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09. Oktober 2009Daniel Engler
TEC21

Holzkristall

Jeder Kubikmeter Beton, jeder Balken und jede Schraube mussten eingeflogen werden. Die Windbelastungen sind extrem, die Temperaturen ebenso, und das Wetter ist unberechenbar. Dies sowie ein Zeitfenster von gut fünf Monaten waren die Bedingungen, unter denen die Neue Monte-Rosa-Hütte auf 2883 m ü. M. gebaut wurde.

Jeder Kubikmeter Beton, jeder Balken und jede Schraube mussten eingeflogen werden. Die Windbelastungen sind extrem, die Temperaturen ebenso, und das Wetter ist unberechenbar. Dies sowie ein Zeitfenster von gut fünf Monaten waren die Bedingungen, unter denen die Neue Monte-Rosa-Hütte auf 2883 m ü. M. gebaut wurde.

Das alles sprach für einen möglichst hohen Vorfertigungsgrad, der konsequent umgesetzt wurde. Bei der Grösse der vorgefertigten Elemente musste allerdings Rücksicht auf die Tragkraft der Transporthelikopter bzw. auf die Kosten einer Vergrösserung des Helikoptermodells genommen werden. Es galt, eine Teilung der Bauelemente zu fi nden, aus welcher der optimale Mix von kurzer Montagezeit und kostengünstigem Helikoptertransport resultiert. Das Ergebnis: Betonfundamente schaffen die Verbindung zum Granitgneis (Bereich Permafrost), darauf liegt ein aus Stahlträgern konstruierter, ausgesteifter Tisch. Diese Arbeiten wurden, zusammen mit den Sprengarbeiten für eine oberhalb der Hütte liegende Trinkwasserkaverne, schon im Sommer 2008 ausgeführt. Nachdem im Frühjahr 2009 dann der Schnee weggeräumt war, bildete der Stahltisch die Basis für die fünfgeschossige Holzkonstruktion der eigentlichen Hütte (Abb. 1).

Fünf Achsen - acht Ecken Auf dem unregelmässigen Achteck des Grundrisses übernehmen zehn sternförmig angeordnete, jeweils vom Kernraum bis zur Fassade reichende Innenwände die vertikalen Lasten wie auch einen grossen Teil der Gebäudeaussteifung. So entstand in einem iterativen Prozess ein robustes statisches Konzept, das sich architektonisch in der zellenförmigen Struktur des Gebäudeinnenraums abbildet. Die Fassade und der zentrale Kernraum sind damit von statischen Primäraufgaben weitgehend befreit. Ausnahmen bilden einzelne Teile der Aussenwände sowie die Decken des Kernraumes, die als Ober- bzw. Untergurte die gegenüberliegenden Achsenwände miteinander verbinden (Abb. 5). Für die Torsionsstabilität des Gebäudes wurden in den oberen Geschossen einzelne Fassadenflächen ausgesteift. Im Erdgeschoss geschah dies mangels einer geeigneten Scheibe in der rundum geöffneten Fassade mit Hilfe der Treppenholme. Der betonierte Schubring sowie die Verspannung des Stahltisches leiten alle horizontalen Kräfte auf die Fundamente und in den Baugrund ab. In den obersten zwei Geschossen sind die Lasten aus Erdbeben massgebend, weiter unten die Windkräfte. Diesen Bereichen wurden zur Bemessung Windgeschwindigkeiten von 250 km/h zugrunde gelegt, was lokal, z. B. entlang von Kanten, zu einem Spitzendruck (bzw. Sog) von bis zu 5.0 kN/m2 führen wird.

Sichtbare Konstruktion Ein Wunsch der Architekten war es, die tragenden Bauteile nicht hinter Verkleidungsplatten verschwinden zu lassen, sondern sicht- und erlebbar freizustellen. Daher wurden die Wände als Stab-Platten-Verbund konzipiert. Die Dreischichtplatten liegen dabei an der Fassade aussen bzw. bei den Achsenwänden paarweise Rücken an Rücken. So bleiben die Balken (120/120 bzw. 140 mm) zum Raum hin sichtbar. Eine Folge davon war, dass die Anforderung an die Ausführungsqualität der Konstruktion anstieg. Das hat sich aber ausgezahlt: Einerseits sind viele – in den dicht belegten Räumen sehr erwünschte – Ablagen und Nischen entstanden, und anderseits akzentuieren die orthogonal stehenden Rippen die Schrägen der Gebäudegeometrie. Diese Schrägen erforderten auch spezielle Massnahmen zur Kompensation von Bautoleranzen. Eine davon war, zwischen den doppelten Achsenwänden immer eine Fuge offen zu lassen (Abb. 7), was auch den Schallschutz zwischen den Zimmern verbessert.

Eine spezielle Ausprägung mussten die Achsenwände im Erdgeschoss übernehmen, wo der grosse Essraum für 120 Personen die Grenzen der Kreissegmente natürlich sprengt. Sie werden hier in geschosshohe Strebenträger (200/200 mm) aufgelöst, womit der Raum zwar geöffnet und durchlässig wird, die Zellenstruktur aber immer noch spürbar bleibt (Abb. 8). Im Untergeschoss wiederum sind die ästhetischen Ansprüche geringer und die Traglasten höher, sodass die Achsenwände nicht mehr als Rippen-Platten-Konstruktion, sondern als geschlossene Scheiben aufgebaut sind. Die Decken liegen gelenkig gelagert auf den Achswänden auf und sind, mit Ausnahme des UG-Bodens, als Hohlkastenträger ausgebildet. Sie sind beidseitig mit aufgeleimten Dreischichtplatten beplankt und mit brandschutzwirksamer Dämmung gefüllt.

Altbewährte Verbindungstechnik Die Verbindungen der Tragelemente innerhalb der Achsenwände sowie in den Decken sind mit CNC-gefrästen Schwalbenschwänzen ausgeführt (Abb. 3). Dadurch hatten Planer und Ausführende die Gewähr, dass die Bauteile mit grösstmöglicher Präzision fertig gestellt würden. Das war wichtig, weil die unterschiedlich geformten Dreischichtplatten schon beim Lieferanten auf Mass zugeschnitten wurden und darum exakt passen mussten. Die tragenden und aussteifenden Elemente sind allesamt relativ starr ausgebildet. Um bei einem Erdbeben – die Hütte liegt in der höchsten in der Schweiz vorkommenden Gefährdungsstufe – genügend Energie vernichten zu können und um auch generell ein möglichst gutmütiges Tragverhalten zu erreichen, versuchte man die Verbindungen der Elemente untereinander duktil (nachgiebig) zu konzipieren. Eingebaut wurden Hartholz-Schubdübel aus Eichenholz, die in der Lage sind, bei gleichzeitig einfacher Montage hohe Lasten zu übertragen. Um das erwähnte duktile Verhalten zu erreichen, sind sie so bemessen, dass im Falle einer Überlast zuerst die Fasern der Hirnholzflächen in den Tragelementen gequetscht werden, bevor das Vorholz oder der Dübel selber spröd abscheren.

Brandschitzkonzept Ein Brandschutzkonzept muss die Massnahmen gegen die Entstehung und Ausbreitung von Feuer und Rauch, die Personenrettung sowie die Widerstandsfähigkeit der Tragkonstruktion im Brandfall nachweisen. Das gilt grundsätzlich auch für eine Berghütte, die konkreten Anforderungen unterscheiden sich aber teilweise von anderen Hochbauten. Bei der brandschutztechnisch viergeschossigen neuen Monte-Rosa-Hütte reichen diese von REI 30 in den Obergeschossen bis zu REI 60 / EI 30 nbb für die Erschliessung sowie das Untergeschoss. Mit einem durchdachten Fluchtwegkonzept gelang es, den Aufwand in tragbaren Grenzen zu halten. Ein zweiter Fluchtweg erlaubte es zum Beispiel, in den Obergeschossen jeweils alle Schlafzimmer zu einem einzigen Brandabschnitt zusammenzufassen. Dieser zweite Fluchtweg besteht lediglich aus einer aussen angebrachten Fassadenleiter. Bewilligt wurde das aufgrund des Arguments, dass Berggänger, die eine anspruchsvolle Wanderung zur Hütte hinter sich gebracht haben, auch in der Lage wären, im Notfall an einer Leiter einige Meter abzusteigen.

Mittels einer separaten Treppe wurde dafür gesorgt, dass der Hüttenwart, der in jedem Notfallszenario eine zentrale Rolle spielt, von seinen Räumen aus dem 1. Obergeschoss problemlos nach unten gelangen kann. Eine Steuerung sorgt überdies dafür, dass für die Notfallbeleuchtung immer eine Restkapazität zur Verfügung steht, sodass die Akkus im Normalbetrieb nicht vollständig entladen werden können.

Die ausser im Treppenhaus überall sichtbaren hölzernen Tragelemente mussten auf einen 30- bzw. 60-minütigen Abbrand hin dimensioniert werden. Sie müssen also nach diesen Zeitspannen ein genügendes Tragvermögen (allerdings ohne Lastreserven) aufweisen.

Vorteil Holz Der Entscheid für Holz als Baumaterial fiel – neben seiner Eignung für hochdämmende Fassaden – vor allem aus Gewichtsgründen. Trotzdem betrug der Anteil des Transports, in erster Linie der Helikopterflüge, immer noch rund 15 % der Gesamtkosten. Bei der Unternehmerauswahl war denn auch das Logistikkonzept ein wichtiges Kriterium. Einzelne Unternehmer hatten in der Offertphase eine Vorfertigung ganzer Raumzellen in Betracht gezogen. Das wäre den PlanerInnen aus Gründen der Qualitätssicherung sogar sehr recht gewesen, es scheiterte aber schliesslich an der mangelnden Verfügbarkeit genügend leistungsfähiger Helikopter. Der für einen Grossteil der Transporte eingesetzte Eurocopter Lama hat auf dieser Höhe eine Tragkraft von rund 650 kg. Für einige schwerere Wandelemente musste dann bereits ein über annähernd die doppelte Tragkraft verfügender Helikopter vom Typ Kamax eingesetzt werden.

Die Transportkette der Holzbauunternehmung sah folgendermassen aus: Vom Betrieb in Mörel fuhren Lastwagen hinunter nach Visp und verluden die Teile auf Bahnwagen. Diese transportierten sie, mit einem Lokomotivwechsel in Zermatt, auf der Gornergratbahn bis auf 2300 m ü. M. nach Riffelboden. Dort wurden die Elemente entweder zwischengelagert oder, meistens, direkt vom Bahnwagen zur Baustelle geflogen und montiert. Die Hütte besteht aus ca. 420 vorfabrizierten Holzelementen, die teilweise im 9-Minuten-Takt «angeliefert» wurden. Total waren für den Bau der Hütte als Ganzes rund 3000 Helikopterflüge notwendig. Mit den Stahlteilen wurde gleich verfahren, währenddem der Beton in einer jeweils eigens für die sommerlichen Gebirgsbauplätze erstellten Anlage am Fusse des Gornergletschers gemischt und dann hochgeflogen wurde.

TEC21, Fr., 2009.10.09



verknüpfte Zeitschriften
tec21 2009|41 Neue Monte-Rosa-Hütte

19. November 2007Daniel Engler
TEC21

Einfach effizient

Vor zwei Jahren entschied die Restaurantkette Mövenpick Marché, dass ihre Verwaltung näher bei den zu Verwaltenden platziert werden sollte. So entstand an der Autobahn A1, direkt bei der Raststätte Kemptthal, ein bemerkenswertes Bürogebäude. Es wurde unter anderem mit dem diesjährigen Solarpreis ausgezeichnet.

