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Bodenwellen

Das Rolex Learning Center (RLC) in Lausanne besticht durch sein ungewöhnliches architektonisches Konzept. Das japanische Ingenieurbüro Sasaki and Partners aus Tokio entwickelte das Tragwerkskonzept dafür. Auf einem massiven, mit scheinbarer Leichtigkeit geschwungenen Betonboden steht die Dachkonstruktion aus Stahl und Holz. Vier verschiedene Schweizer Bauingenieurbüros verfeinerten dieses Konzept, berechneten die Tragkonstruktion und setzten sie in die Realität um.

Das Rolex Learning Center (RLC) in Lausanne besticht durch sein ungewöhnliches architektonisches Konzept. Das japanische Ingenieurbüro Sasaki and Partners aus Tokio entwickelte das Tragwerkskonzept dafür. Auf einem massiven, mit scheinbarer Leichtigkeit geschwungenen Betonboden steht die Dachkonstruktion aus Stahl und Holz. Vier verschiedene Schweizer Bauingenieurbüros verfeinerten dieses Konzept, berechneten die Tragkonstruktion und setzten sie in die Realität um.

Die architektonische Landschaft des RLC ist durch seine wellenförmige Gestaltung geprägt (vgl. «Nouvelle Vague», S. 18). Sie ist im Grundriss rechteckig mit Abmessungen von 121.5 m × 166.5 m und weist im Wesentlichen zwei organisch geschwungene Bereiche auf mit dazwischen liegenden flachen Zonen. Wo die Landschaft sich mit luftunterströmten Wellen vom Untergrund löst, überspannt das Tragwerk 85 m (grosse Schale) bzw. 40 m (kleine Schale). Das Gebäude ist mit Patios durchsetzt, die eine natürliche Belichtung und Belüftung ermöglichen. Unter dem Regelgeschoss ist eine eingeschossige Tiefgarage angeordnet, die zusätzlich Raum für Bibliothek, Haustechnik, Archive und sonstige Nebenräume bietet.

Massive Betonschale mit Bodenwellen

Das japanische Ingenieurbüro Sasaki und Partners (SAPS) sah für das Tragwerkskonzept dieser Landschaft einen massiven Betonboden vor, der von einer Leichtbaukonstruktion aus Stahl und Holz in gleichbleibendem Abstand überdacht wird. Der Betonboden wurde dort, wo er sich vom Untergrund abhebt, als Schale ausgebildet. Da anders als bei üblichen Schalenkonstruktionen diese nicht als Dach, sondern als Boden der Nutzfläche dient, wurden an ihre Geometrie besondere Anforderungen gestellt, die es im Rahmen der Formfindung zu berücksichtigen galt. Diese zusätzlichen Anforderungen, die sich aus der Nutzung und den architektonischen Gesichtspunkten ergaben, verlangten unter anderem die Einhaltung von begrenzten Steigungen, was wiederum geringe Stichmasse bei den Schalen hervorrief. Im Rahmen der Entwurfsplanung wurde für die flachen Schalen ein statisches System aus Bögen ausgebildet, die einen Grossteil der Lasten zu den Widerlagern abtragen. Diese wurden in ihrer Geometrie optimiert und weisen ein relativ hohes Krümmungsverhältnis auf, sodass die Membrantragwirkung überwiegt. Die zwischen diesen Krümmungen aufgespannten Plattenbereiche sind dagegen relativ flach, sodass hier hohe Biegebeanspruchungen auftreten.

Im Detail lässt sich die Geometrie der Betonschalen wie folgt beschreiben: Die kleine Schale mit einer Bauteildicke von 40 cm weist ein verhältnismässig grosses Stich- zu Spannweiten- Verhältnis 1/10 auf (h = 4 m, l = 40 m). Drei Patios schneiden in diese Schalenkonstruktion ein, sodass dazwischen vier lastabtragende Bögen (Abb. 3, A1 bis A4) ausgebildet sind. Die grosse Schale mit einer Spannweite bis zu 85 m und einem maximalen Stichmass von 4.85 m hat dagegen ein entsprechend kleineres Stich- zu Spannweiten-Verhältnis, etwa 1/17.5. Die Lage der Patios in dieser grossen Schale ermöglichte die Ausbildung von sieben lastabtragenden Bögen (Abb. 3, A5 bis A9), deren Bauteilhöhe 80 cm beträgt. In den dazwischen liegenden Schalenbereichen konnte zur Reduktion des Eigengewichts die Stärke auf 60 cm reduziert werden. Unter der grossen Schale wurden drei vertikale lastabtragende Elemente angeordnet, um die Stabilität zu gewährleisten: erstens ein Aufzugskern, der aufgrund der Nutzeranforderungen ohnehin erforderlich war; zweitens eine Wand, die im westlichen Bereich des südlichen Bogens angeordnet ist, sodass dieser mit einer Gegenkrümmung in den flachen Deckenbereich auslaufen kann; und drittens eine Stütze, die den diagonal verlaufenden Bogen nördlich des grössten Patios stabilisiert.

Den massgeblichen Anteil der Belastung der Betonschalen bilden die ständigen Lasten, die sich aus dem Eigengewicht und den ständigen Lasten inklusive des Eigengewichts des Stahldaches zu 22.5 kN/m² für die grosse Schale und zu 15 kN/m² für die kleine Schale ergeben. Die veränderliche Last spielt mit 5 kN/m² nur eine untergeordnete Rolle. Die Bodenschale ist auf ihrer Oberseite gedämmt. Der Beton liegt also im Aussenbereich und ist damit Temperaturschwankungen ausgesetzt, die im Rahmen der Nachweise auch zu berücksichtigen waren. Überdacht wird das Gebäude mit einem Stahl-Holz-Dach, das parallel zur Betonschale verläuft und auf Stützen liegt, die im Raster von 9 × 9 m angeordnet sind.

Verformungen

Neben dem Nachweisen von Tragsicherheit und Stabilität war für die Wahl der Bewehrung die Analyse der Verformungen entscheidend. Die zulässigen Grenzwerte der Deformationen wurden hierbei in Bezug auf das auf den Schalen aufliegende Stahldach und die Fassaden festgelegt. Die maximale Verformung der grossen Schale unter Berücksichtigung von Kriechen und Schwinden beträgt rechnerisch 220 mm. Dieser Wert, der zunächst sehr hoch erscheint, liegt in Bezug auf die Spannweite von 80 m mit l/300 im Bereich der üblichen Verformungen von Stahlbetonkonstruktionen. Die im Rahmen der Ausführung durchgeführten Kontrollen weisen jedoch deutlich geringere Werte auf, die mit dem verwendeten Beton zu erklären sind, der bessere Kriech- und Schwindeigenschaften aufweist, als in der Berechnung angesetzt wurden.

UG-Decke mit Doppelfunktion

Die statischen und konstruktiven Anforderungen waren auch für die Decke über der Tiefgarage sehr hoch gesteckt, da diese zwei Hauptfunktionen übernimmt: Zum einen erfüllt sie die klassische Funktion einer Geschossdecke für das darunterliegende Untergeschoss und zum anderen nimmt sie die grossen Horizontalkräfte der darüberliegenden Schalentragwerke auf. Diese Zugbänder, bestehend aus im Verbund wirkenden Vorspannkabeln, überdrücken die horizontalen Auflagerkräfte aus den darüberliegenden Schalen. Sie befinden sich jeweils in der Flucht der Bögen der darüberliegenden Schalen. Zusätzlich zu den in den Zugbändern befindlichen Vorspannkabeln wurden aus Gleichgewichtsgründen und zur Aufnahme der Spreizkräfte in den Verankerungsbereichen Vorspannkabel angeordnet, die dem Verlauf der Schalenauflager folgen. Unter dem nördlichen Bogen der grossen Schale, an der Stelle mit der grössten Zugkraft, sind allein 14 Kabeleinheiten des Typs 31T15S (31 Litzen mit je 150 mm2)angeordnet. Dies entspricht einer Vorspannkraft Po von 14 × 6 173 kN = 86 422 kN! Die Stärke der Decke über der Tiefgarage variiert abhängig von ihren Beanspruchungen und den konstruktiven Bedürfnissen. Im Bereich der Schalenauflager beträgt sie zwischen 60 cm und 80 cm. In den restlichen Bereichen, in denen das Bauteil ausschliesslich die Funktion einer Decke übernimmt und die Nutzlasten von 5 kN/m2 bis 10 kN/m2 aufnehmen muss, beträgt die Deckenstärke 28 cm bis 35 cm, abhängig vom darunterliegenden Stützenraster, das zwischen 5.90 m und 9.00 m variiert.

