Dazu tragen auch die voluminösen, unterschiedlich getönten Kristallgasleuchten in geometrischen Grundformen bei, deren Unregelmäßigkeiten im Material ihre handwerkliche Herstellung erkennen lassen – ein Prinzip, das sich durch das ganze Haus zieht: eine gewisse Ablesbarkeit und Wertschätzung der handwerklichen Prozesse.

Weniger deutlich fällt die Assoziationskette aus, die von den Absturzsicherungen vor den französischen Fenstern zur Badgestaltung führt: Das diagonal eingefügte Gitter lässt an den Drahtzaun eines Wildgeheges denken. Diagonal verlegt sind folglich die Akustikdämmplatten der Lobby-Untersicht, die tannengrünen Fliesen am und hinter dem Bartresen, die Badfliesen und selbst der Pflasterbelag im Außenbereich.

Die Architekten sind froh, dass verschiedene Einsparungen im Roh- und Ausbau nicht vom Bauherrn einbehalten, sondern in die Qualität der Einrichtung gesteckt wurden. Aufseiten der Technik hat man sich einiges verkniffen – so ist allein der Gemeinschaftsraum zusätzlich zur Fußbodenheizung (per Gastherme und Solarthermie) mit temperierter Belüftung ausgestattet, die Zimmerbäder werden ohne Wärmerückgewinnung entlüftet (Hersteller ästhetisch ansprechender Fensterfalzlüfter mögen sich bitte beim Architekten melden!).

Fahrt aufnehmen

Durch den stetigen Zuzug weiterer Outlets erlebt Metzingen immer wieder neue Entwicklungsschübe. Die etablierten Outletquartiere, die sich auf ehemaligen Industriearealen ausgebreitet haben, punkten inzwischen mit städtischen Plätzen und kurzen autofreien Straßenzügen. Die Stadt versucht mit einer aufgehübschten, für kleinere Läden des täglichen Bedarfs interessant gemachten Fußgängerzone, dem etwas entgegenzusetzen. Doch die parallel verlaufende Pfleghofstraße wirkt von der Hotellobby aus immer noch so, als würden abends die Bürgersteige hochgeklappt.

Es ist dem Ort nicht zu wünschen, dass seine Bebauung neue Höhenmarken erklimmt oder zum Träger architektonischer Duftmarken verkommt – was an einzelnen Stellen schon zu lautstarken Störungen im Stadtbild geführt hat. Mut machen aber ein paar wenige architektonische Glanzstücke, die mit Einfühlung und ohne Anbiederung die richtige Richtung weisen. Wenn man also Bauherren und Architekten gewinnt, die im gemeinsamen Aushandeln die örtlichen Gegebenheiten zu nutzen und zu transformieren verstehen, dann kann aus dem ärmlichen Weinbauerndorf ein schmuckes Städtchen werden. Ein kleiner Baustein dazu ist das »Kitz«, dessen Betreiber mit seinen Architekten schräg gegenüber schon das nächste Projekt plant.

db, Do., 2019.04.04



verknüpfte Zeitschriften
db 2019|04 Auf Reisen

03. Dezember 2018Achim Geissinger
db

Sicher und ausgeglichen

Das direkt am Rhein gelegene Gebäude vermindert die Ängste vor der Aufgabe der eigenen Wohnung und vor dem drohenden Autonomieverlust beim Umzug in eine Einrichtung des Betreuten Wohnens. Die gesamte Anlage hat etwas Selbstverständliches und Unaufgeregtes und bietet damit den passenden Rahmen für ein im Prinzip doch ganz normales Leben inmitten der örtlichen Strukturen.

Das direkt am Rhein gelegene Gebäude vermindert die Ängste vor der Aufgabe der eigenen Wohnung und vor dem drohenden Autonomieverlust beim Umzug in eine Einrichtung des Betreuten Wohnens. Die gesamte Anlage hat etwas Selbstverständliches und Unaufgeregtes und bietet damit den passenden Rahmen für ein im Prinzip doch ganz normales Leben inmitten der örtlichen Strukturen.

Wer Dominique Coulons kompromisslose Farb- und scharfkantige Geo­metriespiele kennt, wird in Huningue fast ein wenig enttäuscht sein. Die Seniorenresidenz fällt zwischen der in kubischer Formensprache gestalteten Kindertagesstätte »La Nef« und einer Reihe recht durchschnittlicher Doppelhäuser kaum ins Gewicht. Sie führt vor Augen, dass gute Architektur weniger von der ästhetischen Gestalt abhängt als vielmehr von den Angeboten, die sie macht.

Am Bedarf orientiert

Seit 1987 arbeitet die französische Ersatzkasse MSA am Wohnkonzept MARPA (Maisons d’Accueil et de Résidence Pour l’Autonomie), das älteren Menschen, die zu Hause nicht mehr gut zurechtkommen und vielleicht sogar zu verein­samen drohen, in Wohngemeinschaften ein angenehmes Umfeld, Versorgung und Geselligkeit bietet. Vorrangig für kleine ländliche Gemeinden gedacht, gibt es in Frankreich – neben ganz ähnlich gearteten Angeboten – inzwischen mehr als 200 dieser überschaubar großen, personell gut zu betreuenden Wohngemeinschaften, sieben Stück davon im Elsass.

In Huningue war dazu ein besonders langer Atem nötig: Bereits 1996 hatte der damalige Bürgermeister die Frage nach geeigneten Wohnformen für ­Senioren aufgeworfen. Nach langwierigen Untersuchungen zu Bedarf, Genehmigungsfähigkeit und Umsetzbarkeit, sogar nach einer Erhebung unter der örtlichen Rentnerschaft holte die genehmigende Regionalverwaltung das für die Agglomeration Saint-Louis als zweitrangig priorisierte Projekt endlich aus der Schublade und die Realisierung dieses Wohnangebots konnte beginnen.

Meins und Unseres

Die meisten MARPAs sind mit Rücksicht auf die eingeschränkte Mobilität vieler Bewohner ebenerdig angelegt. Im Grunde fühlen sich die Bewohner im OG aber wohler, weil sicherer, der Grad an Privatheit wird dort als höher eingeschätzt. In Huningue liegen auch deshalb – v. a. aber wegen der begrenzten Grundstücksfläche – die meisten der 22 Apartments in der Beletage. Zwei Einheiten sind mit je etwa 50 m² für Ehepaare gedacht, eine steht mit 32 m² je nach Sachlage zum Probewohnen oder als kurzfristige Unterkunft in Not­fällen bereit, die übrigen Single-Studios bieten auf rund 40 m² jeweils einen Wohnbereich samt Alkoven für das Bett, ein seniorengerechtes Bad und nahe der Küchenzeile einigen Stauraum in Einbauschränken.

Besonders angenehm wirkt ein Deckenversprung zwischen dem niedrigeren Eingang und dem höheren Wohnbereich, der beim Eintreten unterschwellig ein Gefühl von Großzügigkeit vermittelt. Die oft gehörte Kritik, man könne den Mietern doch keine kahlen Flächen und graue Böden zumuten, verblasst vor der Tatsache, dass eine ästhetische Vorgabe einen Eingriff in die persönliche Autonomie der Bewohner bedeuten würde. Schließlich handelt es sich um Mietwohnungen, wenn auch recht kleine, auf deren neutralem Hintergrund durch die mitgebrachten Möbel und Ausstattungsgegenstände ein individuelles Ambiente erst entstehen kann.

Die in den Fenstersturz eingelassenen Vorhangschienen werden dazu ebenso genutzt wie die Scheiben der kleinen Fensterchen, die von der Küchenzeile aus eine Sichtverbindung zu den Fluren ermöglichen. Dass deren Holzläden, wenn auch nach außen hin gut sichtbar dekoriert, zumeist verschlossen sind, zeugt von der Notwendigkeit einer klaren Trennung zwischen privatem Rückzugsraum und öffentlichen Bereichen.

Alle Wohneinheiten sind um einen zentralen Erschließungsbereich herum arrangiert, der über abwechslungsreiche Wege in intime Sackgassen und auf weite Plätze führt. Der allgegenwärtige rote Ton des pigmentierten Sichtbetons lehnt sich an den des in der Region häufig verwendeten Sandsteins an und wird als solcher erkannt und geschätzt. Angesichts der wolkigen Oberfläche und so mancher Ausbesserung wünscht man sich jedoch mehr schweizerisches Know-how im Umgang mit dem Material. Den spannungsreichen Perspektiven tut das jedoch keinen Abbruch, vielmehr sorgt die unsaubere Betonstruktur für zusätzliche Belebung des Spiels von Licht und Schatten, Geometrie und Material, ja, sie mildert sogar den Kontrast zu den stark geflammten Oberflächen der Sperrholzplatten, mit denen die Wohnungseingänge akzentuiert sind. Besonders angenehm ist der Tageslichteinfall durch Oberlichter – z. T. auch in den Studios –, durch Einschnitte in die Gebäudekubatur oder den im OG eingeklinkten, leider nicht als Aufenthaltsfläche konzipierten Lichthof. Natürlich gibt es einen geräumigen Aufzug, beliebter ist jedoch die offene Treppe, die Überblick über die Halle und eine Sitzgelegenheit auf dem Zwischenpodest bietet – beliebt selbst bei jenen, für die das Bewältigen der Stufen eine ordentliche Anstrengung bedeutet.

Hat die Eingangshalle mit ihren schallharten Oberflächen und der Achse, die von der Straße aus längs durch das Gebäude über die überdachte Terrasse hinaus bis zur gegenüberliegenden Rheinseite weist, einen klar öffentlichen Charakter, so verbreitet der angrenzende Ess- und Wohnbereich eine sehr angenehme Wohnzimmeratmosphäre. Eine zweiseitig belichtete Sequenz ineinander übergehender Raumsituationen lässt zwischen gemeinsamen Aktivitäten und teilnehmender Vereinzelung vieles zu. Hier wird bei der Zubereitung der Mahlzeiten geholfen, gegessen, debattiert, ferngesehen oder auch einfach nur im Sessel gelesen oder sich am Kachelofen aufgewärmt. Die Akustikdecke tut hier – andernorts selten genug zu erleben – ihren Dienst und sorgt für eine auffallend angenehme Hörsamkeit.

Stützend und sicher

Die Bewohner zahlen etwa 660 Euro im Monat für die Warmmiete und zusätzliche 450 Euro für die Pflege der üppigen Gemeinschaftsflächen, die Teleassistenz per Notrufarmband und für die sechs Alltagsbegleiterinnen, die Versorgung rund um die Uhr und auch einiges an unterhaltsamem Programm anbieten. Die Mahlzeiten werden nochmals gesondert abgerechnet. Schnell addieren sich die moderaten Preise zu Summen, die sich die Interessenten erst einmal leisten können müssen. Der bezugreiche Name des Hauses kommt nicht von ungefähr: »Dunette« bezeichnet auf Französisch die oberste Ebene des Achterdecks von Segelschiffen, auf der die ranghöchsten Passagiere untergebracht werden.

Man geht davon aus, dass sich die Bewohner im Grunde selbst versorgen können. Das tun sie z. T. auch, was die Anzahl der Stellplätze in der Tiefgarage erklärt: Einige erhalten sich ihre (Auto-)Mobilität und erledigen ihre Einkäufe motorisiert.

Alle profitieren von Computerkursen in einem eigens dafür eingerichteten Raum, von einer Frisierstube daneben, einem Bastelraum im UG, einem Gemüse-Garten und dem Pétanque-Feld am Eingang, das auch gerne von Senioren aus der Nachbarschaft genutzt wird. Der Standort könnte kaum besser gewählt sein: Hinten die Rheinpromenade, vorne eine der Hauptstraßen samt Bushaltestelle, keine drei Schritte entfernt von den parkartig angelegten Ufern eines Rhein-Kanals. Direkt nebenan bietet ein Seniorentreff diverse Freizeitbeschäftigungen an, und auch die frühkindliche Betreuungseinrichtung gegenüber findet immer wieder Anlass, mit den Kleinen auf einen Besuch ­herüberzukommen.

Auf konzeptioneller wie auf gestalterischer Ebene findet das Haus die Balance zwischen dem nötigen geschützten Rahmen, aber auch einer gewissen Durchlässigkeit, die Möglichkeiten eröffnet. Das Betreten des Grundstücks ist mit Rücksicht auf die Privatsphäre nicht unbedingt erwünscht, aber auch nicht explizit untersagt. Ein Bezug zum Außenraum ist von fast allen Stellen aus gewährleistet. Das äußere Erscheinungsbild hebt sich in seiner Klarheit zwar deutlich vom Umfeld ab, leitet aber mit der Ziegelfassade wie selbstverständlich von der Kindertagesstätte über zur Wohnbebauung. Das flirrende Bild der handgearbeiteten, stellenweise zu Mustern arrangierten Steine mildert die Schärfe der Kanten ab und gibt den Oberflächen eine erstaunliche Tiefe. Das Gefühl von Schwere und Festigkeit des Mauerwerks bleibt dabei erhalten.

Über die Verschwenkung der Felder neben den Fenstern kann man streiten; innerhalb der orthogonalen Fassadenstruktur wirken die Schrägen fremd und unnötig. In den Zimmern betonen sie jedoch die großzügige Festverglasung und geben dem Wohnraum Struktur. Beim Öffnen der Lüftungsflügel versperrt unerwartet ein Ziegelgitter den freien Blick; es bedient Sicherheitsaspekte von Einbrechen bis Hinausfallen. Der Querschnitt kann im Hochsommer kein Gefühl der Erfrischung mehr vermitteln, obwohl die mechanische Zwangslüftung übers Bad ausreichend dimensioniert ist. Auch ist die Brüstung zu niedrig, um auf ihr sitzen zu können – optisch hingegen ist das Maß richtig gewählt.

Als gute Wahl erscheint auch die Pelletheizung, die sowohl die Kita als auch das Wohngebäude versorgt. Die Fußbodenheizung in der Halle wird im OG und in den Wohneinheiten von Radiatoren ergänzt – ein gusseisernes Modell, das in angedeutetem Vintage-Design Bekanntes und Gewohntes anklingen lässt.
Die ersten Anzeichen fortschreitender Aneignung verträgt das Gebäude sehr gut. Einige Pflanzen haben den Weg in Flure und Hallen gefunden wie auch das eine oder andere Kunstwerk. Es gibt viel Solidarität unter den Bewohnern, man schaut nacheinander und unterstützt sich nach Kräften. So manchem hat der Einzug ins Achterdeck zu mehr Selbstständigkeit im Alltag verholfen, zu neuer Energie – Würde.

db, Mo., 2018.12.03



verknüpfte Zeitschriften
db 2018|12 Redaktionslieblinge

04. September 2018Achim Geissinger
db

Fordernde Räume

Mit der Eröffnung des 60 m hohen Turms ist die viel beachtete Umgestaltung der ehemaligen Mailänder Brennerei zum Präsentationsort zeitgenössischer Kunst nun abgeschlossen. Das fremdartige Weißbetongebilde erweitert das vielschichtige, zumeist klösterlich introvertierte Raumangebot des Areals um kraftvolle Säle, die mit imposanten Ausblicken die ausgestellten Kunstwerke in Bezug zur Außenwelt setzen.

Mit der Eröffnung des 60 m hohen Turms ist die viel beachtete Umgestaltung der ehemaligen Mailänder Brennerei zum Präsentationsort zeitgenössischer Kunst nun abgeschlossen. Das fremdartige Weißbetongebilde erweitert das vielschichtige, zumeist klösterlich introvertierte Raumangebot des Areals um kraftvolle Säle, die mit imposanten Ausblicken die ausgestellten Kunstwerke in Bezug zur Außenwelt setzen.

Das Raumangebot der Fondazione Prada ist ähnlich vielfältig wie ihre Sammlung zeitgenössischer Kunst, die von Filmdokumenten über Gemälde bis hin zu großformatigen Plastiken reicht. Bei der Umwandlung der 1910 erbauten, später erweiterten und 1970 wieder geschlossenen Gin-Brennerei in ein Kunstmuseum bewahrte das Office for Metropolitan Architecture (OMA) den jeweiligen Charakter der unterschiedlichen Gebäude und stärkte diesen noch durch den Kontrast mit wenigen, mitunter stark raumgreifenden, in ­metallischer Ästhetik nur entfernt verwandt wirkenden Zubauten. Letztere bedienen aktuelle, betont offene und schwellenarme, wenn auch unterkühlte Präsentationsformen wie z. B. beim Louvre Lens (s. db 3/2013, S. 64). Dagegen vermitteln die charaktervollen vormaligen Lager- und Fabrikhallen eher den Eindruck einer Kunstmesse und feiern mit ihrem Werkstattflair das Prozesshafte, Rohe ebenso wie die Nostalgie des Angejahrten – ein Thema, das im Filmset-Ambiente des Cafés mit Formica-Möbeln buchstäblich greifbar wird.

Härtetest für Museumsbesucher

Das ganze Fondazione-Areal ist ein einziger Erlebnisparcours. Er will durchwandert und entdeckt werden. Man wechselt von Fluren zu Plätzen und wieder in andere Gebäudeteile, nutzt Aufzüge und Treppen, landet in ärgerlichen Sackgassen, dreht sich im Kreis und stößt dabei doch immer wieder auf ­Neues. Ein sinnfälliger Rundgang ist kaum möglich – und ohnehin nicht zielführend, da die einzelnen Gebäudeteile bisweilen mit thematisch unabhän­gigen Wechselausstellungen belegt sind. Die räumliche Vielfalt bringt reichlich Gelegenheit zu körperlichem Erleben mit sich, sorgt für Irritation, macht zwischen Keller und 10. Stock staunen, sie ermüdet schließlich den Körper, hält den Geist aber wach. Und ein wenig merkt man auch, dass die Kuratoren Spaß daran haben, sich von den unterschiedlichen Raumqualitäten fordern oder auch einfach nur lenken zu lassen. Mitunter aasen sie mit dem Raum­angebot und zeigen nur ein einzelnes Kunstwerk in einem riesigen Saal oder machen sich einfach die Kelleratmosphäre tief unter dem Kino für die Präsentation eines großformatigen Grotten-Fotos von Thomas Demand zunutze.

Der Mitinhaberin, Sammlerin und Stifterin Miucca Prada wiederum hat es der vierstöckige Gebäudeteil mit den kleinsten Räumen des klösterlich selbstbezogenen Geländes angetan; stets empfand sie ihn als einen verwunschenen Ort. Dieses »haunted house« beherbergt dauerhaft Arbeiten von Louise Bourgeois und Robert Gobers, die passenderweise das Verhältnis von Körper, Raum, Einbildungskraft und Wirklichkeit thematisieren.

Als Ausdruck der besonderen Wertschätzung dieser Räume wurden die Fassaden mit Blattgold belegt und haben sich dadurch in der allgemeinen Wahrnehmung als eine Art Signet des Museums eingebrannt.

Die Schau stiehlt diesem »Goldzahn« aber der erst mit einiger Verzögerung im vergangenen April eröffnete »Torre« schräg gegenüber in der äußersten Ecke des Areals. Der Turm ist mit seiner blockigen, von zunächst unverständlichen Schrägen gestörten Präsenz, seiner jegliche Maßstäblichkeit auf dem Gelände sprengenden Höhe und der gleißenden Weißbetonoberfläche ein echter Rüpel. Man möchte ihn ob seiner Unverschämtheit gegenüber dem dezent abgestimmten, bisweilen ironisch gebrochenen Ensemble gerne links liegen lassen. Doch ist er auch ein Charmeur, der mit verführerischen Angeboten zugunsten der Raumdramaturgie sogar die Vorgaben des Auftraggebers unterläuft.

Eine Absage an Neutralweiss

Dem Wunsch der Stiftung nach einer Reihe von »White Cubes« war in, um oder auf den historischen Gebäuden kaum sinnvoll nachzukommen – wohl aber in einer Ecke des Areals, auf mehrere Geschosse verteilt. In dem industriell geprägten Konversionsgebiet nahe der Porta Romana sind einzelne Hochpunkte von bis zu 60 m zugelassen. Man war gut beraten, dieses Maß auszuschöpfen, denn spätestens mit der kommenden Bebauung des aufgelassenen Bahngeländes jenseits der Straße wird die Notwendigkeit eines prägnanten Fingerzeigs offenkundig werden.

Ausgeschöpft wurde auch die Möglichkeit, vier der sechs Ausstellungsgeschosse in den Straßenraum hinein­ragen zu lassen, was neben der zusätzlichen Fläche auch spannungsreiche Schrägen in der Westfassade mit sich brachte. Sie resultieren aus der Notwendigkeit, die Lasten über die freie Höhe hinweg in den Erschließungskern einzuleiten. Im Grunde besteht das Tragwerk aus raumhohen (50 cm dicken!) Stahlbeton-Wandscheiben, die alternierend mal an der Schmal-, mal an der Breitseite jeweils ein Geschoss tragen und dabei raumhohe Verglasungen überbrücken. Damit die einseitig auskragende Konstruktion nicht kippt, ist sie rückwärtig mit einem Stahlbetonbalken und Bohrpfählen im Untergrund verankert. Weißbeton wurde gewählt, da es die Architekten ablehnten, die Materialität der Konstruktion zu kaschieren – ein Prinzip, das sich durch das ganze Gebäude zieht. Wo eine Innendämmung nötig ist, tritt diese mit einer Schalung aus OSB-Platten in Erscheinung und macht es den Kuratoren durchaus schwer, mit Kunstwerken gegen deren starke Struktur anzukommen. Einen White Cube stellt man sich anders vor. Glücklicherweise bietet die Sammlung entsprechende Formate, von quasi-konstruktivistischen Gemälden Michael Heizers bis hin zu den drei durchbohrten Chevrolets der »Bel Air Trilogy« Walter De Marias.

Auch die Glasfassaden mit ihren Ausblicken haben es in sich: Wo sie die Schmalseiten belegen, entsteht eine Röhre, deren gefühlter Sog sich immerhin mit entsprechenden Werken ausbremsen lässt. In den zur Nordseite hin gebäudebreit geöffneten Sälen kommt hingegen kaum etwas gegen die fantastische Aussicht auf die Mailänder Innenstadt samt Dom und Alpenhintergrund an. Das schaffen nur die quietschbunten Tulpen von Jeff Koons oder die Abertausende von Schmeißfliegen aus der Werkstatt von Damien Hirst. Wacker schlagen sich auch die konzentrierten, zwischen Nostalgie und Mahnung changierenden Arbeiten aus der Volksempfänger-Serie von Edward Kienholz und Nancy Reddin Kienholz, die jeweils einen eigenen Raum um sich herum definieren.

Gerne wäre man Mäuschen gewesen, als die Protagonisten von Stiftung und OMA die Raumkonzepte, die verlockenden Möglichkeiten und die kategorischen No-Gos miteinander aushandelten. Seit bald 20 Jahren entwickeln ­Prada und die Teams um Koolhaas gemeinsam Modenschauen und denken Showroom-Design von immer neuen Seiten her. Und man kann sich gut vorstellen, wie die Architekten dabei mit niederländischem Pragmatismus alle konventionellen Konzepte aus dem Feld zu schlagen verstehen.

Ruhe durch Ordnung

Die Architekten des OMA kokettieren bisweilen damit, Ästhetik sei nicht wichtig und niemals Grundlage für architektonische Entscheidungen. Die ausgefeilte Fügung allen Materials straft diese Aussage allerdings Lügen. Alles ist akkurat am Raster der Betonschalung ausgerichtet und bündig eingelassen, um bloß keine Unruhe aufkommen zu lassen. Keiner der Sprinklerauslässe tanzt aus der Reihe. Weder die Schienen der notwendigen Spotlights fallen ins Auge noch die Linienleuchten für die verhältnismäßig warme, dimmbare Grundbeleuchtung für gleichmäßiges Licht über den Tag hinweg (um die 3 000 K). Ebenso durchdacht sind die Anschlüsse der Glasfassade an Wand, Decke und Boden aus iranischem Travertin. Es gibt keine gestalterischen Ungereimtheiten, auch bei den Wandöffnungen zum Vorraum nicht, die zwar vorgeben, mit dem Schalraster nichts zu tun haben zu wollen, letztlich aber davon erzählen, wie die Ordnung hier genussvoll durchbrochen wurde. Und freilich verfehlt auch die Wandbekleidung im Treppenhaus das erklärte Ziel roher Materialehrlichkeit: Die unbehandelten, rosafarbenen Gipskartonplatten mit ihren charakteristischen Gipsklecksen wirken, hinter Gitterrosten indirekt beleuchtet, wie eine zwischen rigider Linie und fröhlichem Zufall fein ausgewogene Grafik.

Vertikalität

Rem Koolhaas lässt sich mit der Aussage zitieren, im 10. Stock fühle sich Kunst anders an als am Boden. In all den Räumen, in denen er die Höhe mit maximaler Öffnung inszeniert und dem Besucher die Sicherheit von Brüstungen verweigert, kann man dem nicht widersprechen. Was für ein Gegensatz zu Chipperfields 4 km entfernt liegendem Museo delle Culture (s. db 10/2015, S. 65), dessen fensterlose Räume im burgartigen Innenhof einer Fabrik die Flucht nach innen kaum mehr betonen können. Und welche Erleichterung, im obersten Ausstellungsgeschoss des Prada-Turms dann doch einen rundum geschlossenen Oberlichtsaal vorzufinden!

Weil das Raumerlebnis klar im Vordergrund steht, ist die Nutzung der Auf­züge nicht gern gesehen – lieber soll man sich die subtil nach oben hin von 2,7 auf 8 m zunehmende Höhe der Geschosse per Treppenhaus erschließen. Es lockt ein piranesihaftes Erlebnis der gegenläufigen Treppenanlage mit Ausblicken in die ehemalige Lagerhalle und weiter oben nach Süden auf Antonio Citterios Bürogebäude »Symbiosis«, in dessen Glasfassade sich dankenswerterweise die ganze Fondazione spiegelt.

Zu speziellen Anlässen auf der Dachterrasse oder in der angrenzenden Lagerhalle wird am Fuße des Turms ein zweiter Zugang zum Gelände geöffnet. So auch am Abend, wenn das Restaurant im 6. Stock mit edler Küche und Aussicht lockt. Wie die Kunstwerke im Turm steht auch die Einrichtung des opulent wie ein Herrenzimmer ausgestatteten Gastraums stellvertretend für das Wirken der Stiftung seit 1993, bzw. für die Sammlung, die sich vorwiegend aus Werken von 1960 bis heute zusammensetzt und auf dem ganzen Gelände nicht nur selbstreferenziell präsentiert wird, sondern auch als Ausgangspunkt für diverse Sonderausstellungen dient. Es gibt hier originale Einrichtungsfragmente des Four Seasons Restaurants in New York von Philip Johnson, pastose Skulpturen von Lucio Fontana, Gemälde von Jeff Koons, und und und.

Zu den Baukosten möchte man sich nicht äußern. Es wird aber betont, dass man sich Mühe gab, das Budget nicht unnötig mit Kinkerlitzchen zu belasten. Wie ironischerweise die Blattvergoldung des »Haunted House« belegt, von der berichtet wird, sie sei bei aller Handwerklichkeit immer noch günstiger gewesen als so manche andere ins Auge gefasste Alternative. Glücklich also der solvente, aber auch langmütige Bauherr, der die Architekten gute Lösungen ausprobieren lassen kann.