Vor zwei Jahren entschied die Restaurantkette Mövenpick Marché, dass ihre Verwaltung näher bei den zu Verwaltenden platziert werden sollte. So entstand an der Autobahn A1, direkt bei der Raststätte Kemptthal, ein bemerkenswertes Bürogebäude. Es wurde unter anderem mit dem diesjährigen Solarpreis ausgezeichnet.

Die Anlage des Gebäudes ist überaus einfach: Ein lang gestreckter, dreigeschossiger Baukörper, je ein Treppenhaus an beiden Enden. An der exakt nach Süden geöffneten, vollverglasten Längsseite befinden sich die Grossraumbüros mit davorliegenden Balkonen bzw. einer Terrasse im Erdgeschoss. Ein Bauherrenanspruch – direkter Ausgang ins Freie für jeden Arbeitsplatz – deckte sich hier mit der energetisch und raumklimatisch sinnvollen Abschattung der hoch stehenden Sommersonne. Der zwischen den beiden Treppenhauskernen liegende Raum auf der Nordseite nimmt Sitzungszimmer und Nebenräume sowie einige wenige Einzelbüros auf. Im Erdgeschoss werden in diesem Bereich Akten gelagert, da es keinen Keller gibt. Im angedockten und auch in der Fassadengestaltung speziell behandelten Eingangsbaukörper schliesslich befinden sich das Café, die Entsorgungsstation sowie drei Studios für übernachtende Besucher (Bilder 1 bis 4).

Einfaches Konzept – sorgfältige Gestaltung

Der grosse Termindruck – zwölf Monate von Planungsbeginn bis Einzug – erforderte gleich zu Beginn zwei Grundsatzentscheide: Massivbauweise kam nur punktuell in Frage, und auf einen Keller musste verzichtet werden. Davon und vom sehr engen Kostenrahmen haben sich die Architekten offensichtlich eher inspirieren denn einengen lassen. Ihre Strategie war, die Konzepte auf allen Ebenen (Statik, Konstruktion, Installation, Ausbau) absolut einfach zu halten. Als Gegengewicht dazu wurde auf eine sorgfältige Gestaltung Wert gelegt. Zudem wählte man einige wenige Elemente aus, die, wenn man so will, luxuriös, also mehr als das unbedingt Notwendige sein durften. Die Pflanzenwände für ein angenehmes Raumklima sind ein solches Beispiel, die Solarglas-Fassadenelemente, die rund das Doppelte eines normalen Fensterelementes kosten, ein anderes. Ansonsten wurde aus wenig sehr viel gemacht. Die Ausschreibung der Betontreppenhäuser zum Beispiel erfolgte ohne jede Anforderung an die Schalung. Da habe er, als er das Ergebnis zum ersten Mal erblickte, schon einmal leer schlucken müssen, gesteht der Architekt. Heute aber, im Licht der sehr einfachen, aber raffinierten Beleuchtung und unter einer dunkelroten Lasur, erscheint die grobe und unregelmässige Betonoberfläche überhaupt nicht billig (siehe inneres Titelbild).

Verteilung auf dem Dachboden

Weitere Kostendrücker: Wasser gibt es nur gerade im vorderen Treppenhaus sowie in den daran unmittelbar anschliessenden Räumen des Eingangsbaukörpers. Die Zentrale für Heizung, Warmwasser und Lüftung sowie die Solarstromsteuerung befinden sich im Dachraum über dem Treppenhaus, zugänglich lediglich über eine Standard-Auszugestrich­treppe. Auch das Konzept der Verteilung von Luft, Wärme und Medien ist von verblüffender Einfachheit. Die horizontale Verteilung erfolgt auf dem Boden des unbeheizten Dachraums. Und der Clou: Der gesamte Dachboden mitsamt den darauf verlegten Lüftungskanälen und Heizungsleitungen (Strom und Netzwerk liegen in aufgeständerten Trassen) wurde am Schluss knapp 30cm hoch mit Zelluloseflocken zugeschüttet. Müssen diese Installationen einmal gewartet werden, legt man sie frei und deckt sie anschliessend wieder zu. Die Weiterverteilung nach unten geschieht dann in Wandaussparungen (in der Nordwand) und in den voluminösen Stützen (Bild 5). Die Geschossböden selbst sind von der Medienverteilung (ausgenommen Bodenheizung) befreit, was neben einer Kostenersparnis auch die Flexibilität für die Nutzer erhöht.
Das Raster der Tragkonstruktion orientiert sich am Platzbedarf zweier Arbeitsplätze. Zusammen mit der Längserschliessung ergeben sich auf der Südseite 6.5 m × 4.0 m, auf der Nordseite 5.0 m × 4.0 m. Die eher geschlossenen Nord-, Ost- und Westfassaden sind tragend und steifen den Bau aus. Die beiden Treppenhäuser sind zwar in Beton erstellt, was aber auf den Anforderungen der Brandsicherheit und nicht auf statischer Notwendigkeit beruht. Im Gegenteil, aus akustischen Gründen sind sie von der Holzkonstruktion vollständig entkoppelt. Als Geschossdecken dienen Hohlkastenelemente, die wiederum zum Schallschutz mit Split beschwert sind.

Pflanzenwand und massgefertigte Möbel

Gleich beim Eintritt vom Treppenhaus in die Büroräume steht man neben einer grünen Pflanzenwand (Bild 6). Die 12 m² in jedem Geschoss verdunsten pro Tag etwa 30l Wasser – insbesondere im Winter ein willkommener Beitrag zu einem angenehmen Raumklima. Die Irritation, in einem Bürohaus ganz von Holzoberflächen umgegeben zu sein, hält nicht lange an. Zu wohl fühlt man sich in den unkompliziert wirkenden Räumen. Für die Auswahl der Materialien waren neben den Kosten ebenso ökologische und baubiologische Kriterien ausschlaggebend. Wände und Decken zeigen direkt die innerste Lage der Konstruktion (Dreischichtplatten). Der Boden hingegen ist in grossflächigen, dunkel geölten Duripanelplatten ausgeführt. Dieser Entscheid ist wie so viele andere auf die Budgetrestriktionen zurückzuführen. Er hat gewiss auch ein wenig experimentellen Charakter und wird sich im Alltag noch bewähren müssen. Für den Autor absolut erstaunlich: Obwohl die Bauherrschaft nicht bereit war, für die Einrichtung mehr auszugeben als für günstige Büromöbel ab Stange, schafften die Architekten das Kunststück, innerhalb dieses Budgets modulare, flexible und schöne Möbel in Buchensperrholz bei einem lokalen Schreiner anfertigen zu lassen. Sogar ein nützliches Extra lag noch drin: Die Rückwände der Schränke und Bücherwände wurden als Schallabsorber ausgebildet. Einige wenige Trennwände erhielten dieselbe Behandlung, und schliesslich tragen auch die jeweils oberhalb der individuellen Stehlampen angebrachten Reflexionsschirme zu einer angenehmen Akustik bei. Im Pausenraum gaben die Architekten dann noch einen drauf: Boden, Wände, Küchenkombination und Möbel sind alle aus Holz gefertigt und so stellt sich hier eine Art Schmuckkästchen-Effekt ein (Bild 7).

Energiekonzept

Das Gebäude ist Minergie-P-Eco-zertifiziert, es geht aber noch einen Schritt weiter. Die Urheber bezeichnen es als «bilanziertes Nullenergiehaus». Damit ist gemeint, dass die auf dem Dach installierten Solarzellen übers Jahr gesehen gleich viel Strom produzieren wie Heizung, Warmwasser und Lüftung sowie alle anderen Verbraucher (Beleuchtung, EDV, etc.) im selben Zeitraum benötigen. Der Strom wird ins allgemeine Netz eingespeist und der Verbraucherstrom wiederum von dort bezogen. Die Pufferfunktion des Elektrizitätswerks macht damit noch den Unterschied zu einem energetisch vollständig autarken Gebäude aus. Die amorphen Solarzellen (sog. Dünnfilmzellen) sind zwischen zwei Glasscheiben eingebettet und bilden eine grossflächig geschuppte Dachhaut, die elegant detailliert ist und die Schutzfunktion einer konventionellen Dacheindeckung übernimmt. Finanziert und betrieben wird die Anlage vom Elektrizitätswerk des Kantons Zürich (EKZ). Marché verpflichtete sich im Gegenzug, einen Viertel der produzierten Strommenge zum Solarstromtarif selber zu beziehen, der Rest wird über die Solarstrombörse weiterverkauft. Damit konnte die Bauherrschaft trotz der ökologischen Energieproduktion ihre Investitionsrechnung entlasten, sie musste sich lediglich im Umfang der Kosten einer konventionellen Dacheindeckung beteiligen.

Weiter gibt es die für ein Minergie-P-Haus selbstverständlichen Einrichtungen wie kontrollierte Lüftung mit Wärmerückgewinnung und Erdsondenwärmepumpe. Die U-Werte der opaken Hülle betragen zwischen 0.084 und 0.104W / m2*K. Die Fenster sind dreifachverglast, besitzen allerdings statt (teurer) hochgedämmter Passivhausprofile lediglich normale Holzrahmen. Ein relativ kleiner Rahmenanteil und die ansonsten optimalen Dämmwerte ermöglichten diese Einsparung. Rund die Hälfte der Südfassade ist mit GlassX-Elementen bestückt (siehe nachfolgender Artikel). Um trotz der Holzbauweise genügend Speichermasse anbieten zu können, wurde ein 80mm dicker Zement-Unterlagsboden eingezogen, der auch die Heizleitungen enthält. Darin lag ein weiteres Argument für den Bodenbelag in Duripanel: Die Wärmeübertragung zur darunterliegenden Speichermasse funktioniert besser als z. B. mit einem Parkett. Im Sommer können die Leitungen der Bodenheizung über die Erdsonde mit kühlem Wasser (minimal 18°C) gespeist werden.

TEC21, Mo., 2007.11.19



verknüpfte Zeitschriften
tec21 2007|47 Minergiebauten

31. März 2006Daniel Engler
TEC21

Plattform und Treppe

Eine in den 1970er-Jahren geplante, etwas abseits gelegene S-Bahn-Station in der Stadt Bern war im Lauf der Zeit zu einem Problemfall geworden. Sie hatte sich zu einem Drogenumschlagplatz entwickelt, der Vandalismus nahm überhand. Die Anwohner nahmen teilweise lange Wege in Kauf, um den Ort zu umgehen. Mit dem Ziel, die Haltestelle wieder attraktiv und sicher zu machen, wurde sie völlig umgekrempelt.

Eine in den 1970er-Jahren geplante, etwas abseits gelegene S-Bahn-Station in der Stadt Bern war im Lauf der Zeit zu einem Problemfall geworden. Sie hatte sich zu einem Drogenumschlagplatz entwickelt, der Vandalismus nahm überhand. Die Anwohner nahmen teilweise lange Wege in Kauf, um den Ort zu umgehen. Mit dem Ziel, die Haltestelle wieder attraktiv und sicher zu machen, wurde sie völlig umgekrempelt.