Lastableitung im Untergeschoss

Unter den Auflagerlinien der Schalen sind im Untergeschoss Innenwände mit einer Stärke von 55 cm angeordnet, welche die vertikalen Lasten aus den Schalenauflagern direkt in die Fundamente weiterleiten. Unterbrüche in den Wänden unterhalb der Patios ermöglichen die für den Parkingbetrieb nötigen Fahrgassen. Die Stützen im Untergeschoss unterteilen sich in zwei funktionale Kategorien: Die Nachbarstützen der Innenwände müssen neben ihrer normalen Funktion des vertikalen Lastabtrags der Deckenlasten zusätzliche Reaktionen aus der Einleitung der Auflagermomente der Schalen mittragen. Ihre Dimensionen sind mit 30 × 60 cm entsprechend grösser als jene der Standardstützen mit 30 × 40 cm bzw. 40 × 40 cm in den restlichen Bereichen des Untergeschosses. Die Aussenwände mit einer Stärke von 25 cm bilden den peripheren Abschluss des Untergeschosses. Sie sind auf den anstehenden Erddruck und einen potenziell möglichen Wasserdruck bis auf 1 m über dem Wandfuss bemessen. Die minimal 25 cm starke Bodenplatte und die Aussenwände sind als «weisse Wanne» über eine Länge von 160 m fugenlos ausgebildet. Sie liegt auf einer sandigen, lehmigen Bodenschicht mit mässiger Tragfähigkeit, in der Hangwasser zirkuliert. In den Zonen unter den Innenwänden, in denen die grossen Vertikallasten an die Tiefengründung weitergeleitet werden, beträgt die Stärke der Bodenplatte deshalb bis zu 2 m.

Zur korrekten Krafteinleitung der vertikalen Lasten und zur Vermeidung von zu grossen differenziellen, vertikalen Deformationen wurde das gesamte Bauwerk auf Pfähle gegründet, welche die Kräfte hauptsächlich über Spitzendruck in die tiefer liegende Moräne einleiten. Dabei wurden insgesamt 650 Pfähle verwendet. Den Hauptanteil bilden Verdrängungspfähle mit Durchmessern zwischen 50 cm und 60 cm und Längen zwischen 14 m und 23 m. Weiter wurden unter den Schalenauflagern auch Grossbohrpfähle mit einem Durchmesser von 90 cm und einer Länge von 27 m ausgeführt. In einzelnen Bereichen, in denen die Erstellung der Verdrängungspfähle durch das Vorhandensein von Felsblöcken unmöglich war, wurden diese durch Mikropfähle ersetzt.

Bewehrung am Limit

Neben dem konstruktiven Entwurf und den statischen Berechnungen stellte auch die Ausführungsplanung für die Betonschalen und deren Auflagerbereiche in der Decke über dem Untergeschoss eine grosse Herausforderung dar (vgl. «TRACÉS 12/2008», S. 7). Zum einen musste die komplexe dreidimensionale Geometrie auf den Werkplänen so abgebildet werden, dass sie auf der Baustelle gelesen und ausgeführt werden konnte. Zum anderen mussten Bewehrungsdetails entwickelt werden, die den effektiven Einbau der erforderlichen hohen Bewehrungsmengen, die bei den Bögen der grossen Schale bis zu 470 kg/m³ betragen, ermöglichten.

Um die Ausführbarkeit der Bewehrungsführung zu gewährleisten, wurden zunächst für einige Details Prinziplösungen entwickelt, die in 1:1-Mock-ups hinsichtlich der Machbarkeit überprüft wurden. Zu diesen Standarddetails gehörte der Übergang zwischen Bögen und Plattenbereichen der grossen Schale, bei dem sowohl die Bauteilhöhe von 80 cm auf 60 cm verspringt als auch die Bewehrungsrichtung sich ändert. Das zweite Standarddetail war die radial bzw. tangential verlaufende Bewehrung der Patiorandträger mit anschliessendem Plattenbereich und schliesslich als Drittes das Detail der Auflagerbereiche der Schalen mit dem Übergang von Schalungs- und Deckenbewehrung und dem zu berücksichtigenden Betonierabschnitt. Um den hohen Bewehrungsgrad der Bögen zu ermöglichen und um gleichzeitig ausreichend Gassen für die Rüttler zur Verfügung zu stellen, wurde als Hauptbewehrung der Bögen Bewehrungseisen mit einem Durchmesser von 50 mm gewählt, die in den Hauptbögen im Abstand von 25 cm jeweils zweilagig oben und unten angeordnet sind. Die Entwicklung der Prinzipdetails ermöglichte eine Optimierung der Bewehrungsführung, sodass die Schalen zwei Monate vor dem ursprünglich vorgesehenen Termin betoniert werden konnten. Insgesamt wurden hierbei in beiden Schalen 2070 t Stahl und 5400 m³ Beton verbaut. Die Betonnage erfolgte für beide Schalen ohne Unterbrechung: 10 h für die kleine Schale und 55 h für die grosse.

Zusammenspiel ermöglicht die Umsetzung

Die beeindruckenden Bilder des fertiggestellten Gebäudes zeigen, dass die ursprüngliche Idee der Architekten, eine architektonische Landschaft zu schaffen, umgesetzt werden konnte. Dies war nur durch die gut funktionierende Zusammenarbeit zwischen allen Planern und Unternehmern möglich. Das Ergebnis kann kaum mit einem bereits existierenden Bauwerk, sei es aus architektonischer oder ingenieurtechnischer Sicht, verglichen werden. Es ist in vielen Belangen ein Unikat.

TEC21, Fr., 2010.06.25



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Rolex Learning Center



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2010|26 Learning Center EPFL

09. Juni 2006René Walther
db

Schrägseilbrücke

Der Viadukt von Millau, der auf einer Länge von 2400 Metern und in einer Höhe von bis zu 260 Metern das tief eingeschnittene Tal
des Tarn überquert,...

Der Viadukt von Millau, der auf einer Länge von 2400 Metern und in einer Höhe von bis zu 260 Metern das tief eingeschnittene Tal
des Tarn überquert,...

Der Viadukt von Millau, der auf einer Länge von 2400 Metern und in einer Höhe von bis zu 260 Metern das tief eingeschnittene Tal
des Tarn überquert, hat weltweit große Beachtung gefunden. Im Vorfeld der Planung waren allerdings seitens der Anwohner und des Landschaftsschutzes Befürchtungen geäußert worden, ein derart gigantisches Bauwerk, mit Pylon-Pfeilern höher als der Eiffelturm durch das Tal zu führen. Die mit der Planung beauftragte SETRA, das Ingenieurbüro des französischen Verkehrsministeriums, prüfte dazu mehrere Alternativen. Eine eigens für dieses Projekt konstituierte, internationale Expertenkommission kam zu dem Schluss, dass eine hohe Talbrücke die zweckmäßigste Lösung darstelle. Hierfür hatte die SETRA bereits unter Leitung von Michel Virlogeux das Konzept für eine mehrfeldrige Schrägseilbrücke ausgearbeitet, das weitgehend dem später ausgeführten Bauwerk entsprach.

