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07. August 2020Ira Mazzoni
Bauwelt

Eigennutz statt Denkmalschutz

Das Land NRW plant eine Novelle des Denkmalschutz-Gesetzes, die den Interessen der Eigentümer, der Politik und der Bauwirtschaft mehr nützt als den Denkmalen.

Das Land NRW plant eine Novelle des Denkmalschutz-Gesetzes, die den Interessen der Eigentümer, der Politik und der Bauwirtschaft mehr nützt als den Denkmalen.

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Bauwelt 2020|16 Kultur und Kapital am Main

08. Oktober 2018Ira Mazzoni
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Der Eisberg von Poing

Ein vielflächiger Körper, auch auf den Dachflächen mit schillernd weißer, dreidimensionaler Keramik bekleidet ist, ist das neue, verspielt-strenge Wahrzeichen der Oberbayrischen Gemeinde Poing bei München. Licht, vielfach gebrochen und reflektiert oder milde diffundiert, ist das zentrale Thema des gelungenen Kirchenneubaus, den Andreas Meck und sein Partner Axel Frühauf entworfen haben.

Ein vielflächiger Körper, auch auf den Dachflächen mit schillernd weißer, dreidimensionaler Keramik bekleidet ist, ist das neue, verspielt-strenge Wahrzeichen der Oberbayrischen Gemeinde Poing bei München. Licht, vielfach gebrochen und reflektiert oder milde diffundiert, ist das zentrale Thema des gelungenen Kirchenneubaus, den Andreas Meck und sein Partner Axel Frühauf entworfen haben.

Die neue Ortsmitte von Poing – wenige Kilometer vor der östlichen Stadtgrenze von München gelegen – ist an Belanglosigkeit kaum zu überbieten. ­Alles scheint hier billig: Der dreigeschossige Wohnungsbau, der Supermarkt, der Schnell-Imbiss an der Ecke, das Einkaufscenter am S-Bahnhof. Alles ist beliebig, austauschbar und multiplizierbar.

Typisch Randstadt eben. Planerische Liebe ist bisher nur in den Bergfeldpark geflossen, der alle neuen Baugebiete verbindend, fast bis zur zentralen Durchgangsstraße vorstößt. Fast – denn am südlichen Ufer des Parksees erhebt sich seit Neuestem ein im Sonnenlicht glitzernder, gleißend weißer Eisberg über erdigem Steinsockel: Die neue katholische Pfarrkirche Seliger Pater Rupert Mayer tritt mit ihrem mächtigen, kristallinen Keramik-Überbau in die Ortsmitte, die ohne sie keine wäre, da ihr jeder architektonische Anspruch und damit auch jede Identität fehlte. Es spricht für das Selbst- und Sendungsbewusstsein der Erzdiözese München Freising, dass sie sich beim Neubau für die rasant wachsende ­Gemeinde mit nichts weniger als mit dem Bild einer funkelnden, je nach ­Sonnenstand in die verschiedenen Richtungen blitzenden Stadtkrone in unbeflecktem und unbefleckbarem Weiß zufrieden gab.

Das Münchner Büro Meck Architekten ist vertraut mit den Traditionen des Sakralbaus, insbesondere mit den unterschiedlichen Materialisierungen von Transzendenz im barocken Kirchenbau. Dessen lichtmodulierende, stuckierte Gewölbeschalen inspirierten die Architekten zu dieser zeitgenössischen Interpretation: Himmelstrebend sollte der Bau sein, ein Raum aus Licht war die Vision, ein Raum dem das Kreuz fast unmerklich, aber alles tragend eingeschrieben ist.

Und tatsächlich ruht die ganze polygonale Dachkonstruktion auf kreuzförmig über den quadratischen Unterbau gelegten Stahlträgern. Sie bilden die gemeinsame Unterkante der drei unterschiedlich hoch aufsteigenden Lichträume. Das vierte Raumsegment ist relativ flach gehalten und dem Eingangsbereich zugeordnet. Mit der Ausbildung dreier lichtzustrebender Hochräume nehmen die Architekten Bezug auf die dem christlichen Glauben wesentliche Dreifaltigkeit Gottes. Dabei lenkt die große Dachschräge des höchsten Raums das durch einen weißen Screen diffundierte Zenitlicht aus 30 m Höhe auf den Altar. Das Taufbecken ist nicht nur nahe dem großen Fenster platziert, das den Blick auf den Parksee freigibt, sondern der liturgisch wichtige Ort erhält zusätzlich diffuses Seitenlicht von Osten. Genauso lenkt die oberhalb der Orgelempore ansetzende Dachschräge hohes, durch einen inneren, schräggestellten Screen weich gestreutes, südliches Seitenlicht zur Mitte des Kirchenraums. Der kristalline Kalkputz der hohen Wände und der in Trockenbau ausgeführten inneren Raumschale unterstützt die Lichtstreuung und Lichtführung des kunstvoll gefalteten Kirchenhimmels.

Aus der Geometrie des Lichtraums haben Meck und Frühauf dann die Plastik für das keramische Kleid des Gebäudes entwickelt: eine keramische, dreidimensionale Fliese von 38,7 cm Kantenlänge und einer Höhenentwicklung von bis zu 13 cm. Durch ein ausgeklügeltes Verlegemuster, bei dem die Fliesen unterschiedlich zueinander gedreht werden, sollte ein Maximum an Lichtreflektion und Streuung erreicht werden. Auch galt es jede Assoziation mit profanen 70er Jahre Kaufhaus-Vorhangfassaden zu vermeiden.

Es gestaltete sich gar nicht so einfach, einen Hersteller zu finden, der den Ansprüchen an die komplizierte Form und an eine lebendig-weiße Oberflächenglasur gerecht werden konnte. Immerhin musste der Hersteller in der Lage sein, 15 000 Elemente zur Bekleidung von 1 200 m² Wandfläche und 1 400 m² Dachfläche in einem weitgehend handwerklichen Prozess zu fertigen. Die europaweite Ausschreibung konnte die spezialisierte M&R Manufaktur aus dem Kannebäckerland für sich entscheiden. Die in Schlickerguss in eigens entwickelten Gipsmodeln hergestellten, glatt gebrannten, rund 4 kg schweren Steinzeug-Plastiken wurden mit Fugenabstand unsichtbar mit der Unterkonstruktion aus Stahl verklammert. An den Traufen und Kanten des Bauwerks wurden z. T. an der Oberfläche flache Keramikformteile eingesetzt, für die Dachschrägen mussten individuelle Passstücke gefertigt werden. Diese Kantenausbildung sorgt nochmals für eine besondere Lichtbrechung und Überstrahlung an den Gebäudekanten, wenn das Sonnenlicht darauf fällt.

Die technische Durchbildung der Unterkonstruktion und der Aufhängung wurde von Meck Architekten in Zusammenarbeit mit den Fachingenieuren von Haushofer und dem Ingenieurbüro Schießl Gehlen Sodeikat entwickelt. Dabei musste beachtet werden, dass die gegossenen Formteile in der Wanddicke und im Volumen leicht variieren. Statisch ist das Fassadenkleid aufgrund seines Gewichts eine Herausforderung. Um Bewegungen aufnehmen zu können, ist das ganze Konstrukt »weich«. Die wasserableitende Schicht von Dach und Wand befindet sich hinter bzw. unter der Stahlunterkonstruktion. Dass der irisierende Keramik-Schild der Kirche seine Strahlkraft trotz Wind und Wetter behält, davon ist Andreas Meck überzeugt: Das mit Keramikplatten bekleidete ehemalige Postsparkassenamt von Otto Wagner in Wien habe ja auch 100 Jahre glänzend überstanden.

14,6 Mio. Euro hat der Poinger Kirchenbau gekostet. Auf den Bau eines neuen Pfarrhauses, das dem Platz vor dem Sakralbau eine Fassung gegeben hätte, verzichtete die Kirche schließlich genauso wie auf den für den Platz vorgesehenen Naturstein, jenen für die oberbayerische Schotterebene typischen Nagelfluh, mit dem auch die Außen- und Innenwände des irdischen Teils des Kirchenraums bekleidet wurden. Und so fehlt gerade dem Platz vor der Kirche leider jene Liebe zum sorgfältig gestalteten Raum, die das ganze fernwirksame Projekt trägt. Die Asphaltierung des Platzes entspricht der Beliebigkeit des vorstädtischen Umfelds, aber nicht dem hehren Anspruch des Kirchenbaus eine Mitte zu bilden und Menschen weg von der Straße ins Innere des beeindruckenden Lichtraums zu ziehen. Die größte Wirkung entfaltet der kristalline Solitär ohnehin, wenn man sich ihm von der Parkseite aus nähert. Dort spiegelt sich der Lichtkörper im schilfumstandenen See – eine echte ­Erscheinung.

db, Mo., 2018.10.08



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db 2018|10 Keramik

02. Juli 2018Ira Mazzoni
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Das Sudhaus im Dorf gelassen

Im Rahmen der Bayerischen Städtebauförderung und dank privaten Engagements konnte der historische Ortskern mit Kirche, Wirtshaus und einer ehemaligen Brauerei bewahrt und aufgewertet werden. Der Umbau des Sudhauses zum Hotel beweist, dass sich auch Todeskandidaten wieder zum Leben erwecken lassen – ohne Denkmalschutzförderung und bei wirtschaftlicher Umsetzung.

Im Rahmen der Bayerischen Städtebauförderung und dank privaten Engagements konnte der historische Ortskern mit Kirche, Wirtshaus und einer ehemaligen Brauerei bewahrt und aufgewertet werden. Der Umbau des Sudhauses zum Hotel beweist, dass sich auch Todeskandidaten wieder zum Leben erwecken lassen – ohne Denkmalschutzförderung und bei wirtschaftlicher Umsetzung.

Zählte das Dorf Eilsbrunn nahe Regensburg in den 20er Jahren knapp 300 Einwohner, so leben heute in diesem Sinzinger Gemeindeteil über 1 100 Personen. Wie überall im Einzugsgebiet einer Großstadt staffeln sich Einfami­lienhäuser jedweder Couleur die Hänge hinauf. Aber im Ortskern hat sich Eilsbrunn etwas bewahrt, was es auch in Bayern nicht mehr allzu häufig gibt: ein Ensemble aus Kirche mit Pfarrhof, Pfarrstifthaus sowie Schule einerseits der Straße sowie Wirtshaus mit Biergarten, Festsaalbau, ehemaligen Stallungen und großer Brauerei andererseits. Die schmale Straße, die aus dem Tal der Schwarzen Laber auf die Jura-Höhe emporführt, findet bis heute ihren optischen Abschluss in der hohen Giebelwand des alten Sudhauses. Das denkmalgeschützte Wirtshaus, das seit über 300 Jahren im Besitz der Familie Röhrl traditionsbewusst geführt wird und es deshalb jüngst ins Guinness-Buch der Rekorde schaffte, ist zusammen mit dem Anfang des 20. Jahrhundert angelegten Alpinen Steig zu steil abfallenden Kalkfelsen ein beliebtes Ausflugsziel für die Regensburger.

Heilungsprozess

»Es war nicht schwer, das Dorf zu heilen«, sagt Landschaftsarchitektin Susanne Wamsler, »es war ja noch alles da – ein perfektes Ensemble!« Wenn auch in ­einem erbarmungswürdigen Zustand. Die Sudhaus-Ruine, das leerstehende Pfarrstifthaus und die nur sporadisch als Versammlungsraum genutzte Schule standen abstandslos hart an der geteerten Straße, auf der die Autos vom Berg kommend fast ungebremst durch die Engstelle rasten. Mit Mitteln der Bayerischen Städtebauförderung sollte der historische Dorfkern mit dem Dorfplatz gestalterisch gestärkt werden. Die Gemeinde Sinzing schrieb einen kleinen eingeladenen Wettbewerb aus, den die Regensburger Arbeitsgemeinschaft Köstlbacher Miczka Architektur Urbanistik mit Wamsler Rohloff Wirzmüller FreiraumArchitekten gewannen. Das bewährte Team startete mit einer Bürgerbefragung. »Da bekommt man – anders als bei einer Bürgerbeteiligung – jeden Haushalt«, erklärt Wamsler. »Je früher man die Bürger einbezieht, desto besser.« So erhielt jeder Eilsbrunner einen Satz Fragebögen frei Haus. Die Auswertung der Umfrage ergab ein sehr differenziertes, teil­weise auch widersprüch­liches Meinungsbild. Da war viel Interpretation und Moderation gefragt.

Einig waren sich die Ansässigen, dass der Dorfplatz einen Brunnen braucht und dass die alten Brunnrechte der alten Anwesen erhalten bleiben. Denn ohne die namensgebende Quelle hätte es hier nie einen Amtshof gegeben, der das Reichsstift St. Emmeram mit Bier versorgte.

