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08. September 2021Stefan Brändle
Der Standard

Der Turmbau zu Arles

In der französischen Provinzmetropole Arles ist das 56 Meter hohe Kunstzentrum Luma entstanden. Erbauen ließ es die Schweizer Pharmakonzernerbin Maja Hoffmann. Belebend für eine abgehängte Region oder doch Größenwahn?

In der französischen Provinzmetropole Arles ist das 56 Meter hohe Kunstzentrum Luma entstanden. Erbauen ließ es die Schweizer Pharmakonzernerbin Maja Hoffmann. Belebend für eine abgehängte Region oder doch Größenwahn?

Wer heute durch die Camargue fährt, staunt nicht mehr über die wilden Pferde, die Stiere und die Bewässerungskanäle der Reisfelder. Auf der Fahrt nach Arles wird der Blick neuerdings von einem glitzernden Ungetüm angezogen, das sich am flachen Horizont aus dem Dunst schält. Beim Näherkommen erweist sich, dass es die malerischen Dächer der regionalen Metropole überragt. Es ist ein Turm, 56 Meter hoch und fast ebenso breit; futuristisch, lichtspiegelnd, emporgewachsen aus topfebenem Land – ein absoluter Kontrapunkt zur antiken mediterranen Stadt. Eine Landmarke, gemacht, um unübersehbar zu sein.

Angekommen in Arles, wo das wuchtige Bauwerk immer imposanter, höher erscheint und sich als Teil eines riesigen Bau- und Parkgeländes erweist, drängt sich die erstaunlichste Erkenntnis auf: Dieses kühne und – sagen wir es – höchst unbescheidene Ensemble hier im Süden Frankreichs stammt von einer Auswärtigen.

Elf Hektar großes Gelände

Auch wenn Maja Hoffmann, gebürtige Schweizerin und Erbin des Basler Pharmakonzerns Roche, seit ihrer Kindheit in Arles lebt und arbeitet. Ihr Vater Hans Lukas Hoffmann war mit seiner Familie zu ornithologischen Feldstudien in die Camargue gezogen, weshalb Maja großenteils in Arles aufgewachsen ist.

Dort schafft sie in einem Außenviertel seit über zehn Jahren ein Kunst- und Kulturzentrum namens Luma. Im Juni wurde das Kernstück, der vom US-Architekten Frank Gehry gezeichnete, aus 11.000 Aluminiumboxen gebildete Turm, offiziell eingeweiht. Während des Sommers konnten Besucher aus nah und fern erstmals das elf Hektar große Gelände besichtigen, auf dem früher Lokomotiven der französischen Eisenbahn SNCF repariert wurden.

Hoffmann nennt das Ensemble einen „Creative Campus“. Publikumsmagnet ist die Hauptgalerie mit ihrer eigenen Sammlung, darunter Installationen von Urs Fischer, Etel Adnan, Fischli/Weiss oder Fotografien von Diane Arbus und Annie Leibovitz.

Als eines der größten privat finanzierten Kunstzentren geht Luma aber viel weiter. Einzelne Künstler erhalten Wohnungen im Gehry-Turm, um ihre Kreationen vor Ort zu schaffen. Der sich drehende Dachspiegel von Ólafur Elíasson ist zum Beispiel gleich in das Gebäude integriert.

Dazu kommen Galerien, Tagungsräume und „lebende Archive“, umgeben von einem immensen Park, der auch eine Einladung an die 54 000 Einwohner der Stadt darstellt. Hoffmann gibt sich undogmatisch, ja volksnah: Die Koreanerin Koo Jeong-A hat für sie einen Skatepark geschaffen, der Deutsche Carsten Höller eine als Kunstwerk getarnte Doppelrutschbahn im Inneren des Turms.

Bei einer ersten Besichtigung im August drängten sich die Anwohner allerdings noch nicht in den generösen Gartenanlagen. In der Avenue Victor Hugo meint ein junger Passant naserümpfend, die Turmskulptur gemahne ihn an eine zerknüllte Blechdose. „Für ein neues Wahrzeichen der Stadt ist es ziemlich hässlich, finden Sie nicht?“, fragt der im Ort geborene Maurer. Gewiss schaffe das Projekt auch Arbeitsplätze. Dass die altrömische Stadt mit ihrem intakten Amphitheater plötzlich von einem klotzigen Kunstwerk dominiert werde, störe aber viele, meint der Mann, der seinen Namen nicht nennen will.

Absage an Subventionen

Vielleicht, weil Maja Hoffmann in der Stadt heute viel Einfluss hat? Die Lebenspartnerin des amerikanischen Filmproduzenten Stanley Buchthal leitete vor Luma schon die lokale Van-Gogh-Stiftung. Auch sie sitzt im Verwaltungsrat der Rencontres d’Arles, des weltberühmten Fotofestivals. Die Besucher bewirtet und beherbergt sie ferner in zwei Hotels und zwei Restaurants, die sie im Verlauf der Jahre übernommen hat.

In Arles kommt niemand mehr an Maja Hoffmann vorbei. Bei ihrem Luma-Projekt erteilte sie auch dem früheren Staatspräsidenten François Hollande eine Abfuhr, als dieser eine staatliche Subvention vorschlug. Die stämmige, weltläufige Baslerin schultert die auf bis zu 200 Millionen Euro geschätzten Gesamtkosten lieber selbst.

„Maja Hoffmann hat etwas Imperiales“, meinte der langjährige Ex-Vorsteher der Region Provence, Michel Vauzelle, ohne jede Ironie zum TV-Sender France-3. „Sie weiß, was sie will. Und das setzt sie auch durch.“ Der lokale PR-Agent Christophe Cachera drückt sich milder aus: „Maja Hoffmann denkt oft 20 oder 30 Jahre voraus. Deshalb verstehen sie viele Leute nicht.“
Kritik und Lob

Im Café „Davidoff“ unweit vom Luma-Eingang entfernt findet der Barman auch lobende Worte: „Viele Leute stören sich an ihrer Dominanz. Aber ich muss sagen, bei den Versammlungen der lokalen Hoteliers wirkt sie einfach und sympathisch. Niemand kann bestreiten, dass sie neues Leben in die Stadt bringt.“

Betonung auf neu: Im schmucken Stadtkern mit seinen engen Gässchen und mediterranen Düften mehren sich die Kunstgalerien, Bioläden und Hipsterbars. Auf dem berühmten römischen Gräberfeld von Arles, den Alyscamps, organisierte Gucci letzthin eine Modeschau. Und jetzt drückt Gehrys Aluturm der Stadt seinen Stempel auf.

Hoffmann – die für Interviewanfragen nicht zur Verfügung steht – versucht auf vielfältige Weise, das neue in das alte Arles zu integrieren. Der runde Sockelbau des Luma-Haupttrakts erinnert ihr zufolge an das perfekt erhaltene Amphitheater der Stadt. Allerdings höchstens aus der Vogelperspektive.