Der Gedanke, das bedeutendste Brückenbauwerk der Grande Nation lediglich aufgrund eines Behördenentwurfes zur Submission freizugeben, stieß bei Politikern und Architekten auf großen Widerstand, die vehement nach einem Wettbewerb verlangten. Diesem Wunsch wurde stattgegeben, wobei die Behörden jedoch eine besondere, bisher noch nie durchgeführte Form eines Wettbewerbs wählten. Fünf namhafte Architekten wurden gegen eine angemessene Aufwandsentschädigung beauftragt, ein ihnen bindend vorgeschriebenes, von den Veranstaltern als denkbar erachtetes Brückensystem auszuarbeiten. Hierbei überzeugte der von Lord Norman Foster in enger Anlehnung an Virlogeux’ Konzept ausgestaltete Entwurf der Schrägseilbrücke. Da dieser zwischenzeitlich die SETRA verlassen hatte, durfte er als ehemalig beamteter Initiator offiziell nicht mit als Projektverfasser auftreten.

Für die öffentliche Ausschreibung wurde sowohl eine Variante mit Versteifungsträgern aus Beton als auch eine solche in Stahl ausgearbeitet, die beide in ihrer äußeren Form praktisch identisch waren. Da ein Deck aus Stahl rund viermal leichter aber auch etwa viermal teurer ist als eines aus Beton, andererseits aber entsprechend weniger kostenintensive Schrägseile benötigt, waren beide Lösungen, was die reinen Gestehungskosten betraf, etwa gleichwertig. Normalerweise werden Schrägseilbrücken von den Pylonen aus im freien Vorbau erstellt. Das hätte in diesem Fall aber zu beträchtlichen Problemen geführt, denn eine mehrfeldrige Brücke auf sehr hohen und möglichst schlanken Pfeilern erhält ihre erforderliche Stabilität erst, wenn die Felder kontinuierlich geschlossen sind.

Im Bauzustand hätten die auf jeder Seite bis zu 170 Meter weiten Auskragungen durch Abspannseile gegen Windkräfte stabilisiert werden müssen, was ein riskantes Unterfangen gewesen wäre. Das bauausführende Unternehmen schlug daher vor, die Brücke im Taktschiebeverfahren zu erstellen, was in dieser Form und Größe zuvor noch nie erprobt worden war.

Die in jeder Hinsicht gelungene Realisierung dieses imposanten Bauwerks ist zweifellos ein technisches Meisterwerk erster Güte und auch ein Beispiel dafür, was erreicht werden kann, wenn Ingenieure und Architekten gegenseitig befruchtend zusammenarbeiten. Trotz der notwendigerweise sehr großen Abmessungen der Pfeiler wirken diese aufgrund ihrer Querschnittsform schlank und elegant. Deshalb sind mittlerweile die kritischen Stimmen, die vor dem vermeintlichen Gigantismus gewarnt hatten, auch weitgehend verstummt und die anfänglich zum Teil skeptischen Anwohner blicken heute mit Stolz auf das neue Wahrzeichen ihrer Region.

db, Fr., 2006.06.09



verknüpfte Bauwerke
Viadukt Millau

04. Februar 2006René Walther
db

Harfenreihe über dem Tarn

Der konzeptionelle Entwurf für den Viadukt über den Tarn bei Millau kam aus dem französischen Verkehrsministerium – ein »Behördenentwurf« des renommierten Ingenieurs Michel Virlogeux. Es bedurfte eines internationalen Expertengremiums, eines eigenwilligen Wettbewerbs und der gestalterischen Ausarbeitung durch Norman Foster, bis dieses kühne Bauwerk realisiert werden konnte.

Der konzeptionelle Entwurf für den Viadukt über den Tarn bei Millau kam aus dem französischen Verkehrsministerium – ein »Behördenentwurf« des renommierten Ingenieurs Michel Virlogeux. Es bedurfte eines internationalen Expertengremiums, eines eigenwilligen Wettbewerbs und der gestalterischen Ausarbeitung durch Norman Foster, bis dieses kühne Bauwerk realisiert werden konnte.

Der Viadukt von Millau, der auf einer Länge von 2400 Metern und in einer Höhe von bis zu 260 Metern das tief eingeschnittene Tal des Tarn überquert, hat weltweit große, meist anerkennende, teilweise aber auch kritische Beachtung gefunden.

Schon im Vorfeld der Planung waren seitens der Anwohner und des Landschaftsschutzes Befürchtungen geäußert worden, ein derart gigantisches Bauwerk, mit Pylon-Pfeilern höher als der Eiffelturm, könne das Tal verunstalten, und es wurde immer wieder die Frage gestellt, ob nicht eine sanftere Lösung mit einer bescheideneren Brücke unten im Tal angemessener wäre. Dazu hätte man aber auf beiden Talflanken Höhenunterschiede von rund 200 Metern überwinden müssen. Die mit der Planung beauftrage SETRA, das Ingenieurbüro des französischen Verkehrsministeriums, hatte diese Frage eingehend geprüft und dazu mehrere Alternativen ausgearbeitet, so zum Beispiel weit ausholende, kurvenreiche Rampen, die jedoch in den Talflanken große, die Landschaft zerstörende Einschnitte verursacht hätten. Auch eine Variante mit Tunnelrampen wurde erwogen; diese wären allerdings wegen der erforderlichen großen Länge sehr kostenintensiv und gleichzeitig wenig benutzerfreundlich gewesen. Vor allem aber ergaben Berechnungen, dass eine solche Lösung zu einem beträchtlichen Treibstoff-Mehrverbrauch geführt hätte, der weder volkswirtschaftlich noch ökologisch zu vertreten wäre. Zudem hätte sich bei einer solchen Variante die Absicht, den Bau und die Finanzierung dieses kurzen, aber teuren Autobahnabschnittes einem privaten Betreiber zu übertragen und diesem die Konzession zur Erhebung von Gebühren zu erteilen, nur schwer umsetzen lassen.

Aufgrund dieser Sachlage kam auch die eigens für dieses Projekt konstituierte, internationale Expertenkommission zu dem Schluss, dass eine hohe Talbrücke die zweckmäßigste Lösung darstelle. Die SETRA hatte bereits unter Leitung von Michel Virlogeux das Konzept für eine mehrfeldrige Schrägseilbrücke ausgearbeitet, das weitgehend dem schließlich ausgeführten Bauwerk entsprach.

Wie schon in Deutschland am Beispiel der Kochertalbrücke verdeutlicht, hat sich auch hier erwiesen, dass eine gut gestaltete, hohe Talbrücke sich durchaus harmonisch in die Landschaft integrieren lässt.

Dank der unbestreitbar transparenten Eleganz des Grand Viaduc de Millau sind die kritischen Stimmen, die vor dem vermeintlichen Gigantismus gewarnt hatten, weitgehend verstummt und die anfänglich zum Teil skeptischen Anwohner blicken heute mit Stolz auf das neue Wahrzeichen ihrer Region.

Wettbewerb – étude de définition

Mit der grundsätzlichen Zustimmung des Expertengremiums war damals die Realisierung des Projektes keineswegs gesichert. Der Gedanke, das bedeutendste Brückenbauwerk der Grande Nation lediglich aufgrund eines Behördenentwurfes zur Submission freizugeben, stieß vor allem bei Politikern und Architekten auf großen Widerstand, die alle vehement einen Wettbewerb verlangten. Diesem Wunsch wurde stattgegeben, wobei jedoch die Behörden eine besondere, bisher noch nie durchgeführte Form eines Wettbewerbes wählten, die mit der Worthülse »étude de définition« versehen wurde, obwohl dabei eigentlich nichts zu definieren war.

Tatsächlich wurden fünf namhafte Architekten gegen eine angemessene Aufwandsentschädigung beauftragt, ein ihnen bindend vorgeschriebenes, von den Veranstaltern als denkbar erachtetes Brückensystem – Durchlaufträger konstanter und variabler Höhe / Bogenbrücke / unterspannte Träger und Schrägseilbrücke – auszuarbeiten; ein etwas unkonventionelles Verfahren, da normalerweise das Tragsystems nicht vorgegeben, sondern erst das Ergebnis kreativer Projektierungsarbeit ist.

