Übersicht

Texte

30. Oktober 2021Erich Raith
Der Standard

Stadt statt Knast

Die Justizanstalt Josefstadt ist bald das am besten mit öffentlichem Verkehr erschlossene Gefangenenhaus der Welt. Wohl nicht nur aus städtebaulicher Sicht wird hier eine Chance vertan. Noch wäre Zeit umzudenken.

Die Justizanstalt Josefstadt ist bald das am besten mit öffentlichem Verkehr erschlossene Gefangenenhaus der Welt. Wohl nicht nur aus städtebaulicher Sicht wird hier eine Chance vertan. Noch wäre Zeit umzudenken.

Im STANDARD vom 15. Oktober konnte man einen Bericht über die Sanierungspläne für das Graue Haus lesen. Demnach soll die Justizanstalt Josefstadt bis zum Jahr 2032 und das Landesgericht für Strafsachen in Wien bis 2027 generalsaniert werden, weil die baulich-räumlichen Zustände nicht mehr den gesetzlichen Anforderungen entsprechen und weil bei permanenter Überbelegung Raumnot und hygienische Missstände bestehen. Die dafür vorerst veranschlagten Kosten: 200 Millionen Euro.

Maximal verdichtet

Fest steht, dass die räumlichen Ressourcen des Standorts ausgereizt sind. Erweiterungsoptionen nach außen bestehen im dicht verbauten Stadtquartier nicht. Der Innenbereich des in den 1830er-Jahren jenseits des Glacis errichteten und später mehrfach erweiterten und aufgestockten Gebäudekomplexes wurde bereits ab den 1980er-Jahren mit Zellentrakten maximal nachverdichtet. Zwischen den Zeilen war daher unübersehbar zu lesen, dass die standortbedingte Raumnot der Justizanstalt auch weiterhin problematisch bleiben wird. In Kreisen der Justiz herrscht dennoch berechtigte Freude über die lang ersehnte Finanzierungszusage.

Als Stadtplaner kann man diese Freude nur bedingt teilen. Da überwiegt die Befürchtung, dass gerade eine einmalige Chance vergeben wird, umfassendere und nachhaltigere Verbesserungen zu bewirken.
Neuer Verkehrsknoten

Ebenfalls um sehr viel Steuergeld wird nämlich gerade südlich der Justizanstalt der Verkehrsknoten „Rathaus“ gebaut, an dem sich die U-Bahn-Linien U2 und U5 kreuzen werden. Gleich nördlich der Anstalt wird die U5-Station „Frankhplatz / Altes AKH“ entstehen. Dazu kommen Straßenbahnstationen im unmittelbaren Umfeld sowie der nur etwa 500 Meter entfernte Verkehrsknoten „Schottentor“, an dem insgesamt 13 Linien des öffentlichen Verkehrs zusammenkommen (die U-Bahn-Linie U2, die Straßenbahnlinien D, 1, 37, 38, 40, 41, 42, 43, 44 und 71, die Buslinien 1A und 40A).

Wien wird also eine neue Attraktion bekommen: das am besten mit öffentlichem Verkehr erschlossene Gefangenenhaus der Welt. Wie schade, dass die Insassen der Strafanstalt nicht in der Lage sein werden, diese außergewöhnliche Erschließungsqualität auszunützen. Noch bedauerlicher ist, dass an diesem Standort nicht jener pulsierende Brennpunkt städtischen Lebens aufblühen wird, für den gerade die besten infrastrukturellen Voraussetzungen geschaffen werden.

Mag sein, dass es noch keine Gespräche zwischen der Stadtplanung und den Justizbehörden über Optionen einer Verlegung der Justizanstalt gegeben hat, obwohl diese Idee nicht neu ist: Schon im „Masterplan Glacis“, der 2014 von der Stadtentwicklungskommission einstimmig zur Kenntnis genommen und dann im Wiener Gemeinderat einstimmig beschlossen wurde, steht: „Mit der Rossauer Kaserne, dem Landesgericht für Strafsachen und der Stiftskaserne bestehen im Rand- und Nahbereich des Stadtraums Glacis großflächige Gebäudekomplexe mit isolierten, nicht öffentlich zugänglichen Nutzungen, deren Standorte sich für neue Funktionen aus dem angestrebten Schwerpunktbereich Kunst, Kultur und Wissenschaft gut eignen würden.“
Offener Ort

