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15. November 2013Katja Hasche
TEC21

Platte mit Nischen

Um einer Restfläche an attraktivster Luzerner Hanglage Bauland für vier Stadtvillen abzutrotzen, wurde die Fläche zweier bebauter Grundstücke um je die Hälfte gekappt, sodass insgesamt sechs Parzellen entstanden. Zur höheren Mathematik der Parzellierung gesellte sich die Kalkulation mit der auf 3.60 m limitierten Höhe der Baukörper. Architekt Daniel Lischer grub die vier zwischen dem Hotel Palace am See und dem Hotel Montana gelegenen Villen daher so in den Hang, dass sie das Terrain mit nur einem Geschoss überragen.

Um einer Restfläche an attraktivster Luzerner Hanglage Bauland für vier Stadtvillen abzutrotzen, wurde die Fläche zweier bebauter Grundstücke um je die Hälfte gekappt, sodass insgesamt sechs Parzellen entstanden. Zur höheren Mathematik der Parzellierung gesellte sich die Kalkulation mit der auf 3.60 m limitierten Höhe der Baukörper. Architekt Daniel Lischer grub die vier zwischen dem Hotel Palace am See und dem Hotel Montana gelegenen Villen daher so in den Hang, dass sie das Terrain mit nur einem Geschoss überragen.

Das Grundstück befindet sich an zentraler Lage in Luzern, im sogenannten Haldengebiet, einem grossbürgerlichen Villenquartier am rechten Seeufer. Das Gebiet zwischen Vierwaldstättersee und Hitzlisbergstrasse, in dem auch die Adligenswilerstrasse liegt, gilt als «Aussichtstribüne» Luzerns.1 Die Südhanglage ist durch den Blick auf See und Alpen privilegiert. Anfang des 20. Jahrhunderts etablierten sich hier Pensionen, Sanatorien und Hotels. So grenzt das Grundstück der Stadtvillen direkt an das 1908–1910 von den Architekten Möri & Krebs erstellte Jugendstilhotel Montana (Abb. 02). 2009 erhielten Lischer Partner Architekten den Auftrag, die benachbarte spätklassizistische Villa an der Adligenswilerstrasse 18 zu sanieren. Im Lauf des Projekts entstand bei den Bauherren der Wunsch, ein Bebauungsprojekt für die brachliegende Freifläche des eigenen sowie des benachbarten Grundstücks zu erstellen.

Die Bedingungen waren indes alles andere als komfortabel: In den zugehörigen Grunddienstbarkeiten gab es die Auflage, dass auf dem Grundstück nicht höher als 3.60 m gebaut werden darf. Mit solchen privatrechtlichen und schwer angreifbaren Mitteln schützen Eigentümer von Liegenschaften am Hang ihren Blick auf See und Berge. Ausserdem mussten sich die Architekten mit einem Gefälle von 20 % arrangieren.

Sie schlugen daher eine Bebauung mit vier in den Hang geschobenen Stadtvillen vor und strebten eine Einheit von Garten und Bauten an. Die Gebäude platzierten sie wie Findlinge in den Garten. Verstreut liegen die vier Villen auf dem Gelände. Die im Innern zweigeschossigen Bauten ragen gerade einmal eingeschossig aus der Erde. Die Dachlinie verläuft parallel zum Hang. Was städtebaulich nach einer unauffälligen Lösung klingt, bedurfte eines massiven Eingriffs in das Erdreich. Heute ist jedoch von der Adligenswilerstrasse aus nur das Eingangstor sichtbar. Von hier führt kaskadenartig eine steile Treppe zwischen den bestehenden Bauten hindurch zu den vier Neubauten hinunter, gabelt sich und erschliesst diese jeweils paarweise. Die beiden unteren Häuser sind nach der Haldenstrasse ausgerichtet, die beiden oberen liegen parallel zur Adligenswilerstrasse. Durch die abwechselnde Setzung in Höhe und Winkel entstehen unterschiedliche Zwischenräume und Sichtachsen, und trotz der Nähe bilden sich Rückzugsnischen.

Die Landschaftsgestaltung ist ruhig und unauffällig. Das Wegenetz inklusive Treppen besteht aus grossformatigen Betonelementen. Die Bepflanzung mit Bodendeckern bildet einen ruhigen Rahmen für die Architektur, höhere Büsche setzen einzelne Akzente. Die privaten Gärten sind als offene Wiesen gestaltet und wegen ihrer bescheidenen Grösse und starken Steigung eher Abstandsgrün als Nutzflächen.

Die Stärke des Projekts liegt im handwerklichen Detail. Die Architekten formten ihre Neubauten zu klaren Baukörpern. Um eine möglichst massive Wirkung zu erzielen, sind die Fassaden dreiseitig geschlossen. So bleibt man auch vor Blicken der angrenzenden Nachbarn geschützt. Statt Fenstern sind Oberlichter, Terrassen und Loggien eingeschnitten. Als Material wählten die Architekten gelben Jurakalk, der mit seiner Oberflächenstruktur den Gebäuden einen steinernen Ausdruck verleiht. Allseitig sind die Gebäude mit diesem Stein verkleidet. Die Wände bestehen aus massivem Mauerwerk, Dächer und Loggien sind mit Platten aus dem gleichen Material ausgeführt. An den Ecken zeigen speziell geformte, von unten nach oben leicht angeschrägte Steine die präzise Massarbeit. Den Architekten war wichtig, den umliegenden klassizistischen Villen ein handwerklich hochwertiges Gegenüber zu bieten.

Da die Villen nicht parallel zum Hang stehen, sondern wie früher die Bauernhäuser mit der Schmalseite zum See weisen, mussten die gewünschten Quadratmeter durch eine Grundrisstiefe von 18 m erzielt werden. Das erforderte eine durchdachte Raumaufteilung und Kreativität, um das Licht ins Innere zu führen. Die Architekten erreichten dies, indem sie die Räume mittels Schiebe- und Drehelementen durchlässig gestalteten. Heute sind die Gebäude zu zwei Dritteln natürlich belichtet. Als Lichtquellen dienen die grossflächigen Verglasungen auf der Südfassade, die Loggia und die Oberlichter. Die Sicht auf den See ist durch die relativ geringe Höhe der Gebäude gemindert, aber ausschnitthaft immer wieder präsent.

Drehelemente verbinden Räume und schaffen Blickachsen

Man betritt die Stadtvillen auf der Ebene des Wohngeschosses. Unter dem hohen, gefalteten Dach liegt jeweils ein grosszügiger zweigeschossiger Wohnraum mit offener Küche, der über ein gebäudelanges Oberlicht erhellt wird. Seeseitig schliesst sich eine aus dem Gebäude geschnittene Terrasse an, die durch ihre flächige Steinverkleidung wie eingehauen wirkt. Eine Herausforderung stellte die Belichtung des unteren Geschosses dar. Hier sind die Schlafräume zum Garten hin orientiert. Hangseitig befinden sich die Sanitär- und Nebenräume. Da die Bauten extrem in die Tiefe entwickelt sind, entwarf Daniel Lischer spezielle räumliche Verbindungen, um Licht ins Innere zu holen bzw. Blickachsen nach aussen zu schaffen. So ist das Elternschlafzimmer durch Drehelemente mit dem – ähnlich grossen – Badezimmer verbunden, das wiederum in das rückwärtige Ankleidezimmer übergeht. Auch das Arbeitszimmer befindet sich im hintersten Bereich, profitiert jedoch durch den davor liegenden, nicht abgetrennten Flur von einem Stück Seeblick. Die Farbtöne im Gebäudeinnern sind erdig und verstärken den Charakter des eingegrabenen Hauses. An den Wänden ist ein weisser, teilweise hydrophobierter Schlämmputz aufgebracht.

Die Villen sind ein typisches Beispiel für den aktuellen Wunsch, auf grossflächigen innerstädtischen Grundstücken nachzuverdichten. Ein kompaktes Bauvolumen auf kleinerer Grundfläche war aufgrund der Dienstbarkeiten nicht möglich. Selbstverständlich ist ein Einfamilienhaus in der Stadt mit Seeblick in dieser Lage für die potenziellen Bewohner erstrebenswert. Doch gerade im Sinn einer Nachverdichtung ist eine solch flächenverbrauchende Bauform in der Stadt infrage zu stellen. Die Stadtvillen behindern zwar weder den Seeblick der angrenzenden Nachbargebäude noch treten sie in der Höhe massiv in Erscheinung. Aber sie besetzen einen grossen Teil der Fläche, die als grüne Topografie wichtiger Bestandteil der klassizistischen Villenbebauung am rechten Seeufer ist. Die ehemals zwei grossen Bauparzellen haben jeweils etwa die Hälfte ihrer Grundstücksfläche zugunsten vier neuer Parzellen abgegeben, sodass insgesamt sechs Grundstücke entstanden sind. Umso mehr sind die Stadtvillen als Einzellösung für ein Grundstück mit schwierigen baugesetzlichen Einschränkungen zu betrachten und nicht als städtebauliches Patentrezept.

TEC21, Fr., 2013.11.15



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2013|47 Hoch gestapelt, tief gelegt

03. September 2009Katja Hasche
TEC21

Moderne Moderne

Gespielt und gewetteifert wurde schon immer. Während in der Antike und im Mittelalter Turniere und Wettkämpfe bestritten wurden, brachte die Aufklärung eine Betonung des Gesundheitsaspektes für die gesamte Bevölkerung. Es entstanden Hallen zur Ausübung der Körperertüchtigung, die sich in Grösse und Raumprogramm an den Bedürfnissen des Turnens orientierten. Die Zunahme der englischen Teamsportarten seit Anfang des 20. Jahrhunderts führte zu einer kontinuierlichen Adaptierung der Gebäudetypologie.

Gespielt und gewetteifert wurde schon immer. Während in der Antike und im Mittelalter Turniere und Wettkämpfe bestritten wurden, brachte die Aufklärung eine Betonung des Gesundheitsaspektes für die gesamte Bevölkerung. Es entstanden Hallen zur Ausübung der Körperertüchtigung, die sich in Grösse und Raumprogramm an den Bedürfnissen des Turnens orientierten. Die Zunahme der englischen Teamsportarten seit Anfang des 20. Jahrhunderts führte zu einer kontinuierlichen Adaptierung der Gebäudetypologie.

Das Übereinanderstapeln sportlicher Einrichtungen ist en vogue. Was zeitgemäss scheint, wurde schon in der Klassischen Moderne praktiziert: In Biel steht eine Anlage aus den 1930er-Jahren, in der ein Schwingraum, zwei Turnhallen und eine off ene Gymnastikterrasse übereinandergestapelt sind. Das Beispiel zeigt nicht nur, dass die Gebäudetypologie heutigen Ansprüchen genügt, sondern auch, wie eine energetische Sanierung gestalterisch überzeugend umgesetzt werden kann.

Was als räumliches Konzept spektakulär erscheint, macht vor Ort einen ganz selbstverständlichen Eindruck. Südlich der Bieler Altstadt am Schüsskanal gelegen, fügt sich das Gebäude der Moderne eher zurückhaltend in die dreiteilige Schulanlage Neumarkt ein. Die zwischen der Errichtung der drei Gebäude liegende Zeitspanne von 43 Jahren zeugt von einer rasanten geschichtlichen Entwicklung. Das älteste, im Stil der Neurenaissance gestaltete Schulhaus stammt von 1889 – einer Zeit, als die boomende Uhrenindustrie eine starke Bevölkerungszunahme auslöste. Bereits zehn Jahre später war das Gebäude für die steigenden Schülerzahlen zu klein und erhielt eine Aufstockung. 1913 folgte mit dem benachbarten, im Heimatstil gestalteten Schulhaus Logengasse 4 die nächste Erweiterung. Als letztes Glied zwängte sich 1931 das Turnhallengebäude in die Reihe. Sein bestechendes architektonisches Konzept verdankt das Gebäude dem Stadtarchitekten Otto Schaub, der die Moderne in Biel durch Reglemente wie das Flachdachgebot im Bahnhofquartier stark förderte. Mittlerweile ist das Turnhallengebäude im Bauinventar der Stadt Biel als «schützenswert» verzeichnet. Typisch für die 1930er-Jahre, erscheint das Gebäude als kompakter, geschlossener Kubus. Entsprechend der funktionalen Einfachheit des Neuen Bauens ist die innere Nutzung von aussen klar ablesbar. Im Süden befinden sich die beiden Turnhallen, von denen die untere als Gerätehalle, die obere als Leichtathletikhalle genutzt wurde. Die darüber liegende, mit geschosshohem Maschendraht umzäunte Dachterrasse diente als offener Gymnastikraum, mit Blick auf die Stadt Biel und den Jura.

Seit ihrem Bau war keines der drei Schulgebäude grundlegend saniert worden. Aufgrund der schwierigen finanziellen Lage der Stadt Biel – Mitte des 20. Jahrhunderts stagnierte erst die Uhren-, dann die Maschinenindustrie – fiel auch der Unterhalt der Bauten sparsam aus. Wie stark sich die Bevölkerung im Jahr 2005 für die rund 17 Mio. Fr. teure Gesamtsanierung der Schulanlage Neumarkt einsetzte, bewies das mit 80 % Ja-Stimmen positive Abstimmungsergebnis.

Wertehaltende Eingriffe

Die von den Bieler spaceshop architekten projektierten und begleiteten Sanierungsarbeiten dauerten von Mai 2006 bis Juli 2007. Während der Bau von 1913 nur partielle Eingriffe erfuhr, wurden das Schulhaus von 1889 und das Turnhallengebäude aufwendig saniert. Die Analyse von Letzterem legte erhebliche Schäden offen: Mehrfache Korrektionen der Juragewässer und der torfige Boden hatten zu einer Absenkung der Bodenplatte um 20 cm geführt. Die inneren Fundamente waren desolat, die Wände rissig. Probleme bereitete auch das aufgehende Mauerwerk, das an mehreren Orten feuchte Stellen aufwies. Um weiteren Senkungen vorzubeugen, mussten die nichttragende Bodenplatte und die Zwischenwände des Untergeschosses entfernt werden. Mit einer Vielzahl von Mikropfählungen wurde eine neue Platte eingebracht. Nach der Entfeuchtung des Mauerwerks wurde der Aussenputz stellenweise ausgebessert. Der Ersatz der Fenster bleibt im Nachhinein ein Wermutstropfen, da originale Fenster nicht mehr häufig anzutreffen sind. Nach Aussage der beteiligten Plane rliess sich der Fensterersatz jedoch aufgrund des schlechten Zustandes nicht vermeiden. Immerhin konnten die aufgesetzten Drehbeschläge wieder verwendet werden.

Für die weitere Nutzung des Turnhallengebäudes stellte die Kleinteiligkeit der Innenräume ein Problem dar. Vor allem die beiden Turnhallen genügten mit 12 x 24 m den heutigen Anforderungen nicht mehr. Statt dem Bestehen auf starren Normen war hier Umdenken angesagt. Mit dem Beschluss der Stadt, auf dem benachbarten Gaswerkareal eine neue Dreifachturnhalle zu erstellen, wurde diese Problematik entschärft. Im September 2009 wird die neue, von GXM Architekten aus Zürich erstellte Sportstätte bezogen. Durch das auf diese Weise zusätzlich generierte Raumangebot konnte im alten Turngebäude eine der beiden Hallen als Aula umgenutzt werden. Trotz der ungünstigeren Erschliessungssituation entschieden sich die Planer für die obere Halle: Diese Variante bereitete weniger Trittschallprobleme, bedingte jedoch einen zweiten Fluchtweg. Also fügten die Architekten analog zu dem bestehenden Treppenhaus ein zweites Treppenhaus auf der gegenüberliegenden Gebäudeschmalseite an. Von aussen beinahe etwas zu stark mit dem Altbau verschmolzen, setzt es sich im Innenraum durch subtil gestaltete Details vom Bestand ab.

Bei der Gestaltung der neuen Aula war es den Architekten wichtig, dass diese weiterhin als Turnhalle nutz- und ablesbar bleibt. Dementsprechend elastisch ist der neue Bodenaufbau ausgeführt, und auch die für den Sportbetrieb charakteristische Symbolik wurde in reduzierter Form wieder aufgebracht. Wie bei der unteren Turnhalle, die weiterhin ausschliesslich Sportzwecken dient, wurden auch bei der Aula die ursprünglich markant in Erscheinung tretende Rippenkonstruktionen bündig eingekleidet. Dieser Eingriff trägt den heutigen Sicherheitsbestimmungen der «glatten Wand» Rechnung, beeinträchtigt jedoch den räumlichen Eindruck. Dafür bietet der neue Zwischenraum genügend Platz für Haustechnik- Installationen und Lüftungskanäle. Und auch die Verkleidungselemente haben eine doppelte Funktion: Teilweise perforiert, blasen sie Frischluft in die Halle oder dienen, mit Dämmmaterial hinterlegt, dem Schallschutz. Während die Turnhallen ihre räumliche Struktur und ursprüngliche Farbigkeit bewahrten, erfuhren die anschliessenden Nebenräume wie Garderoben, Turnmaterialraum und Sanitärräume grössere Veränderungen. Zugunsten zusammenhängender Flächen wurde die kleinteilige Raumaufteilung geöffnet sowie die Farbigkeit neu interpretiert – aufbauend auf einer umfassenden Untersuchung durch einen Restaurator zu Beginn der Planungsphase. Vor der Aula befindet sich heute ein Foyer, das bei Anlässen von der einen Stock darüber liegenden Schulküche bewirtschaftet wird. Als zusätzliche Veranstaltungsfläche dient der umgestaltete Attikaaufbau auf dem Dach.

Energiesanierung versus Denkmalpflege

Während die funktionellen Interventionen im Gebäude sichtbar sind, gilt dies für die Massnahmen zur Verbesserung der Energiebilanz glücklicherweise nicht. Im Laufe des Planungsprozesses konnte die Energiebilanz mit Hilfe einer externen Energieberatungsstelle so optimiert werden, dass sowohl das Turnhallengebäude als auch der Bau von 1889 heute den Minergie-Standard für Umbauten erfüllen, inklusive der Sekundäranforderungen an Beleuchtung und Warmwasser.

