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14. Juli 2010Bernhard Steger
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Am Anfang war das Bild

Die Ausgangssituation war klar definiert: In einer Umgebung, die wirtschaftlich wesentlich von der Holzverarbeitung lebt, sollte eine Sporthalle gebaut...

Die Ausgangssituation war klar definiert: In einer Umgebung, die wirtschaftlich wesentlich von der Holzverarbeitung lebt, sollte eine Sporthalle gebaut...

Die Ausgangssituation war klar definiert: In einer Umgebung, die wirtschaftlich wesentlich von der Holzverarbeitung lebt, sollte eine Sporthalle gebaut werden, deren Architektur emblematisch für diesen Wirtschaftszweig steht. Das Raumprogramm sah eine Halle zum Volleyballspielen vor, ergänzt um zwei Räume für kleinere Versammlungen. Als der japanische Architekt Taira Nishizawa erstmals mit den Tragwerksplanern von Arup zusammentraf, war das architektonische Motiv definiert: Wie ein Busch in einer gläsernen Box sollte das Gebäude wirken, wobei mit »Busch« eine amorphe, hölzerne Tragstruktur gemeint war, die von einem geometrisch klar definierten Körper, einem Quader von 22 mal 18 Metern Grundfläche und 9 Metern Gebäudehöhe, umhüllt sein sollte. Die statisch-konstruktive Herausforderung war nun die Entwicklung eines Tragwerks, das diese gestalterische Vorgabe umsetzen konnte.

Konstruktiv besteht die kubische Hülle aus einer Leichtmetallkonstruktion, die innere, formal freie Holzkonstruktion aus japanischem Zedernholz; diese ist gegenüber der Metallkonstruktion sowohl im Grundriss als auch in den Ansichten um 45 Grad verdreht. In der Normalprojektion erkennt man das regelmäßige Raster, die freie Form der Holzkonstruktion ergibt sich aus den unterschiedlichen Höhen ihrer Schnittpunkte. Jede dieser beiden Konstruktionen für sich hätte keine ausreichende Tragkraft; die Lösung des Problems war, die Holzkonstruktion mit der Metallkonstruktion zu einem Fachwerk zu verbinden: Jeder vierte Gurt der Holzkonstruktion (Abstände jeweils 5,60 Meter) ist, verbunden über hölzerne Ausfachungen, gemeinsam mit der Metallkonstruktion im Sinne eines Fachwerkträgers statisch wirksam. Die statische Berechnung gab die minimale Distanz jedes einzelnen Schnittpunktes der hölzernen Zuggurte zum stählernen Obergurt vor; solange diese Distanz eingehalten wurde, konnte die Form der inneren Konstruktion frei moduliert werden. Die drei jeweils dazwischen verlaufenden Erzeugenden definieren die räumliche Form einer hp-Fläche (hyperbolisches Paraboloid); sie haben den gleichen Querschnitt wie die Gurte der Fachwerkträger (21 mal 12 cm). Die Vertikallasten werden ausschließlich über die Holzkonstruktion abgetragen, die Metallkonstruktion an der Fassade hat für das Dach keine statische Wirkung. Die Knoten sind geometrisch komplexe Herausforderungen; nach einem vorgegebenen Prinzip (kraftschlüssige Verbindungen mittels Metallplatten und Gewindestangen) musste im Rahmen der Werkplanung jeder einzelne Knoten gesondert gezeichnet werden. Ungewöhnlich für die österreichische Baupraxis ist auch die Fundamentierung: Die Bodenplatte aus Stahlrahmen wurde ohne Verwendung von Beton nur mit Stahlsäulen in die Erde fundiert.

Das Ergebnis ist ohne Zweifel eine elegante Konstruktion. Die klare Geometrie der Hülle erscheint durch die um 45 Grad verdrehte Holzkonstruktion noch einmal präziser. Die Glasfassade ist, befreit von der Aufgabe, die Lasten nach unten zu bringen, durchgehend zart dimensioniert und erinnert trotz Einsatz moderner Isolierverglasungen an die kühnen Glasfassaden der frühen Moderne. Es ist eine technisch höchst elaborierte und ausgefeilte Konstruktion, auch wenn sie wahrscheinlich nicht aus unserer Logik des Holzes heraus entwickelt wurde. Denn normalerweise ist der Grund für Verbundkonstruktionen der, die Vorzüge verschiedener Materialien zu kombinieren, um so beispielsweise ökonomischer im Materialeinsatz zu sein. Bei den Fachwerkträgern in der Forestry Hall werden die Zugkräfte im Holz und die Druckkräfte im Stahl abgetragen; alle Stäbe weisen, unabhängig von der statischen Notwendigkeit, den gleichen Querschnitt auf.

Die Konstruktion führt so zu einer Maximierung des Materialeinsatzes, und nur aufgrund der Verteilung auf viele Elemente wird diese nicht als solche wahrgenommen. Und dennoch: Die Anmut ihrer Erscheinung, die Präzision der Form und die Einbindung in die umgebende Landschaft sind überzeugend. Wir kennen das von der traditionellen japanischen Architektur: Harmonisch ist das, was in seiner Komplexität zu Ende gedacht ist. Die vermeintliche Einfachheit des traditionellen japanischen Holzbaus entpuppt sich im Detail als höchst komplexes konstruktives System. Während in unserem kulturellen Verständnis der Holzbau aus seinen physischen Materialeigenschaften unter dem Primat der Wirtschaftlichkeit gedacht ist, wird er in Japan auf seine ästhetische Wirkung hin entwickelt. In diesem Sinne ist die Forestry Hall in ihrem architektonisch-kulturellen Kontext zu sehen, in dem materieller, zeitlicher und intellektueller Mehraufwand im Hinblick auf das visuelle Ergebnis in Kauf genommen wird.

zuschnitt, Mi., 2010.07.14



verknüpfte Bauwerke
Forestry Hall

15. September 2007Bernhard Steger
zuschnitt

Grundsätzlich fortschrittlich

Eigentlich sollte die Kirche ja längst nicht mehr an diesem Ort stehen. Sie war gedacht und gebaut als vorübergehender Gottesdienstraum in einem Umfeld,...