Die Station heisst Felsenau und wird vom Regionalverkehr Bern-Solothurn (RBS) bedient. Sie liegt vier Minuten vom Bahnhof Bern entfernt an einer der am dichtesten befahrenen Bahnstrecken der Schweiz und überdies direkt unter dem von Christian Menn konzipierten Autobahnviadukt gleichen Namens. Die Haltestelle wurde 1973 gemäss den Prioritäten der damaligen Zeit bei der Verlegung der Bahntrasse unter die Kantonsstrasse gebaut. Die Strasse musste fortan in einer verwinkelten, unübersichtlichen Unterführung unterquert werden, der Aufgang zum hangseitigen Perron glich einer dunklen Höhle. Der Weg durch die Haltestelle ist zusätzlich auch eine wichtige Fussverbindung, und so verlangten neben den Benutzern der S-Bahn auch die Bewohner der benachbarten Quartiere dringend Verbesserungen.

Erschwerend ist, dass die Station in einem Niemandsland zwischen den Wohnquartieren liegt. Es existieren in der Nähe keine Nutzungen, die das Gebiet beleben könnten, weder tagsüber noch am Abend, so dass unbedingt ein Konzept gefordert war, das auch mit einer geringen Belebung funktioneren würde.

Unterführung aufgehoben

Das Tiefbauamt des Kantons Bern entschloss sich, einen Studienauftrag an eine Arbeitsgemeinschaft von Architektinnen und Ingenieuren zu vergeben. Den Planenden wurde bald einmal klar, dass es kaum möglich war, an der Unterführung grundsätzlich etwas zu verbessern. „In solchen Situationen versuchen wir normalerweise, eine bestehende Unterführung zu erhalten und oberirdische Querungen zusätzlich anzubieten“, sagt die Architektin Barbara Schudel. Hier allerdings war die Ausgangslage so desolat, dass das Planungsteam vorschlug, die Unterführung aufzuheben. Ein nicht unproblematischer Vorschlag, weil er mit sich brachte, dass (allerdings schon grössere) Schulkinder nun eine viel und schnell befahrene Strasse auf einem Fussgängerstreifen überqueren müssen. Aber es gelang, die Nutzer, vertreten u. a. durch den früh in den Planungsprozess einbezogenen Quartierverein, von der Idee zu überzeugen. Begleitende Massnahmen wie eine von 80 auf 60 km / h reduzierte Höchstgeschwindigkeit oder eine Fahrbahnverengung beim Fussgängerstreifen ermöglichten eine substanzielle Verringerung der auf der Strasse gefahrenen Geschwindigkeiten, so dass sogar auf eine Lichtsignalanlage verzichtet werden konnte. Die grosszügige Mittelinsel sowie eine sehr helle nächtliche Ausleuchtung verbessern die Sicherheit beim Übergang zusätzlich.
Die Unterführung wurde übrigens aus Kostengründen nicht abgebrochen, durch fest verschlossene Türen aber unpassierbar gemacht.

Übersicht bringt Sicherheit

Der Grundidee des Konzeptes folgend, die Fussgänger wieder an die Oberfläche zu bringen, wurde ein neuer Weg geschaffen (Bild 1). Von oben kommend führt er vom Fussgängerstreifen auf die Hauptebene der Plattform. Weiter geht es entweder in den Glaslift oder auf die expressive, wanderweggelb gestrichene Stahltreppe. Diese bildet jetzt das aareseitige Merkzeichen der Anlage und führt via die Zwischenplattform auf Perronniveau hinunter zum Aareuferweg. Hier unten befindet sich auch das noch genutzte kurze Stück der bestehenden Unterführung, das den innen liegenden Bahnsteig erschliesst, wo die stadteinwärts fahrenden Züge halten.

Der dreieckig auskragende Grundriss der Plattform ist ein Produkt aus den verschiedenen Geometrien. So nimmt ihre Kante die Richtung der Autobahnbrücke auf, die in grosser Höhe direkt über der Station liegt (Bilder 2 und 6).

Um eine angenehme Aufenthaltsqualität und ein für alle möglichst grosses Sicherheitsgefühl zu erreichen, wurden vor allem Übersichtlichkeit, Hör- und Blickkontaktmöglichkeiten angestrebt. Die Unterführung auf der untersten Ebene zum Beispiel wurde durch den Abbruch der WC-Anlagen verbreitert, und beim inneren Perronaufgang, der aus Kostengründen nicht verändert werden konnte, sieht man nun mit Hilfe der polierten Edelstahlverkleidung der gegenüberliegenden Wand, was um die Ecke vorgeht (Bild 8). Beim äusseren Perron wurde ein Teil der Wetterschutzwand entfernt, man sieht nun vom Bahnsteig aus direkt zur Treppe und zum Lift. Von vornherein war klar, dass der Lift notwendigerweise transparent sein und damit aus Glas bestehen musste.

Sowohl diese Haltestelle als auch die nächste, ebenfalls unterirdische Station, die Tiefenau, werden seit einiger Zeit ab 20 Uhr abends geschlossen. Die Linie nach Unterzollikofen wird am Abend aus Kapazitäts-, Kosten- und Komfortgründen (der Bus fährt in Unterzollikofen als Ortsbus ohne Umsteigen weiter in die Quartiere) auf Busbetrieb umgestellt. Es mussten also auch noch zwei neue Bushaltestellen eingerichtet werden. Als erwünschte Nebeneffekte konnten damit auch ein grosser Teil der Attraktivität zum Beispiel für die Drogenszene von vornherein unterbunden und der Vandalismus eingedämmt werden.

Statik

Die grosse Plattform steht auf zwei hohen Stützen, kragt aber über diese noch hinaus (Bilder 1 und 7).
An der äussersten Ecke führt die Treppe, die von ihrem stählernen, gelb gespritzten Treppenauge getragen wird, nach unten. Die statische Wirkung der Treppenkonstruktion ist je nach Belastungszustand unterschiedlich. Sie kann, abhängig z.B. von der Temperatur, an der Plattform angehängt sein oder auch helfen, diese zu tragen. Die mittlere Plattform, die auf dem Niveau der Bahnsteige liegt und deren äusseren auch erschliesst, ist an dünnen Stahlstangen abgehängt. Die Architekten wollten ihr damit klar eine untergeordnete Funktion zuweisen und damit den Höhensprung in seiner ganzen Grösse gut spürbar machen. Die Haltestelle befindet sich in einem Rutschhang, der bis anhin gerade eben stabil war. Das zusätzliche Gewicht der Plattform konnte nun aber nicht mehr in einer flachen Fundation abgetragen werden. Die beiden hohen Stützen und die Treppe wurden also mit Mikropfählen fundiert. Solche wurden auch unter die bestehenden, jetzt höher belasteten Fundamente eingebracht (Bild 4).

Konstruktion und Bauvorgang

Zu Spitzenzeiten fährt an der Haltestelle Felsenau alle 90 Sekunden ein Zug. Das heisst, dass auch nur geringe Störungen des Betriebs durch den Bau absolut nicht tolerierbar waren. Aus diesem Grund wurde zuerst ein stählernes Schutzgerüst erstellt, um darauf anschliessend gefahrlos die Plattform erstellen zu können. Da die Fahrleitungen in dieser ersten Phase aus Sicherheitsgründen stromlos sein mussten, war es notwendig, die entsprechenden Arbeiten in der nächtlichen Betriebspause auszuführen. Netto standen jeweils nur viereinhalb Stunden zur Verfügung, so dass diese Vorarbeiten 14 Nächte in Anspruch nahmen.

Im Lichtraumprofil bestehen in diesem Querschnitt sehr wenig Reserven, d. h. die Differenz der Höhenkoten von Strasse und Bahngleisen ist so knapp, dass nur wenig Konstruktionsraum für eine Plattform übrig blieb (Bild 4). Um diese Verhältnisse wenigstens ein bisschen zu verbessern, wurde die neue Plattform nach aussen mit einer leichten Steigung versehen.

Die Plattform selber besteht aus einem Stahlrost und darin eingesetzten Betonfertigelementen von jeweils etwa 2u 3 m. Die beiden grossen Kastenträger am Plattformrand mussten in einer Nachtsperre montiert werden, der Rest konnte dann unter Betrieb fertig gestellt werden. Die Fugen der Fertigelemente wurden zusammen mit dem Überbeton ausgegossen.

Die Stahlkonstruktion trägt in beiden Richtungen und auch im Verbund mit dem Überbeton. Die vielen schiefen Winkel und schrägen Anschlüsse waren in Stahl eher kompliziert (speziell im Bereich der Liftöffnung) und teuer. Die ganze Konstruktion in Beton auszuführen wäre billiger gewesen. Dann aber hätte das höhere Gewicht den Hang, in dem die Fundamente stehen, zu stark belastet bzw. wäre die Fundation entsprechend viel teurer geworden.

Alle Stahlteile, auch die unbewitterten, sind feuerverzinkt. Damit wird ein überdurchschnittlicher Rostschutz erreicht, was sich lohnt, weil viele Teile später sehr schwer zugänglich sein werden und man somit Unterhalts- und Reparaturarbeiten so weit als möglich zu vermeiden sucht.

Betonelemente mit Sollbruchstelle

Die Planer sahen eigentlich vor, die Jersey-Elemente (seitliche Betonabweiser) der bestehenden Strasse als Schutz gegen das Befahren der Plattform stehen zu lassen. Sie mussten aber schliesslich doch weggenommen werden, weil deren Integration in das neue Bauwerk nicht sauber zu lösen war.

Die Plattform ist zwar so bemessen, dass sie unter dem Gewicht eines Lastwagens nicht versagen würde, die Verformungen wären allerdings unzulässig gross. So wurden als Schutz neu Betonquader in Sitzhöhe vorgesehen (Bild 9). Sie besitzen eine Sollbruchstelle, so dass, wenn ein schweres Fahrzeug mit grosser Wucht hineinfährt, sie sich lösen und verschieben und nicht etwa die Plattform mit nach aussen reissen. Eine weitere Vorgabe war, dass ein kleiner Schneepflug dazwischen durchfahren kann.

Auf der Gleisebene mussten aus Sicherheitsgründen ebenfalls Anprallbankette erstellt werden, weil die beiden Hauptstützen der Plattform den Zügen hier relativ nahe stehen. Diese Arbeit musste, da sie sich im Lichtraumprofil der Bahn abspielt, nachts ausgeführt werden.

Materialien

Die Grundmelodie spielen ganz unspektakulär verzinkte Stahlteile. Das ist nicht teuer (und sieht auch nicht so aus) und nimmt Bezug auf den Bestand. Eine Ergänzung bilden teilweise edlere Materialien, so zum Beispiel die in Stahlrahmen eingesetzten Steinplatten der Treppe. Ihre Massivität erweckt Vertrauen, sie sind schön und angemessen. Ähnlich die mannshohen Glasbrüstungen auf der oberen Plattform. Sie sind ausserdem notwendig, um jeden Kontakt (z.B. durch Urinieren) mit der darunter liegenden elektrischen Oberleitung sicher auszuschliessen.

Die Wahl des gelben Glasdachs für die Wartezone hingegen erscheint nicht ganz so glücklich. Die Architekten legten Wert darauf, dass man auch von dort aus das Viadukt darüber sehen, sich orientieren kann.
Nach relativ kurzer Zeit ist das Dach aber schon verschmutzt (weil es unter dem Viadukt steht, wird es selten beregnet), was an solchen Standorten noch weniger erwünscht ist als anderswo.