Auf die Frage, welches Maß an baulicher Prägnanz für die Kunstpräsentation angemessen sei, möchte man nach einem Besuch der Fondazione antworten: jegliches. Zur Leidenschaft von Privatsammlern passt der erlebnisorientierte Ansatz mit fordernden Räumen aber vielleicht doch besser.

db, Di., 2018.09.04



verknüpfte Zeitschriften
db 2018|09 Kunst und Architektur

01. Dezember 2017Achim Geissinger
db

Gebrauchskunstwerk

Der organisch geschwungene Pavillon geriet mit seiner Konstruktion aus tragendem Glas zur Herausforderung für die niederländischen Bauunternehmer. Langmut und Stehvermögen der Bauherren führten letztlich zu überdurchschnittlichen Qualitäten. Es entstand ein kleines Raumwunder als Aushängeschild eines beliebten Ausflugsziels in Westfriesland, das Kunst und Natur verbindet.

Der organisch geschwungene Pavillon geriet mit seiner Konstruktion aus tragendem Glas zur Herausforderung für die niederländischen Bauunternehmer. Langmut und Stehvermögen der Bauherren führten letztlich zu überdurchschnittlichen Qualitäten. Es entstand ein kleines Raumwunder als Aushängeschild eines beliebten Ausflugsziels in Westfriesland, das Kunst und Natur verbindet.

Ja, dass diese Formen sofort an SANAA denken lassen, kommt nicht von ­ungefähr. Die beiden Architekten Marieke Kums und Junya Ishigami haben beide im Büro von Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa gearbeitet. Sie betonen allerdings, dass weder dieser gemeinsame Hintergrund noch irgendein vor­gefasster Formwille für ihren Entwurf eine Rolle gespielt habe, sondern rein der Wunsch der Bauherren nach einem explizit offenen Gebäude, das den Dialog mit den Grünanlagen ringsum aufnimmt und in keinerlei Konkurrenz zum Altbau tritt. Doch freilich erinnern die geschwungenen Glaswände an den Glas-Pavillon des Toledo Museum of Art (Ohio), an dessen Entwicklung Ishigami beteiligt war.

In gewisser Weise haben wir es hier mit einer kleineren Ausgabe davon zu tun, die allein deshalb schon gut nach Westfriesland passt, weil in den Niederlanden das Kleine, Enge, Nette Tradition hat und sehr gefragt ist. Der gesamte, als nationales Monument geführte Park Vijversburg, der auf den Landsitz der einflussreichen Familien Looxma und Ypeij zurückgeht, fällt durch seine kleinräumige Struktur auf. Die repräsentative Villa wurde sogar um einige Räume verkleinert, weil spätere Nutzer sie als zu groß empfanden.

Da das Konzept aus Park, unterschiedlichen Veranstaltungen und v. a. internationaler Kunst sehr gut aufgeht, gab es immer wieder Klagen über das ­Menschengedränge auf dem Gelände. So packte man eine sich bietende Gelegenheit zur Verdopplung der Geländefläche beim Schopfe und ließ die neu hinzugekommenen Teile von den Landschaftsarchitekten Piet Oudolf und LOLA Landscape Architects und dem Künstler Tobias Rehberger gestalten.

Aber auch die Villa kam als Stiftungssitz wie auch als Besucherzentrum ­beständig an ihre räumlichen Grenzen. Ein kleiner Wettbewerb sollte v. a. die Sanierung des historischen Gebäudes voranbringen, verschob dann aber den Schwerpunkt auf deren Erweiterung zum Besucherzentrum, als sich unter den fünf Vorschlägen jener des Gespanns Kums/Ishigami fand, der in den stark beengten Gegebenheiten dem hochgeknöpften Klassizismus der Villa ein völlig konträres Konzept mit freien Formen, betonter Horizontalität und Bewegung entlang der denkmalgeschützten Gartenstrukturen entgegensetzte. Der Entwurf spielt mit subtilen Irritationen und entspricht ganz dem umgebenden Garten, der im Stil eines englischen Landschaftsparks mit dichtem Bewuchs, eng gewundenen Wegen und überraschenden Blickbezügen räum­liche Opulenz vorgaukelt. So inszeniert ein Durchlass durch die Glaswand die Trennung wie auch den Übergang vom waldähnlichen Gartenteil zur offenen Terrasse. Ein einzelner Korridor führt am Teich entlang zu einer Wiese, verengt sich zunächst, um sich wieder ein wenig zu weiten, dann aber nicht sanft ins Grün auszulaufen, sondern völlig abrupt an einem massiven Metalltor zu enden und somit die Paradoxa von durchsichtiger Wand und geschlossener Tür zu zelebrieren. Der Architektenwunsch, die Glaswände noch weiter ins Gelände hineinzuführen und mit ihm stärker zu verweben, wurde von Denkmalschutz und Budget ausgebremst. Der Zugang erfolgt vom »Tea Room« im Altbau aus und führt wie selbstverständlich, warm und trocken, ins Gelände hinein.

Der Boden sinkt langsam um 1 m ab und verändert so beim Gehen die Wahrnehmung. An der zentralen Kreuzung ist der tiefste Punkt erreicht, gleichzeitig auch der höchste und weiteste – wie in der Vierung einer barocken Kirche kommt hier alle Bewegung zur Ruhe, entsteht das Gefühl, nun am richtigen Ort angekommen zu sein, hier sind die Gegensätze von räum­licher Weite und Konzentration, von geschützter Zentriertheit und maximaler Offenheit samt Rundumsicht absolut – ein Raumerlebnis, dem sich niemand entziehen kann. Der gleichzeitig in drei Richtungen wegdriftende und doch klar definierte Raum ist flexibel nutzbar und wird in naher Zukunft für allerlei Aktivitäten ausprobiert; man stellt sich wechselnde Kunst-Ausstellungen ebenso vor wie Kinder-Workshops, Hochzeiten, Vorträge, … bis hin zum temporären Museumsshop. Die freie Struktur und der robuste polierte Betonboden bieten dazu die besten Voraussetzungen, zumal die störenden Funktionen wie Lager und Toiletten in einen separaten Baukörper verbannt wurden, den immergrünes Gehölz bald zur Gänze verdecken wird.

Wunsch und Realität

Die ausnehmend lange Realisierungszeit ergab sich aus einer Reihe von ­Unvorhersehbarkeiten, zu denen z. B. die langwierige Erhebung, Diskussion und Definition des Denkmalbestands sowohl auf Gebäude- als auch auf Gartenseite gehörte. Ein Engpass in der Glasproduktion kostete ein weiteres ­halbes Jahr, nur um in Gläsern mit der falschen Farb-Qualität und einigen ­flachen statt minimal gebogenen Scheiben zu enden. Zwischenzeitlich war die vom Stiftungsrat und den Architekten gemeinsam wegen ihrer Kompetenz in Sanierung und Glas ausgewählte Baufirma in Konkurs gegangen und wurde von einem Konsortium übernommen, das glücklicherweise mit der komplexen Glasgeometrie besser zurechtkam.

Die Architekten hatten im Wettbewerb vorsichtshalber noch Stützen eingeplant. Die Bauingenieure hingegen – ABT als größter Player der Niederlande mit ausgewiesener Expertise in Glaskonstruktionen, zusammen­gespannt mit Jun Sato, den Junya Ishigami mit ins Spiel brachte – fanden, das Glas könne sämtliche Lasten alleine tragen. Die Wände bestehen jeweils aus zwei mit ­ihrer Halterung an den Betonboden geschraubten Sicherheitsglasscheiben (mit dieser Art Glas aus chinesischer Produktion haben auch ­SANAA schon ihre Projekte bestückt) und nach außen hin einer dritten Scheibe mit einem Zwischenraum, der den Wärmeschutz gewährleistet.

Die Dreiecksstruktur des Grundrisses steift das Gebäude nach allen Richtungen aus. Auch das Dach ist biegesteif angeschlossen, woraus sich v. a. für die langen Korridore stabile Rahmen ergeben. Hauptträger aus Stahl überspannen an der weitesten Stelle über dem zentralen Raum eine Distanz von bis zu 15 m, alle Nebenträger sind aus Holz, die Dachhaut besteht aus harzgebundenem Splitt. Die auffallend dicken dauerelastischen Fugen von 2-3 cm resultieren aus den anzunehmenden Maßabweichungen bei den Gläsern und waren auch beim Einbau hilfreich.

Wie leicht sich die Scheiben austauschen lassen, wird sich bald zeigen, wenn der Schaden behoben wird, den ein neugieriges Schulkind verursachte, als es den Effekt eines beherzt in das Glas geworfenen Steins ausprobierte. Die Konstruktion lässt sich lösen, ob aber der in langen Streifen verwendete Betonmörtel die Scheibe ebenso leicht freigibt, wird sich zeigen.

Auch darf man sich nicht darin täuschen, dass das duftige Erscheinungsbild eines auf Fotos so ätherisch wirkenden Glasgebildes dauerhaft beibehalten werden könne. Inmitten eines feuchten Landstrichs bleibt der Bewuchs mit Algen und Moos nicht aus, der Regen erzeugt lange Schlieren und spritzt das Substrat der angrenzenden Rabatten weit in die Höhe. Im Grunde lohnt die Reinigung kaum, da man schon nach dem nächsten Guss wieder von vorne beginnen kann, seufzt die Geschäftsführerin Audrey Stielstra.

Aber: Wer sich drinnen befindet, ist so mit den vielschichtigen Eindrücken beschäftigt, dass die kleinen Betrübnisse nicht mehr ins Gewicht fallen. Die Langmut und das Stehvermögen der Bauherren wurden mit einem kleinen exquisiten Raumwunder belohnt, einem nutzbaren Kunstwerk, mit dem sich prächtig Werbung machen lässt.

db, Fr., 2017.12.01



verknüpfte Zeitschriften
db 2017|12 Redaktionslieblinge

02. November 2017Achim Geissinger
db

Offen für Veränderung

Ein Bauherr, der gute Konzepte einfordert und unterstützt, bei der Umsetzung aber geizen muss. Beharrliche Architekten, die im Ringen um Qualitäten den Nutzer im Auge behalten. Ein Ersatzneubau des örtlichen Pflegeheims, der das Zeug dazu hat, als öffentlicher Anlaufpunkt für das gesamte Quartier wahrgenommen zu werden. Ein Spannungsfeld unter hohem Druck mit viel Potenzial.

Ein Bauherr, der gute Konzepte einfordert und unterstützt, bei der Umsetzung aber geizen muss. Beharrliche Architekten, die im Ringen um Qualitäten den Nutzer im Auge behalten. Ein Ersatzneubau des örtlichen Pflegeheims, der das Zeug dazu hat, als öffentlicher Anlaufpunkt für das gesamte Quartier wahrgenommen zu werden. Ein Spannungsfeld unter hohem Druck mit viel Potenzial.

Kornwestheim ist keine Perle – so wenig wie die meisten Mittelstädte im Stuttgarter Speckgürtel. Dass man hier gerne wohnt, liegt an der beschau­lichen Unaufgeregtheit, viel Grün und an der exzellenten Verkehrsanbindung. Identifikationspunkt und Wohlstandsgarant war etwa 100 Jahre lang die Schuhproduktion, deren Protagonisten, die sozialpolitisch engagierten Brüder Ernst und Jakob Sigle, überall in der Stadt präsent sind. So liegen etwa das nach Ernst benannte Gymnasium (mit einem sehenswerten Erweiterungsbau von D’Inka Scheible Hoffmann Architekten, 2015) und das nach Jakob benannte Wohn- und Pflegeheim in fußläufiger Entfernung zum Jakob-Sigle-Platz, der guten Stube der Stadt mit dem markanten Rathaus von Paul Bonatz. Eine Spende des damals ortsansässigen Schuhkonzerns hat die Einrichtung des Heims im Jahr 1961 ermöglicht.

An die verschärften Anforderungen der Landesheimbauverordnung, die bis September 2019 größtenteils umgesetzt sein sollen, ließ sich dessen Bausubstanz nicht sinnvoll anpassen. So wurden Wulf Architekten, mit denen das Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg bereits beim »Haus am Kappelberg« in Fellbach (s. db 8/2008, S. 58) Pionierarbeit in Sachen Wohngruppenkonzept geleistet hatten, nach einer Machbarkeitsstudie direkt mit dem Ersatzneubau beauftragt.

Teilabriss und Baufortschritt beim neuen Pflegeheim konnten die Klienten aus dem verbliebenen Altbauteil beobachten. Dessen Abriss ist nun im Gange, bis 2019 wird an seiner Stelle ein dritter, separat stehender Flügel für betreutes Wohnen errichtet.
Die im Grundriss H-förmige Struktur des Pflegeheims nimmt pro Stockwerk zwei Wohngruppen à 15 Personen auf, wie vom Kuratorium Deutsche Altershilfe empfohlen, dazu jeweils eine helle, offene Wohnküche mit Außenbezug und an jedem Flurende eine Loggia. Um Raumdoppelungen zu umgehen, wurden Nebenräume für Pflege, Personal und Lagerung dem zentral gelegenen Erschließungsbereich zugeordnet. Allein schon an der räum­lichen Optimierung lässt sich der Kostendruck erahnen, unter dem der Bau (nicht nur) dieses Projekts steht. Pflegekassen und Heimträger knapsen und bestehen auf Minimalforderungen, wo sie nur können. Um sich ein paar »Extras« leisten zu dürfen, mussten die Architekten beispielsweise eine reduzierte Etagenhöhe gegenrechnen – die glücklicherweise nur bei explizitem Hinweis ins Bewusstsein rückt, dann in den Fluren aber durchaus spürbar wird.

Dem gegenüber steht eine mit viel Überzeugungsarbeit durchgesetzte Erkerkonstruktion, die jedem der auf 14,7 m² begrenzten Bewohnerzimmer eine überraschende Großzügigkeit verleiht und für das Fehlen eines Balkons entschädigt. Zu diesem kleinen Luxus gehören ein Panoramafenster, das über die niedrige Brüstung hinweg auch vom Bett aus freien Blick nach draußen erlaubt, ein elektrisch betriebener, horizontal geführter Sonnenschutz, hinter dem man sich gut verstecken kann und der transparent genug ist, um die ­Außenwelt nicht ganz auszublenden, ein Lüftungsflügel und schließlich eine holzbekleidete Fensterbank, die – da es kaum Platz für Besuchermöbel gibt – zum Sitzen dienen kann. Gerne wird sie aber auch als Regal für allerlei Erinnerungs- und Sammlerstücke genutzt.

Für den Außenstehenden schwer einzuordnen ist die Entscheidung, alle übrigen Flächen komplett neutral zu gestalten und auch eine ganze Reihe weiterer Ausstattungsdetails wegzulassen. Wer großmütterliche Wohnzimmeratmosphäre erwartet, wird hinter den weißen und grauen, allenfalls brauntonigen Oberflächen und den Stahlzargen – deutlich robuster als Holz – zwangsläufig den Rotstift vermuten.

Tatsächlich handelten Bauherr und Architekten aber eine Anmutung aus, die sich möglichst am gewohnten Wohnumfeld der Bewohnerschaft orientiert, an den benachbarten Wohnblocks, deren Gemeinschaftsflächen durchaus nicht tapeziert oder farblich gefasst sind, und deren Privatbereiche den eigenen Vorstellungen entsprechen.

Zudem wurde explizit ein neutraler Hintergrund verlangt, auf dem »etwas wachsen« kann – die Bespielung und Gestaltung soll mit den Klienten ausgehandelt werden und sich mit der wechselnden Bewohnerschaft wandeln können. Mündigkeit wird vorausgesetzt und auch eingefordert und somit ­länger erhalten. So will man der oft beobachteten Falle entgehen, dass die ­Bequemlichkeit über die Eigenständigkeit siegt.

Dem entspricht auch die personelle Trennung von Pflegedienst, dem vorwiegend medizinisch-pflege­rische Tätigkeiten obliegen, und Alltagsbegleitung, die mit den Bewohnern kocht und auf vielerlei Ebenen Sozialkontakte pflegt. Räumlich drückt sich dies im weitgehenden Fehlen typischer Krankenhaus- und Kontroll-Attribute aus: Das Stationszimmer kommt sehr gut ohne »Überwachungsfenster« aus. Es gibt keine Handläufe, da diese erfahrungsgemäß wegen des Einsatzes von Gehhilfen aller Art ohnehin so gut wie nicht genutzt werden und somit so ­wenig Sinn ergeben wie ausgebuffte Farb- und Leitkonzepte für Demente, die – ebenfalls ein Erfahrungswert – allzu oft viel zu abstrakt ausfallen und im Vergleich zu auffälligen Möbelstücken oder ähnlich markanten Punkten wenig ausrichten.

Als für das Wohlbefinden wichtiger wird die zirkadiane Flur-/Wohnküchenbeleuchtung angesehen, deren Lichttönung sich der Tageszeit anpasst. Wie meist kommt es auch hier weniger auf das konkrete Design an, als vielmehr auf die Angebote, die ein Gebäude macht.

Lang kann man über die mangelnde Ausführungsqualität, die dem Zwang zum allergünstigsten Angebot entspringt, lamentieren, über unsauber angebrachte Leisten, dicke Türprofile, unfähige Stuckateure, die eine ganze Wand neu verputzen mussten, weil nur einer unter ihnen die Besenstrichtechnik ­beherrschte, zerbeulte Bleche, endlose Listen von Nacharbeiten …

Dies alles tritt jedoch vor der angenehmen Atmosphäre, die sich beim Besuch der Einrichtung erspüren lässt, zurück, beim Gottesdienst, beim Musizieren, in den Wohnküchen und in den einzelnen Zimmern wie auch in den Räumen der angegliederten Tagespflege im EG. Bewohner und Personal bringen sie mit.

Die rigide Reihenstruktur der gesetzlich geforderten Einzelzimmer lässt sich mit den Zimmertrennwänden in Leichtbauweise bei Bedarf verhältnismäßig leicht aufbrechen und in Doppelzimmer für Paare überführen, wie es sie ­bereits vereinzelt im obersten Stockwerk gibt.

Der Speise- und Veranstaltungssaal, den man sich als öffentlichen Anlaufpunkt für das gesamte Quartier wünscht und der als solcher durchaus angenommen wird, lässt sich durch mobile Trennwände unterteilen. Ein ­Friseursalon und Therapieräume für interne Leistungen wie auch externe Anbieter knüpfen zarte Bande zur Außenwelt, genauso wie die Freibereiche, die jeweils von stumpfwinklig gestoßenen Außenwänden umarmt und geschützt werden. Mit offen empfangender Gestik wirkt das Gebäude in den Straßenraum ­hinein. Ein wenig fremdartig nimmt es sich schon aus; und so mancher Passantenkommentar zeugt von Gewöhnungsbedarf. Im Grunde schafft es aber den Spagat zwischen der legitimen Auffälligkeit eines Sonderbaus und der Anmutung eines – eigentlich ganz normalen – Wohnhauses.

So haben die Architekten aus der Bauaufgabe und innerhalb des gegebenen Kostenrahmens das Beste herausgeholt und eine gute Grundlage bereitet, auf der das Heim samt dem zweiten Bauabschnitt als selbstverständlicher Wohnbaustein in die öffentliche Wahrnehmung einsinken und sich zu einer Art Quartiersmittelpunkt weiterentwickeln kann.

db, Do., 2017.11.02



verknüpfte Zeitschriften
db 2017|11 Wohnen im Alter

01. März 2017Achim Geissinger
db

Mittlerfunktion

Mit crème-weißen Klinkern, eigenwilliger Dachform und wohlüberlegter Fassadenaufteilung bringt der Schul­erweiterungsbau eine seiner Bedeutung angemessene Note ins Spiel, ohne den Kontext zu überstrahlen. Die gleichermaßen edle wie auch vertraut wirkende Hülle verweist bereits auf die neutral gestalteten Innenräume, die störungsfreies Üben gewährleisten.

Mit crème-weißen Klinkern, eigenwilliger Dachform und wohlüberlegter Fassadenaufteilung bringt der Schul­erweiterungsbau eine seiner Bedeutung angemessene Note ins Spiel, ohne den Kontext zu überstrahlen. Die gleichermaßen edle wie auch vertraut wirkende Hülle verweist bereits auf die neutral gestalteten Innenräume, die störungsfreies Üben gewährleisten.

Der Name »Versailles« lässt durchaus ein wenig mehr Glamour erwarten. Doch starke 20 Minuten Fußmarsch vom Schloss entfernt, nachdem die zentrale Avenue de Paris einen leichten Knick gemacht hat, fallen die Palais schon deutlich niedriger aus, von Nachkriegsbauten durchsetzt nähert sich die Straßenansicht dem französischen Durchschnitt, zeigt sich die Haltestelle der Vorortbahn so ungepflegt wie überall in der Île-de-France.

Von der Avenue aus künden allenfalls einzelne Kinderzeichnungen in den Fenstern von der Grundschule Lully-Vauban und dem angeschlossenen Kindergarten. Das Ensemble liegt versteckt hinter austauschbaren Wohnbau­fassaden und bildet mit drei Höfen eine eigene abgeschlossene Welt für sich.

Wer die richtige Wagendurchfahrt zu wählen weiß, findet sich in einer disparaten Situation wieder: linkerhand schreit die gezackte, vertikale Loggienlandschaft einer postmodernen Wohnungsbaurückseite erfolgreich gegen das in den 60ern orthogonal gerasterte Schulgelände an. Weiter hinten kauern kleine, verbaute Einfamilienhäuschen, schämen sich ihrer eigenen Geringfügigkeit und hoffen, vom Fraß der Blockrandbebauung verschont zu bleiben.

In diesem Umfeld zu vermitteln, ist keine leichte Aufgabe und kann mit einem Zuviel an eigener Duftnote schnell scheitern. Den im Wettbewerb siegreichen Architekten Joly & Loiret gelingt es mit ihrem weiß verklinkerten Erweiterungsbau tatsächlich, die Balance zu halten zwischen Anpassung, Ausgleich und auch einer ausreichend auffälligen Erscheinung, die seiner Sondernutzung gerecht wird.

Zwischen Welten

Frankreich hat es gut, denn allerorten, auch tief in der Provinz, werden Kulturzentren ausgebaut oder gar neu eingerichtet. Der Gemeindeverband Communauté d’agglomération de Versailles Grand Parc leistet sich ein musisches Bildungsangebot nach Art einer Volkshochschule, das er über vier Standorte verteilt anbietet. Mit dem neuen Standbein auf dem Schulgelände schlägt die klamme Kommune mehrere Fliegen mit einer Klappe: Sie kann den Schülern direkt vor Ort erweiterten Musik- und auch Tanzunterricht anbieten, der Zugang zum Hauptgebäude ließ sich mitsamt der Pförtnerloge neu ordnen und die Schulmensa hat entscheidende Quadratmeter hinzugewonnen.

Die gesamte Gebäudeerweiterung ist durchweht vom Pragmatismus der ­Architekten, die ihre Architektur stark vom Nutzen her denken und in unzähligen Einzelentscheidungen zu vielen guten Lösungen kamen.

So ist die eigenwillige Kubatur weniger Ausdruck eines unabhängigen Formwillens als vielmehr dem Wunsch geschuldet, den beiden Tanzsälen im OG genügend Weite zu verleihen. Die exzentrische Anordnung der Oberlichter in den Pyramidenstümpfen, die das Dach bilden, geben den Tänzern ebenso Orientierung im Raum wie die unregelmäßigen Fensteröffnungen und die ­Lage der Spiegelwand. Der Kamineffekt unterstützt die (mechanische) Entlüftung.

Zudem ließ sich so ein Hochpunkt generieren, der dem Neubau – mangels Straßenraum, in den er hineinwirken könnte – gleich hinter der Durchfahrt einige, seinem öffentlichen Charakter angemessene, Dominanz verschafft.
Mit den Klinkerwänden gelingt die Anbindung an die mineralisch geprägte Umgebung. Zugleich schaffen Vertrautheit des Materials und menschlicher Maßstab einen ins Anheimelnde spielenden Eindruck, welcher in Holzfensterrahmen sogleich eine Erweiterung erfährt.

Die weißen Klinker ausfindig zu machen, bedurfte einiger Recherche. Freilich sind sie nicht blendend weiß, sondern ergeben in der Gesamtheit einen gebrochenen Crème-Ton, der sich wiederum fein in den Umgebungsfarbklang mit vielerlei Gelb- und Rottönen einfügt. Insofern muss man die Fotografen ­einerseits der kongenialen Wiedergabe der Entwurfsgedanken wegen loben, andererseits aber der Lüge zeihen, denn auch bei ­winterlich bedecktem Himmel erscheint keines der Gebäude ringsum als so weiß wie im Bild – bei willentlicher Betrachtung …, denn die Psyche deutet die Physik durchaus um: zum Eindruck »weiß«.

Raumgefühl

Zum Entwurfskonzept gehört der strenge Gegensatz zwischen den Nicht­farben außen und in den Übungsräumen gegenüber den warmen Tönen der Erschließungszone. Die beiden Flure und das verbindende Treppenhaus sind eine Offenbarung in Sachen Aufenthaltsqualität: Holzoberflächen, gewachste Lehmwände, akzentuierende Beleuchtung und eine Vielzahl von Sitzgelegenheiten, wahlweise im Fensterrahmen, entlang der Wände oder in der Arbeitsnische würden jedem Wellnesshotel Ehre machen.

Ganz erheblich zur Wirkung trägt die Deckengestaltung der Künstlerin Marie Maillard bei. Sie hat sich schon bei der Zusammenarbeit mit Jean Nouvel ­Meriten erworben und nimmt mit Farben und Formen assoziativ Bezug auf Kräfte in der Natur, die Sonne (Ludwig XIV.), Bewegung und musikalischen Atem. Das wohnliche Ambiente soll sich mäßigend auf das umtriebige Gemüt der Schüler auswirken, bevor sie in die Unterrichtsräume wechseln. Der ­Rezensent jedenfalls wollte nur ungern wieder aufstehen.

Wie stark schließlich der Kontrast zu den neutral und funktional gestalteten Umkleidebereichen und zu den Übungsräumen! Reinweiß gestrichen kommen diese Räume fast ganz zum Verschwinden und treten gänzlich vor dem zurück, was drinnen passiert. Sie bieten eine neutrale Folie, vor der sich die künstlerische Arbeit entfalten kann – die Konzentration liegt ganz auf den Agierenden und ihrem Tun. Die Fenster der Musikzimmer im EG liegen so hoch, dass noch ein Bezug zum Außenraum gewahrt bleibt, ohne dass aber durch Bewegung auf dem Hof Ablenkung entsteht. Die Schrägstellung der Trennwände im Grundriss ergibt leichte Störungen, die ein Regal- oder Schubfachgefühl auf subtile Weise verhindern. Zudem gibt es unterschiedlich tiefe Abstellflächen in und unter Schränken für allerlei Gerätschaften und ­Instrumente. Grafisch angeordnete Lichtbänder in der Decke sorgen für ein wenig Dynamik.

Pragmatisch nach den Anforderungen gesetzte Öffnungen für Durchgänge, in die Wand eingelassene Schränke und Technik wirken leider sehr willkürlich und blieben ohne gestalterische Anbindung. Man wünscht sich ein paar wenige durchgängige Linien, ordnende Elemente – aber wer zahlt bei durchschnittlich knappem Budget für Zierleisten oder unterschiedliche Putz­strukturen?

Höchst pragmatisch gingen die Architekten auch bei der Konstruktion vor. Das UG entstand der »lauten« Musikräume wegen massiv in Beton. Die ­Räume sind akustisch vollständig entkoppelt, quasi als Haus im Haus. Da die Baustelle den Schulbetrieb möglichst wenig beeinträchtigen sollte und über die Durchfahrt nur sehr schlecht angeliefert werden konnte, wurde das OG als Holzständerkonstruktion ausgeführt – was den Architekten entgegenkam, da sie sich den natürlichen Materialien, z. B. aus nachhaltiger Forstwirtschaft, ohnehin näher fühlen und zu deren Anwendung auch forschend tätig sind.