Eigentlich sollte die Kirche ja längst nicht mehr an diesem Ort stehen. Sie war gedacht und gebaut als vorübergehender Gottesdienstraum in einem Umfeld,...

Eigentlich sollte die Kirche ja längst nicht mehr an diesem Ort stehen. Sie war gedacht und gebaut als vorübergehender Gottesdienstraum in einem Umfeld, das städtebaulich, sozial und auch pastoral erst erschlossen wurde. Die Kirche war mit dem Anspruch entwickelt worden, eine Lebensdauer von 40 Jahren und eine zweimalige De- und Neumontage leisten zu können. Es ist nicht ungewöhnlich, für eine solche Bauaufgabe Holz zu verwenden. Denn Holz als Material für christliche Kirchen hat insbesondere dort eine Tradition, wo sich die Gemeinden erst formieren mussten. Auch in Wien gab es dafür rezente Vorbilder: Der Prälat Josef Gorbach errichtete alleine in Wien vor und nach dem Zweiten Weltkrieg 22 Notkirchen.

Holz als Baustoff wurde hier häufig verwendet, weil es als Material kostengünstig war und einen hohen Anteil an Eigenleistung der Gemeindemitglieder zuließ. Doch bereits die Benennung als Not- oder Barackenkirchen suggerierte, dass es sich dabei jeweils nur um Gotteshäuser mit Ablaufdatum handelte. Davon unterschied sich Uhls Raumverständnis wesentlich. Für ihn war architektonischer Fortschritt immer mit der Verwendung neuester Baumaterialien und -techniken verbunden – der moderne Stahlbetonträger oder Leimbinder als Äquivalent zum Strebepfeiler der Gotik. Auch ist die Vorstellung einer sakralen Stimmung eines Raums ein Produkt des 19. Jahrhunderts und konnte unter Rückbesinnung auf die urchristliche Form des Gottesdienstes für die Architektur der Gebäude nicht bestimmend sein. Denn das, was einen Raum als Kirche definiert, ist für Uhl nicht deren Konstruktion oder Material, sondern die in ihr stattfindende Versammlung der Gläubigen.

Ottokar Uhl hatte bereits in der Wiener Siemensstraße eine demontierbare Kirche gebaut, das Ergebnis eines mit dem Soziologen Erich Bodzenta gemeinsam entwickelten Konzepts: Mit mobilen und in ihrer Größe veränderbaren Kirchen könnte, so die Überlegung, in noch unfertigen Siedlungsgebieten rasch ein seelsorgerisches Angebot geschaffen werden, bis die Situation geklärt sei und eine neue, ortsfeste und von den sozialen und pastoralen Anforderungen her abgesicherte Kirche gebaut werden könne. Infolge seiner Begegnung mit Konrad Wachsmann war Uhl aber auch davon überzeugt, dass eine Erneuerung der Architektur nur über eine Erneuerung der Bedingungen des Bauens möglich sei: Vorfertigung und Industrialisierung als Gelegenheit, architektonisch grundsätzliche Fortschritte zu erzielen. Auch theologische Gründe förderten diese Entwicklung: In der Aufbruchsstimmung des 2. Vatikanischen Konzils entsprachen nicht ortsfeste Kirchen der allgemeinen Stimmung des »Volkes Gottes gemeinsam auf dem Weg«.

Die Kirche in der Siemensstraße war in jeder Hinsicht ein Experiment. Bautechnisch verlangte Uhl mehr, als die Technologie damals zu leisten imstande war. Insbesondere das Lichtdach war von Beginn an undicht, und es gelang auch nicht, es dauerhaft abzudichten. Die Kirche war verhältnismäßig teuer, was vor allem auf die Stahlkonstruktion aus Deutschland (für die damals noch hohe Einfuhrzölle zu zahlen waren) zurückzuführen ist.

Aus diesen Gründen wurde die ursprüngliche Idee, das Modell Siemensstraße öfter zu bauen, nicht weiter verfolgt, als es kurz darauf Bedarf an einer weiteren provisorischen Kirche gab. Uhl prüfte verschiedene Konstruktionsarten auf ihren Einsatz als demontable Struktur und kam letztendlich auf eine vorgefertigte Holzkonstruktion. Diese bestand aus vier, ein Quadrat von 15 Metern Seitenlänge aufspannenden Holzträgern auf Stützen, die in sich aus zwei parallel verlaufenden Leimbindern (Hetzerbindern) bestanden. Diese Träger gaben zwei unterschiedliche Höhen vor: Die Oberkante definierte die Höhe des mittleren Teils (5,0 m), die Unterkante (2,5 m) die Höhe der Seitenteile. Ein umlaufendes Oberlicht zwischen Haupt- u. Sekundärbalken des Trägers leuchtet den Raum hell aus. Diese Konstruktionsart ermöglichte einen stützenfreien Raum, der funktional frei disponierbar und auch prinzipiell erweiterbar war. In diese Tragstruktur zog man im mittleren Bereich zwei zusätzliche Träger ein, in die Deckenelemente mit 2,5 mal 5,0 Metern gelegt wurden. Sowohl die Träger als auch die Decken- und Wandelemente waren vorgefertigt. Die Bauzeit vor Ort konnte so auf sieben Wochen reduziert werden – 1967 ein absolutes Novum.