Dafür kann nun auf den Nachtbus oder bei längeren Wartezeiten auch auf die Züge an der übersichtlichsten Stelle und an der relativ belebten Strasse gewartet werden. Die gelbe Farbe nimmt übrigens auch hier das Thema des „file jaune“ auf, das mit Fussgängerstreifen und der gelben Treppenbrüstung angetönt wird.

TEC21, Fr., 2006.03.31



verknüpfte Zeitschriften
tec21 2006|14 Bahn

28. Januar 2006Daniel Engler
TEC21

Markthalle und Perrondach

Im letzten Jahr gebaut: zwei unterschiedliche öffentliche Bauten, beide in Holz und vom selben Planer. Überrascht die Perronüberdachung in Filisur durch ihre Abweichung vom Gewohnten, beeindruckt an der neuen Viehmarkthalle im toggenburgischen Wattwil die unprätentiöse, aber durchaus kraftvolle, der Bedeutung angemessene Gestaltung.

Im letzten Jahr gebaut: zwei unterschiedliche öffentliche Bauten, beide in Holz und vom selben Planer. Überrascht die Perronüberdachung in Filisur durch ihre Abweichung vom Gewohnten, beeindruckt an der neuen Viehmarkthalle im toggenburgischen Wattwil die unprätentiöse, aber durchaus kraftvolle, der Bedeutung angemessene Gestaltung.

Perronüberdachung in Filisur

Man meint im Prinzip zu wissen, wie das Perrondach eines nomalen, kleinen Bahnhofs etwa auszusehen hat–Doppel-T-Stahlstützen, Längsträger und leicht geneigtes Dach in Holz oder ebenfalls in Stahl. Die neue Überdachung des Bahnhofs in Filisur ist vor diesem Hintergrund ungewohnt und überraschend, sie entzieht sich dem gängigen Schema ein Stück weit. Nun ist der mit der Planung beauftragte Bonaduzer Bauingenieur Walter Bieler nicht einer, der sich mit dem Minimum zufrieden gibt. Er sucht in seinen (überwiegend Holz-)Bauten mehr als nur die Erfüllung der notwendigen Anforderungen (vgl. auch tec21 Nr. 33-34/2003). Es interessiert ihn nach eigenen Worten eine Körperhaftigkeit des Ausdrucks. Stabkons-truktionen fehle oft die Kraft, der Landschaft etwas entgegenzusetzen. Die schroffen Berge rund um Filisur bezeichnet er denn auch als Ausgangspunkt seines Entwurfs. Komme dazu, so Bieler, dass Stabkonstruktionen auch nicht mehr wirklich ein Abbild des heutigen, doch viel eher industriellen als handwerklichen Bauprozesses seien.

Filisur ist ein wichtiger Knotenpunkt im Netz der Rhätischen Bahn. Er liegt an der Albulabahn von Chur nach St. Moritz/Poschiavo und ist gleichzeitig Endstation für die Davoser Linie. Der alte Bahnhof des 360-Seelen-Dorfes besass keinen Mittelperron und genügte darum den gestiegenen sicherheitstechnischen und betrieblichen Anforderungen nicht mehr.

Gefügte Scheiben

Nähert man sich dem Bahnhof, fallen auf dem neu gestalteten Perron zuerst einmal das ungewohnte Material und die im Kontrast zum ebenfalls in Holz gebauten alten Aufnahmegebäude stehende, sehr reduzierte Konstruktionsart auf. Bieler hat auf die Situation mit einer weitgehenden Reduktion der konstruktiven Elemente reagiert. Es gibt davon nur drei: das Dach, den Trägerkasten und die vertikalen Tragscheiben. Die Holzverbindungen werden eher heruntergespielt als inszeniert, die Elemente jedoch sind jeweils mit Schattenfugen sauber voneinander abgesetzt. Das alles sieht zwar einfach aus, ist aber planerisch anspruchsvoll. Soll das hochbelastete Bauwerk nämlich eine lange Lebensdauer haben, ist eine penible Einhaltung der insbesondere den Witterungsschutz betreffenden Konstruktionsregeln des Holzbaus notwendig. Die jeweils 2 m langen, senkrecht stehenden Holzscheiben rhythmisieren das total 86 m messende Bauwerk und erinnern mit den regelmässigen rechteckigen Öffnungen an einen Eisenbahnwaggon.

Etwas Geborgenheit

Steigt man von der Unterführung hoch zum Perron, wird gleich der Unterschied zu anderen Bahnhöfen spürbar. Die parallelen Scheiben stehen sich jeweils gegenüber und spannen auf zwei Seiten offene, kleine Räume auf. Man fühlt sich ein wenig geborgen, ist bei stechender Sonne oder auch bei starkem Schneefall geschützt (und sonst ist da immer noch das kleine Warteräumchen). Im Gegensatz zur Seitenansicht wirkt die ganze Konstruktion auf dem Perron selber erstaunlich transparent, und auch beim auf Nischen und unübersichtliche Situationen sensibilisierten Grossstädter kommen keinerlei Sicherheitsbedenken auf.

Die reduzierte und flächige Gestaltung erträgt die unvermeidliche Möblierung und Ausstattung eines solchen Bahnhofs überdurchschnittlich gut. Schön ist, dass auf die üblichen Normgeländer verzichtet wurde. Bieler entschied sich für sehr einfache Stahlgitter mit kräftigen Querschnitten, die der Aufgabe und der ganzen Anlage angemessen sind (Bild 6).

Nicht gelungen ist allerdings die Übertragung des Konzeptes auf den Treppenaufgang neben dem bestehenden Bahnhofgebäude. Was beim langen Mittelperron so überzeugt – die repetitive Anordnung der einfachen Elemente –, wirkt hier eher sperrig.

Konstruktion

Das Dach ist flach und mit dem Kastenträger und den scheibenförmigen Stützen verbunden. Die Dachflächen bestehen wie auch die Scheiben aus 10cm dicken Leimholzplatten. Die mit einem Kiesklebedach belegte Dachfläche neigt sich ganz leicht nach innen und entwässert über den Kastenträger. Dieser ist hohl (Bild 3, Querschnitt) und enthält die Stromversorgung, die Leitungen für das Meteorwasser usw. In Längsrichtung gesehen wirkt die ganze Konstruktion mit den dünnen, rund 3.50 m hohen Tragscheiben fast fragil. Der offenbar biegesteife obere Anschluss an den Kastenträger beruhigt jedoch die ingenieurseitigen Bedenken bezüglich der Querstabilität. Die Scheiben zu beiden Seiten sind denn auch miteinander direkt verbunden durch Stahlträger innerhalb des Holzkastens. Um aber die durch die grosse Angriffsfläche der Scheiben erhöhten lateralen Windkräfte aufzunehmen, war noch mehr nötig: Jede Scheibe ist, entgegen dem Anschein, der ein Abstellen suggeriert, mit jeweils vier Schwertern im unter Terrain sich verbreiternden Fundament biegesteif verankert.

Viehmarkthalle in Wattwil

Seit Mitte letzten Jahres werden Toggenburger Kälber, Rinder und Kühe in einer neuen Markthalle gehandelt. Der wöchentliche überregionale Viehmarkt in Lichtensteig hatte seit längerem unter Platz- und Zufahrtsprob-lemen gelitten, sodass die Genossenschaft Walter Bieler mit der Planung eines Neubaus in Wattwil beauftragte. Unmittelbar neben den Gleisen Richtung Obertoggenburg stösst man nun nach einer Reihe gesichtsloser Gewerbebauten auf das vollständig in Holz erstellte Gebäude.

Bielers Anliegen war es, einen seiner Nutzung als Markt angemessenen Bau mit einer starken Identität zu entwerfen. Die zum Dorf gerichtete Fassade ist durch einen hervortretenden Mittelteil ausgezeichnet und verleiht dem Gebäude damit den erwünschten öffentlichen Charakter. In Anlehnung an die örtliche Bautradition ist dieser Teil, ebenso wie die rückwärtige Fassade, verschindelt. Dem Massstab des Gebäudes entsprechend sind die Schindeln allerdings von übergrossem Format (16u60cm).
Durch die zwei flügelartigen Vordächer entstehen an den Längsseiten grosszügige wettergeschützte Bereiche, die für den Ablad und teilweise auch das Begutachten und Wägen der Tiere genutzt werden. Mit Dreischichtplatten sorgfältig verkleidete Dreiecksträger im Abstand von jeweils 3.80 m bilden das Tragwerk für längsgerichtete, von unten sichtbare, gehobelte Tragbalken (Titelbild).

Sehr selbstverständlich und «landwirtschaftliche» Stimmung ausstrahlend steht das Bauwerk auf dem grossen, umlaufenden Kiesplatz. Und ganz gelassen senkt sich dieser Kiesplatz auf der Rückseite zum Gebäude hin, um (à niveau mit dem Hallenboden) eine Laderampe für die Viehtransporte auszubilden.

Basilikaquerschnitt

Tritt man durch die seitlichen Tore oder durch den etwas versteckt liegenden Eingang in der Frontfassade in die Halle, überrascht zuerst einmal die Helligkeit. Die Halle ist als Basilika ausgebildet und erhält dadurch trotz der grossen Vordächer viel Licht. Grosse Zweigelenk-Leimbogenträger (die Verbindung in der Mitte ist biegesteif ausgeführt) definieren den Rhythmus der Halle. Sie sind die einzigen sichtbaren Tragelemente überhaupt. Entlang den leicht nach innen geneigten Wänden bilden sie zudem kleine Nischen aus. Einen Kontrast zu den gehobelten Bogenbindern und den glatten Leimholz-Plattenwänden bildet der rau abgezogene, dunkelgrau eingefärbte Monobetonboden. Elegant und selbstverständlich sind die Binder an den Seiten auf einem flachen und leicht geneigten Bankett abgestellt.

Eingestellte Kiste

Die Tiere werden im südlichen Teil der Halle in variabel versetzbaren Gattern präsentiert. Auf der gegenüberliegenden Schmalseite befindet sich das Restaurant, wo man sich nach beschlossenem Handel zusammensetzt. Symmetrisch angeordnet führen zwei seitliche Treppen zu weiteren Sitzplätzen auf dessen Dach. Diese werden bei grösseren Veranstaltungen wie landwirtschaftlichen Messen, Misswahlen (Kühe!) usw. benötigt. Konzeptionell ist die Restaurantbox als separates Element in die Halle eingestellt. Verunklärt wird diese Absicht allerdings durch die knappe Platzierung im zentralen, Richtung Dorf herausgestellten Teil (Bild 10).
Die Rückseite der Halle hingegen hat Bieler bewusst ganz pragmatisch abgeschnitten. Der Querschnitt der Halle läuft bis zum Ende durch, lediglich die Aussenwand ist nach innen versetzt, sodass unter den beiden letzten Feldern ein gedeckter Aussenraum entstanden ist. Dieser Entscheid hatte allerdings zur Folge, dass die rückwärtige Fassade der Halle etwas gar monumental daherkommt. Auf der anderen Seite wird damit die Option einer Erweiterung auch konzeptionell offen gehalten. Die Betonmauern, die die Verladerampe flankieren, sind für diesen Fall bereits als Fundamente für weitere Träger konzipiert.