Über acht Jahre hat der gemeinschaftliche Stadtentwicklungsprozess ge­dauert. Ihm ist es zu verdanken, dass das Dorf tatsächlich geheilt werden konnte und nicht einfach eine vorstädtisch anmutende Gestaltung über­gestülpt bekam. Rund zehn Bürgerversammlungen hat es gegeben. Jeden entscheidenden Gestaltungsvorschlag, wie etwa die Pflasterung von Straße und Platz, haben die Planer für die Bürger bemustern lassen. Durch den einheit­lichen Belag aus frostsicherem Dolomitpflaster (das nur im Fahrbahnbereich dem druckfesteren Granit den Vorrang überlassen muss) stellt sich der Platzcharakter in der Ortsmitte selbstverständlich ein. Er fließt den topografischen und baulichen Bedingungen folgend angenehm unprätentiös durch den Ort, durch Staudensaum und Rasenfugen ländlich aufgelockert.

Das Stifterhäusl aus dem 18. Jahrhundert bauten die Architekten Köstlbacher Miczca so um, dass im EG ein Friseurladen einziehen konnte und im OG eine Wohnung entstand. Für die Einrichtung eines Dorfladens hat es zum Bedauern der Planer zu keinem Zeitpunkt der Diskussion eine Mehrheit gegeben. 2013 konnte die lange umstrittene Sanierung und Umnutzung der alten Schule zum Gemeindehaus in Angriff genommen werden, mit Gemeindegarten im Hof. Letztlich beteiligte sich sogar die Kirche an der Dorferneuerung, widmete den Pfarrhof für die Dauer von 30 Jahren der Öffentlichkeit, sodass die Planer auch diesen Bereich in ihr Gesamtkonzept barrierefrei einbinden konnten.

Doch der gesamte Dorferneuerungsprozess wäre kaum der Rede wert, wenn sich nicht zu guter Letzt Andreas Röhrl getraut hätte, ohne Denkmalförderung, ohne Städtebauförderung das riesige Sudhaus zu erhalten und zum ­Hotel umzubauen. Ohne seinen Mut hätte das Dorf seine Fassung verloren.

Rettung in letzter Minute

Als Andreas Röhrl das Erbe 2008 antrat, war das 1764 errichtete Sudhaus ­Ruine. Die Gemeinde fragte zwar um Teilnahme an der geplanten Dorferneuerung an, konnte finanzielle Unterstützung aber nicht zusagen. Desillusionierend fiel auch der Entwurf von Köstlbacher und Miczka aus: Ihr Statiker gab dem dreigeschossigen Bauwerk keine Chance; die angstbehaftete Kostenschätzung für einen zweigeschossigen Baukörper, der keine Ähnlichkeit mehr mit einer Brauerei hatte, war ein Schock für den jungen Landwirt und Vater, der auch mit dem Erhalt des denkmalgeschützten Gasthofs in der Pflicht steht. Das Sudhaus gilt nicht als schutzwürdig, dem Abriss-Antrag wurde stattgegeben. Zweifel an der Sinnhaftigkeit eines Neubaus aber blieben, zumal das aktuelle Baurecht an dieser Stelle für eine Hotelnutzung ungünstige Bau­linien vorschreibt.

Als die Dorferneuerung schon in vollem Gange war, schaltete sich der besorgte, ortsansässige Kreisheimatpfleger ein und vermittelte den Kontakt zum Architekten Michael Kühnlein. Die Rettung.

Bauen im Bestand

Das Büro Kühnlein Architekten, das ausschließlich im Bestand baut, fand für die totgesagte Brauerei ein robustes, wirtschaftliches Konzept mit einer Bausumme für das Gesamtvorhaben, die einem Neubaupreis gleich kam. Der Charakter des Bauwerks sollte erhalten und nur das Notwendige so einfach und kostengünstig wie möglich neu gebaut werden. Ein statisches Gutachten fundierte die von der Gemeinde bezuschusste Machbarkeitsstudie.

Der substanziell minderwertige Brennereianbau auf der Nordseite wurde niedergelegt und schuf Platz für ein Treppenhaus nebst Aufzugsanlage sowie einen Küchentrakt. Dabei nahm Kühnlein seinen Anbau aus der Fluchtline des Brauereigiebels zurück, sodass er städtebaulich kaum in Erscheinung tritt.

Die 1 m dicken Außenmauern des historischen Kernbaus mussten unterfangen werden. Da sie durch den Einsturz der Holzbalkendecken ihren Halt verloren hatten, wurden sie nach der Beräumung mit Edelstahlzügen rückverankert, neue Stahlbetondecken wurden eingezogen. Die verzinkten Ankerplatten rhythmisieren die Fassaden. Das obere DG entfiel, das erste DG wurde zu einer Volletage ausgebaut. Das neue Dach bekam eine geringere Neigung, sodass die Gesamthöhe des Altbaus gehalten werden konnte.

Das preußische Kappengewölbe über dem zweigeschossigen Sudhaus wurde an die neue Stahlbetondecke rückverankert. Besonders aufwendig war die statische Sicherung der alten Säulenhalle. Offenbar hatten schon die Vorbesitzer dem Tragwerk nicht mehr getraut und einige Eisenstützen und Züge eingebaut. Jede Gewölbestütze erhielt einen neuen Stahlbetonschaft und ein eigenes Fundament. Der Gewölberücken wurde entschuttet und ausbetoniert.

Gelassener Auftritt

Das Hotel Garni überzeugt heute mit einer nach historischem Vorbild klar ­gegliederten Fassade. Weiße Glattputzstreifen markieren die Geschossdecken und Hausecken. Straßenseitig wurden vier Lichtschlitze eingelassen, um den Gewölbesaal in jedem Joch mit Tageslicht zu versorgen. Das schmale Format dieser feststehenden Fenster vermag, das geschlossene Erscheinungsbild der Straßenansicht zu wahren.

Auf der Hofseite wurden die Beton-Anbauten für das Treppenhaus und die Wirtschaftsräume aus Kostengründen mit witterungsbeständig gestrichenen Holzlatten beplankt. Dabei alterniert die Farbpalette bezugnehmend auf die in der Brauerei vorherrschenden Materialien zwischen Messing-, Holz- und Kupfertönen. Dazu gesellt sich noch das Grau der beiden hochrechteckigen Fensterbänder des Treppenhauses. Dagegen bleibt die am Ostgiebel nach feuerpolizeilicher Vorschrift und statischer Vorgabe zwangsweise angestellte, ausladende, an zwei Pfosten montierte, verzinkte Fluchttreppe ein Fremdkörper.

Haus voller Überraschungen

Der Gast betritt das Hotel durch eine hohe Messingtür und steht mitten im ehemaligen Sudhaus: Die gemauerte Feuerung, die geflieste Braupfanne, der Maischbottich, Motorblock, Pumpe, Leitungen und Transmissionen, Treppen und Stege bestimmen den Raum, dessen Boden mit gesäuberten Ziegeln aus dem Abriss gepflastert ist, und lassen die eicherne Rezeption in den Hintergrund treten. Hinter der gläsernen Tür öffnet sich die 163 m² große Gewölbehalle. Der luxuriös großzügige Frühstücksraum ist von den alten, aufpolierten Kalksteinplatten und den getünchten Backstein-Gewölben geprägt. Dass der Raum nicht hallig ist, verdankt er den großen textilen, auf Keilrahmen ge­zogenen und mit Schaumstoff hinterfütterten Schwarzweißfotos an den Wänden, die zeigen, wie es früher auf dem Röhrl-Hof ausgesehen hat.

Der Treppenhausanbau, der die nötige Infrastruktur aus dem historischen Bau fernhält, überzeugt durch seine rohe Qualität. Allen Gewerken – den Maurern wie den Spenglern – musste der Architekt vermitteln, dass alles was sie machen, zu sehen sein wird. Nichts wurde verputzt oder bekleidet.

Die nackten Betonwände und Decken, die nackten Leitungen und Lüftungsrohre entsprechen vollkommen dem Wesen der historischen Produktionsstätte.
Etwas manieriert wirkt es allerdings, dass Bauherr und Architekt in den ­Fluren die Wände der alten Mälzerei so belassen haben wie vorgefunden: Schrundig mit offenen Ziegelplomben. Die in den alten Bräuburschenkammern und im Darrturm eingerichteten Gästezimmer hingegen überzeugen mit ihrem konservierten Lokalkolorit und einer schlichten Eichen-Vollholz-Schreiner-Ausstattung.

Es steht außer Frage, dass das 25-Zimmer-Hotel dem Dorf gut zu Gesicht steht. Das »älteste Gasthaus der Welt«, in dem Hochzeiten und andere Feste gefeiert werden, erhält eine sinnvolle Ergänzung. So mancher Dienstreisende, der in der Welterbestadt Regensburg kein Zimmer mehr buchen kann, entdeckt jetzt Eilsbrunn. Die Orts- und Familientradition wird gewahrt.

db, Mo., 2018.07.02



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db 2018|07-08 Auf dem Land

11. Juni 2012Ira Mazzoni
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Distinktion in Silber

Nein, diese Fassade ist nicht weiß, sondern tatsächlich silbern; auch wenn sich das leider nur schwer auf Papier bannen lässt. Mit diesem changierenden, schuppenartigen Fassadenrelief stellen Hild und K einmal mehr ihren versierten Umgang mit dem viel geschmähten Wärme-Dämm-Verbund-System unter Beweis.

Nein, diese Fassade ist nicht weiß, sondern tatsächlich silbern; auch wenn sich das leider nur schwer auf Papier bannen lässt. Mit diesem changierenden, schuppenartigen Fassadenrelief stellen Hild und K einmal mehr ihren versierten Umgang mit dem viel geschmähten Wärme-Dämm-Verbund-System unter Beweis.

Es ist Spätnachmittag. Der Himmel strahlt blau. Die Sonne sticht. München leuchtet und das neue Eckhaus an der Welfenstraße glitzert, perlt und blendet. Trotz des hohen Reflexionsgrads des Perlmutter-Kleids, das je nach Umgebungsfarbe mal ins Champagnerfarbene mal ins Kupfrig-grüne changiert, fällt das extravagante Relief der Fassade auf. Ein Flachrelief mit feinen Lichtkanten einerseits und entsprechenden Schattenlinien anderseits, das dem Eckhaus mit seinem Turmaufbau eine art déco-Anmutung verleiht. Dabei greifen die Lisenen- und Faschenkaskaden des Büro- und Geschäftshauses Gestaltungsmotive auf, die auch das historistische, mit weiß auf grau stukkierte Wohnhaus auf der gegenüberliegenden Straßenseite aufweist. Eine städtebauliche Familiarität herzustellen ohne sich historisierend anzubiedern gehört zu den Grundanliegen des Architekturbüros Hild und K.

Der sogenannte Regerhof gehört zu dem neuen, von der Bayerischen Hausbau realisierten Quartier der »Welfenhöfe« im fusionierten Stadtteil Au-Haidhausen. Ein wenig vom östlichen Isarhochufer abgerückt, wird das Umfeld von einer der letzten in München verbliebenen Brauereien, Wohnungsbauten der Gründerzeit, farbigen Genossenschaftsanlage der späten 20er Jahre sowie Nachkriegsbebauungen der 60er und 70er Jahre geprägt. Eine Bahntrasse schließt das bis dato von Werkstätten und kleinen Lagerhallen bestimmte Gelände nach Süden ab. Jenseits der Bahntrasse herrscht erst einmal das dichte Baumwipfelgrün des Ostfriedhofs. Das städtebauliche Konzept der Welfenhöfe haben nach Wettbewerb die Münchner 03 Architekten entwickelt. Die gleichfalls qualifizierten Büros von Stefan Forster, Peter Ebner&Friends und Hild und K wurden mit je einem Bauabschnitt der um drei von WGF Landschaft und studio 5 gestalteten Innenhöfe gruppierten Häuser betraut, so dass sich die lebhafte Mischstruktur des Münchner-Viertels fortsetzt.