Die Fugen zwischen den Deckenelementen des Dachs wurden mit einem Vakuumschlauch und einem Fugenband abgedichtet, ein Konstruktionsdetail, welches den dauerhaften Anforderungen im Flachdachbereich nicht Stand hielt. Dem flachen Dach wurde später (ohne Rücksprache mit Uhl) ein geneigtes aufgesetzt und der gesamte obere Bereich inklusive Holzträger verblecht. Auch im Inneren kam es zu einigen Veränderungen: Die Ausrichtung wurde gedreht, die ursprünglich auf drei Seiten um den Altar angeordneten Bänke wurden in eine frontale Anordnung umgestellt und die ehemals frei im Raum stehenden Einbauten in die Umgänge verbannt. Veränderbarkeit ist in Uhls Räumen immer bereits im Entwurf mitgedacht. Dass sich diese Veränderungen dann auch radikal gegen die architektonische und programmatische Grundhaltung wenden können, ist die – nicht immer einfach zu ertragende – Konsequenz.

1988 wurde die ursprünglich als demontierbare Filialkirche konzipierte Kirche Heiligkreuz zur Pfarrkirche erhoben und der Hl. Katharina von Siena geweiht. Die Kühnheit des Aufbruchs verflüchtigte sich in der Pragmatik der Konsolidierung.

zuschnitt, Sa., 2007.09.15



verknüpfte Bauwerke
Montagekirche Hl. Kreuz



verknüpfte Zeitschriften
zuschnitt 27 Zweite Lesung

18. Juni 2005Bernhard Steger
Spectrum

Von Fläche und Fraß

In Österreich werden täglich rund 20 Hektar Natur versiegelt. Der Beitrag der Einfamilienhäuser dazu ist beträchtlich. Über Wohnträume und ihre Folgen.

In Österreich werden täglich rund 20 Hektar Natur versiegelt. Der Beitrag der Einfamilienhäuser dazu ist beträchtlich. Über Wohnträume und ihre Folgen.

Die Popularität des frei stehenden Einfamilienhauses ist ungebrochen. Es steht bei über 70 Prozent der österreichischen Bevölkerung ganz oben auf der Wohnwunschliste. Im Umfeld der Städte werden daher immer neue Gebiete erschlossen, in denen der Traum der eigenen vier Wände Wirklichkeit werden soll. Nicht ohne Folgen: Die ungebremsten Siedlungserweiterungen immer weiter in das grüne Umland bringen mit der Zersiedelung auch höhere Verkehrsaufkommen, gestörte Ökosysteme und hohe Kosten mit sich. Doch anstatt nach Beispielen zu suchen, die dieser Entwicklung sinnvolle Alternativen entgegensetzen könnten, wird ihr noch das Mäntelchen der Kultur umgehängt: zuletzt etwa mit dem Preis für „Das beste Haus“, ausgelobt von der S-Bausparkasse in Zusammenarbeit mit dem Staatssekretariat für Kunst und Medien und dem Architekturzentrum Wien. Dabei ist die Entwicklung einer breiten zeitgenössischen Baukultur nur möglich mit Bauaufgaben, die auch gesellschaftliche Relevanz besitzen. Die Architektur der Moderne entstand aus dem Bemühen um gesunde und den Anforderungen der Zeit entsprechende Wohnungen - und nicht aus dem Anspruch, mit besonders schicken Häusern Individualität zu demonstrieren.

In Österreich werden täglich rund 20 Hektar Natur versiegelt. Der Beitrag der Einfamilienhäuser dazu ist beträchtlich: Während in einem mehrgeschoßigen Wohnhaus der Flächenbedarf 225 Quadratmeter oder bei einem zweigeschoßigen Reihenhaus 340 Quadratmeter pro Wohneinheit beträgt, liegt dieser Wert beim frei stehenden Einfamilienhaus bei 890 Quadratmeter. Bei den anteiligen Flächen für Straßen und Zufahrten ist das Verhältnis ähnlich. Flächen, die der Natur als ökologische Ausgleichsgebiete zur Verfügung standen, werden nun durch Straßen und Häuser versiegelt. Zusammenhängende Ökosysteme werden so zerstört, und wenn dann Regenfälle die Häuser unter Wasser setzen, ist es genau diese Siedlungspolitik, die an solchen dramatischen Auswirkungen die Schuld trägt. Und da geht es nicht nur um die Häuser, die in Schutzzonen errichtet wurden, sondern der Flächenfraß selbst ist es, der dazu führt, dass das Regenwasser über Dächer und Straßen sofort in die Kanäle und dann weiter in die Flüsse geleitet wird.