Im Sinn dieses städtebaulichen Leitbildes wäre demnach zu überprüfen, wie das verschlossene Graue Haus mit angemessenem Aufwand in einen offenen Ort der Kultur und der Wissenschaft verwandelt werden könnte. Es wäre im Wortsinn naheliegend, dabei den steigenden Raumbedarf der Universität Wien zu bedenken. Der Standort liegt ja ideal zwischen dem Uni-Hauptgebäude am Ring, dem Neuen Institutsgebäude an der Universitätsstraße und dem Campus des Alten AKH. Dort wurde bereits in den 1990er-Jahren vorbildlich vorgezeigt, wie die Transformation eines schwierigen Baubestandes auf stadtstruktureller, gebäudetypologischer und architektonischer Ebene zu bewerkstelligen ist.

Eines ist sicher: Wenn jetzt 200 Millionen Euro in die Sanierung der Justizanstalt investiert werden, dann ist dieses Thema für Generationen erledigt. Da die Bauarbeiten aber ohnehin frühestens in einem Jahr beginnen sollen, könnte man doch eine jener bewährten Wiener „Nachdenkpausen“ einschieben und überlegen, wie man eine viel überzeugendere Win-win-win-Situation erreichen könnte:

■ Durch die Verlegung der Justizanstalt an einen entwicklungsfähigeren Standort könnte eine in jeder Hinsicht zukunftsweisende architektonische Neuinterpretation dieser herausfordernden Bauaufgabe verwirklicht werden.

■ Aus der düstergrauen Haftanstalt könnte ein funkelnder, in die Stadt ausstrahlender und stadtstrukturell perfekt integrierter Puzzlestein im Cluster der kulturellen und wissenschaftlichen Einrichtungen der Glacis-Zone werden, der besonders dem Raumbedarf der Universität zugutekommen könnte.

■ Durch die allseitige Öffnung des alten festungsartigen Gebäudekomplexes, durch die Wiedergewinnung wohlproportionierter Innenhöfe mit bester Aufenthaltsqualität und im Zusammenspiel mit dem ebenfalls am Außenrand des Glacis liegenden Museumsquartier könnte Wien einen weiteren „jungen“, sozial und funktionell vielschichtigen und durch seine symbolträchtige Verwandlung besonders inspirierenden Anziehungspunkt bekommen. Für die optimale Verkehrsanbindung wäre ja bereits gesorgt.

[ Erich Raith ist Architekt, Stadtplaner, Stadtforscher. Er war bis 2019 Professor am Institut für Städtebau, Landschaftsarchitektur und Entwerfen der TU Wien. ]

Der Standard, Sa., 2021.10.30

24. Januar 2015Erich Raith
Spectrum

Zu viel der Ehre, Andreas Vass!

Sehr geehrter Herr Kollege Vass!

Das ist eindeutig zu viel der Ehre. In ihrer Polemik gegen den „Masterplan Glacis“ wird nur ein Name genannt: meiner.

Sie...

Sehr geehrter Herr Kollege Vass!

Das ist eindeutig zu viel der Ehre. In ihrer Polemik gegen den „Masterplan Glacis“ wird nur ein Name genannt: meiner.

Sie...

Sehr geehrter Herr Kollege Vass!

Das ist eindeutig zu viel der Ehre. In ihrer Polemik gegen den „Masterplan Glacis“ wird nur ein Name genannt: meiner.

Sie beginnen diese Übung mit einem Hinweis auf das „Kooperative ExpertInnenverfahren“ zum Projekt Hotel InterContinental / WEV / Konzerthaus, das 2012 durchgeführt wurde. Ich war damals allerdings „nur“ Mitglied eines mindestens fünfköpfigen Planungsteams, das neben zwei weiteren unterschiedlich großen Planungsteams und begleitet von breit aufgestellten Leitungs-, Beurteilungs- und Beratungsgremien über zukünftige Entwicklungen des Betrachtungsgebiets nachdenken durfte. Sie qualifizieren dieses damals innovative Verfahren als „gescheitert“, obwohl am Ende alle Beteiligten gescheiter waren, als vorher. Sicher hat diese Vorgangsweise nicht zu jenen „Ergebnissen“ geführt, die sich viele Mitwirkende und viele Beobachter erhofft hatten, wobei diese Erwartungen ja extrem unterschiedlich bis gegensätzlich waren. Sollte Ihrer Meinung nach ein solches Verfahren nur erwartbare Wunschresultate hervorbringen dürfen?