In diesem Beitrag soll es ausnahmsweise mal nur um die Fassade des mit dem deutschen Gütesiegel für nachhaltiges Bauen in Silber vorzertifzierten Energie-Effizienz-Hauses von Hild und K gehen. Eine Putzfassade, die speziell für das geschmähte Wärme-Dämm-Verbund-System entwickelt wurde. Mit großem Ernst doziert Andreas Hild darüber, dass sich Architekten mit WDV auseinandersetzen müssen, ansonsten würden die Energiesparverordnungen zu dem größten europäischen Städtebauvernichtungsprogramm. Die Welfenhöfe insgesamt lassen sich als architektonisch-künstlerische Fassaden-Entwicklungsstudie unter den Bedingungen von WDVS interpretieren, das den knapp kalkulierten Wohnungsneubau in hochpreisigen innerstädtischen Nachverdichtungsgebieten beherrscht. Jeder der beteiligten Architekten sollte ein eigenes, haustypisches Relief entwickeln und jeder sollte mit einem anderen Silberton arbeiten. So ergeben sich bei der neuen Blockrandbebauung an der Welfenstraße Abstufungen von weiß-gleißenden Silbertönen für die Eckbauten bis hin zu zinnfarbigen Akzentuierungen in der Mitte des Ensembles, von Flachreliefs bis hin zu expressionistischen Front-Faltungen.

Das von Hild und K entwickelte Relief ist so schuppenförmig aufgebaut, dass waagrechte Simse, auf denen Wasser stehen bleiben würde und mit der Zeit das wärmedämmende Material verfaulen ließe, systematisch vermieden werden. Das raffiniert ineinandergreifende System aus positiven und negativen Flächen und Lisenen bedingt, dass das Haus von Geschoss zu Geschoss nach oben immer weiter auskragt. Oder andersherum beschrieben: Die obere Reliefschicht legt sich über die nächst untere Etagen-Schicht. Durch diesen unmerklichen Lagenlook, bekommt der sorgfältig beblechte Dachrand eine schöne, bewegte Linie, die gut mit der Eckstaffelung des Baus harmoniert. Elegant ist auch der Anschluss an den Nachbarblock gelöst: Von oben herab wird die Fassade Geschoss um Geschoss in fünf jeweils pilasterbreite Stufen, jeweils um 3 cm weiter abgetreppt, bis die Wand in gesamter Höhe plan an die Hausflucht anschließen kann. Je mehr man sich in die Logik dieses »hängenden« Fassadenreliefs vertieft, das auch ein Hin und Her der Fensterachsen im Rhythmus der Lisenen führt, desto lieber wird einem dieses ästhetische Spiel mit den Bedingungen von WDVS. Fragt sich nur, wie diese edle Oberfläche altern wird.

db, Mo., 2012.06.11



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db 2012|06 Potenzial Farbe

07. Juni 2010Ira Mazzoni
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Gedanken zum Werk von Hild und K

Kaum ein Büro ist stilistisch derart schwer zu fassen wie Hild und K: Die Erinnerung an Bekanntes schwingt in ihren Entwürfen stets mit, ohne dass man von einer »Zitate-Architektur« sprechen könnte. Unsere Autorin spürt im Gespräch mit Andreas Hild und Dionys Ottl deren akribischer Konzept- und Entwurfsarbeit nach.

Kaum ein Büro ist stilistisch derart schwer zu fassen wie Hild und K: Die Erinnerung an Bekanntes schwingt in ihren Entwürfen stets mit, ohne dass man von einer »Zitate-Architektur« sprechen könnte. Unsere Autorin spürt im Gespräch mit Andreas Hild und Dionys Ottl deren akribischer Konzept- und Entwurfsarbeit nach.

Eine Geschichte über das Duo Andreas Hild und Dionys Ottl, die seit 1999 gemeinsam das Büro Hild und K in München führen, in einem Retro-Heft zu platzieren, folgt der Strategie des feinen Unterschieds. Während unseres Gesprächs in der Lobby ihres jüngst fertiggestellten Hotels Louis am Münchener Viktualienmarkt ist es vor allem Andreas Hild, der skeptisch jede Vokabel prüft, die zur Charakterisierung der Arbeiten versuchsweise von der Autorin angeführt wird. Bloß in keine Schublade gesteckt werden! Da mag der Betrachter und Nutzer der Hild und K-Architekturen von deren stupenden handwerklichen Details beeindruckt sein, aber in handwerkliche Traditionen mag sich das Büro nicht stellen. Bloß keine Werkbund-Sentimentalitäten von guten alten Zeiten der Materialgerechtigkeit. Da mögen die Anklänge an bereits Klassisches durch den ganzen Raum schwingen, aber retrospektiv sind die Entwürfe keinesfalls.

Die Anfänge des Reisens: Spiel mit der Erinnerung

Dieses Hotel hat eine Philosophie: »Auf Reisen daheim« lautet das Motto. Und wie vermittelt man das Vertraute, Bequeme besser als mit solch tiefen einarmigen, in Blattgrün gepolsterten, geradlinigen Sesseln und Sitzbänken, die so auch im frühmodernen Salon einer Wiener Erbtante stehen könnten?

Die Herangehensweise des Büros ließe sich kon-textuell oder kon-piktoral nennen. In jedem Fall gehen Hild und Ottl immer vom konkreten Ort aus. Dabei entwickelt sich das Bild vom neu zu Schaffenden so dialogisch wie ein Gespräch. Wer den beiden Architekten gegenübersitzt, wird in einen Redefluss des Hin und Her, sich Bedingenden und Hinterfragenden, Weitergehenden und Einschränkenden, Ergänzenden und Präzisierenden hineingezogen, der sich unentwirrbar zu einer geistreichen Geschichte verdichtet. Hild und K betreiben Architektur als Kommunikation. Und da sich die beiden Persönlichkeiten, die Auftraggeber, die Aufgabe, die Architektur und der Ort gegenseitig bedingen, gleicht kein Hild und K-Projekt dem anderen. Es gibt kein (historisches) Formenrepertoire, das bei jedweder Gelegenheit durchdekliniert wird, um angeblich bessere Zeiten zu memorieren. Es gibt nur sehr distinguierte Antworten auf meist komplexe, mitunter auch schwierige Fragestellungen. Und nicht selten wirken die Antworten in dem Moment, da sie gegeben sind, ganz selbstverständlich und dadurch vertraut.

So auch im Hotel Louis, das einmal ein Versicherungsgebäude war. Zum Viktualienmarkt hin hatte der vierachsige Stahlbetonskelettbau eine Vorhangfassade aus blaugrünen Fliesen, die die schräg zum neobarocken Kustermannhaus gestellte Front zu einem sehr auffälligen Schlussprospekt des Viktualienmarkts werden ließ und den folgenden niedrigen barocken Terrassenbau in den Schatten stellte. Ein schmaler, rückwärtiger Seitentrakt nebst öffentlicher Passage verbindet das Gebäude mit einem Ärztehaus am höher gelegenen Rindermarkt. Dort flankiert einerseits der in den 50er Jahren errichtete Kustermann-Erweiterungsbau und andererseits das schlichte, barocke Pfarrhaus von St. Peter den Komplex. Als Hild und K das Projekt vom Grundstückseigentümer Kustermann übernahmen, war ein erstes Bauvorhaben bereits gescheitert und der Versicherungsbau stand bis auf die Betonstützen entblößt hinter dem Bauzaun. Es galt sich neu zu orientieren. Da half die typisch münchnerische Nachbarschaft, die trotz aller Nachkriegsbauten altstädtisch wirkt. Formal und inhaltlich wählten die Architekten die Strategie des Einpassens: In jeder europäischen Stadt gäbe es so etwas wie ein »Vereinbarungsgefüge«, erklärt Hild. Zeitgenössisches Bauen müsse sich mit diesem Vereinbarungsgefüge auseinandersetzen, um die Stadt weiter zu stärken. Kapriziöse Originalität und unvermittelte Objekthaftigkeit wären da fehl am Platz.

Im Vereinbarungsgefüge der Münchener Altstadt dominieren sehr schlichte Putzbauten, deren Lochfassaden mit leichten Stuck- oder Farbbändern und -feldern unauffällig individualisiert wurden. Das Thema unscheinbarer Putzreliefs griffen die Architekten gerne auf, genauso wie den Farbklang aus Grau- und Grüntönen. Die Gliederung der Lochfassade des Hotels am Viktualienmarkt ergab sich zwingend aus der Notwendigkeit, in dem Vierachser mit potenziell acht Fenstern fünf Hotelzimmer unterzubringen. Eine Trennmauer bedingt eine Achse aus Blindfenstern, die Hild und K zum vertikalen Flachrelief mit dem Schriftzug »Hotel« verleiteten. Durch diese typografisch ornamentierte Blindachse erhält die breite Front einen schönen Rhythmus von vier zu drei Fenstern. Alle zweiflügligen, zimmerhohen Fenster bekamen eine außergewöhnliche, nur zweiseitige Stuckrahmung in Form eines einfachen Streifens. Die Fensterleibungen sind – ebenfalls nur dreiseitig – von einem Wechsel aus Hohl- und Rundkehlen profiliert. Man hat das Gefühl, dass diese einseitige Rahmung nicht nur mutwillig die historische Tradition bricht, sondern Bezug auf die Passantenströme nimmt. Keiner der, vom Marienplatz kommend, zum Viktualienmarkt schlendert, stellt sich vor das Haus, um es achsensymmetrisch wahrzunehmen. Jeder bemerkt ein Bauwerk en passant, im flachen Winkel. Und in diesem Winkel teilt sich das raffinierte Spiel mit den individualisierenden Schmuckelementen mit. Nicht aufdringlich originell, sondern fast unter der Wahrnehmungsschwelle.

Hild und K kopieren nicht.

Sie imitieren und zitieren nicht. Sie reflektieren die Möglichkeiten tradierter architektonischer Gestaltungsmittel im zeitgenössischen Kontext. Ihre Neuinterpretationen gleichen Variationen über musikalische Themen. Dabei geht es häufig um die leisen Töne. Mit dem Effekt, dass ihre Werke kaum auffallen. So etwa das spätbarocke Handwerkerhaus in der Münchener Brunnstraße. Der Vorbesitzer hatte es ungenehmigt ausgebaut und farblich wie ornamental aufgemotzt. Als das Büro Hild und K vom neuen Eigentümer den Auftrag bekam, das Wohnhaus im Hackenviertel wieder in Ordnung zu bringen, war ihnen klar, dass es aus philosophischen wie bautechnischen Gründen keinen Rückbau in einen vermeintlichen Urzustand geben konnte. Stattdessen boten Hild und Ottl eine integre Neuinterpretation der vom Mittelalter bis heute tradierten, quartierstypischen Fassaden an. Zwei Putzfaschen, die gegeneinander verschwenkt über dem Fenstersturz aus der Fassadenfläche kippen bzw. in diese zurückweichen, modellieren die Fassade, die bis auf den Gehsteig heruntergezogen wurde. So ergibt sich im morgendlichen und abendlichen Streiflicht ein lebendiges Schattenspiel auf der Nordfront und das Haus ist in die Nachbarschaft integriert, ohne die letzte von vielen Überarbeitungen zu leugnen. Mit feinem Understatement vermag das Büro immer wieder zur »Normalität« zurückzukehren und doch für Überraschungen gut zu sein.

Die Unmöglichkeit von Rekonstruktion und Imitation reflektierte Andreas Hild mit seinem ersten Büropartner Tillmann Kaltwasser bereits 1998/99 bei der Sanierung eines Gründerzeitbaus an der Belziger Straße in Berlin, dem im Zuge einer Nachkriegsmodernisierung jeder Bauschmuck genommen worden war. Eigentlich wünschten sich die Eigentümer die Wiederherstellung der Bauornamentik nach dem vorhandenen Eingabeplan, auch um mit der opulent historistischen Nachbarschaft mithalten zu können. Die Münchener Architekten, an Sgrafitto-Scheinarchitekturen gewöhnt, beharrten auf zeitgemäßer Differenz und ließen den vergrößerten Eingabe-Entwurf mit allen entstandenen Verzerrungen in den neuen Putz ritzen und »stanzen«. Bei dieser Art der Repräsentation stellte sich heraus, dass der alte Ornament-Plan nicht aufging, da es offenbar noch während der Realsierung Ende des 19. Jahrhunderts eine Bauänderung gegeben hatte. So bekam das skizzierte Zitat eine ironische Elastizität.

In den letzten Jahren wurden Hild und K immer wieder mit schwierigen Bauaufgaben im Bestand betreut. Da war das Renaissance-Wasserschloss Hohenkammer, das, in den 70er Jahren total verhunzt, als Tagungsstätte der Münchener Rückversicherung neuen Glanz erhalten sollte. Auch hier verbot sich jedes Historisieren. Stattdessen amalgamierten die Architekten Alt und Neu, verhalfen sogar der Betonbalkendecke über dem großen Saal zu beeindruckender Raumwirkung. Mit nur wenigen, einfachen Materialien – Massivholz, Naturstein und Putz – wurden den historischen Räumen

Ruhe und Harmonie geschenkt. Sorgfältig wurde darauf geachtet, dass die neue Haus- und Medientechnik sich im Hinter- bzw. Untergrund hält. Der Versuch freilich, das Renaissance-Thema »Wandmalerei« aufzugreifen, bleibt fragwürdig. Die zaghaften Floraldekore von Martin Schwenk scheinen beliebig und finden keine Verbindung zur Architektur und der sachlich kühlen, in jedem Detail noblen Aufwertung der Raumfolgen.