Massive Auswirkungen hat eine solche Siedlungsentwicklung auch auf den Verkehr und den Energieverbrauch. Nicht nur dass kompaktere Siedlungsformen weniger Heizenergie verbrauchen als die frei stehenden Einfamilienhäuser, allein das zusätzliche Verkehrsaufkommen einer Streusiedlung gegenüber einer verdichteten Wohnbebauung ist mit rund 5000 Kilowattstunden pro Jahr und Haushalt zu beziffern; das entspricht der jährlich notwendigen Heizenergie eines durchschnittlichen Niedrigenergiehauses. Die Kosten dieser Siedlungsentwicklung für die öffentliche Hand sind beträchtlich. Das „Grünbuch für eine österreichische Strategie zu einer nachhaltigen Entwicklung“, 2001 erschienen, bezifferte die Folgekosten für Infrastruktur für die folgenden zehn Jahre mit mehr als 14,5 Milliarden Euro. Aber nur 37 Prozent der Infrastrukturkosten tragen die „Häuslbauer“ über Anschlussgebühren und Abgaben selber, der Rest wird von den Gemeinden, Bund und Ländern getragen. Und selbst die direkt verrechneten Kosten werden unabhängig vom Verursacherprinzip eingenommen.

Da die Gebührenbestandteile den tatsächlichen Kostenaufwand für die Errichtung, den Betrieb und die Erhaltung der Infrastruktur nicht berücksichtigen, kommt es zusätzlich zu einer Quersubventionierung innerhalb einer Gemeinde von den (kostengünstigeren) verdichteten Siedlungsformen zu den (kostenintensiveren) dünnen Siedlungsgebieten. Die fehlende Kostenwahrheit wird auch in anderen Bereichen schlagend: Während die Transportkosten für soziale Dienste im kompakten Siedlungskörper rund 1800 Euro pro 1000 Einwohner betragen, steigen sie bei zersiedelten Gebieten auf bis zu 20.000 Euro.

Doch es sind nicht nur finanzielle und ökologische Gründe, die für ein Überdenken der bestehenden Siedlungspolitik sprechen. Die in den Nachkriegsjahren so stabil wirkenden Gesellschafts- und Familienstrukturen sind einem massiven Wandel unterworfen. Die Zahl der Scheidungen ist rasant gestiegen, die Lebenserwartung heute höher, und auch die Anforderungen der Arbeitswelt haben sich stark geändert. Unterbrochene Erwerbsbiografien werden zur Regel, Flexibilität wird zum Marktvorteil. Ergebnis ist ein sehr differenziertes soziales Gefüge, dem der bauliche Bestand nicht mehr entspricht.

Häuser besitzen bei uns eine durchschnittliche Lebensdauer von mehr als 100 Jahren, ihr Grundriss wird aber anhand kurzfristiger Lebenssituationen entwickelt, die sich später sehr oft ändern. Die Pflege des großen Hauses und des Gartens wird zur Last, die großen Distanzen zu den notwendigen Einrichtungen des täglichen Lebens stellen gerade ältere Menschen vor oft unlösbare Probleme in der Bewältigung ihres Alltags. Erfordern berufliche Veränderungen einen Ortswechsel, wird das Haus und die darauf liegende Hypothek zum Klotz am Bein. Denn ob das Einfamilienhaus eine so sichere Wertanlage ist, scheint nicht so eindeutig zu sein. Prognosen sprechen davon, dass in Zukunft viele Einfamilienhäuser von den erbenden Kindern oder zur Sicherung des Lebensstandards im Alter abgestoßen werden, sodass vor allem abseits der Ballungsräume ein Angebotsüberhang entsteht, dessen Folge ein Wertverlust der Immobilien sein wird.

Der prinzipielle Ansatz des von der S-Bausparkasse ausgelobten Preises für „Das beste Haus“ wäre ja richtig: Best practice - Beispiele zu suchen, zu prämieren und auf möglichst vielfältige Weise unter die Leute bringen; am besten direkt zu denjenigen, die auf der Suche nach einer neuen Wohnung sind. Aber bitte mit Beispielen, die verantwortungsvoll mit Ressourcen umgehen. Es geht doch darum aufzuzeigen, dass die Alternative zum frei stehenden Einfamilienhaus nicht automatisch die anonyme Mietskaserne ist. Dabei müssen die Anliegen hinter dem Wunsch nach dem Einfamilienhaus ernst genommen werden: der Wunsch nach Eigenständigkeit und Individualität, ausreichende Wohnungsgrößen, Möglichkeiten des Lagerns und Bergens, die Erbringung von Eigenleistungen und vor allem direkte und differenzierte Freiraumbezüge. Denn es sind die privaten und öffentlichen Freiräume, die eine Ansammlung von Häusern erst zu einer lebenswerten Umwelt machen.

So lange die Menschen nur Beispiele von erfüllten Lebensträumen in Einfamilienhäusern präsentiert und diese auch noch so massiv finanziell unterstützt bekommen, werden sie den Wunsch haben, darin zu wohnen. Aufgabe einer verantwortungsvollen Politik wäre es zu zeigen, wie es sonst noch gehen könnte. Intelligenter, verantwortungsvoller, schöner.

Spectrum, Sa., 2005.06.18

Publikationen

Bauwerke

Presseschau 12

14. Juli 2010Bernhard Steger
zuschnitt

Am Anfang war das Bild

Die Ausgangssituation war klar definiert: In einer Umgebung, die wirtschaftlich wesentlich von der Holzverarbeitung lebt, sollte eine Sporthalle gebaut...

Die Ausgangssituation war klar definiert: In einer Umgebung, die wirtschaftlich wesentlich von der Holzverarbeitung lebt, sollte eine Sporthalle gebaut...