Einen grossen Schritt in Richtung Minergie bedeutete die Umstellung der Heizung auf erneuerbare Energien. Statt der alten Gas-Öl-Heizung liefert heute eine Pellets-Heizung im Altbau rund 80 % der jährlichen Energie für Heizung und Warmwasser. Die Spitzen werden im Hochwinter über einen zusätzlichen Gaskessel abgedeckt. Auch bei der neuen Lüftung im Turnhallengebäude setzten die beteiligten Partner mit Wärmerückgewinnung auf eine energieeffiziente Lösung. Bei der Isolation des Gebäudes musste man sensible Massnahmen ergreifen, da aus denkmalpflegerischen Gründen eine Aussendämmung nicht zur Debatte stand. Das bislang ungedämmte, massive Mauerwerk der Aussenwände wies eine Stärke von 45 cm auf. Statt das gesamte Gebäude einzupacken, feilschten Architekten und Ingenieure bei der Berechnung um Zentimeterstärken. Neu gedämmt wurden Teile der inneren Südfassade mit 10–20 cm Glasfaserplatten, das Flachdach mit 16 cm XPS (Extrudierter Polystyrolhartschaum) sowie die Dachterrasse mit 14 cm Schaumglas. Die Bodenplatte im Kellergeschoss erhielt eine Dämmung aus 12 cm XPS. Insgesamt konnte so der jährliche Heizenergieverbrauch beider Gebäude um etwa ein Drittel reduziert werden. Das Erreichen des Minergie-Standards für Umbauten wurde frühzeitig von der Bauherrschaft als Zielvorgabe definiert – allerdings immer unter der Prämisse der denkmalpflegerischen Verhältnismässigkeit. Diese Überlegungen hatten konstruktive und gestalterische Konsequenzen.

Dass es nicht immer gelingt, die Wahrung von Altbausubstanz und Energiesanierung so gut unter einen Hut zu bringen, beweisen zahlreiche ehrgeizige Übersanierungen, bei denen Altbauten komplett eingepackt oder durch andere Massnahmen entstellt werden. Der Konflikt zwischen energietechnischen und substanzerhaltenden Anforderungen ist präsent und wird in Zukunft vermehrt Thema sein (vgl. TEC21, 45/2008). Gemäss Rolf Weber von der Kantonalen Denkmalpflege Bern ist ein gutes Ergebnis nur dann möglich, wenn alle beteiligten Partner intensiv nach einer verträglichen Lösung suchen. Die Sanierung des Schulgebäudes Neumarkt sei ein Glücksfall – dank bewusst diskret gewählten Eingriffen habe das Gebäude seine Seele behalten. Diese Seele manifestiert sich auch in dem Kunst-am-Bau-Schriftzug auf dem Hauptgebäude: «Erinnerst Du Dich» steht dort in grossen Lettern – angesprochen sind alle Ehemaligen, für die das Schulhaus ein Träger von Erinnerungen ist.

TEC21, Do., 2009.09.03



verknüpfte Zeitschriften
tec21 2009|36 Hallenzauber

24. September 2007Katja Hasche
TEC21

Das Brückenmuseum

Die Aussersihler Bahnviadukte in Zürich sind mit ihren zahlreichen unterschiedlichen Brückentypen ein eigentliches Brückenmuseum und ein Denkmal erster Güte für die Technikgeschichte wie für die Stadtentwicklung Zürichs. Ihre Zukunft war lange ungewiss. Dank dem Entscheid der SBB für eine neue Durchmesserlinie vom Hauptbahnhof nach Oerlikon können sie erhalten bleiben. Ein Teil bleibt in Betrieb und wurde saniert, ein Teil wird als Fuss- und Radweg umgenutzt.

Die Aussersihler Bahnviadukte in Zürich sind mit ihren zahlreichen unterschiedlichen Brückentypen ein eigentliches Brückenmuseum und ein Denkmal erster Güte für die Technikgeschichte wie für die Stadtentwicklung Zürichs. Ihre Zukunft war lange ungewiss. Dank dem Entscheid der SBB für eine neue Durchmesserlinie vom Hauptbahnhof nach Oerlikon können sie erhalten bleiben. Ein Teil bleibt in Betrieb und wurde saniert, ein Teil wird als Fuss- und Radweg umgenutzt.

Die filigranen Stahlfachwerkbrücken, die sich im Zürcher Industriequartier über die Limmat schwingen, bilden mit den angrenzenden Fabrikgebäuden und der Topografie des Flussraums eine malerische industriehistorische Landschaft. Dass sie Teil einer Viadukt-anlage sind, die den Zürcher Hauptbahnhof mit Wipkingen und dem Tunnel nach Oerlikon verbinden, ist aufgrund der Verstädterung heute von der Strasse aus nur noch schwer ablesbar. Hingegen ist es im Zug als eindrückliche Passage über die Limmat und die Dächer des Industriequartiers erlebbar. Die Anlage umfasst das doppelspurige Wipkinger Viadukt und das niedrigere, einspurige Letten-Viadukt der ehemaligen rechtsufrigen Zürichsee­linie, das heute als Fuss- und Veloweg dient. Zwischen Vorbahnhof und Heinrichstrasse verlaufen die beiden Viadukte parallel, anschliessend führen sie getrennt über die Limmat nach Wipkingen beziehungsweise in den Letten (Bild 14). Die Viaduktanlage wurde grösstenteils zwischen 1889 und 1898 unter der Leitung von Nordostbahn-Chefingenieur Robert Moser (1838–1918) von Tausenden Arbeitern, zwei Drittel davon Italiener, gebaut. Im Zusammenhang mit der Einführung der neuen Seebahn ersetzte sie den Erddamm von 1856, dessen Lage noch am Verlauf der Röntgenstrasse ablesbar ist. Dieser hatte sich mit 12‰ als zu steil erwiesen (Viadukt 9.5‰) und behinderte das Wachstum der Stadt, da er nur im Bereich des Sihlquais Durchgänge aufwies (Bild 2).
Mit 940 bzw. fast 1000 m Länge bildeten die Aussersihler Viadukte über lange Zeit das längste zusammenhängende Brückenbauwerk des SBB-Streckennetzes. Die repräsentativen Ingenieursbauten entstanden damals auf dem unverbauten Sihlfeld. Die hohen Öffnungen sollten eine ungehinderte Entwicklung der Stadt unter dem Brückenwerk hindurch ermöglichen (Bild 4). Wie überall im 19. Jahrhundert veränderte der Eisenbahnbau die Stadt. Im Vorbahnhofsgebiet siedelten sich Fabriken an, die Massengüter verarbeiteten, und in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft entstanden Arbeiterquartiere mit ihrem typi­schen rechtwinkligen Strassenraster und ihrer dichten Blockrandbebauung. Die Aussersihler Viadukte durchschneiden diese Struktur schräg und in geschwungener Linie und schaffen so aussergewöhnliche Stadträume. Gemäss städtebaulichen Vorschriften wurden Wohnblöcke bis zu 7.5 m an die Viadukte herangebaut, Gewerbegebäude teilweise noch näher. Obwohl die Bögen ursprünglich durchgängig bleiben sollten, siedelte sich ­darin schon bald Gewerbe an. 1915 erlaubte ein Bauamtsbeschluss die Vermietung der Brückenbogenräume an Gewerbetreibende.

Drei Abschnitte

Die Aussersihler Viaduktanlage lässt sich in drei bauliche Abschnitte gliedern: Die Bogenbrückenkette in der Konterkurve über den Vorbahnhof stellte mit ihren markanten Parabelfachwerkträgern für viele Reisende eine Landmarke dar. 2004 wurden die Träger durch eine Stahl-Beton-Konstruktion ersetzt. Das S-förmige Kernstück des Viadukts bilden die steinernen Viaduktbögen zwischen Vorbahnhof und Limmat mit ihren 53 Öffnungen mit 103 Gewölben. Während die Bögen aus ästhetischen Gründen gemauert sind, wurden für die Überbrückung der sechs geplanten Quartierstrassen Parallelfachwerkträger mit oben und unten liegender Fahrbahn eingesetzt, zur höheren Sicherheit bei Entgleisungen mit durchgehendem Schotterbett (Bild 5). Den Flussraum der Limmat überspannten schliesslich zwei unterschiedliche Konstruktionen. Die engmaschige Gitterfachwerkträgerbrücke der Wipkinger Linie von 1856 wurde 1898 durch einen Parallelfachwerkträger mit doppelten Streben ersetzt (Bild 8). Die drei in allen Achsen geneigten Fachwerkbogenbrücken der Letten-Linie entstanden 1891–1894 (Bild 11). Eine Besonderheit ist einer der letzten Schwedler-Träger in der Schweiz, der die Letten-Linie über das Sihlquai führt. Bei dieser nach Ingenieur Johann Wilhelm Schwedler benannten Trägerform sind die Streben nur auf Zug belastet. Die ältesten noch vorhandenen Teile des Viadukts sind die Erddämme und die Brückenpfeiler der Wipkinger Linie beidseits der Limmat. Mit Baujahr 1855 gehören sie zu den ältesten Bahnbauten der Schweiz.

Sanierungsgeschichte

Während der über hundertjährigen Nutzung der Viaduktanlage wurden, namentlich zwischen 1931 und 1984, immer wieder Unterhalts- und Sanierungsarbeiten notwendig, vorwiegend an den Gewölben. Die Arbeiten standen im Spannungsfeld zwischen Gewährleis­tung der betrieblichen Sicherheit, Aufrechterhaltung des Fahrbetriebs und – in jüngster Zeit – Erhalt der historischen Bausubstanz. Auf Risse und Wasserdurchlass anfällige ­Mauerstellen wurden saniert und ganze Gewölbebereiche mit neuem Steinmaterial er­neuert – unter anderem 1940 nach einem britischen Bombenangriff. Um das Mauerwerk vor eindringendem Regenwasser zu schützen, wurde 1939–1942 abschnittweise ein Beton­überzug als Abdichtung oberhalb des Gewölbemauerwerks angebracht. 1954 erfolgte im Zug einer Verbreiterung des Sihlquais der Ersatz des reparaturbedürftigen Hausteinviadukts von 1855 durch eine Beton-Plattenbalkenbrücke.
Umfassende Sanierungs- und Ausbaumassnahmen wurden erstmals im Rahmen des Projekts Bahn 2000 geplant. Für den beabsichtigten viergleisigen Ausbau des Bahnabschnitts zwischen Vorbahnhof und Oerlikon schrieb die Kreisdirektion 3 der SBB 1988 einen Total­unternehmer-Wettbewerb aus. 1993 wurde das Wettbewerbsprojekt etappiert. Der geplante neue Tunnel von Wipkingen nach Oerlikon entfiel, das Projekt beschränkte sich auf Ausbau und Sanierung der Anlage vom Vorbahnhof bis Wipkingen. 1997 erhielt das Siegerteam mit der Bauunternehmung Specogna, den Architekten Bétrix & Consolascio und dem Ingenieurbüro Rigendinger den Zuschlag für die Projektausführung. Doch da entstand im Quartier und auf politischer Ebene eine grosse Opposition gegen den vierspurigen Ausbau. Die SBB sahen schliesslich davon ab und planten stattdessen die neue Durchmesserlinie nach Oerlikon, deren Baubeginn für den Herbst 2007 vorgesehen ist. Das damalige Wettbewerbsprojekt wurde auf die Erneuerung der Vorbahnhofbrücken beschränkt; die Sanierung der übrigen Viaduktanlage wurde aus dem Projekt Bahn 2000 ausgegliedert und unabhängig davon durchgeführt.

Die Vorbahnhof-Brücken

Die Erneuerung der Vorbahnhof-Brücken wurde aus betriebstechnischen Gründen notwendig. Um im Rahmen des Projekts Bahn 2000 mehr Züge in kürzerer Zeit in den Bahnhof Zürich einschleusen zu können und getrennte Gleise für Schnellzüge und S-Bahnen zu schaffen, wurde eine neue Brückenanlage geplant. Diese sollte auf der Seite nach Wipkingen zweigleisig, auf der Seite des Hauptbahnhofs viergleisig ausgebildet sein und die Züge mit Hilfe einer komplexen Weichenanlage rasch verteilen. Aufgrund der das Stadtbild prägenden Wirkung der bestehenden Brücken sprach sich die städtische Denkmalpflege zunächst für deren Erhalt aus. Die zwölf Parabelträger aus Stahlfachwerk wurden jedoch bis auf die massiven Hausteinpfeiler abgetragen. Ein kleiner Rest ist heute im so genannten Kohlendreieck (Bild 14) aufgestellt. Die neuen Brückenelemente wurden als Verbundkonstruktion aus Stahl und Beton mit Auflagern auf die bestehenden Pfeiler gelegt. Sie bestehen aus drei konvergierend verlaufenden Stahlkastenträgern mit einem Betontrog, in dem das Schotterbett mit den Gleisen liegt. Die logistischen Herausforderungen an die Baustelle mitten im Gleisfeld des Vorbahnhofs waren gross. Die Bauzeit dauerte von 2000 bis 2004, die Kosten betrugen rund 120 Mio. Franken.
Sanierung des Wipkinger Viadukts
Die übrigen Teile des Wipkinger Viadukts wurde 2003–2006 saniert. Die Viaduktbauten sind im Schweizerischen Inventar der Kulturgüter als Objekte von regionaler Bedeutung bewertet. Im Inventar der kunst- und kulturhistorischen Objekte der Stadt Zürich sind sie als Objekte von kommunaler Bedeutung eingetragen. Neben der städtischen Denkmalpflege war auch die SBB-Fachstelle für Denkmalschutzfragen involviert. Es gab aus denkmalpflegerischer Sicht jedoch keine grundsätzlichen Einwände, da die Sanierung aus bahntechnischen und finanziellen Gründen auf die zwingend notwendigen Massnahmen reduziert wurde. Die Instandsetzung konzentrierte sich auf die Hausteinbereiche und die Stahlbrücken der Wipkinger Linie. Für deren Sanierung wurden sämtliche Gewerbe-Einbauten abgebrochen. Das bestehende Mauerwerk zeigte übliche Alterungserscheinungen wie verwitterte oder poröse Steine, ausgebrochene Fugen und Risse (Bild 9). Die Gewölbe und die unteren Bereiche der Pfeiler bis einen Meter über Terrain bestehen aus Lägern-Kalkstein, die oberen Pfeilerwände sowie die Seitenwände der Gewölbe aus Sandstein. Die Lager der Stahlbrücken sind bei den Widerlagern auf Granitquadern versetzt. Die Natursteinoberflächen wurden gereinigt und abgeklopft und im Fall von Schalenbildung zurückgearbeitet. Beim Ersatz von gänzlich verwitterten Steinen wurde auf die Verwendung adäquater Natursteine geachtet. Bei schadhaften und offenen Fugen musste das bestehende Fugenmaterial entfernt und mit Mauermörtel neu verfugt werden. Starke Risse mit Rissbreiten von mehr als 2 mm wurden mit Spezialmörtel gefüllt, um das Eindringen von Wasser in das Natursteinmauerwerk zu verhindern und die Verwitterung entlang den Rissflanken zu stoppen.
Strukturdynamische Untersuchungen der Empa zeigten, dass Pfeiler, die markante Vertikalrisse in Fugen und Steinen aufwiesen, in ihrem Tragverhalten beeinträchtigt waren. Bei den betroffenen Pfeilern wurde durch die Injektion von Feinstzement eine kraftschlüssige Verbindung zwischen den tragenden Quadern des Aussenmauerwerks und dem Füllmaterial der Kernmauerung hergestellt. Diese Massnahme betraf die acht Endpfeiler der Viaduktsektoren, die als Widerlager der Stahlbrücken über die Strassenöffnungen dienen, und 15 weitere Pfeiler. Zur Sicherung der stark belasteten Auflagerbänke der Stahlbrücken wurden zusätzlich unter jedem festen Brückenlager Zuganker eingebaut (Bild 10). Im Bereich des Schotterbetts stellten lose Randsteine ein Sicherheitsproblem dar. Die Granitblöcke, die ursprünglich durch ihr Eigengewicht hielten, waren im Lauf der Zeit durch das Gewicht der schweren Unterhaltsmaschinen immer weiter nach aussen gedrückt worden. Um sie zu sichern, wurden die Steine mit Armierungen verankert. Die teilweise gelockerten Geländer von 1896 stellten ebenfalls eine Gefahr für die Arbeiter des Gleisunterhalts dar. Die SBB-Fachstelle für Denkmalschutzfragen setzte sich für einen Erhalt der originalen Gusseisenpfosten ein. Bei einem Brückenersatz im Raum Schaffhausen wurden identische Pfosten sichergestellt und beim Wipkinger Viadukt als Ersatz für fehlende Geländerpartien wiederverwendet. Dabei wurden die heutigen Sicherheitsnormen berücksichtigt.