Den folgenden internationalen Wettbewerb zum selben Thema lassen Sie in Ihren Betrachtungen weg, obwohl Sie ihn sicher auch als gescheitert qualifizieren. (Vielleicht, weil ich dabei weder als Planer, noch als Juror oder in einer sonstigen Funktion eine Rolle gespielt habe?)

Sie holen mich erst wieder in Zusammenhang mit dem „Masterplan Glacis“ allein vor den Vorhang, so als wäre ich sein Verfasser. Zur Klarstellung: Dieser Masterplan wurde – wie ja klar ausgewiesen ist – nicht von mir, sondern vom Magistrat der Stadt Wien in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Institut für Raumplanung erstellt. In diesen Prozess waren alle maßgeblichen Ebenen der Politik und der Stadtverwaltung, alle zuständigen Fachdienststellen, die betroffenen Bezirke und Interessensvertretungen involviert. In Zusammenhang damit wurden von zwei Universitätsinstituten der Technischen Universität und der Universität für Bodenkultur, von drei themenspezifisch erfahrenen Ziviltechnikerbüros und einem Konsulenten für Kulturmanagement fünf Grundlagenstudien erarbeitet, die ein breites thematisches Spektrum abzudecken hatten (Stadtgeschichte, Planungsgeschichte, Stadtmorphologie, Bebauungstypologie, Transformation, Szenarienentwicklung, Grün- und Freiraumsituation, sozialräumliche Situation, urbanistische Sonderthemen, Abstimmung mit dem aktualisierten Hochhauskonzept der Stadt Wien, Standortoptionen und Institutionen für Kunst, Kultur und Wissenschaft etc.). Die von Ihnen mehrfach in abwertendem Tonfall angesprochenen Entwicklungsszenarien sind durch Kooperation aller Studienautorinnen und -autoren und in enger Abstimmung mit der Planungspolitik und den Fachdienststellen des Magistrats konzipiert worden.

Leider sind diese Grundlagenstudien (noch) nicht publiziert worden. Das mag als Entschuldigung dienen, warum in Ihrem Artikel auch die planungsmethodische Rolle und der narrative Charakter dieser Entwicklungsszenarien verkannt und sie mit konkreten Planungen verwechselt werden. Ich möchte jetzt aus Platzgründen nicht alle von Ihnen angesprochenen Punkte zitieren, aus denen deutlich wird, dass Sie die umfassende Arbeit, die hier in den Bereichen der Recherche und Konzeption interdisziplinär geleistet wurde, nicht kennen.

Dass Sie vor der Formulierung Ihrer Kritik nicht gründlicher recherchiert haben, ist bedauerlich. Ausgesprochen ärgerlich ist aber, dass Sie so unterschwellig wie massiv gegen alle an der Erarbeitung des Masterplans Beteiligten den Vorwurf erheben, hier als willfährige Gehilfen der in Wien aktiven Investoren tätig zu sein. Dieser Vorwurf ist perfid und ich weise ihn hier im Namen aller von Ihnen unter Generalverdacht gestellten Expertinnen und Experten entschieden zurück.

So wie Sie hier ohne ausreichender Kenntnis der Sachverhalte irreführende Aussagen veröffentlichen, unterscheiden Sie sich nicht von dem von Ihnen zitierten Investor (DDr. Michael Tojner), der im ORF behauptet hat, die Technische Universität hätte für sein Projekt (Hotel InterContinental / WEV) eine positive Machbarkeitsstudie erstellt. Auch diese Behauptung war eindeutig falsch. Solche Botschaften, die aus Irrtümern oder aus (bewusst oder unbewusst?) verbreiteten Missverständnissen resultieren, erklären sich wohl im einen wie im anderen Fall nicht aus dem Wunsch nach korrekter Information oder nach konstruktiver Diskussion, hier werden seriös erarbeitete Studien missbraucht, um andere, nämlich die jeweils eigenen, Strategien zu verfolgen.