Die Ausgangssituation war klar definiert: In einer Umgebung, die wirtschaftlich wesentlich von der Holzverarbeitung lebt, sollte eine Sporthalle gebaut werden, deren Architektur emblematisch für diesen Wirtschaftszweig steht. Das Raumprogramm sah eine Halle zum Volleyballspielen vor, ergänzt um zwei Räume für kleinere Versammlungen. Als der japanische Architekt Taira Nishizawa erstmals mit den Tragwerksplanern von Arup zusammentraf, war das architektonische Motiv definiert: Wie ein Busch in einer gläsernen Box sollte das Gebäude wirken, wobei mit »Busch« eine amorphe, hölzerne Tragstruktur gemeint war, die von einem geometrisch klar definierten Körper, einem Quader von 22 mal 18 Metern Grundfläche und 9 Metern Gebäudehöhe, umhüllt sein sollte. Die statisch-konstruktive Herausforderung war nun die Entwicklung eines Tragwerks, das diese gestalterische Vorgabe umsetzen konnte.

Konstruktiv besteht die kubische Hülle aus einer Leichtmetallkonstruktion, die innere, formal freie Holzkonstruktion aus japanischem Zedernholz; diese ist gegenüber der Metallkonstruktion sowohl im Grundriss als auch in den Ansichten um 45 Grad verdreht. In der Normalprojektion erkennt man das regelmäßige Raster, die freie Form der Holzkonstruktion ergibt sich aus den unterschiedlichen Höhen ihrer Schnittpunkte. Jede dieser beiden Konstruktionen für sich hätte keine ausreichende Tragkraft; die Lösung des Problems war, die Holzkonstruktion mit der Metallkonstruktion zu einem Fachwerk zu verbinden: Jeder vierte Gurt der Holzkonstruktion (Abstände jeweils 5,60 Meter) ist, verbunden über hölzerne Ausfachungen, gemeinsam mit der Metallkonstruktion im Sinne eines Fachwerkträgers statisch wirksam. Die statische Berechnung gab die minimale Distanz jedes einzelnen Schnittpunktes der hölzernen Zuggurte zum stählernen Obergurt vor; solange diese Distanz eingehalten wurde, konnte die Form der inneren Konstruktion frei moduliert werden. Die drei jeweils dazwischen verlaufenden Erzeugenden definieren die räumliche Form einer hp-Fläche (hyperbolisches Paraboloid); sie haben den gleichen Querschnitt wie die Gurte der Fachwerkträger (21 mal 12 cm). Die Vertikallasten werden ausschließlich über die Holzkonstruktion abgetragen, die Metallkonstruktion an der Fassade hat für das Dach keine statische Wirkung. Die Knoten sind geometrisch komplexe Herausforderungen; nach einem vorgegebenen Prinzip (kraftschlüssige Verbindungen mittels Metallplatten und Gewindestangen) musste im Rahmen der Werkplanung jeder einzelne Knoten gesondert gezeichnet werden. Ungewöhnlich für die österreichische Baupraxis ist auch die Fundamentierung: Die Bodenplatte aus Stahlrahmen wurde ohne Verwendung von Beton nur mit Stahlsäulen in die Erde fundiert.

Das Ergebnis ist ohne Zweifel eine elegante Konstruktion. Die klare Geometrie der Hülle erscheint durch die um 45 Grad verdrehte Holzkonstruktion noch einmal präziser. Die Glasfassade ist, befreit von der Aufgabe, die Lasten nach unten zu bringen, durchgehend zart dimensioniert und erinnert trotz Einsatz moderner Isolierverglasungen an die kühnen Glasfassaden der frühen Moderne. Es ist eine technisch höchst elaborierte und ausgefeilte Konstruktion, auch wenn sie wahrscheinlich nicht aus unserer Logik des Holzes heraus entwickelt wurde. Denn normalerweise ist der Grund für Verbundkonstruktionen der, die Vorzüge verschiedener Materialien zu kombinieren, um so beispielsweise ökonomischer im Materialeinsatz zu sein. Bei den Fachwerkträgern in der Forestry Hall werden die Zugkräfte im Holz und die Druckkräfte im Stahl abgetragen; alle Stäbe weisen, unabhängig von der statischen Notwendigkeit, den gleichen Querschnitt auf.

Die Konstruktion führt so zu einer Maximierung des Materialeinsatzes, und nur aufgrund der Verteilung auf viele Elemente wird diese nicht als solche wahrgenommen. Und dennoch: Die Anmut ihrer Erscheinung, die Präzision der Form und die Einbindung in die umgebende Landschaft sind überzeugend. Wir kennen das von der traditionellen japanischen Architektur: Harmonisch ist das, was in seiner Komplexität zu Ende gedacht ist. Die vermeintliche Einfachheit des traditionellen japanischen Holzbaus entpuppt sich im Detail als höchst komplexes konstruktives System. Während in unserem kulturellen Verständnis der Holzbau aus seinen physischen Materialeigenschaften unter dem Primat der Wirtschaftlichkeit gedacht ist, wird er in Japan auf seine ästhetische Wirkung hin entwickelt. In diesem Sinne ist die Forestry Hall in ihrem architektonisch-kulturellen Kontext zu sehen, in dem materieller, zeitlicher und intellektueller Mehraufwand im Hinblick auf das visuelle Ergebnis in Kauf genommen wird.

zuschnitt, Mi., 2010.07.14



verknüpfte Bauwerke
Forestry Hall

15. September 2007Bernhard Steger
zuschnitt

Grundsätzlich fortschrittlich

Eigentlich sollte die Kirche ja längst nicht mehr an diesem Ort stehen. Sie war gedacht und gebaut als vorübergehender Gottesdienstraum in einem Umfeld,...