Mit den ausführenden Firmen hatte man weniger Glück: Die Ziegelwand zum Hof musste dreimal gemauert werden, bis man sich für deren Erscheinungsbild nicht mehr schämen musste. Auch die Schreiner dachten, sie kämen mit dem halben Aufwand davon, und müssen immer noch nacharbeiten. Sicherheitshalber und um einen ruppigen Beiklang einzumischen, wurden die Holzeinbauten, Tür- und Fensterrahmen gleich von vornherein in simplen, robusten Formen ohne Gehrung entworfen. Für Schweizer Handwerk wäre vieles davon schmachvoll. In Frankreich darf man aber bereits von einem Maximum sprechen. Ohnehin erhebt sich die Frage, ob gute Architektur nur als solche gelten darf, wenn sie perfekt ausgeführt ist. So eng gesehen müsste man vieles aus den Geschichtsbüchern streichen.

db, Mi., 2017.03.01



verknüpfte Bauwerke
Tanz- und Musikschule in Versailles



verknüpfte Zeitschriften
db 2017|03 Weiß

05. Dezember 2016Achim Geissinger
db

Hüttenzauber

Mit einer gestalterischen Haltung, die einen hohen Anspruch erkennen lässt, dabei aber nicht schicker sein möchte, als es für den Ort passend erscheint, haben die Architekten hoch über Innsbruck einen gleicher­maßen raubeinigen wie eleganten Sehnsuchtsort geschaffen, der – stadtnah gelegen – kaum anders konnte als zur Erfolgsgeschichte zu werden.

Mit einer gestalterischen Haltung, die einen hohen Anspruch erkennen lässt, dabei aber nicht schicker sein möchte, als es für den Ort passend erscheint, haben die Architekten hoch über Innsbruck einen gleicher­maßen raubeinigen wie eleganten Sehnsuchtsort geschaffen, der – stadtnah gelegen – kaum anders konnte als zur Erfolgsgeschichte zu werden.

Bei schönem Wetter ist ganz Innsbruck am Berg, d. h. allermindestens auf der sonnenverwöhnten Südseite des Karwendels im Wald und auf den Almen unterwegs – Teile davon sind mit der einst von Zaha Hadid gestalteten Hungerburgbahn (s. db 3/2008) leicht zu erreichen.

Die Stadtverwaltung weiß nur zu gut darum und gönnte den Bürgern auf ­öffentlichem Grund den Bau einer neuen Ausflugsgaststätte. Der Standort hat Tradition, schon seit Jahrhunderten wurde auf der Umbrüggler Alm Weidewirtschaft betrieben und bekam der Wanderer vom Senn zu essen und zu trinken. 1873 gab es mit dem Neubau der Hütte gleichzeitig auch eine offizi­elle Schankerlaubnis – mit der es ein Jahrhundert später, 1979, allerdings ein Ende nahm, weil die Lebensmittelpolizei kein Auge mehr zudrücken konnte und das bis dahin marode Gebäude abgerissen wurde.

Für den Neubau wollten die beiden im Verbund arbeitenden und im Wett­bewerb siegreichen Bregenzer Architekten Elmar Ludescher und Philip Lutz mit möglichst wenig Erdbewegung auskommen und versenkten so das geräumige UG allein rückseitig im Hang – ein wenig oberhalb des alten Standorts, den Berg im Rücken und die volle Aussicht vor sich.

Aus der Ferne wirkt das Gebäude trotz seiner relativen Größe, der mehrfach gebrochenen Grundrissfigur und dem vielflächigen Dach wenig aufgeregt. Die Dachdeckung aus drei Lagen Lärchenschindeln ist im Vergrauen begriffen, zeitverzögert wird auch die Schindelbekleidung der Wände folgen und sich dem Farbton der umstehenden Fichtenstämme anpassen. Als Farbtupfer erhalten bleiben werden die sommerliche Terrassenmöblierung, die zurückgesetzten, unbewitterten Holzfassaden und die Spiegelungen in dem gläsernen Fassadenband, welches dem Gebäude einen Hauch von fliegender Untertasse verleiht.

Auf Qualität geachtet

Von warmer Gastlichkeit kündet der rauchende Kamin, der die Holzfeuerung und zwei offene Kamine in den beiden Gaststuben bedient. Das Innere ist ein Traum in Holz. Die Wände sind mit bandsägerauer Weißtanne bekleidet, der Boden damit belegt. Den Anspruch an die Holzoberflächen ­haben die Architekten aus Vorarlberg mitgebracht und im Sägewerk auf Herzdielenschnitt mit stehenden Jahren geachtet, wie auch darauf, dass die ausführende Firma vor Ort die Herausforderungen der komplexen Deckengeo­metrie meisterte. Die geschlitzten Akustikpaneele aus Weißtanne sorgen für eine angenehme Hörsamkeit, die trotz der Größe des Raums nicht ins Hallige abdriftet, eine gewisse Intimität am Tisch bleibt gewahrt. Locker, aber mit geübter Hand über die Deckenuntersicht verstreute Punkstrahler, Bewegungs- und Rauchmelder ergeben zusammen mit den Stößen unterschiedlicher Holzfarben ein lebendigeres Bild als es die Fotos vermuten lassen; auf diesen wirken die Räume sehr viel »cleaner«, als das realiter der Fall ist. Der raue Charme, dem etwas Provisorisches, vielleicht sogar Werkstatthaftes anhaftet, passt gut zur rusti­kalen Tradition des Orts – vervollständigt durch kantige, ins Klobige tendierende, dennoch elegante Stühle und Tische nach Entwurf der Architekten. All das kann ruhig ein wenig schmutzig werden und angestoßen sein; die Patina wird dieser Neuinterpretation einer Almhütte eher gut tun und den unvorbereiteten Wanderer davon abhalten, sich dem zeitgenös­sischen Schick mit zu großer Ehrfurcht zu nähern.

Dünne, schwarze Stützen innen vor der Dreischeibenverglasung gewähren maximale Aussicht: ein nahezu 180° umfassendes Panorama Wald-Tal-Berge, vom auskragenden Dach beschattet und gerahmt, über die Stadt, zur Bergisel-Schanze und weit darüber hinaus. Ein räumlicher Kniff verhindert, dass die Horizontalität die Oberhand gewinnt: Die zur Raummitte hin ansteigende Zeltform der Decke mündet in eine bergende Geste und schafft Konzentra­tion in den Raum hinein statt zur Aussicht hin. Man mag den Begriff kaum benutzen, aber der Rezensent fand es dort schon sehr gemütlich und blieb auch deutlich länger sitzen als geplant – um die sauberen Details und die unauffällig integrierten Ideen zu studieren, wie z. B. eine die Fensterseite begleitende Bank (jeder will immer am liebsten auf der Bank sitzen), das Fugenbild oder die Lüftungsleiste zwischen Fassade und Decke, die auf die Komfort­lüftung mit Wärmerückgewinnung und somit auf den nachhaltigen Betrieb verweist, der dem ganzen Projekt abverlangt wurde. Genutzt werden auch die Abwärme von Kühlzellen und Küche – gekocht wird mit Gas. Warmwasser steuert ein Sonnenkollektor am Hang bei, das Gros der Wärme liefert die Stückholz-Heizung, unterstützt von den offenen Kaminen. Die komplexe Technik des Lüftungsgeräts ist auf einer Empore zwischen Dach und der in ­einer freien, von den Dachflächen unabhängigen Form abgehängten Decke untergebracht.

Das Wasser stammt von einer Quelle auf dem Grundstück, die Entwässerung erfolgt über ein Kanalsystem, das die Stadt schon früh für die auf dem weitläufigen Hang verstreuten Gehöfte und Forsthäuser angelegt hat.

So wie die Stadt mit den Architekten die richtigen Partner für die Umsetzung ihres Slogans alpin | urban gefunden hat, so hat sich bei der Gastronomieausschreibung auch das passende Konzept der Vollblutgastronomin Sonja Schütz durchgesetzt: Ihre Speisekarte orientiert sich an traditionellen Gerichten der Region, die üblichen Fertigprodukte kommen bei ihr nicht auf den Tisch, alles wird aus möglichst regionalen Zutaten frisch gekocht, gebacken, zubereitet. Mit der hohen Qualität, die freilich ihren – keineswegs zu hoch angesetzten – Preis hat, überzeugt sie auch die zunächst skeptischen Gäste, die von anderen Bergstationen schnelle, billige Dutzendware gewohnt sind. Die warmherzige, zupackende Wirtin verbringt mit ihrem Lebenspartner ganze Wochen auf der Alm, die kleine Wohnung im UG bietet dazu die nötigen Schlafplätze. Das übrige Personal nimmt bisweilen täglich den steilen Aufstieg in Kauf; das Befahren der Waldwege wird so gut wie niemandem ­erlaubt, Stellplätze gibt es ohnehin nur für die Pächter selbst.

Dennoch finden sich bei schönem Wetter, v. a. an Feiertagen und Wochenenden zahllose Gäste ein, die kaum mehr auf die geschotterte Terrasse passen. Diese soll bald, da sich der Untergrund ausreichend gesetzt hat, einen Holzrost erhalten. Im Innern lässt sich die Bewirtung noch auf einen Nebenraum ausweiten, der bisweilen für private Anlässe und auch Seminare genutzt wird, und notfalls sogar noch auf den sogenannten Naturraum, eine kleine Ausstellung zur Fauna und zur Zugänglichkeit des Naturparks Karwendel. Leider ist der Ausstellungsraum durch seine Lage im Gebäude, wiewohl über den ­Balkon von außen zugänglich, kaum zu finden – eine Beschilderung ist in ­Arbeit. Auch versucht die Pächterin noch, die durchaus geräumige Küche weiter zu optimieren, die der Küchenplaner für eine ganze Reihe von Eventualitäten auszulegen hatte und nicht perfekt auf ein einzelnes Küchenkonzept hin ausrichten konnte. Die mit schönem Kontrast von Holzoberflächen und anthrazitfarbenen Fliesen und Trennwänden die Dunkelheit im Untergrund thematisierenden Sanitärräume im UG zeigen in den Edelstahlwaschbecken, wie kalkhaltig das Alpenquellwasser ist. Freilich darf man sich auch über­legen, warum ein Gebäude, das im Grunde aus einer Betonstruktur besteht, nach allen Seiten wie ein Holzbau daherkommen soll, und wie gut es die ­damit einhergehende Unehrlichkeit verträgt. Unweigerlich führt das aber zum unausführbaren Spagat zwischen gewünschter Anmutung, erhofften ­Anknüpfungspunkten, emotionaler Zugänglichkeit und den nackten Anforderungen an ein bezahlbares, funktionales, nutzbares Stück Hightech, das Schneelasten tragen und auch einem Lawinenabgang standhalten kann.
Insofern sind alle Beteiligten zu loben, dass sie ernsthaft für ein passendes Stück Architektur an dieser Stelle gefochten haben: die architekturaffine Bürgermeisterin als treibende Kraft der Architekturqualität in Innsbruck, ebenso wie das vife Bauamt, die Bauleitung und die Architekten samt den ausführenden Handwerkern.

Die noch junge, bereits mit Preisen überschüttete Alm trifft in Anmutung wie An­gebot genau den richtigen Ton zwischen anspruchsvollem, aufgeschlossenem Stadtleben und den guten, Körper und Geist wohltuenden Aspekten der Tradi­tion: nicht zu schick, dafür aber richtig gut.

db, Mo., 2016.12.05



verknüpfte Bauwerke
Umbrüggler Alm



verknüpfte Zeitschriften
db 2016|12 Redaktionslieblinge

01. Dezember 2015Achim Geissinger
db

Starke Basis

Klarheit und Reduktion auf das Wesentliche – zwei Schlagwörter, die oft fälschlicherweise bemüht, aber nicht eingelöst werden. Beim Bau des Götzner Feuerwehrhauses hingegen wurden sie überzeugend umgesetzt. Sie sind Grundlage für die ästhetische Ausgestaltung und optimale Abläufe. Im freundschaftlichen Zusammenspiel von Bauherr und Architekten entstand ein funktionales Gebäude, dem die Freude am gemeinsamen Gestalten anzumerken ist.

Klarheit und Reduktion auf das Wesentliche – zwei Schlagwörter, die oft fälschlicherweise bemüht, aber nicht eingelöst werden. Beim Bau des Götzner Feuerwehrhauses hingegen wurden sie überzeugend umgesetzt. Sie sind Grundlage für die ästhetische Ausgestaltung und optimale Abläufe. Im freundschaftlichen Zusammenspiel von Bauherr und Architekten entstand ein funktionales Gebäude, dem die Freude am gemeinsamen Gestalten anzumerken ist.

Das Feuerwehrhaus ist schon seit über einem Jahr in Betrieb. Doch trotz der hohen Beanspruchung von Ausrüstung und Gebäude bei Übungen und Einsätzen sieht alles noch so aus wie eben erst an die Nutzer übergeben. Die freiwilligen Feuerwehrleute gehen nicht nur mit ihren Gerätschaften auffällig pfleglich um, sondern wissen auch, das Gebäude und die Räumlichkeiten darin wertzuschätzen. Das mag zum einen an der Ernsthaftigkeit liegen, mit der jeder einzelne an seine freiwillige Tätigkeit herangeht, könnte zum anderen durchaus aber auch mit dem edlen Rahmen zu tun haben, den der Neubau bietet.

Der sauber geschalte, helle Beton, der in der Frontalansicht nur als Rahmen in Erscheinung tritt, zieht sich um das gesamte Gebäude herum und wird nur von wenigen, wohlüberlegten Einschnitten durchbrochen. Vor Schulungsraum, Saal und Büro bildet eine Schicht aus perforiertem, schwarzem Trapezblech einen festen Sonnenschutz und sorgt für ein homogenes Erscheinungsbild.

Cukrowicz Nachbaur Architekten fahren eine gestalterische Linie zwischen der kaum hoch genug zu lobenden Handwerkskunst Vorarlbergs und Schweizerischer Präzision, ohne dabei jedoch in die protestantische Freudlosigkeit der westlichen Nachbarn abzugleiten " deren Reduktionismus mittlerweile gerne einmal zum Selbstzweck verkommt. Zur Klarheit der Gestalt gehört auch die Klarheit der Konzeption; und so verwundert es nicht, dass sich der ursprünglich für ein Grundstück mitten im Ort gedachte Entwurf mit geringen Anpassungen leicht für eine viel verkehrsgünstiger gelegene Stelle direkt an der Autobahnauffahrt adaptieren ließ: durch simple Spiegelung der Grundrisse. Eine durchgehende Foyerzone trennt den »sauberen« Verwaltungs- und Schulungsbereich vom »Notfallbereich« mit Fahrzeughalle, Umkleide, Werkstätten und Lagern ab. Obwohl stark überlängt entfaltet dieser helle, mit seinem zum Verwaltungstrakt hin mit finnischem Birkensperrholz bekleidete und angenehm proportionierte Flurraum eine enorme Aufenthaltsqualität. Man hat an Schallschluckflächen gedacht und sich viel Mühe gegeben, alle Materialstöße bündig auszuführen. So wird der Raum, wie auch einige andere im Haus, über deckenbündige Leisten beleuchtet, deren Licht die Materialität der Wände hervortreten lässt und keine dunklen Ecken duldet. Die Präzision, mit der hier vorgegangen wurde, lässt weniger an Ordnungszwang als vielmehr an den enormen Tüftlerspaß denken, den Planer und Ausführende sichtlich hatten. Mit einigem Stolz weist der Projektleiter Michael Abt auf die selbst entworfenen, trickreich durchdachten Stauraummöbel im Büro hin. Und er freut sich, dass er einen Betrieb auftun konnte, der sich den Einbau raumhoher Fenstertüren im Sitzungssaal zutraute. Denn so ließen sich störende Kämpfer vermeiden und der noble Charakter der hohen Formate erhalten. Die edle Anmutung und hochwertige Ausstattung von Saal und angrenzender Notfallküche wecken Begehrlichkeiten im Ort, und so sprach die Feuerwehr ein generelles Nutzungsverbot aus, um die Räume zweimal wöchentlich für Schulungen, für Versammlungen und v. a. für unplanbare Notfälle und Katastropheneinsätze zur Verfügung zu haben. Allein dem Gemeinderat wurde zugestanden, seine Sitzungen hier quartalsweise abzuhalten.

Gemeinsam das Optimum erarbeiten

Dass auch die Gemeinde Götzis nicht über unerschöpfliche Geldquellen verfügt, zeigt sich in der Ausstattung jener Räume, die in der Hierarchie niedriger eingestuft wurden: Der kleine Seminarraum beispielsweise kommt dank der gestaltenden Hand der Architekten und mit großzügigen Fensterflächen versehen aber auch gut ohne Holzvertäfelung aus.

Die nötigen Sparmaßnahmen wurden minutiös mit dem Bauherrn abgestimmt, als dessen Vertreter und schließlich auch als Nutzer sich der Feuerwehrkommandant Eugen Böckle als ein kompetenter und pragmatisch denkender Sparringspartner für die Architekten erwies. Im freundschaftlichen Miteinander trug der Kommandant so manchen schwer vermittelbaren Gedanken der Architekten mit und winkte bisweilen durch, was im Kollegenkreise zu fruchtlosen Debatten hätte führen können.

So überlegten sich die Architekten für die Möblierung und die Wände der Leitstelle schwarz glänzende Oberflächen, z. T. aus mikroperforiertem Metall – die den Feuerwehrleuten zunächst reichlich gewagt und ungemütlich vorkamen. Eugen Böckle berichtet aber begeistert, dass sich in dem Raum während der nächtlichen Einsätze eine ruhig-konzentrierte Stimmung einstellt, die bei all der nervlichen Anspannung wohltuend auf die koordinierenden Personen einwirkt. Auch Projektleiter Abt schwärmt, dass er selten je von der Bauherrschaft so gut vorbereitete Arbeitsgrundlagen erhalten hat wie jene aus den Arbeitsgruppen der Feuerwehr Götzis. Oft genug wird übersehen, dass der Architekt nur so gut planen kann, wie der Bauherr seine eigenen Bedürfnisse zu artikulieren versteht.

In Götzis führten die klaren Vorgaben zur Konzentration der Hauptfunktionen auf einer einzigen Ebene, zur klaren Separierung einzelner Funktionsbereiche durch einen weiteren Flur, der die Umkleide durchstößt und mit Glastüren einige Übersichtlichkeit bringt, und zu kurzen Wegen von den das Gebäude umgebenden Parkplätzen aus durch insgesamt drei Eingänge.

Im Werkstätten- und Garagenbereich weicht die edle Anmutung einer robusten und dauerhaften Kombination aus Beton und Stahl. Nicht nur eine finanzielle Frage, sondern eine der Angemessenheit: Wo es schnell gehen muss und hart gearbeitet wird, wo mit Schmutz oder gar Giften zu rechnen ist, braucht es keinen Boden aus geschliffenem Beton wie im Verwaltungstrakt – hier reicht das »Monofinish« der flügelgeglätteten Bodenplatte. Auf ausgebuffte Schalungstechniken wurde verzichtet, der Beton behielt seine Rohbauanmutung.

Beim Entwurf der Möblierung stand die Nutzbarkeit im Vordergrund, die Spinde in der mechanisch entlüfteten Umkleide z. B. bestechen durch wohlüberlegte Details, tun aber nicht so, als käme es im Notfall auf Ästhetik an. Schön sind sie trotzdem, genauso wie die groben Bänke oder die Mosaikfliesen in den Duschen.

Von besonderer Qualität zeigt sich der Mannschaftsraum mit Theke und Durchblick zur Fahrzeughalle wie auch hinaus ins Grüne. Hier zwischen Notfallgerät, Bezug zur Außenwelt und der ein oder anderen Wettkampftrophäe lässt sich ein wenig davon erahnen, was die Feuerwehrleute dazu anspornt, große Teile ihres Lebens dem gemeinschaftlichen Katastrophenschutz zu weihen.

Nicht alle Räume haben es so glücklich erwischt: Für die Aufenthalts- und Schulungsräume für den jungen Nachwuchs war Tageslicht im UG verlangt, das nun aus Richtung Norden über Gitterroste an Betonwänden entlang in die Kellerräume streicht, zur Belichtung nicht ausreicht und als kaum mehr denn ein Feigenblatt gelten kann. Die jungen Leute verstehen dennoch, sich das ihnen zugewiesene Reich mit allerlei organisiertem Mobiliar zu eigen zu machen, zumal es gleich nebenan in den zahlreichen Lagerräumen und gut ausgestatteten Werkstätten immer etwas zu lernen gibt.

Unter dem Hof hindurch verbindet ein Gang das Gebäude mit dem Trockenturm. Hier werden die Schläuche in einer speziellen Apparatur gewaschen und schließlich zum Trocknen in den Turm hochgezogen. Wie ein Campanile erhebt sich dieser frei stehend knapp 20 m hoch auf u-förmigem Grundriss und zeigt sich zum Hof hin mit einer dunklen Metallbekleidung, die sich geschossweise öffnen lässt und dann für Abseilübungen bereitsteht.

In der Tat hört man den Vergleich mit einer Kathedrale. Und tatsächlich ist der Fassade mit der langen Reihe aus Falttoren eine feierliche Ernsthaftigkeit eigen, die vom herrlichen Kontrast zwischen dezidierter Horizontalität des Gebäudes und dem am Grundstücksrand nahe der Straße signalhaft 20,5 m hoch aufragenden Schlauchtrockenturm getragen wird.


Die Beharrlichkeit aller Beteiligten hat sich gelohnt, galt es doch, auf dem langen Weg, den zu klein gewordenen Standort von 1963 durch einen neuen zu ersetzen, viele Hürden zu überwinden, von ersten Planungen zu Beginn der 90er Jahre, über einen erneuten Anlauf 2003 bis zum Wettbewerb 2010 und schließlich zum Baubeginn im Sommer 2012. Voller Stolz nutzt und präsentiert die Feuerwehr Götzis nun ihr neues Domizil und überschreibt ihre Broschüre mit einem Satz, der eigentlich alle Belange dieser Bauaufgabe zusammenfasst: »Einsatz verlangt eine starke Basis«.

db, Di., 2015.12.01



verknüpfte Bauwerke
Feuerwehrhaus Götzis



verknüpfte Zeitschriften
db 2015|12 Redaktionslieblinge

30. November 2014Achim Geissinger
db

Einfach ausdiskutiert

Die Gemeinde musste auf ihrem Kirchengrundstück enger zusammenrücken und hat mit klug überlegten Eingriffen ein Kulturdenkmal der 50er Jahre nicht nur erhalten, sondern für sich selbst deutlich besser nutzbar machen können. In beharrlichen Debatten haben alle Beteiligten die jeweils beste Lösung erstritten.

Die Gemeinde musste auf ihrem Kirchengrundstück enger zusammenrücken und hat mit klug überlegten Eingriffen ein Kulturdenkmal der 50er Jahre nicht nur erhalten, sondern für sich selbst deutlich besser nutzbar machen können. In beharrlichen Debatten haben alle Beteiligten die jeweils beste Lösung erstritten.

Jährlich tritt in Deutschland etwa eine Viertelmillion Menschen aus den christlichen Kirchen aus. Viele traditionelle Gemeinden spüren das deutlich und sehen sich zur Reorganisation von Strukturen und Angeboten gezwungen.

So auch die Rosenberggemeinde mitten im dichtbesiedelten Stuttgarter Westen, welche die 800 Sitzplätze in ihrer Kirche allenfalls noch zu Weihnachten brauchte; im regulären Gottesdienst sitzt nur noch ein versprengtes Grüppchen. Die Gemeindearbeit hat derweil kaum an Bedeutung verloren; Jugendgruppen, Musikangebote, Seniorenrunden und andere Gemeinschaftserlebnisse erfahren Zulauf, wie auch die diakonischen Aufgaben nicht weniger werden. Die seit einiger Zeit mit einer weiteren evangelischen Nachbargemeinde vereinigte Rosenberggemeinde hat sich gut überlegt, wie sie mit ihren nun zwei Standorten umgehen will. Mit dem Verkauf ihres wenig attraktiven Gemeindehauses aus den 30er Jahren hat sie einen Gutteil der Kosten für Sanierung und Umbau der unter Denkmalschutz stehenden Rosenbergkirche finanziert.

Der Haltung folgend, dass Kirchen nicht nur gestalterisch das Stadtbild prägen, sondern auch in ihrer Funktion als Orte des sozialen und spirituellen Austauschs, wurde das Raumprogramm gestrafft und der Standort attraktiver gemacht.

Während man in Frankreich oder Benelux keinerlei Manschetten hat, Kirchen zu Kinos, Handelskammern, Buchläden oder Restaurants umzunutzen, geben sich die Gemeinden in Deutschland redlich Mühe, den sakralen und auch räumlichen Charakter ihrer Gotteshäuser nach Kräften zu erhalten. Bei der Rosenbergkirche lohnte das besonders, stuft sie der Denkmalschutz doch als Gesamtkunstwerk ein und als bedeutenden Repräsentanten des Organischen Bauens der 50er Jahre in Württemberg. Erwin Rohrberg hat sie zwischen 1954 und 1956 auf der Fläche einer zerstörten ehemaligen Wanderkirche erbaut und dabei Elemente des Industriebaus mit räumlichen Konzepten, wie er sie bereits im Kinobau eingesetzt hatte, zu einem heiteren und zugleich stimmungsvollen Ensemble zusammengebunden. Genau hierin lag aber ein Problem, mit dem die Gemeinde nie ihren Frieden gemacht hat: Rohrberg hatte die abweisende Eingangsfront komplett geschlossen, den ganzen Kirchenraum allein über den Obergaden beleuchtet und somit das Foyer unter der Empore in dramatische Düsternis getaucht, aus der heraus das Kirchenschiff und die über ein Oberlicht à la Corbusier erhellte Chorwand umso heller erstrahlte – per aspera ad astra.

Explizit war daher im Auswahlverfahren nach Öffnung des Ensembles gefragt und die Aufgabenstellung recht frei formuliert worden, man stellte sogar die Möglichkeit von Teilabrissen in Aussicht. Siegreich war schließlich das Konzept von Kamm Architekten, das mit seinen minimalen Eingriffen und der Umnutzung einzelner Raumabschnitte sowohl den Begehrlichkeiten des Denkmalschutzes als auch der klammen Finanzsituation der Bauherrschaft gerecht wurde. Die Verbesserungen beginnen im Außenraum, den Rohrberg damals als abgeschlossenen, eingefriedeten Kirchhof definiert und auf das in der Tiefe des Grundstücks gelegene Gemeindehaus ausgerichtet hatte. Die rote Sandsteinwand, die den Vorplatz von der Straße abtrennt, durchbrachen die Architekten mit zwei schmalen Treppenläufen, die nun, begleitet von farbig gefassten Stahlwangen, den direkten Zugang ermöglichen, dabei zunächst ein Gefühl der Enge erzeugen, welches, oben angekommen, die Qualität des Freiraums inmitten der dichten Blockstruktur des Quartiers aber umso deutlicher erlebbar macht. Ein Kniff, der umso nötiger erschien, als die neue Nachbarbebauung auf dem veräußerten Grundstücksteil nebenan ziemlich dicht herangerückt ist und damit die einladende Geste der seitlich geführten Haupttreppe ad absurdum führt.

Hochkant in die Kirchenfassade geschnittene Fensteröffnungen und -türen signalisieren die gewünschte Offenheit und geben dem Foyer endlich die ersehnte Helligkeit. Es wird zu gesellschaftlichen Anlässen genutzt – die regelmäßige Bespielung als Bistro-Café mit Außenterrasse wird erprobt.