Sanierung der Stahlbrücken

Bei den Stahlbrücken wurden genaue statische Berechnungen und Spannungsmessungen vor Ort durchgeführt, um die zu erwartende Lebensdauer zu ermitteln. Die Sanierung der Limmatbrücke wurde daraufhin auf 30 Jahre ausgelegt, die der kleineren Stahlbrücken auf 20 Jahre. Bei der Limmatbrücke zeigte eine chemische Untersuchung, dass der alte Anstrich durch Schwermetall belastet war. Der bestehende Korrosionsschutz befand sich in einem schlechten Zustand und musste erneuert werden. Ferner wurden die oberen und die unteren Windverbände mit Stahl verstärkt. Um die strengen Vorschriften des Buwal einzuhalten und Emissionen zu vermeiden, musste die Brücke eingehaust werden. Die Arbeiter gelangten durch eine Schleuse in die hermetisch abgedichtete Baustelle. Um einen uneingeschränkten Fahrbetrieb der Züge zu gewährleisten, standen für Arbeiten im Bahnbereich jeweils nur die Nachtzeiten zwischen 1 und 4.30 Uhr zur Verfügung.
Bei den Stahlbrücken über Heinrich- und Limmatstrasse wurden ebenfalls Altlasten gefunden. Auch sie mussten für die Erneuerung des Korrosionsschutzes eingehaust werden. Einzelne Tragelemente der Stahlkonstruktion wurden verstärkt. Wesentlich unkomplizierter verlief die Sanierung der Stahlbrücken über Josefstrasse und Neugasse. Hier befand sich der Korrosionsschutz in akzeptablem Zustand und musste nur örtlich ausgebessert werden. Bei der Brücke über die Neugasse wurden einzelne Tragelemente verstärkt.
Insgesamt betrugen die Kosten für die Sanierung der Hausteinbereiche und Stahlbrücken rund 10 Mio. Franken. Erschwerende Bedingung war, dass die täglich auf dem Viadukt verkehrenden 450 Züge nicht behindert werden durften. Um die Betriebs- und Tragsicherheit des Viadukts für weitere 50 Jahre zu gewährleisten, sind bereits für 2020 weitere Massnahmen vorgesehen. Da der Bahnverkehr zu diesem Zeitpunkt zumindest teilweise auf die neu erstellte Durchmesserlinie umgeleitet werden kann, besteht dann die Möglichkeit, die schadhafte, 1939–1942 eingebaute Abdichtung unterhalb des Schotterbetts zu erneuern. Eine neue Abdichtung soll das anfallende Regenwasser, das bisher in das Mauerwerk sickert und zu Frostbildung und oberflächlichen Steinabplatzungen geführt hat, ableiten. Ob und wann die Stahlbrücken ersetzt werden müssen, ist noch offen. Laut SBB ist die ­Lebensdauer von Brückenbauwerken generell auf 100 Jahre ausgelegt. Wie genügend Beispiele belegen, kann sie jedoch durch Sanierungsmassnahmen und Verstärkungen signifikant verlängert werden.

Die Zukunft im und auf dem Viadukt

Gemeinsam mit SBB Immobilien schrieb die Stadt Zürich einen Wettbewerb für die Neunutzung der Viaduktbögen als Ersatz für die abgebrochenen Einbauten und für eine landschaftlich gestaltete Fortsetzung des Fuss- und Velowegs auf dem Letten-Viadukt aus. Das im Sommer 2004 ausgewählte Wettbewerbsprojekt von EM2N Architekten und Zulauf, Seippel, Schweingruber Landschaftsarchitekten (heute: Schweingruber Zulauf) soll zwischen Frühling 2008 und Ende 2009 realisiert werden (Bild 15). Die Stiftung zur Erhaltung von preisgünstigen Wohn- und Gewerberäumen der Stadt Zürich (PWG) hat die Einbauten in Letten- und Wipkinger Viadukt im Baurecht übernommen. Zwischen Heinrich- und Geroldstrasse entstehen für 32 Mio. Franken rund 38 Laden-, Atelier- und Gewerberäume und im Spickel der beiden Viadukte an der Limmatstrasse Zürichs erste Markthalle.
Das Letten-Viadukt wird seit Eröffnung der S-Bahn 1990 nicht mehr von der Bahn genutzt. Das Trassee entlang des Wasserwerkkanals entwickelte sich zum Eidechsenparadies und dann zum Treffpunkt der offenen Drogenszene. 1995 wurde das Gebiet polizeilich geräumt. Um es rasch mit einer neuen Nutzung zu besetzen, wurde es der Badeanstalt am Ufer gegenüber zugeordnet. Unter Einbezug der Quartierbewohner entwickelten die Landschaftsarchitekten Rotzler Krebs Partner 2002 ein Freiraumkonzept, das den improvisierten Charakter des Gebiets betont und zwei Nutzergruppen gerecht werden soll: Erholungssuchenden und Eidechsen. Der östliche Teil bleibt mit Bahnschotter bedeckt und Pflanzen und Tieren vorbehalten. Für Badegäste stehen anschliessend Liegewiesen und Beachvolleyballfelder zur Verfügung. Lange Sitzstufenanlagen und dicht bepflanzte Bänder aus mehrstämmigen Birken schieben sich aneinander vorbei und erinnern an die Dynamik der ehemaligen Gleisanlagen. Das Trassee beim Bahnhof Letten gestalteten die Landschaftsarchitekten als Fuss- und Fahrradweg und führten ihn auf der Bahnbrücke über die Limmat (Bild 12). Die Brücke war schon 1998 ins Eigentum der Stadt übergegangen, auf den übrigen Teilen des Letten-Viadukts räumten die SBB der Stadt ein Fuss- und Fahrwegrecht ein. 2008/09 soll der Weg gleichzeitig mit den Einbauten quer über das gesamte Industriequartier verlängert werden. Vor einer ungewissen Zukunft steht der alte Bahnhof Letten samt Umschwung. Die Stadt möchte ihn der SBB abkaufen, um das Erholungsgebiet zu sichern, und ein als Bauzone ausgewiesener Bereich reizt zum Verdichten. Konkrete Planungen liegen noch nicht vor. Über den Kauf wird der Gemeinderat voraussichtlich noch dieses Jahr entscheiden.
Alles in allem bilden die Aussersihler Viadukte ein in der Schweiz einzigartiges Denkmal für den Eisenbahnbau, sowohl für die Ingenieurkunst in seinem Dienst als auch für die Stadtentwicklung in seiner Folge. Die Viadukte schaffen einmalige stadträumliche Qualitäten im Zürcher Industriequartier, deren Potenzial heute erkannt ist und durch die neuen Mieter in den Bögen endlich auch genutzt und besser zur Geltung kommen wird.

TEC21, Mo., 2007.09.24



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tec21 2007|39 Bahnarchitektur

18. Dezember 2006Katja Hasche
TEC21

Mehr Campus als City

Die ETH Hönggerberg in Zürich wird zur «Science City» ausgebaut. Mehr Institute, vielfältigere Nutzungen und mehr öffentliches Leben auf dem Campus sind das Ziel. Formal verweist der Ausbau auf die Qualitäten der ersten Bauetappe. Ob er neue Bezüge zwischen der «Aussenstation» und der Stadt schaffen kann, wird sich zeigen müssen.

Die ETH Hönggerberg in Zürich wird zur «Science City» ausgebaut. Mehr Institute, vielfältigere Nutzungen und mehr öffentliches Leben auf dem Campus sind das Ziel. Formal verweist der Ausbau auf die Qualitäten der ersten Bauetappe. Ob er neue Bezüge zwischen der «Aussenstation» und der Stadt schaffen kann, wird sich zeigen müssen.

Der Begriff «Science City» mag zunächst verwirren. Ähnlich wie bei anderen Planungen in jüngerer Vergangenheit wie der «Airport City» in Kloten oder der «Sihl City» in Zürich Enge handelt es sich nicht etwa um ein autarkes Stadtgebilde. Das belegt auch der Zusatz «Stadtquartier für Denkkultur», der als Leitbild für «Science City» definiert wurde. Laut Kees Christiaanse, Professor für Architektur und Städtebau an der ETH Zürich, ist der Begriff «City» vielmehr abstrakt zu verstehen – als physische und virtuelle Vernetzung der ETH mit anderen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen. Die changierende Bedeutung des Begriffs verdeutlicht ein generelles Problem: Obwohl das Projekt «Science City» schon längst begonnen hat, lässt es sich in seinen Ausmassen und Konsequenzen noch nicht greifen.

Dass die ETH Zentrum aus allen Nähten platzte und daher ein zweiter ETH-Standort nötig war, wurde in den 1950er-Jahren deutlich und ist längst nicht mehr bestritten. Bereits kurz nach der Fertigstellung des Haupt­gebäudes von Gottfried Semper 1868 am Zürichberg wurde mit baulichen Erweiterungen begonnen. Um dem schnellen Wachstum der ETH gerecht zu werden, erstellte man in der Nachbarschaft Hochschulgebäude, die eher dem Zufallsprinzip als einem übergeordneten Planungsschema folgten. Die Planung eines kompakten Hochschulcampus war aufgrund der gegebenen Parzellierungen nicht möglich. Als immer weniger Bauland zur Verfügung stand, ging man dazu über, umliegende Wohnungen für Hochschulinstitute umzunutzen. Dass das Hochschulquartier heute trotzdem einigermassen als ablesbares städtebauliches Gefüge erscheint, hängt vor allem mit der Dichte der addierten Solitärbauten zusammen.

Als nach der Mitte des 20. Jahrhunderts die Zahl der Studierenden rasant stieg, zog man neben einer fortschreitenden Zersplittung der Hochschule im Stadtgebiet auch den kompletten Umzug auf die grüne Wiese in Erwägung. Schliesslich wählte man den Kompromiss – die Aufteilung der ETH auf zwei Standorte. Die Planungen für den zweiten Hochschulstandort auf dem Hönggerberg waren dabei durchaus vergleichbar mit denen am ersten Standort im Zentrum. Wie Werner Oechslin in dem Buch «Hochschulstadt Zürich» schreibt, begann der ETH-Standort Hönggerberg «beinahe wie im Zentrum zu Sempers Zeiten: auf beinahe freiem Feld und in Erkenntnis der privilegierten Lage»1. Die Vorgehensweise war jedoch eine andere als damals. Diesmal liess man von vornherein einen Bebauungsplan für das gesamte Areal erstellen und beauftragte damit den ehemaligen Stadtbaumeister Albert Heinrich Steiner. Mit seiner ganzheitlichen Vorstellung von Städtebau entwickelte Steiner bereits in seiner ersten Bebauungsskizze von 1959 eine klassische, städtebaulich hierarchisierte Ordnung mit Erschliessungsachsen, Gebäuden und Plätzen. Die einzelnen Gebäude lagen frei um einen zentralen Platz herum in der parkartigen Landschaft. Während Steiners Bebauungsplan für die ETH (Bild 5) Anerkennung fand, stiess sein kurz darauf entwickelter Vorschlag für eine Wohnbebauung des Hönggerbergs mit Hoch- und Terrassenhäusern auf Ablehnung.

Die erste Ausbauetappe des ETH-Standortes auf dem Hönggerberg wurde nach dem von Albert Heinrich Steiner überarbeiteten Gesamtbebauungsplan realisiert und umfasste Bauten für die Physik, die Molekularbiologie und die Infrastruktur. Ende der 1970er-Jahre war diese Etappe abgeschlossen. Die zweite und die dritte Ausbauetappe folgten nicht mehr dem Bebauungsplan, teilweise korrumpierten sie ihn sogar. Ähnlich wie beim Standort ETH Zentrum wurden die späteren Zubauten unter dem Aspekt der Verdichtung unabhängig von den von Steiner vorgesehenen Achsen und offenen Plätzen erstellt. Steiner wehrte sich gegen die bauliche Verdichtung, als die Architekten Max Ziegler und Erik Lanter mit der Planung für die zweite Ausbauetappe (Abteilungen Architektur und Bauwissenschaften, 1972–76) beauftragt wurden. Sein Einspruch gegen die dritte Ausbauetappe (Abteilungen Chemie und Werkstoffe, Institute für Pharmazie und Mikrobiologie, Dienstleistungsgebäude, 1996–2004) der Architekten Mario Campi & Franco Pessina ging sogar bis vor Bundesgericht. In dem entsprechenden Urteil von 1994 hiess es: «Aus dem Begriff des Urheberrechts folgt kein Anspruch auf architektonische Angleichung oder Unterordnung von Nachbarbauten oder auf Freihaltung der in das ursprüngliche Konzept miteinbezogenen natürlichen Landschaft der Bauwerksumgebung»2. Die Idee von Albert Heinrich Steiners ganzheitlichem Städtebau liess sich nicht einklagen.

Heute sind es die Steiner-Bauten, die auf dem Hönggerberg am besten im Sinn einer «City» funktionieren. Während die Studierenden in den Gebäuden der jüngeren Bauetappen morgens verschwinden und erst abends wieder auftauchen, ermöglichen die verschachtelten Innen- und Aussenräume der Steiner-Bauten vielfältige Kommunikation. Auch Kees Christiaanse, der den Masterplan für «Science City» entwickelte, bezieht sich auf diese städtebaulichen Qualitäten. Mit einem kompakten System von ineinandergreifenden Aussen- und Innenräumen setzte er sich bei der Testplanung im Jahr 2004 gegen seine Konkurrenten Vittorio Magnago Christiaanses Masterplan integriert die bestehenden Gebäude und Aussenräume und verdichtet diese nach innen. Zur freien Landschaft hin wird der kompakte Campus durch einen mehrspurigen Ring abgegrenzt, der parallel unterschiedliche Funktionen wie Anlieferung oder Joggen zulässt. Die parkähnlichen Grünräume schaffen einen Übergang zum Naherholungsgebiet Hönggerberg. Innerhalb des Areals wird auf eine Funktionsdurchmischung Wert gelegt. So sind neben Gebäuden für Lehre und Forschung auch Studentenwohungen, Läden und Restaurants vorgesehen sowie Sporteinrichtungen und ein Kongresszentrum. Öffentliche, halbprivate und private Räume sollen ineinander übergehen und Kontakträume verschiedener Art den Austausch zwischen ETH-Angehörigen und Bewohnern der umliegenden Quartiere ermöglichen.

Damit das städtebauliche System von «Science City» nicht zu einer Ansammlung von Solitären zerfällt, wie im Fall der ETH Zentrum, oder durch spätere Baumassnahmen korrumpiert wird, wie beim Masterplan von Albert Heinrich Steiner, sind verschiedene Massnahmen vorgesehen. Zum einen wird Kees Christiaanse als offizieller Supervisor die verschiedenen Projekte koordinieren. Zum anderen gibt der von ihm erstellte Masterplan bereits verschiedene Regeln an, nach denen die einzelnen Gebiete bebaut werden sollen (vgl. Bild X). So ist die Grundstruktur durch ein zentrales Forum, den quer zur öffentlichen Erschliessungsachse liegenden «Kongressboulevard», vorgegeben. In jedem der entstehenden vier Quadranten befinden sich einzelne Baufelder sowie jeweils ein Quartiersplatz mit beschränkter Bebaubarkeit. Diese städtebauliche Struktur basiert auf einer Entwicklungsstudie, die Andrea Deplazes bereits 2003 erstellt hatte. Für die einzelnen Baufelder innerhalb des Masterplan-«Spielfeldes» definierte Kees Christiaanse verschiedene «Spielregeln». Um genügend Freiraum zu erhalten, dürfen beispielsweise höchstens 60–70 % eines Baufeldes überbaut sein. Vernetzte Wege oder das Zusammenspiel benachbarter Bauvolumen sollen zu einer koordinierten Raumbildung beitragen. Auch für den Abstand der Bebauung zur Baufeldgrenze gibt es Bestimmungen. Während die Gestaltungsprinzipien den Zusammenhang des gesamten Areals stärken sollen, müssen sie gleichzeitig offen bleiben für unvorhersehbare Entwicklungen. Die Gestaltung der Aussenräume erfolgt ebenfalls nach übergeordneten Prinzipien, die parallel zur weiteren Planung erarbeitet werden. Ziel ist eine gewisse Vereinheitlichung – so soll es statt zehn verschiedenen Mülleimerarten wie heute künftig nur noch ein Modell geben. Momentan sind auf dem Hönggerberg testweise Möbel im Einsatz, die man vom Mus­eumsquartier Wien kennt. Für die Planung der Signalisierung ist zusammen mit der Hochschule für Gestaltung ein Wettbewerb vorgesehen.

Auch die einzelnen Gebäude von «Science City» sollen über Wettbewerbe ausgeschrieben werden. 2001 wurde ein erster Wettbewerb für das Information Science Center ausgeschrieben, den das Vorarlberger Architekturbüro Baumschlager & Eberle gewann. Das Gebäude wird auf der Nordwestseite des Areals erstellt und soll Räumlichkeiten für die Grundlagenforschung im Bereich Informationswissenschaft und computergestützte Wissenschaft beinhalten. Das rechteckige, sechsgeschossige Gebäude umfasst einen zentralen Hallenbereich, der eine Funktionsmischung von Begegnungs- und Arbeitsräumen, Seminarzonen und Cafés ermöglicht. Hier sind sowohl interne als auch externe Nutzungen vorstellbar. Die umliegende, nutzungsneutrale Struktur erlaubt eine flexible Aufteilung von Einzel-, Kombi-, Gruppen- und Grossraumbüros. Seit letztem Jahr befindet sich das Information Science Center im Bau, es wird 2007 fertig sein.

Als zweiter Bau wird das Sport Center realisiert. Das Projekt des Bregenzer Architekturbüros Dietrich / Untertrifaller ging aus einem Wettbewerb vom Jahr 2004 hervor. Auch dieses Gebäude enthält eine grosse Haupteingangszone, die sowohl für Aussenstehende als auch für wissenschaftliche Anlässe nutzbar ist. Das Sport Center ist der einzige Bau, der aus dem quadratischen Areal von «Science City» herausfällt. Zum einen liegt dies daran, dass er die schon bestehende Sporthalle an dieser Stelle ersetzt, zum anderen bildet der geschliffene grüne Glaskörper einen fliessenden Übergang zum Landschaftsraum. Auf dem Dach befinden sich eine Bogenschiessanlage und je zwei Tennis- und Beachvolleyball-Plätze. Der Baubeginn wird nächstes Jahr sein, die Einweihung ist für 2009 vorgesehen.