Ich darf Ihnen versichern: Die Erarbeitung des Masterplans war in jeder Phase von Ambitionen geprägt, den Interessen jener Bürgerinnen und Bürger Wiens gerecht zu werden, die diese Stadt in allen ihren Teilen als vitalen urbanen Lebensraum erhalten und weiter verbessert sehen wollen. Diese Zielvorstellung, die ja durch den einstimmigen Beschluss der Stadtentwicklungskommission über alle Parteigrenzen hinweg eindrucksvoll bekräftigt wurde, schließt zwangsläufig mit ein, dass auch das prominente Zentrum Wiens auf den Weg in die Zukunft mitgenommen werden muss – so, wie es auch in den vergangen Wachstumsphasen zum Wohle der Stadt immer wieder – und oft unter Inkaufnahme radikaler Transformationen – geschehen ist. Oder wollen wir dort nur mehr eine Mischung aus antiurbanem Business District, alteingesessenem Verwaltungsbezirk und touristischem Themenpark haben? Wollen wir nur mehr die städtebaulich-architektonischen Leistungen vergangener Jahrhunderte in einem stagnierenden Freilichtmuseum besichtigen? Wenn nicht, stellt sich die diffizile Frage, mit welchen Methoden und Instrumenten man eine qualitätsorientierte Weiterentwicklung in Gang bringen und angemessen steuern kann. Der Masterplan Glacis ist jedenfalls eine engagierte und zeitgemäße Initiative in diese Richtung! Einen Kaiser, der zur Feder greift und mit Blick auf seine Residenzstadt niederschreibt „Es ist Mein Wille ...“, den gibt es ja nicht mehr – was manche Stadtplaner angesichts ihres komplizierten Berufsalltags vielleicht bedauern mögen. Genau das wäre ein Glück, das ich nicht will.

Sehr geehrter Herr Kollege Vass! Ich möchte Ihnen von Architekt zu Architekt einen Vorschlag machen: Wie wäre es, wenn Sie sich in diesen Angelegenheiten einmal auf die ureigene Rolle unseres Berufsstandes besinnen wollten? Wie wäre es, wenn Sie einmal verdeutlichen würden, dass Sie nicht zu jenen Geistern zählen, die stets verneinen und die in jeder Weiterentwicklung der bestehenden Stadt gleich den Untergang des Abendlandes wittern? Wie wäre es, wenn Sie Ihre kostbare Zeit, Ihr profundes Wissen und Ihre Begabungen einmal in einen konstruktiven, konzeptionellen, entwerferischen Diskussionsbeitrag investieren würden? Statt weitere lange, von Vorurteilen, Hintergedanken und Verdächtigungen befrachtete Texte zu verfassen, könnten Sie doch – mit dem gleichen Zeitaufwand und in einem ersten Schritt – zumindest zwei kleine Planskizzen produzieren und kommentieren, eine Skizze, die erkennen lässt, wie Sie sich den Bereich Ringstraße / Glacis in etwa 50 Jahren wünschen und eine zweite Skizze, die nachvollziehbar macht, wie Sie selbst den Bereich Hotel InterContinental / WEV gestalten würden. Dann hätten wir endlich wirklich „gänzlich andere“ Entwicklungsalternativen ohne „unbrauchbare Formalismen“ und ohne „schwammigen Fachjargon“ auf dem Tisch liegen.

Ich muss Sie aber warnen: In dem Moment, wo Sie die Ebene theoretisierender Polemik verlassen und konkrete, realitätsbezogene Vorschläge zu Papier bringen, werden schlagartig Stimmen laut werden – aus welcher Ecke auch immer – die Ihre Vorschläge zerpflücken und Ihnen unlautere Absichten unterstellen werden.

Aber wem sage ich das! Das wissen Sie doch selbst am besten.

In gespannter Erwartung Ihrer konstruktiven Alternativvorschläge

und mit kollegialen Grüßen,


Erich Raith

Ao.Univ.Prof. Arch. Dipl.-Ing. Dr.techn.

Spectrum, Sa., 2015.01.24

Bauwerke

Presseschau 12

30. Oktober 2021Erich Raith
Der Standard

Stadt statt Knast

Die Justizanstalt Josefstadt ist bald das am besten mit öffentlichem Verkehr erschlossene Gefangenenhaus der Welt. Wohl nicht nur aus städtebaulicher Sicht wird hier eine Chance vertan. Noch wäre Zeit umzudenken.

Die Justizanstalt Josefstadt ist bald das am besten mit öffentlichem Verkehr erschlossene Gefangenenhaus der Welt. Wohl nicht nur aus städtebaulicher Sicht wird hier eine Chance vertan. Noch wäre Zeit umzudenken.