TEC21, Sa., 2006.01.28



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tec21 2006|05 Holzbau

Presseschau 12

09. Oktober 2009Daniel Engler
TEC21

Holzkristall

Jeder Kubikmeter Beton, jeder Balken und jede Schraube mussten eingeflogen werden. Die Windbelastungen sind extrem, die Temperaturen ebenso, und das Wetter ist unberechenbar. Dies sowie ein Zeitfenster von gut fünf Monaten waren die Bedingungen, unter denen die Neue Monte-Rosa-Hütte auf 2883 m ü. M. gebaut wurde.

Jeder Kubikmeter Beton, jeder Balken und jede Schraube mussten eingeflogen werden. Die Windbelastungen sind extrem, die Temperaturen ebenso, und das Wetter ist unberechenbar. Dies sowie ein Zeitfenster von gut fünf Monaten waren die Bedingungen, unter denen die Neue Monte-Rosa-Hütte auf 2883 m ü. M. gebaut wurde.

Das alles sprach für einen möglichst hohen Vorfertigungsgrad, der konsequent umgesetzt wurde. Bei der Grösse der vorgefertigten Elemente musste allerdings Rücksicht auf die Tragkraft der Transporthelikopter bzw. auf die Kosten einer Vergrösserung des Helikoptermodells genommen werden. Es galt, eine Teilung der Bauelemente zu fi nden, aus welcher der optimale Mix von kurzer Montagezeit und kostengünstigem Helikoptertransport resultiert. Das Ergebnis: Betonfundamente schaffen die Verbindung zum Granitgneis (Bereich Permafrost), darauf liegt ein aus Stahlträgern konstruierter, ausgesteifter Tisch. Diese Arbeiten wurden, zusammen mit den Sprengarbeiten für eine oberhalb der Hütte liegende Trinkwasserkaverne, schon im Sommer 2008 ausgeführt. Nachdem im Frühjahr 2009 dann der Schnee weggeräumt war, bildete der Stahltisch die Basis für die fünfgeschossige Holzkonstruktion der eigentlichen Hütte (Abb. 1).

Fünf Achsen - acht Ecken Auf dem unregelmässigen Achteck des Grundrisses übernehmen zehn sternförmig angeordnete, jeweils vom Kernraum bis zur Fassade reichende Innenwände die vertikalen Lasten wie auch einen grossen Teil der Gebäudeaussteifung. So entstand in einem iterativen Prozess ein robustes statisches Konzept, das sich architektonisch in der zellenförmigen Struktur des Gebäudeinnenraums abbildet. Die Fassade und der zentrale Kernraum sind damit von statischen Primäraufgaben weitgehend befreit. Ausnahmen bilden einzelne Teile der Aussenwände sowie die Decken des Kernraumes, die als Ober- bzw. Untergurte die gegenüberliegenden Achsenwände miteinander verbinden (Abb. 5). Für die Torsionsstabilität des Gebäudes wurden in den oberen Geschossen einzelne Fassadenflächen ausgesteift. Im Erdgeschoss geschah dies mangels einer geeigneten Scheibe in der rundum geöffneten Fassade mit Hilfe der Treppenholme. Der betonierte Schubring sowie die Verspannung des Stahltisches leiten alle horizontalen Kräfte auf die Fundamente und in den Baugrund ab. In den obersten zwei Geschossen sind die Lasten aus Erdbeben massgebend, weiter unten die Windkräfte. Diesen Bereichen wurden zur Bemessung Windgeschwindigkeiten von 250 km/h zugrunde gelegt, was lokal, z. B. entlang von Kanten, zu einem Spitzendruck (bzw. Sog) von bis zu 5.0 kN/m2 führen wird.

Sichtbare Konstruktion Ein Wunsch der Architekten war es, die tragenden Bauteile nicht hinter Verkleidungsplatten verschwinden zu lassen, sondern sicht- und erlebbar freizustellen. Daher wurden die Wände als Stab-Platten-Verbund konzipiert. Die Dreischichtplatten liegen dabei an der Fassade aussen bzw. bei den Achsenwänden paarweise Rücken an Rücken. So bleiben die Balken (120/120 bzw. 140 mm) zum Raum hin sichtbar. Eine Folge davon war, dass die Anforderung an die Ausführungsqualität der Konstruktion anstieg. Das hat sich aber ausgezahlt: Einerseits sind viele – in den dicht belegten Räumen sehr erwünschte – Ablagen und Nischen entstanden, und anderseits akzentuieren die orthogonal stehenden Rippen die Schrägen der Gebäudegeometrie. Diese Schrägen erforderten auch spezielle Massnahmen zur Kompensation von Bautoleranzen. Eine davon war, zwischen den doppelten Achsenwänden immer eine Fuge offen zu lassen (Abb. 7), was auch den Schallschutz zwischen den Zimmern verbessert.

Eine spezielle Ausprägung mussten die Achsenwände im Erdgeschoss übernehmen, wo der grosse Essraum für 120 Personen die Grenzen der Kreissegmente natürlich sprengt. Sie werden hier in geschosshohe Strebenträger (200/200 mm) aufgelöst, womit der Raum zwar geöffnet und durchlässig wird, die Zellenstruktur aber immer noch spürbar bleibt (Abb. 8). Im Untergeschoss wiederum sind die ästhetischen Ansprüche geringer und die Traglasten höher, sodass die Achsenwände nicht mehr als Rippen-Platten-Konstruktion, sondern als geschlossene Scheiben aufgebaut sind. Die Decken liegen gelenkig gelagert auf den Achswänden auf und sind, mit Ausnahme des UG-Bodens, als Hohlkastenträger ausgebildet. Sie sind beidseitig mit aufgeleimten Dreischichtplatten beplankt und mit brandschutzwirksamer Dämmung gefüllt.

Altbewährte Verbindungstechnik Die Verbindungen der Tragelemente innerhalb der Achsenwände sowie in den Decken sind mit CNC-gefrästen Schwalbenschwänzen ausgeführt (Abb. 3). Dadurch hatten Planer und Ausführende die Gewähr, dass die Bauteile mit grösstmöglicher Präzision fertig gestellt würden. Das war wichtig, weil die unterschiedlich geformten Dreischichtplatten schon beim Lieferanten auf Mass zugeschnitten wurden und darum exakt passen mussten. Die tragenden und aussteifenden Elemente sind allesamt relativ starr ausgebildet. Um bei einem Erdbeben – die Hütte liegt in der höchsten in der Schweiz vorkommenden Gefährdungsstufe – genügend Energie vernichten zu können und um auch generell ein möglichst gutmütiges Tragverhalten zu erreichen, versuchte man die Verbindungen der Elemente untereinander duktil (nachgiebig) zu konzipieren. Eingebaut wurden Hartholz-Schubdübel aus Eichenholz, die in der Lage sind, bei gleichzeitig einfacher Montage hohe Lasten zu übertragen. Um das erwähnte duktile Verhalten zu erreichen, sind sie so bemessen, dass im Falle einer Überlast zuerst die Fasern der Hirnholzflächen in den Tragelementen gequetscht werden, bevor das Vorholz oder der Dübel selber spröd abscheren.

Brandschitzkonzept Ein Brandschutzkonzept muss die Massnahmen gegen die Entstehung und Ausbreitung von Feuer und Rauch, die Personenrettung sowie die Widerstandsfähigkeit der Tragkonstruktion im Brandfall nachweisen. Das gilt grundsätzlich auch für eine Berghütte, die konkreten Anforderungen unterscheiden sich aber teilweise von anderen Hochbauten. Bei der brandschutztechnisch viergeschossigen neuen Monte-Rosa-Hütte reichen diese von REI 30 in den Obergeschossen bis zu REI 60 / EI 30 nbb für die Erschliessung sowie das Untergeschoss. Mit einem durchdachten Fluchtwegkonzept gelang es, den Aufwand in tragbaren Grenzen zu halten. Ein zweiter Fluchtweg erlaubte es zum Beispiel, in den Obergeschossen jeweils alle Schlafzimmer zu einem einzigen Brandabschnitt zusammenzufassen. Dieser zweite Fluchtweg besteht lediglich aus einer aussen angebrachten Fassadenleiter. Bewilligt wurde das aufgrund des Arguments, dass Berggänger, die eine anspruchsvolle Wanderung zur Hütte hinter sich gebracht haben, auch in der Lage wären, im Notfall an einer Leiter einige Meter abzusteigen.

Mittels einer separaten Treppe wurde dafür gesorgt, dass der Hüttenwart, der in jedem Notfallszenario eine zentrale Rolle spielt, von seinen Räumen aus dem 1. Obergeschoss problemlos nach unten gelangen kann. Eine Steuerung sorgt überdies dafür, dass für die Notfallbeleuchtung immer eine Restkapazität zur Verfügung steht, sodass die Akkus im Normalbetrieb nicht vollständig entladen werden können.

Die ausser im Treppenhaus überall sichtbaren hölzernen Tragelemente mussten auf einen 30- bzw. 60-minütigen Abbrand hin dimensioniert werden. Sie müssen also nach diesen Zeitspannen ein genügendes Tragvermögen (allerdings ohne Lastreserven) aufweisen.

Vorteil Holz Der Entscheid für Holz als Baumaterial fiel – neben seiner Eignung für hochdämmende Fassaden – vor allem aus Gewichtsgründen. Trotzdem betrug der Anteil des Transports, in erster Linie der Helikopterflüge, immer noch rund 15 % der Gesamtkosten. Bei der Unternehmerauswahl war denn auch das Logistikkonzept ein wichtiges Kriterium. Einzelne Unternehmer hatten in der Offertphase eine Vorfertigung ganzer Raumzellen in Betracht gezogen. Das wäre den PlanerInnen aus Gründen der Qualitätssicherung sogar sehr recht gewesen, es scheiterte aber schliesslich an der mangelnden Verfügbarkeit genügend leistungsfähiger Helikopter. Der für einen Grossteil der Transporte eingesetzte Eurocopter Lama hat auf dieser Höhe eine Tragkraft von rund 650 kg. Für einige schwerere Wandelemente musste dann bereits ein über annähernd die doppelte Tragkraft verfügender Helikopter vom Typ Kamax eingesetzt werden.

Die Transportkette der Holzbauunternehmung sah folgendermassen aus: Vom Betrieb in Mörel fuhren Lastwagen hinunter nach Visp und verluden die Teile auf Bahnwagen. Diese transportierten sie, mit einem Lokomotivwechsel in Zermatt, auf der Gornergratbahn bis auf 2300 m ü. M. nach Riffelboden. Dort wurden die Elemente entweder zwischengelagert oder, meistens, direkt vom Bahnwagen zur Baustelle geflogen und montiert. Die Hütte besteht aus ca. 420 vorfabrizierten Holzelementen, die teilweise im 9-Minuten-Takt «angeliefert» wurden. Total waren für den Bau der Hütte als Ganzes rund 3000 Helikopterflüge notwendig. Mit den Stahlteilen wurde gleich verfahren, währenddem der Beton in einer jeweils eigens für die sommerlichen Gebirgsbauplätze erstellten Anlage am Fusse des Gornergletschers gemischt und dann hochgeflogen wurde.