Überzeugender ist – wie meist – Hoffmanns finanzielles Argument. Der Oppositionspolitiker Mohamed Rafaï gesteht freimütig ein, dass die Schweizer Mäzenin dem desindustrialisierten, mittellosen Arles Impulse verleihe, die sich die Stadt mit einer Arbeitslosenquote von mehr als zehn Prozent selber gar nicht leisten könnte. Andere Lokalpolitiker erinnern an das Beispiel der baskischen Provinzstadt Bilbao, der das spektakuläre – ebenfalls von Gehry gezeichnete – Guggenheim-Museum zu einem generellen Aufschwung verholfen hat.

Der Standard, Mi., 2021.09.08

10. Mai 2019Stefan Brändle
Der Standard

Notre-Dame als Macrons mögliches Erbe

Frankreichs Parlament debattiert heute über die Restauration der Kathedrale. Die Opposition wirft Präsident Macron vor, mit Sondervollmachten ein modernes Projekt realisieren zu wollen. Stefan Brändle aus Paris

Frankreichs Parlament debattiert heute über die Restauration der Kathedrale. Die Opposition wirft Präsident Macron vor, mit Sondervollmachten ein modernes Projekt realisieren zu wollen. Stefan Brändle aus Paris

Die nationale Eintracht nach dem Dachbrand der Notre-Dame hat weniger als einen Monat gewährt. Nicht ganz überraschend gehen die Meinungen über das zukünftige Antlitz des Pariser Wahrzeichens bereits weit auseinander. Die französische Urdebatte zwischen „Anciens“ (Traditionalisten) und „Modernes“ lebt wieder auf: Die Ersteren verlangen eine originalgetreue Restauration der zerstörten Bausubstanz. Letztere sind offen für Neues und wollen die Gelegenheit nutzen, den 800 Jahre alten Bau fortzuentwickeln.

Der Disput ist längst nicht nur kunsthistorischer oder ästhetischer Natur: Im Hintergrund geht es auch um die sehr politische Frage, ob Notre-Dame als Symbol der Christenheit zu bewahren und zu beschützen sei – oder ob sie selber mit der Zeit gehen soll. Entsprechend hoch wogt bereits die Debatte über ein Spezialgesetz, das heute, Freitag, vor die Nationalversammlung kommt. Es erlässt zum einen 75 Prozent der Steuern auf Spenden bis zu 100 Euro.

Zentraler sind zwei andere Gesetzesbestimmungen: Die in Staatsbesitz befindliche Kathedrale erhält ein öffentliches Gremium vorgestellt, ein „établissement publique“, das finanzielle und andere Fragen klären soll. Dazu soll die Regierung das Recht erhalten, auf dem Ordonnanzweg – also ohne Parlamentsvotum – „Ausnahmen“ von den geltenden urbanistischen und kunsthistorischen Normen zu erlassen.

Die Opposition wirft Präsident Emmanuel Macron vor, er wolle mit diesen zwei Bestimmungen das Zepter der Renovierung an sich reißen. Die kommunistische Abgeordnete Marie-George Buffet erklärte, die zwei bereits bestehenden Notre-Dame-Gremien – auf die der Staatschef weniger Einfluss hat – genügten vollauf.

Vorwurf des Größenwahns

Die konservativen Republikaner verdächtigen Macron megalomaner Absichten: So wie Georges Pompidou das gleichnamige Kulturzentrum, Valéry Giscard d’Estaing das Musée d’Orsay, François Mitterrand die Bastille-Oper und Jacques Chirac das Völkerkundemuseum Branly gebaut hätten, wolle der aktuelle Präsident der neuen Notre-Dame seine eigene Handschrift aufdrücken.

Will er ein modernes, progressives Zeichen setzen, wie es seinem politischen Credo gegen die „rückwärtsgewandten“ Populisten entspricht? Macron hat bereits erklärt, er könnte sich beim Wiederaufbau des abgebrannten Dachreiters – des zentralen Objekts des Wiederaufbaus – gut eine „zeitgenössische Geste“ vorstellen, also eine moderne Version der filigranen Turmspitze.

Diese Bemerkung ist nicht unbeachtet geblieben. Die Republikanerin Constance Le Grip versuchte deshalb in der vorberatenden Kommission, das Adjektiv „identisch“ vor das Wort „Restauration“ setzen. Die Macronisten lehnten dies aber ab.

In die gleiche Richtung zielt die Kritik, Macron handle übereilt, um sich mit der vollendeten Renovierung einen Platz in den Geschichtsbüchern zu sichern. Schon im April hatte er erklärt, der Wiederaufbau solle „binnen fünf Jahren“, also rechtzeitig für die Olympischen Spiele von Paris 2014, beendet sein.

Die republikanische Abgeordnete Brigitte Kuster fragte darauf in der Kommission: „Kathedralenbauer arbeiten für die Ewigkeit. Wer sind wir, dass wir uns auf die Restauration stürzen und die Urbanismus-Regeln vernachlässigen?“

Ein Schuss vor den präsidialen Bug ist auch eine Petition von 1170 französischen und internationalen Konservatoren, Architekten und Kunstexperten. „Herr Präsident, lassen Sie nicht die Kulturerbeexperten beiseite“ lautet ihr Titel, gefolgt vom Ratschlag: „Nehmen wir uns die Zeit, den richtigen Weg zu finden“. Unverhohlen werfen die Spezialisten Macron vor, er opfere die „Komplexität des Denkens“ der „zur Schau gestellten Effizienz“.

Kulturminister Franck Riester beschwichtigt, Frankreich kenne strikte Regeln für den Schutz historischer Güter. Dass aber gerade die Möglichkeit vorgesehen ist, darüber hinwegzusehen, ließ er unbeantwortet. Dank seiner absoluten Mehrheit dürfte Macrons Regierungslager keine großen Probleme haben, die Sondervollmacht für die Regierung – das heißt den Präsidenten – in der Nationalversammlung durchzubringen. Schwieriger dürfte es sein, die öffentliche Meinung auf seine Seite zu ziehen.

Der Standard, Fr., 2019.05.10

09. November 2017Stefan Brändle
Der Standard

Arabischer Sternenregen aus Licht und Geld

Der französische Louvre eröffnet in Abu Dhabi einen ambitionierten Ableger: Das „Museum der Toleranz“ ist den Gemeinsamkeiten der Zivilisationen verpflichtet – und nebenbei einer Partnerschaft zwischen Frankreich und den Arabischen Emiraten.

Der französische Louvre eröffnet in Abu Dhabi einen ambitionierten Ableger: Das „Museum der Toleranz“ ist den Gemeinsamkeiten der Zivilisationen verpflichtet – und nebenbei einer Partnerschaft zwischen Frankreich und den Arabischen Emiraten.

Die Palmen sind geschnitten, der herangeschaffte Naturrasen ist eingepasst: Alles ist bereit für die Einweihung des Louvre Abu Dhabi durch Scheich Khalifa bin Zayed Al Nahyan, den Präsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), und seinen französischen Amtskollegen Emmanuel Macron.

Jean Nouvels neues Wunderwerk arabesker Schlichtheit hat als Wahrzeichen eine flache Kuppel von 180 Metern im Durchmesser. Gebildet wird sie aus knapp 8000 Metallsternen, die einen „Lichtregen“ entstehen lassen und dem Besucher das Gefühl vermitteln, „im ruhigen Schatten“ einer Medina zu wandeln, wie Nouvel am Dienstag vor Ort erklärte.