Ab 2008 sollen weitere Teilprojekte umgesetzt werden. Im Oktober gewannen Burckhardt Partner den Wettbewerb für das Life Science Lab (Vgl. S. WW). 2010 sollen die ersten Wohnungen bezogen werden und ein Jahr später die Ziele von «Science City» weitgehend erreicht sein. Um die einzelnen Projekte innerhalb dieser Zeit realisieren zu können, bindet die ETH für die Finanzierung der Gebäude Donatoren und Sponsoren ein. So wird das Information Science Center mit einer Spende über 23 Mio. Fr. von dem Unternehmer Branco Weiss unterstützt und die Zürcher Kantonalbank sponsert das Sport Center mit 12 Mio. Fr. Eine Gefahr für die Unabhängigkeit der Hochschule sieht der Projektleiter für «Science City», Michael Salzmann, dabei nicht. Die Verknüpfung von Wirtschaft und Wissenschaft habe an der ETH eine lange Tradition, ohne negativen Einfluss auf Wissenschaft und Lehre.

Wie sich die Beziehung zwischen «Science City» und Stadtzentrum entwickelt, wird sich erst im Lauf der Zeit zeigen. Der ETH-Standort auf dem Hönggerberg muss von seinem Image als «Aussenstation» wegkommen. Doch wird er kaum als konkurrierendes «City»-Gebilde fungieren, das, ähnlich wie grosse Supermärkte auf der grünen Wiese, Funktionen aus dem Stadtzentrum abzieht. Auch dass sich die Stadt Zürich den Campus der «Science City» genauso einverleibt wie damals das ETH-Hauptgebäude, ist eher unwahrscheinlich. Ein Wachstum der Stadt in Richtung Hönggerberg ist zwar bereits seit den 1960er-Jahren im Gang, von der Bebauungsstruktur und Nutzungsmischung her handelt es sich dabei jedoch um Aussenquartiere. Vielmehr liegt die künftige Herausforderung darin, die Vernetzung zwischen Hönggerberg und Stadtzentrum zu fördern. Aufgrund der weiten Entfernung wird viel von einer guten Verkehrserschliessung und einer den täglichen Bedürfnissen auf dem Campus entsprechenden Nutzungsmischung abhängen. Damit käme man auch dem oft geäusserten Wunsch, «Science City» nicht nach Vorbild eines amerikanischen, sondern eines europäischen Campus zu gestalten, einen Schritt näher.

TEC21, Mo., 2006.12.18



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tec21 2006|51-52 Campus

08. September 2006Katja Hasche
TEC21

Neue Gebäudetechnik im Kunsthaus Zürich

Kunstmuseen müssen heute einen grossen technischen Aufwand leisten, um die internationalen Klima- und Sicherheitsstandards für Leihgaben zu erfüllen. Ist wie im Fall des Kunsthauses Zürich auch das Gebäude schützenswert, müssen bei der Sanierung die Bedürfnisse von Kunst, Gebäude und Publikum sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.

Kunstmuseen müssen heute einen grossen technischen Aufwand leisten, um die internationalen Klima- und Sicherheitsstandards für Leihgaben zu erfüllen. Ist wie im Fall des Kunsthauses Zürich auch das Gebäude schützenswert, müssen bei der Sanierung die Bedürfnisse von Kunst, Gebäude und Publikum sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.

Das Kunsthaus Zürich besteht aus drei Gebäudeteilen: Der Hauptbau von 1910 mit niedrigerem Seitenflügel sowie die erste rückwärtige Erweiterung von 1924 stammen von Karl Moser. Den Anbau mit dem grossen Bührle-Saal für Wechselausstellungen, Restaurant und Vortragssaal bauten 1958 die Gebrüder Pfister; die rückwärtigen Erweiterungsbauten erstellte Erwin Müller 1976.

Um weiterhin Leihgaben zu erhalten und mit international renommierten Kunstmuseen konkurrieren zu können, muss das historische Gebäude die gleichen klimatischen Normwerte erfüllen wie ein Neubau. Während der vier Jahre dauernden Renovation (2001–05) wurde deshalb die Haustechnik vollständig erneuert. Die einzelnen Ausstellungsräume wurden auf den neusten Stand von Klima-, Licht- und Sicherheitstechnik gebracht und denkmalpflegerisch restauriert; strukturell wurde nur wenig verändert. Um den Museumsbetrieb aufrechtzuerhalten, wurden die Arbeiten in Abschnitte unterteilt. Insgesamt verursachten die gebäudetechnischen Massnahmen mit den begleitenden Baumassnahmen rund zwei Drittel der gesamten Renovationskosten von rund 50 Mio. Franken.

Seit Herbst 2005 ist das gesamte Museum wieder der Öffentlichkeit zugänglich. Doch die Optimierung des technischen Betriebs wird erst in diesem Sommer abgeschlossen sein, denn die hochflexible Gebäudetechnik bedingt eine präzise Justierung. Sie muss grosse jahreszeitliche und betriebliche Schwankungen berücksichtigen. Dazu gehören auch Extremsituationen wie die Monet-Ausstellung im letzten Herbst mit bis zu 900 Besuchern im Saal. Doch bereits wenige Monate nach der Sanierung wiesen die gemessenen Temperatur- und Feuchtewerte ein so konstantes Raumklima aus, dass momentan die Optimierung der Energiekosten im Vordergrund steht.
Die Überwachung der technischen Anlagen erfolgt heute während 24 Stunden. Die Gebäudeautomation umfasst die Bereiche Gebäudetechnik, Raumluftklimatisierung, Kunst- und Tageslichtregulierung sowie die Alarmierung von Brand- und Diebstahlschutz. Diese wird bei einem Totalausfall durch ein redundantes Meldesystem ersetzt.

Wenig Platz für die Haustechnik

Die Sanierung der Haustechnik konzentrierte sich aus Kostengründen auf die älteren Gebäudetrakte und sparte den Müller-Bau aus. Das zentrale Anliegen sowohl von Seiten der Denkmalpflege als auch der Gebäudetechniker war, die lüftungstechnischen Anlagen aus den Dachräumen über den Oberlichtern in die Kellerräume zu verlegen. Denn die Installationen verringerten den ursprünglich beabsichtigten Tageslichteinfall in die Ausstellungsräume, und sie waren bei den extremen Temperaturen im Dachbereich von bis zu 70°C schadenanfällig.

Ein grosses Problem stellten die begrenzten Räumlichkeiten des Kunsthauses dar. Laut Arnold Brunner vom Ingenieurbüro Brunner Haustechnik AG, das für die Planung der Gebäudetechnik zuständig war, sollten bei einem Museum normalerweise etwa 30 % des Gebäudevolumens für Gebäudetechnik zur Verfügung stehen. Im Fall des Kunsthauses Zürich waren es jedoch nur 15 %. In den Moser-Bauten wurde nur wenig Platz für die gebäudetechnische Ausstattung vorgesehen. Da-mals wurde über die Fenster oder die in den Oberlichtern integrierten Lüftungsklappen gelüftet. Auch begnügte man sich mit weniger Kunstlicht als heute und passte die Öffnungszeiten an das Tageslicht an. Zwar wurden die obersten Räume der Moser-Bauten später klimatechnisch nachgerüstet, trotzdem wiesen sie vor der Sanierung grosse Temperatur- und Feuchteschwankungen auf. Erst die jüngeren Erweiterungsbauten der Gebrüder Pfister und von Erwin Müller verfügten über ein integriertes Lüftungs- und Beleuchtungssystem.

Die Verlegung der Technikzentralen in die Untergeschosse erforderte aufgrund des begrenzten Raums eine präzise Koordination. Für die Optimierung der Installationen innerhalb der Technikzentralen wurden deshalb sogar 3-D-Planungen erstellt. Heute befindet sich in den Untergeschossen der Moser-Bauten 2 und 3, des Pfister- und des Müller-Baus je eine Lüftungszentrale. Um die darüber liegenden Ausstellungsräume akustisch nicht zu beeinträchtigen, wurden die Lüftungsgeräte und -kanäle mit Schalldämpfern ausgestattet.
Die Aussenluftaufbereitung ist für insgesamt etwa 1250 Personen konzipiert und erfolgt leistungsbezogen: Je mehr Besucher sich im Museum befinden, desto mehr Aussenluft wird der Umluft beigemischt. Zur Energiekostensenkung wird die bei der Aufbereitung entstehende Wärme, ebenso wie die Abluftwärme, in die Wärmerückgewinnung eingespeist und wieder verwendet. Ab einer Aussentemperatur von >5°C fungiert auch die Kältemaschine als Wärmepumpe. Die Wärme- und die Kältezentrale im Untergeschoss des Pfister-Baus sind so ausgerüstet, dass sie im Notfall durch den Anschluss einer mobilen Heiz- bzw. Kältezentrale unterstützt werden können.

Prinzip Quelllüftung

Die Verteilung der gebäudetechnischen Leitungen vom Untergeschoss in die einzelnen Obergeschosse erfolgt über zwei neue Schächte zwischen den Moser-Bauten 1 und 3. Sie wurden als Wandverdickungen ausgebildet und übernehmen gleichzeitig eine statische Funktion für die erhöhten Anforderungen an die Erdbebensicherheit. Die horizontalen Lüftungsinstallationen werden in den meisten Bereichen unter den abgehängten Decken installiert.
Gelüftet wird nach dem Prinzip der Quelllüftung. Dabei strömt die Zuluft im unteren Wandbereich ein, steigt auf und wird über die Staubdecke geführt, wo sie gefasst wird. Die Abluftauslässe befinden sich immer im Deckenbereich; von Raum zu Raum wurden hier individuelle Lösungen gefunden. In den Räumen ohne Brüstungen strömt die Zuluft über offene Schlitze im unteren Wandbereich ein. Durchgangsräume werden mit der überströmenden Zuluft aus den benachbarten Räumen belüftet, was allerdings zu leichten Temperaturunterschieden (maximal 1°C) von Raum zu Raum führen kann.

Neue Klimatechnik und Denkmalpflege

Die Planungen bewegten sich im Spannungsfeld zwischen technischen Anforderungen, denkmalpflegerischen Anliegen und baulichen Vorgaben und Vorschriften. Die denkmalpflegerischen Auflagen waren für die Ausstellungsräume innerhalb der kantonal geschützten Moser- und Pfister-Bauten unterschiedlich. Die höchste Schutzstufe umfasste die zentrale Erschliessung und die T-förmige Raumabfolge im ersten Obergeschoss (Böcklin-Saal, Füssli-Saal und anschliessende Kabinette) sowie den Munch-Saal mit gegenüberliegendem Loggia-Saal in den Moser-Bauten.
Peter Baumgartner, Leiter Bauberatung bei der kantonalen Denkmalpflege und Dozent für historische Haustechnik, legte bei der Renovation auch Wert auf den Erhalt schützenswerter Haustechnikanlagen. In den Ausstellungsräumen wurden die denkmalgeschützten Heizkörpernischen für die Einführung der Zuluft und die Kabelkanäle genutzt. Im Bührle-Saal konnten die denkmalgeschützten Zuluftauslässe als Abluftelemente umgenutzt werden. In den anderen Oberlichtsälen wurden einzelne Glaselemente durch eigens entworfene Lüftungsgitter ersetzt, und die originalen, in den Oberlichtern integrierten mechanischen Lüftungsklappen blieben erhalten. Die bestehende Bodenheizung im Bührle-Saal wurde zum Change-over-System umfunktioniert und kann heute bei publikumsstarken Wechselausstellungen als Bodenkühlung eingesetzt werden.

Beim Abwägen zwischen Denkmalpflege und der Anforderung, überall ähnliche Klimawerte zu erzielen, musste man gewisse Kompromisse eingehen. So wurden saisonal unterschiedliche Grundtemperaturen bei einem langsamen Wechsel toleriert, ausserdem einigte man sich darauf, die geforderten Raumluftqualitäten nur bis zu einer für die Kunstwerke ausschlaggebenden Höhe von etwa 2.50 m einzuhalten. Theoretisch sei heute eine unabhängige Bespielung der Räume möglich, erklärt Sacha Wiesner vom ausführenden Architekturbüro sam Architekten, seiner architektonischen Qualitäten wegen werde aber nach wie vor der Bührle-Saal für Wechselausstellungen genutzt.

Im Eingangsfoyer wurden im Bereich des Cafés das Fussbodenniveau erhöht und eine Fussbodenheizung integriert. Hier strömt die Luft über ebenerdige Gitter entlang der Glasfassade zum Museumshof in das Foyer ein und wird in den Deckenfeldern im Bereich der indirekten Beleuchtung abgesogen. Im Foyer erfolgten die grössten architektonischen Eingriffe. Um den Raum in seiner ganzen Breite zu öffnen, wurden die Garderobe und der Museumsshop in den rückwärtig angrenzenden Moser-Bau 3 verschoben.

Gemischte Beleuchtung

Das Beleuchtungskonzept für die Ausstellungsräume basiert auf einer Kombination von indirektem Tageslicht, indirektem Kunstlicht und direktem Kunstlicht in Form von Spots. Im Moser-Bau waren noch zwei originale Lampen vorhanden. Um in den Oberlichtsälen einen nahtlosen Übergang vom indirekten Tageslicht zum Kunstlicht zu erreichen, wurden oberhalb der Lichtdecken Leuchtstoffröhren angebracht. Die Menge des einfallenden Tageslichts wird durch ein mechanisches Sonnenschutzsystem aus Rollos (Moser Bau 2) und Lamellen (Moser Bau 1 und 3 sowie Pfister-Bau) reguliert. Zwischen der inneren Staubdecke und der äusseren Glashaut wurde eine zusätzliche dampfdichte Isolierglasdecke eingefügt, die eine für die Bilder schädliche UV-Strahlung filtert und gleichzeitig ein Aufsteigen von Feuchte verhindert.

Insgesamt haben die teilweise aufwändigen Planungsprozesse zu einem beeindruckenden Ergebnis geführt. Die Gebäudetechnik wurde so gut integriert, dass man sie bei einem Besuch der Ausstellungsräume kaum wahrnimmt.

TEC21, Fr., 2006.09.08



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tec21 2006|35 transformiert

05. Mai 2006Katja Hasche
TEC21

Neuer Auftritt für das Lochergut

Daran, ob sein Sockel funktioniert, muss sich ein Hochhaus messen lassen. Das Lochergut mit seinen gestaffelten Wohntürmen, 1962–66 von Karl Flatz erbaut, ist ein Wahrzeichen Zürichs. Die Wohnungen waren immer beliebt, doch die Ladenpassage im Erdgeschoss verkam bald wegen städtebaulicher und funktionaler Mängel. Nun haben pool Architekten den Sockel umgebaut.

Daran, ob sein Sockel funktioniert, muss sich ein Hochhaus messen lassen. Das Lochergut mit seinen gestaffelten Wohntürmen, 1962–66 von Karl Flatz erbaut, ist ein Wahrzeichen Zürichs. Die Wohnungen waren immer beliebt, doch die Ladenpassage im Erdgeschoss verkam bald wegen städtebaulicher und funktionaler Mängel. Nun haben pool Architekten den Sockel umgebaut.

Anstatt wie die europäischen Ladenpassagen des 19. Jahrhunderts wichtige Strassenzüge miteinander zu verbinden, bildete die Lochergutpassage eine unbedeutende Parallelachse zur Badenerstrasse. Zusätzliche Verbindungswege wie der rückwärtige Anschluss an die Wohnhäuser und die zentrale Freitreppe zum Restaurant auf der Dachterrasse wurden später gekappt. Funktionale Schwierigkeiten gab es auch bei der Anordnung der Geschäfte: Der grosse, strassenseitig gelegene Coop verdeckte die kleineren Läden im hinteren Teil. Die Lokale waren schwer zu vermieten, die Passage verwahrloste zunehmend.

Um diese Missstände zu beheben und das Quartier aufzuwerten, führte die Stadt Zürich als Hausherrin 2002 einen Studienauftrag durch, den das Zürcher Büro pool Architekten gewann. Das ausgeführte Projekt strukturiert das Ladengeschoss neu; darüber fasst ein neues Bürogeschoss den Komplex entlang der Badenerstrasse unter ein gemeinsames Dach. Von der alten Struktur blieben lediglich die tragenden Stützen und die Geschossdecken erhalten.

Um die Geschäfte für Passanten leichter zugänglich zu machen, wurden die Passage aufgehoben und der Coop und die kleineren Läden in einer funktionalen Rochade vertauscht. So liegen die Einzelgeschäfte heute direkt an der Badenerstrasse und bilden mit ihrer Schaufensterflucht einen trichterförmigen Eingangsbereich für den zurückversetzten Grossverteiler. In dieser Gebäudeeinstülpung befindet sich auch die Treppe zur grossen Dachterrasse, die den Hof der Überbauung bildet und eine Rückzugsmöglichkeit für Anwohner, Büroarbeiter und Passanten bietet. Das Café liegt nun an einer Gebäudeecke im Erdgeschoss. Im Obergeschoss befinden sich nur noch Büros.

An seinen Enden setzt der Neubau sowohl zur Seebahn- als auch zur Sihlfeldstrasse neue städtebauliche Akzente: Damit das Geschäftszentrum von weiter her wahrgenommen wird, wurde es entlang der Badenerstrasse verlängert und umklammert nun die Wohnhausscheiben. An der Kreuzung Badener-/Sihlfeld-/Bertastrasse soll eine offene Platzgestaltung einen neuen Bezug zur baumbestandenen Bertastrasse schaffen. Wenn die Sihlfeldstrasse wie geplant 2008 verkehrsberuhigt wird, könnte diese städtebaulich attraktive Kreuzung zum urbanen Platz werden.
Die Lichtinstallation von Olaf Nicolai auf dem Dach des Sockels ist Kunst am Bau und Ladenschild in einem. Sie besteht aus zehn opaken Kuben, welche in einzelne Elemente unterteilt sind, die verschieden gesteuert werden können und in einer bestimmten Konstellation den Schriftzug «Lochergut» ergeben.