Heutzutage eher unüblich: Die Integration von Spolien

Für viel Diskussion sorgte zuletzt die Wohnanlage Klostergarten »im Lehel«. Die Franziskaner im St.-Anna-Kloster traten den ehemaligen Refektoriums-Trakt in Erbpacht an die Bayerische Hausbau ab, um die Sanierung und Umstrukturierung ihres Klosters finanzieren zu können. Die neue luxuriöse Wohnanlage im Klosterhof mit der umliegenden Klausur zu vereinbaren, war eine Sache, der Umgang mit der gewachsenen Geschichte des Orts und dem Denkmal eine andere. Die explizit »normale« Wohnanlage, die so oder ähnlich als Hofarchitektur im 19. Jahrhundert und als Stadthaus in der Nachkriegszeit hätte gebaut werden können, bekam ihre Extravaganz durch die neoromanischen, 5 m hohen Steinbögen des ehemaligen Refektoriums. Auseinandermontiert und über die fünf Hausachsen vom Erd- bis zum Obergeschoss versetzt, bedingen die historischen Versatzstücke die Geometrie der neuen Wohnungen mit großer Wohnhalle und anschließenden Split-Level-Räumen. Dieses Spiel mit den Antiquitäten wirkt schon sehr manieriert und kommt mancher historistischen Ausstattungsstrategie seit der Romantik sehr nahe, reflektiert aber auch den Zeitgeist, der durch solch exklusive innerstädtische Wohnanlagen weht und mit einer Buddha-Statue auf einer Loggia seinen unfreiwillig komischen Ausdruck findet. Dem gewachsenen Kloster-Ensemble tun die wiederverwendeten Doppelbögen indes gut. Sie binden die so fremde Welt des Luxus und der Moden an die Traditionen des Orts und des Bettelordens. Ein schlichtes Eisengitter, das zwischen einfachem Lattenzaun und hochherrschaftlichem Spalier changiert, schafft die nötige diskrete räumliche Trennung der Sphären.

So sehr die Auseinandersetzung mit dem Tradierten in der »Welt der Architektur« bei Andreas Hild und Dionys Ottl eine gewichtige Rolle spielt, so wenig führen sie ihre kommunikativen Strategien zu unreflektierten, sentimentalischen, werbestrategisch plakativen Übernahmen historischen Materials. Mit Ironie und Taktgefühl wissen sie den feinen Unterschied zeitgenössisch zu kultivieren.

db, Mo., 2010.06.07



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db 2010|06 Retrospektiv

04. November 2008Ira Mazzoni
db

Bedarf die Architektur narrativer Strategien, um den Orten zu begegnen?

In Weimar führt am Hang gegenüber von Goethes Gartenhaus ein schmaler Pfad zum »Schlangenstein«, der 1787 auf herzoglichen Befehl dem »genius huius loci«...

In Weimar führt am Hang gegenüber von Goethes Gartenhaus ein schmaler Pfad zum »Schlangenstein«, der 1787 auf herzoglichen Befehl dem »genius huius loci«...

In Weimar führt am Hang gegenüber von Goethes Gartenhaus ein schmaler Pfad zum »Schlangenstein«, der 1787 auf herzoglichen Befehl dem »genius huius loci« gewidmet wurde. Die Klassik bemühte an diesem abgeschirmten Gartenplatz ihr historisches Wissen um römische Rundaltäre, die persönlichen oder örtlichen Schutzgeistern geweiht waren. Mit der Denkmalsetzung in der Parkanlage reagierten die Verantwortlichen weniger auf eine (gestaltete) Besonderheit dieser Stelle, sie schufen sie erst und zeichneten sie expressis verbis aus, um damit die empfindsame Reflektion aller nachfolgenden Gartenbesucher in ihrem Sinne zu lenken.

Die Besinnung auf einen Genius loci, den Geist des Ortes, wird in letzter Zeit wieder häufiger in die Architekturdebatten eingebracht. Die Inflation exzentrischer Signature Architecture, die bedenkenlos weltweit plagiiert wird, und der Überdruss an einer allgegenwärtigen Konsens-Modernität fördern die bisweilen verzweifelt wirkende Orientierungssuche. Doch wie das Beispiel aus Weimar zeigt, ist auf den Genius loci kein Verlass. Er ist, wenn man so will, ein literarisches Produkt, das sich aus persönlicher Anschauung, Erinnerung und eigenem sinnlichen Erleben konstruiert. Ein Genius loci ist nie immer schon da, sondern er wird beschworen und bezeichnet, künstlich, künstlerisch und architektonisch.
Die Beschäftigung mit dem Genius loci ist also ein ganz und gar sensibles und unwägbares Thema. Dies stellte auch der aus dem ehemaligen Architekturforum Tirol hervorgegangene Verein »aut. architektur und tirol « fest, als er im Sommer 2007 hundert Architekten bat, ihren persönlichen Genius loci zu fotografieren und zu kommentieren. Einleitend wiesen die Veranstalter darauf hin, dass immer dann vom Genius loci gesprochen werde, wenn ein Ort »auf eine nicht näher zu beschreibende Weise etwas Anziehendes hat, eine besondere Aura, Atmosphäre, Stimmung, die nicht unbedingt mit Schönheit eines Ortes zu tun haben muss; ein Ort mit einem einzigartigen, ihm innewohnenden Charakter – einer besonderen Ausstrahlung«. Mit dem nicht Beschreibbaren, Atmosphärischen kommt das subjektive Empfinden ins Spiel. Lohnt es sich da überhaupt noch, über den Genius loci in Bezug auf Architektur nachzudenken, zu debattieren? Sind die Diskurse, die sich auf den Genius loci beziehen, nicht zu verschieden, um daraus für die Architektur überhaupt Orientierung ableiten zu können? Ist der Genius loci nicht nur eine individuelle Projektion? Oder eine individuelle Relation zu etwas, das irgendwo vor Ort vorhanden sein soll? Andererseits: Wäre nicht ein Bewusstmachen des individuellen, auch intuitiven Verhaltens zu einem selbst erlebten Ort schon ein Gewinn für die Baukultur? Das Bekenntnis zu subjektivem, sinnlichen Erleben und die Umsetzung in ganz persönliche architektonische Erzählungen, die sich nicht in ein Bild fassen lassen, könnte die Formgebung beflügeln.

Aura, Atmosphäre, Charakter, das waren auch Ende der siebziger Jahre die Stichworte, als Christian Norberg-Schulz von Martin Heideggers Aufsatz »Bauen Wohnen Denken« ausgehend eine Phänomenologie des Raumes versuchte und den Genius loci zum neuen Leitstern der Architekten ausrief. Der Genius loci, so postulierte Norberg, gehe »mit der Identität des Ortes einher«. Seitdem wurde viel über sogenannte Identitäten diskutiert. Dem Genius loci war vor allem in regionalen Bauschulen, allen voran der Tessiner, eine gewisse Nachhaltigkeit beschieden. Mit Aldo Rossi blickte die nachfolgende Generation auf die materielle Geschichte der Stätten und nahm Bezug auf kollektive, kulturelle oder individuelle Erinnerungsbilder.

Aber hat nicht gerade der Kritische Regionalismus und in seinem Fahrwasser der unkritische Provinzialismus dem Gerede vom Genius loci ein schnelles Ende bereitet? Ist der Mythos nicht längst zum marktgängigen Produkt verkommen? Wurde und wird nicht gerade mit der »Identität« als letzter Wahrheit jedes noch so unsinnige
Bauvorhaben zwingend begründet?

Landauf, landab werden die Geister des Ortes beschworen. In der Architektur wie in der Denkmalpflege. Der Genius
loci muss herhalten, um historische Bauplätze neu zu belegen. Mit dem Hinweis auf längst Vergessenes werden entweder vermeintliche Reproduktionen oder Analogien gerechtfertigt.

Seit der Konferenz des Internationalen Denkmalrates ICOMOS im japanischen Nara 1994, die versuchte, den kulturellen Differenzen bezüglich des Bewahrenswerten gerecht zu werden, sind auch hierzulande Strömungen erkennbar, »Authentizität« nicht mehr vorrangig mit materiell Tradiertem zu identifizieren. Der scheidende Bayerische Generalkonservator und spätere Präsident von ICOMOS-International, Michael Petzet, führte 1999 in einem Gespräch mit der Autorin aus: »Authentisch ist nicht nur das Material, sondern ebenso der Entwurf und die Form, dann die Technik, die Nutzung, der historische Ort. Und dann gibt es natürlich noch den authentischen Geist. Der authentische Geist, der fasst Aura und Spur des Denkmals zusammen.«

Vor allem die immer breiter werdende Phalanx der Rekonstruierer argumentiert mit einem ominösen Ortsgeist, der über Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte an völlig veränderten Orten überdauere. So mischte sich der ICOMOS-Weltpräsident als Anwalt des Ortsgeistes jüngst ungebührlich in das Wettbewerbsverfahren um die städtebauliche Klärung des Weltkulturerbes Dessau ein, indem er seine Autorität für die Rekonstruktion des Gropius-Meisterhauses einsetzte. Genauso, wie er ein Jahr zuvor en passant mit ein paar gezielt beiläufigen Bemerkungen den Chipperfield-Entwurf für das Entree des Neuen Museums in Berlin torpedierte.

Letztlich geht es bei dieser Art von Geisterbeschwörung nur um Marketingstrategien, das Image einzelner Städte postkartentauglich mit dem Nimbus von Geschichtlichkeit und Permanenz aufzupolieren. Da wird dann auch schon einmal ein störendes, vielstöckiges Schwesternwohnheim aus dem weißen Klassizismustraum herausretuschiert (Frankfurt), der de facto kein patrizisches Umfeld mehr besitzt.

Wenn man sich also auf den Genius loci beruft, tun sich Abgründe divergierender Diskurse auf. Dennoch scheint es kein illegitimes Anliegen, sich den Orten intensiver zu widmen, die durch »Identität, Relation und Geschichte« gekennzeichnet sind, um den weitverbreiteten Nicht-Orten (Marc Audé) genauso zu entgehen wie dem billigen Kitsch.

Auf der Suche nach einem Ansatz, der eine erneute, seriöse Auseinandersetzung mit dem Genius loci rechtfertigt, fielen mir die »Sechs Themen für das nächste Jahrhundert« in die Hand, die der finnische Architekt Juhani Pallasmaa 1994 formulierte. Im Abschnitt vier widmete er sich dem zugegeben schwierigen und vieldeutigen Begriff der Authentizität: »Unabhängig davon, und von dem etwas modischen Klang des Begriffs selbst, möchte ich mich jedoch für die Möglichkeit und Bedeutung der Authentizität in der Architektur stark machen. Authentizität wird oft mit der Vorstellung von künstlerischer Autonomie und Originalität gleichgesetzt.

Ich verstehe unter Authentizität jedoch eher die Eigenschaft des tiefen Verwurzeltseins in den Schichtungen von Kultur. Gefühle und Reaktionen sind in der Welt des Konsums in zunehmendem Maße gesteuert. Wir brauchen daher Werke der Kunst und der Architektur, um die Autonomie der emotionalen Reaktion zu verteidigen. In der Welt des Unauthentischen und der Simulation brauchen wir Inseln der Authentizität, die unsere Reaktionen in autonomer Weise in uns wachsen lassen und es uns ermöglichen, uns mit unseren eigenen Gefühlen zu identifizieren.« Eine solchermaßen verantwortliche, authentische Architektur, die auf einen Ort reagiert und/oder ihn selbst generiert, wäre zweifellos etwas anderes als eine bildliche Entsprechung von etwas bereits Vergangenem und Überlebtem. Noch ein Anliegen Pallasmaas scheint in unseren Kontext zu gehören: die Stille. »Auch große Architektur bewirkt Stille. Das Erfahren eines Gebäudes ist nicht nur eine Frage des Ansehens seiner Räume, Formen und Oberflächen – nein, es ist auch eine Frage des Horchens auf seine charakteristische Stille.«
Wie aber sähe eine zeitgenössische Architektur aus, die sich einem Genius loci verpflichtet fühlt, die Charakter hat, authentisch ist und still? Eine schwierige Frage. Pallasmaa meinte, die Architektur müsse nach dem Lyrischen streben.