TEC21, Fr., 2009.10.09



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tec21 2009|41 Neue Monte-Rosa-Hütte

19. November 2007Daniel Engler
TEC21

Einfach effizient

Vor zwei Jahren entschied die Restaurantkette Mövenpick Marché, dass ihre Verwaltung näher bei den zu Verwaltenden platziert werden sollte. So entstand an der Autobahn A1, direkt bei der Raststätte Kemptthal, ein bemerkenswertes Bürogebäude. Es wurde unter anderem mit dem diesjährigen Solarpreis ausgezeichnet.

Vor zwei Jahren entschied die Restaurantkette Mövenpick Marché, dass ihre Verwaltung näher bei den zu Verwaltenden platziert werden sollte. So entstand an der Autobahn A1, direkt bei der Raststätte Kemptthal, ein bemerkenswertes Bürogebäude. Es wurde unter anderem mit dem diesjährigen Solarpreis ausgezeichnet.

Die Anlage des Gebäudes ist überaus einfach: Ein lang gestreckter, dreigeschossiger Baukörper, je ein Treppenhaus an beiden Enden. An der exakt nach Süden geöffneten, vollverglasten Längsseite befinden sich die Grossraumbüros mit davorliegenden Balkonen bzw. einer Terrasse im Erdgeschoss. Ein Bauherrenanspruch – direkter Ausgang ins Freie für jeden Arbeitsplatz – deckte sich hier mit der energetisch und raumklimatisch sinnvollen Abschattung der hoch stehenden Sommersonne. Der zwischen den beiden Treppenhauskernen liegende Raum auf der Nordseite nimmt Sitzungszimmer und Nebenräume sowie einige wenige Einzelbüros auf. Im Erdgeschoss werden in diesem Bereich Akten gelagert, da es keinen Keller gibt. Im angedockten und auch in der Fassadengestaltung speziell behandelten Eingangsbaukörper schliesslich befinden sich das Café, die Entsorgungsstation sowie drei Studios für übernachtende Besucher (Bilder 1 bis 4).

Einfaches Konzept – sorgfältige Gestaltung

Der grosse Termindruck – zwölf Monate von Planungsbeginn bis Einzug – erforderte gleich zu Beginn zwei Grundsatzentscheide: Massivbauweise kam nur punktuell in Frage, und auf einen Keller musste verzichtet werden. Davon und vom sehr engen Kostenrahmen haben sich die Architekten offensichtlich eher inspirieren denn einengen lassen. Ihre Strategie war, die Konzepte auf allen Ebenen (Statik, Konstruktion, Installation, Ausbau) absolut einfach zu halten. Als Gegengewicht dazu wurde auf eine sorgfältige Gestaltung Wert gelegt. Zudem wählte man einige wenige Elemente aus, die, wenn man so will, luxuriös, also mehr als das unbedingt Notwendige sein durften. Die Pflanzenwände für ein angenehmes Raumklima sind ein solches Beispiel, die Solarglas-Fassadenelemente, die rund das Doppelte eines normalen Fensterelementes kosten, ein anderes. Ansonsten wurde aus wenig sehr viel gemacht. Die Ausschreibung der Betontreppenhäuser zum Beispiel erfolgte ohne jede Anforderung an die Schalung. Da habe er, als er das Ergebnis zum ersten Mal erblickte, schon einmal leer schlucken müssen, gesteht der Architekt. Heute aber, im Licht der sehr einfachen, aber raffinierten Beleuchtung und unter einer dunkelroten Lasur, erscheint die grobe und unregelmässige Betonoberfläche überhaupt nicht billig (siehe inneres Titelbild).

Verteilung auf dem Dachboden

Weitere Kostendrücker: Wasser gibt es nur gerade im vorderen Treppenhaus sowie in den daran unmittelbar anschliessenden Räumen des Eingangsbaukörpers. Die Zentrale für Heizung, Warmwasser und Lüftung sowie die Solarstromsteuerung befinden sich im Dachraum über dem Treppenhaus, zugänglich lediglich über eine Standard-Auszugestrich­treppe. Auch das Konzept der Verteilung von Luft, Wärme und Medien ist von verblüffender Einfachheit. Die horizontale Verteilung erfolgt auf dem Boden des unbeheizten Dachraums. Und der Clou: Der gesamte Dachboden mitsamt den darauf verlegten Lüftungskanälen und Heizungsleitungen (Strom und Netzwerk liegen in aufgeständerten Trassen) wurde am Schluss knapp 30cm hoch mit Zelluloseflocken zugeschüttet. Müssen diese Installationen einmal gewartet werden, legt man sie frei und deckt sie anschliessend wieder zu. Die Weiterverteilung nach unten geschieht dann in Wandaussparungen (in der Nordwand) und in den voluminösen Stützen (Bild 5). Die Geschossböden selbst sind von der Medienverteilung (ausgenommen Bodenheizung) befreit, was neben einer Kostenersparnis auch die Flexibilität für die Nutzer erhöht.
Das Raster der Tragkonstruktion orientiert sich am Platzbedarf zweier Arbeitsplätze. Zusammen mit der Längserschliessung ergeben sich auf der Südseite 6.5 m × 4.0 m, auf der Nordseite 5.0 m × 4.0 m. Die eher geschlossenen Nord-, Ost- und Westfassaden sind tragend und steifen den Bau aus. Die beiden Treppenhäuser sind zwar in Beton erstellt, was aber auf den Anforderungen der Brandsicherheit und nicht auf statischer Notwendigkeit beruht. Im Gegenteil, aus akustischen Gründen sind sie von der Holzkonstruktion vollständig entkoppelt. Als Geschossdecken dienen Hohlkastenelemente, die wiederum zum Schallschutz mit Split beschwert sind.

Pflanzenwand und massgefertigte Möbel

Gleich beim Eintritt vom Treppenhaus in die Büroräume steht man neben einer grünen Pflanzenwand (Bild 6). Die 12 m² in jedem Geschoss verdunsten pro Tag etwa 30l Wasser – insbesondere im Winter ein willkommener Beitrag zu einem angenehmen Raumklima. Die Irritation, in einem Bürohaus ganz von Holzoberflächen umgegeben zu sein, hält nicht lange an. Zu wohl fühlt man sich in den unkompliziert wirkenden Räumen. Für die Auswahl der Materialien waren neben den Kosten ebenso ökologische und baubiologische Kriterien ausschlaggebend. Wände und Decken zeigen direkt die innerste Lage der Konstruktion (Dreischichtplatten). Der Boden hingegen ist in grossflächigen, dunkel geölten Duripanelplatten ausgeführt. Dieser Entscheid ist wie so viele andere auf die Budgetrestriktionen zurückzuführen. Er hat gewiss auch ein wenig experimentellen Charakter und wird sich im Alltag noch bewähren müssen. Für den Autor absolut erstaunlich: Obwohl die Bauherrschaft nicht bereit war, für die Einrichtung mehr auszugeben als für günstige Büromöbel ab Stange, schafften die Architekten das Kunststück, innerhalb dieses Budgets modulare, flexible und schöne Möbel in Buchensperrholz bei einem lokalen Schreiner anfertigen zu lassen. Sogar ein nützliches Extra lag noch drin: Die Rückwände der Schränke und Bücherwände wurden als Schallabsorber ausgebildet. Einige wenige Trennwände erhielten dieselbe Behandlung, und schliesslich tragen auch die jeweils oberhalb der individuellen Stehlampen angebrachten Reflexionsschirme zu einer angenehmen Akustik bei. Im Pausenraum gaben die Architekten dann noch einen drauf: Boden, Wände, Küchenkombination und Möbel sind alle aus Holz gefertigt und so stellt sich hier eine Art Schmuckkästchen-Effekt ein (Bild 7).

Energiekonzept

Das Gebäude ist Minergie-P-Eco-zertifiziert, es geht aber noch einen Schritt weiter. Die Urheber bezeichnen es als «bilanziertes Nullenergiehaus». Damit ist gemeint, dass die auf dem Dach installierten Solarzellen übers Jahr gesehen gleich viel Strom produzieren wie Heizung, Warmwasser und Lüftung sowie alle anderen Verbraucher (Beleuchtung, EDV, etc.) im selben Zeitraum benötigen. Der Strom wird ins allgemeine Netz eingespeist und der Verbraucherstrom wiederum von dort bezogen. Die Pufferfunktion des Elektrizitätswerks macht damit noch den Unterschied zu einem energetisch vollständig autarken Gebäude aus. Die amorphen Solarzellen (sog. Dünnfilmzellen) sind zwischen zwei Glasscheiben eingebettet und bilden eine grossflächig geschuppte Dachhaut, die elegant detailliert ist und die Schutzfunktion einer konventionellen Dacheindeckung übernimmt. Finanziert und betrieben wird die Anlage vom Elektrizitätswerk des Kantons Zürich (EKZ). Marché verpflichtete sich im Gegenzug, einen Viertel der produzierten Strommenge zum Solarstromtarif selber zu beziehen, der Rest wird über die Solarstrombörse weiterverkauft. Damit konnte die Bauherrschaft trotz der ökologischen Energieproduktion ihre Investitionsrechnung entlasten, sie musste sich lediglich im Umfang der Kosten einer konventionellen Dacheindeckung beteiligen.

Weiter gibt es die für ein Minergie-P-Haus selbstverständlichen Einrichtungen wie kontrollierte Lüftung mit Wärmerückgewinnung und Erdsondenwärmepumpe. Die U-Werte der opaken Hülle betragen zwischen 0.084 und 0.104W / m2*K. Die Fenster sind dreifachverglast, besitzen allerdings statt (teurer) hochgedämmter Passivhausprofile lediglich normale Holzrahmen. Ein relativ kleiner Rahmenanteil und die ansonsten optimalen Dämmwerte ermöglichten diese Einsparung. Rund die Hälfte der Südfassade ist mit GlassX-Elementen bestückt (siehe nachfolgender Artikel). Um trotz der Holzbauweise genügend Speichermasse anbieten zu können, wurde ein 80mm dicker Zement-Unterlagsboden eingezogen, der auch die Heizleitungen enthält. Darin lag ein weiteres Argument für den Bodenbelag in Duripanel: Die Wärmeübertragung zur darunterliegenden Speichermasse funktioniert besser als z. B. mit einem Parkett. Im Sommer können die Leitungen der Bodenheizung über die Erdsonde mit kühlem Wasser (minimal 18°C) gespeist werden.

TEC21, Mo., 2007.11.19



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tec21 2007|47 Minergiebauten

31. März 2006Daniel Engler
TEC21

Plattform und Treppe

Eine in den 1970er-Jahren geplante, etwas abseits gelegene S-Bahn-Station in der Stadt Bern war im Lauf der Zeit zu einem Problemfall geworden. Sie hatte sich zu einem Drogenumschlagplatz entwickelt, der Vandalismus nahm überhand. Die Anwohner nahmen teilweise lange Wege in Kauf, um den Ort zu umgehen. Mit dem Ziel, die Haltestelle wieder attraktiv und sicher zu machen, wurde sie völlig umgekrempelt.

Eine in den 1970er-Jahren geplante, etwas abseits gelegene S-Bahn-Station in der Stadt Bern war im Lauf der Zeit zu einem Problemfall geworden. Sie hatte sich zu einem Drogenumschlagplatz entwickelt, der Vandalismus nahm überhand. Die Anwohner nahmen teilweise lange Wege in Kauf, um den Ort zu umgehen. Mit dem Ziel, die Haltestelle wieder attraktiv und sicher zu machen, wurde sie völlig umgekrempelt.