Ein erster Durchgang durch die Säle bestätigt den Anspruch des Louvre Abu Dhabi als „erstes universelles Museum der arabischen Welt“ (Pressetext). Das Spektrum ist sehr breit – so breit, dass es zum Umdenken zwingt. Was verbindet neolithische Figuren aus Zypern mit antiken Objekten aus Ägypten, Rom und Indien? Was altarabische Schätze – ein Blatt des „blauen Koran“ oder ein Astrolabium – mit Gemälden von da Vinci oder Holbein? Was mit Matisse, Klee, Pollock und (zuletzt noch für 21,5 Millionen Euro dazugekommen) Mondrian? Ein van Gogh fehlt ebenso wenig wie ein Picasso.

Umdenken ist erforderlich, weil der zweite Louvre nicht nach Perioden oder Regionen ausstellt, sondern „transversal“, wie Direktor Manuel Rabaté sagt. Die verschachtelten Abteilungen tragen Namen wie „erste Dörfer“, „Am Hof der Prinzen“ oder „Kosmografien“ oder „universelle Religionen“ – genannt sind Buddhismus, Christentum, Islam. Dazu kommt eine hebräische Bibel.

Diese Gliederung folgt laut Rabaté „den Gemeinsamkeiten zwischen den Zivilisationen und Epochen“. Nicht immer werden sie ersichtlich. Bisweilen wirkt das ökumenische Angebot eher wie ein Sammelsurium musealer Blockbuster.

Abu Dhabi wäre durchaus prädestiniert, eine globale Sicht von West und Ost, Europa und Orient, afrikanischen und japanischen Kunstobjekten zu vermitteln: Das größte der sieben vereinten Emirate liegt geografisch wirklich zwischen den Kulturen, auch zwischen Wüste und Wasser, zwischen Aufbruch und Tradition. Der Direktor der Kultur- und Tourismusbehörde der Emirate, Mohamed Khalifa Al Mubarak, betonte in seiner Begrüßungsrede vor 500 Journalisten mehrfach, der Louvre Abu Dhabi sei „nicht nur ein Museum, sondern ein Zentrum der Toleranz“. Geschmälert wird der Anspruch einzig durch die Absenz von unbekleideten Akten. Bellinis Jungfrau mit Kind trägt immerhin Kopftuch.

Wie Doha oder Dubai, die beiden anderen Wolkenkratzermagnete am Golf, setzt das gesellschaftlich und religiös aufgeschlossene Scheichtum Abu Dhabi auf Museen, Festivals und Tourismus, um für die Zeit nach dem Öl und Erdgas vorzusorgen. Der neue Louvre ist nur der erste Stein eines ganzen Kulturbezirks, der auf der Saadiyat-Insel am Rande der Millionenmetropole für 27 Milliarden Dollar aus dem Boden gestampft wird. Auf den Baubeginn warten auch ein Ableger des New Yorker Guggenheim-Museums und ein nationales Zayed-Museum, dazu Golfplätze, Konzerthallen und Hotelkomplexe.

Als Abu Dhabi 2007 in Paris vorstellig wurde und einen Louvre-Zwilling am Golf anregte, winkte dessen Pariser Vorsteher Henri Loyrette entschieden ab. Bald aber setzten sich die Argumente des Scheichtums durch. Die VAE zahlen allein für die auf 30 Jahre befristete Benutzung des Namens „Louvre“ 400 Millionen Euro. Dazu kommen 190 Millionen für Leihgaben wie etwa einen da Vinci (seine Mona Lisa natürlich ausgenommen). Weitere 165 Millionen geben sie aus für die technische Hilfe von Experten der zwölf bekanntesten Museen Frankreichs.

Die Sammlung wurde faktisch nach dem Prinzip zusammengestellt: Die VAE schlagen vor, die Franzosen entscheiden. Und dann zahlen die VAE. Letztere stellten die Zahlungen mindestens einmal ein, weil sie mit der Wahl nicht zufrieden waren. Zum Schluss einigte man sich aber zuverlässig.

Den Franzosen war nicht nur an einem Kulturexport in einen Wüstenstaat gelegen. Vor zehn Jahren, fast gleichzeitig mit dem Louvre-Abkommen, kauften die Emirate 40 Exemplare des Riesen-Airbus A380. Dann einigte sich der damalige Präsident Nicolas Sarkozy auf die Eröffnung eines französischen Militärstützpunktes in Abu Dhabi, der heute nur 30 Kilometer vom neuen Louvre entfernt ist. Sarkozy nannte es eine „strategische Partnerschaft“ mit den VAE.

Probleme auf der Baustelle

Das hinderte die VAE nicht, Jahre später keine französischen, sondern südkoreanische Atomkraftwerke zu kaufen. Etwa zur gleichen Zeit zirkulierten Berichte von Human Rights Watch, die 5000 asiatischen Gastarbeiter der pharaonischen Louvre-Baustelle würden nicht nur gut behandelt. Jean Nouvel wollte nichts hören.

Neuerdings sucht Frankreich zu mäßigen, während die verjüngte VAE-Führung militärisch im Jemen eingreift und als treibende Kraft hinter dem Versuch gilt, Nachbar Katar – einen anderen Verbündeten Frankreichs in der Region – zu isolieren. Alles in allem hält aber die strategische Entente zwischen Paris und Abu Dhabi. Nicht nur, aber auch dank des Louvre Abu Dhabi.

Der Standard, Do., 2017.11.09



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16. April 2009Stefan Brändle
Der Standard

Der Chirurg von Paris

Ohne ihn wäre Paris nicht, was es heute ist: Baron Haussmann, dessen Geburtstag sich Ende März zum 200. Mal jährte, revolutionierte mit seinen Boulevards die Seine-Stadt - um Volksaufstände zu verhindern.

Ohne ihn wäre Paris nicht, was es heute ist: Baron Haussmann, dessen Geburtstag sich Ende März zum 200. Mal jährte, revolutionierte mit seinen Boulevards die Seine-Stadt - um Volksaufstände zu verhindern.

„Paris kann nicht als Gemeinde betrachtet werden. Paris ist etwas ganz anderes. Es ist eine Hauptstadt. Paris gehört ganz Frankreich.“ Mit diesen Worten schmetterte der Stadtpräfekt 1864 die Forderung der Linksopposition ab, im Pariser Kommunalrat über seine neusten Baupläne abzustimmen. Georges Eugène Haussmann hatte längst entschieden: Niemand veränderte das Bild einer der großen Weltmetropolen als dieser Nachfahre deutscher Einwanderer.

Entgegen einer verbreiteten Meinung war es aber nicht Haussmann, sondern Napoleon III., der den Impuls für den Umbau der Hauptstadt gab. Der Neffe von Napoleon Bonaparte hatte erkannt, dass die Stadt zur Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Industrialisierung, die Eisenbahn und den Kaufhausboom vor einem gewaltigen Umbruch stand.

Haussmann nahm die Dinge aber bald selbst in die Hand. Der großgewachsene Protestant, mit einem eisernen Willen ausgestattet und nicht frei von Eitelkeit, benahm sich „autoritärer und imperialer als der Kaiser selbst“, wie einer seiner Biografen meinte. Als ihm Napoleon III. das erste Großprojekt, einen Stadtpark im Westen, übertrug, prüfte Haussmann die Lage nach und erklärte dem Kaiser rundheraus, die Pläne seien undurchführbar. Obwohl ein Laie in Sachen Städtebau, behielt er recht und realisierte ein eigenes Projekt - den heutigen Bois de Boulogne.