Die vier nicht ausgeführten Entwürfe schlugen, in kurzen Worten – und mit der kritischen Freimütigkeit kommentiert, die sich ein Jurybericht nicht erlauben kann – folgende Lösungen vor: Das Projekt eines Durchlaufträgers konstanter Bauhöhe, eine reine Stahlkonstruktion, sah zehn Felder zu 192 m und über den Tarn ein unterspanntes Feld von 384 m Länge vor. Da die äußerst schlanken Stahlstützen eindeutig unterdimensioniert waren und die Stabilität insbesondere unter Windbeanspruchung nicht gewährleistet war, konnte dieses Projekt nicht weiter in Betracht gezogen werden, zumal auch seine Gestaltung nicht zu überzeugen vermochte.

Für die Lösung eines Durchlaufträgers mit variabler Bauhöhe schlugen die Projektverfasser vor, Y-förmige Stützen anzuordnen. Über diesen Stützen waren auf eine Länge von je 180 Metern Hohlkastenträger in Ortbeton vorgesehen; die verbleibenden Zwischenräume von je 160 Metern Länge wären danach durch leichte Stahlhohlkästen geschlossen worden, die am Boden montiert und anschließend in die Soll-Lage angehoben werden sollten. Bei diesem sehr sorgfältig bearbeiteten und generell positiv beurteilten Projekt wurde hauptsächlich bemängelt, dass eine sehr hohe Stütze mitten ins Flussbett zu stehen gekommen wäre.

Für die Überquerung tiefer Täler bieten sich im Prinzip Bogenbrücken als elegante Lösung an. Das mit dieser Variante beauftragte Team schlug einen Betonbogen mit einer Rekordspannweite von 602 Metern vor, der im freien Vorbau mit Schrägseilabspannungen erstellt werden sollte, was einige technische Probleme, vor allem aber hohe Kosten verursacht hätte. Bei Bögen mit anschließenden Vorlandbrücken stellt sich immer wieder das heikle Problem, wie der Übergang von den für einen Bogen günstigen, engen Ständerabständen zu den für die Vorlandbrücke erwünschten, weit größeren Stützenabständen harmonisch gestaltet werden kann, was im vorliegenden Fall nur bedingt gelang.

Bei der sehr großen Höhe der Brücke hätte sich eine Lösung mit unterspannten Trägern grundsätzlich durchaus als zwecksmäßig erweisen können. Der mit dem Studium dieser Variante beauftragte Architekt führte diese an sich einleuchtende Idee jedoch im Bestreben nach größtmöglicher Originalität ad absurdum, indem er gigantische Raumfachwerkpfeiler sowie eine unnötig komplizierte Unterspannung in drei gespreizten Ebenen vorschlug.

Ausführung als mehrfeldrige Schrägseilbrücke

Man kann sich fragen, ob einer mehrfeldrige Schrägseilbrücke in so großer Höhe über dem Tal zweckmäßig sei, denn die 90 Meter hohen Pylone auf den ohnehin schon sehr hohen Pfeilern und die Abspannkabel vergrößern natürlich die bei einem solchen Bauwerk kritischen Windbeanspruchungen ganz maßgeblich; ein Problem, das aber dank eingehender Untersuchungen lösbar erschien und – wie sich zeigte – auch war. Die Expertenkommission kam daher zum einstimmigen Schluss, dass dieser Lösung der Vorzug zu geben sei. Neben ihrer unbestreitbar transparenten Eleganz hat sie den entscheidenden Vorteil, dass die Benutzer die Brücke als solche wahrnehmen.

Das ausgeführte Projekt entspricht weitgehend dem damaligen Entwurf Virlogeux'. Da er aber zwischenzeitlich die SETRA verlassen hatte, durfte er als ehemalig beamteter Initiator auf obrigkeitliche Verfügung hin offiziell nicht mehr als Projektverfasser auftreten, was er aber insgeheim trotzdem bleibt. Daher übernahm es Sir Norman Foster – er war damals noch nicht Lord – das Projekt, dem er architektonisch den letzten Schliff gegeben hatte, vor der Jury und den Medien zu vertreten, weshalb lange Zeit auch nur er als Projektverantwortlicher genannt wurde.

Beton- oder Stahlbrücke

Für die öffentliche Ausschreibung wurde sowohl eine Variante mit Versteifungsträgern aus Beton als auch eine solche in Stahl ausgearbeitet, die beide in ihrer äußeren Form praktisch identisch waren. Da ein Deck aus Stahl rund vier Mal leichter aber auch etwa vier Mal teurer ist als eines aus Beton, andererseits aber entsprechend weniger kostenintensive Schrägseile benötigt, schienen beide Lösungen, was die reinen Gestehungskosten betraf, etwa gleichwertig zu sein. Dies war, wie die von dem ausführenden Konsortium »Compagnie EIFFAGE du Viaduc de Millau« für beide Varianten eingereichten Angebote zeigten, auch tatsächlich der Fall.

Bauvorgang

Normalerweise werden Schrägseilbrücken von den Pylonen aus im freien Vorbau erstellt. Das hätte in diesem Fall aber zu beträchtlichen Problemen geführt, denn eine mehrfeldrige Brücke auf sehr hohen und möglichst schlanken Pfeilern erhält ihre erforderliche Stabilität erst, wenn die Felder kontinuierlich geschlossen sind. Im Bauzustand hätten die auf jeder Seite bis zu 170 Meter weiten Auskragungen durch Abspannseile gegen Windkräfte stabilisiert werden müssen, was ein riskantes Unterfangen gewesen wäre. EIFFAGE schlug daher zum allgemeinen Erstaunen vor, die Brücke im Taktschiebeverfahren zu erstellen, was in dieser Form und Größe zuvor noch nie erprobt worden war. Dazu kam nur die Variante mit Stahldeck in Frage, welches von beiden Ufern her sukzessive über die Betonpfeiler und die bis zu 180 Meter hohen, provisorischen Zwischenstützen eingeschoben wurde. Der Pylon und die Schrägseile des vordersten Feldes wurden bereits an Land montiert und zusammen mit dem Deck eingeschoben, so dass die Vorbauspitze sowohl als Vorbauschnabel diente als auch ermöglichte, auf eine überhohe Hilfsstütze im Tarn zu verzichten.

Da die nachfolgenden, noch nicht mit Pylonen und Abspannungen versehenen Felder Spannweiten von 170 Metern Länge zu überwinden hatten, aber nur 4,2 Meter Bauhöhe aufwiesen (Schlankheit L/h > 170/4.2 > 40), traten beim Taktvorschieben und beim nachmaligen Transport der 700 t schweren Pylone wie erwartet sehr große und für Uneingeweihte etwas beunruhigende Durchbiegungen auf. Die Stahlspannungen blieben dabei gerade noch im elastischen Bereich, und das Deck kam nach der Montage der Pylone und der Kabel genau in die Soll-Lage zu liegen. Man wird sich vielleicht fragen, wieso nicht gleich alle Schrägseilabspannungen beim Vorbau montiert wurden, was die temporären Durchbiegungen beträchtlich vermindert hätte. Dies war jedoch aufgrund von Terminschwierigkeiten bei der Lieferung der Pylone nicht möglich.

Schlussbemerkungen

Die in jeder Hinsicht gelungene Realisierung dieses imposanten Bauwerkes ist zweifellos ein technisches Meisterwerk erster Güte und auch ein Beispiel dafür, was erreicht werden kann, wenn Ingenieure und Architekten gegenseitig befruchtend zusammenarbeiten. Trotz der notwendigerweise sehr großen Abmessungen der Pfeiler wirken diese dank ihrer vom Architekten gewählten Querschnittsform schlank und elegant.