Die eigentliche Heldentat besteht aber darin, durch den Einbau einer Trennwand die selten belegte Empore in einen gut proportionierten, gern genutzten Saal transformiert und das Kirchenschiff um zwei Joche verkürzt zu haben. Der Proportion des Kultraums schadet dies erstaunlicherweise keineswegs, im Gegenteil: Die Gemeinde sitzt nun dichter beisammen und näher am Geschehen. Der Altarraum, der zuvor mit den wandnah platzierten Elementen Kanzel, Pult, Altar übermöbliert wirkte, wurde in den Raum hinein um so viel ausgeweitet, dass nun ein ganzes Orchester Platz findet. Für die Farbfassung der Wände hat man sich auf ein gedecktes Weiß geeinigt, das die Farbigkeit der Wandgestaltung hinter dem Altar hervorhebt und den vordem grau gestrichenen Raum in eine helle Feierhalle verwandelte.

Die neue Trennwand führt mit ihrer akustisch wirksamen Faltung und gläsernen Durchbrüchen ein neues Formenvokabular ein, wirkt aber keineswegs wie ein Fremdkörper. Eher präsentiert sie sich wie ein Einbaumöbel, als das sie im Grunde auch konzipiert ist: eine jederzeit ohne nennenswerte Eingriffe in die Substanz wieder rückbaubare Stahlkonstruktion. Der mechanisch belüftete Saal auf der Empore ist als energetisch getrennter Raum im Raum eingebaut und mit Küche und Sanitäreinrichtungen versehen. Der Brandschutz – es greifen die Regeln der Versammlungsstättenverordnung – verlangte u. a. ein separates (durchaus sehenswertes) Fluchttreppenhaus.

Das knappe Budget der Gemeinde ist verschiedenen Sitzmöbeln und Gerätschaften anzusehen, die zu den großen Festen gebraucht werden und für die es einen Stauraum nicht mehr gereicht hat. Die Architekten waren gezwungen, mit wenigen, einfachen und preiswerten Mitteln zu arbeiten und viele Diskussionen mit allen Beteiligten darüber zu führen, was möglich, sinnvoll und v. a. bezahlbar ist. Im sogenannten Konfirmandenhaus, einem kleinen, zur Straße hin verschlossenen, zum Vorplatz hin geöffneten Anbau mit drei Geschossen, fallen die weißen, sauber gearbeiteten Einbaumöbel eben gerade nicht auf. Die hellen Gruppenräume und das Gemeindebüro bieten einen protestantisch-sachlichen aber auch freundlichen Rahmen. So freut sich der Architekt – und auch der geneigte Besucher – umso mehr über »Extras« wie das Thekenmöbel und Sanitärausstattungen aus Mineralwerkstoff und die Wendeflügel der neuen Fenster, die man aus energetischen Gründen nicht mit den schmalen Profilen der 50er Jahre ausstatten konnte, sondern dem Standardsortiment entnehmen musste. Irritiert mag man die unterschiedliche Anmutung der original erhaltenen Treppenhausverglasung und der neuen Profile vergleichen; als klare Aussage über Alt und Neu darf man die Entscheidung der Architekten aber anerkennen, ebenso wie die Farbauswahl, über welche sich die neuen Rahmen in den Duktus der gesamten Fassade einfügen. Das ganze Haus wurde in enger Abstimmung mit den Denkmalbehörden mit neuer Heizungstechnik ausgestattet, mit einem Innendämmputz und neuen Bodenbelägen versehen, über einen gemeinsamen Aufzug barrierefrei erschlossen, und auch der Dachhohlraum wurde ausgedämmt. Keine der Maßnahmen rückt dem Denkmal zu dicht auf die Pelle, vielmehr hat man sich viel Mühe gegeben, seinen Wert zu stärken. Alle Einbauten und Veränderungen sind additiv konzipiert und reversibel. Und auch wenn so manche Detaillösung in den zahllosen Diskussionen nicht über das Stadium eines guten Kompromisses hinauskommen konnte, darf das gesamte Projekt doch als Paradebeispiel dafür gelten, dass die Beteiligung vieler Köche den Brei nicht zwangsläufig verderben muss. Dem Durchhaltevermögen der Architekten sei Dank, wie auch dem ambitionierten Mitwirken einzelner Gemeindemitglieder und der kompetenten Bauherrschaft. Es ist zu spüren, wie viel Gedankenarbeit in das Projekt geflossen ist und dass der Spaß am Austüfteln guter Lösungen dabei nicht zu kurz kam.

db, So., 2014.11.30



verknüpfte Zeitschriften
db 2014|12 Redaktionslieblinge

05. Oktober 2014Achim Geissinger
db

Im Sinne der Sinnlichkeit

Die Tierfiguren aus der Vogelherdhöhle zählen zu den ältesten Kleinkunstwerken der Menschheit. Eine Auswahl davon wird nahe der Fundstelle in einem sichelförmigen Sichtbeton-Gebäude gezeigt, das in einen weich geschwungenen Grashügel eingebettet liegt und dessen Glasfront wie ein Schaufenster den Blick auf den gegenüberliegenden Hang mit der Höhle eröffnet. An dem hochästhetisch gedachten Gestaltungskonzept reiben sich verschiedene Auffassungen, wie die Besucher angelockt und unterhalten werden sollen.

Die Tierfiguren aus der Vogelherdhöhle zählen zu den ältesten Kleinkunstwerken der Menschheit. Eine Auswahl davon wird nahe der Fundstelle in einem sichelförmigen Sichtbeton-Gebäude gezeigt, das in einen weich geschwungenen Grashügel eingebettet liegt und dessen Glasfront wie ein Schaufenster den Blick auf den gegenüberliegenden Hang mit der Höhle eröffnet. An dem hochästhetisch gedachten Gestaltungskonzept reiben sich verschiedene Auffassungen, wie die Besucher angelockt und unterhalten werden sollen.

Erste Überlegungen zur Erschließung des Geländes hatte es bereits im Rahmen eines Semesterentwurfs am Städtebau Institut der Universität Stuttgart gegeben, bei dem sich die Studierenden einige Mühe gaben, landschaftsverträgliche Lösungen zu erarbeiten. Die Erkenntnisse daraus kamen der Mehrfachbeauftragung zugute, die von der Stadt Niederstotzingen kurze Zeit später in Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Lehrstuhl ausgelobt wurde. Der Siegerentwurf der Münchener Architekten Ritter Jockisch greift fast gar nicht in das Gelände ein, lediglich zwei Betonportale in einem grasbewachsenen Wall – und inzwischen einige Außenmöbel – künden von der baulichen Überformung des Geländes. Die erforderlichen Räume für Ausstellung, Café, Büro, Sanitäreinrichtungen und Lagerfläche liegen in einem sichelförmigen Gebäude aufgereiht, das nach außen hin komplett erdbedeckt ist, sich zur anderen Seite aber über boden- und deckenbündige Verglasung zu einem kreisrunden Hof hin gänzlich öffnet und das Panorama des Vogelherdhügels stets präsent hält. Diese bergende Geste fasst den Freibereich und den gegenüberliegenden Hügel zu einer überschaubaren Landschaftseinheit zusammen, die dem Duktus des kleinräumlich strukturierten Landstrichs entspricht und die eine gewisse Heimeligkeit spüren lässt. Das gesamte Konzept ist darauf ausgelegt, den Charakter des von Feldern, Wiesen, Büschen und Baumgruppen geprägten Geländes zu erhalten und als Wert für sich erfahrbar zu machen. Das beginnt schon mit dem langen Fußweg vom Parkplatz her, der eine gewisse Entschleunigung erzwingt. Das gefällt nicht jedem, stimmt aber bereits auf den Rundweg ein, der vom Gebäude aus den Karsthügel mit der darin versteckt liegenden Vogelherdhöhle erschließt und, en passant, auch eine Reihe von instruktiven Stationen, bei denen sich die Besucher z. B. in Speerwurf, Feuermachen oder Ausgraben üben können. Die Planer bauten – eingedenk der dünnen Erkenntnislage in Bezug auf so manchen Aspekt steinzeitlicher Lebensumstände – ganz auf die Kraft der eigenen Wahrnehmung und entwickelten für den Ort eine unaufdringliche Motivik des Spürens, Verfolgens, Entdeckens. Dazu gehört ein minimalistisches Gestaltungskonzept, das alle falschen Anklänge an Behaglichkeit umgeht und stattdessen mit zeitgenössischen Mitteln Analogien zum Leben in einer Höhle sucht. Dazu gehört die Idee, die Räume gefühltermaßen unter die Erde zu legen, sie weitgehend nur mit einem Material, nämlich Sichtbeton zu gestalten, diesen als festen und sicheren »Rücken« zu definieren und nur eine Blickrichtung, hinaus auf den geschützten Hof zuzulassen.

Ein kleiner Ausstellungsbereich gibt inhaltliche Orientierung über die zeitliche Einordnung der Funde und somit die Bedeutung des Orts. Dem Höhlenmotiv folgend, führt von hier eine kurze Rampe in einen abgedunkelten Raum hinab, das Herzstück der Ausstellung, die mit Stahltüren gesicherte »Schatzkammer«, in der zwei der originalen Fundstücke präsentiert werden, darunter das einzig vollständig erhaltene Stück, ein 3,5 cm kleines Mammut aus Mammutelfenbein. Die beiden extrem kostbaren Exponate – sie sind etwa 40 000 Jahre alt und gehören zu den ältesten bislang bekannten Kunstwerken der Menschheit – sind in jeweils einer klimatisierten Vitrine untergebracht und stimmungsvoll beleuchtet. Zur Szenografie gehört auch die beiläufige Projektion eines Films, der einen Elfenbeinschnitzer bei seinem Tun zeigt. Glücklicherweise erwies sich der gelieferte Beton als hell genug, um ohne separate Projektionsflächen auskommen zu können – aufhellende Zuschläge wären unerschwinglich gewesen.

Kleinod unter Verwertungsdruck

So manches war allerdings in der Tat unerschwinglich. Die Gemeinde Niederstotzingen kann ein solches Projekt kaum aus eigenen Mitteln bestreiten. Es greift aber das Programm LEADER, mit dem die EU und das Land Baden-Württemberg innovative Projekte zur Stärkung des ländlichen Raums fördern. Dem Archäopark wurden reichlich bemessene 750 000 Euro zugesprochen, allerdings unter der Bedingung, die Bausumme von 1 Mio. Euro nicht wesentlich zu überschreiten. Der Wettbewerbsentwurf musste, von diesem knappen Budget ausgehend, quasi rückwärts gerechnet werden. Wer genau hinschaut, kann das z. B. an der Gebäudegeometrie ablesen. Natürlich wurde zunächst überlegt, das Gebäudedach in Schalenform zu erstellen.

Das Einschalen wäre aber viel zu aufwendig geworden und das alternativ überlegte Zusammenfügen aus Fertigteilen hätte den monolithischen Eindruck empfindlich gestört. So hat man die Decken folgerichtig horizontal gegossen, sich dadurch u. a. komplizierte Fassadenanschlüsse gespart, aber eben auch eine gerade Trauflinie erhalten, die nicht so recht zum Schwung der Anlage passen will und einen unschönen, wenn auch subtilen Knick am Übergang zu den ins Gelände auslaufenden Wangen ergibt.

Den Sparzwang merkt man aber v. a. an Tagen mit hohen Besucherzahlen, wenn das Haus räumlich an seine Grenzen stößt, das Café voll besetzt, der Nassbereich belagert und der Zugang nur noch schwer zu überwachen ist. Die Betreiber würden dann gerne noch mehr Programm anbieten als ohnehin schon. Ein als überdachte Feuerstelle gedachter Außenraum wird seit jeher mit einer Bärenjagd-Performance bespielt. Eine weitere Grillstelle wurde in Betrieb genommen. Noch in der Vorplanung wurde eine – heute sehr gerne genutzte – Terrasse in den Wall eingefügt, die Ausschank auch ohne Eintrittskarte erlaubt, leider aber in Konkurrenz zum suggestiven, tunnelartigen Haupteingang steht. Und auch das Freigelände wird noch die eine oder andere Attraktion aufnehmen müssen, von der die Betreiber wissen, dass sie weitere Besucher anlocken und auf dem Gelände halten wird. Den durchschlagenden Erfolg des Archäoparks hatte man zwar erhofft, aber nicht wirklich vorhersehen können.

Entsprechend müssen Architektur und Gestaltungskonzept einiges aushalten. Innen geht das bisweilen ganz gut; die formale Zurückhaltung und die geradlinige Möblierung bieten einen neutralen Hintergrund für das bunte Treiben. Technische Einbauten und Leitungen verschwanden allesamt im Beton, die Energie aus der Luft-Wasser-Wärmepumpe wird über eine Fußbodenheizung verteilt. Der Außenraum hingegen wird es schwerer haben, denn schon drängen allerlei Aufsteller, Selbstgestaltetes, alle Arten von Außenmöbeln und bisweilen auch Firmen mit ihren Logos ins Bild.

An stilleren Tagen zeigt sich der Archäopark als unaufgeregter Ort, der die Besucher sanft lenkt und ihnen viel Freiraum für eigene Gedanken und Erfahrungen lässt. Das Entdecken steht dann im Vordergrund. So werden z. B. die im Gelände verstreuten Kautschuk-Würfel mit eingetieften Kurztexten zu wissenschaftlichen und philosophischen Fragestellungen zu echten Fundstücken.

An den belebten Tagen hingegen ist zu spüren, dass nicht jeder Besucher mit dieser sublimen Herangehensweise etwas anfangen kann oder sich darauf einlassen will. Mit ihrem Konzept haben die Architekten eine nahezu poetische Sprache gefunden, um dem Charakter und der Bedeutung des Orts wie auch der Subtilität der hier gefundenen Kunstwerke nahezukommen. Für sich genommen rundum lobenswert, zumal Ritter Jockisch viele übers Ziel hinausschießende Ideen abwehren und die Qualität ihrer eigenen Vorstellungen vermitteln konnten. Um der Gefahr eines Zuschussgeschäfts zu entgehen, hat der Bauherr den Archäopark jedoch nicht als Museum definiert, sondern als Freizeitpark. Man kann dadurch breitere Schichten ansprechen und das Gelände wirtschaftlich bespielen. Wer mag nun entscheiden, welche Haltung die richtige ist?

db, So., 2014.10.05



verknüpfte Zeitschriften
db 2014|10 Besucherzentren

02. Dezember 2013Achim Geissinger
db

Gut gerüstet

Auf den ersten Blick erweckt der Erweiterungsbau mit seinen klaren Linien und langen Achsen den Eindruck einer strengen Bildungsanstalt nach altem Muster. Im Detail bietet das Gebäude aber eine Vielzahl von Anreizen, die auf subtile Weise dazu verführen, die Wahrnehmung zu schärfen und sich die unterschiedlichen Raumsituationen anzueignen.

Auf den ersten Blick erweckt der Erweiterungsbau mit seinen klaren Linien und langen Achsen den Eindruck einer strengen Bildungsanstalt nach altem Muster. Im Detail bietet das Gebäude aber eine Vielzahl von Anreizen, die auf subtile Weise dazu verführen, die Wahrnehmung zu schärfen und sich die unterschiedlichen Raumsituationen anzueignen.

Man sieht es diesem Gebäude an, dass ein verständiger Bauherr mit viel Herzblut und Sachinteresse Entwurf und Bauprozess begleitet hat. Die viel gescholtene öffentliche Hand kann so etwas durchaus leisten, und sogar architektonisch unbeleckte Laien: Als es um die Zusammenlegung der drei Standorte des über die Jahre stetig gewachsenen Gymnasiums Oberursel ging, setzte der damalige Schulleiter einen »Arbeitskreis Schulneubau« ein, der Bedürfnisse und Wünsche bündelte und durch die kontinuierliche Begleitung des Bauvorhabens zum kompetenten Partner des Landkreises, des eigentlichen Bauherrn, heranwachsen konnte. Ein kluger Schritt, wollte die Schule doch dezidiert ihre eigenen Schwerpunkte ausbauen, sich gegenüber neuen Strukturen öffnen und sich dabei nicht von Standardlösungen einschränken lassen. Jens Frowerk, ein Mitglied des Lehrerkollegiums, leitet diesen Bauausschuss seit 2006 und lobt die Kreisverwaltung vollmundig als aufgeschlossenes und kooperatives Gegenüber. Und ihm sprüht die Begeisterung aus den Augen, wenn er vom Bauen und vom Ringen um die beste Lösung erzählt. Auch die Architekten sind froh, dass sie innerhalb des klar begrenzten Kostenrahmens (der eingehalten wurde!) zwar nicht in die Vollen gehen, trotzdem aber auf hohem ästhetischen Niveau arbeiten konnten.

Aufgelockerte Strenge

Zur Straßenbahnlinie hin tritt der Neubaukomplex recht unbescheiden mit einem durchgehenden Riegel für die Fachräume auf. Die klare, in eine relativ dunkle »Schutzhaut« aus Glasfaserbetonplatten gekleidete, massiv wirkende Großform erschien so manchem Gemüt allzu beherrschend für die von lockerer Villenbebauung geprägte Umgebung und bedurfte der Erklärung. In Gesprächen über die Vorzüge des Neubaus machten die Vorbehalte aber schnell der Anerkennung Platz. Mit seiner Länge und Ausgestaltung reagiert der drei Geschosse hohe naturwissenschaftliche Trakt sinnfällig auf die Verkehrssituation, betont den Status als Sonderbau und begeht nicht den Fehler, sich wegducken zu wollen. Das hatte der stark untergliederte Altbau von 1913 noch versucht – eine veritable »Penne«, die gestalterisch einen schwer lastenden Heimatschutzstil mit tief herabgezogenen Walmdächern bemüht. Klare Linien setzte Anfang der 90er Jahre ein Erweiterungsbau dagegen; nach außen hin kommt er dem Klischee einer Ortskrankenkasse nahe, erfreut innen aber mit hellen Räumen und einigem zeittypischen Kolorit.

Durch die Investition von insgesamt mehr als 57 Mio. Euro entstand nun, nach dem Abriss verschiedener Pavillonbauten aus den 60er Jahren, ein weiterer Neubau, dessen einzelne Elemente sich nach dem Prinzip einer Stadt in der Stadt um einen annähernd quadratischen, auffallend angenehm proportionierten Hof als zentralem Platz herum gruppieren. Ein aufgeständerter Gang erschließt im Ringschluss alle Bauteile und bildet mit seiner spiegelnden Glasfassade den Gegenpart zu den opaken Ansichten, die den Komplex zur Nachbarbebauung hin abgrenzen. Die bedruckten Scheiben mit ihrem kühlen Minz-Ton lassen den Hof weit und den Himmel darüber besonders groß erscheinen. Teils innen, teils außen aufgedruckte Linien dienen dem Sonnenschutz, ihr Muster erscheint wie ein feiner Vorhang und ergibt beim Vorbeigehen einen lebendigen Rhythmus. Das tut den reichlich streng gestalteten, durch ihren bis zum Maximum geführten Außenbezug aber geräumig wirkenden Erschließungsbereichen gut. Sie sind als Straßen definiert und mit dem Begriff »robust« assoziiert; dazu passt die erfreulich hohe, aber nicht allzu perfekte Sichtbetonqualität von Wänden und Decken.

Zur angrenzenden Einfamilienhausbebauung hin ist die Baumasse in einzelne U-förmige Klassenhäuser mit je einem Innenhof aufgelöst. Die nach unterschiedlichen Themen gestalteten Gartenhöfe bieten Identifikation und ermöglichen Unterricht im Freien.

Innen geht es privat zu: Helle, durch Linoleum, Holzfurnier und einzelne Farbflächen akzentuierte Klassenräume bilden »Gute Stuben«. Zum Flur gibt es wenig, zum Garten hin dafür umso mehr Außenbezug über durchgehende Fensterflächen, deren tiefe Laibung Sitzgelegenheiten bietet.

Zwischen den Fluren tun sich großzügige Ausweitungen auf, die offiziell als Arbeits- und Recherchezonen definiert sind, sich aber am besten als »Quartiersplatz« eignen, zum Sehen, Gesehenwerden, Abhängen, Beobachten, vielleicht auch Lernen, … ganz wunderbare Aufenthaltsbereiche für die Heranwachsenden.

Zu den Materialtönen Weiß, Anthrazit und Wildbirne suchten die Architekten noch fünf gängige Grüntöne für Sonderflächen und Möbel aus, die sich als Leitfarben im gesamten Gebäude wiederfinden und die den Bauausschuss-Leiter Frowerk dazu inspirierten, ein zufällig wirkendes Verteilungsmuster für die Schließfächertüren selbst zu entwerfen – es stellte sich heraus: Gute Gestaltung ist harte Arbeit.

Die unter dem Schulhof tief eingegrabene Dreifeldsporthalle zeichnet sich nach außen nur durch mattierte Glasscheiben und Entrauchungsgitter im Boden ab. Die Oberlichter erscheinen spärlich gesät, lassen bei Sonnenschein aber die ganze Halle tatsächlich auch ohne Kunstlicht taghell werden. Überspannt wird sie von einer Verbundkonstruktion aus ca. 1,5 m hohen Stahlträgern und 16 cm dicken Stahlbetondecken. Ihr Hauptzugang führt entlang der in Trapezblech gehüllten Giebelseite des Verwaltungstrakts (Bestand) in die Tiefe und offenbart mit der bis aufs Äußerste reduzierten Formensprache ein Spezifikum des Oberurseler Gymnasiums: Klare Raumkanten, oberflächenbehandelter Sichtbeton, anthrazitfarbene Geländer, schnörkellose Details und eine beneidenswerte räumliche Großzügigkeit erzeugen einen Eindruck von Erhabenheit, der den hohen Anspruch der schulischen Ausbildung spürbar macht. Von Einschüchterungsarchitektur kann keine Rede sein, den Duft einer höheren Bildungseinrichtung, eine Aura von Bedeutsamkeit verströmen diese Räume dennoch, was sicher auch nicht ohne Einfluss auf die Schüler bleibt.

Eine Steigerung ins fast schon Monumentale lässt sich im sogenannten Musikfoyer erleben, wo die nämlichen Elemente sich zur Galerie mit Ausstellungsvitrinen formen, wo sich der matt-unbestimmte Schein satinierten Glases in den von Hand eingearbeiteten Rillen der Betonwand verliert, in die wiederum mit größter Präzision schmale Türzargen bündig eingelassen sind. Der gestalterische Minimalismus ist hier nicht teuer erkauft, sondern beruht schlicht auf einem sicheren Gespür dafür, mit den zur Verfügung stehenden Elementen richtig umzugehen. Weder die Deckenleuchten noch die zur Schallminderung eingesetzten Lochblech-Baffel machen für sich genommen viel her – zu langen Bahnen zwischen den Betonunterzügen zusammengefasst unterstützt das Gesamtbild aber den festlich-strengen Rahmen, der auf die angrenzende Aula einstimmt. Hier nun spätestens beginnt das Staunen.

Gänzlich in einen gefalteten Paravent aus lasierten Holzplatten gekleidet breitet sich ein gewaltiger Festsaal aus. Er fasst 1000 Personen und damit sogar mehr als die örtliche Stadthalle. Mutig betonten die Architekten seine Hauptdimension, die Horizontale. Von der Glasfassade mit zweiflügeligen Drehtüren kaum gebremst schweift der Blick hinaus auf den Hof, es ergibt sich der Eindruck einer weiten Ebene. Gegenüber öffnet sich ein Bühnenportal, das manches professionelle Theater unbedeutend erscheinen lässt – ganz abgesehen von der allerneuesten Bühnentechnik, die vom Förderforum (Verein der Freunde, Förderer und Ehemaligen des Gymnasiums Oberursel) gesponsert wurde, um dem zertifizierten Status als »Schule mit Schwerpunkt Musik« gerecht zu werden – es kommen vorwiegend Musicals zur Aufführung. Gestalterisch greift auch hier wieder das Phänomen kleiner Kniffe mit großem Effekt: Die leichte Faltung der vorwiegend der Akustik dienenden Holzpaneele macht aus einer Schuhschachtel ein Schatzkästlein, aus dem orthogonalen Raster herausgedrehte Rohrleuchten erzeugen ein Lichtballett. Sicher hätten die zunächst vorgeschlagenen, grünen Stühle noch mehr Lebendigkeit hereingebracht; nach einer Sitzprobe wurde die Wahl der Architekten aber verworfen und durch ein bequemeres Modell in Anthrazit ersetzt. Der Saal wirkt jetzt umso gediegener, was der Zweitnutzung des Raums ein wenig zuwiderläuft: Zur Mittagszeit nehmen hier die Schüler ihre Mahlzeit ein, die – verschließbare – Essenausgabe befindet sich im angrenzenden Flur. Die Doppelbelegung schonte das Budget wie auch der weitgehende Verzicht auf High-End-Produkte. Fassaden und Türen sind guter Standard, so manches Element des Innenausbaus lässt das ästhetische Auge zwar unbefriedigt, wird aber durch den durchdachten Umgang mit Details an anderer Stelle aufgewogen, wie z. B. die Decken-Akustikelemente, die durch ihre exzessive Reihung einen eigenen Raumcharakter und im gesamten Gebäude eine gestalterische Einheitlichkeit hervorbringen.

Einheitlich geregelt ist auch die mechanische Belüftung aller Unterrichtsräume über zentrale Haustechnikanlagen in den UGs, Luft-Erdwärmetauscher und Geothermie liefern Energie, die aktivierten Betondecken lassen sich als Heiz- wie auch als Kühlflächen nutzen, als Richtschnur galt der Passivhausstandard, Regenwasser wird gesammelt, die Flachdächer sind extensiv begrünt.

Zuversicht

Auch wenn die beiden Kernstücke Aula und Musikfoyer nach außen hin erstaunlich wenig in Erscheinung treten, präsentiert sich das gesamte Gebäude nach allen Seiten doch mit einigem Selbstbewusstsein und spiegelt damit den Stolz der Schule selbst wider, der auch in einer dicken Festschrift zum hundertjährigen Bestehen zum Ausdruck kommt. Eine solcherart ausgestattete Lernumgebung würde man Schülern auch andernorts wünschen, wo kein Förderforum mit ehrenamtlicher Hilfe und erklecklichen Summen bereitsteht. Man muss aber sehen, dass das Gymnasium Oberursel nicht nur den Sprösslingen der teuren Wohnlagen am Fuß des Taunus' zur Verfügung steht, sondern auch begabten Schülern aus der ganzen Umgegend bis hinunter nach Frankfurt. Auf dessen Bankentürme können die Schüler beim Erklimmen der Boulderwand hinabschauen und darüber nachsinnen, ob der musische Schwerpunkt, den sie wählten, nicht vielleicht einen Ausweg aus unserem ungleichgewichtigen Wirtschaftssystem weisen kann.

db, Mo., 2013.12.02



verknüpfte Zeitschriften
db 2013|12 Redaktionslieblinge

05. Dezember 2012Achim Geissinger
db

Gewohnheiten aufbrechen

Das industriell geprägte, über lange Zeit hinweg vernachlässigte Quartier zwischen den Gleissträngen zweier Bahnhöfe wird nach und nach aufgewertet. Auf das disparate Umfeld antwortet die Architektur des neuen Wohnheims mit robusten Materialien, klaren Formen und differenzierten Räumen, die in vielerlei Hinsicht Bezüge zur Umgebung herstellen. Vom Bauherrn unterstützt, konnten die Architekten pragmatisch vorgehen und mit einfachen aber durchdachten Lösungen einen wohnlichen Ort schaffen und die Themen Fremdheit und Anpassung miteinander in Einklang bringen.