Seinen zweiten Streich, den Bau der Markthallen (Les Halles), beschloss Haussmann bereits im Alleingang: Er wählte eine weitgehend unbekannte Eisenkonstruktionen aus, die heute berühmten Pavillons von Baltard. Dann machte er sich daran, von Westen her eine Prachtallee ins Stadtzentrum zu legen. Als ihm sein Architekt Jacques Hittorff die Pläne unterbreitete, verwarf sie Haussmann mit einer Handbewegung: „40 Meter? Monsieur, es braucht das Doppelte, das Dreifache!“ Von Hand fügte er auf dem Plan Trottoirs und Rasenstreifen an. Das Resultat ist die Avenue de Foch, die in der Tat 120 Meter breit ist.

Jetzt wagte sich Haussmann ans Eingemachte: Er realisierte das alte, nie vom Fleck gekommene Vorhaben, durch Paris eine Kreuzachse in Nord-Süd- und in Ost-West-Richtung zu legen. Die enteigneten Hausbesitzer schimpften, er vierteile die Stadt; andere verlangten, dass der Stadtkern um Les Halles vom Abriss verschont bleibe. Warum man nicht einfach die bestehende, von Norden her einfallende Rue Saint-Denis verbreitere, wurde er gefragt. „Weil es leichter ist, den Teig innen zu durchstechen als an der Kruste zu kratzen“, erwiderte er.

Dieser chirurgische Schnitt ist der Boulevard Sébastopol. Bei der Einweihung meinte Napoleon III.: „Auf diese Weise werden sich nun jedes Jahr neue Verkehrsachsen eröffnen. Übervölkerte Viertel werden saniert, die Mieten werden dank der Neubauten sinken; die Arbeiterklasse wird sich durch die Arbeit bereichern, das Elend sich wegen der besseren Organisation der Wohltätigkeit lindern.“

„Dumme Arbeitermassen“

Das Hauptziel nannte der Kaiser allerdings nicht. Dafür sprach Haussmann Klartext: „Es wäre der Gipfel der Unvernunft, die rohen und dummen Arbeitermassen in Paris zusammenzupferchen, als wollte man einen Mittelpunkt des Volksaufstandes schaffen.“ In Paris war es in den Jahren zuvor zu sieben Aufständen, darunter die Revolutionen von 1830 und 1848, gekommen. Der Präfekt warnte deshalb vor Proletariern, „die den Regierungen nachhetzen und sie umsäbeln, bevor das überraschte Frankreich auch nur Zeit findet, sich dagegenzustemmen“.

Nach wenigen Jahren hatte ein ganzes Netz von Boulevards, Avenuen und Alleen das mittelalterliche Paris aufgesprengt. „Dem alten Paris wurde der Bauch geleert, indem wir durch diese undurchdringlichen Viertel der Krawalle und der Barrikaden eine gerade Linie zogen“, so Haussmann.

Er richtete seine Achsen meist auf ein großes Monument aus, um die historische Perspektive zu betonen. Die Avenue de l'Opéra läuft wie ein roter Teppich auf die Oper im Palais Garnier zu; eine Meisterleistung war die sternenförmige Straßenanlage um den Arc de Triomphe am Ende der Champs-Elysées: Nicht mehr nur vier, sondern gleich zwölf Avenuen laufen heute auf den Place de l'Etoile zu.

Nach fünfzehn Jahren hektischer Bautätigkeit verlor Haussmann langsam die Unterstützung der Pariser. Sie hatten genug von den Großbaustellen und auch von den Staatsanleihen, mit denen der Präfekt seine Herkulesarbeiten finanzierte. Mit dem Sturz des Kaisers endete auch das unumschränkte Regime seines mächtigen Hauptstadtpräfekten. Haussmann starb zwei Jahrzehnte später, 1891, vergessen und verarmt, seiner beiden Töchter beraubt.

Zu seinem 200. Geburtstag (er war am 27. März) ist der Baron längst wieder rehabilitiert. Wenn Paris heute als eine der schönsten Städte der Welt gelte, so lautet der Grundtenor der Pariser Medien, dann sei das Haussmanns Werk.

Der Standard, Do., 2009.04.16



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Haussmann Georges-Eugène

19. Dezember 2004Stefan Brändle
Neue Zürcher Zeitung

Eine Autofahrt über den Wolken

Eiffels Enkel übertreffen den Meister: Im südfranzösischen Millau ist am Donnerstag die höchste Autobahnbrücke der Welt in Betrieb genommen worden. Das privat finanzierte Bauwerk bringt eines der letzten Nadelöhre auf der Fahrt in den Süden zum Verschwinden. Frankreichs neuer Stolz.

Eiffels Enkel übertreffen den Meister: Im südfranzösischen Millau ist am Donnerstag die höchste Autobahnbrücke der Welt in Betrieb genommen worden. Das privat finanzierte Bauwerk bringt eines der letzten Nadelöhre auf der Fahrt in den Süden zum Verschwinden. Frankreichs neuer Stolz.

Der Bürgermeister von Millau, Jacques Goldfrain, hält den Zapfenzieher hinter dem Rücken bereit, als sich ein Auto nähert. Strahlend reicht er den „tire-bouchon“ durch die geöffnete Scheibe dem Lenker als Geschenk: Mit der Durchfahrt des ersten Personenwagens gehört der berüchtigte „bouchon“, der Stau beim Provinzort Millau nördlich der Cevennen, der Vergangenheit an. Der Zapfen ist beseitigt.

Während Jahrzehnten quälten sich bis zu fünfzig Kilometer lange Autokolonnen die steilen Bergflanken hinunter ins Tarn-Tal und am anderen Ende wieder hoch. Vor allem im Sommer brauchten die Ferienreisenden Stunden, um den Engpass zwischen Zentralmassiv und Mittelmeer zu überwinden. Jetzt strecken sie an der Zahlstelle 4.90 Euro hin und fahren, wenn sie an der Oberkante des Canyons angekommen sind, einfach geradeaus, sozusagen in den Himmel hinaus.

Unten im Tal hängen Nebelbänke zwischen den Stadtdächern und dem Talboden; oben umwehen Wolkenschwaden die weissen Brückenspitzen. 342 Meter über dem Tarn liegen sie, höher als der Eiffelturm. Die ersten Automobilisten, die an diesem Donnerstag den Viadukt überqueren, fahren langsam, um durch die gläsernen Windverschalungen auf den Brückenseiten möglichst viel von dem Naturschauspiel mitzubekommen. Nach dem ersten Schrägseil-Haltepfeiler glaubt man bereits, eine Brücke überquert zu haben. Aber es folgen noch sechs weitere Masten. Auf dem 2,5 Kilometer langen Viadukt bauen sich die Brückenelemente in der leichten Biegung wie Segelschiffe in den morgendlichen Dampfschwaden auf.