Im STANDARD vom 15. Oktober konnte man einen Bericht über die Sanierungspläne für das Graue Haus lesen. Demnach soll die Justizanstalt Josefstadt bis zum Jahr 2032 und das Landesgericht für Strafsachen in Wien bis 2027 generalsaniert werden, weil die baulich-räumlichen Zustände nicht mehr den gesetzlichen Anforderungen entsprechen und weil bei permanenter Überbelegung Raumnot und hygienische Missstände bestehen. Die dafür vorerst veranschlagten Kosten: 200 Millionen Euro.

Maximal verdichtet

Fest steht, dass die räumlichen Ressourcen des Standorts ausgereizt sind. Erweiterungsoptionen nach außen bestehen im dicht verbauten Stadtquartier nicht. Der Innenbereich des in den 1830er-Jahren jenseits des Glacis errichteten und später mehrfach erweiterten und aufgestockten Gebäudekomplexes wurde bereits ab den 1980er-Jahren mit Zellentrakten maximal nachverdichtet. Zwischen den Zeilen war daher unübersehbar zu lesen, dass die standortbedingte Raumnot der Justizanstalt auch weiterhin problematisch bleiben wird. In Kreisen der Justiz herrscht dennoch berechtigte Freude über die lang ersehnte Finanzierungszusage.

Als Stadtplaner kann man diese Freude nur bedingt teilen. Da überwiegt die Befürchtung, dass gerade eine einmalige Chance vergeben wird, umfassendere und nachhaltigere Verbesserungen zu bewirken.
Neuer Verkehrsknoten

Ebenfalls um sehr viel Steuergeld wird nämlich gerade südlich der Justizanstalt der Verkehrsknoten „Rathaus“ gebaut, an dem sich die U-Bahn-Linien U2 und U5 kreuzen werden. Gleich nördlich der Anstalt wird die U5-Station „Frankhplatz / Altes AKH“ entstehen. Dazu kommen Straßenbahnstationen im unmittelbaren Umfeld sowie der nur etwa 500 Meter entfernte Verkehrsknoten „Schottentor“, an dem insgesamt 13 Linien des öffentlichen Verkehrs zusammenkommen (die U-Bahn-Linie U2, die Straßenbahnlinien D, 1, 37, 38, 40, 41, 42, 43, 44 und 71, die Buslinien 1A und 40A).

Wien wird also eine neue Attraktion bekommen: das am besten mit öffentlichem Verkehr erschlossene Gefangenenhaus der Welt. Wie schade, dass die Insassen der Strafanstalt nicht in der Lage sein werden, diese außergewöhnliche Erschließungsqualität auszunützen. Noch bedauerlicher ist, dass an diesem Standort nicht jener pulsierende Brennpunkt städtischen Lebens aufblühen wird, für den gerade die besten infrastrukturellen Voraussetzungen geschaffen werden.

Mag sein, dass es noch keine Gespräche zwischen der Stadtplanung und den Justizbehörden über Optionen einer Verlegung der Justizanstalt gegeben hat, obwohl diese Idee nicht neu ist: Schon im „Masterplan Glacis“, der 2014 von der Stadtentwicklungskommission einstimmig zur Kenntnis genommen und dann im Wiener Gemeinderat einstimmig beschlossen wurde, steht: „Mit der Rossauer Kaserne, dem Landesgericht für Strafsachen und der Stiftskaserne bestehen im Rand- und Nahbereich des Stadtraums Glacis großflächige Gebäudekomplexe mit isolierten, nicht öffentlich zugänglichen Nutzungen, deren Standorte sich für neue Funktionen aus dem angestrebten Schwerpunktbereich Kunst, Kultur und Wissenschaft gut eignen würden.“
Offener Ort

Im Sinn dieses städtebaulichen Leitbildes wäre demnach zu überprüfen, wie das verschlossene Graue Haus mit angemessenem Aufwand in einen offenen Ort der Kultur und der Wissenschaft verwandelt werden könnte. Es wäre im Wortsinn naheliegend, dabei den steigenden Raumbedarf der Universität Wien zu bedenken. Der Standort liegt ja ideal zwischen dem Uni-Hauptgebäude am Ring, dem Neuen Institutsgebäude an der Universitätsstraße und dem Campus des Alten AKH. Dort wurde bereits in den 1990er-Jahren vorbildlich vorgezeigt, wie die Transformation eines schwierigen Baubestandes auf stadtstruktureller, gebäudetypologischer und architektonischer Ebene zu bewerkstelligen ist.