Das industriell geprägte, über lange Zeit hinweg vernachlässigte Quartier zwischen den Gleissträngen zweier Bahnhöfe wird nach und nach aufgewertet. Auf das disparate Umfeld antwortet die Architektur des neuen Wohnheims mit robusten Materialien, klaren Formen und differenzierten Räumen, die in vielerlei Hinsicht Bezüge zur Umgebung herstellen. Vom Bauherrn unterstützt, konnten die Architekten pragmatisch vorgehen und mit einfachen aber durchdachten Lösungen einen wohnlichen Ort schaffen und die Themen Fremdheit und Anpassung miteinander in Einklang bringen.

Das Quartier im 18. Pariser Arrondissement ist mehr berüchtigt als berühmt; verkehrsmäßig zwar hervorragend angebunden, leider aber als Problemviertel stigmatisiert. Die Bewohnerschaft stammt zu großen Teilen aus dem nahen und dem mittleren Osten. Viele Pakistani haben hier ihre Läden, es duftet allenthalben nach Orient, aus einem Hindutempel flackert warmes Licht. Vor der Bar an der Rue Pajol treffen sich am Nachmittag verschiedene Herren zum Tee – man unterhält sich auf Arabisch, der mit Minzblatt und viel Zucker gereichte Tee schmeckt vorzüglich. Zu den landläufigen Klischees über Paris passt das alles so wenig wie das schwarze Gebäude schräg vis-à-vis, das unweigerlich die Blicke auf sich zieht. Es macht den Eindruck, als wolle es sich eigentlich viel lieber wegducken, es versucht, sich seiner Umgebung anzupassen, kann seine Andersartigkeit aber partout nicht verbergen. Ohne derlei Gedanken gezielt verfolgt zu haben, fanden die Architekten bei der Arbeit an ihrem Entwurf einen architektonischen Ausdruck dafür, wie in diesem Viertel traditionsreiche Stadtstruktur und Fremdländisches zueinanderfinden.

Auf den zweiten Blick

Zunächst einmal erscheinen die drei Baukörper an der Straße allesamt um ein ganzes Geschoss zu niedrig. Die Nachbarhäuser zu beiden Seiten mit ihren klassisch gestalteten Fassaden sind deutlich höher. Allerdings gelten zwischenzeitlich ganz andere Abstandsregeln – die Traufkanten des Neubaus entsprechen exakt dem heutigen Baurecht. Dasselbe trifft auf die weiteren Bauteile in der Tiefe des Grundstücks zu. Mit einiger Akribie haben die Architekten das optimale Verhältnis von zulässiger Baumasse und größtmöglichem Lichteinfall in den Innenhof ausgetüftelt. Sicher hätte sich in dem Geviert noch eine Handvoll weiterer Wohneinheiten unterbringen lassen. Durch die Entscheidung, subtraktiv vorzugehen und verschiedene Leerräume in die Volumen zu schneiden, gewannen die Planer aber eine Reihe von Vorteilen, wie z. B. die Unterteilung der Straßenfront in Portionen, die der Körnung des Quartiers entsprechen. Vorneweg aber steht die Durchlässigkeit des Gebäudes, nicht nur für Luft und Sonnenlicht, sondern auch im Sinne der Verzahnung mit dem Quartier. Blicke hinüber zu den Nachbargrundstücken und vom Innenhof hinaus bis zur Straße lassen den Kontakt zur Stadt nicht abreißen. Umgekehrt kommt die Ausweitung in den begrünten Hof hinein wiederum dem Straßenraum zugute. Allerdings nur zum Teil: Das Tor lässt sich nur per Zahlencode öffnen und macht das Wohnheim somit zur »gated community«.

Ein Bauherr, wie man ihn sich wünscht

In Frankreich tritt der Architekt i. a. R. erst in den Planungsprozess ein, wenn Raumprogramm, Baumassen und Kostenrahmen festgelegt sind. Das Büro LAN hingegen konnte alle Rahmenbedingungen vom Wettbewerbsentwurf an selbst überdenken und daraus die optimale Lösung generieren. Möglich machte das der aufgeschlossene Bauherr: Die städtische Wohnungsbaugesellschaft RIVP (Régie immobilière de la ville de Paris) kümmert sich vorwiegend um den Bau von Sozialwohnungen und Studentenwohnheimen. Sie ist an den Schaltstellen mit Persönlichkeiten besetzt, die architektonischen Konzepte schätzen und bauliche Qualität fördern, wo sie nur können. Starre Vorgaben zu Raumgrößen und Raumprogramm gab es nicht. Rund 150 Wohneinheiten waren gewünscht, 143 sind es geworden. Entstanden ist eben kein Standard-Wohnregal, sondern ein übersichtlicher Lebensraum im Maßstab eines Dorfs, das sich um einen Platz herum entwickelt. Der Hof ist Abstandsfläche und gemeinschaftsbildendes Element in einem. Die mit unterschiedlich hohen Mauern eingefassten Baumbeete schirmen einerseits die ebenerdig zugänglichen Wohneinheiten ab und bieten andererseits Sitzmöglichkeiten und Treffpunkte.

Sinnfälligerweise nah am Eingang und von der Sonne abgewandt, liegen die raumhoch verglasten Gemeinschaftsräume für Computerarbeit und Feste samt einer Waschküche. Leider weiß das Studentenwerk, welches die Bauten von der RIVP übernimmt und verwaltet, mit dem Gemeinschaftsgedanken nicht viel anzufangen; es ist kaum möglich, den Schlüssel für die Räume zu bekommen, der Concierge ist selten greifbar. An der Unbeweglichkeit des Studentenwerks liegt es auch, dass jedes Zimmer eine autarke Wohnung mit eigenem Bad und winziger Küchenzeile bildet; das Zusammenfassen zu Wohngruppen ist in Paris nicht Usus, wie überhaupt das Verlassen einmal eingeschlagener Pfade undenkbar scheint. Ganz allgemein fehle es an Pflege, bemängelt der Projektleiter Sebastian Niemann, der seit Monaten auf die Behebung eines Brandschadens wartet und am liebsten selbst Hand anlegen würde.

Dass die hofseitigen Fassaden mit Lamellen aus Lärchenholz bekleidet werden konnten, ist wiederum dem aufgeschlossenen Bauherrn zu verdanken. Ihre Brandlast ist freilich nicht unproblematisch, die ausführende Firma durfte aber loslegen, weil sie einen positiven Test und eine für vier Jahre geltende Ausnahmegenehmigung vorweisen konnte. Letztere ist inzwischen ausgelaufen, sehr zum Leidwesen der Pariser Architektenkollegen, die Ähnliches gerne bauen würden. Zusammen mit dem gelben Bodenbelag und den gut angewachsenen Bäumen schafft das noch nicht allzu sehr vergraute Holz eine heimelige Atmosphäre. Der weiche Spielplatzboden aus Kautschukgranulat tut sein Übriges, indem er das Gehgefühl eines Teppichs vermittelt, Schall schluckt und Regenwasser schnell in das darunter liegende Schotterbett ableitet.

Schutz bietet die weite Fahrradabstellfläche, für die das gesamte EG des mittleren Blocks freigelassen wurde und die bei Bedarf auch für größere Feste freigeräumt werden kann. Der Spaß am konkreten, nicht nur konzeptionellen Gestalten ist hier deutlich spürbar: Da das Standard-Angebot an Fahrradständern nicht befriedigen konnte, wurde kurzerhand der Schlosser beiseitegenommen und mit ihm zusammen eine ebenso simple wie gefällige Lösung aus Stahlblechen erarbeitet. Um die niedrige Deckenhöhe zu kompensieren, versah man die Untersicht mit polierten Stahlblechen. Sie reflektieren die Farbe der Gehflächen und erzeugen daraus einen warmen Goldton, der auch die leider nötigen dafür aber sehr edel ausgeführten Raumeinfassungen aus Metallgewebe umspielt.

Den passenden Kontrapunkt zu diesen »sauberen« Materialien bilden die ausnehmend lebendig wirkenden Ziegelfassaden. Der Festlegung von Backstein als vorherrschendes Material des Bezirks folgend, suchten die Architekten analog zum dunklen Ton typischer Dacheindeckungen einen der dunkelsten Steine aus. Den Mörtel definierten sie eher als Kleber und ließen die Fugen dadurch unbetont. Ganz im Vordergrund steht die stark zerklüftete Backsteinoberfläche, sie lässt die Handarbeit erahnen und sieht von Nahem wie auch in der Fläche aus wie bereits uralt, wie eine Hausrückseite, die schon viel mitgemacht hat.

Sparen an der richtigen Stelle

Wie in jedem Studentenwohnheim geht es auch hier im Innern recht spartanisch zu. Während robuste Materialien mit starkem Eigencharakter den Außenraum prägen, sind die Flure und Zimmer in neutralem Weiß gehalten. Obwohl schon eine Weile in Gebrauch, sind die Oberflächen noch fast wie neu – offenbar schätzen die Studenten ihr Wohnumfeld. Ein Leitsystem erleichtert die Orientierung, indem es jedem Haus eine bestimmte Farbe zuweist, die sich auch in einem kleinen Detail in den Zimmern wieder findet: als schmaler Streifen hinter den transluzenten abgehängten Decken in den Zimmerfluren. Um die ärgerliche Optik billiger Leuchten zu umgehen, hat man die Leuchtstoffröhren kurzerhand hinter Doppelstegplatten versteckt, den schmalen Durchgang dadurch etwas niedriger proportioniert, um den anschließenden Wohnraum dann umso großzügiger erscheinen zu lassen. Die Kante ist als Buchregal ausgestaltet und wird als solches gerne angenommen. Küchenzeile und Bad sind auf das Allernötigste reduziert, auch in der Materialwahl (Gipskarton). Der weiße Anstrich und dunkelgraue Fliesen bilden einen neutralen Hintergrund.

Mit den Energiestandards hinkt Frankreich im europäischen Vergleich noch hinterher. Dem eigenen Anspruch folgend strebte das Büro LAN eine höhere Effizienzstufe an als die vom Bauherrn eingeforderte. Dabei kam ihm der örtliche Baustandard entgegen: Paris baut alles in Beton, massiv. Die thermische Trägheit der Wände und Decken sorgt für gleichmäßige Temperaturen im Innern, die Mineralwolledämmung besorgt den Rest. Für den Betrieb der Heizkörper in den Zimmern und die Warmwasserbereitung steht die Nahwärmeversorgung zur Verfügung, unterstützt durch Sonnenkollektoren auf dem Dach. Erfahrungsgemäß reicht die Solarenergie in den warmen Jahreszeiten sechs Monate lang. Die Räume werden zwar mechanisch entlüftet, für weitere Technik für die Behandlung von Zu- und Abluft reichte es jedoch nicht. Die Fenster lassen sich weit öffnen – einige der Zimmer haben einen Balkon oder sogar Zutritt zu einer Terrasse. Auch dem Schallschutz kommt die massive Konstruktion entgegen, wo nicht, z. B. bei Zimmertrennwänden, behalf man sich mit fünf-lagigem Trockenbau. Man geht auf Kautschukböden.

Obwohl das Gelände nicht gerade weitläufig, das Projekt nicht sonderlich groß und seine Struktur recht simpel ist, lädt die Anlage doch zum Entdecken und Aneignen ein. Das Angebot an Erschließungsräumen mit Aufenthaltsqualität und durchdachten Details – z. B. eine regengeschützte Sitzbank in einem der hinteren Höfe oder die intime Tribüne im anderen – machen den Komplex sehr reich. Davon künden bereits die lebendig gestalteten Straßenfassaden mit den unterschiedlich tiefen Laibungen der gegeneinander versetzten Fenster. Auch wenn das Areal nicht frei zugänglich ist, ist der Bau doch ein Plädoyer für Offenheit und Vielfalt, und er zeigt, dass die Gleichzeitigkeit von Tradition und Neuerung, das Einbinden des Fremden in das Bewährte möglich und erstrebenswert ist. Das multinational besetzte Büro LAN geht dabei beispielhaft voran. Die studentischen Bewohner scheinen es zu danken: Man hört von Mehrfachbelegungen der Zimmer – das kann nicht allein an der günstigen Verkehrsanbindung liegen.

db, Mi., 2012.12.05



verknüpfte Zeitschriften
db 2012|12 Redaktionslieblinge

09. Mai 2012Achim Geissinger
db

Schweres Haus, leichte Weine

Das Steilufer des Genfer Sees östlich von Lausanne ist von den Weinbergterrassen des Anbaugebiets Lavaux geprägt. Die Weine werden in einem Degustations- und Verkaufsraum beworben, dessen einzelne Betonkörper sich zurückhaltend in die reizvolle Landschaft einfügen. Als Aushängeschild leistet sich der Bau ausschließlich eine große Glasfront mit einem Weinblatt-Ornament. Die verwendeten Formen und die sauber gefügten Materialien stellen auf subtile Weise zahlreiche Bezüge zur Umgebung her.

Das Steilufer des Genfer Sees östlich von Lausanne ist von den Weinbergterrassen des Anbaugebiets Lavaux geprägt. Die Weine werden in einem Degustations- und Verkaufsraum beworben, dessen einzelne Betonkörper sich zurückhaltend in die reizvolle Landschaft einfügen. Als Aushängeschild leistet sich der Bau ausschließlich eine große Glasfront mit einem Weinblatt-Ornament. Die verwendeten Formen und die sauber gefügten Materialien stellen auf subtile Weise zahlreiche Bezüge zur Umgebung her.

Einen schöneren Flecken kann man sich kaum vorstellen: malerisch an die steilen Hänge geschmiegte Dörfer, umgeben von Reben auf schmalen Terrassen, als Panorama die hoch aufragenden Savoyer Alpen, darunter der glitzernde Genfer See. Die UNESCO hat den Wert von Natur- und Kulturlandschaft erkannt und die Gegend 2007 in die Welterbe-Liste eingetragen. Hier gedeiht im milden Klima vorwiegend roter und weißer Chasselas (Gutedel), der zumeist im Land selbst getrunken und kaum exportiert wird – zu internationaler Anerkennung brachten es die leichten Weine des Lavaux bislang nicht.

Die örtlichen Winzer bekommen auf Vermarktungsebene neuerdings Unterstützung von der Stiftung »Les Moulins de Rivaz«. Sie wurde 2001 gegründet, ursprünglich, um ein fabrikartiges Mühlengebäude am Bach Forestay kulturell umzunutzen. Die Pläne schlugen fehl, der Komplex musste abgerissen und das Stiftungsziel neu auf die Renaturierung des Wasserlaufs ausgerichtet werden. V. a. aber kümmerte sie sich um die Bündelung der Kräfte, als die Winzer mit der Idee auf die Stiftung zukamen, die Region und ihre Produkte stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken und dazu einen Ort zu schaffen, an dem die Weine vorgestellt und verkostet werden können.

Aus dem eingeladenem Wettbewerb ging 2006 das Konzept des Büros Fournier-Maccagnan als Sieger hervor. Es stellt in vielerlei Hinsicht Bezüge zum Ort her, von denen manche sogar aus den engen baurechtlichen Beschränkungen hervorgingen.

Viel Platz ist auf dem Grundstück nicht, und die Kubatur des Gebäudes durfte jene der Vorgängerbauten – zweier Schuppen mit einer Pergola obenauf – nicht überschreiten. Die Architekten definierten für die Baukörper das abstrahierte Bild von herabgefallenen Felsbrocken, wie sie im Bachbett unterhalb des kleinen Wasserfalls und auch andernorts vielfach zu sehen sind. Die in der Horizontalen klar gegliederten, im Grundriss bisweilen unregelmäßig abknickenden Linien korrespondieren aber auch mit den Stützmauern der Weinbergterrassen. Dazu passt der monolithisch erscheinende Sichtbeton, dessen Zuschlagstoffe aus dem See gebaggert wurden. Noch vor dem Aushärten kratzte man den Beton mit dem Rechen auf, was die Kiesel hervortreten ließ und ein Oberflächenbild erzeugt, das dem des ringsum anstehenden Konglomeratgesteins gleicht. Von Lausanne her kommend ist das »Lavaux Vinorama« überhaupt nicht auszumachen – die straßenseitige Außenwand des Nebentrakts ist nicht von den übrigen Weinbergmauern zu unterscheiden, das Dach mit Reben bewachsen. Der Bau wendet sich allein dem Besucher zu, der vom Ort Rivaz her bzw. von der Autobahnausfahrt herab kommt. Als Hinweise darauf, dass es hier etwas zu entdecken gibt, dienen nur die beiden Parkplätze links und rechts der Straße und der mit dunklen Stahlblechen bekleidete Eingangsbereich, der sich im Gesamtbild fremd ausnimmt und die Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Auf die Bleche gedruckte Bilder und Texte geben Auskunft über die Geschichte und die Bedeutung des Orts. Subtil führen rostrote Rohstahlplatten im Boden – analog zu den rostigen Hilfskonstruktionen und Rebenpfosten in den Weinbergen ringsum – entlang des Brückengeländers zum Eingang hin. In diesem Zusammenhang weiß auch ein kleines Detail zu gefallen: Der leicht ansteigende, straßenwärts über die Krone einer Stützmauer gestrichene Asphaltbelag mit einzeln eingestreuten Kieseln läuft gegen ein U-förmiges Stahlprofil, das die Kante sauber inszeniert.

In verwinkelten Kellern

Hinter dem schleusenartigen Eingang empfängt den Besucher der weite Präsentationsbereich auf unregelmäßigem Grundriss, wo nahezu 200 Weine von rund 100 Winzern der Region auf ihre Entdeckung warten. Das gleichmäßige Raster der Regalfächer entlang aller Wände hebt keines der Produkte hervor – Pech nur für den, dem ein Fach unter oder über Augen- und Griffhöhe zugewiesen wurde. Die tiefen Eichenholzregale sind bündig in die Wand eingelassen; wenn man so will, macht der Arm, der hineingreift, einen Gang in den Keller zum Wein, der im Eichenfass lagert. Der gestockte Beton der Wandflächen und die gedämpfte Lichtstimmung vermitteln dazu eine trockene Kelleratmosphäre. Der Wein steht ganz im Vordergrund, nichts lenkt ab, eine Verbindung nach draußen besteht allenfalls über das Oberlicht, das gerahmte Blicke in den Weinberg und den Himmel darüber freigibt. Die schöne Idee vom Felsenkeller geht allerdings nicht ganz auf: Es sind Schalldämmplatten an der Decke nötig, um eine ausreichend intime Raumakustik zu gewähren. Pragmatisch entschied man sich auch für eine Kunstharzversiegelung des Betonbodens, um ihn besser reinigen zu können.

Ein verwinkelter, abgedunkelter Durchgang führt in einen schlauchartigen Bereich, der gleichzeitig die Nebenräume (Büro, Technik, edel in Rot gestaltete Toiletten) erschließt und als intimer Degustationsraum dient. Wer sich an der Raumbeduftung nicht stört und es bevorzugt, den Wein der Wahl statt am Tresen aus einem Schankautomaten zu verkosten, ist hier richtig.

Die Betonwände sind schwarz gestrichen, die meisten erdberührten Wände mit schwarzen Holzwolleplatten bekleidet, was mitnichten billig, sondern im Gegenteil sehr edel wirkt. Beim weiteren Abstieg, ein Stück tiefer in die Erde hinein, wird es noch dunkler, es gibt nur noch indirekte Beleuchtung. Im UG ist ein stimmungsvoller Film zu sehen, der die Arbeit der Winzer in den Weinbergen und Kellern des Lavaux über die Jahreszeiten hinweg fast hautnah erlebbar macht. Die Lichtquellen unter Bänken und hinter Wandpaneelen sind mit den Farbwechseln des Films synchronisiert.

Richtig fordernd ist dagegen der Aufgang ins OG: Der Treppenlauf ist so sparsam in die beengte Geometrie des Grundstücks eingepasst, dass er den Besucher unwillkürlich an die schmalen Weinbergtreppen erinnert und großgewachsene Menschen beim Begehen dazu zwingt, gut auf ihren Kopf achtzugeben. Der lichte Konferenzraum, der für alle Arten von Veranstaltungen genutzt wird, entschädigt aber durch sauber gefügte Details und haptisch ansprechende Materialien: Holz für die Einbauten, Metallplatten als Boden, gestockter Beton. Ungewohnt, aber konstruktiv ehrlich wirkt der stählerne Fachwerkträger, an dem die Geschossdecken hängen. Da er in das EG hinabreicht, wurden die Gefachfugen zwischenzeitlich mit Glas geschlossen, damit bei Firmenveranstaltungen auch Interna ohne Angst vor ungebetenen Zuhörern verhandelt werden können. Das Highlight des Raums ist freilich der Ausblick, der eben nicht direkt auf den See hinausführt – er wäre sonst von Straße und Bahntrasse beeinträchtigt –, sondern den gegenüberliegenden Hang und den Bachlauf in Szene setzt. In einigem Abstand vor den Glasscheiben ist als Filterschicht gegen zu viel Sonneneinstrahlung ein Metallgewebe mit goldfarbenen Metallplättchen gespannt. Mit der Handhabung solcher Konstruktionen kennt sich der Lausanner Künstler Daniel Schlaepfer aus, weshalb man ihn bat, dieses Element künstlerisch zu gestalten. Sein Pixelornament aus 6 000 Metallplatten ergibt in der Fernansicht ein sehr ansprechendes Weinlaubmotiv, das die Erscheinung des ganzen Gebäudes maßgeblich prägt und auf einer bildlichen Ebene Raumprogramm und Landschaft miteinander verbindet.

Auch energetisch wollte man auf der sicheren Seite sein: Zur Warmwasserbereitung über eine Wärmepumpe mit angeschlossener Fußbodenheizung und Wärmerückgewinnung aus der Raumluft tritt die energetische Trägheit der Wände mit der enormen Dicke von 68 cm – Minergie-Standard erfüllt.

So klein das Gebäude letztlich auch ist, so viel Spaß macht das Entdecken der verwinkelten Räume über drei Etagen mit ihren handwerklich und bemerkenswert ordentlich ausgeführten Oberflächen und der stimmungsvollen Lichtführung. Auch wer den Außenraum begeht, etwa über den externen – und sehr schmalen – Zugang zum Konferenzraum, erlebt, dass die Gestaltung das Thema Weinberg nie verlässt, sich dadurch perfekt in die Landschaft einfügt, dabei aber die Eigenständigkeit nicht verleugnet.

db, Mi., 2012.05.09



verknüpfte Zeitschriften
db 2012|05 Französische Schweiz

05. Dezember 2011Achim Geissinger
db

Gegenstück, kein Gegenteil

Der prominent im mittelalterlichen Stadtgefüge sitzende Neubau zeigt sich mit seiner Sichtbetonoberfläche dezidiert zeitgenössisch, passt sich durch seine Proportionen und seine sparsame Gliederung aber schlüssig in die Umgebung ein. Zum räumlichen Konzept gehört die geschickte und höchst ökonomische Mehrfachnutzung der Erschließungszone während des Ganztagsbetriebs der Schule. Die Angemessenheit der Mittel ist als Leitbild des Entwurfs direkt erlebbar und lässt trotz aller gestalterischen Disziplin den Spaß nicht außer Acht.

Der prominent im mittelalterlichen Stadtgefüge sitzende Neubau zeigt sich mit seiner Sichtbetonoberfläche dezidiert zeitgenössisch, passt sich durch seine Proportionen und seine sparsame Gliederung aber schlüssig in die Umgebung ein. Zum räumlichen Konzept gehört die geschickte und höchst ökonomische Mehrfachnutzung der Erschließungszone während des Ganztagsbetriebs der Schule. Die Angemessenheit der Mittel ist als Leitbild des Entwurfs direkt erlebbar und lässt trotz aller gestalterischen Disziplin den Spaß nicht außer Acht.

In solchem Umfeld ist zeitgenössisches Bauen ein gestalterisches Wagnis. Die kleinste Stadtgemeinde Österreichs mit etwa 400 Einwohnern besteht im Grunde aus nicht viel mehr als ihrer malerischen Altstadt. Das historische Erscheinungsbild darf nicht gestört werden, denn man lebt vom Tagestourismus, man bietet beschauliche Einkehr, verkauft Schmuck und Kunsthandwerk aus Glas. Aus jeder Ecke weht es den Besucher heimelig an.

Den Endpunkt einer der beiden Straßenachsen bildete bislang ein Gebäude der örtlichen Feuerwehr. Es hielt den Hof des ehemaligen Augustinerklosters besetzt und eignete sich keineswegs als Point de vue. Als es darum ging, die im Klostergebäude untergebrachte Hauptschule zu erweitern, war dieser Bau deshalb schnell drangegeben und aus dem Architektenwettbewerb die im Grunde einzige sinnfällige und letztlich glückliche Lösung herausgesucht.

Tradition ins Heute überführt

Kern der Bauaufgabe war, einerseits Raum für die Schulspeisung, die Nachmittagsbetreuung und zwei Unterrichtseinheiten zu schaffen, und andererseits dafür eine Form zu finden, die sich zwar als zeitgenössische Zutat zu erkennen gibt, gleichzeitig aber nicht zu stark aus dem in sich sehr einheitlichen Stadtbild heraustritt.

Der vom Innsbrucker Architekten Daniel Fügenschuh entworfene, hochrechteckige Baukörper nimmt gut die Hälfte des Schulhofs ein und lässt den historischen Bestand nahezu unangetastet. Trotz der Verengung auf einen schmalen Streifen bleibt genügend Hofraum übrig, der erstaunlicherweise nicht schlauchartig wirkt, dafür aber die Aufmerksamkeit auf den Hauptzugang im Altbau lenkt. Das gesamte EG ist von Nutzung freigehalten und dem Außenraum als überdachter Freibereich zugeschlagen. In seiner Kubatur und Proportion entspricht der Neubau der Körnung der Umgebungsbebauung, typischer Inn-Salzach-Architektur aus simplen Quadern ohne Giebel oder nur mit Andeutungen davon, mit flach geneigten Satteldächern meist ohne Überstand. Wie bei der Nachbarbebauung überwiegt bei dem massigen Baukörper der Wandanteil stark, nur wenige, recht kleine Fenster durchbrechen die fein gegliederten Flächen. Arbeitsfugen teilen sie in einzelne Felder auf, von denen einzelne schalglatt belassen, andere poliert oder maschinell gestockt wurden. Trotz aller gestalterischen Strenge ergibt sich daraus ein lebendiges Fassadenbild. Beide Schalen des Baukörpers wurden in kleinen Fertigungsabschnitten aus Ortbeton hergestellt – ein Verfahren, das den Bauunternehmer sehr gefordert, wenn nicht überfordert hat; einige Kanten sind bereits ausgebrochen.

Das Material rüttelt an den Sehgewohnheiten der Rattenberger Bürger, sind sie doch farbig gefasste Putzflächen und sparsame Ornamentik gewohnt, zumindest was die Schauseiten ihrer Altstadthäuser angeht – dahinter findet sich eine durchaus reichhaltige Palette von Grau. Wer genau hinschaut, entdeckt im Betonzuschlag des Neubaus einen leicht rötlichen Ton. Er stammt vom »Tiroler Rot«, einer Marmorsorte, die im Nachbarort Kramsach abgebaut wird, wiederum einer der vier Gemeinden, aus denen sich die weit über 300 Schüler des Hauptschulverbands rekrutieren.

Der Neubau antwortet somit auf vielschichtige Weise auf die Anforderungen, die das Bundesdenkmalamt in seiner Stellungnahme aufgestellt hatte: Gegenstand des architektonischen Diskurses solle Kontinuität im Sinne eines Weiterbauens sein; gesucht sei ein Gegenstück, kein Gegenteil.