Eigentlich sollte die Kirche ja längst nicht mehr an diesem Ort stehen. Sie war gedacht und gebaut als vorübergehender Gottesdienstraum in einem Umfeld,...

Eigentlich sollte die Kirche ja längst nicht mehr an diesem Ort stehen. Sie war gedacht und gebaut als vorübergehender Gottesdienstraum in einem Umfeld, das städtebaulich, sozial und auch pastoral erst erschlossen wurde. Die Kirche war mit dem Anspruch entwickelt worden, eine Lebensdauer von 40 Jahren und eine zweimalige De- und Neumontage leisten zu können. Es ist nicht ungewöhnlich, für eine solche Bauaufgabe Holz zu verwenden. Denn Holz als Material für christliche Kirchen hat insbesondere dort eine Tradition, wo sich die Gemeinden erst formieren mussten. Auch in Wien gab es dafür rezente Vorbilder: Der Prälat Josef Gorbach errichtete alleine in Wien vor und nach dem Zweiten Weltkrieg 22 Notkirchen.

Holz als Baustoff wurde hier häufig verwendet, weil es als Material kostengünstig war und einen hohen Anteil an Eigenleistung der Gemeindemitglieder zuließ. Doch bereits die Benennung als Not- oder Barackenkirchen suggerierte, dass es sich dabei jeweils nur um Gotteshäuser mit Ablaufdatum handelte. Davon unterschied sich Uhls Raumverständnis wesentlich. Für ihn war architektonischer Fortschritt immer mit der Verwendung neuester Baumaterialien und -techniken verbunden – der moderne Stahlbetonträger oder Leimbinder als Äquivalent zum Strebepfeiler der Gotik. Auch ist die Vorstellung einer sakralen Stimmung eines Raums ein Produkt des 19. Jahrhunderts und konnte unter Rückbesinnung auf die urchristliche Form des Gottesdienstes für die Architektur der Gebäude nicht bestimmend sein. Denn das, was einen Raum als Kirche definiert, ist für Uhl nicht deren Konstruktion oder Material, sondern die in ihr stattfindende Versammlung der Gläubigen.

Ottokar Uhl hatte bereits in der Wiener Siemensstraße eine demontierbare Kirche gebaut, das Ergebnis eines mit dem Soziologen Erich Bodzenta gemeinsam entwickelten Konzepts: Mit mobilen und in ihrer Größe veränderbaren Kirchen könnte, so die Überlegung, in noch unfertigen Siedlungsgebieten rasch ein seelsorgerisches Angebot geschaffen werden, bis die Situation geklärt sei und eine neue, ortsfeste und von den sozialen und pastoralen Anforderungen her abgesicherte Kirche gebaut werden könne. Infolge seiner Begegnung mit Konrad Wachsmann war Uhl aber auch davon überzeugt, dass eine Erneuerung der Architektur nur über eine Erneuerung der Bedingungen des Bauens möglich sei: Vorfertigung und Industrialisierung als Gelegenheit, architektonisch grundsätzliche Fortschritte zu erzielen. Auch theologische Gründe förderten diese Entwicklung: In der Aufbruchsstimmung des 2. Vatikanischen Konzils entsprachen nicht ortsfeste Kirchen der allgemeinen Stimmung des »Volkes Gottes gemeinsam auf dem Weg«.

Die Kirche in der Siemensstraße war in jeder Hinsicht ein Experiment. Bautechnisch verlangte Uhl mehr, als die Technologie damals zu leisten imstande war. Insbesondere das Lichtdach war von Beginn an undicht, und es gelang auch nicht, es dauerhaft abzudichten. Die Kirche war verhältnismäßig teuer, was vor allem auf die Stahlkonstruktion aus Deutschland (für die damals noch hohe Einfuhrzölle zu zahlen waren) zurückzuführen ist.

Aus diesen Gründen wurde die ursprüngliche Idee, das Modell Siemensstraße öfter zu bauen, nicht weiter verfolgt, als es kurz darauf Bedarf an einer weiteren provisorischen Kirche gab. Uhl prüfte verschiedene Konstruktionsarten auf ihren Einsatz als demontable Struktur und kam letztendlich auf eine vorgefertigte Holzkonstruktion. Diese bestand aus vier, ein Quadrat von 15 Metern Seitenlänge aufspannenden Holzträgern auf Stützen, die in sich aus zwei parallel verlaufenden Leimbindern (Hetzerbindern) bestanden. Diese Träger gaben zwei unterschiedliche Höhen vor: Die Oberkante definierte die Höhe des mittleren Teils (5,0 m), die Unterkante (2,5 m) die Höhe der Seitenteile. Ein umlaufendes Oberlicht zwischen Haupt- u. Sekundärbalken des Trägers leuchtet den Raum hell aus. Diese Konstruktionsart ermöglichte einen stützenfreien Raum, der funktional frei disponierbar und auch prinzipiell erweiterbar war. In diese Tragstruktur zog man im mittleren Bereich zwei zusätzliche Träger ein, in die Deckenelemente mit 2,5 mal 5,0 Metern gelegt wurden. Sowohl die Träger als auch die Decken- und Wandelemente waren vorgefertigt. Die Bauzeit vor Ort konnte so auf sieben Wochen reduziert werden – 1967 ein absolutes Novum.