TEC21, Fr., 2006.05.05



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Geschäftszentrum Lochergut



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tec21 2006|19 Kunst als Pflaster

Presseschau 12

15. November 2013Katja Hasche
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Platte mit Nischen

Um einer Restfläche an attraktivster Luzerner Hanglage Bauland für vier Stadtvillen abzutrotzen, wurde die Fläche zweier bebauter Grundstücke um je die Hälfte gekappt, sodass insgesamt sechs Parzellen entstanden. Zur höheren Mathematik der Parzellierung gesellte sich die Kalkulation mit der auf 3.60 m limitierten Höhe der Baukörper. Architekt Daniel Lischer grub die vier zwischen dem Hotel Palace am See und dem Hotel Montana gelegenen Villen daher so in den Hang, dass sie das Terrain mit nur einem Geschoss überragen.

Um einer Restfläche an attraktivster Luzerner Hanglage Bauland für vier Stadtvillen abzutrotzen, wurde die Fläche zweier bebauter Grundstücke um je die Hälfte gekappt, sodass insgesamt sechs Parzellen entstanden. Zur höheren Mathematik der Parzellierung gesellte sich die Kalkulation mit der auf 3.60 m limitierten Höhe der Baukörper. Architekt Daniel Lischer grub die vier zwischen dem Hotel Palace am See und dem Hotel Montana gelegenen Villen daher so in den Hang, dass sie das Terrain mit nur einem Geschoss überragen.

Das Grundstück befindet sich an zentraler Lage in Luzern, im sogenannten Haldengebiet, einem grossbürgerlichen Villenquartier am rechten Seeufer. Das Gebiet zwischen Vierwaldstättersee und Hitzlisbergstrasse, in dem auch die Adligenswilerstrasse liegt, gilt als «Aussichtstribüne» Luzerns.1 Die Südhanglage ist durch den Blick auf See und Alpen privilegiert. Anfang des 20. Jahrhunderts etablierten sich hier Pensionen, Sanatorien und Hotels. So grenzt das Grundstück der Stadtvillen direkt an das 1908–1910 von den Architekten Möri & Krebs erstellte Jugendstilhotel Montana (Abb. 02). 2009 erhielten Lischer Partner Architekten den Auftrag, die benachbarte spätklassizistische Villa an der Adligenswilerstrasse 18 zu sanieren. Im Lauf des Projekts entstand bei den Bauherren der Wunsch, ein Bebauungsprojekt für die brachliegende Freifläche des eigenen sowie des benachbarten Grundstücks zu erstellen.

Die Bedingungen waren indes alles andere als komfortabel: In den zugehörigen Grunddienstbarkeiten gab es die Auflage, dass auf dem Grundstück nicht höher als 3.60 m gebaut werden darf. Mit solchen privatrechtlichen und schwer angreifbaren Mitteln schützen Eigentümer von Liegenschaften am Hang ihren Blick auf See und Berge. Ausserdem mussten sich die Architekten mit einem Gefälle von 20 % arrangieren.

Sie schlugen daher eine Bebauung mit vier in den Hang geschobenen Stadtvillen vor und strebten eine Einheit von Garten und Bauten an. Die Gebäude platzierten sie wie Findlinge in den Garten. Verstreut liegen die vier Villen auf dem Gelände. Die im Innern zweigeschossigen Bauten ragen gerade einmal eingeschossig aus der Erde. Die Dachlinie verläuft parallel zum Hang. Was städtebaulich nach einer unauffälligen Lösung klingt, bedurfte eines massiven Eingriffs in das Erdreich. Heute ist jedoch von der Adligenswilerstrasse aus nur das Eingangstor sichtbar. Von hier führt kaskadenartig eine steile Treppe zwischen den bestehenden Bauten hindurch zu den vier Neubauten hinunter, gabelt sich und erschliesst diese jeweils paarweise. Die beiden unteren Häuser sind nach der Haldenstrasse ausgerichtet, die beiden oberen liegen parallel zur Adligenswilerstrasse. Durch die abwechselnde Setzung in Höhe und Winkel entstehen unterschiedliche Zwischenräume und Sichtachsen, und trotz der Nähe bilden sich Rückzugsnischen.

Die Landschaftsgestaltung ist ruhig und unauffällig. Das Wegenetz inklusive Treppen besteht aus grossformatigen Betonelementen. Die Bepflanzung mit Bodendeckern bildet einen ruhigen Rahmen für die Architektur, höhere Büsche setzen einzelne Akzente. Die privaten Gärten sind als offene Wiesen gestaltet und wegen ihrer bescheidenen Grösse und starken Steigung eher Abstandsgrün als Nutzflächen.

Die Stärke des Projekts liegt im handwerklichen Detail. Die Architekten formten ihre Neubauten zu klaren Baukörpern. Um eine möglichst massive Wirkung zu erzielen, sind die Fassaden dreiseitig geschlossen. So bleibt man auch vor Blicken der angrenzenden Nachbarn geschützt. Statt Fenstern sind Oberlichter, Terrassen und Loggien eingeschnitten. Als Material wählten die Architekten gelben Jurakalk, der mit seiner Oberflächenstruktur den Gebäuden einen steinernen Ausdruck verleiht. Allseitig sind die Gebäude mit diesem Stein verkleidet. Die Wände bestehen aus massivem Mauerwerk, Dächer und Loggien sind mit Platten aus dem gleichen Material ausgeführt. An den Ecken zeigen speziell geformte, von unten nach oben leicht angeschrägte Steine die präzise Massarbeit. Den Architekten war wichtig, den umliegenden klassizistischen Villen ein handwerklich hochwertiges Gegenüber zu bieten.

Da die Villen nicht parallel zum Hang stehen, sondern wie früher die Bauernhäuser mit der Schmalseite zum See weisen, mussten die gewünschten Quadratmeter durch eine Grundrisstiefe von 18 m erzielt werden. Das erforderte eine durchdachte Raumaufteilung und Kreativität, um das Licht ins Innere zu führen. Die Architekten erreichten dies, indem sie die Räume mittels Schiebe- und Drehelementen durchlässig gestalteten. Heute sind die Gebäude zu zwei Dritteln natürlich belichtet. Als Lichtquellen dienen die grossflächigen Verglasungen auf der Südfassade, die Loggia und die Oberlichter. Die Sicht auf den See ist durch die relativ geringe Höhe der Gebäude gemindert, aber ausschnitthaft immer wieder präsent.

Drehelemente verbinden Räume und schaffen Blickachsen

Man betritt die Stadtvillen auf der Ebene des Wohngeschosses. Unter dem hohen, gefalteten Dach liegt jeweils ein grosszügiger zweigeschossiger Wohnraum mit offener Küche, der über ein gebäudelanges Oberlicht erhellt wird. Seeseitig schliesst sich eine aus dem Gebäude geschnittene Terrasse an, die durch ihre flächige Steinverkleidung wie eingehauen wirkt. Eine Herausforderung stellte die Belichtung des unteren Geschosses dar. Hier sind die Schlafräume zum Garten hin orientiert. Hangseitig befinden sich die Sanitär- und Nebenräume. Da die Bauten extrem in die Tiefe entwickelt sind, entwarf Daniel Lischer spezielle räumliche Verbindungen, um Licht ins Innere zu holen bzw. Blickachsen nach aussen zu schaffen. So ist das Elternschlafzimmer durch Drehelemente mit dem – ähnlich grossen – Badezimmer verbunden, das wiederum in das rückwärtige Ankleidezimmer übergeht. Auch das Arbeitszimmer befindet sich im hintersten Bereich, profitiert jedoch durch den davor liegenden, nicht abgetrennten Flur von einem Stück Seeblick. Die Farbtöne im Gebäudeinnern sind erdig und verstärken den Charakter des eingegrabenen Hauses. An den Wänden ist ein weisser, teilweise hydrophobierter Schlämmputz aufgebracht.

Die Villen sind ein typisches Beispiel für den aktuellen Wunsch, auf grossflächigen innerstädtischen Grundstücken nachzuverdichten. Ein kompaktes Bauvolumen auf kleinerer Grundfläche war aufgrund der Dienstbarkeiten nicht möglich. Selbstverständlich ist ein Einfamilienhaus in der Stadt mit Seeblick in dieser Lage für die potenziellen Bewohner erstrebenswert. Doch gerade im Sinn einer Nachverdichtung ist eine solch flächenverbrauchende Bauform in der Stadt infrage zu stellen. Die Stadtvillen behindern zwar weder den Seeblick der angrenzenden Nachbargebäude noch treten sie in der Höhe massiv in Erscheinung. Aber sie besetzen einen grossen Teil der Fläche, die als grüne Topografie wichtiger Bestandteil der klassizistischen Villenbebauung am rechten Seeufer ist. Die ehemals zwei grossen Bauparzellen haben jeweils etwa die Hälfte ihrer Grundstücksfläche zugunsten vier neuer Parzellen abgegeben, sodass insgesamt sechs Grundstücke entstanden sind. Umso mehr sind die Stadtvillen als Einzellösung für ein Grundstück mit schwierigen baugesetzlichen Einschränkungen zu betrachten und nicht als städtebauliches Patentrezept.

TEC21, Fr., 2013.11.15



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TEC21 2013|47 Hoch gestapelt, tief gelegt

03. September 2009Katja Hasche
TEC21

Moderne Moderne

Gespielt und gewetteifert wurde schon immer. Während in der Antike und im Mittelalter Turniere und Wettkämpfe bestritten wurden, brachte die Aufklärung eine Betonung des Gesundheitsaspektes für die gesamte Bevölkerung. Es entstanden Hallen zur Ausübung der Körperertüchtigung, die sich in Grösse und Raumprogramm an den Bedürfnissen des Turnens orientierten. Die Zunahme der englischen Teamsportarten seit Anfang des 20. Jahrhunderts führte zu einer kontinuierlichen Adaptierung der Gebäudetypologie.

Gespielt und gewetteifert wurde schon immer. Während in der Antike und im Mittelalter Turniere und Wettkämpfe bestritten wurden, brachte die Aufklärung eine Betonung des Gesundheitsaspektes für die gesamte Bevölkerung. Es entstanden Hallen zur Ausübung der Körperertüchtigung, die sich in Grösse und Raumprogramm an den Bedürfnissen des Turnens orientierten. Die Zunahme der englischen Teamsportarten seit Anfang des 20. Jahrhunderts führte zu einer kontinuierlichen Adaptierung der Gebäudetypologie.

Das Übereinanderstapeln sportlicher Einrichtungen ist en vogue. Was zeitgemäss scheint, wurde schon in der Klassischen Moderne praktiziert: In Biel steht eine Anlage aus den 1930er-Jahren, in der ein Schwingraum, zwei Turnhallen und eine off ene Gymnastikterrasse übereinandergestapelt sind. Das Beispiel zeigt nicht nur, dass die Gebäudetypologie heutigen Ansprüchen genügt, sondern auch, wie eine energetische Sanierung gestalterisch überzeugend umgesetzt werden kann.

Was als räumliches Konzept spektakulär erscheint, macht vor Ort einen ganz selbstverständlichen Eindruck. Südlich der Bieler Altstadt am Schüsskanal gelegen, fügt sich das Gebäude der Moderne eher zurückhaltend in die dreiteilige Schulanlage Neumarkt ein. Die zwischen der Errichtung der drei Gebäude liegende Zeitspanne von 43 Jahren zeugt von einer rasanten geschichtlichen Entwicklung. Das älteste, im Stil der Neurenaissance gestaltete Schulhaus stammt von 1889 – einer Zeit, als die boomende Uhrenindustrie eine starke Bevölkerungszunahme auslöste. Bereits zehn Jahre später war das Gebäude für die steigenden Schülerzahlen zu klein und erhielt eine Aufstockung. 1913 folgte mit dem benachbarten, im Heimatstil gestalteten Schulhaus Logengasse 4 die nächste Erweiterung. Als letztes Glied zwängte sich 1931 das Turnhallengebäude in die Reihe. Sein bestechendes architektonisches Konzept verdankt das Gebäude dem Stadtarchitekten Otto Schaub, der die Moderne in Biel durch Reglemente wie das Flachdachgebot im Bahnhofquartier stark förderte. Mittlerweile ist das Turnhallengebäude im Bauinventar der Stadt Biel als «schützenswert» verzeichnet. Typisch für die 1930er-Jahre, erscheint das Gebäude als kompakter, geschlossener Kubus. Entsprechend der funktionalen Einfachheit des Neuen Bauens ist die innere Nutzung von aussen klar ablesbar. Im Süden befinden sich die beiden Turnhallen, von denen die untere als Gerätehalle, die obere als Leichtathletikhalle genutzt wurde. Die darüber liegende, mit geschosshohem Maschendraht umzäunte Dachterrasse diente als offener Gymnastikraum, mit Blick auf die Stadt Biel und den Jura.

Seit ihrem Bau war keines der drei Schulgebäude grundlegend saniert worden. Aufgrund der schwierigen finanziellen Lage der Stadt Biel – Mitte des 20. Jahrhunderts stagnierte erst die Uhren-, dann die Maschinenindustrie – fiel auch der Unterhalt der Bauten sparsam aus. Wie stark sich die Bevölkerung im Jahr 2005 für die rund 17 Mio. Fr. teure Gesamtsanierung der Schulanlage Neumarkt einsetzte, bewies das mit 80 % Ja-Stimmen positive Abstimmungsergebnis.

Wertehaltende Eingriffe

Die von den Bieler spaceshop architekten projektierten und begleiteten Sanierungsarbeiten dauerten von Mai 2006 bis Juli 2007. Während der Bau von 1913 nur partielle Eingriffe erfuhr, wurden das Schulhaus von 1889 und das Turnhallengebäude aufwendig saniert. Die Analyse von Letzterem legte erhebliche Schäden offen: Mehrfache Korrektionen der Juragewässer und der torfige Boden hatten zu einer Absenkung der Bodenplatte um 20 cm geführt. Die inneren Fundamente waren desolat, die Wände rissig. Probleme bereitete auch das aufgehende Mauerwerk, das an mehreren Orten feuchte Stellen aufwies. Um weiteren Senkungen vorzubeugen, mussten die nichttragende Bodenplatte und die Zwischenwände des Untergeschosses entfernt werden. Mit einer Vielzahl von Mikropfählungen wurde eine neue Platte eingebracht. Nach der Entfeuchtung des Mauerwerks wurde der Aussenputz stellenweise ausgebessert. Der Ersatz der Fenster bleibt im Nachhinein ein Wermutstropfen, da originale Fenster nicht mehr häufig anzutreffen sind. Nach Aussage der beteiligten Plane rliess sich der Fensterersatz jedoch aufgrund des schlechten Zustandes nicht vermeiden. Immerhin konnten die aufgesetzten Drehbeschläge wieder verwendet werden.

Für die weitere Nutzung des Turnhallengebäudes stellte die Kleinteiligkeit der Innenräume ein Problem dar. Vor allem die beiden Turnhallen genügten mit 12 x 24 m den heutigen Anforderungen nicht mehr. Statt dem Bestehen auf starren Normen war hier Umdenken angesagt. Mit dem Beschluss der Stadt, auf dem benachbarten Gaswerkareal eine neue Dreifachturnhalle zu erstellen, wurde diese Problematik entschärft. Im September 2009 wird die neue, von GXM Architekten aus Zürich erstellte Sportstätte bezogen. Durch das auf diese Weise zusätzlich generierte Raumangebot konnte im alten Turngebäude eine der beiden Hallen als Aula umgenutzt werden. Trotz der ungünstigeren Erschliessungssituation entschieden sich die Planer für die obere Halle: Diese Variante bereitete weniger Trittschallprobleme, bedingte jedoch einen zweiten Fluchtweg. Also fügten die Architekten analog zu dem bestehenden Treppenhaus ein zweites Treppenhaus auf der gegenüberliegenden Gebäudeschmalseite an. Von aussen beinahe etwas zu stark mit dem Altbau verschmolzen, setzt es sich im Innenraum durch subtil gestaltete Details vom Bestand ab.

Bei der Gestaltung der neuen Aula war es den Architekten wichtig, dass diese weiterhin als Turnhalle nutz- und ablesbar bleibt. Dementsprechend elastisch ist der neue Bodenaufbau ausgeführt, und auch die für den Sportbetrieb charakteristische Symbolik wurde in reduzierter Form wieder aufgebracht. Wie bei der unteren Turnhalle, die weiterhin ausschliesslich Sportzwecken dient, wurden auch bei der Aula die ursprünglich markant in Erscheinung tretende Rippenkonstruktionen bündig eingekleidet. Dieser Eingriff trägt den heutigen Sicherheitsbestimmungen der «glatten Wand» Rechnung, beeinträchtigt jedoch den räumlichen Eindruck. Dafür bietet der neue Zwischenraum genügend Platz für Haustechnik- Installationen und Lüftungskanäle. Und auch die Verkleidungselemente haben eine doppelte Funktion: Teilweise perforiert, blasen sie Frischluft in die Halle oder dienen, mit Dämmmaterial hinterlegt, dem Schallschutz. Während die Turnhallen ihre räumliche Struktur und ursprüngliche Farbigkeit bewahrten, erfuhren die anschliessenden Nebenräume wie Garderoben, Turnmaterialraum und Sanitärräume grössere Veränderungen. Zugunsten zusammenhängender Flächen wurde die kleinteilige Raumaufteilung geöffnet sowie die Farbigkeit neu interpretiert – aufbauend auf einer umfassenden Untersuchung durch einen Restaurator zu Beginn der Planungsphase. Vor der Aula befindet sich heute ein Foyer, das bei Anlässen von der einen Stock darüber liegenden Schulküche bewirtschaftet wird. Als zusätzliche Veranstaltungsfläche dient der umgestaltete Attikaaufbau auf dem Dach.

Energiesanierung versus Denkmalpflege

Während die funktionellen Interventionen im Gebäude sichtbar sind, gilt dies für die Massnahmen zur Verbesserung der Energiebilanz glücklicherweise nicht. Im Laufe des Planungsprozesses konnte die Energiebilanz mit Hilfe einer externen Energieberatungsstelle so optimiert werden, dass sowohl das Turnhallengebäude als auch der Bau von 1889 heute den Minergie-Standard für Umbauten erfüllen, inklusive der Sekundäranforderungen an Beleuchtung und Warmwasser.