Eines ist sicher: Wenn jetzt 200 Millionen Euro in die Sanierung der Justizanstalt investiert werden, dann ist dieses Thema für Generationen erledigt. Da die Bauarbeiten aber ohnehin frühestens in einem Jahr beginnen sollen, könnte man doch eine jener bewährten Wiener „Nachdenkpausen“ einschieben und überlegen, wie man eine viel überzeugendere Win-win-win-Situation erreichen könnte:

■ Durch die Verlegung der Justizanstalt an einen entwicklungsfähigeren Standort könnte eine in jeder Hinsicht zukunftsweisende architektonische Neuinterpretation dieser herausfordernden Bauaufgabe verwirklicht werden.

■ Aus der düstergrauen Haftanstalt könnte ein funkelnder, in die Stadt ausstrahlender und stadtstrukturell perfekt integrierter Puzzlestein im Cluster der kulturellen und wissenschaftlichen Einrichtungen der Glacis-Zone werden, der besonders dem Raumbedarf der Universität zugutekommen könnte.

■ Durch die allseitige Öffnung des alten festungsartigen Gebäudekomplexes, durch die Wiedergewinnung wohlproportionierter Innenhöfe mit bester Aufenthaltsqualität und im Zusammenspiel mit dem ebenfalls am Außenrand des Glacis liegenden Museumsquartier könnte Wien einen weiteren „jungen“, sozial und funktionell vielschichtigen und durch seine symbolträchtige Verwandlung besonders inspirierenden Anziehungspunkt bekommen. Für die optimale Verkehrsanbindung wäre ja bereits gesorgt.

[ Erich Raith ist Architekt, Stadtplaner, Stadtforscher. Er war bis 2019 Professor am Institut für Städtebau, Landschaftsarchitektur und Entwerfen der TU Wien. ]

Der Standard, Sa., 2021.10.30

24. Januar 2015Erich Raith
Spectrum

Zu viel der Ehre, Andreas Vass!

Sehr geehrter Herr Kollege Vass!

Das ist eindeutig zu viel der Ehre. In ihrer Polemik gegen den „Masterplan Glacis“ wird nur ein Name genannt: meiner.

Sie...

Sehr geehrter Herr Kollege Vass!

Das ist eindeutig zu viel der Ehre. In ihrer Polemik gegen den „Masterplan Glacis“ wird nur ein Name genannt: meiner.

Sie...

Sehr geehrter Herr Kollege Vass!

Das ist eindeutig zu viel der Ehre. In ihrer Polemik gegen den „Masterplan Glacis“ wird nur ein Name genannt: meiner.

Sie beginnen diese Übung mit einem Hinweis auf das „Kooperative ExpertInnenverfahren“ zum Projekt Hotel InterContinental / WEV / Konzerthaus, das 2012 durchgeführt wurde. Ich war damals allerdings „nur“ Mitglied eines mindestens fünfköpfigen Planungsteams, das neben zwei weiteren unterschiedlich großen Planungsteams und begleitet von breit aufgestellten Leitungs-, Beurteilungs- und Beratungsgremien über zukünftige Entwicklungen des Betrachtungsgebiets nachdenken durfte. Sie qualifizieren dieses damals innovative Verfahren als „gescheitert“, obwohl am Ende alle Beteiligten gescheiter waren, als vorher. Sicher hat diese Vorgangsweise nicht zu jenen „Ergebnissen“ geführt, die sich viele Mitwirkende und viele Beobachter erhofft hatten, wobei diese Erwartungen ja extrem unterschiedlich bis gegensätzlich waren. Sollte Ihrer Meinung nach ein solches Verfahren nur erwartbare Wunschresultate hervorbringen dürfen?

Den folgenden internationalen Wettbewerb zum selben Thema lassen Sie in Ihren Betrachtungen weg, obwohl Sie ihn sicher auch als gescheitert qualifizieren. (Vielleicht, weil ich dabei weder als Planer, noch als Juror oder in einer sonstigen Funktion eine Rolle gespielt habe?)