Die deutsche Firma Peri hat dazu ein raffiniertes Schalungssystem entwickelt, mit welchem sich die recht kompliziert geformten, variablen Querschnitte einwandfrei herstellen ließen. Besonderes Lob gebührt aber der Compagnie EIFFAGE, die den Mut und die Fachkompetenz hatte, für die Montage eine völlig neue Methode zu entwickeln und auch erfolgreich umzusetzen. Das von ihr erstellte Bauwerk besticht auch bezüglich seiner in allen Details hervorragenden Ausführungsqualität.

db, Sa., 2006.02.04



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Viadukt Millau



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db 2006|02 Brückenbaukunst

Presseschau 12

Bodenwellen

Das Rolex Learning Center (RLC) in Lausanne besticht durch sein ungewöhnliches architektonisches Konzept. Das japanische Ingenieurbüro Sasaki and Partners aus Tokio entwickelte das Tragwerkskonzept dafür. Auf einem massiven, mit scheinbarer Leichtigkeit geschwungenen Betonboden steht die Dachkonstruktion aus Stahl und Holz. Vier verschiedene Schweizer Bauingenieurbüros verfeinerten dieses Konzept, berechneten die Tragkonstruktion und setzten sie in die Realität um.

Das Rolex Learning Center (RLC) in Lausanne besticht durch sein ungewöhnliches architektonisches Konzept. Das japanische Ingenieurbüro Sasaki and Partners aus Tokio entwickelte das Tragwerkskonzept dafür. Auf einem massiven, mit scheinbarer Leichtigkeit geschwungenen Betonboden steht die Dachkonstruktion aus Stahl und Holz. Vier verschiedene Schweizer Bauingenieurbüros verfeinerten dieses Konzept, berechneten die Tragkonstruktion und setzten sie in die Realität um.

Die architektonische Landschaft des RLC ist durch seine wellenförmige Gestaltung geprägt (vgl. «Nouvelle Vague», S. 18). Sie ist im Grundriss rechteckig mit Abmessungen von 121.5 m × 166.5 m und weist im Wesentlichen zwei organisch geschwungene Bereiche auf mit dazwischen liegenden flachen Zonen. Wo die Landschaft sich mit luftunterströmten Wellen vom Untergrund löst, überspannt das Tragwerk 85 m (grosse Schale) bzw. 40 m (kleine Schale). Das Gebäude ist mit Patios durchsetzt, die eine natürliche Belichtung und Belüftung ermöglichen. Unter dem Regelgeschoss ist eine eingeschossige Tiefgarage angeordnet, die zusätzlich Raum für Bibliothek, Haustechnik, Archive und sonstige Nebenräume bietet.

Massive Betonschale mit Bodenwellen

Das japanische Ingenieurbüro Sasaki und Partners (SAPS) sah für das Tragwerkskonzept dieser Landschaft einen massiven Betonboden vor, der von einer Leichtbaukonstruktion aus Stahl und Holz in gleichbleibendem Abstand überdacht wird. Der Betonboden wurde dort, wo er sich vom Untergrund abhebt, als Schale ausgebildet. Da anders als bei üblichen Schalenkonstruktionen diese nicht als Dach, sondern als Boden der Nutzfläche dient, wurden an ihre Geometrie besondere Anforderungen gestellt, die es im Rahmen der Formfindung zu berücksichtigen galt. Diese zusätzlichen Anforderungen, die sich aus der Nutzung und den architektonischen Gesichtspunkten ergaben, verlangten unter anderem die Einhaltung von begrenzten Steigungen, was wiederum geringe Stichmasse bei den Schalen hervorrief. Im Rahmen der Entwurfsplanung wurde für die flachen Schalen ein statisches System aus Bögen ausgebildet, die einen Grossteil der Lasten zu den Widerlagern abtragen. Diese wurden in ihrer Geometrie optimiert und weisen ein relativ hohes Krümmungsverhältnis auf, sodass die Membrantragwirkung überwiegt. Die zwischen diesen Krümmungen aufgespannten Plattenbereiche sind dagegen relativ flach, sodass hier hohe Biegebeanspruchungen auftreten.

Im Detail lässt sich die Geometrie der Betonschalen wie folgt beschreiben: Die kleine Schale mit einer Bauteildicke von 40 cm weist ein verhältnismässig grosses Stich- zu Spannweiten- Verhältnis 1/10 auf (h = 4 m, l = 40 m). Drei Patios schneiden in diese Schalenkonstruktion ein, sodass dazwischen vier lastabtragende Bögen (Abb. 3, A1 bis A4) ausgebildet sind. Die grosse Schale mit einer Spannweite bis zu 85 m und einem maximalen Stichmass von 4.85 m hat dagegen ein entsprechend kleineres Stich- zu Spannweiten-Verhältnis, etwa 1/17.5. Die Lage der Patios in dieser grossen Schale ermöglichte die Ausbildung von sieben lastabtragenden Bögen (Abb. 3, A5 bis A9), deren Bauteilhöhe 80 cm beträgt. In den dazwischen liegenden Schalenbereichen konnte zur Reduktion des Eigengewichts die Stärke auf 60 cm reduziert werden. Unter der grossen Schale wurden drei vertikale lastabtragende Elemente angeordnet, um die Stabilität zu gewährleisten: erstens ein Aufzugskern, der aufgrund der Nutzeranforderungen ohnehin erforderlich war; zweitens eine Wand, die im westlichen Bereich des südlichen Bogens angeordnet ist, sodass dieser mit einer Gegenkrümmung in den flachen Deckenbereich auslaufen kann; und drittens eine Stütze, die den diagonal verlaufenden Bogen nördlich des grössten Patios stabilisiert.

Den massgeblichen Anteil der Belastung der Betonschalen bilden die ständigen Lasten, die sich aus dem Eigengewicht und den ständigen Lasten inklusive des Eigengewichts des Stahldaches zu 22.5 kN/m² für die grosse Schale und zu 15 kN/m² für die kleine Schale ergeben. Die veränderliche Last spielt mit 5 kN/m² nur eine untergeordnete Rolle. Die Bodenschale ist auf ihrer Oberseite gedämmt. Der Beton liegt also im Aussenbereich und ist damit Temperaturschwankungen ausgesetzt, die im Rahmen der Nachweise auch zu berücksichtigen waren. Überdacht wird das Gebäude mit einem Stahl-Holz-Dach, das parallel zur Betonschale verläuft und auf Stützen liegt, die im Raster von 9 × 9 m angeordnet sind.

Verformungen

Neben dem Nachweisen von Tragsicherheit und Stabilität war für die Wahl der Bewehrung die Analyse der Verformungen entscheidend. Die zulässigen Grenzwerte der Deformationen wurden hierbei in Bezug auf das auf den Schalen aufliegende Stahldach und die Fassaden festgelegt. Die maximale Verformung der grossen Schale unter Berücksichtigung von Kriechen und Schwinden beträgt rechnerisch 220 mm. Dieser Wert, der zunächst sehr hoch erscheint, liegt in Bezug auf die Spannweite von 80 m mit l/300 im Bereich der üblichen Verformungen von Stahlbetonkonstruktionen. Die im Rahmen der Ausführung durchgeführten Kontrollen weisen jedoch deutlich geringere Werte auf, die mit dem verwendeten Beton zu erklären sind, der bessere Kriech- und Schwindeigenschaften aufweist, als in der Berechnung angesetzt wurden.

UG-Decke mit Doppelfunktion

Die statischen und konstruktiven Anforderungen waren auch für die Decke über der Tiefgarage sehr hoch gesteckt, da diese zwei Hauptfunktionen übernimmt: Zum einen erfüllt sie die klassische Funktion einer Geschossdecke für das darunterliegende Untergeschoss und zum anderen nimmt sie die grossen Horizontalkräfte der darüberliegenden Schalentragwerke auf. Diese Zugbänder, bestehend aus im Verbund wirkenden Vorspannkabeln, überdrücken die horizontalen Auflagerkräfte aus den darüberliegenden Schalen. Sie befinden sich jeweils in der Flucht der Bögen der darüberliegenden Schalen. Zusätzlich zu den in den Zugbändern befindlichen Vorspannkabeln wurden aus Gleichgewichtsgründen und zur Aufnahme der Spreizkräfte in den Verankerungsbereichen Vorspannkabel angeordnet, die dem Verlauf der Schalenauflager folgen. Unter dem nördlichen Bogen der grossen Schale, an der Stelle mit der grössten Zugkraft, sind allein 14 Kabeleinheiten des Typs 31T15S (31 Litzen mit je 150 mm2)angeordnet. Dies entspricht einer Vorspannkraft Po von 14 × 6 173 kN = 86 422 kN! Die Stärke der Decke über der Tiefgarage variiert abhängig von ihren Beanspruchungen und den konstruktiven Bedürfnissen. Im Bereich der Schalenauflager beträgt sie zwischen 60 cm und 80 cm. In den restlichen Bereichen, in denen das Bauteil ausschliesslich die Funktion einer Decke übernimmt und die Nutzlasten von 5 kN/m2 bis 10 kN/m2 aufnehmen muss, beträgt die Deckenstärke 28 cm bis 35 cm, abhängig vom darunterliegenden Stützenraster, das zwischen 5.90 m und 9.00 m variiert.