Vielleicht reicht es aber, wenn sie statt bildlicher Strategien narrative Verfahren entwickelt, um sinnlich zu fesseln. Wie sähe eine narrative Architektur aus, die nicht geschwätzig ist? Die keinen regionalen Kitsch produziert?

db, Di., 2008.11.04



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Presseschau 12

07. August 2020Ira Mazzoni
Bauwelt

Eigennutz statt Denkmalschutz

Das Land NRW plant eine Novelle des Denkmalschutz-Gesetzes, die den Interessen der Eigentümer, der Politik und der Bauwirtschaft mehr nützt als den Denkmalen.

Das Land NRW plant eine Novelle des Denkmalschutz-Gesetzes, die den Interessen der Eigentümer, der Politik und der Bauwirtschaft mehr nützt als den Denkmalen.

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08. Oktober 2018Ira Mazzoni
db

Der Eisberg von Poing

Ein vielflächiger Körper, auch auf den Dachflächen mit schillernd weißer, dreidimensionaler Keramik bekleidet ist, ist das neue, verspielt-strenge Wahrzeichen der Oberbayrischen Gemeinde Poing bei München. Licht, vielfach gebrochen und reflektiert oder milde diffundiert, ist das zentrale Thema des gelungenen Kirchenneubaus, den Andreas Meck und sein Partner Axel Frühauf entworfen haben.

Ein vielflächiger Körper, auch auf den Dachflächen mit schillernd weißer, dreidimensionaler Keramik bekleidet ist, ist das neue, verspielt-strenge Wahrzeichen der Oberbayrischen Gemeinde Poing bei München. Licht, vielfach gebrochen und reflektiert oder milde diffundiert, ist das zentrale Thema des gelungenen Kirchenneubaus, den Andreas Meck und sein Partner Axel Frühauf entworfen haben.

Die neue Ortsmitte von Poing – wenige Kilometer vor der östlichen Stadtgrenze von München gelegen – ist an Belanglosigkeit kaum zu überbieten. ­Alles scheint hier billig: Der dreigeschossige Wohnungsbau, der Supermarkt, der Schnell-Imbiss an der Ecke, das Einkaufscenter am S-Bahnhof. Alles ist beliebig, austauschbar und multiplizierbar.

Typisch Randstadt eben. Planerische Liebe ist bisher nur in den Bergfeldpark geflossen, der alle neuen Baugebiete verbindend, fast bis zur zentralen Durchgangsstraße vorstößt. Fast – denn am südlichen Ufer des Parksees erhebt sich seit Neuestem ein im Sonnenlicht glitzernder, gleißend weißer Eisberg über erdigem Steinsockel: Die neue katholische Pfarrkirche Seliger Pater Rupert Mayer tritt mit ihrem mächtigen, kristallinen Keramik-Überbau in die Ortsmitte, die ohne sie keine wäre, da ihr jeder architektonische Anspruch und damit auch jede Identität fehlte. Es spricht für das Selbst- und Sendungsbewusstsein der Erzdiözese München Freising, dass sie sich beim Neubau für die rasant wachsende ­Gemeinde mit nichts weniger als mit dem Bild einer funkelnden, je nach ­Sonnenstand in die verschiedenen Richtungen blitzenden Stadtkrone in unbeflecktem und unbefleckbarem Weiß zufrieden gab.

Das Münchner Büro Meck Architekten ist vertraut mit den Traditionen des Sakralbaus, insbesondere mit den unterschiedlichen Materialisierungen von Transzendenz im barocken Kirchenbau. Dessen lichtmodulierende, stuckierte Gewölbeschalen inspirierten die Architekten zu dieser zeitgenössischen Interpretation: Himmelstrebend sollte der Bau sein, ein Raum aus Licht war die Vision, ein Raum dem das Kreuz fast unmerklich, aber alles tragend eingeschrieben ist.

Und tatsächlich ruht die ganze polygonale Dachkonstruktion auf kreuzförmig über den quadratischen Unterbau gelegten Stahlträgern. Sie bilden die gemeinsame Unterkante der drei unterschiedlich hoch aufsteigenden Lichträume. Das vierte Raumsegment ist relativ flach gehalten und dem Eingangsbereich zugeordnet. Mit der Ausbildung dreier lichtzustrebender Hochräume nehmen die Architekten Bezug auf die dem christlichen Glauben wesentliche Dreifaltigkeit Gottes. Dabei lenkt die große Dachschräge des höchsten Raums das durch einen weißen Screen diffundierte Zenitlicht aus 30 m Höhe auf den Altar. Das Taufbecken ist nicht nur nahe dem großen Fenster platziert, das den Blick auf den Parksee freigibt, sondern der liturgisch wichtige Ort erhält zusätzlich diffuses Seitenlicht von Osten. Genauso lenkt die oberhalb der Orgelempore ansetzende Dachschräge hohes, durch einen inneren, schräggestellten Screen weich gestreutes, südliches Seitenlicht zur Mitte des Kirchenraums. Der kristalline Kalkputz der hohen Wände und der in Trockenbau ausgeführten inneren Raumschale unterstützt die Lichtstreuung und Lichtführung des kunstvoll gefalteten Kirchenhimmels.

Aus der Geometrie des Lichtraums haben Meck und Frühauf dann die Plastik für das keramische Kleid des Gebäudes entwickelt: eine keramische, dreidimensionale Fliese von 38,7 cm Kantenlänge und einer Höhenentwicklung von bis zu 13 cm. Durch ein ausgeklügeltes Verlegemuster, bei dem die Fliesen unterschiedlich zueinander gedreht werden, sollte ein Maximum an Lichtreflektion und Streuung erreicht werden. Auch galt es jede Assoziation mit profanen 70er Jahre Kaufhaus-Vorhangfassaden zu vermeiden.

Es gestaltete sich gar nicht so einfach, einen Hersteller zu finden, der den Ansprüchen an die komplizierte Form und an eine lebendig-weiße Oberflächenglasur gerecht werden konnte. Immerhin musste der Hersteller in der Lage sein, 15 000 Elemente zur Bekleidung von 1 200 m² Wandfläche und 1 400 m² Dachfläche in einem weitgehend handwerklichen Prozess zu fertigen. Die europaweite Ausschreibung konnte die spezialisierte M&R Manufaktur aus dem Kannebäckerland für sich entscheiden. Die in Schlickerguss in eigens entwickelten Gipsmodeln hergestellten, glatt gebrannten, rund 4 kg schweren Steinzeug-Plastiken wurden mit Fugenabstand unsichtbar mit der Unterkonstruktion aus Stahl verklammert. An den Traufen und Kanten des Bauwerks wurden z. T. an der Oberfläche flache Keramikformteile eingesetzt, für die Dachschrägen mussten individuelle Passstücke gefertigt werden. Diese Kantenausbildung sorgt nochmals für eine besondere Lichtbrechung und Überstrahlung an den Gebäudekanten, wenn das Sonnenlicht darauf fällt.

Die technische Durchbildung der Unterkonstruktion und der Aufhängung wurde von Meck Architekten in Zusammenarbeit mit den Fachingenieuren von Haushofer und dem Ingenieurbüro Schießl Gehlen Sodeikat entwickelt. Dabei musste beachtet werden, dass die gegossenen Formteile in der Wanddicke und im Volumen leicht variieren. Statisch ist das Fassadenkleid aufgrund seines Gewichts eine Herausforderung. Um Bewegungen aufnehmen zu können, ist das ganze Konstrukt »weich«. Die wasserableitende Schicht von Dach und Wand befindet sich hinter bzw. unter der Stahlunterkonstruktion. Dass der irisierende Keramik-Schild der Kirche seine Strahlkraft trotz Wind und Wetter behält, davon ist Andreas Meck überzeugt: Das mit Keramikplatten bekleidete ehemalige Postsparkassenamt von Otto Wagner in Wien habe ja auch 100 Jahre glänzend überstanden.

14,6 Mio. Euro hat der Poinger Kirchenbau gekostet. Auf den Bau eines neuen Pfarrhauses, das dem Platz vor dem Sakralbau eine Fassung gegeben hätte, verzichtete die Kirche schließlich genauso wie auf den für den Platz vorgesehenen Naturstein, jenen für die oberbayerische Schotterebene typischen Nagelfluh, mit dem auch die Außen- und Innenwände des irdischen Teils des Kirchenraums bekleidet wurden. Und so fehlt gerade dem Platz vor der Kirche leider jene Liebe zum sorgfältig gestalteten Raum, die das ganze fernwirksame Projekt trägt. Die Asphaltierung des Platzes entspricht der Beliebigkeit des vorstädtischen Umfelds, aber nicht dem hehren Anspruch des Kirchenbaus eine Mitte zu bilden und Menschen weg von der Straße ins Innere des beeindruckenden Lichtraums zu ziehen. Die größte Wirkung entfaltet der kristalline Solitär ohnehin, wenn man sich ihm von der Parkseite aus nähert. Dort spiegelt sich der Lichtkörper im schilfumstandenen See – eine echte ­Erscheinung.

db, Mo., 2018.10.08



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db 2018|10 Keramik

02. Juli 2018Ira Mazzoni
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Das Sudhaus im Dorf gelassen

Im Rahmen der Bayerischen Städtebauförderung und dank privaten Engagements konnte der historische Ortskern mit Kirche, Wirtshaus und einer ehemaligen Brauerei bewahrt und aufgewertet werden. Der Umbau des Sudhauses zum Hotel beweist, dass sich auch Todeskandidaten wieder zum Leben erwecken lassen – ohne Denkmalschutzförderung und bei wirtschaftlicher Umsetzung.

Im Rahmen der Bayerischen Städtebauförderung und dank privaten Engagements konnte der historische Ortskern mit Kirche, Wirtshaus und einer ehemaligen Brauerei bewahrt und aufgewertet werden. Der Umbau des Sudhauses zum Hotel beweist, dass sich auch Todeskandidaten wieder zum Leben erwecken lassen – ohne Denkmalschutzförderung und bei wirtschaftlicher Umsetzung.

Zählte das Dorf Eilsbrunn nahe Regensburg in den 20er Jahren knapp 300 Einwohner, so leben heute in diesem Sinzinger Gemeindeteil über 1 100 Personen. Wie überall im Einzugsgebiet einer Großstadt staffeln sich Einfami­lienhäuser jedweder Couleur die Hänge hinauf. Aber im Ortskern hat sich Eilsbrunn etwas bewahrt, was es auch in Bayern nicht mehr allzu häufig gibt: ein Ensemble aus Kirche mit Pfarrhof, Pfarrstifthaus sowie Schule einerseits der Straße sowie Wirtshaus mit Biergarten, Festsaalbau, ehemaligen Stallungen und großer Brauerei andererseits. Die schmale Straße, die aus dem Tal der Schwarzen Laber auf die Jura-Höhe emporführt, findet bis heute ihren optischen Abschluss in der hohen Giebelwand des alten Sudhauses. Das denkmalgeschützte Wirtshaus, das seit über 300 Jahren im Besitz der Familie Röhrl traditionsbewusst geführt wird und es deshalb jüngst ins Guinness-Buch der Rekorde schaffte, ist zusammen mit dem Anfang des 20. Jahrhundert angelegten Alpinen Steig zu steil abfallenden Kalkfelsen ein beliebtes Ausflugsziel für die Regensburger.

Heilungsprozess

»Es war nicht schwer, das Dorf zu heilen«, sagt Landschaftsarchitektin Susanne Wamsler, »es war ja noch alles da – ein perfektes Ensemble!« Wenn auch in ­einem erbarmungswürdigen Zustand. Die Sudhaus-Ruine, das leerstehende Pfarrstifthaus und die nur sporadisch als Versammlungsraum genutzte Schule standen abstandslos hart an der geteerten Straße, auf der die Autos vom Berg kommend fast ungebremst durch die Engstelle rasten. Mit Mitteln der Bayerischen Städtebauförderung sollte der historische Dorfkern mit dem Dorfplatz gestalterisch gestärkt werden. Die Gemeinde Sinzing schrieb einen kleinen eingeladenen Wettbewerb aus, den die Regensburger Arbeitsgemeinschaft Köstlbacher Miczka Architektur Urbanistik mit Wamsler Rohloff Wirzmüller FreiraumArchitekten gewannen. Das bewährte Team startete mit einer Bürgerbefragung. »Da bekommt man – anders als bei einer Bürgerbeteiligung – jeden Haushalt«, erklärt Wamsler. »Je früher man die Bürger einbezieht, desto besser.« So erhielt jeder Eilsbrunner einen Satz Fragebögen frei Haus. Die Auswertung der Umfrage ergab ein sehr differenziertes, teil­weise auch widersprüch­liches Meinungsbild. Da war viel Interpretation und Moderation gefragt.

Einig waren sich die Ansässigen, dass der Dorfplatz einen Brunnen braucht und dass die alten Brunnrechte der alten Anwesen erhalten bleiben. Denn ohne die namensgebende Quelle hätte es hier nie einen Amtshof gegeben, der das Reichsstift St. Emmeram mit Bier versorgte.