Einen grossen Schritt in Richtung Minergie bedeutete die Umstellung der Heizung auf erneuerbare Energien. Statt der alten Gas-Öl-Heizung liefert heute eine Pellets-Heizung im Altbau rund 80 % der jährlichen Energie für Heizung und Warmwasser. Die Spitzen werden im Hochwinter über einen zusätzlichen Gaskessel abgedeckt. Auch bei der neuen Lüftung im Turnhallengebäude setzten die beteiligten Partner mit Wärmerückgewinnung auf eine energieeffiziente Lösung. Bei der Isolation des Gebäudes musste man sensible Massnahmen ergreifen, da aus denkmalpflegerischen Gründen eine Aussendämmung nicht zur Debatte stand. Das bislang ungedämmte, massive Mauerwerk der Aussenwände wies eine Stärke von 45 cm auf. Statt das gesamte Gebäude einzupacken, feilschten Architekten und Ingenieure bei der Berechnung um Zentimeterstärken. Neu gedämmt wurden Teile der inneren Südfassade mit 10–20 cm Glasfaserplatten, das Flachdach mit 16 cm XPS (Extrudierter Polystyrolhartschaum) sowie die Dachterrasse mit 14 cm Schaumglas. Die Bodenplatte im Kellergeschoss erhielt eine Dämmung aus 12 cm XPS. Insgesamt konnte so der jährliche Heizenergieverbrauch beider Gebäude um etwa ein Drittel reduziert werden. Das Erreichen des Minergie-Standards für Umbauten wurde frühzeitig von der Bauherrschaft als Zielvorgabe definiert – allerdings immer unter der Prämisse der denkmalpflegerischen Verhältnismässigkeit. Diese Überlegungen hatten konstruktive und gestalterische Konsequenzen.

Dass es nicht immer gelingt, die Wahrung von Altbausubstanz und Energiesanierung so gut unter einen Hut zu bringen, beweisen zahlreiche ehrgeizige Übersanierungen, bei denen Altbauten komplett eingepackt oder durch andere Massnahmen entstellt werden. Der Konflikt zwischen energietechnischen und substanzerhaltenden Anforderungen ist präsent und wird in Zukunft vermehrt Thema sein (vgl. TEC21, 45/2008). Gemäss Rolf Weber von der Kantonalen Denkmalpflege Bern ist ein gutes Ergebnis nur dann möglich, wenn alle beteiligten Partner intensiv nach einer verträglichen Lösung suchen. Die Sanierung des Schulgebäudes Neumarkt sei ein Glücksfall – dank bewusst diskret gewählten Eingriffen habe das Gebäude seine Seele behalten. Diese Seele manifestiert sich auch in dem Kunst-am-Bau-Schriftzug auf dem Hauptgebäude: «Erinnerst Du Dich» steht dort in grossen Lettern – angesprochen sind alle Ehemaligen, für die das Schulhaus ein Träger von Erinnerungen ist.

TEC21, Do., 2009.09.03



verknüpfte Zeitschriften
tec21 2009|36 Hallenzauber

24. September 2007Katja Hasche
TEC21

Das Brückenmuseum

Die Aussersihler Bahnviadukte in Zürich sind mit ihren zahlreichen unterschiedlichen Brückentypen ein eigentliches Brückenmuseum und ein Denkmal erster Güte für die Technikgeschichte wie für die Stadtentwicklung Zürichs. Ihre Zukunft war lange ungewiss. Dank dem Entscheid der SBB für eine neue Durchmesserlinie vom Hauptbahnhof nach Oerlikon können sie erhalten bleiben. Ein Teil bleibt in Betrieb und wurde saniert, ein Teil wird als Fuss- und Radweg umgenutzt.

Die Aussersihler Bahnviadukte in Zürich sind mit ihren zahlreichen unterschiedlichen Brückentypen ein eigentliches Brückenmuseum und ein Denkmal erster Güte für die Technikgeschichte wie für die Stadtentwicklung Zürichs. Ihre Zukunft war lange ungewiss. Dank dem Entscheid der SBB für eine neue Durchmesserlinie vom Hauptbahnhof nach Oerlikon können sie erhalten bleiben. Ein Teil bleibt in Betrieb und wurde saniert, ein Teil wird als Fuss- und Radweg umgenutzt.

Die filigranen Stahlfachwerkbrücken, die sich im Zürcher Industriequartier über die Limmat schwingen, bilden mit den angrenzenden Fabrikgebäuden und der Topografie des Flussraums eine malerische industriehistorische Landschaft. Dass sie Teil einer Viadukt-anlage sind, die den Zürcher Hauptbahnhof mit Wipkingen und dem Tunnel nach Oerlikon verbinden, ist aufgrund der Verstädterung heute von der Strasse aus nur noch schwer ablesbar. Hingegen ist es im Zug als eindrückliche Passage über die Limmat und die Dächer des Industriequartiers erlebbar. Die Anlage umfasst das doppelspurige Wipkinger Viadukt und das niedrigere, einspurige Letten-Viadukt der ehemaligen rechtsufrigen Zürichsee­linie, das heute als Fuss- und Veloweg dient. Zwischen Vorbahnhof und Heinrichstrasse verlaufen die beiden Viadukte parallel, anschliessend führen sie getrennt über die Limmat nach Wipkingen beziehungsweise in den Letten (Bild 14). Die Viaduktanlage wurde grösstenteils zwischen 1889 und 1898 unter der Leitung von Nordostbahn-Chefingenieur Robert Moser (1838–1918) von Tausenden Arbeitern, zwei Drittel davon Italiener, gebaut. Im Zusammenhang mit der Einführung der neuen Seebahn ersetzte sie den Erddamm von 1856, dessen Lage noch am Verlauf der Röntgenstrasse ablesbar ist. Dieser hatte sich mit 12‰ als zu steil erwiesen (Viadukt 9.5‰) und behinderte das Wachstum der Stadt, da er nur im Bereich des Sihlquais Durchgänge aufwies (Bild 2).
Mit 940 bzw. fast 1000 m Länge bildeten die Aussersihler Viadukte über lange Zeit das längste zusammenhängende Brückenbauwerk des SBB-Streckennetzes. Die repräsentativen Ingenieursbauten entstanden damals auf dem unverbauten Sihlfeld. Die hohen Öffnungen sollten eine ungehinderte Entwicklung der Stadt unter dem Brückenwerk hindurch ermöglichen (Bild 4). Wie überall im 19. Jahrhundert veränderte der Eisenbahnbau die Stadt. Im Vorbahnhofsgebiet siedelten sich Fabriken an, die Massengüter verarbeiteten, und in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft entstanden Arbeiterquartiere mit ihrem typi­schen rechtwinkligen Strassenraster und ihrer dichten Blockrandbebauung. Die Aussersihler Viadukte durchschneiden diese Struktur schräg und in geschwungener Linie und schaffen so aussergewöhnliche Stadträume. Gemäss städtebaulichen Vorschriften wurden Wohnblöcke bis zu 7.5 m an die Viadukte herangebaut, Gewerbegebäude teilweise noch näher. Obwohl die Bögen ursprünglich durchgängig bleiben sollten, siedelte sich ­darin schon bald Gewerbe an. 1915 erlaubte ein Bauamtsbeschluss die Vermietung der Brückenbogenräume an Gewerbetreibende.

Drei Abschnitte

Die Aussersihler Viaduktanlage lässt sich in drei bauliche Abschnitte gliedern: Die Bogenbrückenkette in der Konterkurve über den Vorbahnhof stellte mit ihren markanten Parabelfachwerkträgern für viele Reisende eine Landmarke dar. 2004 wurden die Träger durch eine Stahl-Beton-Konstruktion ersetzt. Das S-förmige Kernstück des Viadukts bilden die steinernen Viaduktbögen zwischen Vorbahnhof und Limmat mit ihren 53 Öffnungen mit 103 Gewölben. Während die Bögen aus ästhetischen Gründen gemauert sind, wurden für die Überbrückung der sechs geplanten Quartierstrassen Parallelfachwerkträger mit oben und unten liegender Fahrbahn eingesetzt, zur höheren Sicherheit bei Entgleisungen mit durchgehendem Schotterbett (Bild 5). Den Flussraum der Limmat überspannten schliesslich zwei unterschiedliche Konstruktionen. Die engmaschige Gitterfachwerkträgerbrücke der Wipkinger Linie von 1856 wurde 1898 durch einen Parallelfachwerkträger mit doppelten Streben ersetzt (Bild 8). Die drei in allen Achsen geneigten Fachwerkbogenbrücken der Letten-Linie entstanden 1891–1894 (Bild 11). Eine Besonderheit ist einer der letzten Schwedler-Träger in der Schweiz, der die Letten-Linie über das Sihlquai führt. Bei dieser nach Ingenieur Johann Wilhelm Schwedler benannten Trägerform sind die Streben nur auf Zug belastet. Die ältesten noch vorhandenen Teile des Viadukts sind die Erddämme und die Brückenpfeiler der Wipkinger Linie beidseits der Limmat. Mit Baujahr 1855 gehören sie zu den ältesten Bahnbauten der Schweiz.

Sanierungsgeschichte

Während der über hundertjährigen Nutzung der Viaduktanlage wurden, namentlich zwischen 1931 und 1984, immer wieder Unterhalts- und Sanierungsarbeiten notwendig, vorwiegend an den Gewölben. Die Arbeiten standen im Spannungsfeld zwischen Gewährleis­tung der betrieblichen Sicherheit, Aufrechterhaltung des Fahrbetriebs und – in jüngster Zeit – Erhalt der historischen Bausubstanz. Auf Risse und Wasserdurchlass anfällige ­Mauerstellen wurden saniert und ganze Gewölbebereiche mit neuem Steinmaterial er­neuert – unter anderem 1940 nach einem britischen Bombenangriff. Um das Mauerwerk vor eindringendem Regenwasser zu schützen, wurde 1939–1942 abschnittweise ein Beton­überzug als Abdichtung oberhalb des Gewölbemauerwerks angebracht. 1954 erfolgte im Zug einer Verbreiterung des Sihlquais der Ersatz des reparaturbedürftigen Hausteinviadukts von 1855 durch eine Beton-Plattenbalkenbrücke.
Umfassende Sanierungs- und Ausbaumassnahmen wurden erstmals im Rahmen des Projekts Bahn 2000 geplant. Für den beabsichtigten viergleisigen Ausbau des Bahnabschnitts zwischen Vorbahnhof und Oerlikon schrieb die Kreisdirektion 3 der SBB 1988 einen Total­unternehmer-Wettbewerb aus. 1993 wurde das Wettbewerbsprojekt etappiert. Der geplante neue Tunnel von Wipkingen nach Oerlikon entfiel, das Projekt beschränkte sich auf Ausbau und Sanierung der Anlage vom Vorbahnhof bis Wipkingen. 1997 erhielt das Siegerteam mit der Bauunternehmung Specogna, den Architekten Bétrix & Consolascio und dem Ingenieurbüro Rigendinger den Zuschlag für die Projektausführung. Doch da entstand im Quartier und auf politischer Ebene eine grosse Opposition gegen den vierspurigen Ausbau. Die SBB sahen schliesslich davon ab und planten stattdessen die neue Durchmesserlinie nach Oerlikon, deren Baubeginn für den Herbst 2007 vorgesehen ist. Das damalige Wettbewerbsprojekt wurde auf die Erneuerung der Vorbahnhofbrücken beschränkt; die Sanierung der übrigen Viaduktanlage wurde aus dem Projekt Bahn 2000 ausgegliedert und unabhängig davon durchgeführt.

Die Vorbahnhof-Brücken

Die Erneuerung der Vorbahnhof-Brücken wurde aus betriebstechnischen Gründen notwendig. Um im Rahmen des Projekts Bahn 2000 mehr Züge in kürzerer Zeit in den Bahnhof Zürich einschleusen zu können und getrennte Gleise für Schnellzüge und S-Bahnen zu schaffen, wurde eine neue Brückenanlage geplant. Diese sollte auf der Seite nach Wipkingen zweigleisig, auf der Seite des Hauptbahnhofs viergleisig ausgebildet sein und die Züge mit Hilfe einer komplexen Weichenanlage rasch verteilen. Aufgrund der das Stadtbild prägenden Wirkung der bestehenden Brücken sprach sich die städtische Denkmalpflege zunächst für deren Erhalt aus. Die zwölf Parabelträger aus Stahlfachwerk wurden jedoch bis auf die massiven Hausteinpfeiler abgetragen. Ein kleiner Rest ist heute im so genannten Kohlendreieck (Bild 14) aufgestellt. Die neuen Brückenelemente wurden als Verbundkonstruktion aus Stahl und Beton mit Auflagern auf die bestehenden Pfeiler gelegt. Sie bestehen aus drei konvergierend verlaufenden Stahlkastenträgern mit einem Betontrog, in dem das Schotterbett mit den Gleisen liegt. Die logistischen Herausforderungen an die Baustelle mitten im Gleisfeld des Vorbahnhofs waren gross. Die Bauzeit dauerte von 2000 bis 2004, die Kosten betrugen rund 120 Mio. Franken.
Sanierung des Wipkinger Viadukts
Die übrigen Teile des Wipkinger Viadukts wurde 2003–2006 saniert. Die Viaduktbauten sind im Schweizerischen Inventar der Kulturgüter als Objekte von regionaler Bedeutung bewertet. Im Inventar der kunst- und kulturhistorischen Objekte der Stadt Zürich sind sie als Objekte von kommunaler Bedeutung eingetragen. Neben der städtischen Denkmalpflege war auch die SBB-Fachstelle für Denkmalschutzfragen involviert. Es gab aus denkmalpflegerischer Sicht jedoch keine grundsätzlichen Einwände, da die Sanierung aus bahntechnischen und finanziellen Gründen auf die zwingend notwendigen Massnahmen reduziert wurde. Die Instandsetzung konzentrierte sich auf die Hausteinbereiche und die Stahlbrücken der Wipkinger Linie. Für deren Sanierung wurden sämtliche Gewerbe-Einbauten abgebrochen. Das bestehende Mauerwerk zeigte übliche Alterungserscheinungen wie verwitterte oder poröse Steine, ausgebrochene Fugen und Risse (Bild 9). Die Gewölbe und die unteren Bereiche der Pfeiler bis einen Meter über Terrain bestehen aus Lägern-Kalkstein, die oberen Pfeilerwände sowie die Seitenwände der Gewölbe aus Sandstein. Die Lager der Stahlbrücken sind bei den Widerlagern auf Granitquadern versetzt. Die Natursteinoberflächen wurden gereinigt und abgeklopft und im Fall von Schalenbildung zurückgearbeitet. Beim Ersatz von gänzlich verwitterten Steinen wurde auf die Verwendung adäquater Natursteine geachtet. Bei schadhaften und offenen Fugen musste das bestehende Fugenmaterial entfernt und mit Mauermörtel neu verfugt werden. Starke Risse mit Rissbreiten von mehr als 2 mm wurden mit Spezialmörtel gefüllt, um das Eindringen von Wasser in das Natursteinmauerwerk zu verhindern und die Verwitterung entlang den Rissflanken zu stoppen.
Strukturdynamische Untersuchungen der Empa zeigten, dass Pfeiler, die markante Vertikalrisse in Fugen und Steinen aufwiesen, in ihrem Tragverhalten beeinträchtigt waren. Bei den betroffenen Pfeilern wurde durch die Injektion von Feinstzement eine kraftschlüssige Verbindung zwischen den tragenden Quadern des Aussenmauerwerks und dem Füllmaterial der Kernmauerung hergestellt. Diese Massnahme betraf die acht Endpfeiler der Viaduktsektoren, die als Widerlager der Stahlbrücken über die Strassenöffnungen dienen, und 15 weitere Pfeiler. Zur Sicherung der stark belasteten Auflagerbänke der Stahlbrücken wurden zusätzlich unter jedem festen Brückenlager Zuganker eingebaut (Bild 10). Im Bereich des Schotterbetts stellten lose Randsteine ein Sicherheitsproblem dar. Die Granitblöcke, die ursprünglich durch ihr Eigengewicht hielten, waren im Lauf der Zeit durch das Gewicht der schweren Unterhaltsmaschinen immer weiter nach aussen gedrückt worden. Um sie zu sichern, wurden die Steine mit Armierungen verankert. Die teilweise gelockerten Geländer von 1896 stellten ebenfalls eine Gefahr für die Arbeiter des Gleisunterhalts dar. Die SBB-Fachstelle für Denkmalschutzfragen setzte sich für einen Erhalt der originalen Gusseisenpfosten ein. Bei einem Brückenersatz im Raum Schaffhausen wurden identische Pfosten sichergestellt und beim Wipkinger Viadukt als Ersatz für fehlende Geländerpartien wiederverwendet. Dabei wurden die heutigen Sicherheitsnormen berücksichtigt.