Lastableitung im Untergeschoss

Unter den Auflagerlinien der Schalen sind im Untergeschoss Innenwände mit einer Stärke von 55 cm angeordnet, welche die vertikalen Lasten aus den Schalenauflagern direkt in die Fundamente weiterleiten. Unterbrüche in den Wänden unterhalb der Patios ermöglichen die für den Parkingbetrieb nötigen Fahrgassen. Die Stützen im Untergeschoss unterteilen sich in zwei funktionale Kategorien: Die Nachbarstützen der Innenwände müssen neben ihrer normalen Funktion des vertikalen Lastabtrags der Deckenlasten zusätzliche Reaktionen aus der Einleitung der Auflagermomente der Schalen mittragen. Ihre Dimensionen sind mit 30 × 60 cm entsprechend grösser als jene der Standardstützen mit 30 × 40 cm bzw. 40 × 40 cm in den restlichen Bereichen des Untergeschosses. Die Aussenwände mit einer Stärke von 25 cm bilden den peripheren Abschluss des Untergeschosses. Sie sind auf den anstehenden Erddruck und einen potenziell möglichen Wasserdruck bis auf 1 m über dem Wandfuss bemessen. Die minimal 25 cm starke Bodenplatte und die Aussenwände sind als «weisse Wanne» über eine Länge von 160 m fugenlos ausgebildet. Sie liegt auf einer sandigen, lehmigen Bodenschicht mit mässiger Tragfähigkeit, in der Hangwasser zirkuliert. In den Zonen unter den Innenwänden, in denen die grossen Vertikallasten an die Tiefengründung weitergeleitet werden, beträgt die Stärke der Bodenplatte deshalb bis zu 2 m.

Zur korrekten Krafteinleitung der vertikalen Lasten und zur Vermeidung von zu grossen differenziellen, vertikalen Deformationen wurde das gesamte Bauwerk auf Pfähle gegründet, welche die Kräfte hauptsächlich über Spitzendruck in die tiefer liegende Moräne einleiten. Dabei wurden insgesamt 650 Pfähle verwendet. Den Hauptanteil bilden Verdrängungspfähle mit Durchmessern zwischen 50 cm und 60 cm und Längen zwischen 14 m und 23 m. Weiter wurden unter den Schalenauflagern auch Grossbohrpfähle mit einem Durchmesser von 90 cm und einer Länge von 27 m ausgeführt. In einzelnen Bereichen, in denen die Erstellung der Verdrängungspfähle durch das Vorhandensein von Felsblöcken unmöglich war, wurden diese durch Mikropfähle ersetzt.

Bewehrung am Limit

Neben dem konstruktiven Entwurf und den statischen Berechnungen stellte auch die Ausführungsplanung für die Betonschalen und deren Auflagerbereiche in der Decke über dem Untergeschoss eine grosse Herausforderung dar (vgl. «TRACÉS 12/2008», S. 7). Zum einen musste die komplexe dreidimensionale Geometrie auf den Werkplänen so abgebildet werden, dass sie auf der Baustelle gelesen und ausgeführt werden konnte. Zum anderen mussten Bewehrungsdetails entwickelt werden, die den effektiven Einbau der erforderlichen hohen Bewehrungsmengen, die bei den Bögen der grossen Schale bis zu 470 kg/m³ betragen, ermöglichten.

Um die Ausführbarkeit der Bewehrungsführung zu gewährleisten, wurden zunächst für einige Details Prinziplösungen entwickelt, die in 1:1-Mock-ups hinsichtlich der Machbarkeit überprüft wurden. Zu diesen Standarddetails gehörte der Übergang zwischen Bögen und Plattenbereichen der grossen Schale, bei dem sowohl die Bauteilhöhe von 80 cm auf 60 cm verspringt als auch die Bewehrungsrichtung sich ändert. Das zweite Standarddetail war die radial bzw. tangential verlaufende Bewehrung der Patiorandträger mit anschliessendem Plattenbereich und schliesslich als Drittes das Detail der Auflagerbereiche der Schalen mit dem Übergang von Schalungs- und Deckenbewehrung und dem zu berücksichtigenden Betonierabschnitt. Um den hohen Bewehrungsgrad der Bögen zu ermöglichen und um gleichzeitig ausreichend Gassen für die Rüttler zur Verfügung zu stellen, wurde als Hauptbewehrung der Bögen Bewehrungseisen mit einem Durchmesser von 50 mm gewählt, die in den Hauptbögen im Abstand von 25 cm jeweils zweilagig oben und unten angeordnet sind. Die Entwicklung der Prinzipdetails ermöglichte eine Optimierung der Bewehrungsführung, sodass die Schalen zwei Monate vor dem ursprünglich vorgesehenen Termin betoniert werden konnten. Insgesamt wurden hierbei in beiden Schalen 2070 t Stahl und 5400 m³ Beton verbaut. Die Betonnage erfolgte für beide Schalen ohne Unterbrechung: 10 h für die kleine Schale und 55 h für die grosse.

Zusammenspiel ermöglicht die Umsetzung

Die beeindruckenden Bilder des fertiggestellten Gebäudes zeigen, dass die ursprüngliche Idee der Architekten, eine architektonische Landschaft zu schaffen, umgesetzt werden konnte. Dies war nur durch die gut funktionierende Zusammenarbeit zwischen allen Planern und Unternehmern möglich. Das Ergebnis kann kaum mit einem bereits existierenden Bauwerk, sei es aus architektonischer oder ingenieurtechnischer Sicht, verglichen werden. Es ist in vielen Belangen ein Unikat.

TEC21, Fr., 2010.06.25



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09. Juni 2006René Walther
db

Schrägseilbrücke

Der Viadukt von Millau, der auf einer Länge von 2400 Metern und in einer Höhe von bis zu 260 Metern das tief eingeschnittene Tal
des Tarn überquert,...

Der Viadukt von Millau, der auf einer Länge von 2400 Metern und in einer Höhe von bis zu 260 Metern das tief eingeschnittene Tal
des Tarn überquert,...

Der Viadukt von Millau, der auf einer Länge von 2400 Metern und in einer Höhe von bis zu 260 Metern das tief eingeschnittene Tal
des Tarn überquert, hat weltweit große Beachtung gefunden. Im Vorfeld der Planung waren allerdings seitens der Anwohner und des Landschaftsschutzes Befürchtungen geäußert worden, ein derart gigantisches Bauwerk, mit Pylon-Pfeilern höher als der Eiffelturm durch das Tal zu führen. Die mit der Planung beauftragte SETRA, das Ingenieurbüro des französischen Verkehrsministeriums, prüfte dazu mehrere Alternativen. Eine eigens für dieses Projekt konstituierte, internationale Expertenkommission kam zu dem Schluss, dass eine hohe Talbrücke die zweckmäßigste Lösung darstelle. Hierfür hatte die SETRA bereits unter Leitung von Michel Virlogeux das Konzept für eine mehrfeldrige Schrägseilbrücke ausgearbeitet, das weitgehend dem später ausgeführten Bauwerk entsprach.