Einfach – überlegt – schön

Die Rückseite des Neubaus verläuft in einigem Abstand parallel zu dem 1973 an das Kloster angebauten Turnhallentrakt und ist mit ihm über einen verglasten Zwischenraum verbunden. Dieser weitet sich im EG zu einem lichtdurchfluteten Foyer für die Turnhalle auf und bietet im Geschoss darüber Raum für die frei auf der Galerieebene stehende Kücheneinheit und reichlich Gelegenheit zum Sitzen, Sehen und Gesehenwerden. Der angrenzende Hallenraum ist von der Galerie nur durch einige Stützen, verglaste Brüstungen und ein Ballfangnetz getrennt. Ihm gegenüber greift die Galerieebene weit in den Neubau hinein, wo Tische zur Mittagsverpflegung Platz finden, die Sanitärbereiche und ein raumhoch verglaster Bereich für die Nachmittagsbetreuung angrenzen. Diese Durchdringung ist funktional sehr zu begrüßen, lässt sie die Erschließungsfläche des OGs doch zu einem räumlich differenzierten, insgesamt aber offenen Kommunikationsraum mit vielerlei Nutzungsmöglichkeiten und unterschiedlichen Aufenthaltsqualitäten werden. Allerdings schwächen die großflächige Öffnung der Wand und die unterschiedlich tiefen Einschnitte in den Baukörper die Idee des monolithischen Quaders. Das ist leicht zu verschmerzen, denn vor Ort treten in der Wahrnehmung andere Aspekte in den Vordergrund. Der Umgang mit den Details lässt an der Freude teilhaben, mit der das Architektenteam ganz offenbar beim Gestalten zugange war. Es wird mit rahmenloser Verglasung gearbeitet, alle Materialanschlüsse sind bündig und wohlüberlegt, die Achsmaße unterschiedlicher Bauteile aufeinander abgestimmt. Zum großen Teil ist mit wirklich einfachen Mitteln ein hohes Maß an Gestaltqualität erreicht worden. Im Zusammenspiel mit den glatten Betonoberflächen, dem Glas und den goldbraun gestrichenen Stahlelementen von Dach, Brüstungen und Randabschlüssen wirken der Kautschukboden und selbst die als Deckenuntersicht eingesetzten Holzwolle-Leichtbauplatten nicht billig, sondern bilden dazu einen lebendigen Kontrast. Mit simplen Kniffen wurden die Umkleide- und Nassräume veredelt: Die schwarzen Türen üben sich in vornehmer Zurückhaltung, aus der reichhaltigen Palette von Standardfliesen wurden einzelne Töne zu Farbfamilien zusammengestellt und differenzieren nun Vorräume, Duschen und WCs. Einzelne Trennwände bestehen dort, wo sie keine tragenden Funktion haben, aus schwarzsatiniertem Glas. Im OG dagegen, wo sich ein Unterrichtsraum und der Werkraum befinden, herrscht Sichtbeton vor. Dort hat man mit der Schalung gespielt, die Schalbretter leicht geneigt und so ein dreidimensionales Streifenmuster erzeugt, das – passend zu Schulzweig und Unterricht – die Handwerklichkeit des Bauprozesses anschaulich vor Augen führt. Wer die z. T. erstaunlich kleinen Fenster öffnet, muss nicht mit einem ins Zimmer stehenden Flügel rechnen, sondern schiebt diesen innerhalb der Fassadenebene zur Seite in eine eigens dafür freigelassene Aussparung im Beton. Gewaltige Oberlichter lassen Helligkeit hereinströmen und lenken den Blick entweder auf das gaubengeschmückte Klosterdach oder die Türme der Kirche. Die oberste Schicht des Neubaus ist als fünfte Fassade gedacht und mit einem Granitbelag ausgestattet – denn der Aussichtspunkt auf dem Burghügel ist nah und mit einem Fernglas lässt sich jedes Detail leicht erkennen.

Die bestehende Sporthalle nebenan hat nicht nur eine Auffrischung erfahren, sondern wurde auch um einen niedrigen, vollverglasten Vorbau erweitert. Er bietet Raum für Turngeräte und lässt sich über Schiebeelemente zum Gartenhof auf der Rückseite hin öffnen. Helligkeit und Außenbezug kann der Saal gut gebrauchen, denn er wird von verschiedenen Vereinen auch zu festlichen Anlässen und für kulturelle Veranstaltungen genutzt – neuerdings auf einem Boden aus Robinienholz. Außerdem besteht nun die Möglichkeit, die vorhandene, über einen Wärmetauscher geführte, aber zu schwach ausgelegte Lüftungsanlage per natürlicher Querlüftung zu unterstützen – trotzdem wird es sommers im angrenzenden Foyer schnell sehr warm. In der Heizperiode wird die Schule über eine Gastherme versorgt, die auch das örtliche Nahwärmenetz speist.

Ein noch höheres Maß an gestalterischer Aufgeräumtheit wäre sicher möglich gewesen und hätte dem Raum gut getan. Auch in der an sich diszipliniert ausgearbeiteten Straßenansicht des Foyers ist ein wenig zu viel los: Das Bild aus Fallrohren, Sockel, Fassadenriegeln, Treppenpodest und komplexer Innenraumperspektive lässt sich nur schwer beruhigen. Auch hat der Flaschner – ganz der örtlichen Tradition entsprechend – recht geräumige Einlauftöpfe für die Fallrohre gebogen und ihnen ein Sternmotiv eingeprägt. Doch das alles ist kein Beinbruch, denn der klar gestaltete Betonkörper, die Mehrfachbelegung von Verkehrsflächen und v. a. die Angemessenheit der gestalterischen Mittel im Großen wie im Kleinen haben zu einer optimalen Lösung für die Bauaufgabe und den heiklen Standort geführt. Und – darüber freuen sich Architekt und Bürgermeister ganz besonders – das Budget wurde nicht nur eingehalten, sondern deutlich unterschritten. Das Wagnis ist auf ganzer Linie geglückt.

db, Mo., 2011.12.05



verknüpfte Bauwerke
Erweiterung Hauptschule Rattenberg



verknüpfte Zeitschriften
db 2011|12 Redaktionslieblinge

01. Dezember 2010Achim Geissinger
db

Geerdete Sinnesfreuden

Mit der Erweiterung der Villa Vauban verdreifachte sich die Ausstellungsfläche der städtischen Gemäldegalerie. Das neoklassizistische Gebäude umspielt nun ein lebhaft gestalteter Baukörper, dessen Inneres ein abwechslungsreiches Gefüge aus Ausstellungssälen, Kabinetten, dramatischen Passagen und spannungsreichen Treppenfluchten bietet – Raumerlebnisse, die nicht in Konkurrenz zur Kunst stehen, sondern die Wahrnehmung schärfen und den Standort selbst zum Thema machen.

Mit der Erweiterung der Villa Vauban verdreifachte sich die Ausstellungsfläche der städtischen Gemäldegalerie. Das neoklassizistische Gebäude umspielt nun ein lebhaft gestalteter Baukörper, dessen Inneres ein abwechslungsreiches Gefüge aus Ausstellungssälen, Kabinetten, dramatischen Passagen und spannungsreichen Treppenfluchten bietet – Raumerlebnisse, die nicht in Konkurrenz zur Kunst stehen, sondern die Wahrnehmung schärfen und den Standort selbst zum Thema machen.

Darf man das? Ein altehrwürdiges, allen Bürgern geläufiges Baudenkmal mit einem übergroßen Raumprogramm ausstatten und es mit entsprechenden Baumassen bedrängen, den beliebten Park mit einem Querriegel verstellen, eine deutlich andere Formensprache etablieren und auch im Innenraum alles neu machen? Im Falle der Villa Vauban durfte, sollte, musste man so vorgehen. Und durch die Arbeit des Architekten Philippe Schmit mit seinem Gespür für Raum und Material hat das städtische Kunstmuseum innen wie außen Erlebnisräume hinzugewonnen, die auch die Skeptiker zeitgenössischer Anfügungen für sich einzunehmen vermögen.

Aufgefrischt und getarnt

1869 von Jean-Francois Eydt erbaut, spielte die Villa in der öffentlichen Wahrnehmung seit jeher eine große Rolle, zunächst als repräsentativer Solitär inmitten des Parks, der an die Stelle der ehemaligen Stadtbefestigung getreten war – als Hausherren folgten aufeinander drei Industrielle – dann ab 1952 als Sitz der Richter und Generalanwälte des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, dann seit 1959 als Kunstmuseum und zwischen 1991 und 95 als Interimsresidenz des Großherzogpaares.

Trotz der reichen Geschichte des Hauses war von der historischen Ausstattung, außer opulentem Deckenstuck, kaum mehr etwas übriggeblieben – die wenigen Zierleisten verschlissen, die Holzböden aus den 40er Jahren bis auf Nut und Feder heruntergeschliffen. Philippe Schmit bewahrte, wo es noch lohnte, ergänzte behutsam, räumte aber auch beherzt auf und schuf dadurch ruhige Galerieräume, deren historische Schichten, obwohl klar voneinander geschieden, nicht in Konkurrenz zueinander treten, sondern vielmehr einen einheitlichen Raumeindruck erzeugen. Die sechs Kabinette der Villa sind schnell durchschritten – kaum verwunderlich, dass sich die Stadt nach dem Auszug des Großherzogs Gedanken über einen Erweiterungsbau machte, einen Wettbewerb ausschrieb und trotz knapper Kassenlage im zweiten Anlauf schließlich eine gegenüber dem ursprünglich vorgesehenen Budget um 15 % gekürzte Summe für den Bau freigab.

Der Wettbewerbsentwurf punktet mit der geschickten Verteilung der Baumassen. Zur Straße hin wirkt der Erweiterungsbau als einfacher, eingeschossiger Baukörper, entpuppt sich aus der Nähe aber als vielfältig geknickte Figur, deren Dachformen die sanften Wellen des Parks nachklingen lassen. Die Rückansicht offenbart schließlich die im Vergleich zum Altbau gewaltigen Dimensionen. Der Geländesprung in einen ehemaligen Festungsgraben hinein ermöglicht die natürliche Beleuchtung der unteren Geschosse – ein Gutteil der verdreifachten Ausstellungsfläche und weiterer Räume liegt unter der Erde. Der Neubau tritt zum Park hin mit rigoroser Geometrie kühn und breitschultrig auf. Um diesen Eindruck abzumildern und den Solitär-Charakter der Villa zumindest von der Eingangsseite her so wenig wie möglich zu beeinträchtigen, bekam der Erweiterungsbau eine Art Tarnumhang: eine Lochblechhaut aus einer Rotmessing-Legierung (s. S. 33), deren einzelne Paneele in stumpfem Winkel gefaltet sind und dem Flirren und dem indifferenten Braunton von Unterholz nahe kommen. Der beabsichtigte Effekt lässt die aufgefrischten Fassaden der Villa noch stärker in den Vordergrund treten.

Sinn und Sinnlichkeit

Im Innern entwickelt Philipp Schmit ein differenziertes Spiel von räumlichen, haptischen und visuellen Eindrücken. Die Ausstellungssäle schwingen sich – ganz klassisches Museum – zu monumentaler Höhe empor, zitieren das Motiv der Enfilade und sind im Dienste der Kunst als »white cubes« definiert. Die Zugangsräume jedoch – ein L-förmig nach unten führender Abgang und ein auch das Zwischengeschoss erschließendes Treppenhaus – zwingen den Besucher, sich von der Wahrnehmung der Gemälde zu lösen und sich anderen, mehr körperlichen Eindrücken zu öffnen. Aus der Entscheidung, die Ausstellungsgeschosse nicht genau deckungsleich übereinander anzulegen und die schrägen Linien aus den Faltungen der Gebäudehülle auch innen anklingen zu lassen, gewinnen die »Zwischenräume« grafische Qualitäten und erinnern an Gemälde Lyonel Feiningers. Bei der Bewegung durch den Raum verändert sich dieses Gefüge, die Härte spitzer Winkel verschwindet, ein schmaler Gang weitet sich zu einem einladenden Vorplatz, bläuliches Zenitallicht wird vom warmen Ton der Eichenholzböden aufgefangen.

Beim Abstieg in das UG findet das Eintauchen in das Erdreich seine Material-Entsprechung in satiniertem Glas und gestocktem Beton – beide lassen sich als Sinnbilder für Himmel und Erde lesen. Vor allem die Betonoberfläche ist ein Erlebnis. Zwischen schwarzen Granit- und weißen Marmor-Zuschlägen glitzern Quarze im Streiflicht – das Mischungsverhältnis wurde in zahlreichen Versuchen ermittelt.

Am stärksten entfaltet sich die monolithische Wirkung des Materials im Treppenhaus: Beton nach allen Seiten und über Kopf. Die Arbeitsfugen sind kaum zu erkennen. Betongießer und Steinmetze lieferten ein Meisterstück ab. Die Deckenuntersichten sind von stärkerer Sedimentierung gekennzeichnet als die Wände und korrespondieren so mit den dunklen, fast schwarzen Terrazzoböden.

In allen Bereichen fällt die gestalterische Disziplin auf. Verglasungen sind ohne sichtbare Rahmen zwischen Boden und Decke eingespannt, Funktionen und Materialien sind klar zugeordnet und schließen sauber ab, Bauteile sind – mitunter durch Fugen – deutlich voneinander abgesetzt, die Anschlüsse geometrisch wohlüberlegt, selbst die nötigen Einbauten wie Belüftungsschlitze, Fluchtwegbeschilderung oder Überwachungskameras unauffällig in das Gesamtbild hineinkomponiert.

Verführt das Vestibül zwischen Foyer und Abgang noch zum kontemplativen Verweilen mit Blick auf den Garten, so konzentrieren die übrigen Räume die Wahrnehmung stark auf das Innere, Bewegung wird zum Thema. Im UG, wo der Ausstellungsbereich mit weißen Wänden klar vom Bewegungsraum abgegrenzt ist und somit zwei Gestaltungsprinzipien aneinanderstoßen, wünscht sich der Architekt ebenfalls die Präsentation von Kunstwerken. Daran haben sich die Kuratoren bislang aber noch nicht gewagt; gegen die Verengung des Raums und die Präsenz der Betonwand ist schwer anzukommen.

Genau auf solche räumlichen Experimente wollte es Philipp Schmit aber ankommen lassen. So ließ er einen schmalen Bereich im Zwischengeschoss, der durch die Drehung der Geschosse zu einer überdeckten Freifläche geworden wäre, kurzerhand verschließen und als unspezifischen Raum dem Kinderbereich zuschlagen. Der spitz zulaufende Korridor dient somit als perspektivisches Experiment, das die Raumwahrnehmung herausfordert, als ungerichteter Bewegungsraum fungiert und konsequenterweise auch nicht in eine Aussicht mündet, sondern mit einer Milchglasscheibe abgeschlossen ist und sich somit jeglicher funktionalen Deutung entzieht. Auch im UG überrascht ein extrem schmaler, dafür umso höherer Gang, der eine funktional nicht zwingend erforderliche Abkürzung um die Präsentationsräume herum bietet, und vorwiegend der Inszenierung der im Erdreich erhalten gebliebenen Festungsmauer aus Vaubans Zeiten dient. Streiflicht von oben lässt die Bossierung hervortreten, Dimension und Materialqualitäten, selbst der Duft der Mauer werden erlebbar.

Die edle Anmutung, die aus dem disziplinierten Einsatz der Materialien im ganzen Haus resultiert, geht hervorragend mit dem Villenambiente zusammen und vermeidet dabei doch jegliche Anbiederung an das verschnörkelte 19. Jahrhundert. An einigen Stellen schießt der Gestaltungswille des Architekten jedoch ein wenig über das Ziel hinaus. Die Hervorhebung der ehemaligen Außenwände der Villa im heutigen Foyer durch einen roten Anstrich erscheint ebenso entbehrlich wie die Inszenierung von Übergängen in die Nebenraumspangen durch wuchtige Stahlschleusen. Auch wirkt die Zusammenkunft verschiedener Ein-, Auf- und Durchgänge im Foyer samt bezauberndem Ausblick auf vorgelagerte Terrasse und Park zunächst irritierend. Die einfache Gestaltung des Kassenbereichs und der hier bereits großflächig verwendete Beton tragen aber viel zur Beruhigung bei.

Alle Wände und Decken, selbst das Dach sind aus Beton. Einigen Anspruch entwickelt das Tragwerk nur dort, wo die Säle nicht Wand auf Wand liegen. Ein Energiekonzept war bei Planungsbeginn 2003 noch nicht relevant. Die Lüftungstechnik, die Beheizung und Befeuchtung der Räume übernimmt, ist jedoch durchdacht. Die Klimaanlage wurde nicht auf die Jahresspitzen hin ausgelegt, sondern auf den Mittelwert. Einzelne, dem jeweiligen Raum zugeordnete Umluftgeräte steuern nach Bedarf raumweise nach.

Dadurch ergaben sich geringere Querschnitte und ließen sich niedrigere Energiekosten ansetzen. Geheizt wird mit Erdgas.

Luxemburg hat ein kleines Architekturjuwel bekommen, das ohne Getöse, dafür aber mit einer ausgewogenen Mischung aus Ernst und Freude den Ort, die Kunst und ein wenig sich selbst zelebriert.

db, Mi., 2010.12.01



verknüpfte Zeitschriften
db 2010|12 Redaktionslieblinge

09. Dezember 2009Achim Geissinger
db

Badedisco

Der in den 60er Jahren begonnene Ausbau des Dorfes an der kroatischen Grenze zu einem modernen Kurort wurde in den letzten Jahren konsequent weiterentwickelt. Die jüngste Attraktion unter den unterschiedlichen Badeangeboten ist ein weiträumiger Wellnessbereich, den die Architekten zur Schonung der idyllischen Landschaft ins Erdreich einsenkten. Durch zahlreiche Anspielungen an die umgebende Natur entstand ein attraktives Ambiente, das Begierden weckt.

Der in den 60er Jahren begonnene Ausbau des Dorfes an der kroatischen Grenze zu einem modernen Kurort wurde in den letzten Jahren konsequent weiterentwickelt. Die jüngste Attraktion unter den unterschiedlichen Badeangeboten ist ein weiträumiger Wellnessbereich, den die Architekten zur Schonung der idyllischen Landschaft ins Erdreich einsenkten. Durch zahlreiche Anspielungen an die umgebende Natur entstand ein attraktives Ambiente, das Begierden weckt.

Um es gleich vorwegzunehmen: Gar so bunt und aufgeregt wie es die Bilder nahelegen, geht es im Wellnessbereich »Orhidelia« nicht zu. Trotz des zunächst willkürlich erscheinenden Nebeneinanders unterschiedlicher Formen und Farben schafft es die Anlage doch, den angemessenen Rahmen für Ruhe und Entspannung zu bieten.

Hauptsächlich lässt sich dies auf die vielerlei Angebote zurückführen, aus denen der Badegast je nach Gefühlslage wählen kann. Materialwahl und Oberflächengestaltung unterstützen dabei die unterschiedlichen räumlichen Qualitäten: In dem an finnische Vorbilder angelehnten Saunabereich dominiert – wenig überraschend – helles Holz, die Dampfbäder bemühen Anklänge an orientalische Ornamentik, die Beckenbeleuchtung führt mit raschen Farbwechseln die Möglichkeiten der LED-Technik vor. Dem architektonisch geschulten Auge mag dies alles reichlich überinstrumentiert vorkommen, letztlich entspricht es aber dem Wunsch nach Inszenierung und Sensation. Dem kann sich der Bauherr genauso wenig entziehen wie – seien wir ehrlich – wir, seine Gäste.

Das Dorf Podcetrtek musste neue Wege beschreiten, um sich gegenüber dem nur zwölf km entfernt liegenden, aber äußerst traditionsreichen Kurort Rogaška Slatina zu profilieren. Anders als z. B. im weltentrückten Vals – mit dessen Therme sich ganz automatisch jedes im hochpreisigen Segment angesiedelte Bad messen lassen muss – konnte man sich im Tal des Flüsschens Sotla nicht darauf verlegen, das Baden auf eine quasi spirituelle Ebene zu heben. Um breitere Schichten ansprechen zu können, empfiehlt es sich, einer volkstümlicheren Haltung der Sinnlichkeit gegenüber verhaftet zu bleiben. Die Gästezahlen müssen stimmen, schließlich stecken in der Anlage hohe Summen aus Fördertöpfen der EU, die dem Tourismus in der Region aufhelfen sollen.

Unterhaltung statt Tempelweihen

Unter den zahlreichen mehr oder minder bedeutsamen Heilbädern beiderseits der slowenisch-kroatischen Grenze spielten die Quellen beim Dorf Podcetrtek nie eine bedeutende Rolle. Erst ab den 60er Jahren begann das sozialistische Regime, das Potenzial des Ortes im Sinne der Volksgesundheit nutzbar zu machen. 1990 erfuhr der Ort den Ausbau zum Spaßbad; rund um die Quelle von Atomske Toplice (das Wasser ist schwach radioaktiv) entstand eine heute als »Terme Olimia« vermarktete Anlage. Um neben den Familien, die ihren Urlaub hauptsächlich im einige hundert Meter talaufwärts gelegenen Badepark »Aqualuna« verbringen, auch betuchte Gäste in die Therme locken zu können, empfahl sich der Bau eines Vier-Sterne-Hotels. Unter dem Namen Sotelia und mit Auszeichnungen geradezu überschüttet hat es dem Büro enota internationalen Ruhm beschert.

Die im Wettbewerb siegreichen Architekten gliederten die enorme Baumasse in ortsverträglich portionierte Streifen und schufen trotz schmalen Budgets ein komfortables und hochwertig erscheinendes Ambiente. Zuvor schon hatten sie das bestehende, mit peinlichen Anleihen aus der römischen Baukunst aufgehübschte Thermenensemble »Termalija« hinter einer gläsernen Nebenraumspange verschwinden lassen. Diesen Bereich – tendenziell für den Normalverdiener gedacht und wochenends unter Discobeleuchtung mit treibenden Beats beschallt – wollte der private Betreiber seinen neuen, zahlungskräftigen Kunden jedoch nicht zumuten. Für sie ließ er auf dem letzten freigebliebenen Wiesengrundstück zwischen Hotel und Bad eine kleine Traumwelt mit verschiedenen Wellnessangeboten einrichten und nannte sie in Anspielung auf die 40 Orchideenarten, die in der Umgebung wachsen, »Orhildelia«. Erneut ließ er enota nahezu freie Hand. Die jungen Architekten wollten das recht uneinheitlich bebaute Areal nicht noch durch einen weiteren Hochbau beeinträchtigen, sondern vielmehr die Qualitäten des Außenraums stärken und die angejahrten Badeanlagen weiter kaschieren. Durch die Vereinheitlichung des Straßenbelags hoben sie die Trennung zwischen Straße und Gehweg auf und betonten die gärtnerisch gestaltete Fußwegverbindung vom Haupteingang der Therme hinüber in das Feriendorf Lipa. Den Gebäudekomplex selbst versenkten sie in der Erde und definierten die Dächer als Bestandteil der Landschaft. Um die Räumlichkeiten mit Tageslicht versorgen und geeignete Außenbereiche schaffen zu können, nahmen die Architekten einen tiefen Einschnitt in das Gelände vor, der nun die Anmutung eines klaffenden Risses im kristallinen Erdboden hat. Die in stumpfen Winkeln gebrochenen Fassadenflächen umschließen u-förmig den terrassierten Außenbereich, der gleichzeitig intim und offen wirkt – der Blickbezug zur Landschaft blieb zumindest in einer Richtung erhalten. Durch die Schrägstellung der oberen Fassadenbereiche gelangt mehr Sonnenlicht in die Tiefe und wird die enorme Höhe der Glaswände abgemildert. Während der Freibereich vor den Saunen allen Blicken von außen entzogen ist, ergibt sich aus der direkten Nachbarschaft von Sonnenterrassen und öffentlichem Weg doch ein eigentümliches Spiel zwischen Verlockung, ja Verheißung, und Abgrenzung: Drinnen dümpeln und scherzen jene, die sich den selbst für westeuropäische Verhältnisse hohen Eintrittspreis (zwischen 22 und 33 Euro) leisteten, und vom Zaun her äugen neugierig die anderen, welche sich eben jenes bislang verkniffen und mit den althergebrachten Formen des Kurens vorlieb nahmen. Ein umso perfideres Spiel, als die glänzenden Oberflächen, die appetitlichen Farben und die schicke Deko gar nicht so teuer sind, wie sie scheinen, und trotzdem Begehrlichkeiten wecken. Den Architekten ist hier erneut ein Bravourstück gelungen, indem sie aus einem denkbar knappen Budget in jeglicher Hinsicht das Maximum herausholten – stolz verweisen sie auf den günstigen Quadratmeterpreis von 1 300 Euro/m².

Lob der Sauerkrautplatte

Alle Oberflächen wirken zunächst einmal hochwertig und sind in ihrem abwechslungsreichen Zusammenspiel höchst geschmackvoll arrangiert. Der klopfende Finger des Kenners aber offenbart die Hohlräume hinter dünnen Platten aus Holzwerkstoff im Außen- wie auch im Innenbereich. Sämtliche Bauelemente sind, auch wenn die komplexe Geometrie anderes erwarten lässt, aus preiswerten Standardprodukten zusammengesetzt. Die Bekleidung der größeren Innenwandflächen ist schon fast ein Bubenstück zu nennen: Aus Holzwolle- und partiell gelochten Holzwerkstoffplatten unterschiedlichen Zuschnitts und Farbtons wurde eine Wandgestaltung gefügt, die auf den ersten Blick Stein assoziieren lässt und dabei nicht nur hervorragend mit dem Schalungsmuster der Sichtbetondecke zusammengeht, sondern auch auf elegante Weise die Lüftungsöffnungen kaschiert und Schall absorbiert. Leider bekommen hohe Temperaturen und Luftfeuchtigkeit nicht allen Materialien gut: Die in Gießharz eingelassenen Baumscheiben, die dem Saunabereich eine gleichfalls warme und lebendige Erscheinung verleihen, sind schon zum großen Teil aufgesprungen und in spitzen Dreiecken aus der Wandebene herausgetreten. Beständiger sind dagegen die dreieckigen Lattenroste, die durch ihre kristalline Faltung kleinteilige, höhlenartige Räume bilden, unter denen es sich nach dem Saunagang erstaunlich behaglich ruhen lässt. Weitere Anspielungen auf Umgebung und Natur finden sich in den blassrosa Mosaikfliesen der Wasserbecken, die sich auf Orchideenblüten beziehen, und in den Baumstützen, die einerseits ein simples Tragwerk für die weit gespannten Betondecken der Bade- und Ruhehallen bilden und andererseits den nahe gelegenen Wald anklingen lassen. Sie sind ebenfalls Bestandteile einer kleinräumlichen Zonierung, die zusammen mit den hohen Ummauerungen der Whirlpools, sinnfällig positionierten Galerieebenen und zahlreichen Deko-Elementen der »Vereinzelung« der Besucher Vorschub leisten. Diese sollen sich als individuelle Gäste des Hauses fühlen können. Das Reinigungspersonal sieht dies offenbar anders und hat bereits einige der künstlichen Pflanzkübel beiseite geschafft.