Über acht Jahre hat der gemeinschaftliche Stadtentwicklungsprozess ge­dauert. Ihm ist es zu verdanken, dass das Dorf tatsächlich geheilt werden konnte und nicht einfach eine vorstädtisch anmutende Gestaltung über­gestülpt bekam. Rund zehn Bürgerversammlungen hat es gegeben. Jeden entscheidenden Gestaltungsvorschlag, wie etwa die Pflasterung von Straße und Platz, haben die Planer für die Bürger bemustern lassen. Durch den einheit­lichen Belag aus frostsicherem Dolomitpflaster (das nur im Fahrbahnbereich dem druckfesteren Granit den Vorrang überlassen muss) stellt sich der Platzcharakter in der Ortsmitte selbstverständlich ein. Er fließt den topografischen und baulichen Bedingungen folgend angenehm unprätentiös durch den Ort, durch Staudensaum und Rasenfugen ländlich aufgelockert.

Das Stifterhäusl aus dem 18. Jahrhundert bauten die Architekten Köstlbacher Miczca so um, dass im EG ein Friseurladen einziehen konnte und im OG eine Wohnung entstand. Für die Einrichtung eines Dorfladens hat es zum Bedauern der Planer zu keinem Zeitpunkt der Diskussion eine Mehrheit gegeben. 2013 konnte die lange umstrittene Sanierung und Umnutzung der alten Schule zum Gemeindehaus in Angriff genommen werden, mit Gemeindegarten im Hof. Letztlich beteiligte sich sogar die Kirche an der Dorferneuerung, widmete den Pfarrhof für die Dauer von 30 Jahren der Öffentlichkeit, sodass die Planer auch diesen Bereich in ihr Gesamtkonzept barrierefrei einbinden konnten.

Doch der gesamte Dorferneuerungsprozess wäre kaum der Rede wert, wenn sich nicht zu guter Letzt Andreas Röhrl getraut hätte, ohne Denkmalförderung, ohne Städtebauförderung das riesige Sudhaus zu erhalten und zum ­Hotel umzubauen. Ohne seinen Mut hätte das Dorf seine Fassung verloren.

Rettung in letzter Minute

Als Andreas Röhrl das Erbe 2008 antrat, war das 1764 errichtete Sudhaus ­Ruine. Die Gemeinde fragte zwar um Teilnahme an der geplanten Dorferneuerung an, konnte finanzielle Unterstützung aber nicht zusagen. Desillusionierend fiel auch der Entwurf von Köstlbacher und Miczka aus: Ihr Statiker gab dem dreigeschossigen Bauwerk keine Chance; die angstbehaftete Kostenschätzung für einen zweigeschossigen Baukörper, der keine Ähnlichkeit mehr mit einer Brauerei hatte, war ein Schock für den jungen Landwirt und Vater, der auch mit dem Erhalt des denkmalgeschützten Gasthofs in der Pflicht steht. Das Sudhaus gilt nicht als schutzwürdig, dem Abriss-Antrag wurde stattgegeben. Zweifel an der Sinnhaftigkeit eines Neubaus aber blieben, zumal das aktuelle Baurecht an dieser Stelle für eine Hotelnutzung ungünstige Bau­linien vorschreibt.

Als die Dorferneuerung schon in vollem Gange war, schaltete sich der besorgte, ortsansässige Kreisheimatpfleger ein und vermittelte den Kontakt zum Architekten Michael Kühnlein. Die Rettung.

Bauen im Bestand

Das Büro Kühnlein Architekten, das ausschließlich im Bestand baut, fand für die totgesagte Brauerei ein robustes, wirtschaftliches Konzept mit einer Bausumme für das Gesamtvorhaben, die einem Neubaupreis gleich kam. Der Charakter des Bauwerks sollte erhalten und nur das Notwendige so einfach und kostengünstig wie möglich neu gebaut werden. Ein statisches Gutachten fundierte die von der Gemeinde bezuschusste Machbarkeitsstudie.

Der substanziell minderwertige Brennereianbau auf der Nordseite wurde niedergelegt und schuf Platz für ein Treppenhaus nebst Aufzugsanlage sowie einen Küchentrakt. Dabei nahm Kühnlein seinen Anbau aus der Fluchtline des Brauereigiebels zurück, sodass er städtebaulich kaum in Erscheinung tritt.

Die 1 m dicken Außenmauern des historischen Kernbaus mussten unterfangen werden. Da sie durch den Einsturz der Holzbalkendecken ihren Halt verloren hatten, wurden sie nach der Beräumung mit Edelstahlzügen rückverankert, neue Stahlbetondecken wurden eingezogen. Die verzinkten Ankerplatten rhythmisieren die Fassaden. Das obere DG entfiel, das erste DG wurde zu einer Volletage ausgebaut. Das neue Dach bekam eine geringere Neigung, sodass die Gesamthöhe des Altbaus gehalten werden konnte.

Das preußische Kappengewölbe über dem zweigeschossigen Sudhaus wurde an die neue Stahlbetondecke rückverankert. Besonders aufwendig war die statische Sicherung der alten Säulenhalle. Offenbar hatten schon die Vorbesitzer dem Tragwerk nicht mehr getraut und einige Eisenstützen und Züge eingebaut. Jede Gewölbestütze erhielt einen neuen Stahlbetonschaft und ein eigenes Fundament. Der Gewölberücken wurde entschuttet und ausbetoniert.

Gelassener Auftritt

Das Hotel Garni überzeugt heute mit einer nach historischem Vorbild klar ­gegliederten Fassade. Weiße Glattputzstreifen markieren die Geschossdecken und Hausecken. Straßenseitig wurden vier Lichtschlitze eingelassen, um den Gewölbesaal in jedem Joch mit Tageslicht zu versorgen. Das schmale Format dieser feststehenden Fenster vermag, das geschlossene Erscheinungsbild der Straßenansicht zu wahren.

Auf der Hofseite wurden die Beton-Anbauten für das Treppenhaus und die Wirtschaftsräume aus Kostengründen mit witterungsbeständig gestrichenen Holzlatten beplankt. Dabei alterniert die Farbpalette bezugnehmend auf die in der Brauerei vorherrschenden Materialien zwischen Messing-, Holz- und Kupfertönen. Dazu gesellt sich noch das Grau der beiden hochrechteckigen Fensterbänder des Treppenhauses. Dagegen bleibt die am Ostgiebel nach feuerpolizeilicher Vorschrift und statischer Vorgabe zwangsweise angestellte, ausladende, an zwei Pfosten montierte, verzinkte Fluchttreppe ein Fremdkörper.

Haus voller Überraschungen

Der Gast betritt das Hotel durch eine hohe Messingtür und steht mitten im ehemaligen Sudhaus: Die gemauerte Feuerung, die geflieste Braupfanne, der Maischbottich, Motorblock, Pumpe, Leitungen und Transmissionen, Treppen und Stege bestimmen den Raum, dessen Boden mit gesäuberten Ziegeln aus dem Abriss gepflastert ist, und lassen die eicherne Rezeption in den Hintergrund treten. Hinter der gläsernen Tür öffnet sich die 163 m² große Gewölbehalle. Der luxuriös großzügige Frühstücksraum ist von den alten, aufpolierten Kalksteinplatten und den getünchten Backstein-Gewölben geprägt. Dass der Raum nicht hallig ist, verdankt er den großen textilen, auf Keilrahmen ge­zogenen und mit Schaumstoff hinterfütterten Schwarzweißfotos an den Wänden, die zeigen, wie es früher auf dem Röhrl-Hof ausgesehen hat.

Der Treppenhausanbau, der die nötige Infrastruktur aus dem historischen Bau fernhält, überzeugt durch seine rohe Qualität. Allen Gewerken – den Maurern wie den Spenglern – musste der Architekt vermitteln, dass alles was sie machen, zu sehen sein wird. Nichts wurde verputzt oder bekleidet.

Die nackten Betonwände und Decken, die nackten Leitungen und Lüftungsrohre entsprechen vollkommen dem Wesen der historischen Produktionsstätte.
Etwas manieriert wirkt es allerdings, dass Bauherr und Architekt in den ­Fluren die Wände der alten Mälzerei so belassen haben wie vorgefunden: Schrundig mit offenen Ziegelplomben. Die in den alten Bräuburschenkammern und im Darrturm eingerichteten Gästezimmer hingegen überzeugen mit ihrem konservierten Lokalkolorit und einer schlichten Eichen-Vollholz-Schreiner-Ausstattung.

Es steht außer Frage, dass das 25-Zimmer-Hotel dem Dorf gut zu Gesicht steht. Das »älteste Gasthaus der Welt«, in dem Hochzeiten und andere Feste gefeiert werden, erhält eine sinnvolle Ergänzung. So mancher Dienstreisende, der in der Welterbestadt Regensburg kein Zimmer mehr buchen kann, entdeckt jetzt Eilsbrunn. Die Orts- und Familientradition wird gewahrt.

db, Mo., 2018.07.02



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11. Juni 2012Ira Mazzoni
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Distinktion in Silber

Nein, diese Fassade ist nicht weiß, sondern tatsächlich silbern; auch wenn sich das leider nur schwer auf Papier bannen lässt. Mit diesem changierenden, schuppenartigen Fassadenrelief stellen Hild und K einmal mehr ihren versierten Umgang mit dem viel geschmähten Wärme-Dämm-Verbund-System unter Beweis.

Nein, diese Fassade ist nicht weiß, sondern tatsächlich silbern; auch wenn sich das leider nur schwer auf Papier bannen lässt. Mit diesem changierenden, schuppenartigen Fassadenrelief stellen Hild und K einmal mehr ihren versierten Umgang mit dem viel geschmähten Wärme-Dämm-Verbund-System unter Beweis.

Es ist Spätnachmittag. Der Himmel strahlt blau. Die Sonne sticht. München leuchtet und das neue Eckhaus an der Welfenstraße glitzert, perlt und blendet. Trotz des hohen Reflexionsgrads des Perlmutter-Kleids, das je nach Umgebungsfarbe mal ins Champagnerfarbene mal ins Kupfrig-grüne changiert, fällt das extravagante Relief der Fassade auf. Ein Flachrelief mit feinen Lichtkanten einerseits und entsprechenden Schattenlinien anderseits, das dem Eckhaus mit seinem Turmaufbau eine art déco-Anmutung verleiht. Dabei greifen die Lisenen- und Faschenkaskaden des Büro- und Geschäftshauses Gestaltungsmotive auf, die auch das historistische, mit weiß auf grau stukkierte Wohnhaus auf der gegenüberliegenden Straßenseite aufweist. Eine städtebauliche Familiarität herzustellen ohne sich historisierend anzubiedern gehört zu den Grundanliegen des Architekturbüros Hild und K.

Der sogenannte Regerhof gehört zu dem neuen, von der Bayerischen Hausbau realisierten Quartier der »Welfenhöfe« im fusionierten Stadtteil Au-Haidhausen. Ein wenig vom östlichen Isarhochufer abgerückt, wird das Umfeld von einer der letzten in München verbliebenen Brauereien, Wohnungsbauten der Gründerzeit, farbigen Genossenschaftsanlage der späten 20er Jahre sowie Nachkriegsbebauungen der 60er und 70er Jahre geprägt. Eine Bahntrasse schließt das bis dato von Werkstätten und kleinen Lagerhallen bestimmte Gelände nach Süden ab. Jenseits der Bahntrasse herrscht erst einmal das dichte Baumwipfelgrün des Ostfriedhofs. Das städtebauliche Konzept der Welfenhöfe haben nach Wettbewerb die Münchner 03 Architekten entwickelt. Die gleichfalls qualifizierten Büros von Stefan Forster, Peter Ebner&Friends und Hild und K wurden mit je einem Bauabschnitt der um drei von WGF Landschaft und studio 5 gestalteten Innenhöfe gruppierten Häuser betraut, so dass sich die lebhafte Mischstruktur des Münchner-Viertels fortsetzt.

In diesem Beitrag soll es ausnahmsweise mal nur um die Fassade des mit dem deutschen Gütesiegel für nachhaltiges Bauen in Silber vorzertifzierten Energie-Effizienz-Hauses von Hild und K gehen. Eine Putzfassade, die speziell für das geschmähte Wärme-Dämm-Verbund-System entwickelt wurde. Mit großem Ernst doziert Andreas Hild darüber, dass sich Architekten mit WDV auseinandersetzen müssen, ansonsten würden die Energiesparverordnungen zu dem größten europäischen Städtebauvernichtungsprogramm. Die Welfenhöfe insgesamt lassen sich als architektonisch-künstlerische Fassaden-Entwicklungsstudie unter den Bedingungen von WDVS interpretieren, das den knapp kalkulierten Wohnungsneubau in hochpreisigen innerstädtischen Nachverdichtungsgebieten beherrscht. Jeder der beteiligten Architekten sollte ein eigenes, haustypisches Relief entwickeln und jeder sollte mit einem anderen Silberton arbeiten. So ergeben sich bei der neuen Blockrandbebauung an der Welfenstraße Abstufungen von weiß-gleißenden Silbertönen für die Eckbauten bis hin zu zinnfarbigen Akzentuierungen in der Mitte des Ensembles, von Flachreliefs bis hin zu expressionistischen Front-Faltungen.