Sanierung der Stahlbrücken

Bei den Stahlbrücken wurden genaue statische Berechnungen und Spannungsmessungen vor Ort durchgeführt, um die zu erwartende Lebensdauer zu ermitteln. Die Sanierung der Limmatbrücke wurde daraufhin auf 30 Jahre ausgelegt, die der kleineren Stahlbrücken auf 20 Jahre. Bei der Limmatbrücke zeigte eine chemische Untersuchung, dass der alte Anstrich durch Schwermetall belastet war. Der bestehende Korrosionsschutz befand sich in einem schlechten Zustand und musste erneuert werden. Ferner wurden die oberen und die unteren Windverbände mit Stahl verstärkt. Um die strengen Vorschriften des Buwal einzuhalten und Emissionen zu vermeiden, musste die Brücke eingehaust werden. Die Arbeiter gelangten durch eine Schleuse in die hermetisch abgedichtete Baustelle. Um einen uneingeschränkten Fahrbetrieb der Züge zu gewährleisten, standen für Arbeiten im Bahnbereich jeweils nur die Nachtzeiten zwischen 1 und 4.30 Uhr zur Verfügung.
Bei den Stahlbrücken über Heinrich- und Limmatstrasse wurden ebenfalls Altlasten gefunden. Auch sie mussten für die Erneuerung des Korrosionsschutzes eingehaust werden. Einzelne Tragelemente der Stahlkonstruktion wurden verstärkt. Wesentlich unkomplizierter verlief die Sanierung der Stahlbrücken über Josefstrasse und Neugasse. Hier befand sich der Korrosionsschutz in akzeptablem Zustand und musste nur örtlich ausgebessert werden. Bei der Brücke über die Neugasse wurden einzelne Tragelemente verstärkt.
Insgesamt betrugen die Kosten für die Sanierung der Hausteinbereiche und Stahlbrücken rund 10 Mio. Franken. Erschwerende Bedingung war, dass die täglich auf dem Viadukt verkehrenden 450 Züge nicht behindert werden durften. Um die Betriebs- und Tragsicherheit des Viadukts für weitere 50 Jahre zu gewährleisten, sind bereits für 2020 weitere Massnahmen vorgesehen. Da der Bahnverkehr zu diesem Zeitpunkt zumindest teilweise auf die neu erstellte Durchmesserlinie umgeleitet werden kann, besteht dann die Möglichkeit, die schadhafte, 1939–1942 eingebaute Abdichtung unterhalb des Schotterbetts zu erneuern. Eine neue Abdichtung soll das anfallende Regenwasser, das bisher in das Mauerwerk sickert und zu Frostbildung und oberflächlichen Steinabplatzungen geführt hat, ableiten. Ob und wann die Stahlbrücken ersetzt werden müssen, ist noch offen. Laut SBB ist die ­Lebensdauer von Brückenbauwerken generell auf 100 Jahre ausgelegt. Wie genügend Beispiele belegen, kann sie jedoch durch Sanierungsmassnahmen und Verstärkungen signifikant verlängert werden.

Die Zukunft im und auf dem Viadukt

Gemeinsam mit SBB Immobilien schrieb die Stadt Zürich einen Wettbewerb für die Neunutzung der Viaduktbögen als Ersatz für die abgebrochenen Einbauten und für eine landschaftlich gestaltete Fortsetzung des Fuss- und Velowegs auf dem Letten-Viadukt aus. Das im Sommer 2004 ausgewählte Wettbewerbsprojekt von EM2N Architekten und Zulauf, Seippel, Schweingruber Landschaftsarchitekten (heute: Schweingruber Zulauf) soll zwischen Frühling 2008 und Ende 2009 realisiert werden (Bild 15). Die Stiftung zur Erhaltung von preisgünstigen Wohn- und Gewerberäumen der Stadt Zürich (PWG) hat die Einbauten in Letten- und Wipkinger Viadukt im Baurecht übernommen. Zwischen Heinrich- und Geroldstrasse entstehen für 32 Mio. Franken rund 38 Laden-, Atelier- und Gewerberäume und im Spickel der beiden Viadukte an der Limmatstrasse Zürichs erste Markthalle.
Das Letten-Viadukt wird seit Eröffnung der S-Bahn 1990 nicht mehr von der Bahn genutzt. Das Trassee entlang des Wasserwerkkanals entwickelte sich zum Eidechsenparadies und dann zum Treffpunkt der offenen Drogenszene. 1995 wurde das Gebiet polizeilich geräumt. Um es rasch mit einer neuen Nutzung zu besetzen, wurde es der Badeanstalt am Ufer gegenüber zugeordnet. Unter Einbezug der Quartierbewohner entwickelten die Landschaftsarchitekten Rotzler Krebs Partner 2002 ein Freiraumkonzept, das den improvisierten Charakter des Gebiets betont und zwei Nutzergruppen gerecht werden soll: Erholungssuchenden und Eidechsen. Der östliche Teil bleibt mit Bahnschotter bedeckt und Pflanzen und Tieren vorbehalten. Für Badegäste stehen anschliessend Liegewiesen und Beachvolleyballfelder zur Verfügung. Lange Sitzstufenanlagen und dicht bepflanzte Bänder aus mehrstämmigen Birken schieben sich aneinander vorbei und erinnern an die Dynamik der ehemaligen Gleisanlagen. Das Trassee beim Bahnhof Letten gestalteten die Landschaftsarchitekten als Fuss- und Fahrradweg und führten ihn auf der Bahnbrücke über die Limmat (Bild 12). Die Brücke war schon 1998 ins Eigentum der Stadt übergegangen, auf den übrigen Teilen des Letten-Viadukts räumten die SBB der Stadt ein Fuss- und Fahrwegrecht ein. 2008/09 soll der Weg gleichzeitig mit den Einbauten quer über das gesamte Industriequartier verlängert werden. Vor einer ungewissen Zukunft steht der alte Bahnhof Letten samt Umschwung. Die Stadt möchte ihn der SBB abkaufen, um das Erholungsgebiet zu sichern, und ein als Bauzone ausgewiesener Bereich reizt zum Verdichten. Konkrete Planungen liegen noch nicht vor. Über den Kauf wird der Gemeinderat voraussichtlich noch dieses Jahr entscheiden.
Alles in allem bilden die Aussersihler Viadukte ein in der Schweiz einzigartiges Denkmal für den Eisenbahnbau, sowohl für die Ingenieurkunst in seinem Dienst als auch für die Stadtentwicklung in seiner Folge. Die Viadukte schaffen einmalige stadträumliche Qualitäten im Zürcher Industriequartier, deren Potenzial heute erkannt ist und durch die neuen Mieter in den Bögen endlich auch genutzt und besser zur Geltung kommen wird.

TEC21, Mo., 2007.09.24



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tec21 2007|39 Bahnarchitektur

18. Dezember 2006Katja Hasche
TEC21

Mehr Campus als City

Die ETH Hönggerberg in Zürich wird zur «Science City» ausgebaut. Mehr Institute, vielfältigere Nutzungen und mehr öffentliches Leben auf dem Campus sind das Ziel. Formal verweist der Ausbau auf die Qualitäten der ersten Bauetappe. Ob er neue Bezüge zwischen der «Aussenstation» und der Stadt schaffen kann, wird sich zeigen müssen.

Die ETH Hönggerberg in Zürich wird zur «Science City» ausgebaut. Mehr Institute, vielfältigere Nutzungen und mehr öffentliches Leben auf dem Campus sind das Ziel. Formal verweist der Ausbau auf die Qualitäten der ersten Bauetappe. Ob er neue Bezüge zwischen der «Aussenstation» und der Stadt schaffen kann, wird sich zeigen müssen.

Der Begriff «Science City» mag zunächst verwirren. Ähnlich wie bei anderen Planungen in jüngerer Vergangenheit wie der «Airport City» in Kloten oder der «Sihl City» in Zürich Enge handelt es sich nicht etwa um ein autarkes Stadtgebilde. Das belegt auch der Zusatz «Stadtquartier für Denkkultur», der als Leitbild für «Science City» definiert wurde. Laut Kees Christiaanse, Professor für Architektur und Städtebau an der ETH Zürich, ist der Begriff «City» vielmehr abstrakt zu verstehen – als physische und virtuelle Vernetzung der ETH mit anderen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen. Die changierende Bedeutung des Begriffs verdeutlicht ein generelles Problem: Obwohl das Projekt «Science City» schon längst begonnen hat, lässt es sich in seinen Ausmassen und Konsequenzen noch nicht greifen.

Dass die ETH Zentrum aus allen Nähten platzte und daher ein zweiter ETH-Standort nötig war, wurde in den 1950er-Jahren deutlich und ist längst nicht mehr bestritten. Bereits kurz nach der Fertigstellung des Haupt­gebäudes von Gottfried Semper 1868 am Zürichberg wurde mit baulichen Erweiterungen begonnen. Um dem schnellen Wachstum der ETH gerecht zu werden, erstellte man in der Nachbarschaft Hochschulgebäude, die eher dem Zufallsprinzip als einem übergeordneten Planungsschema folgten. Die Planung eines kompakten Hochschulcampus war aufgrund der gegebenen Parzellierungen nicht möglich. Als immer weniger Bauland zur Verfügung stand, ging man dazu über, umliegende Wohnungen für Hochschulinstitute umzunutzen. Dass das Hochschulquartier heute trotzdem einigermassen als ablesbares städtebauliches Gefüge erscheint, hängt vor allem mit der Dichte der addierten Solitärbauten zusammen.

Als nach der Mitte des 20. Jahrhunderts die Zahl der Studierenden rasant stieg, zog man neben einer fortschreitenden Zersplittung der Hochschule im Stadtgebiet auch den kompletten Umzug auf die grüne Wiese in Erwägung. Schliesslich wählte man den Kompromiss – die Aufteilung der ETH auf zwei Standorte. Die Planungen für den zweiten Hochschulstandort auf dem Hönggerberg waren dabei durchaus vergleichbar mit denen am ersten Standort im Zentrum. Wie Werner Oechslin in dem Buch «Hochschulstadt Zürich» schreibt, begann der ETH-Standort Hönggerberg «beinahe wie im Zentrum zu Sempers Zeiten: auf beinahe freiem Feld und in Erkenntnis der privilegierten Lage»1. Die Vorgehensweise war jedoch eine andere als damals. Diesmal liess man von vornherein einen Bebauungsplan für das gesamte Areal erstellen und beauftragte damit den ehemaligen Stadtbaumeister Albert Heinrich Steiner. Mit seiner ganzheitlichen Vorstellung von Städtebau entwickelte Steiner bereits in seiner ersten Bebauungsskizze von 1959 eine klassische, städtebaulich hierarchisierte Ordnung mit Erschliessungsachsen, Gebäuden und Plätzen. Die einzelnen Gebäude lagen frei um einen zentralen Platz herum in der parkartigen Landschaft. Während Steiners Bebauungsplan für die ETH (Bild 5) Anerkennung fand, stiess sein kurz darauf entwickelter Vorschlag für eine Wohnbebauung des Hönggerbergs mit Hoch- und Terrassenhäusern auf Ablehnung.

Die erste Ausbauetappe des ETH-Standortes auf dem Hönggerberg wurde nach dem von Albert Heinrich Steiner überarbeiteten Gesamtbebauungsplan realisiert und umfasste Bauten für die Physik, die Molekularbiologie und die Infrastruktur. Ende der 1970er-Jahre war diese Etappe abgeschlossen. Die zweite und die dritte Ausbauetappe folgten nicht mehr dem Bebauungsplan, teilweise korrumpierten sie ihn sogar. Ähnlich wie beim Standort ETH Zentrum wurden die späteren Zubauten unter dem Aspekt der Verdichtung unabhängig von den von Steiner vorgesehenen Achsen und offenen Plätzen erstellt. Steiner wehrte sich gegen die bauliche Verdichtung, als die Architekten Max Ziegler und Erik Lanter mit der Planung für die zweite Ausbauetappe (Abteilungen Architektur und Bauwissenschaften, 1972–76) beauftragt wurden. Sein Einspruch gegen die dritte Ausbauetappe (Abteilungen Chemie und Werkstoffe, Institute für Pharmazie und Mikrobiologie, Dienstleistungsgebäude, 1996–2004) der Architekten Mario Campi & Franco Pessina ging sogar bis vor Bundesgericht. In dem entsprechenden Urteil von 1994 hiess es: «Aus dem Begriff des Urheberrechts folgt kein Anspruch auf architektonische Angleichung oder Unterordnung von Nachbarbauten oder auf Freihaltung der in das ursprüngliche Konzept miteinbezogenen natürlichen Landschaft der Bauwerksumgebung»2. Die Idee von Albert Heinrich Steiners ganzheitlichem Städtebau liess sich nicht einklagen.

Heute sind es die Steiner-Bauten, die auf dem Hönggerberg am besten im Sinn einer «City» funktionieren. Während die Studierenden in den Gebäuden der jüngeren Bauetappen morgens verschwinden und erst abends wieder auftauchen, ermöglichen die verschachtelten Innen- und Aussenräume der Steiner-Bauten vielfältige Kommunikation. Auch Kees Christiaanse, der den Masterplan für «Science City» entwickelte, bezieht sich auf diese städtebaulichen Qualitäten. Mit einem kompakten System von ineinandergreifenden Aussen- und Innenräumen setzte er sich bei der Testplanung im Jahr 2004 gegen seine Konkurrenten Vittorio Magnago Christiaanses Masterplan integriert die bestehenden Gebäude und Aussenräume und verdichtet diese nach innen. Zur freien Landschaft hin wird der kompakte Campus durch einen mehrspurigen Ring abgegrenzt, der parallel unterschiedliche Funktionen wie Anlieferung oder Joggen zulässt. Die parkähnlichen Grünräume schaffen einen Übergang zum Naherholungsgebiet Hönggerberg. Innerhalb des Areals wird auf eine Funktionsdurchmischung Wert gelegt. So sind neben Gebäuden für Lehre und Forschung auch Studentenwohungen, Läden und Restaurants vorgesehen sowie Sporteinrichtungen und ein Kongresszentrum. Öffentliche, halbprivate und private Räume sollen ineinander übergehen und Kontakträume verschiedener Art den Austausch zwischen ETH-Angehörigen und Bewohnern der umliegenden Quartiere ermöglichen.

Damit das städtebauliche System von «Science City» nicht zu einer Ansammlung von Solitären zerfällt, wie im Fall der ETH Zentrum, oder durch spätere Baumassnahmen korrumpiert wird, wie beim Masterplan von Albert Heinrich Steiner, sind verschiedene Massnahmen vorgesehen. Zum einen wird Kees Christiaanse als offizieller Supervisor die verschiedenen Projekte koordinieren. Zum anderen gibt der von ihm erstellte Masterplan bereits verschiedene Regeln an, nach denen die einzelnen Gebiete bebaut werden sollen (vgl. Bild X). So ist die Grundstruktur durch ein zentrales Forum, den quer zur öffentlichen Erschliessungsachse liegenden «Kongressboulevard», vorgegeben. In jedem der entstehenden vier Quadranten befinden sich einzelne Baufelder sowie jeweils ein Quartiersplatz mit beschränkter Bebaubarkeit. Diese städtebauliche Struktur basiert auf einer Entwicklungsstudie, die Andrea Deplazes bereits 2003 erstellt hatte. Für die einzelnen Baufelder innerhalb des Masterplan-«Spielfeldes» definierte Kees Christiaanse verschiedene «Spielregeln». Um genügend Freiraum zu erhalten, dürfen beispielsweise höchstens 60–70 % eines Baufeldes überbaut sein. Vernetzte Wege oder das Zusammenspiel benachbarter Bauvolumen sollen zu einer koordinierten Raumbildung beitragen. Auch für den Abstand der Bebauung zur Baufeldgrenze gibt es Bestimmungen. Während die Gestaltungsprinzipien den Zusammenhang des gesamten Areals stärken sollen, müssen sie gleichzeitig offen bleiben für unvorhersehbare Entwicklungen. Die Gestaltung der Aussenräume erfolgt ebenfalls nach übergeordneten Prinzipien, die parallel zur weiteren Planung erarbeitet werden. Ziel ist eine gewisse Vereinheitlichung – so soll es statt zehn verschiedenen Mülleimerarten wie heute künftig nur noch ein Modell geben. Momentan sind auf dem Hönggerberg testweise Möbel im Einsatz, die man vom Mus­eumsquartier Wien kennt. Für die Planung der Signalisierung ist zusammen mit der Hochschule für Gestaltung ein Wettbewerb vorgesehen.

Auch die einzelnen Gebäude von «Science City» sollen über Wettbewerbe ausgeschrieben werden. 2001 wurde ein erster Wettbewerb für das Information Science Center ausgeschrieben, den das Vorarlberger Architekturbüro Baumschlager & Eberle gewann. Das Gebäude wird auf der Nordwestseite des Areals erstellt und soll Räumlichkeiten für die Grundlagenforschung im Bereich Informationswissenschaft und computergestützte Wissenschaft beinhalten. Das rechteckige, sechsgeschossige Gebäude umfasst einen zentralen Hallenbereich, der eine Funktionsmischung von Begegnungs- und Arbeitsräumen, Seminarzonen und Cafés ermöglicht. Hier sind sowohl interne als auch externe Nutzungen vorstellbar. Die umliegende, nutzungsneutrale Struktur erlaubt eine flexible Aufteilung von Einzel-, Kombi-, Gruppen- und Grossraumbüros. Seit letztem Jahr befindet sich das Information Science Center im Bau, es wird 2007 fertig sein.

Als zweiter Bau wird das Sport Center realisiert. Das Projekt des Bregenzer Architekturbüros Dietrich / Untertrifaller ging aus einem Wettbewerb vom Jahr 2004 hervor. Auch dieses Gebäude enthält eine grosse Haupteingangszone, die sowohl für Aussenstehende als auch für wissenschaftliche Anlässe nutzbar ist. Das Sport Center ist der einzige Bau, der aus dem quadratischen Areal von «Science City» herausfällt. Zum einen liegt dies daran, dass er die schon bestehende Sporthalle an dieser Stelle ersetzt, zum anderen bildet der geschliffene grüne Glaskörper einen fliessenden Übergang zum Landschaftsraum. Auf dem Dach befinden sich eine Bogenschiessanlage und je zwei Tennis- und Beachvolleyball-Plätze. Der Baubeginn wird nächstes Jahr sein, die Einweihung ist für 2009 vorgesehen.