Stolze Reden

Die Franzosen begeistern sich seit Tagen am Schwung der Brücke im Norden von Montpellier, und Staatschef Chirac erkannte darin bei der Einweihung einen Ausdruck des modernen, neue Eroberungen tätigenden Frankreich. (Nebenbei machte er noch ein wenig Werbung für den Roquefortkäse aus der anschliessenden Larzac-Hochebene.) An diesem Donnerstag haben die ersten Brückenbenützer gegenüber den zahlreichen Lokalreportern nur ein Wort: Stolz, an diesem Jahrhundertwerk teilzuhaben. Etwas pragmatischer sieht es der ukrainische LKW-Chauffeur Valeri, der für einen spanischen Spediteur unterwegs ist und in gebrochenem Portugiesisch erklärt, warum er an diesem Morgen die A-75-Autobahn von Clermont-Ferrand über Millau nach Béziers genommen hat: Sie ist abgesehen vom Brückenzoll - 24 Euro für Laster - insgesamt billiger und kürzer als ihre grosse Schwester im Osten, die vielbefahrene Autoroute du Soleil durch das Rhonetal. Für Schweizer Südreisende stellt die A 75 indes keine Abkürzung dar.

Da sich nun der „bouchon“ bei Millau in Luft auflöst, dürfte diese zweite Nordsüdachse einen erklecklichen Teil des Transit- und Ferienverkehrs durch Südfrankreich aufnehmen. Proteste von Autogegnern oder Landschaftsschützern gab es kaum. Sogar der Globalisierungsgegner José Bové, der im Larzac südlich des Viadukts seine Schafe hütet, schweigt für einmal. Bloss zwei Gemeinden im Languedoc-Roussillon fürchten, dass sich der Stau von Millau vor ihre Tore verlagert. Bald sollen allerdings auch sie eine Umfahrung erhalten; dann wird die A 75 von Clermont-Ferrand bis ans Meer durchgängig sein.

Zwei Algerier, die über den Viadukt nach Marseille fahren, preisen das französische Genie. Der Viadukt von Millau ist in der Tat ein Bravourstück. Von den vier anfänglich vorliegenden Projekten wählten die Pariser Behörden das gewagteste, eleganteste, grosszügigste - und erst noch billigste.

Trotz intensivem Lobbying der nationalen Tiefbau-Industrie eliminierte die Regierung die drei Varianten herkömmlicher Betonbauweise (für Balken- oder Kastenträgerbrücken). Den Zuschlag erhielt der Baukonzern Eiffage, dessen Name auf Gustave Eiffel zurückgeht. Seiner illustren Vergangenheit treu bleibend, schlug das Unternehmen eine originelle Lösung vor: eine Fahrbahn aus Stahl. Der britische Architekt Norman Foster lieferte später sein filigranes Design dazu. Man suchte gar nicht erst wie andere die schmalste oder tiefste Stelle, um bei der Überquerung des Tarn-Tales Aufwand und Kosten zu sparen. Vielmehr setzte man die natürliche Hochplateau-Linie fort und kam damit auf eine stolze Brückenspannweite von insgesamt 2460 Metern - und das bei einer Pfeilerhöhe, wie sie die Welt bisher noch nie gesehen hatte.

Neuartige Montage

Diese Dimensionen stellten die Ingenieure vor ein neues Problem. Schrägseilbrücken dieser Art werden normalerweise errichtet, indem die horizontale Fahrbahn auf jedem Pfeiler in die Luft hinaus gebaut wird, und zwar in zwei Richtungen gleichzeitig, damit die Gewichtsbalance gewahrt bleibt. In Millau war das wegen der riesigen Ausmasse und Windstärken nicht möglich. Also verfiel der Chefingenieur auf eine fast unglaublich scheinende Idee: Er liess die stählerne Fahrbahn auf festem Boden zusammenschweissen und sie dann von den beiden Talseiten her auf die Brückenpfeiler aus Spezialbeton schieben. Man muss sich das plastisch vorstellen: Von Süden her wuchteten Hydraulikpumpen einen - erst noch leicht gebogenen - Stahlstrang von 1,7 Kilometern Länge (bei 32 Metern Breite und 4 Metern Höhe) im Schneckentempo auf weit auseinander stehende, mehrere hundert Meter hohe Stützpfeiler; von Norden her drang ein entsprechendes Fahrbahnstück von 700 Metern zur Talmitte hin vor. Zum Glück ist Stahl schwindelfrei.

Die mobilen Fahrbahnteile massgerecht auf die einzelnen Stütz- und Hilfspfeiler zu setzen, barg für die 3000 Beschäftigten ihrerseits eine gewaltige Schwierigkeit: Mit einem Totalgewicht von 34 000 Tonnen - dem Mehrfachen des Eiffelturmes - hingen die beiden gigantischen Stahlstränge zwischen den einzelnen Pfeilern mehr als einen halben Meter durch - so stark, dass die elastische Verformung vom Boden aus von blossem Auge zu erkennen war. Trotzdem trafen sie sich hoch über dem Tarn, nach einem Weg über die halbe Talschneise, mit der Präzision von fünf Zentimetern. Die nachher auf die Fahrbahn gesetzten Schrägseil-Pylonen halten die Fahrbahn nun auf einer geraden Linie. Als Test wurden einzelne Seile mit hundert Tonnen gespannt und wie eine Gitarrensaite losgelassen. Die Brücke schlug wie vorberechnet acht Zentimeter aus; aber die Schweissnähte - jede einzelne war mit Ultraschall kontrolliert worden - hielten allesamt. In Zukunft sollen sie auch Winden von bis zu 250 Kilometern pro Stunde standhalten. Bei einer Windstärke von 110 Kilometern pro Stunde können Lastwagen von der Strasse gefegt werden. Zweihundert Messgeräte, acht Beschäftigte und achtzehn Videokameras beobachten die Brücke rund um die Uhr.

Der Beton-Stahl-Konstruktion wird eine Lebensdauer von mindestens 120 Jahren eingeräumt. Vor allem die Eiffage-Stahlfiliale Eiffel leistete - wie schon beim Bau des Pariser Wahrzeichens vor 115 Jahren - ganze Arbeit. Foster, der unter anderem die Reichstagskuppel in Berlin gebaut hat, gilt hingegen nicht als Brückenspezialist; seine Themse-Passage musste er peinlicherweise wegen unerwarteter Schwingungen nachbessern. Dafür hinterlässt der Stararchitekt in Millau seine formale Handschrift. Der harte Einschnitt in die Landschaft wird gemildert durch die rationelle und transparente Bauweise in Weiss. Das Werk habe fast etwas Spirituelles, meint Foster und verweist auf die symbolische Zahl 7 der sieben Pfeiler, die sich wie von selbst aufgedrängt habe. „Als wir die Spannweiten überprüften, machten wir zudem überraschende Beobachtungen; so merkten wir zum Beispiel, dass der Abstand der zwei Hauptpfeiler im Vergleich zur Höhe dem goldenen Schnitt entspricht.“

Privater Betrieb

Trotz seinen gewaltigen Dimensionen kostete der Viadukt den Staat kaum etwas. Die Hauptkosten von 340 Millionen Euro trägt die Privatfirma Eiffage. Sie kann während der siebzigjährigen Konzession Durchfahrgebühren erheben und will die Baukosten schon Ende des nächsten Jahrzehnts amortisieren. Da die Bauzeit in die Konzessionsdauer fällt, leistete sich Eiffage auch keine Bauverzögerungen - die Brücke wurde gar einen Monat früher als geplant in Betrieb genommen. In Paris, wo Grösse selbstverständlich immer noch vor Geld kommt, hat man seit einiger Zeit gelernt: Grossprojekte werden nicht mehr à fonds perdu finanziert und auch nicht einer wackligen Privatfinanzierung überlassen.