Sie holen mich erst wieder in Zusammenhang mit dem „Masterplan Glacis“ allein vor den Vorhang, so als wäre ich sein Verfasser. Zur Klarstellung: Dieser Masterplan wurde – wie ja klar ausgewiesen ist – nicht von mir, sondern vom Magistrat der Stadt Wien in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Institut für Raumplanung erstellt. In diesen Prozess waren alle maßgeblichen Ebenen der Politik und der Stadtverwaltung, alle zuständigen Fachdienststellen, die betroffenen Bezirke und Interessensvertretungen involviert. In Zusammenhang damit wurden von zwei Universitätsinstituten der Technischen Universität und der Universität für Bodenkultur, von drei themenspezifisch erfahrenen Ziviltechnikerbüros und einem Konsulenten für Kulturmanagement fünf Grundlagenstudien erarbeitet, die ein breites thematisches Spektrum abzudecken hatten (Stadtgeschichte, Planungsgeschichte, Stadtmorphologie, Bebauungstypologie, Transformation, Szenarienentwicklung, Grün- und Freiraumsituation, sozialräumliche Situation, urbanistische Sonderthemen, Abstimmung mit dem aktualisierten Hochhauskonzept der Stadt Wien, Standortoptionen und Institutionen für Kunst, Kultur und Wissenschaft etc.). Die von Ihnen mehrfach in abwertendem Tonfall angesprochenen Entwicklungsszenarien sind durch Kooperation aller Studienautorinnen und -autoren und in enger Abstimmung mit der Planungspolitik und den Fachdienststellen des Magistrats konzipiert worden.

Leider sind diese Grundlagenstudien (noch) nicht publiziert worden. Das mag als Entschuldigung dienen, warum in Ihrem Artikel auch die planungsmethodische Rolle und der narrative Charakter dieser Entwicklungsszenarien verkannt und sie mit konkreten Planungen verwechselt werden. Ich möchte jetzt aus Platzgründen nicht alle von Ihnen angesprochenen Punkte zitieren, aus denen deutlich wird, dass Sie die umfassende Arbeit, die hier in den Bereichen der Recherche und Konzeption interdisziplinär geleistet wurde, nicht kennen.

Dass Sie vor der Formulierung Ihrer Kritik nicht gründlicher recherchiert haben, ist bedauerlich. Ausgesprochen ärgerlich ist aber, dass Sie so unterschwellig wie massiv gegen alle an der Erarbeitung des Masterplans Beteiligten den Vorwurf erheben, hier als willfährige Gehilfen der in Wien aktiven Investoren tätig zu sein. Dieser Vorwurf ist perfid und ich weise ihn hier im Namen aller von Ihnen unter Generalverdacht gestellten Expertinnen und Experten entschieden zurück.

So wie Sie hier ohne ausreichender Kenntnis der Sachverhalte irreführende Aussagen veröffentlichen, unterscheiden Sie sich nicht von dem von Ihnen zitierten Investor (DDr. Michael Tojner), der im ORF behauptet hat, die Technische Universität hätte für sein Projekt (Hotel InterContinental / WEV) eine positive Machbarkeitsstudie erstellt. Auch diese Behauptung war eindeutig falsch. Solche Botschaften, die aus Irrtümern oder aus (bewusst oder unbewusst?) verbreiteten Missverständnissen resultieren, erklären sich wohl im einen wie im anderen Fall nicht aus dem Wunsch nach korrekter Information oder nach konstruktiver Diskussion, hier werden seriös erarbeitete Studien missbraucht, um andere, nämlich die jeweils eigenen, Strategien zu verfolgen.