Der Gedanke, das bedeutendste Brückenbauwerk der Grande Nation lediglich aufgrund eines Behördenentwurfes zur Submission freizugeben, stieß bei Politikern und Architekten auf großen Widerstand, die vehement nach einem Wettbewerb verlangten. Diesem Wunsch wurde stattgegeben, wobei die Behörden jedoch eine besondere, bisher noch nie durchgeführte Form eines Wettbewerbs wählten. Fünf namhafte Architekten wurden gegen eine angemessene Aufwandsentschädigung beauftragt, ein ihnen bindend vorgeschriebenes, von den Veranstaltern als denkbar erachtetes Brückensystem auszuarbeiten. Hierbei überzeugte der von Lord Norman Foster in enger Anlehnung an Virlogeux’ Konzept ausgestaltete Entwurf der Schrägseilbrücke. Da dieser zwischenzeitlich die SETRA verlassen hatte, durfte er als ehemalig beamteter Initiator offiziell nicht mit als Projektverfasser auftreten.

Für die öffentliche Ausschreibung wurde sowohl eine Variante mit Versteifungsträgern aus Beton als auch eine solche in Stahl ausgearbeitet, die beide in ihrer äußeren Form praktisch identisch waren. Da ein Deck aus Stahl rund viermal leichter aber auch etwa viermal teurer ist als eines aus Beton, andererseits aber entsprechend weniger kostenintensive Schrägseile benötigt, waren beide Lösungen, was die reinen Gestehungskosten betraf, etwa gleichwertig. Normalerweise werden Schrägseilbrücken von den Pylonen aus im freien Vorbau erstellt. Das hätte in diesem Fall aber zu beträchtlichen Problemen geführt, denn eine mehrfeldrige Brücke auf sehr hohen und möglichst schlanken Pfeilern erhält ihre erforderliche Stabilität erst, wenn die Felder kontinuierlich geschlossen sind.

Im Bauzustand hätten die auf jeder Seite bis zu 170 Meter weiten Auskragungen durch Abspannseile gegen Windkräfte stabilisiert werden müssen, was ein riskantes Unterfangen gewesen wäre. Das bauausführende Unternehmen schlug daher vor, die Brücke im Taktschiebeverfahren zu erstellen, was in dieser Form und Größe zuvor noch nie erprobt worden war.

Die in jeder Hinsicht gelungene Realisierung dieses imposanten Bauwerks ist zweifellos ein technisches Meisterwerk erster Güte und auch ein Beispiel dafür, was erreicht werden kann, wenn Ingenieure und Architekten gegenseitig befruchtend zusammenarbeiten. Trotz der notwendigerweise sehr großen Abmessungen der Pfeiler wirken diese aufgrund ihrer Querschnittsform schlank und elegant. Deshalb sind mittlerweile die kritischen Stimmen, die vor dem vermeintlichen Gigantismus gewarnt hatten, auch weitgehend verstummt und die anfänglich zum Teil skeptischen Anwohner blicken heute mit Stolz auf das neue Wahrzeichen ihrer Region.

db, Fr., 2006.06.09



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Viadukt Millau

04. Februar 2006René Walther
db

Harfenreihe über dem Tarn

Der konzeptionelle Entwurf für den Viadukt über den Tarn bei Millau kam aus dem französischen Verkehrsministerium – ein »Behördenentwurf« des renommierten Ingenieurs Michel Virlogeux. Es bedurfte eines internationalen Expertengremiums, eines eigenwilligen Wettbewerbs und der gestalterischen Ausarbeitung durch Norman Foster, bis dieses kühne Bauwerk realisiert werden konnte.

Der konzeptionelle Entwurf für den Viadukt über den Tarn bei Millau kam aus dem französischen Verkehrsministerium – ein »Behördenentwurf« des renommierten Ingenieurs Michel Virlogeux. Es bedurfte eines internationalen Expertengremiums, eines eigenwilligen Wettbewerbs und der gestalterischen Ausarbeitung durch Norman Foster, bis dieses kühne Bauwerk realisiert werden konnte.

Der Viadukt von Millau, der auf einer Länge von 2400 Metern und in einer Höhe von bis zu 260 Metern das tief eingeschnittene Tal des Tarn überquert, hat weltweit große, meist anerkennende, teilweise aber auch kritische Beachtung gefunden.

Schon im Vorfeld der Planung waren seitens der Anwohner und des Landschaftsschutzes Befürchtungen geäußert worden, ein derart gigantisches Bauwerk, mit Pylon-Pfeilern höher als der Eiffelturm, könne das Tal verunstalten, und es wurde immer wieder die Frage gestellt, ob nicht eine sanftere Lösung mit einer bescheideneren Brücke unten im Tal angemessener wäre. Dazu hätte man aber auf beiden Talflanken Höhenunterschiede von rund 200 Metern überwinden müssen. Die mit der Planung beauftrage SETRA, das Ingenieurbüro des französischen Verkehrsministeriums, hatte diese Frage eingehend geprüft und dazu mehrere Alternativen ausgearbeitet, so zum Beispiel weit ausholende, kurvenreiche Rampen, die jedoch in den Talflanken große, die Landschaft zerstörende Einschnitte verursacht hätten. Auch eine Variante mit Tunnelrampen wurde erwogen; diese wären allerdings wegen der erforderlichen großen Länge sehr kostenintensiv und gleichzeitig wenig benutzerfreundlich gewesen. Vor allem aber ergaben Berechnungen, dass eine solche Lösung zu einem beträchtlichen Treibstoff-Mehrverbrauch geführt hätte, der weder volkswirtschaftlich noch ökologisch zu vertreten wäre. Zudem hätte sich bei einer solchen Variante die Absicht, den Bau und die Finanzierung dieses kurzen, aber teuren Autobahnabschnittes einem privaten Betreiber zu übertragen und diesem die Konzession zur Erhebung von Gebühren zu erteilen, nur schwer umsetzen lassen.

Aufgrund dieser Sachlage kam auch die eigens für dieses Projekt konstituierte, internationale Expertenkommission zu dem Schluss, dass eine hohe Talbrücke die zweckmäßigste Lösung darstelle. Die SETRA hatte bereits unter Leitung von Michel Virlogeux das Konzept für eine mehrfeldrige Schrägseilbrücke ausgearbeitet, das weitgehend dem schließlich ausgeführten Bauwerk entsprach.

Wie schon in Deutschland am Beispiel der Kochertalbrücke verdeutlicht, hat sich auch hier erwiesen, dass eine gut gestaltete, hohe Talbrücke sich durchaus harmonisch in die Landschaft integrieren lässt.

Dank der unbestreitbar transparenten Eleganz des Grand Viaduc de Millau sind die kritischen Stimmen, die vor dem vermeintlichen Gigantismus gewarnt hatten, weitgehend verstummt und die anfänglich zum Teil skeptischen Anwohner blicken heute mit Stolz auf das neue Wahrzeichen ihrer Region.

Wettbewerb – étude de définition

Mit der grundsätzlichen Zustimmung des Expertengremiums war damals die Realisierung des Projektes keineswegs gesichert. Der Gedanke, das bedeutendste Brückenbauwerk der Grande Nation lediglich aufgrund eines Behördenentwurfes zur Submission freizugeben, stieß vor allem bei Politikern und Architekten auf großen Widerstand, die alle vehement einen Wettbewerb verlangten. Diesem Wunsch wurde stattgegeben, wobei jedoch die Behörden eine besondere, bisher noch nie durchgeführte Form eines Wettbewerbes wählten, die mit der Worthülse »étude de définition« versehen wurde, obwohl dabei eigentlich nichts zu definieren war.

Tatsächlich wurden fünf namhafte Architekten gegen eine angemessene Aufwandsentschädigung beauftragt, ein ihnen bindend vorgeschriebenes, von den Veranstaltern als denkbar erachtetes Brückensystem – Durchlaufträger konstanter und variabler Höhe / Bogenbrücke / unterspannte Träger und Schrägseilbrücke – auszuarbeiten; ein etwas unkonventionelles Verfahren, da normalerweise das Tragsystems nicht vorgegeben, sondern erst das Ergebnis kreativer Projektierungsarbeit ist.