Aber Grösse hat noch einen anderen Preis. Demokratische oder ökologische Rücksichten wurden in Millau klein geschrieben: In der Hauptstadt beschlossene Dringlichkeitsverfahren pflegen die Befragung der Anwohner hinfällig zu machen. Ein seltsames Umweltverständnis illustrierte Chirac auch bei der Einweihung der Autobahnbrücke, die er vollmundig als Mittel gegen die Klimaerwärmung und den Treibhauseffekt pries.

Für den kartesianischen und fortschrittsgläubigen Franzosen steht der Mensch, dieses grossartige Vernunftwesen, nun einmal weit über der Natur. Auch dann, wenn er am Steuer seines Vehikels über das Nebelmeer bei Millau chauffiert.

Neue Zürcher Zeitung, So., 2004.12.19



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Viadukt Millau

26. Mai 2004Stefan Brändle
Der Standard

Terminal könnte abgerissen werden

Nach dem Einsturz eines riesigen Terminals auf dem Flughaften Paris Roissy mit vier Toten gibt es harsche Kritik an den Baufirmen. Möglicherweise wird der erst 2003 fertig gestellte Prunkbau wieder abgerissen.

Nach dem Einsturz eines riesigen Terminals auf dem Flughaften Paris Roissy mit vier Toten gibt es harsche Kritik an den Baufirmen. Möglicherweise wird der erst 2003 fertig gestellte Prunkbau wieder abgerissen.

Die Zahl der Toten durch den Einsturz eines Terminals am Pariser Flughafen Roissy/ Charles de Gaulle wurde am Montag von der Flughafenleitung auf vier korrigiert. Am Vortag war zuerst von sechs Todesopfern und drei Verletzten die Rede gewesen.

Einigkeit herrscht, dass ein viel schwereres Unglück um Haaresbreite vermieden wurde: Erstens stürzte die Decke des Terminals 2 E am Sonntagmorgen um 7 Uhr auf die Warte- und Abfertigungshalle, als noch wenige Passagiere unterwegs waren; zudem hatten Sicherheitsleute das Gelände teilweise schon wegen Knackgeräuschen evakuiert.

Am Montag mussten auch die Ermittler und Feuerwehrleute den neuen Terminal in aller Hast räumen, als neue Knirschgeräusche zu hören waren, der gesamte Terminal mit 17 aktiven Flugsteigen wurde wegen Einsturzgefahr gesperrt. Der Architekt Paul Andreu reiste aus Peking, wo er die neue Oper baut, umgehend nach Paris zurück.

Scharfe Kritik müssen sich nun die Bauherren anhören. Arbeiter berichteten, sie hätten den Terminal unter enormem Zeitdruck für Air France fertig stellen müssen. Sie hätten Tag und Nacht gearbeitet, dabei sei es auch zu tödlichen Unfällen gekommen. Das Prunkstück des riesigen Flughafens wurde im Juni 2003 erst nach mehrmaliger Verschiebung eröffnet.

Vor zwei Monaten drangen laut der Zeitung le parisien Wassermassen in den unterirdischen Bahnhof gleich neben dem Terminal 2 E ein. Man könne sich fragen, ob diese Überschwemmung den 2 E nicht geschwächt habe, folgert das Blatt.

Der Direktor von „Aéroports de Paris“, Pierre Graff, erklärte am Montag, die Unglücksursache sei noch nicht bekannt. Er wandte sich gegen die Kritik, aus Zeitdruck seien bei den Baufirmen Unklarheiten über Zuständigkeiten entstanden. Sollten sich die Ringbauten von 2 E als untauglich erweisen, werde „natürlich“ der ganze Terminal abgerissen.

Der Standard, Mi., 2004.05.26

Presseschau 12

08. September 2021Stefan Brändle
Der Standard

Der Turmbau zu Arles

In der französischen Provinzmetropole Arles ist das 56 Meter hohe Kunstzentrum Luma entstanden. Erbauen ließ es die Schweizer Pharmakonzernerbin Maja Hoffmann. Belebend für eine abgehängte Region oder doch Größenwahn?

In der französischen Provinzmetropole Arles ist das 56 Meter hohe Kunstzentrum Luma entstanden. Erbauen ließ es die Schweizer Pharmakonzernerbin Maja Hoffmann. Belebend für eine abgehängte Region oder doch Größenwahn?

Wer heute durch die Camargue fährt, staunt nicht mehr über die wilden Pferde, die Stiere und die Bewässerungskanäle der Reisfelder. Auf der Fahrt nach Arles wird der Blick neuerdings von einem glitzernden Ungetüm angezogen, das sich am flachen Horizont aus dem Dunst schält. Beim Näherkommen erweist sich, dass es die malerischen Dächer der regionalen Metropole überragt. Es ist ein Turm, 56 Meter hoch und fast ebenso breit; futuristisch, lichtspiegelnd, emporgewachsen aus topfebenem Land – ein absoluter Kontrapunkt zur antiken mediterranen Stadt. Eine Landmarke, gemacht, um unübersehbar zu sein.

Angekommen in Arles, wo das wuchtige Bauwerk immer imposanter, höher erscheint und sich als Teil eines riesigen Bau- und Parkgeländes erweist, drängt sich die erstaunlichste Erkenntnis auf: Dieses kühne und – sagen wir es – höchst unbescheidene Ensemble hier im Süden Frankreichs stammt von einer Auswärtigen.

Elf Hektar großes Gelände

Auch wenn Maja Hoffmann, gebürtige Schweizerin und Erbin des Basler Pharmakonzerns Roche, seit ihrer Kindheit in Arles lebt und arbeitet. Ihr Vater Hans Lukas Hoffmann war mit seiner Familie zu ornithologischen Feldstudien in die Camargue gezogen, weshalb Maja großenteils in Arles aufgewachsen ist.

Dort schafft sie in einem Außenviertel seit über zehn Jahren ein Kunst- und Kulturzentrum namens Luma. Im Juni wurde das Kernstück, der vom US-Architekten Frank Gehry gezeichnete, aus 11.000 Aluminiumboxen gebildete Turm, offiziell eingeweiht. Während des Sommers konnten Besucher aus nah und fern erstmals das elf Hektar große Gelände besichtigen, auf dem früher Lokomotiven der französischen Eisenbahn SNCF repariert wurden.

Hoffmann nennt das Ensemble einen „Creative Campus“. Publikumsmagnet ist die Hauptgalerie mit ihrer eigenen Sammlung, darunter Installationen von Urs Fischer, Etel Adnan, Fischli/Weiss oder Fotografien von Diane Arbus und Annie Leibovitz.