Das von Hild und K entwickelte Relief ist so schuppenförmig aufgebaut, dass waagrechte Simse, auf denen Wasser stehen bleiben würde und mit der Zeit das wärmedämmende Material verfaulen ließe, systematisch vermieden werden. Das raffiniert ineinandergreifende System aus positiven und negativen Flächen und Lisenen bedingt, dass das Haus von Geschoss zu Geschoss nach oben immer weiter auskragt. Oder andersherum beschrieben: Die obere Reliefschicht legt sich über die nächst untere Etagen-Schicht. Durch diesen unmerklichen Lagenlook, bekommt der sorgfältig beblechte Dachrand eine schöne, bewegte Linie, die gut mit der Eckstaffelung des Baus harmoniert. Elegant ist auch der Anschluss an den Nachbarblock gelöst: Von oben herab wird die Fassade Geschoss um Geschoss in fünf jeweils pilasterbreite Stufen, jeweils um 3 cm weiter abgetreppt, bis die Wand in gesamter Höhe plan an die Hausflucht anschließen kann. Je mehr man sich in die Logik dieses »hängenden« Fassadenreliefs vertieft, das auch ein Hin und Her der Fensterachsen im Rhythmus der Lisenen führt, desto lieber wird einem dieses ästhetische Spiel mit den Bedingungen von WDVS. Fragt sich nur, wie diese edle Oberfläche altern wird.

db, Mo., 2012.06.11



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db 2012|06 Potenzial Farbe

07. Juni 2010Ira Mazzoni
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Gedanken zum Werk von Hild und K

Kaum ein Büro ist stilistisch derart schwer zu fassen wie Hild und K: Die Erinnerung an Bekanntes schwingt in ihren Entwürfen stets mit, ohne dass man von einer »Zitate-Architektur« sprechen könnte. Unsere Autorin spürt im Gespräch mit Andreas Hild und Dionys Ottl deren akribischer Konzept- und Entwurfsarbeit nach.

Kaum ein Büro ist stilistisch derart schwer zu fassen wie Hild und K: Die Erinnerung an Bekanntes schwingt in ihren Entwürfen stets mit, ohne dass man von einer »Zitate-Architektur« sprechen könnte. Unsere Autorin spürt im Gespräch mit Andreas Hild und Dionys Ottl deren akribischer Konzept- und Entwurfsarbeit nach.

Eine Geschichte über das Duo Andreas Hild und Dionys Ottl, die seit 1999 gemeinsam das Büro Hild und K in München führen, in einem Retro-Heft zu platzieren, folgt der Strategie des feinen Unterschieds. Während unseres Gesprächs in der Lobby ihres jüngst fertiggestellten Hotels Louis am Münchener Viktualienmarkt ist es vor allem Andreas Hild, der skeptisch jede Vokabel prüft, die zur Charakterisierung der Arbeiten versuchsweise von der Autorin angeführt wird. Bloß in keine Schublade gesteckt werden! Da mag der Betrachter und Nutzer der Hild und K-Architekturen von deren stupenden handwerklichen Details beeindruckt sein, aber in handwerkliche Traditionen mag sich das Büro nicht stellen. Bloß keine Werkbund-Sentimentalitäten von guten alten Zeiten der Materialgerechtigkeit. Da mögen die Anklänge an bereits Klassisches durch den ganzen Raum schwingen, aber retrospektiv sind die Entwürfe keinesfalls.

Die Anfänge des Reisens: Spiel mit der Erinnerung

Dieses Hotel hat eine Philosophie: »Auf Reisen daheim« lautet das Motto. Und wie vermittelt man das Vertraute, Bequeme besser als mit solch tiefen einarmigen, in Blattgrün gepolsterten, geradlinigen Sesseln und Sitzbänken, die so auch im frühmodernen Salon einer Wiener Erbtante stehen könnten?

Die Herangehensweise des Büros ließe sich kon-textuell oder kon-piktoral nennen. In jedem Fall gehen Hild und Ottl immer vom konkreten Ort aus. Dabei entwickelt sich das Bild vom neu zu Schaffenden so dialogisch wie ein Gespräch. Wer den beiden Architekten gegenübersitzt, wird in einen Redefluss des Hin und Her, sich Bedingenden und Hinterfragenden, Weitergehenden und Einschränkenden, Ergänzenden und Präzisierenden hineingezogen, der sich unentwirrbar zu einer geistreichen Geschichte verdichtet. Hild und K betreiben Architektur als Kommunikation. Und da sich die beiden Persönlichkeiten, die Auftraggeber, die Aufgabe, die Architektur und der Ort gegenseitig bedingen, gleicht kein Hild und K-Projekt dem anderen. Es gibt kein (historisches) Formenrepertoire, das bei jedweder Gelegenheit durchdekliniert wird, um angeblich bessere Zeiten zu memorieren. Es gibt nur sehr distinguierte Antworten auf meist komplexe, mitunter auch schwierige Fragestellungen. Und nicht selten wirken die Antworten in dem Moment, da sie gegeben sind, ganz selbstverständlich und dadurch vertraut.

So auch im Hotel Louis, das einmal ein Versicherungsgebäude war. Zum Viktualienmarkt hin hatte der vierachsige Stahlbetonskelettbau eine Vorhangfassade aus blaugrünen Fliesen, die die schräg zum neobarocken Kustermannhaus gestellte Front zu einem sehr auffälligen Schlussprospekt des Viktualienmarkts werden ließ und den folgenden niedrigen barocken Terrassenbau in den Schatten stellte. Ein schmaler, rückwärtiger Seitentrakt nebst öffentlicher Passage verbindet das Gebäude mit einem Ärztehaus am höher gelegenen Rindermarkt. Dort flankiert einerseits der in den 50er Jahren errichtete Kustermann-Erweiterungsbau und andererseits das schlichte, barocke Pfarrhaus von St. Peter den Komplex. Als Hild und K das Projekt vom Grundstückseigentümer Kustermann übernahmen, war ein erstes Bauvorhaben bereits gescheitert und der Versicherungsbau stand bis auf die Betonstützen entblößt hinter dem Bauzaun. Es galt sich neu zu orientieren. Da half die typisch münchnerische Nachbarschaft, die trotz aller Nachkriegsbauten altstädtisch wirkt. Formal und inhaltlich wählten die Architekten die Strategie des Einpassens: In jeder europäischen Stadt gäbe es so etwas wie ein »Vereinbarungsgefüge«, erklärt Hild. Zeitgenössisches Bauen müsse sich mit diesem Vereinbarungsgefüge auseinandersetzen, um die Stadt weiter zu stärken. Kapriziöse Originalität und unvermittelte Objekthaftigkeit wären da fehl am Platz.

Im Vereinbarungsgefüge der Münchener Altstadt dominieren sehr schlichte Putzbauten, deren Lochfassaden mit leichten Stuck- oder Farbbändern und -feldern unauffällig individualisiert wurden. Das Thema unscheinbarer Putzreliefs griffen die Architekten gerne auf, genauso wie den Farbklang aus Grau- und Grüntönen. Die Gliederung der Lochfassade des Hotels am Viktualienmarkt ergab sich zwingend aus der Notwendigkeit, in dem Vierachser mit potenziell acht Fenstern fünf Hotelzimmer unterzubringen. Eine Trennmauer bedingt eine Achse aus Blindfenstern, die Hild und K zum vertikalen Flachrelief mit dem Schriftzug »Hotel« verleiteten. Durch diese typografisch ornamentierte Blindachse erhält die breite Front einen schönen Rhythmus von vier zu drei Fenstern. Alle zweiflügligen, zimmerhohen Fenster bekamen eine außergewöhnliche, nur zweiseitige Stuckrahmung in Form eines einfachen Streifens. Die Fensterleibungen sind – ebenfalls nur dreiseitig – von einem Wechsel aus Hohl- und Rundkehlen profiliert. Man hat das Gefühl, dass diese einseitige Rahmung nicht nur mutwillig die historische Tradition bricht, sondern Bezug auf die Passantenströme nimmt. Keiner der, vom Marienplatz kommend, zum Viktualienmarkt schlendert, stellt sich vor das Haus, um es achsensymmetrisch wahrzunehmen. Jeder bemerkt ein Bauwerk en passant, im flachen Winkel. Und in diesem Winkel teilt sich das raffinierte Spiel mit den individualisierenden Schmuckelementen mit. Nicht aufdringlich originell, sondern fast unter der Wahrnehmungsschwelle.

Hild und K kopieren nicht.

Sie imitieren und zitieren nicht. Sie reflektieren die Möglichkeiten tradierter architektonischer Gestaltungsmittel im zeitgenössischen Kontext. Ihre Neuinterpretationen gleichen Variationen über musikalische Themen. Dabei geht es häufig um die leisen Töne. Mit dem Effekt, dass ihre Werke kaum auffallen. So etwa das spätbarocke Handwerkerhaus in der Münchener Brunnstraße. Der Vorbesitzer hatte es ungenehmigt ausgebaut und farblich wie ornamental aufgemotzt. Als das Büro Hild und K vom neuen Eigentümer den Auftrag bekam, das Wohnhaus im Hackenviertel wieder in Ordnung zu bringen, war ihnen klar, dass es aus philosophischen wie bautechnischen Gründen keinen Rückbau in einen vermeintlichen Urzustand geben konnte. Stattdessen boten Hild und Ottl eine integre Neuinterpretation der vom Mittelalter bis heute tradierten, quartierstypischen Fassaden an. Zwei Putzfaschen, die gegeneinander verschwenkt über dem Fenstersturz aus der Fassadenfläche kippen bzw. in diese zurückweichen, modellieren die Fassade, die bis auf den Gehsteig heruntergezogen wurde. So ergibt sich im morgendlichen und abendlichen Streiflicht ein lebendiges Schattenspiel auf der Nordfront und das Haus ist in die Nachbarschaft integriert, ohne die letzte von vielen Überarbeitungen zu leugnen. Mit feinem Understatement vermag das Büro immer wieder zur »Normalität« zurückzukehren und doch für Überraschungen gut zu sein.

Die Unmöglichkeit von Rekonstruktion und Imitation reflektierte Andreas Hild mit seinem ersten Büropartner Tillmann Kaltwasser bereits 1998/99 bei der Sanierung eines Gründerzeitbaus an der Belziger Straße in Berlin, dem im Zuge einer Nachkriegsmodernisierung jeder Bauschmuck genommen worden war. Eigentlich wünschten sich die Eigentümer die Wiederherstellung der Bauornamentik nach dem vorhandenen Eingabeplan, auch um mit der opulent historistischen Nachbarschaft mithalten zu können. Die Münchener Architekten, an Sgrafitto-Scheinarchitekturen gewöhnt, beharrten auf zeitgemäßer Differenz und ließen den vergrößerten Eingabe-Entwurf mit allen entstandenen Verzerrungen in den neuen Putz ritzen und »stanzen«. Bei dieser Art der Repräsentation stellte sich heraus, dass der alte Ornament-Plan nicht aufging, da es offenbar noch während der Realsierung Ende des 19. Jahrhunderts eine Bauänderung gegeben hatte. So bekam das skizzierte Zitat eine ironische Elastizität.

In den letzten Jahren wurden Hild und K immer wieder mit schwierigen Bauaufgaben im Bestand betreut. Da war das Renaissance-Wasserschloss Hohenkammer, das, in den 70er Jahren total verhunzt, als Tagungsstätte der Münchener Rückversicherung neuen Glanz erhalten sollte. Auch hier verbot sich jedes Historisieren. Stattdessen amalgamierten die Architekten Alt und Neu, verhalfen sogar der Betonbalkendecke über dem großen Saal zu beeindruckender Raumwirkung. Mit nur wenigen, einfachen Materialien – Massivholz, Naturstein und Putz – wurden den historischen Räumen

Ruhe und Harmonie geschenkt. Sorgfältig wurde darauf geachtet, dass die neue Haus- und Medientechnik sich im Hinter- bzw. Untergrund hält. Der Versuch freilich, das Renaissance-Thema »Wandmalerei« aufzugreifen, bleibt fragwürdig. Die zaghaften Floraldekore von Martin Schwenk scheinen beliebig und finden keine Verbindung zur Architektur und der sachlich kühlen, in jedem Detail noblen Aufwertung der Raumfolgen.