Die Station heisst Felsenau und wird vom Regionalverkehr Bern-Solothurn (RBS) bedient. Sie liegt vier Minuten vom Bahnhof Bern entfernt an einer der am dichtesten befahrenen Bahnstrecken der Schweiz und überdies direkt unter dem von Christian Menn konzipierten Autobahnviadukt gleichen Namens. Die Haltestelle wurde 1973 gemäss den Prioritäten der damaligen Zeit bei der Verlegung der Bahntrasse unter die Kantonsstrasse gebaut. Die Strasse musste fortan in einer verwinkelten, unübersichtlichen Unterführung unterquert werden, der Aufgang zum hangseitigen Perron glich einer dunklen Höhle. Der Weg durch die Haltestelle ist zusätzlich auch eine wichtige Fussverbindung, und so verlangten neben den Benutzern der S-Bahn auch die Bewohner der benachbarten Quartiere dringend Verbesserungen.

Erschwerend ist, dass die Station in einem Niemandsland zwischen den Wohnquartieren liegt. Es existieren in der Nähe keine Nutzungen, die das Gebiet beleben könnten, weder tagsüber noch am Abend, so dass unbedingt ein Konzept gefordert war, das auch mit einer geringen Belebung funktioneren würde.

Unterführung aufgehoben

Das Tiefbauamt des Kantons Bern entschloss sich, einen Studienauftrag an eine Arbeitsgemeinschaft von Architektinnen und Ingenieuren zu vergeben. Den Planenden wurde bald einmal klar, dass es kaum möglich war, an der Unterführung grundsätzlich etwas zu verbessern. „In solchen Situationen versuchen wir normalerweise, eine bestehende Unterführung zu erhalten und oberirdische Querungen zusätzlich anzubieten“, sagt die Architektin Barbara Schudel. Hier allerdings war die Ausgangslage so desolat, dass das Planungsteam vorschlug, die Unterführung aufzuheben. Ein nicht unproblematischer Vorschlag, weil er mit sich brachte, dass (allerdings schon grössere) Schulkinder nun eine viel und schnell befahrene Strasse auf einem Fussgängerstreifen überqueren müssen. Aber es gelang, die Nutzer, vertreten u. a. durch den früh in den Planungsprozess einbezogenen Quartierverein, von der Idee zu überzeugen. Begleitende Massnahmen wie eine von 80 auf 60 km / h reduzierte Höchstgeschwindigkeit oder eine Fahrbahnverengung beim Fussgängerstreifen ermöglichten eine substanzielle Verringerung der auf der Strasse gefahrenen Geschwindigkeiten, so dass sogar auf eine Lichtsignalanlage verzichtet werden konnte. Die grosszügige Mittelinsel sowie eine sehr helle nächtliche Ausleuchtung verbessern die Sicherheit beim Übergang zusätzlich.
Die Unterführung wurde übrigens aus Kostengründen nicht abgebrochen, durch fest verschlossene Türen aber unpassierbar gemacht.

Übersicht bringt Sicherheit

Der Grundidee des Konzeptes folgend, die Fussgänger wieder an die Oberfläche zu bringen, wurde ein neuer Weg geschaffen (Bild 1). Von oben kommend führt er vom Fussgängerstreifen auf die Hauptebene der Plattform. Weiter geht es entweder in den Glaslift oder auf die expressive, wanderweggelb gestrichene Stahltreppe. Diese bildet jetzt das aareseitige Merkzeichen der Anlage und führt via die Zwischenplattform auf Perronniveau hinunter zum Aareuferweg. Hier unten befindet sich auch das noch genutzte kurze Stück der bestehenden Unterführung, das den innen liegenden Bahnsteig erschliesst, wo die stadteinwärts fahrenden Züge halten.

Der dreieckig auskragende Grundriss der Plattform ist ein Produkt aus den verschiedenen Geometrien. So nimmt ihre Kante die Richtung der Autobahnbrücke auf, die in grosser Höhe direkt über der Station liegt (Bilder 2 und 6).

Um eine angenehme Aufenthaltsqualität und ein für alle möglichst grosses Sicherheitsgefühl zu erreichen, wurden vor allem Übersichtlichkeit, Hör- und Blickkontaktmöglichkeiten angestrebt. Die Unterführung auf der untersten Ebene zum Beispiel wurde durch den Abbruch der WC-Anlagen verbreitert, und beim inneren Perronaufgang, der aus Kostengründen nicht verändert werden konnte, sieht man nun mit Hilfe der polierten Edelstahlverkleidung der gegenüberliegenden Wand, was um die Ecke vorgeht (Bild 8). Beim äusseren Perron wurde ein Teil der Wetterschutzwand entfernt, man sieht nun vom Bahnsteig aus direkt zur Treppe und zum Lift. Von vornherein war klar, dass der Lift notwendigerweise transparent sein und damit aus Glas bestehen musste.

Sowohl diese Haltestelle als auch die nächste, ebenfalls unterirdische Station, die Tiefenau, werden seit einiger Zeit ab 20 Uhr abends geschlossen. Die Linie nach Unterzollikofen wird am Abend aus Kapazitäts-, Kosten- und Komfortgründen (der Bus fährt in Unterzollikofen als Ortsbus ohne Umsteigen weiter in die Quartiere) auf Busbetrieb umgestellt. Es mussten also auch noch zwei neue Bushaltestellen eingerichtet werden. Als erwünschte Nebeneffekte konnten damit auch ein grosser Teil der Attraktivität zum Beispiel für die Drogenszene von vornherein unterbunden und der Vandalismus eingedämmt werden.

Statik

Die grosse Plattform steht auf zwei hohen Stützen, kragt aber über diese noch hinaus (Bilder 1 und 7).
An der äussersten Ecke führt die Treppe, die von ihrem stählernen, gelb gespritzten Treppenauge getragen wird, nach unten. Die statische Wirkung der Treppenkonstruktion ist je nach Belastungszustand unterschiedlich. Sie kann, abhängig z.B. von der Temperatur, an der Plattform angehängt sein oder auch helfen, diese zu tragen. Die mittlere Plattform, die auf dem Niveau der Bahnsteige liegt und deren äusseren auch erschliesst, ist an dünnen Stahlstangen abgehängt. Die Architekten wollten ihr damit klar eine untergeordnete Funktion zuweisen und damit den Höhensprung in seiner ganzen Grösse gut spürbar machen. Die Haltestelle befindet sich in einem Rutschhang, der bis anhin gerade eben stabil war. Das zusätzliche Gewicht der Plattform konnte nun aber nicht mehr in einer flachen Fundation abgetragen werden. Die beiden hohen Stützen und die Treppe wurden also mit Mikropfählen fundiert. Solche wurden auch unter die bestehenden, jetzt höher belasteten Fundamente eingebracht (Bild 4).

Konstruktion und Bauvorgang

Zu Spitzenzeiten fährt an der Haltestelle Felsenau alle 90 Sekunden ein Zug. Das heisst, dass auch nur geringe Störungen des Betriebs durch den Bau absolut nicht tolerierbar waren. Aus diesem Grund wurde zuerst ein stählernes Schutzgerüst erstellt, um darauf anschliessend gefahrlos die Plattform erstellen zu können. Da die Fahrleitungen in dieser ersten Phase aus Sicherheitsgründen stromlos sein mussten, war es notwendig, die entsprechenden Arbeiten in der nächtlichen Betriebspause auszuführen. Netto standen jeweils nur viereinhalb Stunden zur Verfügung, so dass diese Vorarbeiten 14 Nächte in Anspruch nahmen.

Im Lichtraumprofil bestehen in diesem Querschnitt sehr wenig Reserven, d. h. die Differenz der Höhenkoten von Strasse und Bahngleisen ist so knapp, dass nur wenig Konstruktionsraum für eine Plattform übrig blieb (Bild 4). Um diese Verhältnisse wenigstens ein bisschen zu verbessern, wurde die neue Plattform nach aussen mit einer leichten Steigung versehen.

Die Plattform selber besteht aus einem Stahlrost und darin eingesetzten Betonfertigelementen von jeweils etwa 2u 3 m. Die beiden grossen Kastenträger am Plattformrand mussten in einer Nachtsperre montiert werden, der Rest konnte dann unter Betrieb fertig gestellt werden. Die Fugen der Fertigelemente wurden zusammen mit dem Überbeton ausgegossen.

Die Stahlkonstruktion trägt in beiden Richtungen und auch im Verbund mit dem Überbeton. Die vielen schiefen Winkel und schrägen Anschlüsse waren in Stahl eher kompliziert (speziell im Bereich der Liftöffnung) und teuer. Die ganze Konstruktion in Beton auszuführen wäre billiger gewesen. Dann aber hätte das höhere Gewicht den Hang, in dem die Fundamente stehen, zu stark belastet bzw. wäre die Fundation entsprechend viel teurer geworden.

Alle Stahlteile, auch die unbewitterten, sind feuerverzinkt. Damit wird ein überdurchschnittlicher Rostschutz erreicht, was sich lohnt, weil viele Teile später sehr schwer zugänglich sein werden und man somit Unterhalts- und Reparaturarbeiten so weit als möglich zu vermeiden sucht.

Betonelemente mit Sollbruchstelle

Die Planer sahen eigentlich vor, die Jersey-Elemente (seitliche Betonabweiser) der bestehenden Strasse als Schutz gegen das Befahren der Plattform stehen zu lassen. Sie mussten aber schliesslich doch weggenommen werden, weil deren Integration in das neue Bauwerk nicht sauber zu lösen war.

Die Plattform ist zwar so bemessen, dass sie unter dem Gewicht eines Lastwagens nicht versagen würde, die Verformungen wären allerdings unzulässig gross. So wurden als Schutz neu Betonquader in Sitzhöhe vorgesehen (Bild 9). Sie besitzen eine Sollbruchstelle, so dass, wenn ein schweres Fahrzeug mit grosser Wucht hineinfährt, sie sich lösen und verschieben und nicht etwa die Plattform mit nach aussen reissen. Eine weitere Vorgabe war, dass ein kleiner Schneepflug dazwischen durchfahren kann.

Auf der Gleisebene mussten aus Sicherheitsgründen ebenfalls Anprallbankette erstellt werden, weil die beiden Hauptstützen der Plattform den Zügen hier relativ nahe stehen. Diese Arbeit musste, da sie sich im Lichtraumprofil der Bahn abspielt, nachts ausgeführt werden.

Materialien

Die Grundmelodie spielen ganz unspektakulär verzinkte Stahlteile. Das ist nicht teuer (und sieht auch nicht so aus) und nimmt Bezug auf den Bestand. Eine Ergänzung bilden teilweise edlere Materialien, so zum Beispiel die in Stahlrahmen eingesetzten Steinplatten der Treppe. Ihre Massivität erweckt Vertrauen, sie sind schön und angemessen. Ähnlich die mannshohen Glasbrüstungen auf der oberen Plattform. Sie sind ausserdem notwendig, um jeden Kontakt (z.B. durch Urinieren) mit der darunter liegenden elektrischen Oberleitung sicher auszuschliessen.

Die Wahl des gelben Glasdachs für die Wartezone hingegen erscheint nicht ganz so glücklich. Die Architekten legten Wert darauf, dass man auch von dort aus das Viadukt darüber sehen, sich orientieren kann.
Nach relativ kurzer Zeit ist das Dach aber schon verschmutzt (weil es unter dem Viadukt steht, wird es selten beregnet), was an solchen Standorten noch weniger erwünscht ist als anderswo.