Als eines der größten privat finanzierten Kunstzentren geht Luma aber viel weiter. Einzelne Künstler erhalten Wohnungen im Gehry-Turm, um ihre Kreationen vor Ort zu schaffen. Der sich drehende Dachspiegel von Ólafur Elíasson ist zum Beispiel gleich in das Gebäude integriert.

Dazu kommen Galerien, Tagungsräume und „lebende Archive“, umgeben von einem immensen Park, der auch eine Einladung an die 54 000 Einwohner der Stadt darstellt. Hoffmann gibt sich undogmatisch, ja volksnah: Die Koreanerin Koo Jeong-A hat für sie einen Skatepark geschaffen, der Deutsche Carsten Höller eine als Kunstwerk getarnte Doppelrutschbahn im Inneren des Turms.

Bei einer ersten Besichtigung im August drängten sich die Anwohner allerdings noch nicht in den generösen Gartenanlagen. In der Avenue Victor Hugo meint ein junger Passant naserümpfend, die Turmskulptur gemahne ihn an eine zerknüllte Blechdose. „Für ein neues Wahrzeichen der Stadt ist es ziemlich hässlich, finden Sie nicht?“, fragt der im Ort geborene Maurer. Gewiss schaffe das Projekt auch Arbeitsplätze. Dass die altrömische Stadt mit ihrem intakten Amphitheater plötzlich von einem klotzigen Kunstwerk dominiert werde, störe aber viele, meint der Mann, der seinen Namen nicht nennen will.

Absage an Subventionen

Vielleicht, weil Maja Hoffmann in der Stadt heute viel Einfluss hat? Die Lebenspartnerin des amerikanischen Filmproduzenten Stanley Buchthal leitete vor Luma schon die lokale Van-Gogh-Stiftung. Auch sie sitzt im Verwaltungsrat der Rencontres d’Arles, des weltberühmten Fotofestivals. Die Besucher bewirtet und beherbergt sie ferner in zwei Hotels und zwei Restaurants, die sie im Verlauf der Jahre übernommen hat.

In Arles kommt niemand mehr an Maja Hoffmann vorbei. Bei ihrem Luma-Projekt erteilte sie auch dem früheren Staatspräsidenten François Hollande eine Abfuhr, als dieser eine staatliche Subvention vorschlug. Die stämmige, weltläufige Baslerin schultert die auf bis zu 200 Millionen Euro geschätzten Gesamtkosten lieber selbst.

„Maja Hoffmann hat etwas Imperiales“, meinte der langjährige Ex-Vorsteher der Region Provence, Michel Vauzelle, ohne jede Ironie zum TV-Sender France-3. „Sie weiß, was sie will. Und das setzt sie auch durch.“ Der lokale PR-Agent Christophe Cachera drückt sich milder aus: „Maja Hoffmann denkt oft 20 oder 30 Jahre voraus. Deshalb verstehen sie viele Leute nicht.“
Kritik und Lob

Im Café „Davidoff“ unweit vom Luma-Eingang entfernt findet der Barman auch lobende Worte: „Viele Leute stören sich an ihrer Dominanz. Aber ich muss sagen, bei den Versammlungen der lokalen Hoteliers wirkt sie einfach und sympathisch. Niemand kann bestreiten, dass sie neues Leben in die Stadt bringt.“

Betonung auf neu: Im schmucken Stadtkern mit seinen engen Gässchen und mediterranen Düften mehren sich die Kunstgalerien, Bioläden und Hipsterbars. Auf dem berühmten römischen Gräberfeld von Arles, den Alyscamps, organisierte Gucci letzthin eine Modeschau. Und jetzt drückt Gehrys Aluturm der Stadt seinen Stempel auf.

Hoffmann – die für Interviewanfragen nicht zur Verfügung steht – versucht auf vielfältige Weise, das neue in das alte Arles zu integrieren. Der runde Sockelbau des Luma-Haupttrakts erinnert ihr zufolge an das perfekt erhaltene Amphitheater der Stadt. Allerdings höchstens aus der Vogelperspektive.

Überzeugender ist – wie meist – Hoffmanns finanzielles Argument. Der Oppositionspolitiker Mohamed Rafaï gesteht freimütig ein, dass die Schweizer Mäzenin dem desindustrialisierten, mittellosen Arles Impulse verleihe, die sich die Stadt mit einer Arbeitslosenquote von mehr als zehn Prozent selber gar nicht leisten könnte. Andere Lokalpolitiker erinnern an das Beispiel der baskischen Provinzstadt Bilbao, der das spektakuläre – ebenfalls von Gehry gezeichnete – Guggenheim-Museum zu einem generellen Aufschwung verholfen hat.

Der Standard, Mi., 2021.09.08

10. Mai 2019Stefan Brändle
Der Standard

Notre-Dame als Macrons mögliches Erbe

Frankreichs Parlament debattiert heute über die Restauration der Kathedrale. Die Opposition wirft Präsident Macron vor, mit Sondervollmachten ein modernes Projekt realisieren zu wollen. Stefan Brändle aus Paris

Frankreichs Parlament debattiert heute über die Restauration der Kathedrale. Die Opposition wirft Präsident Macron vor, mit Sondervollmachten ein modernes Projekt realisieren zu wollen. Stefan Brändle aus Paris

Die nationale Eintracht nach dem Dachbrand der Notre-Dame hat weniger als einen Monat gewährt. Nicht ganz überraschend gehen die Meinungen über das zukünftige Antlitz des Pariser Wahrzeichens bereits weit auseinander. Die französische Urdebatte zwischen „Anciens“ (Traditionalisten) und „Modernes“ lebt wieder auf: Die Ersteren verlangen eine originalgetreue Restauration der zerstörten Bausubstanz. Letztere sind offen für Neues und wollen die Gelegenheit nutzen, den 800 Jahre alten Bau fortzuentwickeln.

Der Disput ist längst nicht nur kunsthistorischer oder ästhetischer Natur: Im Hintergrund geht es auch um die sehr politische Frage, ob Notre-Dame als Symbol der Christenheit zu bewahren und zu beschützen sei – oder ob sie selber mit der Zeit gehen soll. Entsprechend hoch wogt bereits die Debatte über ein Spezialgesetz, das heute, Freitag, vor die Nationalversammlung kommt. Es erlässt zum einen 75 Prozent der Steuern auf Spenden bis zu 100 Euro.

Zentraler sind zwei andere Gesetzesbestimmungen: Die in Staatsbesitz befindliche Kathedrale erhält ein öffentliches Gremium vorgestellt, ein „établissement publique“, das finanzielle und andere Fragen klären soll. Dazu soll die Regierung das Recht erhalten, auf dem Ordonnanzweg – also ohne Parlamentsvotum – „Ausnahmen“ von den geltenden urbanistischen und kunsthistorischen Normen zu erlassen.

Die Opposition wirft Präsident Emmanuel Macron vor, er wolle mit diesen zwei Bestimmungen das Zepter der Renovierung an sich reißen. Die kommunistische Abgeordnete Marie-George Buffet erklärte, die zwei bereits bestehenden Notre-Dame-Gremien – auf die der Staatschef weniger Einfluss hat – genügten vollauf.