Ich darf Ihnen versichern: Die Erarbeitung des Masterplans war in jeder Phase von Ambitionen geprägt, den Interessen jener Bürgerinnen und Bürger Wiens gerecht zu werden, die diese Stadt in allen ihren Teilen als vitalen urbanen Lebensraum erhalten und weiter verbessert sehen wollen. Diese Zielvorstellung, die ja durch den einstimmigen Beschluss der Stadtentwicklungskommission über alle Parteigrenzen hinweg eindrucksvoll bekräftigt wurde, schließt zwangsläufig mit ein, dass auch das prominente Zentrum Wiens auf den Weg in die Zukunft mitgenommen werden muss – so, wie es auch in den vergangen Wachstumsphasen zum Wohle der Stadt immer wieder – und oft unter Inkaufnahme radikaler Transformationen – geschehen ist. Oder wollen wir dort nur mehr eine Mischung aus antiurbanem Business District, alteingesessenem Verwaltungsbezirk und touristischem Themenpark haben? Wollen wir nur mehr die städtebaulich-architektonischen Leistungen vergangener Jahrhunderte in einem stagnierenden Freilichtmuseum besichtigen? Wenn nicht, stellt sich die diffizile Frage, mit welchen Methoden und Instrumenten man eine qualitätsorientierte Weiterentwicklung in Gang bringen und angemessen steuern kann. Der Masterplan Glacis ist jedenfalls eine engagierte und zeitgemäße Initiative in diese Richtung! Einen Kaiser, der zur Feder greift und mit Blick auf seine Residenzstadt niederschreibt „Es ist Mein Wille ...“, den gibt es ja nicht mehr – was manche Stadtplaner angesichts ihres komplizierten Berufsalltags vielleicht bedauern mögen. Genau das wäre ein Glück, das ich nicht will.

Sehr geehrter Herr Kollege Vass! Ich möchte Ihnen von Architekt zu Architekt einen Vorschlag machen: Wie wäre es, wenn Sie sich in diesen Angelegenheiten einmal auf die ureigene Rolle unseres Berufsstandes besinnen wollten? Wie wäre es, wenn Sie einmal verdeutlichen würden, dass Sie nicht zu jenen Geistern zählen, die stets verneinen und die in jeder Weiterentwicklung der bestehenden Stadt gleich den Untergang des Abendlandes wittern? Wie wäre es, wenn Sie Ihre kostbare Zeit, Ihr profundes Wissen und Ihre Begabungen einmal in einen konstruktiven, konzeptionellen, entwerferischen Diskussionsbeitrag investieren würden? Statt weitere lange, von Vorurteilen, Hintergedanken und Verdächtigungen befrachtete Texte zu verfassen, könnten Sie doch – mit dem gleichen Zeitaufwand und in einem ersten Schritt – zumindest zwei kleine Planskizzen produzieren und kommentieren, eine Skizze, die erkennen lässt, wie Sie sich den Bereich Ringstraße / Glacis in etwa 50 Jahren wünschen und eine zweite Skizze, die nachvollziehbar macht, wie Sie selbst den Bereich Hotel InterContinental / WEV gestalten würden. Dann hätten wir endlich wirklich „gänzlich andere“ Entwicklungsalternativen ohne „unbrauchbare Formalismen“ und ohne „schwammigen Fachjargon“ auf dem Tisch liegen.

Ich muss Sie aber warnen: In dem Moment, wo Sie die Ebene theoretisierender Polemik verlassen und konkrete, realitätsbezogene Vorschläge zu Papier bringen, werden schlagartig Stimmen laut werden – aus welcher Ecke auch immer – die Ihre Vorschläge zerpflücken und Ihnen unlautere Absichten unterstellen werden.

Aber wem sage ich das! Das wissen Sie doch selbst am besten.

In gespannter Erwartung Ihrer konstruktiven Alternativvorschläge

und mit kollegialen Grüßen,


Erich Raith

Ao.Univ.Prof. Arch. Dipl.-Ing. Dr.techn.

Spectrum, Sa., 2015.01.24

Profil

1973 – 1982 Architekturstudium an der TU Wien
Seit 1989 freischaffender Architekt in Wien
1985 wurde die Arbeitsgemeinschaft Reinberg / Treberspurg gegründet, der seit 1990 auch Erich Raith angehört, wobei alle drei Architekten aber auch eigenständig Projekte bearbeiten.

Lehrtätigkeit

Seit 1991 Assistent am Institut für Städtebau, Raumplanung und Raumordnung an der TU Wien
Seit 1991 Universitätsassistent am Institut für Städtebau und Raumplanung an der TU Wien
Seit 1993 Lehrbeauftragter für „Stadtmorphologie“ an der TU Wien
1996 Promotion
1999 Habilitation zum Universitätsdozenten für das Fach „Stadt- und Siedlungsmorphologie“
Seit 1999 Vorstand des Instituts für Städtebau und Raumplanung an der TU Wien
2000 Publikation der Habilitationsschrift „Stadtmorphologie. Annäherungen, Umsetzungen, Aussichten“, Verlag Springer Wien / New York

7 | 6 | 5 | 4 | 3 | 2 | 1