Die Fugen zwischen den Deckenelementen des Dachs wurden mit einem Vakuumschlauch und einem Fugenband abgedichtet, ein Konstruktionsdetail, welches den dauerhaften Anforderungen im Flachdachbereich nicht Stand hielt. Dem flachen Dach wurde später (ohne Rücksprache mit Uhl) ein geneigtes aufgesetzt und der gesamte obere Bereich inklusive Holzträger verblecht. Auch im Inneren kam es zu einigen Veränderungen: Die Ausrichtung wurde gedreht, die ursprünglich auf drei Seiten um den Altar angeordneten Bänke wurden in eine frontale Anordnung umgestellt und die ehemals frei im Raum stehenden Einbauten in die Umgänge verbannt. Veränderbarkeit ist in Uhls Räumen immer bereits im Entwurf mitgedacht. Dass sich diese Veränderungen dann auch radikal gegen die architektonische und programmatische Grundhaltung wenden können, ist die – nicht immer einfach zu ertragende – Konsequenz.

1988 wurde die ursprünglich als demontierbare Filialkirche konzipierte Kirche Heiligkreuz zur Pfarrkirche erhoben und der Hl. Katharina von Siena geweiht. Die Kühnheit des Aufbruchs verflüchtigte sich in der Pragmatik der Konsolidierung.

zuschnitt, Sa., 2007.09.15



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Montagekirche Hl. Kreuz



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zuschnitt 27 Zweite Lesung

18. Juni 2005Bernhard Steger
Spectrum

Von Fläche und Fraß

In Österreich werden täglich rund 20 Hektar Natur versiegelt. Der Beitrag der Einfamilienhäuser dazu ist beträchtlich. Über Wohnträume und ihre Folgen.

In Österreich werden täglich rund 20 Hektar Natur versiegelt. Der Beitrag der Einfamilienhäuser dazu ist beträchtlich. Über Wohnträume und ihre Folgen.

Die Popularität des frei stehenden Einfamilienhauses ist ungebrochen. Es steht bei über 70 Prozent der österreichischen Bevölkerung ganz oben auf der Wohnwunschliste. Im Umfeld der Städte werden daher immer neue Gebiete erschlossen, in denen der Traum der eigenen vier Wände Wirklichkeit werden soll. Nicht ohne Folgen: Die ungebremsten Siedlungserweiterungen immer weiter in das grüne Umland bringen mit der Zersiedelung auch höhere Verkehrsaufkommen, gestörte Ökosysteme und hohe Kosten mit sich. Doch anstatt nach Beispielen zu suchen, die dieser Entwicklung sinnvolle Alternativen entgegensetzen könnten, wird ihr noch das Mäntelchen der Kultur umgehängt: zuletzt etwa mit dem Preis für „Das beste Haus“, ausgelobt von der S-Bausparkasse in Zusammenarbeit mit dem Staatssekretariat für Kunst und Medien und dem Architekturzentrum Wien. Dabei ist die Entwicklung einer breiten zeitgenössischen Baukultur nur möglich mit Bauaufgaben, die auch gesellschaftliche Relevanz besitzen. Die Architektur der Moderne entstand aus dem Bemühen um gesunde und den Anforderungen der Zeit entsprechende Wohnungen - und nicht aus dem Anspruch, mit besonders schicken Häusern Individualität zu demonstrieren.

In Österreich werden täglich rund 20 Hektar Natur versiegelt. Der Beitrag der Einfamilienhäuser dazu ist beträchtlich: Während in einem mehrgeschoßigen Wohnhaus der Flächenbedarf 225 Quadratmeter oder bei einem zweigeschoßigen Reihenhaus 340 Quadratmeter pro Wohneinheit beträgt, liegt dieser Wert beim frei stehenden Einfamilienhaus bei 890 Quadratmeter. Bei den anteiligen Flächen für Straßen und Zufahrten ist das Verhältnis ähnlich. Flächen, die der Natur als ökologische Ausgleichsgebiete zur Verfügung standen, werden nun durch Straßen und Häuser versiegelt. Zusammenhängende Ökosysteme werden so zerstört, und wenn dann Regenfälle die Häuser unter Wasser setzen, ist es genau diese Siedlungspolitik, die an solchen dramatischen Auswirkungen die Schuld trägt. Und da geht es nicht nur um die Häuser, die in Schutzzonen errichtet wurden, sondern der Flächenfraß selbst ist es, der dazu führt, dass das Regenwasser über Dächer und Straßen sofort in die Kanäle und dann weiter in die Flüsse geleitet wird.

Massive Auswirkungen hat eine solche Siedlungsentwicklung auch auf den Verkehr und den Energieverbrauch. Nicht nur dass kompaktere Siedlungsformen weniger Heizenergie verbrauchen als die frei stehenden Einfamilienhäuser, allein das zusätzliche Verkehrsaufkommen einer Streusiedlung gegenüber einer verdichteten Wohnbebauung ist mit rund 5000 Kilowattstunden pro Jahr und Haushalt zu beziffern; das entspricht der jährlich notwendigen Heizenergie eines durchschnittlichen Niedrigenergiehauses. Die Kosten dieser Siedlungsentwicklung für die öffentliche Hand sind beträchtlich. Das „Grünbuch für eine österreichische Strategie zu einer nachhaltigen Entwicklung“, 2001 erschienen, bezifferte die Folgekosten für Infrastruktur für die folgenden zehn Jahre mit mehr als 14,5 Milliarden Euro. Aber nur 37 Prozent der Infrastrukturkosten tragen die „Häuslbauer“ über Anschlussgebühren und Abgaben selber, der Rest wird von den Gemeinden, Bund und Ländern getragen. Und selbst die direkt verrechneten Kosten werden unabhängig vom Verursacherprinzip eingenommen.