Die vier nicht ausgeführten Entwürfe schlugen, in kurzen Worten – und mit der kritischen Freimütigkeit kommentiert, die sich ein Jurybericht nicht erlauben kann – folgende Lösungen vor: Das Projekt eines Durchlaufträgers konstanter Bauhöhe, eine reine Stahlkonstruktion, sah zehn Felder zu 192 m und über den Tarn ein unterspanntes Feld von 384 m Länge vor. Da die äußerst schlanken Stahlstützen eindeutig unterdimensioniert waren und die Stabilität insbesondere unter Windbeanspruchung nicht gewährleistet war, konnte dieses Projekt nicht weiter in Betracht gezogen werden, zumal auch seine Gestaltung nicht zu überzeugen vermochte.

Für die Lösung eines Durchlaufträgers mit variabler Bauhöhe schlugen die Projektverfasser vor, Y-förmige Stützen anzuordnen. Über diesen Stützen waren auf eine Länge von je 180 Metern Hohlkastenträger in Ortbeton vorgesehen; die verbleibenden Zwischenräume von je 160 Metern Länge wären danach durch leichte Stahlhohlkästen geschlossen worden, die am Boden montiert und anschließend in die Soll-Lage angehoben werden sollten. Bei diesem sehr sorgfältig bearbeiteten und generell positiv beurteilten Projekt wurde hauptsächlich bemängelt, dass eine sehr hohe Stütze mitten ins Flussbett zu stehen gekommen wäre.

Für die Überquerung tiefer Täler bieten sich im Prinzip Bogenbrücken als elegante Lösung an. Das mit dieser Variante beauftragte Team schlug einen Betonbogen mit einer Rekordspannweite von 602 Metern vor, der im freien Vorbau mit Schrägseilabspannungen erstellt werden sollte, was einige technische Probleme, vor allem aber hohe Kosten verursacht hätte. Bei Bögen mit anschließenden Vorlandbrücken stellt sich immer wieder das heikle Problem, wie der Übergang von den für einen Bogen günstigen, engen Ständerabständen zu den für die Vorlandbrücke erwünschten, weit größeren Stützenabständen harmonisch gestaltet werden kann, was im vorliegenden Fall nur bedingt gelang.

Bei der sehr großen Höhe der Brücke hätte sich eine Lösung mit unterspannten Trägern grundsätzlich durchaus als zwecksmäßig erweisen können. Der mit dem Studium dieser Variante beauftragte Architekt führte diese an sich einleuchtende Idee jedoch im Bestreben nach größtmöglicher Originalität ad absurdum, indem er gigantische Raumfachwerkpfeiler sowie eine unnötig komplizierte Unterspannung in drei gespreizten Ebenen vorschlug.

Ausführung als mehrfeldrige Schrägseilbrücke

Man kann sich fragen, ob einer mehrfeldrige Schrägseilbrücke in so großer Höhe über dem Tal zweckmäßig sei, denn die 90 Meter hohen Pylone auf den ohnehin schon sehr hohen Pfeilern und die Abspannkabel vergrößern natürlich die bei einem solchen Bauwerk kritischen Windbeanspruchungen ganz maßgeblich; ein Problem, das aber dank eingehender Untersuchungen lösbar erschien und – wie sich zeigte – auch war. Die Expertenkommission kam daher zum einstimmigen Schluss, dass dieser Lösung der Vorzug zu geben sei. Neben ihrer unbestreitbar transparenten Eleganz hat sie den entscheidenden Vorteil, dass die Benutzer die Brücke als solche wahrnehmen.

Das ausgeführte Projekt entspricht weitgehend dem damaligen Entwurf Virlogeux'. Da er aber zwischenzeitlich die SETRA verlassen hatte, durfte er als ehemalig beamteter Initiator auf obrigkeitliche Verfügung hin offiziell nicht mehr als Projektverfasser auftreten, was er aber insgeheim trotzdem bleibt. Daher übernahm es Sir Norman Foster – er war damals noch nicht Lord – das Projekt, dem er architektonisch den letzten Schliff gegeben hatte, vor der Jury und den Medien zu vertreten, weshalb lange Zeit auch nur er als Projektverantwortlicher genannt wurde.

Beton- oder Stahlbrücke

Für die öffentliche Ausschreibung wurde sowohl eine Variante mit Versteifungsträgern aus Beton als auch eine solche in Stahl ausgearbeitet, die beide in ihrer äußeren Form praktisch identisch waren. Da ein Deck aus Stahl rund vier Mal leichter aber auch etwa vier Mal teurer ist als eines aus Beton, andererseits aber entsprechend weniger kostenintensive Schrägseile benötigt, schienen beide Lösungen, was die reinen Gestehungskosten betraf, etwa gleichwertig zu sein. Dies war, wie die von dem ausführenden Konsortium »Compagnie EIFFAGE du Viaduc de Millau« für beide Varianten eingereichten Angebote zeigten, auch tatsächlich der Fall.

Bauvorgang

Normalerweise werden Schrägseilbrücken von den Pylonen aus im freien Vorbau erstellt. Das hätte in diesem Fall aber zu beträchtlichen Problemen geführt, denn eine mehrfeldrige Brücke auf sehr hohen und möglichst schlanken Pfeilern erhält ihre erforderliche Stabilität erst, wenn die Felder kontinuierlich geschlossen sind. Im Bauzustand hätten die auf jeder Seite bis zu 170 Meter weiten Auskragungen durch Abspannseile gegen Windkräfte stabilisiert werden müssen, was ein riskantes Unterfangen gewesen wäre. EIFFAGE schlug daher zum allgemeinen Erstaunen vor, die Brücke im Taktschiebeverfahren zu erstellen, was in dieser Form und Größe zuvor noch nie erprobt worden war. Dazu kam nur die Variante mit Stahldeck in Frage, welches von beiden Ufern her sukzessive über die Betonpfeiler und die bis zu 180 Meter hohen, provisorischen Zwischenstützen eingeschoben wurde. Der Pylon und die Schrägseile des vordersten Feldes wurden bereits an Land montiert und zusammen mit dem Deck eingeschoben, so dass die Vorbauspitze sowohl als Vorbauschnabel diente als auch ermöglichte, auf eine überhohe Hilfsstütze im Tarn zu verzichten.

Da die nachfolgenden, noch nicht mit Pylonen und Abspannungen versehenen Felder Spannweiten von 170 Metern Länge zu überwinden hatten, aber nur 4,2 Meter Bauhöhe aufwiesen (Schlankheit L/h > 170/4.2 > 40), traten beim Taktvorschieben und beim nachmaligen Transport der 700 t schweren Pylone wie erwartet sehr große und für Uneingeweihte etwas beunruhigende Durchbiegungen auf. Die Stahlspannungen blieben dabei gerade noch im elastischen Bereich, und das Deck kam nach der Montage der Pylone und der Kabel genau in die Soll-Lage zu liegen. Man wird sich vielleicht fragen, wieso nicht gleich alle Schrägseilabspannungen beim Vorbau montiert wurden, was die temporären Durchbiegungen beträchtlich vermindert hätte. Dies war jedoch aufgrund von Terminschwierigkeiten bei der Lieferung der Pylone nicht möglich.

Schlussbemerkungen

Die in jeder Hinsicht gelungene Realisierung dieses imposanten Bauwerkes ist zweifellos ein technisches Meisterwerk erster Güte und auch ein Beispiel dafür, was erreicht werden kann, wenn Ingenieure und Architekten gegenseitig befruchtend zusammenarbeiten. Trotz der notwendigerweise sehr großen Abmessungen der Pfeiler wirken diese dank ihrer vom Architekten gewählten Querschnittsform schlank und elegant.

Die deutsche Firma Peri hat dazu ein raffiniertes Schalungssystem entwickelt, mit welchem sich die recht kompliziert geformten, variablen Querschnitte einwandfrei herstellen ließen. Besonderes Lob gebührt aber der Compagnie EIFFAGE, die den Mut und die Fachkompetenz hatte, für die Montage eine völlig neue Methode zu entwickeln und auch erfolgreich umzusetzen. Das von ihr erstellte Bauwerk besticht auch bezüglich seiner in allen Details hervorragenden Ausführungsqualität.

db, Sa., 2006.02.04



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