Dafür kann nun auf den Nachtbus oder bei längeren Wartezeiten auch auf die Züge an der übersichtlichsten Stelle und an der relativ belebten Strasse gewartet werden. Die gelbe Farbe nimmt übrigens auch hier das Thema des „file jaune“ auf, das mit Fussgängerstreifen und der gelben Treppenbrüstung angetönt wird.

TEC21, Fr., 2006.03.31



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tec21 2006|14 Bahn

28. Januar 2006Daniel Engler
TEC21

Markthalle und Perrondach

Im letzten Jahr gebaut: zwei unterschiedliche öffentliche Bauten, beide in Holz und vom selben Planer. Überrascht die Perronüberdachung in Filisur durch ihre Abweichung vom Gewohnten, beeindruckt an der neuen Viehmarkthalle im toggenburgischen Wattwil die unprätentiöse, aber durchaus kraftvolle, der Bedeutung angemessene Gestaltung.

Im letzten Jahr gebaut: zwei unterschiedliche öffentliche Bauten, beide in Holz und vom selben Planer. Überrascht die Perronüberdachung in Filisur durch ihre Abweichung vom Gewohnten, beeindruckt an der neuen Viehmarkthalle im toggenburgischen Wattwil die unprätentiöse, aber durchaus kraftvolle, der Bedeutung angemessene Gestaltung.

Perronüberdachung in Filisur

Man meint im Prinzip zu wissen, wie das Perrondach eines nomalen, kleinen Bahnhofs etwa auszusehen hat–Doppel-T-Stahlstützen, Längsträger und leicht geneigtes Dach in Holz oder ebenfalls in Stahl. Die neue Überdachung des Bahnhofs in Filisur ist vor diesem Hintergrund ungewohnt und überraschend, sie entzieht sich dem gängigen Schema ein Stück weit. Nun ist der mit der Planung beauftragte Bonaduzer Bauingenieur Walter Bieler nicht einer, der sich mit dem Minimum zufrieden gibt. Er sucht in seinen (überwiegend Holz-)Bauten mehr als nur die Erfüllung der notwendigen Anforderungen (vgl. auch tec21 Nr. 33-34/2003). Es interessiert ihn nach eigenen Worten eine Körperhaftigkeit des Ausdrucks. Stabkons-truktionen fehle oft die Kraft, der Landschaft etwas entgegenzusetzen. Die schroffen Berge rund um Filisur bezeichnet er denn auch als Ausgangspunkt seines Entwurfs. Komme dazu, so Bieler, dass Stabkonstruktionen auch nicht mehr wirklich ein Abbild des heutigen, doch viel eher industriellen als handwerklichen Bauprozesses seien.

Filisur ist ein wichtiger Knotenpunkt im Netz der Rhätischen Bahn. Er liegt an der Albulabahn von Chur nach St. Moritz/Poschiavo und ist gleichzeitig Endstation für die Davoser Linie. Der alte Bahnhof des 360-Seelen-Dorfes besass keinen Mittelperron und genügte darum den gestiegenen sicherheitstechnischen und betrieblichen Anforderungen nicht mehr.

Gefügte Scheiben

Nähert man sich dem Bahnhof, fallen auf dem neu gestalteten Perron zuerst einmal das ungewohnte Material und die im Kontrast zum ebenfalls in Holz gebauten alten Aufnahmegebäude stehende, sehr reduzierte Konstruktionsart auf. Bieler hat auf die Situation mit einer weitgehenden Reduktion der konstruktiven Elemente reagiert. Es gibt davon nur drei: das Dach, den Trägerkasten und die vertikalen Tragscheiben. Die Holzverbindungen werden eher heruntergespielt als inszeniert, die Elemente jedoch sind jeweils mit Schattenfugen sauber voneinander abgesetzt. Das alles sieht zwar einfach aus, ist aber planerisch anspruchsvoll. Soll das hochbelastete Bauwerk nämlich eine lange Lebensdauer haben, ist eine penible Einhaltung der insbesondere den Witterungsschutz betreffenden Konstruktionsregeln des Holzbaus notwendig. Die jeweils 2 m langen, senkrecht stehenden Holzscheiben rhythmisieren das total 86 m messende Bauwerk und erinnern mit den regelmässigen rechteckigen Öffnungen an einen Eisenbahnwaggon.

Etwas Geborgenheit

Steigt man von der Unterführung hoch zum Perron, wird gleich der Unterschied zu anderen Bahnhöfen spürbar. Die parallelen Scheiben stehen sich jeweils gegenüber und spannen auf zwei Seiten offene, kleine Räume auf. Man fühlt sich ein wenig geborgen, ist bei stechender Sonne oder auch bei starkem Schneefall geschützt (und sonst ist da immer noch das kleine Warteräumchen). Im Gegensatz zur Seitenansicht wirkt die ganze Konstruktion auf dem Perron selber erstaunlich transparent, und auch beim auf Nischen und unübersichtliche Situationen sensibilisierten Grossstädter kommen keinerlei Sicherheitsbedenken auf.

Die reduzierte und flächige Gestaltung erträgt die unvermeidliche Möblierung und Ausstattung eines solchen Bahnhofs überdurchschnittlich gut. Schön ist, dass auf die üblichen Normgeländer verzichtet wurde. Bieler entschied sich für sehr einfache Stahlgitter mit kräftigen Querschnitten, die der Aufgabe und der ganzen Anlage angemessen sind (Bild 6).

Nicht gelungen ist allerdings die Übertragung des Konzeptes auf den Treppenaufgang neben dem bestehenden Bahnhofgebäude. Was beim langen Mittelperron so überzeugt – die repetitive Anordnung der einfachen Elemente –, wirkt hier eher sperrig.

Konstruktion

Das Dach ist flach und mit dem Kastenträger und den scheibenförmigen Stützen verbunden. Die Dachflächen bestehen wie auch die Scheiben aus 10cm dicken Leimholzplatten. Die mit einem Kiesklebedach belegte Dachfläche neigt sich ganz leicht nach innen und entwässert über den Kastenträger. Dieser ist hohl (Bild 3, Querschnitt) und enthält die Stromversorgung, die Leitungen für das Meteorwasser usw. In Längsrichtung gesehen wirkt die ganze Konstruktion mit den dünnen, rund 3.50 m hohen Tragscheiben fast fragil. Der offenbar biegesteife obere Anschluss an den Kastenträger beruhigt jedoch die ingenieurseitigen Bedenken bezüglich der Querstabilität. Die Scheiben zu beiden Seiten sind denn auch miteinander direkt verbunden durch Stahlträger innerhalb des Holzkastens. Um aber die durch die grosse Angriffsfläche der Scheiben erhöhten lateralen Windkräfte aufzunehmen, war noch mehr nötig: Jede Scheibe ist, entgegen dem Anschein, der ein Abstellen suggeriert, mit jeweils vier Schwertern im unter Terrain sich verbreiternden Fundament biegesteif verankert.

Viehmarkthalle in Wattwil

Seit Mitte letzten Jahres werden Toggenburger Kälber, Rinder und Kühe in einer neuen Markthalle gehandelt. Der wöchentliche überregionale Viehmarkt in Lichtensteig hatte seit längerem unter Platz- und Zufahrtsprob-lemen gelitten, sodass die Genossenschaft Walter Bieler mit der Planung eines Neubaus in Wattwil beauftragte. Unmittelbar neben den Gleisen Richtung Obertoggenburg stösst man nun nach einer Reihe gesichtsloser Gewerbebauten auf das vollständig in Holz erstellte Gebäude.

Bielers Anliegen war es, einen seiner Nutzung als Markt angemessenen Bau mit einer starken Identität zu entwerfen. Die zum Dorf gerichtete Fassade ist durch einen hervortretenden Mittelteil ausgezeichnet und verleiht dem Gebäude damit den erwünschten öffentlichen Charakter. In Anlehnung an die örtliche Bautradition ist dieser Teil, ebenso wie die rückwärtige Fassade, verschindelt. Dem Massstab des Gebäudes entsprechend sind die Schindeln allerdings von übergrossem Format (16u60cm).
Durch die zwei flügelartigen Vordächer entstehen an den Längsseiten grosszügige wettergeschützte Bereiche, die für den Ablad und teilweise auch das Begutachten und Wägen der Tiere genutzt werden. Mit Dreischichtplatten sorgfältig verkleidete Dreiecksträger im Abstand von jeweils 3.80 m bilden das Tragwerk für längsgerichtete, von unten sichtbare, gehobelte Tragbalken (Titelbild).

Sehr selbstverständlich und «landwirtschaftliche» Stimmung ausstrahlend steht das Bauwerk auf dem grossen, umlaufenden Kiesplatz. Und ganz gelassen senkt sich dieser Kiesplatz auf der Rückseite zum Gebäude hin, um (à niveau mit dem Hallenboden) eine Laderampe für die Viehtransporte auszubilden.

Basilikaquerschnitt

Tritt man durch die seitlichen Tore oder durch den etwas versteckt liegenden Eingang in der Frontfassade in die Halle, überrascht zuerst einmal die Helligkeit. Die Halle ist als Basilika ausgebildet und erhält dadurch trotz der grossen Vordächer viel Licht. Grosse Zweigelenk-Leimbogenträger (die Verbindung in der Mitte ist biegesteif ausgeführt) definieren den Rhythmus der Halle. Sie sind die einzigen sichtbaren Tragelemente überhaupt. Entlang den leicht nach innen geneigten Wänden bilden sie zudem kleine Nischen aus. Einen Kontrast zu den gehobelten Bogenbindern und den glatten Leimholz-Plattenwänden bildet der rau abgezogene, dunkelgrau eingefärbte Monobetonboden. Elegant und selbstverständlich sind die Binder an den Seiten auf einem flachen und leicht geneigten Bankett abgestellt.

Eingestellte Kiste

Die Tiere werden im südlichen Teil der Halle in variabel versetzbaren Gattern präsentiert. Auf der gegenüberliegenden Schmalseite befindet sich das Restaurant, wo man sich nach beschlossenem Handel zusammensetzt. Symmetrisch angeordnet führen zwei seitliche Treppen zu weiteren Sitzplätzen auf dessen Dach. Diese werden bei grösseren Veranstaltungen wie landwirtschaftlichen Messen, Misswahlen (Kühe!) usw. benötigt. Konzeptionell ist die Restaurantbox als separates Element in die Halle eingestellt. Verunklärt wird diese Absicht allerdings durch die knappe Platzierung im zentralen, Richtung Dorf herausgestellten Teil (Bild 10).
Die Rückseite der Halle hingegen hat Bieler bewusst ganz pragmatisch abgeschnitten. Der Querschnitt der Halle läuft bis zum Ende durch, lediglich die Aussenwand ist nach innen versetzt, sodass unter den beiden letzten Feldern ein gedeckter Aussenraum entstanden ist. Dieser Entscheid hatte allerdings zur Folge, dass die rückwärtige Fassade der Halle etwas gar monumental daherkommt. Auf der anderen Seite wird damit die Option einer Erweiterung auch konzeptionell offen gehalten. Die Betonmauern, die die Verladerampe flankieren, sind für diesen Fall bereits als Fundamente für weitere Träger konzipiert.

TEC21, Sa., 2006.01.28



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