Da die Gebührenbestandteile den tatsächlichen Kostenaufwand für die Errichtung, den Betrieb und die Erhaltung der Infrastruktur nicht berücksichtigen, kommt es zusätzlich zu einer Quersubventionierung innerhalb einer Gemeinde von den (kostengünstigeren) verdichteten Siedlungsformen zu den (kostenintensiveren) dünnen Siedlungsgebieten. Die fehlende Kostenwahrheit wird auch in anderen Bereichen schlagend: Während die Transportkosten für soziale Dienste im kompakten Siedlungskörper rund 1800 Euro pro 1000 Einwohner betragen, steigen sie bei zersiedelten Gebieten auf bis zu 20.000 Euro.

Doch es sind nicht nur finanzielle und ökologische Gründe, die für ein Überdenken der bestehenden Siedlungspolitik sprechen. Die in den Nachkriegsjahren so stabil wirkenden Gesellschafts- und Familienstrukturen sind einem massiven Wandel unterworfen. Die Zahl der Scheidungen ist rasant gestiegen, die Lebenserwartung heute höher, und auch die Anforderungen der Arbeitswelt haben sich stark geändert. Unterbrochene Erwerbsbiografien werden zur Regel, Flexibilität wird zum Marktvorteil. Ergebnis ist ein sehr differenziertes soziales Gefüge, dem der bauliche Bestand nicht mehr entspricht.

Häuser besitzen bei uns eine durchschnittliche Lebensdauer von mehr als 100 Jahren, ihr Grundriss wird aber anhand kurzfristiger Lebenssituationen entwickelt, die sich später sehr oft ändern. Die Pflege des großen Hauses und des Gartens wird zur Last, die großen Distanzen zu den notwendigen Einrichtungen des täglichen Lebens stellen gerade ältere Menschen vor oft unlösbare Probleme in der Bewältigung ihres Alltags. Erfordern berufliche Veränderungen einen Ortswechsel, wird das Haus und die darauf liegende Hypothek zum Klotz am Bein. Denn ob das Einfamilienhaus eine so sichere Wertanlage ist, scheint nicht so eindeutig zu sein. Prognosen sprechen davon, dass in Zukunft viele Einfamilienhäuser von den erbenden Kindern oder zur Sicherung des Lebensstandards im Alter abgestoßen werden, sodass vor allem abseits der Ballungsräume ein Angebotsüberhang entsteht, dessen Folge ein Wertverlust der Immobilien sein wird.

Der prinzipielle Ansatz des von der S-Bausparkasse ausgelobten Preises für „Das beste Haus“ wäre ja richtig: Best practice - Beispiele zu suchen, zu prämieren und auf möglichst vielfältige Weise unter die Leute bringen; am besten direkt zu denjenigen, die auf der Suche nach einer neuen Wohnung sind. Aber bitte mit Beispielen, die verantwortungsvoll mit Ressourcen umgehen. Es geht doch darum aufzuzeigen, dass die Alternative zum frei stehenden Einfamilienhaus nicht automatisch die anonyme Mietskaserne ist. Dabei müssen die Anliegen hinter dem Wunsch nach dem Einfamilienhaus ernst genommen werden: der Wunsch nach Eigenständigkeit und Individualität, ausreichende Wohnungsgrößen, Möglichkeiten des Lagerns und Bergens, die Erbringung von Eigenleistungen und vor allem direkte und differenzierte Freiraumbezüge. Denn es sind die privaten und öffentlichen Freiräume, die eine Ansammlung von Häusern erst zu einer lebenswerten Umwelt machen.

So lange die Menschen nur Beispiele von erfüllten Lebensträumen in Einfamilienhäusern präsentiert und diese auch noch so massiv finanziell unterstützt bekommen, werden sie den Wunsch haben, darin zu wohnen. Aufgabe einer verantwortungsvollen Politik wäre es zu zeigen, wie es sonst noch gehen könnte. Intelligenter, verantwortungsvoller, schöner.

Spectrum, Sa., 2005.06.18

Profil

1993 – 2001 Architekturstudium TU-Wien und ETSA Barcelona
2001 – 2006 selbstständige Tätigkeit im Rahmen von eisvogel. Raum für Architektur
2003 – 2004 Aufarbeitung Archiv Ottokar Uhl für das Architekturzentrum Wien
2005 Promotion TU Wien: „Vom Bauen. Zu Leben und Werk von Ottokar Uhl“
2005 Kurator der Ausstellung „Ottokar Uhl. Nach allen Regeln der Architektur“ im Architekturzentrum Wien
2006 Gründung von mohr steger architektur
2007 – 2010 Assistent am Institut für Architektur und Entwerfen, Abteilung Raumgestaltung der TU-Wien
Seit 2009 Mitglied im Vorstand der Östereichischen Gesellschaft für Architektur
Seit 2010 Sprecher der Plattform für Architekturpolitik und Baukultur (mit Jakob Dunkl)
Regelmäßige publizistische Tätigkeit für Fachmedien

Auszeichnungen

Innovationspreis Energiespeicher Beton 2010, Preisträger, Haus Natol

7 | 6 | 5 | 4 | 3 | 2 | 1