Das Gesamtkonzept scheint aufzugehen. Orhidelia ist auch zu nächtlicher Stunde und zu Zeiten, da die Hotelbuffets geöffnet sind, gut gefüllt. Jeder kann für sich ein mehr oder minder stark mit Wasserrauschen und Lautsprechermusik beschalltes Plätzchen auftun und sich gleichzeitig als Bestandteil einer exklusiven Gemeinschaft empfinden. So wirbt auch die Website ganz unverblümt mit dem Wort »Prestige«. Ein Glück also, dass der Bauherr an enota geriet und die Anlagen nicht mit dem üblichen Glanz von poliertem Granit und Messing ausgestattet wurden, sondern vielmehr die spielerische Freude junger Architekten am Umgang mit Formen und Materialien spüren lassen. Ob sich ihre aus der Umgebung heraus entwickelte Gestaltung dauerhaft bewährt, oder eines Tages ihrerseits eines dann zeitgemäßen Deckmäntelchens bedarf, … wir sind ganz entspannt.

db, Mi., 2009.12.09



verknüpfte Zeitschriften
db 2009|12 Redaktionslieblinge

01. Dezember 2008Achim Geissinger
db

Verteidigungsring

Das Stadion in Maribor ist nicht von olympischen Ausmaßen – es bietet nur rund 12 500 Sitzplätze – mit seiner erlesenen Architektur hingegen kann es locker im länderübergreifenden Ringen der Fußballclubs um Aufmerksamkeit und Prestige mitmischen. Konzeptionelle Stringenz und gestalterische Präzision heben den Bau in die architektonische Oberliga. Allerdings sind noch nicht alle Ausbaupläne verwirklicht; die Gelder fließen spärlich, Ansprüche und Bedürfnisse der Hauptnutzer ändern sich.

Das Stadion in Maribor ist nicht von olympischen Ausmaßen – es bietet nur rund 12 500 Sitzplätze – mit seiner erlesenen Architektur hingegen kann es locker im länderübergreifenden Ringen der Fußballclubs um Aufmerksamkeit und Prestige mitmischen. Konzeptionelle Stringenz und gestalterische Präzision heben den Bau in die architektonische Oberliga. Allerdings sind noch nicht alle Ausbaupläne verwirklicht; die Gelder fließen spärlich, Ansprüche und Bedürfnisse der Hauptnutzer ändern sich.

Der NK Maribor ist seit einiger Zeit der erfolgreichste slowenische Fußballverein, und so darf man in der zweitgrößten Stadt des Landes – sie hat 110  000 Einwohner – stolz darauf sein, eine ganze Reihe von Meisterschaften und Pokalsiegen für sich verbucht und es bereits einmal bis in die europäische Champions League geschafft zu haben. Der Fußballverein (Nogometni Klub, abgekürzt: NK) gehört zum Verband der örtlichen Sportvereine mit rund 25 Abteilungen und dem Namen »ZMŠD Braník« – das slowenische Wort Braník steht für Schutz, Abwehr.

Name und Logo von Verband und Vereinen beziehen sich auf das Stadtwappen, das ein wehrhaftes Stadttor zeigt und da¬rüber den göttlichen Schutz in Gestalt einer Taube. Ob allein der spielerische Gegner des Schutzes bedarf – der sich freilich stets warm anziehen muss – darüber lässt sich trefflich philosophieren. Allzu oft gilt es aber auch, während der Spiele die Fans voreinander zu schützen, nicht nur den gegnerischen gegenüber, sondern auch untereinander. Und Schutz brauchen auch jene Stadion-Nutzer, die drohen, vom übermächtigen Platzhirschen in die Ecke gedrängt zu werden. Das wunderschöne, nagelneue Fußballstadion in der beschaulichen Universitätsstadt Maribor muss einiges aushalten.

Volksgarten

Auch das Stadion hat einen der Tradition folgenden Namen: 1873 richtete ein am Ort ansässiger Industrieller am Rande der Altstadt – wohl im Hinblick auf seine eigenen Arbeiter – eine öffentliche Parkanlage zur Förderung der Volksgesundheit ein, Ljudski vrt – zu Deutsch: Volksgarten. Den ersten Leibesübungen im Grünen folgte bald der Fußball: 1920 wurde ein Spielfeld angelegt, das 1952 an der heutigen Stelle als Stadion ein¬gerichtet und 1962 an seiner westlichen Längsseite mit einer Tribünenüberdachung versehen wurde. Mit der Loslösung Sloweniens aus dem jugoslawischen Staatenbund und dem folgenden wirtschaftlichen Aufschwung samt Bevölkerungszuwachs in den Städten wuchs auch der Bedarf an repräsentativen Sportstätten. Den bereits Ende der neunziger Jahre ausgeschriebenen Wettbewerb für die Erweiterung des Ljudski vrt gewann das Gespann aus den beiden in Ljubljana ansässigen und miteinander freundschaftlich verbundenen Architekturbüros OFIS und multiPlan. In ihrem Entwurf verstanden es die Architekten, eine Reihe von Überlegungen und funktionalen Anforderungen in eine Gesamtfigur einzubinden, die zusammen mit der bereits bestehenden Tribünenüberdachung vom Anfang der sechziger Jahre eine einheitlich wirkende Großform ergibt. Die Querträger des alten Dachs lasten im Rücken der Tribüne auf Stützen, zur offenen Seite hin werden sie von einem gewaltigen, leicht zum Spielfeld hin geneigten Stahlbeton-Bogen getragen. Darunter ist ein mittlerweile bedenklich korrodiertes Stahlseilraster gespannt, das wiederum die Dachhaut aus kleinformatigen Aluminiumblechen trägt. Dieser beeindruckenden Bogenkonstruktion entsprechen die wie in einer Wellenbewegung auf- und absteigenden Schwünge des im Hufeisen um die übrigen Spielfeldseiten geführten neuen Tribünendachs. In der Gesamtschau ergibt sich so, egal ob aus der Ferne oder im Inneren, immer ein einheitliches Bild, das zudem mit den sanft geschwungenen Hügeln im Hintergrund korrespondiert.

Dieser Ausgestaltung liegt die Entscheidung zugrunde, an jenen Stellen mit guter Sicht mehr Sitzplätze anzubieten als an denen mit ungünstigem Blickwinkel. Daher wurden die Hauptzugänge in die Ecken gelegt und die Zahl der Sitzreihen dort reduziert. Zentral über dem Spielfeld steigen die meisten Sitzreihen hintereinander auf, und die Dachschwünge erreichen hier jeweils den höchsten Punkt. Im Rücken der Tribüne verläuft als ein zentrales Element des Entwurfs ein durchgehender Umgang, von dem aus alle Plätze erreichbar sind. Beginnend auf Rasenniveau, neben den Auflagerpunkten des alten Tribünenbogens, folgt der Umgang dem Auf und Ab der Tribünenränder und ermöglicht es, frei im gesamten Neubau umherzugehen. Dieser konzeptionellen Durchlässigkeit entspricht auch die Offenheit der Konstruktion: Die Betonpfeiler, auf denen das Dach ruht und von denen aus die weit auskragenden Stahlträger abgehängt sind, fassen jeweils paarweise einen der Zugänge zum Tribünenraum ein. Im Gesamtbild treten sie kaum in Erscheinung und lassen das Dach schwebend erscheinen, zumal die Hinterwand des Umgangs völlig verglast ist und keinerlei Einbauten oder Brüstungen den Blick behindern. Zusammen mit der zweischaligen Dachhaut aus transluzenten Polycarbonatplatten, die nachts von innen beleuchtet werden, entsteht ein offener, heller und sehr heiterer Eindruck – die liebliche Hügellandschaft der Untersteiermark tut dazu ihr Übriges. Diesem luftigen Eindruck können auch die kräftigen Vereinsfarben – Violett und Sonnengelb – nichts anhaben, die sich in großflächigen Plakaten, Beschriftungen und vor ¬allem in den Schalensitzen wiederfinden. Hier ist der mächtige Einfluss des Fußballklubs zu spüren, der das ursprünglich als Sport- und Kulturstätte für ganz Maribor errichtete Stadion mehr und mehr für sich zu vereinnahmen trachtet. Letztlich ist das auch legitim; zwar flossen Gelder aus Töpfen von Stadt (sechzig Prozent), Verein (vier Prozent) und dem EU-Fonds für regionale Entwicklung (36 Prozent); der noch lange nicht abgeschlossene Ausbau ist jedoch nur mit Sponsorengeldern zu bewerkstelligen – und die wird man weniger durch ein freundliches Wesen als vielmehr mit fernseh- und somit werbewirksamen Sportveranstaltungen in der obersten Liga erwirken. Es fehlen bislang die Bestuhlung der allerobersten Sitzreihen und die zweite Glasschale, die den Umgang zu einem rundum windgeschützten Bereich aufwerten soll.

Leider beginnt bereits die Aufweichung des architektonischen Konzeptes. Da die besonders hartgesottenen Fans in ihrer Unbändigkeit nicht nur eine Gefahr für sich selbst, sondern eine ganz generelle darstellen, ging man bereits dazu über, sie abgeschirmt vom Gros der Zuschauer in einen eigenen Bereich zu pferchen. Er wird separat erschlossen und ist aus gutem Grund mit Sitzschalen ohne Rückenlehnen ausgestattet.

An der Längsseite ist ein VIP-Bereich ausgewiesen, den es noch einzurichten und vor allem mit Absperrungen auszustatten gilt. Diese sind im Entwurf zwar vorgesehen, dort aber verständlicherweise als kaum spürbare Linien dargestellt. Das Prinzip der freien Bewegung im Stadion, der offene, demokratische Charakter der Anlage wird durch diese Sektionierung ad absurdum geführt. Bleibt also zu hoffen, dass die Organisatoren sich von der Architektur leiten lassen und den Umgang zum Beispiel als Raum für allgemein zugängliche Sponsoren-Präsentationen offen halten.

Welche Planer und Firmen den weiteren Ausbau zu welchen Teilen übernehmen werden, ist unklar. Ein weiteres Architekturbüro, ComArh aus Maribor, ist im Gespräch. Gerne würden OFIS arhitekti retten, was zu retten ist, doch Informationen, wie es weitergeht, gibt es nur spärliche. Das engmaschige Netzwerk im kleinstädtisch wirkenden Maribor ist vom zwei Autostunden entfernt liegenden Ljubljana aus kaum zu durchdringen. Der als Bauherr auftretende Sportverbund stellt den Ausbau für das kommende Jahr in Aussicht, hält sich sonst aber bedeckt.

Dabei wurde mit einem ganz wesentlichen Teil der Anlage noch gar nicht begonnen: Unter den Tribünen wurde auf ¬einem ober- und einem unterirdischen Geschoss Raum geschaffen für einen Fitnessclub mit Schwimmbecken, Läden, Gaststätten und vier Sporthallen, die man in der Stadt dringend braucht – die nebenan gelegene, 2006 eröffnete Sporthalle Lukna steht bisweilen unter Wasser, weil der darunter liegende Kanal zu knapp bemessen wurde. Man scheint dennoch Zeit genug zu haben, schließlich brauchte es vom Wettbewerb bis zum bespielbaren Stadion allein schon zehn Jahre …

Unauffällige Landmarke

Derweil darf man sich auf dem bereits Erreichten aber getrost ein wenig ausruhen. OFIS arhitekti verwirklichten ein zeichenhaftes Gebäude, das selbst auf kleinsten Hotelfernsehschirmen seinen Wiedererkennungswert entfaltet, gleichzeitig aber wie selbstverständlich im Stadtorganismus zwischen Schulen, kleinen Stadtvillen und weiteren Sportanlagen liegt und gegenüber dem umgebenden Straßenraum sogar mit reichlich Understatement auftritt. Dies liegt zum einen an der geringen, weil vom örtlichen Baurecht so vorgeschriebenen Höhenentwicklung. Zum anderen haben die Architekten die nach außen hin ins Gewicht fallenden Bauteile schlicht »schwarz weggestrichen« – alle Metallprofile und Streckmetall-Brüstungen sind anthrazitfarben beschichtet. Der Rest ist Glas. Die weiten Kurven der Tribünen treten nach außen hin nur in Form des Umgangs in Erscheinung, der sich kühn den schmalen Vorplätzen im Norden und im Süden entgegenschwingt und sich dabei elegant über einen eingeschossigen Unterbau erhebt. Diese im Rechteck angelegte »Basis« ist rundum verglast und wartet darauf, an den Schmalseiten mit Büros und Ladenlokalen belegt zu werden. Ihr Dach fungiert als Verteilerebene für die in das Stadion strömenden Fans und als Aufenthaltszone während der Pause.

Was den Bau in die architektonische Oberliga hebt, ist seine konzeptionelle Stringenz und seine gestalterische Präzision. OFIS arhitekti schaffen es immer wieder, auch mit preiswerten Standardmaterialien ästhetisch hochwertige Oberflächen herzustellen und im besten Sinne »durchgestylte« Erscheinungsbilder zu erzeugen. Sie bearbeiten ihre Aufträge schon fast mehr aus Gewohnheit denn aus der Not heraus so, als stünde nahezu kein Budget zur Verfügung. Mitunter handeln sie sich dadurch auch Unlösbares ein: So ergab sich beispielsweise aus der Kombination gekrümmter Dachflächen mit orthogonalen Tragstrukturen eine problematische Geometrie, die weder bei der beleuchteten Dachuntersicht noch an den Endpunkten des Umgangs gestalterisch zufriedenstellend in den Griff zu bekommen war.

Sicher ist jedoch, dass die Anlage den ein oder anderen gestalterischen Angriff gut aushalten wird. Die – ohne Absprache mit den Architekten – noch vor die unterste Sitzreihe gehängten Gitterroste bieten Platz für noch mehr Fans, fallen aber ¬außer durch miserable Sichtbedingungen kaum ins Gewicht. Bleibt also zu hoffen, dass die Stadt sich dauerhaft gegen allerlei Begehrlichkeiten zu schützen weiß und das Entwurfskonzept des Stadions stark genug ist, dem steigenden Verwertungsdruck seitens der Fußballer standzuhalten … ganz im Sinne von »Ljudski vrt«, dem allen Menschen offenstehenden Volksgarten.

db, Mo., 2008.12.01



verknüpfte Bauwerke
Fussballstadion Maribor



verknüpfte Zeitschriften
db 2008|12 Spätlese

31. Mai 2007Achim Geissinger
db

Glühwürmchen für Gross und Klein

Was andernorts gerne als Beiläufigkeit der städtischen Infrastruktur behandelt wird, bildet im Genfer Vorort Cressy den Kristallisationspunkt des öffentlichen Lebens: Grundschule, Sporthalle und Clubräume belegen den zentral gelegenen Endpunkt einer sich durch die gesamte Neubausiedlung ziehenden Grünachse. Die unverwechselbare Farbgestaltung gibt dem öffentlichen Raum – tagsüber wie nachts – Identität und Charakter. Das Besondere: Die Farbstimmung der Fassade bei Dunkelheit ist abhängig vom Maß der Sonneneinstrahlung bei Tag sowie der jeweiligen Jahreszeit.

Was andernorts gerne als Beiläufigkeit der städtischen Infrastruktur behandelt wird, bildet im Genfer Vorort Cressy den Kristallisationspunkt des öffentlichen Lebens: Grundschule, Sporthalle und Clubräume belegen den zentral gelegenen Endpunkt einer sich durch die gesamte Neubausiedlung ziehenden Grünachse. Die unverwechselbare Farbgestaltung gibt dem öffentlichen Raum – tagsüber wie nachts – Identität und Charakter. Das Besondere: Die Farbstimmung der Fassade bei Dunkelheit ist abhängig vom Maß der Sonneneinstrahlung bei Tag sowie der jeweiligen Jahreszeit.

Die Anwohner stört es nicht, dass die Gebäude nachts leuchten – im Gegenteil: Freunde werden extra mit dem Versprechen zu sich nach Hause eingeladen, etwas ganz Besonderes zu sehen zu bekommen. Groß ist die Enttäuschung dann, wenn die Beleuchtung nicht in Betrieb ist – was in den ersten Monaten nach Eröffnung des Komplexes schon einmal vorkommen konnte.

Inzwischen funktionieren Technik und Architektur ganz nach Plan. Noch etwas Sonne, Wasser und Geduld, und auch die Grünflächen werden ganz dem Wunsch von Planern und Bürgern entsprechen.
Seit 1999 entwickelt sich auf einem Gelände, das von den beiden westlich von Genf gelegenen Gemeinden Bernex und Confignon gemeinsam für den Wohnbau erschlossen wurde, ein Quartier mit etwa 200 Wohneinheiten. Der architektonische Anspruch ist hoch, die Preise sind moderat. Staatlich geförderter Wohnraum (HBM = »habitation bon marché«) und die verkehrsgünstige Lage nahe der Autobahn zogen bereits viele junge Familien an, deren Sprösslinge seit dem Sommer 2006 die Grundschule direkt vor Ort besuchen können.

Funktional gefügt

Der Schulkomplex besteht aus drei kubischen Gebäudeteilen, die im Grundriss leicht gegeneinander verdreht sind. Der öffentliche Außenraum wird dadurch zoniert, nicht aber eingeengt. Im Gegenteil: Die Maßstäblichkeit der umgebenden Wohnbebauung mit reichlich Frei- und Grünflächen wird fortgeführt und erzeugt auf dem etwas erhöht auf dem Rücken einer Bodenwelle gelegenen Gelände ein Gefühl von ländlicher Weite. Das auf dem leicht abfallenden Areal zuoberst gelegene und halb einge¬grabene Volumen ist dem Sport vorbehalten; die Turnhalle ist ringsum verglast und wird von Tageslicht durchflutet. Der kleine quadratische Bau unterhalb beherbergt Vereinsräume, einen Speisesaal mit Küche und die auch für außerschulische Veranstaltungen offen stehende Aula. Das unterste und größte Volumen schließlich ist der Schule vorbehalten. Auf den beiden oberen Ebenen liegen – nach Art von Windmühlenflügeln um das zentrale Atrium herum verteilt – je sechs Klassenzimmer und ein Sonderraum. Zwischen-flächen mit Verbindung zur Außenfassade bieten Raum für klassenübergreifende Projektarbeiten. Die zentralen Verwaltungs- und weitere Funktionsräume befinden sich im Erdgeschoss. Im zur Hälfte natürlich belichteten Untergeschoss kommen ein Raum für außerschulische Aktivitäten, die Bibliothek und die Wohnung des »Concierge« hinzu.

Die Räume und vor allem das Atrium wirken hell und leicht. Die weiten Freiflächen, der große Luftraum und vielerlei Ausblicke leisten dazu ihren Beitrag und lassen die Schwere der Konstruktion kaum spüren. Um die ¬Effekte der energetischen Bauteilaktivierung optimal nutzen zu können, wurden die tragenden Innenwände und die Decken in Sichtbeton ausgeführt. Die Wände erhielten dabei eine samtig weiche Oberfläche, die ¬Decken hingegen litten bei der Herstellung etwas unter der Vielzahl technischer Einbauten und gelegentlichen Verzögerungen bei der Verarbeitung. Für das erklärte Lieblingsbaumaterial vieler Architekten sprachen ganz banale Argumente: »c’est plus durable« – die Oberflächen sind einfach ¬widerstandsfähiger und bilden zusammen mit großflächigen Eichenholzverkleidungen und etwas Stahl und Glas einen sachlichen aber freundlichen Rahmen, der das bunte Kindertreiben samt dessen gestalterischer Äußerungen bestens verträgt. Die terrazzoartige Optik der weichen Böden resultiert aus einem PU-gebundenen Gummigranulat, dessen Oberfläche geschliffen und mit einem elastischen PU-Harz versiegelt wurde.

Leuchtkörper

Steht im Inneren die Haptik der Materialien im Vordergrund, so zeigt sich von außen ein ganz anderes Bild; die ringsum laufenden Stahl-Glas-Fassaden mit Fensterelementen aus Aluminium führen ein gestalterisches Eigenleben, das technizistisch anmutet. Um Betriebskosten zu sparen, wurde die Außenhaut zweischalig konzipiert, zur Be- und Entlüftung der Räume werden die Eigenschaften einer Kaltfassade mit kontrolliertem Luftaustausch genutzt, eine mechanische Lüftung erübrigt sich dadurch. Die Anforderungen der Schweizer Energie-Norm MoPEC2 werden dennoch erfüllt (der U-Wert liegt bei 0,88 W/m²-K). Einzelne Fensterelemente durchstoßen den Pufferbereich und schaffen dadurch direkten Zugang zur Außenluft.

Alle drei Baukörper sind jeweils von einem »grünen Kragen« umgeben, einem Humusstreifen, dessen Bewuchs sich noch entfalten muss. Gräser und niedrige Sträucher werden an heißen Tagen dafür sorgen, dass die über den asphaltierten Freiflächen erhitzte Luft leicht abgekühlt und angefeuchtet in die Doppelfassade strömt.
Das in vielerlei Hinsicht bedeutendste Fassadenelement tritt bei schlechtem Wetter kaum in Erscheinung. Der an den weniger stark besonnten Seiten meist aufgerollte Sonnenschutz besteht aus unregelmäßig perforierten PVC-Folien. Sie sind im wahrsten Sinne der Ferrari unter den Sonnenschutzmaterialien, haben mit schnellen Autos allerdings wenig zu tun; sie stammen von einem französischen Hersteller textiler Bauelemente gleichen Namens. Die Idee, die Fassaden mit Pastelltönen zu beleben, hatten Devanthéry & Lamunière bereits 1999 beim Rathaus von Payerne erprobt. Dort wie in Cressy geben die unterschiedlich gefärbten Bahnen dem Gebäudeäußeren aus Metall und Glas einen heiteren Charakter. Nach innen wirken sie wie ein Filter, auf dem sich die Umgebung schemenhaft abzeichnet und der die Leuchtkraft der Farben noch verstärkt.

Nach außen binden sie die drei Einzelbauten zu einer Einheit zusammen und bewerkstelligen vor allem eines: Sie erzeugen ein einprägsames Bild, mit dem sich die Bewohner identifizieren können. Besondere Kraft schöpft das hiesige Konzept, mit Farben lokale Identität zu schaffen, aus dem Umstand, dass die Wirkung mit dem Sonnenuntergang nicht verblasst, sondern bei Dunkelheit ein weiterer Aspekt hinzutritt. Schon der Wettbewerbsentwurf, mit dem die Genfer Architekten 2002 den Sieg errangen, firmierte im Büro unter dem Namen »Glühwürmchen«. Der Name »Luciole« hat sich erhalten, schließlich wirken die Gebäude auch nachts als Bezugspunkt für die Bewohner. Dabei werden die pünktlich zum Sonnenuntergang herabgelassenen Sonnenschutz-Stores unabhängig von ihrer Eigenfarbe mit farbigem Licht angestrahlt. Auf Höhe der Dachkante wurde dazu pro Fassadenjoch je ein LED-Strahler angebracht, dessen Einzelelemente die Lichtfarben Rot, Grün und Blau emittieren. Gemeinsam mit dem Lichtkünstler Daniel Schlaepfer entwickelten Devanthéry & Lamu-nière ein Konzept, das insgesamt neun unterschiedliche Farbszenarien umfasst. Dazu misst ein Sensor auf dem Dach das tägliche »Wetter-Licht« und gibt dann die Meldung über »sonnig«, »wolkig« oder »regnerisch« an die Steuerung weiter.
Diese bestimmt daraus einen von der Jahreszeit abhängigen Farbcharakter, der von matt bis gesättigt reicht. Im Sommer werden in Analogie zum hohen Blauanteil des Zenitallichtes verstärkt Blautöne beigemischt, den Übergangszeiten in Frühling und Herbst entsprechen grüne, dem Charakter der im Winter tief stehenden Sonne rote Töne. Somit erstrahlen die Fassaden nach einem sonnigen Herbsttag in intensiven Gelb-Orange-Tönen. Nach einem regnerischen Sommertag leuchten sie in mattem Blau.

Wurde auf seiten des Energieverbrauchs für Heizung und künstliche Raumbeleuchtung viel planerischer Aufwand für die größtmögliche Einsparung getrieben, so stellt sich auf der anderen Seite die Frage nach der ökologischen Vertretbarkeit der nächtlichen Gebäudeillumination. Der Projekt-leiter Frédéric Crausaz winkt ab, pro Nacht werden insgesamt nur etwa 700 Watt verbraucht.

Angesichts des charmanten Konzeptes und der tagsüber wie nachts zwar auffälligen, aber an keiner Stelle überzogen wirkenden, sondern vielmehr angenehm zurückhaltenden Gestaltung mag man darüber ohnehin nicht nachdenken. Vielmehr möchte man auch die Straße überqueren und das ebenfalls von Devanthéry & Lamunière gestaltete Wartehäuschen an der Buswendeschleife in Augenschein nehmen. Dessen Dachuntersicht erstrahlt in verschiedenen Farben, deren Zusammensetzung sich beim Umrunden des Funktionskerns mittels bewegungsempfindlicher Sensoren steuern lässt.

Auf diese Weise wussten die Architekten, die Bewohnerschaft für sich und für die Bauten einzunehmen. Die Qualität der entstandenen Freiräume tut dazu ihr Übriges. Die Flächen zwischen den einzelnen Kuben sind bei heiterem Wetter erstaunlich stark frequentiert. Der nächtliche Spaziergänger kann sich auch ohne Straßenbeleuchtung gefahrlos durch das Gelände bewegen.

db, Do., 2007.05.31



verknüpfte Bauwerke
Schule und Nachbarschaftszentrum



verknüpfte Zeitschriften
db 2007|06 Tag und Nacht

03. November 2006Achim Geissinger
db

Ornament entsteht aus dem Kontext

Interview mit Rüdiger Lainer, Wien

Interview mit Rüdiger Lainer, Wien

db: Herr Lainer, vor einiger Zeit, als wir einmal über eines Ihrer Projekte, die Wohnbebauung Cobenzlgasse, sprachen, äußerten sie den Satz: »das mit dem Ornament, das ist jetzt aber durch.« stimmt diese Aussage so für Sie noch immer?

Sie stimmt insofern noch, als wir 2005 in der Cobenzlgasse das Ornament nach unserem Verständnis in seiner wohl extremsten Form angewendet haben. Mit diesem fast direkt-plakativen Umgang einer dekorativen Struktur hatten wir einen Endpunkt erreicht. Eine weitere Verwendung desselben Motivs würde für mich keinen Schritt nach vorn bedeuten. In unserer heutigen Arbeit taucht das Ornament nicht mehr so vordergründig auf, wie noch in der Cobenzlgasse, wo es quasi vorwitzig die Nase vorstreckt und sich eindeutig als ergänzender Schmuck des Gebäudes zu erkennen gibt.
Man bewegt sich beim Ornament immer auf einem schmalen Grat, und in der Cobenzlgasse hat es schon einen gewissen Überhang bekommen, der über das reine kontextuelle Arbeiten hinausgeht. Das hat mit der leisen Ironie zu tun, mit der wir die Aufgabe in Grinzing – diesem hehren Ort des Heurigen und des österreichischen Tourismus – angegangen sind.
Letztlich erscheint die organische Vegetabilität des Aluminiumrasters dort aber fast tautologisch, denn die kontextuellen Bezüge zur Umgebung am Ortsrand nimmt bereits der Baukörper in ausreichendem Maße auf. Das Ornament betont nochmals: Ich stelle Topografie dar, ich bin Natur.
Um Ihre Frage zu beantworten: In Zukunft versuchen wir präziser zu sein und nicht dasselbe zweimal zu sagen.

db: Sie sind in Salzburg geboren, leben jetzt in Wien – beide Städte sind stark vom Barock geprägt und damit zumindest oberflächlich auch vom Ornamentalen. Inwieweit hat dieses Schmuckhaft-Ornamentale des Barocks sie beeinflusst?