Heutzutage eher unüblich: Die Integration von Spolien

Für viel Diskussion sorgte zuletzt die Wohnanlage Klostergarten »im Lehel«. Die Franziskaner im St.-Anna-Kloster traten den ehemaligen Refektoriums-Trakt in Erbpacht an die Bayerische Hausbau ab, um die Sanierung und Umstrukturierung ihres Klosters finanzieren zu können. Die neue luxuriöse Wohnanlage im Klosterhof mit der umliegenden Klausur zu vereinbaren, war eine Sache, der Umgang mit der gewachsenen Geschichte des Orts und dem Denkmal eine andere. Die explizit »normale« Wohnanlage, die so oder ähnlich als Hofarchitektur im 19. Jahrhundert und als Stadthaus in der Nachkriegszeit hätte gebaut werden können, bekam ihre Extravaganz durch die neoromanischen, 5 m hohen Steinbögen des ehemaligen Refektoriums. Auseinandermontiert und über die fünf Hausachsen vom Erd- bis zum Obergeschoss versetzt, bedingen die historischen Versatzstücke die Geometrie der neuen Wohnungen mit großer Wohnhalle und anschließenden Split-Level-Räumen. Dieses Spiel mit den Antiquitäten wirkt schon sehr manieriert und kommt mancher historistischen Ausstattungsstrategie seit der Romantik sehr nahe, reflektiert aber auch den Zeitgeist, der durch solch exklusive innerstädtische Wohnanlagen weht und mit einer Buddha-Statue auf einer Loggia seinen unfreiwillig komischen Ausdruck findet. Dem gewachsenen Kloster-Ensemble tun die wiederverwendeten Doppelbögen indes gut. Sie binden die so fremde Welt des Luxus und der Moden an die Traditionen des Orts und des Bettelordens. Ein schlichtes Eisengitter, das zwischen einfachem Lattenzaun und hochherrschaftlichem Spalier changiert, schafft die nötige diskrete räumliche Trennung der Sphären.

So sehr die Auseinandersetzung mit dem Tradierten in der »Welt der Architektur« bei Andreas Hild und Dionys Ottl eine gewichtige Rolle spielt, so wenig führen sie ihre kommunikativen Strategien zu unreflektierten, sentimentalischen, werbestrategisch plakativen Übernahmen historischen Materials. Mit Ironie und Taktgefühl wissen sie den feinen Unterschied zeitgenössisch zu kultivieren.

db, Mo., 2010.06.07



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db 2010|06 Retrospektiv

04. November 2008Ira Mazzoni
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Bedarf die Architektur narrativer Strategien, um den Orten zu begegnen?

In Weimar führt am Hang gegenüber von Goethes Gartenhaus ein schmaler Pfad zum »Schlangenstein«, der 1787 auf herzoglichen Befehl dem »genius huius loci«...

In Weimar führt am Hang gegenüber von Goethes Gartenhaus ein schmaler Pfad zum »Schlangenstein«, der 1787 auf herzoglichen Befehl dem »genius huius loci«...

In Weimar führt am Hang gegenüber von Goethes Gartenhaus ein schmaler Pfad zum »Schlangenstein«, der 1787 auf herzoglichen Befehl dem »genius huius loci« gewidmet wurde. Die Klassik bemühte an diesem abgeschirmten Gartenplatz ihr historisches Wissen um römische Rundaltäre, die persönlichen oder örtlichen Schutzgeistern geweiht waren. Mit der Denkmalsetzung in der Parkanlage reagierten die Verantwortlichen weniger auf eine (gestaltete) Besonderheit dieser Stelle, sie schufen sie erst und zeichneten sie expressis verbis aus, um damit die empfindsame Reflektion aller nachfolgenden Gartenbesucher in ihrem Sinne zu lenken.

Die Besinnung auf einen Genius loci, den Geist des Ortes, wird in letzter Zeit wieder häufiger in die Architekturdebatten eingebracht. Die Inflation exzentrischer Signature Architecture, die bedenkenlos weltweit plagiiert wird, und der Überdruss an einer allgegenwärtigen Konsens-Modernität fördern die bisweilen verzweifelt wirkende Orientierungssuche. Doch wie das Beispiel aus Weimar zeigt, ist auf den Genius loci kein Verlass. Er ist, wenn man so will, ein literarisches Produkt, das sich aus persönlicher Anschauung, Erinnerung und eigenem sinnlichen Erleben konstruiert. Ein Genius loci ist nie immer schon da, sondern er wird beschworen und bezeichnet, künstlich, künstlerisch und architektonisch.
Die Beschäftigung mit dem Genius loci ist also ein ganz und gar sensibles und unwägbares Thema. Dies stellte auch der aus dem ehemaligen Architekturforum Tirol hervorgegangene Verein »aut. architektur und tirol « fest, als er im Sommer 2007 hundert Architekten bat, ihren persönlichen Genius loci zu fotografieren und zu kommentieren. Einleitend wiesen die Veranstalter darauf hin, dass immer dann vom Genius loci gesprochen werde, wenn ein Ort »auf eine nicht näher zu beschreibende Weise etwas Anziehendes hat, eine besondere Aura, Atmosphäre, Stimmung, die nicht unbedingt mit Schönheit eines Ortes zu tun haben muss; ein Ort mit einem einzigartigen, ihm innewohnenden Charakter – einer besonderen Ausstrahlung«. Mit dem nicht Beschreibbaren, Atmosphärischen kommt das subjektive Empfinden ins Spiel. Lohnt es sich da überhaupt noch, über den Genius loci in Bezug auf Architektur nachzudenken, zu debattieren? Sind die Diskurse, die sich auf den Genius loci beziehen, nicht zu verschieden, um daraus für die Architektur überhaupt Orientierung ableiten zu können? Ist der Genius loci nicht nur eine individuelle Projektion? Oder eine individuelle Relation zu etwas, das irgendwo vor Ort vorhanden sein soll? Andererseits: Wäre nicht ein Bewusstmachen des individuellen, auch intuitiven Verhaltens zu einem selbst erlebten Ort schon ein Gewinn für die Baukultur? Das Bekenntnis zu subjektivem, sinnlichen Erleben und die Umsetzung in ganz persönliche architektonische Erzählungen, die sich nicht in ein Bild fassen lassen, könnte die Formgebung beflügeln.

Aura, Atmosphäre, Charakter, das waren auch Ende der siebziger Jahre die Stichworte, als Christian Norberg-Schulz von Martin Heideggers Aufsatz »Bauen Wohnen Denken« ausgehend eine Phänomenologie des Raumes versuchte und den Genius loci zum neuen Leitstern der Architekten ausrief. Der Genius loci, so postulierte Norberg, gehe »mit der Identität des Ortes einher«. Seitdem wurde viel über sogenannte Identitäten diskutiert. Dem Genius loci war vor allem in regionalen Bauschulen, allen voran der Tessiner, eine gewisse Nachhaltigkeit beschieden. Mit Aldo Rossi blickte die nachfolgende Generation auf die materielle Geschichte der Stätten und nahm Bezug auf kollektive, kulturelle oder individuelle Erinnerungsbilder.

Aber hat nicht gerade der Kritische Regionalismus und in seinem Fahrwasser der unkritische Provinzialismus dem Gerede vom Genius loci ein schnelles Ende bereitet? Ist der Mythos nicht längst zum marktgängigen Produkt verkommen? Wurde und wird nicht gerade mit der »Identität« als letzter Wahrheit jedes noch so unsinnige
Bauvorhaben zwingend begründet?

Landauf, landab werden die Geister des Ortes beschworen. In der Architektur wie in der Denkmalpflege. Der Genius
loci muss herhalten, um historische Bauplätze neu zu belegen. Mit dem Hinweis auf längst Vergessenes werden entweder vermeintliche Reproduktionen oder Analogien gerechtfertigt.

Seit der Konferenz des Internationalen Denkmalrates ICOMOS im japanischen Nara 1994, die versuchte, den kulturellen Differenzen bezüglich des Bewahrenswerten gerecht zu werden, sind auch hierzulande Strömungen erkennbar, »Authentizität« nicht mehr vorrangig mit materiell Tradiertem zu identifizieren. Der scheidende Bayerische Generalkonservator und spätere Präsident von ICOMOS-International, Michael Petzet, führte 1999 in einem Gespräch mit der Autorin aus: »Authentisch ist nicht nur das Material, sondern ebenso der Entwurf und die Form, dann die Technik, die Nutzung, der historische Ort. Und dann gibt es natürlich noch den authentischen Geist. Der authentische Geist, der fasst Aura und Spur des Denkmals zusammen.«

Vor allem die immer breiter werdende Phalanx der Rekonstruierer argumentiert mit einem ominösen Ortsgeist, der über Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte an völlig veränderten Orten überdauere. So mischte sich der ICOMOS-Weltpräsident als Anwalt des Ortsgeistes jüngst ungebührlich in das Wettbewerbsverfahren um die städtebauliche Klärung des Weltkulturerbes Dessau ein, indem er seine Autorität für die Rekonstruktion des Gropius-Meisterhauses einsetzte. Genauso, wie er ein Jahr zuvor en passant mit ein paar gezielt beiläufigen Bemerkungen den Chipperfield-Entwurf für das Entree des Neuen Museums in Berlin torpedierte.

Letztlich geht es bei dieser Art von Geisterbeschwörung nur um Marketingstrategien, das Image einzelner Städte postkartentauglich mit dem Nimbus von Geschichtlichkeit und Permanenz aufzupolieren. Da wird dann auch schon einmal ein störendes, vielstöckiges Schwesternwohnheim aus dem weißen Klassizismustraum herausretuschiert (Frankfurt), der de facto kein patrizisches Umfeld mehr besitzt.

Wenn man sich also auf den Genius loci beruft, tun sich Abgründe divergierender Diskurse auf. Dennoch scheint es kein illegitimes Anliegen, sich den Orten intensiver zu widmen, die durch »Identität, Relation und Geschichte« gekennzeichnet sind, um den weitverbreiteten Nicht-Orten (Marc Audé) genauso zu entgehen wie dem billigen Kitsch.

Auf der Suche nach einem Ansatz, der eine erneute, seriöse Auseinandersetzung mit dem Genius loci rechtfertigt, fielen mir die »Sechs Themen für das nächste Jahrhundert« in die Hand, die der finnische Architekt Juhani Pallasmaa 1994 formulierte. Im Abschnitt vier widmete er sich dem zugegeben schwierigen und vieldeutigen Begriff der Authentizität: »Unabhängig davon, und von dem etwas modischen Klang des Begriffs selbst, möchte ich mich jedoch für die Möglichkeit und Bedeutung der Authentizität in der Architektur stark machen. Authentizität wird oft mit der Vorstellung von künstlerischer Autonomie und Originalität gleichgesetzt.

Ich verstehe unter Authentizität jedoch eher die Eigenschaft des tiefen Verwurzeltseins in den Schichtungen von Kultur. Gefühle und Reaktionen sind in der Welt des Konsums in zunehmendem Maße gesteuert. Wir brauchen daher Werke der Kunst und der Architektur, um die Autonomie der emotionalen Reaktion zu verteidigen. In der Welt des Unauthentischen und der Simulation brauchen wir Inseln der Authentizität, die unsere Reaktionen in autonomer Weise in uns wachsen lassen und es uns ermöglichen, uns mit unseren eigenen Gefühlen zu identifizieren.« Eine solchermaßen verantwortliche, authentische Architektur, die auf einen Ort reagiert und/oder ihn selbst generiert, wäre zweifellos etwas anderes als eine bildliche Entsprechung von etwas bereits Vergangenem und Überlebtem. Noch ein Anliegen Pallasmaas scheint in unseren Kontext zu gehören: die Stille. »Auch große Architektur bewirkt Stille. Das Erfahren eines Gebäudes ist nicht nur eine Frage des Ansehens seiner Räume, Formen und Oberflächen – nein, es ist auch eine Frage des Horchens auf seine charakteristische Stille.«
Wie aber sähe eine zeitgenössische Architektur aus, die sich einem Genius loci verpflichtet fühlt, die Charakter hat, authentisch ist und still? Eine schwierige Frage. Pallasmaa meinte, die Architektur müsse nach dem Lyrischen streben.

Vielleicht reicht es aber, wenn sie statt bildlicher Strategien narrative Verfahren entwickelt, um sinnlich zu fesseln. Wie sähe eine narrative Architektur aus, die nicht geschwätzig ist? Die keinen regionalen Kitsch produziert?

db, Di., 2008.11.04



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