Ab 2008 sollen weitere Teilprojekte umgesetzt werden. Im Oktober gewannen Burckhardt Partner den Wettbewerb für das Life Science Lab (Vgl. S. WW). 2010 sollen die ersten Wohnungen bezogen werden und ein Jahr später die Ziele von «Science City» weitgehend erreicht sein. Um die einzelnen Projekte innerhalb dieser Zeit realisieren zu können, bindet die ETH für die Finanzierung der Gebäude Donatoren und Sponsoren ein. So wird das Information Science Center mit einer Spende über 23 Mio. Fr. von dem Unternehmer Branco Weiss unterstützt und die Zürcher Kantonalbank sponsert das Sport Center mit 12 Mio. Fr. Eine Gefahr für die Unabhängigkeit der Hochschule sieht der Projektleiter für «Science City», Michael Salzmann, dabei nicht. Die Verknüpfung von Wirtschaft und Wissenschaft habe an der ETH eine lange Tradition, ohne negativen Einfluss auf Wissenschaft und Lehre.

Wie sich die Beziehung zwischen «Science City» und Stadtzentrum entwickelt, wird sich erst im Lauf der Zeit zeigen. Der ETH-Standort auf dem Hönggerberg muss von seinem Image als «Aussenstation» wegkommen. Doch wird er kaum als konkurrierendes «City»-Gebilde fungieren, das, ähnlich wie grosse Supermärkte auf der grünen Wiese, Funktionen aus dem Stadtzentrum abzieht. Auch dass sich die Stadt Zürich den Campus der «Science City» genauso einverleibt wie damals das ETH-Hauptgebäude, ist eher unwahrscheinlich. Ein Wachstum der Stadt in Richtung Hönggerberg ist zwar bereits seit den 1960er-Jahren im Gang, von der Bebauungsstruktur und Nutzungsmischung her handelt es sich dabei jedoch um Aussenquartiere. Vielmehr liegt die künftige Herausforderung darin, die Vernetzung zwischen Hönggerberg und Stadtzentrum zu fördern. Aufgrund der weiten Entfernung wird viel von einer guten Verkehrserschliessung und einer den täglichen Bedürfnissen auf dem Campus entsprechenden Nutzungsmischung abhängen. Damit käme man auch dem oft geäusserten Wunsch, «Science City» nicht nach Vorbild eines amerikanischen, sondern eines europäischen Campus zu gestalten, einen Schritt näher.

TEC21, Mo., 2006.12.18



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tec21 2006|51-52 Campus

08. September 2006Katja Hasche
TEC21

Neue Gebäudetechnik im Kunsthaus Zürich

Kunstmuseen müssen heute einen grossen technischen Aufwand leisten, um die internationalen Klima- und Sicherheitsstandards für Leihgaben zu erfüllen. Ist wie im Fall des Kunsthauses Zürich auch das Gebäude schützenswert, müssen bei der Sanierung die Bedürfnisse von Kunst, Gebäude und Publikum sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.

Kunstmuseen müssen heute einen grossen technischen Aufwand leisten, um die internationalen Klima- und Sicherheitsstandards für Leihgaben zu erfüllen. Ist wie im Fall des Kunsthauses Zürich auch das Gebäude schützenswert, müssen bei der Sanierung die Bedürfnisse von Kunst, Gebäude und Publikum sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.

Das Kunsthaus Zürich besteht aus drei Gebäudeteilen: Der Hauptbau von 1910 mit niedrigerem Seitenflügel sowie die erste rückwärtige Erweiterung von 1924 stammen von Karl Moser. Den Anbau mit dem grossen Bührle-Saal für Wechselausstellungen, Restaurant und Vortragssaal bauten 1958 die Gebrüder Pfister; die rückwärtigen Erweiterungsbauten erstellte Erwin Müller 1976.

Um weiterhin Leihgaben zu erhalten und mit international renommierten Kunstmuseen konkurrieren zu können, muss das historische Gebäude die gleichen klimatischen Normwerte erfüllen wie ein Neubau. Während der vier Jahre dauernden Renovation (2001–05) wurde deshalb die Haustechnik vollständig erneuert. Die einzelnen Ausstellungsräume wurden auf den neusten Stand von Klima-, Licht- und Sicherheitstechnik gebracht und denkmalpflegerisch restauriert; strukturell wurde nur wenig verändert. Um den Museumsbetrieb aufrechtzuerhalten, wurden die Arbeiten in Abschnitte unterteilt. Insgesamt verursachten die gebäudetechnischen Massnahmen mit den begleitenden Baumassnahmen rund zwei Drittel der gesamten Renovationskosten von rund 50 Mio. Franken.

Seit Herbst 2005 ist das gesamte Museum wieder der Öffentlichkeit zugänglich. Doch die Optimierung des technischen Betriebs wird erst in diesem Sommer abgeschlossen sein, denn die hochflexible Gebäudetechnik bedingt eine präzise Justierung. Sie muss grosse jahreszeitliche und betriebliche Schwankungen berücksichtigen. Dazu gehören auch Extremsituationen wie die Monet-Ausstellung im letzten Herbst mit bis zu 900 Besuchern im Saal. Doch bereits wenige Monate nach der Sanierung wiesen die gemessenen Temperatur- und Feuchtewerte ein so konstantes Raumklima aus, dass momentan die Optimierung der Energiekosten im Vordergrund steht.
Die Überwachung der technischen Anlagen erfolgt heute während 24 Stunden. Die Gebäudeautomation umfasst die Bereiche Gebäudetechnik, Raumluftklimatisierung, Kunst- und Tageslichtregulierung sowie die Alarmierung von Brand- und Diebstahlschutz. Diese wird bei einem Totalausfall durch ein redundantes Meldesystem ersetzt.

Wenig Platz für die Haustechnik

Die Sanierung der Haustechnik konzentrierte sich aus Kostengründen auf die älteren Gebäudetrakte und sparte den Müller-Bau aus. Das zentrale Anliegen sowohl von Seiten der Denkmalpflege als auch der Gebäudetechniker war, die lüftungstechnischen Anlagen aus den Dachräumen über den Oberlichtern in die Kellerräume zu verlegen. Denn die Installationen verringerten den ursprünglich beabsichtigten Tageslichteinfall in die Ausstellungsräume, und sie waren bei den extremen Temperaturen im Dachbereich von bis zu 70°C schadenanfällig.

Ein grosses Problem stellten die begrenzten Räumlichkeiten des Kunsthauses dar. Laut Arnold Brunner vom Ingenieurbüro Brunner Haustechnik AG, das für die Planung der Gebäudetechnik zuständig war, sollten bei einem Museum normalerweise etwa 30 % des Gebäudevolumens für Gebäudetechnik zur Verfügung stehen. Im Fall des Kunsthauses Zürich waren es jedoch nur 15 %. In den Moser-Bauten wurde nur wenig Platz für die gebäudetechnische Ausstattung vorgesehen. Da-mals wurde über die Fenster oder die in den Oberlichtern integrierten Lüftungsklappen gelüftet. Auch begnügte man sich mit weniger Kunstlicht als heute und passte die Öffnungszeiten an das Tageslicht an. Zwar wurden die obersten Räume der Moser-Bauten später klimatechnisch nachgerüstet, trotzdem wiesen sie vor der Sanierung grosse Temperatur- und Feuchteschwankungen auf. Erst die jüngeren Erweiterungsbauten der Gebrüder Pfister und von Erwin Müller verfügten über ein integriertes Lüftungs- und Beleuchtungssystem.

Die Verlegung der Technikzentralen in die Untergeschosse erforderte aufgrund des begrenzten Raums eine präzise Koordination. Für die Optimierung der Installationen innerhalb der Technikzentralen wurden deshalb sogar 3-D-Planungen erstellt. Heute befindet sich in den Untergeschossen der Moser-Bauten 2 und 3, des Pfister- und des Müller-Baus je eine Lüftungszentrale. Um die darüber liegenden Ausstellungsräume akustisch nicht zu beeinträchtigen, wurden die Lüftungsgeräte und -kanäle mit Schalldämpfern ausgestattet.
Die Aussenluftaufbereitung ist für insgesamt etwa 1250 Personen konzipiert und erfolgt leistungsbezogen: Je mehr Besucher sich im Museum befinden, desto mehr Aussenluft wird der Umluft beigemischt. Zur Energiekostensenkung wird die bei der Aufbereitung entstehende Wärme, ebenso wie die Abluftwärme, in die Wärmerückgewinnung eingespeist und wieder verwendet. Ab einer Aussentemperatur von >5°C fungiert auch die Kältemaschine als Wärmepumpe. Die Wärme- und die Kältezentrale im Untergeschoss des Pfister-Baus sind so ausgerüstet, dass sie im Notfall durch den Anschluss einer mobilen Heiz- bzw. Kältezentrale unterstützt werden können.

Prinzip Quelllüftung

Die Verteilung der gebäudetechnischen Leitungen vom Untergeschoss in die einzelnen Obergeschosse erfolgt über zwei neue Schächte zwischen den Moser-Bauten 1 und 3. Sie wurden als Wandverdickungen ausgebildet und übernehmen gleichzeitig eine statische Funktion für die erhöhten Anforderungen an die Erdbebensicherheit. Die horizontalen Lüftungsinstallationen werden in den meisten Bereichen unter den abgehängten Decken installiert.
Gelüftet wird nach dem Prinzip der Quelllüftung. Dabei strömt die Zuluft im unteren Wandbereich ein, steigt auf und wird über die Staubdecke geführt, wo sie gefasst wird. Die Abluftauslässe befinden sich immer im Deckenbereich; von Raum zu Raum wurden hier individuelle Lösungen gefunden. In den Räumen ohne Brüstungen strömt die Zuluft über offene Schlitze im unteren Wandbereich ein. Durchgangsräume werden mit der überströmenden Zuluft aus den benachbarten Räumen belüftet, was allerdings zu leichten Temperaturunterschieden (maximal 1°C) von Raum zu Raum führen kann.

Neue Klimatechnik und Denkmalpflege

Die Planungen bewegten sich im Spannungsfeld zwischen technischen Anforderungen, denkmalpflegerischen Anliegen und baulichen Vorgaben und Vorschriften. Die denkmalpflegerischen Auflagen waren für die Ausstellungsräume innerhalb der kantonal geschützten Moser- und Pfister-Bauten unterschiedlich. Die höchste Schutzstufe umfasste die zentrale Erschliessung und die T-förmige Raumabfolge im ersten Obergeschoss (Böcklin-Saal, Füssli-Saal und anschliessende Kabinette) sowie den Munch-Saal mit gegenüberliegendem Loggia-Saal in den Moser-Bauten.
Peter Baumgartner, Leiter Bauberatung bei der kantonalen Denkmalpflege und Dozent für historische Haustechnik, legte bei der Renovation auch Wert auf den Erhalt schützenswerter Haustechnikanlagen. In den Ausstellungsräumen wurden die denkmalgeschützten Heizkörpernischen für die Einführung der Zuluft und die Kabelkanäle genutzt. Im Bührle-Saal konnten die denkmalgeschützten Zuluftauslässe als Abluftelemente umgenutzt werden. In den anderen Oberlichtsälen wurden einzelne Glaselemente durch eigens entworfene Lüftungsgitter ersetzt, und die originalen, in den Oberlichtern integrierten mechanischen Lüftungsklappen blieben erhalten. Die bestehende Bodenheizung im Bührle-Saal wurde zum Change-over-System umfunktioniert und kann heute bei publikumsstarken Wechselausstellungen als Bodenkühlung eingesetzt werden.

Beim Abwägen zwischen Denkmalpflege und der Anforderung, überall ähnliche Klimawerte zu erzielen, musste man gewisse Kompromisse eingehen. So wurden saisonal unterschiedliche Grundtemperaturen bei einem langsamen Wechsel toleriert, ausserdem einigte man sich darauf, die geforderten Raumluftqualitäten nur bis zu einer für die Kunstwerke ausschlaggebenden Höhe von etwa 2.50 m einzuhalten. Theoretisch sei heute eine unabhängige Bespielung der Räume möglich, erklärt Sacha Wiesner vom ausführenden Architekturbüro sam Architekten, seiner architektonischen Qualitäten wegen werde aber nach wie vor der Bührle-Saal für Wechselausstellungen genutzt.

Im Eingangsfoyer wurden im Bereich des Cafés das Fussbodenniveau erhöht und eine Fussbodenheizung integriert. Hier strömt die Luft über ebenerdige Gitter entlang der Glasfassade zum Museumshof in das Foyer ein und wird in den Deckenfeldern im Bereich der indirekten Beleuchtung abgesogen. Im Foyer erfolgten die grössten architektonischen Eingriffe. Um den Raum in seiner ganzen Breite zu öffnen, wurden die Garderobe und der Museumsshop in den rückwärtig angrenzenden Moser-Bau 3 verschoben.

Gemischte Beleuchtung

Das Beleuchtungskonzept für die Ausstellungsräume basiert auf einer Kombination von indirektem Tageslicht, indirektem Kunstlicht und direktem Kunstlicht in Form von Spots. Im Moser-Bau waren noch zwei originale Lampen vorhanden. Um in den Oberlichtsälen einen nahtlosen Übergang vom indirekten Tageslicht zum Kunstlicht zu erreichen, wurden oberhalb der Lichtdecken Leuchtstoffröhren angebracht. Die Menge des einfallenden Tageslichts wird durch ein mechanisches Sonnenschutzsystem aus Rollos (Moser Bau 2) und Lamellen (Moser Bau 1 und 3 sowie Pfister-Bau) reguliert. Zwischen der inneren Staubdecke und der äusseren Glashaut wurde eine zusätzliche dampfdichte Isolierglasdecke eingefügt, die eine für die Bilder schädliche UV-Strahlung filtert und gleichzeitig ein Aufsteigen von Feuchte verhindert.

Insgesamt haben die teilweise aufwändigen Planungsprozesse zu einem beeindruckenden Ergebnis geführt. Die Gebäudetechnik wurde so gut integriert, dass man sie bei einem Besuch der Ausstellungsräume kaum wahrnimmt.

TEC21, Fr., 2006.09.08



verknüpfte Zeitschriften
tec21 2006|35 transformiert

05. Mai 2006Katja Hasche
TEC21

Neuer Auftritt für das Lochergut

Daran, ob sein Sockel funktioniert, muss sich ein Hochhaus messen lassen. Das Lochergut mit seinen gestaffelten Wohntürmen, 1962–66 von Karl Flatz erbaut, ist ein Wahrzeichen Zürichs. Die Wohnungen waren immer beliebt, doch die Ladenpassage im Erdgeschoss verkam bald wegen städtebaulicher und funktionaler Mängel. Nun haben pool Architekten den Sockel umgebaut.

Daran, ob sein Sockel funktioniert, muss sich ein Hochhaus messen lassen. Das Lochergut mit seinen gestaffelten Wohntürmen, 1962–66 von Karl Flatz erbaut, ist ein Wahrzeichen Zürichs. Die Wohnungen waren immer beliebt, doch die Ladenpassage im Erdgeschoss verkam bald wegen städtebaulicher und funktionaler Mängel. Nun haben pool Architekten den Sockel umgebaut.

Anstatt wie die europäischen Ladenpassagen des 19. Jahrhunderts wichtige Strassenzüge miteinander zu verbinden, bildete die Lochergutpassage eine unbedeutende Parallelachse zur Badenerstrasse. Zusätzliche Verbindungswege wie der rückwärtige Anschluss an die Wohnhäuser und die zentrale Freitreppe zum Restaurant auf der Dachterrasse wurden später gekappt. Funktionale Schwierigkeiten gab es auch bei der Anordnung der Geschäfte: Der grosse, strassenseitig gelegene Coop verdeckte die kleineren Läden im hinteren Teil. Die Lokale waren schwer zu vermieten, die Passage verwahrloste zunehmend.

Um diese Missstände zu beheben und das Quartier aufzuwerten, führte die Stadt Zürich als Hausherrin 2002 einen Studienauftrag durch, den das Zürcher Büro pool Architekten gewann. Das ausgeführte Projekt strukturiert das Ladengeschoss neu; darüber fasst ein neues Bürogeschoss den Komplex entlang der Badenerstrasse unter ein gemeinsames Dach. Von der alten Struktur blieben lediglich die tragenden Stützen und die Geschossdecken erhalten.

Um die Geschäfte für Passanten leichter zugänglich zu machen, wurden die Passage aufgehoben und der Coop und die kleineren Läden in einer funktionalen Rochade vertauscht. So liegen die Einzelgeschäfte heute direkt an der Badenerstrasse und bilden mit ihrer Schaufensterflucht einen trichterförmigen Eingangsbereich für den zurückversetzten Grossverteiler. In dieser Gebäudeeinstülpung befindet sich auch die Treppe zur grossen Dachterrasse, die den Hof der Überbauung bildet und eine Rückzugsmöglichkeit für Anwohner, Büroarbeiter und Passanten bietet. Das Café liegt nun an einer Gebäudeecke im Erdgeschoss. Im Obergeschoss befinden sich nur noch Büros.

An seinen Enden setzt der Neubau sowohl zur Seebahn- als auch zur Sihlfeldstrasse neue städtebauliche Akzente: Damit das Geschäftszentrum von weiter her wahrgenommen wird, wurde es entlang der Badenerstrasse verlängert und umklammert nun die Wohnhausscheiben. An der Kreuzung Badener-/Sihlfeld-/Bertastrasse soll eine offene Platzgestaltung einen neuen Bezug zur baumbestandenen Bertastrasse schaffen. Wenn die Sihlfeldstrasse wie geplant 2008 verkehrsberuhigt wird, könnte diese städtebaulich attraktive Kreuzung zum urbanen Platz werden.
Die Lichtinstallation von Olaf Nicolai auf dem Dach des Sockels ist Kunst am Bau und Ladenschild in einem. Sie besteht aus zehn opaken Kuben, welche in einzelne Elemente unterteilt sind, die verschieden gesteuert werden können und in einer bestimmten Konstellation den Schriftzug «Lochergut» ergeben.

TEC21, Fr., 2006.05.05



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Geschäftszentrum Lochergut



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tec21 2006|19 Kunst als Pflaster

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