Die Lust am Barock war sicher nicht direkt mit der Lust am Ornament verknüpft, aber doch mit einer gewissen Zeichenintensität der Gebäude, des Gebäudegrundsatzes. Und dieses Element nehme ich auf. Aber unser Verständnis und unser Umgang mit dieser Zeichenintensität gerade auch der Fassade ist ein anderer.
Mich hat schon früh die makroästhetische Relevanz von Gebäuden interessiert.
Sie basiert für mich auf drei Ansätzen: 1. Die Lust am Kontextuellen: Wie kann ich eine Umgebung interpretierend in die Gebäudegrundstruktur einbeziehen? 2. Die Fragen rund um Semiotik, Zeichen, Intensitäten. Sie ergaben sich während meines Studiums aus dem Frust über diese ganze Bauwirtschaftsmoderne. Ich fragte mich, wie ich die Dichte an Informationen vermitteln kann, ohne postmodern-dekorativ sein zu müssen. Als Drittes kommt das Wiener Thema der Oberflächen hinzu, das erst mit Semper und seiner Auffassung von der »Bekleidung des Hauses«, dann mit Wagner und der Sezession sehr wichtig wurde und schließlich mit Loos’ Pamphlet »Ornament und Verbrechen« seinen Kulminationspunkt erreicht hat.
Schon in den ersten Projekten versuchte ich, die Signifikanz meiner Gebäude zu intensivieren, so dass sie eine gewisse Vieldeutigkeit im Straßenraum, also im Erlebnisraum, entwickelten, ohne dabei dekorativ zu sein.
Ornament als reine Oberfläche war aber nie das vordergründige Thema.
Ich verstehe Ornamente nicht als Vermittler eines abstrakten Bedeutungsgehalts, wie zum Beispiel Wagner, der organische Ornamente in eher technische Elemente transformierte, um sein Interesse an neuen Materialien und Produktionsmethoden darzustellen.
Für die Entwicklung der floralen Elemente der Cobenzlgasse war die Auseinandersetzung mit dem Kontrast Natur und Stadt wesentlich. Ein Thema, das mich schon immer interessiert hat, das ich aber nie unter dem Gesichtspunkt des Ornaments aufgefasst habe. Ornament per se interessiert mich eigentlich überhaupt nicht – außer vielleicht als architekturtheoretischer Hintergrund. Wenn man die Diskussionen nimmt, die mit Namen wie Semper, Wagner, Plečnik oder der Sezession verbunden sind, dann ist es schon spannend zu beobachten, wie jede Zeit versuchte, ihre Inhalte zu vermitteln.

db: Welchen Stellenwert hat dann das Dekor in Ihrer Arbeit?

Dekor wird dann interessant, wenn es in irgendeinem Bezug steht. Da gibt es in meiner Arbeit eine Entwicklung – meine früheren Gebäude waren sehr plastisch; die Fassaden versuchten, räumlich auf den jeweiligen Kontext zu reagieren. Bei späteren Projekten war es die Materialwahl und deren Kombination, die diese Vermittlung übernahmen und zu ornamentalen Strukturen führten: Wellpolyester, Bambus und Nirosta habe ich so kombiniert, dass eine neue semantische Intensität entstand. Das führte weiter zu Projekten, wie zum Beispiel dem Büro- und Fitnesscenter in der Hütteldorfer Straße, bei dem aus einer Diskussion mit dem Bestand, also wieder aus einem Kontext heraus, vegetabile Strukturen aus Aluminiumguss entstanden.

db: Dort wurde das System eines alten Fabrikgebäudes aus Stahlbetonskelett und vorgesetzter Ziegelwand in einem Anbau fortgeführt, dessen Tragstruktur aus Stahl mit einer unabhängigen Haut überzogen ist, die ihr ganz eigenes Leben entfalten kann.

Dieser Altbau ist ein faszinierendes Gebäude – mit seiner Lisenen-Gliederung kam der britische Industriestil nach Mitteleuropa. Wir fragten uns, welches Material man auf sinnfällige Weise zu diesem Backstein addieren könne.
Der simple Ansatz: Backstein ist Ton, ein Produkt aus der Erde, das gebrannt wird und als Einzelelement serielle Verwendung findet. Durch den Produktionsprozess bekam es unterschiedliche Farben und Strukturen. In der Fläche verwendet ergaben sich daraus changierende Oberflächen.
Eine Analogie hierzu fanden wir im Bauxit und folglich im Aluminium. Da Aluminium im Gegensatz zum Ziegel aber sehr gleichfarbig ist, galt es, für das seriell verwendete Einzelobjekt ein wiederholbares plastisches Modul zu entwickeln. Durch die Licht- und Schattenspiele erreichten wir das scheinbare Changieren des gleichfarbigen Aluminiums.
Ein zusätzlicher, in dem sehr dicht bebauten Bezirk bedeutsamer Punkt ist das Spiel zwischen natürlich und künstlich. Ein Thema, das sich durch die ganze Baugeschichte zieht. Der Wunsch, Natürlichkeit im Gebauten zu verewigen, war immer präsent. So sind sehr viele Ornamente an historischen Bauten aus dem Vegetabilen abgeleitet.

db: Haben sie eine bewusste Entscheidung getroffen, sich nicht geometrischen Ornamenten, sondern floralen, vegetabilen zuzuwenden?

Das war eine Entwicklung, die mit einem früheren Projekt begann, einem Wohnbau in der Wiedner Hauptstraße, dem »hängende Gärten« als Fassade mit natürlicher Vegetation vorgelagert sind. Die Tragstruktur der Laubengänge wird hier von Pflanzen überwachsen. Das Weiterführen dieses Spiels mit Pflanzen am Gebäude endete in der künstlichen Vegetation der Cobenzlgasse, wo eine natürliche Begrünung des komplexen Baukörpers schwierig zu kontrollieren schien. Für die Hütteldorfer Straße berechneten wir eine Modulgröße, suchten im Wiener Wald Blätter und Äste zusammen und legten sie so, dass immer ein Astende auf der anderen Seite anschließt und bildeten ein Element, das sich nach vier Seiten unendlich fortsetzen kann. Das wurde gegossen und nun tausendmal an der Fassade aneinandergereiht. Das Projekt mag ich wirklich sehr gern, denn es wirkt aufgrund der Vielzahl der Einzelelemente sehr abstrakt, gibt der Fassade ein leises Flimmern. Und man muss schon sehr nah hingehen, um die Äste und Blätter zu erkennen.

db: Bei Aedes hatten sie 2004 Gelegenheit, das Thema »Ornament und die Tiefe der Oberfläche« in einer Ausstellung zu präsentieren. Wie kommt räumliche Tiefe ins Ornament?

Das war eher eine Paraphrase zu einem Zeitpunkt, als die Ornamentdiskussion erstmals aufflammte.
Es gibt Projekte, bei denen das Thema bedeutsam ist, ja sie leben sogar davon. Andere bleiben davon unberührt, denn es geht nicht um den reinen Willen, Ornamente zu schaffen, sondern um anderes.
Nehmen wir zum Beispiel die Wiedner Hauptstraße, wo es um die Frage ging, wie kann ich in einer sehr grauen, engen Gasse eine Fassade gestalten? Unsere Lösung besteht aus einer acht Meter tiefen Fassade mit verschiedenen Schichten: vertikale Begrünung, Erschließungsschicht, Pufferschicht und »Nester« als Übergangsräume vor den eigentlichen Wohnungszugängen. Das bewirkt, dass man in einem nur 15 Meter breiten Straßenraum nicht Grau in Grau sitzen muss, es schafft eine bessere Belichtung für die dahinter liegenden Wohnungen und einen anderen Nutzraum dazwischen. So wird die Fassade sehr tief.
In der Hütteldorfer Straße hingegen, wo es allein darum ging, einen Kontext zu erzeugen, ist die Fassade sehr dünn. Sowohl die Ziegel- als auch die Aluminium-Schicht sind nur vorgestellte Vermittler zum Außenraum.
In unseren Kino-Projekten in Wien und in Salzburg wiederum gibt es Schichten zwischen zwei und sechs Metern Tiefe, die auch zusätzliche Nutzungen aufnehmen können – das reicht vom normalen Doppelschaligen, das ich als Wintergarten und Energiepuffer verwende, bis hin zum so genannten Transitorium, worin eine zusätzliche Erschließung enthalten ist.Diese Schichten vermitteln zwischen Stadtraum und dem eigentlichen Innenraum und bilden eine Art »nutzlosen Raum«, der in keinem Raumprogramm enthalten ist, aber eine Mediation übernimmt und fast eine Art usurpierter Raum ist.
Tiefe und Ausformung der Fassaden werden immer direkt aus dem Kontext heraus generiert, aus den Erfordernissen, Funktionalitäten, die man bedienen will, und münden nur gelegentlich in der Ausgestaltung eines ornamentalen Elements.

db: Wie wichtig ist die Rolle der Fassade und des Ornaments als Vermittler?

Man kann die Fassade als Mediator sehen. Für mich ist das aber kein wesentliches Thema. Ich glaube nicht, dass ich über das Ornament oder die Fassade die Marketingstruktur des Gebäudes aufbaue.

db: Es gibt allerdings einen Wettbewerbsbeitrag aus Ihrem Büro für die Firma Blaha, bei dem das Ornament als Fassadenhaut, aber auch als raumbildendes Element verwendet wird und sogar konstruktive Funktionen übernimmt. dort tritt das Muster nach außen hin am lautesten auf. Was hat es damit auf sich?

Dort hat das Muster natürlich eine sehr starke Zeichenwirksamkeit. Was mich dabei am meisten interessierte, war, wie schaffe ich eine Struktur mit zwei oder drei Fertigteilen? Im Prinzip ist es ein riesiger Zaun, der freilich durchlässig ist und als eine Art Puffer zwischen einer stark befahrenen Straße und den eher kontemplativen Innenräumen wirkt. Sicher haben alle Fassaden eine sehr starke Wirkung nach außen, insofern ist jede Fassade ein Mediator zwischen außen und innen und zwischen Nutzer und Marketing. Es geht uns aber nicht darum, von vornherein eine spektakuläre Fassade zu entwerfen. Fassaden, oder besser die Strukturen im Übergangsbereich werden bei uns immer aus dem Projekt, aus dem Konzept entwickelt.

db: Haben sie für sich ein genaue Definition, was Ornament ist, und was nicht?

Ich glaube, dass die Grenzen sehr fließend sind. Wenn ich das Ornament als das klassische Element begreife, das ich wie aus dem Katalog verwende, wie es im 19. Jahrhundert üblich war und wogegen sich Loos so stark gewehrt hat, dann würde ich sagen, haben wir im Büro eigentlich nie Ornamente gemacht.
Wenn ich aber Ornamente als mögliche Erscheinungsformen eines Gebäudes definiere, dann gibt es das Ornament sicher kontinuierlich in der ganzen klassischen Moderne. Nehmen Sie nur La Tourette mit der von Xenakis rhythmisch gestalteten Glaswand, die Sie als ornamentale Skulptur lesen können.

db: Die Wirtschaftskammer Niederösterreich, um ein anderes Beispiel aus Ihrem Büro anzuführen, wurde sehr zurückhaltend gestaltet. Ein Ornament ist nicht erkennbar, bestand hier nicht die Notwendigkeit, über das Ornament einen Kontext zu generieren?

Was mich bei der Arbeit interessiert, ist die Frage, wie ich durch eine leichte Verschiebung der Wirklichkeit eine andere Struktur, einen anderen Zusammenhang erzeugen kann, ohne radikal fremde Formen oder andere Strukturen zu verwenden. Wie kann ich in der sekundären Wahrnehmung das Gewohnte so verändern, dass etwas Zusätzliches entsteht?
Im erweiterten Sinn des Begriffs Ornament, ist die Fassade der Wirtschaftskammer sogar sehr ornamental. Die Fenster tanzen sozusagen auf der flächigen Fassade, verwischen dadurch die Geschossteilung und zeigen, dass dieses Gebäude über das Atrium auch vertikal zusammenhängt, dass es nicht nur eine Schichtung gibt, sondern auch eine Art Vernetzung.
Die Fenster wirken wie große Spiegel und treten mit der Umgebung in Kontakt. Die Fassade bekommt einen gewissen Abstraktionsgrad. Das ist nicht vordergründig als Ornament gedacht.
Im Vergleich zur Cobenzlgasse ist es schwerer als Ornament erkennbar, hat aber in meinen Augen die gleichen Intensitäten und damit auch eine gewisse Mediatorenfunktion wie das klassische Ornament. Spannend für mich ist, wie sich mit minimalen Verschiebungen ganz unterschiedliche Wirkungen erzielen lassen. Schauen wir nochmals auf die Wirtschaftskammer: Erstmal nur eine Lochfassade, die aber aus der Nähe ganz anders aussieht, und wenn man dann hineingeht, verschiebt es sich noch einmal.
Die Fensterteilungen sind dabei funktional hergeleitet: Ein Fensterflügel lässt sich während des Betriebs öffnen. Der zweite ist nur für Reinigungszwecke vorgesehen. Der dritte ist für die Normallüftung gedacht und wird in der Regel für die Nachtauskühlung verwendet. Daraus ergibt sich die Proportion des Bildes. Darunter liegt ein Raster mit engen Abständen, das mir eine sehr flexible Enteilung der Räume dahinter ermöglicht, obwohl alle Fensterelemente gegeneinander verschoben sind. Im Vordergrund stand dabei die Frage: Wie kann ich auf der einen Seite im Sinne von Flexibilität und Neutralität seriell sein, auf der anderen Seite den Bau aber auch mit einer Besonderheit überhöhen und wirksam werden lassen?

db: Eine letzte Frage: Wenn sie an der Akademie der bildenden Künste Studenten betreuen, wie vermitteln sie die eigenständige Entwicklung von kontextuellen Bezügen, von Fassaden als Mediator?

Ich muss sagen, dass wir kaum je wirklich über Fassaden sprechen. Die Fassade ist das relativ Letzte oder oftmals Unwesentliche. Was wir versuchen, ist, mit sehr konzeptuellen Ansätzen zu operieren. Es ist im Prinzip völlig egal, ob das ein absolut minimalistisch reduzierter Ansatz ist oder jemand kurvig bauen will. Wichtig ist die selbst gefundene Logik oder Argumentation, die dahintersteckt. Ich versuche, niemals, irgendwelche Präferenzen für Formen oder Richtungen wirksam werden zu lassen, und schaffe es auch, dass es zu völlig unterschiedlichen Arbeiten kommt. Wichtig ist, welche Dichte der Gedankenwelt dahintersteckt. Ob das in einer Kiste mit drei fein gesetzten Schlitzen endet oder in einem hochkomplexen Gefüge, ist im Prinzip egal. Das Einzige, womit ich subjektiv Probleme habe, sind Blobs im aktuellen Sinne. Meiner Meinung nach ergeben sie meistens entsetzliche Gebäude. Da muss jemand schon sehr fundiert argumentieren, formal sehr stringent sein, um mich zu überzeugen.

Das Interview führte Achim Geissinger am 11. September 2006 in Wien.

db, Fr., 2006.11.03



verknüpfte Akteure
RLP Rüdiger Lainer + Partner



verknüpfte Zeitschriften
db 2006|11 Ornament

05. August 2006Achim Geissinger
db

Glasklare Sache

Die Liegenschaft des kontinuierlich wachsenden Glasereibetriebs wurde innerhalb der letzten dreißig Jahre bereits elfmal erweitert und umgebaut. Mit ihrem gestalterischem Anspruch behaupten sich die Bauten gegenüber den zum Teil sehr viel größeren Nachbarn und tragen zugleich die Kompetenz des Unternehmens in den öffentlichen Raum.

Die Liegenschaft des kontinuierlich wachsenden Glasereibetriebs wurde innerhalb der letzten dreißig Jahre bereits elfmal erweitert und umgebaut. Mit ihrem gestalterischem Anspruch behaupten sich die Bauten gegenüber den zum Teil sehr viel größeren Nachbarn und tragen zugleich die Kompetenz des Unternehmens in den öffentlichen Raum.

Ein wenig wirkt die Situation wie der ungleiche Kampf von David gegen Goliath: Eingezwängt zwischen ausgedehnten Fabrikbauten eines Beschlägeherstellers und dem zwar eleganten, aber quasi in erster Reihe stehenden und damit unübersehbaren Werkkomplex mitsamt Outlet-Center eines Strumpf- und Trikotagen-Konzerns (2002, Architekten fab02 [klas + läßer], Lustenau) nehmen sich die Werksbauten von Glas Marte vergleichsweise bescheiden aus.

Tatsächlich begreift sich der Handwerksbetrieb als mittelständisches Unternehmen und tut sich mit der Rolle des Global Players etwas schwer, obwohl er mit den Produktentwicklungen, die im eigenen Hause und in Kooperationen erarbeitet werden, durchaus in der Oberliga spielt.

Einengung und Chance

Das kleine Grundstück in Bahnhofsnähe, auf dem die Glaserei 1930 gegründet wurde, wird zwar noch genutzt, wurde aber in den siebziger Jahren zu klein. So entstand im Industriegebiet am westlichen Stadtrand zwischen Bregenzer Ache und See ein Isolierglaswerk, das im Lauf der Jahre elf Erweiterungen erlebte. Dazu gehört zum Beispiel eine Zuschneidehalle, die Hermann Kaufmann 1994 im rückwärtigen Bereich erstellte.

Die ursprüngliche Kleinteiligkeit um Höfe herum gruppierter Einzelgebäude wurde 2000 zu Gunsten einer vollflächigen Bebauung aufgegeben. Schließlich ist bebaubarer Grund in Vorarlberg knapp und somit teuer. So führte der Zwang, das Areal effizient ausnutzen zu müssen, zum Beispiel auch zur großflächigen Unterkellerung, was sich im Grundwasserschutzgebiet als nicht ganz triviale Aufgabe erwies.

Die vorerst größte Veränderung nahm 2002 mit der Aufstockung eines Bestandsgebäudes von 1974 ihren Anfang. Der ehedem in Bürotrakt und Halle unterteilte Massivbau direkt an der Straße hatte bereits eine Umgestaltung erfahren, bei der in die Halle ein Bürogeschoss eingehängt worden war. Elmar Ludescher setzte eine Stahlkonstruktion oben auf und fügte in diesem zweiten Obergeschoss im rechten Winkel eine weitere Bürospange ein. Er verband dadurch zwei vormals getrennt voneinander liegende Verwaltungseinheiten und erschloss somit auch die Tiefe des Grundstücks.

Beim Umgang mit der Außenansicht galt es zunächst, ein einheitliches Erscheinungsbild der unterschiedlichen Ausbaustufen zu erzeugen, ohne in die nach wie vor funktionstüchtige Substanz einzugreifen. Mit einer zweiten, vorgehängten Fassadenschicht in den Obergeschossen und etwas Farbe wurde viel erreicht - dass der Bau nicht aus einem Guss ist, fällt erst bei genauerer Betrachtung auf. Wurde das Erdgeschoss mit den Ausstellungsräumen weitgehend so belassen, wie es war, bekamen die Bürogeschosse darüber je eine Reihe beweglicher Ganzglaslamellen vorgesetzt. Deren Konstruktion wurde im Hause selbst entwickelt und zielt darauf ab, die Kosten für Wartung, Pflege und Instandhaltung der Anlage auf ein Minimum zu reduzieren. Die Außenseite der Lamellen wirkt durch ihre Titandioxid-Beschichtung wie ein Katalysator: Unter UV-Strahlung wird an der Oberfläche aktiver Sauerstoff freigesetzt, der organische Verschmutzungen anlöst oder gar ganz zersetzt. Ablaufendes Regenwasser verformt sich nicht zu Tröpfchen, sondern bildet einen dünnen Film, der den gelösten Schmutz unterwandert und wegspült.

Die zentral gesteuerten Lamellen werden automatisch der Sonne nachgeführt und fangen bis zu zwanzig Prozent der Sonnenenergie ab. Sie bilden den mechanischen Schutz leicht transparenter Screens, die sich ebenso wie die Lamellen auch individuell von den Rauminsassen steuern lassen - es sei denn, die Außentemperatur fällt unter 3° C; dann bleibt die Fassade zu. Die Lamellen schließen oben, unten und untereinander nicht ganz bündig ab und erlauben so auch in geschlossenem Zustand die Raumlüftung über Schiebefenster in der inneren Fassadenebene. Zudem fangen sie die Windlast ab und ermöglichen damit, dass die großflächigen, selbsttragenden Innenverglasungen mit wenigen, kaum sichtbaren Konstruktionsteilen auskommen.

Im Innern der neuen Büroetage ist die Offenheit der Fassade über die gesamte Raumhöhe erlebbar. Regalborde vor den Glaselementen dienen als Ablageflächen und machen gesonderte Absturzsicherungen unnötig. Die gesamte Innenraumgestaltung wurde sehr diszipliniert ausgeführt und wirkt dennoch nicht aseptisch. Glastrennwände sind rahmenlos in die grauen Filzböden gesenkt, weiße Wandscheiben von etwa einem Meter Breite rhythmisieren die Zimmerfluchten, das Grün von Gläsern und Pflanzen spiegelt sich im Metall von Profilen und Handläufen wider. Wo der Architekt gerne kompromisslose Betontreppen in die Stiegenhäuser eingestellt hätte, nutzte der Bauherr eine weitere Gelegenheit, seine Kompetenzen vor Augen zu führen, und verwendete mit weißen Punkten bedruckte Glastritte.

Vorerst zum Abschluss kamen die Erweiterungen und Umbauten im Sommer 2004, als die etwa 140 Meter lange, mit 5100 Quadratmetern größte Halle des Areals in Betrieb genommen wurde. Dort können seither Isolierglaselemente mit dem Maximalmaß von 3,2 auf 7,2 Meter hergestellt werden. Eines dieser Elemente dient in der Straßenfassade als Schaufenster, durch das ein kleiner Einblick in die Halle und in die Produktpalette des Unternehmens gewährt wird.

Liegende Fensterformate verleihen der Fassade einen ruhigen Charakter und unterstreichen die Länge der Halle. Im Innern ist alles, was dem Prinzip Tragen und Lasten entspricht und sich mit Schwere assoziieren lässt - die Stahlkonstruktion - in Schwarz gehalten, die leichteren Holzsheds im Dach als Lichtquelle in Weiß.

Als letzte Flächenreserve dehnt sich vor der neuen Halle der Parkplatz aus. Erweiterungsmöglichkeiten sind tatsächlich vorgesehen, stehen momentan aber nicht an. Sollten diese in ferner Zukunft ausgereizt sein, bleibt nur noch die Höhe - eine weitere Herausforderung für den Architekten. Aber Elmar Ludescher wird dafür sorgen, dass auch dann aus dem feingliedrigen David kein grobschlächtiger Goliath wird.

db, Sa., 2006.08.05



verknüpfte Bauwerke
Büroerweiterung und Produktionshalle



verknüpfte Zeitschriften
db 2006|08 Gewerbe ausbauen

09. Juni 2006Achim Geissinger
db

Umweltbundesamt Dessau

So viel Heiterkeit war selten in deutschen Amtsstuben. Licht, Luft, frei schwingende Formen und vielerlei Farben prägen das auffällige Gebäude im so genannten...

So viel Heiterkeit war selten in deutschen Amtsstuben. Licht, Luft, frei schwingende Formen und vielerlei Farben prägen das auffällige Gebäude im so genannten...

So viel Heiterkeit war selten in deutschen Amtsstuben. Licht, Luft, frei schwingende Formen und vielerlei Farben prägen das auffällige Gebäude im so genannten Gasviertel. Der Bau entstand auf einer ehedem stark kontaminierten Industriefläche in unmittelbarer Nähe zu Stadtmitte und Bahnhof und wirkt schon vom Zug aus wie ein freundlicher Fingerzeig, der bessere Zeiten für die vom Strukturwandel stark gebeutelte Stadt heraufbeschwört.

Mit dem Umzug der Behörde von Berlin nach Dessau Mitte 2005 war eine ganze Reihe von Erwartungen verknüpft, vor allem erhoffte man sich neue Impulse für die Stadtentwicklung. Ob sie eingelöst werden, lässt sich noch nicht abschätzen. Fest steht jedoch, dass trotz eines umfassenden Katalogs von einschränkenden Anforderungen und angesichts einer Vielzahl unterschiedlicher Behörden, die alle bei der Planung mit zu entscheiden hatten, ein gestalterisch anspruchsvolles und räumlich überzeugendes Gebäudeensemble entstanden ist.

Von Anfang an wurde das neue Domizil des Umweltbundesamtes als eine Art Prototyp des vorbildlichen Verwaltungsbaus und – dem Nutzer entsprechend – als Aushängeschild ökologisch orientierten Bauens konzipiert. Bereits zum Wettbewerb war für die Entwicklung eines umfassenden Energiekonzepts die enge Zusammenarbeit mit den Gebäudetechnikern gefragt. Das Konzept wurde während der konkreten Planungen mehrfach optimiert, weiterentwickelt und, wo dem Einsatz ausgefeilter Techniken zu hohe Investitionskosten entgegenstanden, auf Low-tech-Lösungen zurückgefahren. Im Ergebnis zeigt der Bau nun eine Zusammenstellung verschiedener Komponenten, zuvorderst die durch die kompakte Gebäudeform minimierte, hoch gedämmte Gebäudehülle – eine mit Zelluloseflocken ausgefüllte Holzkonstruktion mit hoher Luftdichtigkeit. Das lang gestreckte Atrium dient zugleich als thermische Pufferzone und als Konvektionskamin für die natürliche Lüftung. Zur Nachtauskühlung wird die Öffnung von Lüftungsklappen in den Büros zentral gesteuert und die Luft durch natürliche Konvektion über das Atrium abgeführt. Dessen Glasdach wird teils mit einem beweglichen textilen Sonnenschutz, teils durch feste Fotovoltaik-Elemente verschattet. Solarkollektoren sollen den Anteil erneuerbarer Energien am Gesamtenergiebedarf auf 15 bis 20 Prozent anheben.

Heizbedarfsspitzen werden über den Anschluss an das Fernwärmenetz abgefangen. Die Zuluft für die Büros wird im Kanal der Erdwärmetauschanlage – mit fünf Kilometern Länge eine der größten weltweit – vortemperiert. Der Flächenanteil der dreifach verglasten Fenster mit Öffnungsbeschränkung beträgt bei den Außenwänden 35 und bei den Innenwänden 60 Prozent. Der Tageslichtausnutzung kommen die geringe Gebäudetiefe und die halboffen gestalteten Flurwände zugute. Bei herabgelassenen Sonnenschutzjalousien muss kein Kunstlicht zugeschaltet werden; die Lamellen lenken einen Teil des Sonnenlichts an die hellen Zimmerdecken.

Zum ökologischen Gesamtkonzept gehört auch die Auswahl möglichst unbedenklicher Baustoffe: Für die Böden wurde Naturkautschuk verwendet, Blechverwahrungen im Dach mit verzinntem Kupfer ausgeführt und die Fassade mit unbehandeltem Lärchenholz verkleidet. Dem Wunsch des Bauherrn nach größtmöglicher Offenheit entsprechen die öffentlich zugänglichen Bereiche rund um das verglaste Foyer und die am Gebäude entlang führende Parkanlage. Der an das verwinkelte Grundstück angepasste geschwungene Grundriss schafft trotz der banalen Aneinanderreihung stark normierter Zellenbüros und minimierter Flurflächen im Innen- wie auch im Außenraum eine Abfolge heiterer Räume und lässt an keiner Stelle Assoziationen an den Ehrfurcht gebietenden Verwaltungsbau vergangener Tage aufkommen.

db, Fr., 2006.06.09



verknüpfte Bauwerke
Umweltbundesamt



verknüpfte Zeitschriften
db 2006|06 Balthasar-Neumann-Preis

Profil

1971 bei Stuttgart geboren. Architekturstudium in Stuttgart. Mitarbeit in verschiedenen Architekturbüros. Nach Erfahrungen in Fernsehen und Theater freie Mitarbeit in der db-Redaktion. Ab 1998 Online-Redakteur, 2004-2021 Redakteur der db deutsche bauzeitung. Seit 2021 im Bereich PR tätig und als freier Architekturjournalist.

Mitgliedschaften

Mitgliedschaften
architekturbild e.v.

7 | 6 | 5 | 4 | 3 | 2 | 1