Vorwurf des Größenwahns

Die konservativen Republikaner verdächtigen Macron megalomaner Absichten: So wie Georges Pompidou das gleichnamige Kulturzentrum, Valéry Giscard d’Estaing das Musée d’Orsay, François Mitterrand die Bastille-Oper und Jacques Chirac das Völkerkundemuseum Branly gebaut hätten, wolle der aktuelle Präsident der neuen Notre-Dame seine eigene Handschrift aufdrücken.

Will er ein modernes, progressives Zeichen setzen, wie es seinem politischen Credo gegen die „rückwärtsgewandten“ Populisten entspricht? Macron hat bereits erklärt, er könnte sich beim Wiederaufbau des abgebrannten Dachreiters – des zentralen Objekts des Wiederaufbaus – gut eine „zeitgenössische Geste“ vorstellen, also eine moderne Version der filigranen Turmspitze.

Diese Bemerkung ist nicht unbeachtet geblieben. Die Republikanerin Constance Le Grip versuchte deshalb in der vorberatenden Kommission, das Adjektiv „identisch“ vor das Wort „Restauration“ setzen. Die Macronisten lehnten dies aber ab.

In die gleiche Richtung zielt die Kritik, Macron handle übereilt, um sich mit der vollendeten Renovierung einen Platz in den Geschichtsbüchern zu sichern. Schon im April hatte er erklärt, der Wiederaufbau solle „binnen fünf Jahren“, also rechtzeitig für die Olympischen Spiele von Paris 2014, beendet sein.

Die republikanische Abgeordnete Brigitte Kuster fragte darauf in der Kommission: „Kathedralenbauer arbeiten für die Ewigkeit. Wer sind wir, dass wir uns auf die Restauration stürzen und die Urbanismus-Regeln vernachlässigen?“

Ein Schuss vor den präsidialen Bug ist auch eine Petition von 1170 französischen und internationalen Konservatoren, Architekten und Kunstexperten. „Herr Präsident, lassen Sie nicht die Kulturerbeexperten beiseite“ lautet ihr Titel, gefolgt vom Ratschlag: „Nehmen wir uns die Zeit, den richtigen Weg zu finden“. Unverhohlen werfen die Spezialisten Macron vor, er opfere die „Komplexität des Denkens“ der „zur Schau gestellten Effizienz“.

Kulturminister Franck Riester beschwichtigt, Frankreich kenne strikte Regeln für den Schutz historischer Güter. Dass aber gerade die Möglichkeit vorgesehen ist, darüber hinwegzusehen, ließ er unbeantwortet. Dank seiner absoluten Mehrheit dürfte Macrons Regierungslager keine großen Probleme haben, die Sondervollmacht für die Regierung – das heißt den Präsidenten – in der Nationalversammlung durchzubringen. Schwieriger dürfte es sein, die öffentliche Meinung auf seine Seite zu ziehen.

Der Standard, Fr., 2019.05.10

09. November 2017Stefan Brändle
Der Standard

Arabischer Sternenregen aus Licht und Geld

Der französische Louvre eröffnet in Abu Dhabi einen ambitionierten Ableger: Das „Museum der Toleranz“ ist den Gemeinsamkeiten der Zivilisationen verpflichtet – und nebenbei einer Partnerschaft zwischen Frankreich und den Arabischen Emiraten.

Der französische Louvre eröffnet in Abu Dhabi einen ambitionierten Ableger: Das „Museum der Toleranz“ ist den Gemeinsamkeiten der Zivilisationen verpflichtet – und nebenbei einer Partnerschaft zwischen Frankreich und den Arabischen Emiraten.

Die Palmen sind geschnitten, der herangeschaffte Naturrasen ist eingepasst: Alles ist bereit für die Einweihung des Louvre Abu Dhabi durch Scheich Khalifa bin Zayed Al Nahyan, den Präsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), und seinen französischen Amtskollegen Emmanuel Macron.

Jean Nouvels neues Wunderwerk arabesker Schlichtheit hat als Wahrzeichen eine flache Kuppel von 180 Metern im Durchmesser. Gebildet wird sie aus knapp 8000 Metallsternen, die einen „Lichtregen“ entstehen lassen und dem Besucher das Gefühl vermitteln, „im ruhigen Schatten“ einer Medina zu wandeln, wie Nouvel am Dienstag vor Ort erklärte.

Ein erster Durchgang durch die Säle bestätigt den Anspruch des Louvre Abu Dhabi als „erstes universelles Museum der arabischen Welt“ (Pressetext). Das Spektrum ist sehr breit – so breit, dass es zum Umdenken zwingt. Was verbindet neolithische Figuren aus Zypern mit antiken Objekten aus Ägypten, Rom und Indien? Was altarabische Schätze – ein Blatt des „blauen Koran“ oder ein Astrolabium – mit Gemälden von da Vinci oder Holbein? Was mit Matisse, Klee, Pollock und (zuletzt noch für 21,5 Millionen Euro dazugekommen) Mondrian? Ein van Gogh fehlt ebenso wenig wie ein Picasso.

Umdenken ist erforderlich, weil der zweite Louvre nicht nach Perioden oder Regionen ausstellt, sondern „transversal“, wie Direktor Manuel Rabaté sagt. Die verschachtelten Abteilungen tragen Namen wie „erste Dörfer“, „Am Hof der Prinzen“ oder „Kosmografien“ oder „universelle Religionen“ – genannt sind Buddhismus, Christentum, Islam. Dazu kommt eine hebräische Bibel.

Diese Gliederung folgt laut Rabaté „den Gemeinsamkeiten zwischen den Zivilisationen und Epochen“. Nicht immer werden sie ersichtlich. Bisweilen wirkt das ökumenische Angebot eher wie ein Sammelsurium musealer Blockbuster.

Abu Dhabi wäre durchaus prädestiniert, eine globale Sicht von West und Ost, Europa und Orient, afrikanischen und japanischen Kunstobjekten zu vermitteln: Das größte der sieben vereinten Emirate liegt geografisch wirklich zwischen den Kulturen, auch zwischen Wüste und Wasser, zwischen Aufbruch und Tradition. Der Direktor der Kultur- und Tourismusbehörde der Emirate, Mohamed Khalifa Al Mubarak, betonte in seiner Begrüßungsrede vor 500 Journalisten mehrfach, der Louvre Abu Dhabi sei „nicht nur ein Museum, sondern ein Zentrum der Toleranz“. Geschmälert wird der Anspruch einzig durch die Absenz von unbekleideten Akten. Bellinis Jungfrau mit Kind trägt immerhin Kopftuch.

Wie Doha oder Dubai, die beiden anderen Wolkenkratzermagnete am Golf, setzt das gesellschaftlich und religiös aufgeschlossene Scheichtum Abu Dhabi auf Museen, Festivals und Tourismus, um für die Zeit nach dem Öl und Erdgas vorzusorgen. Der neue Louvre ist nur der erste Stein eines ganzen Kulturbezirks, der auf der Saadiyat-Insel am Rande der Millionenmetropole für 27 Milliarden Dollar aus dem Boden gestampft wird. Auf den Baubeginn warten auch ein Ableger des New Yorker Guggenheim-Museums und ein nationales Zayed-Museum, dazu Golfplätze, Konzerthallen und Hotelkomplexe.

Als Abu Dhabi 2007 in Paris vorstellig wurde und einen Louvre-Zwilling am Golf anregte, winkte dessen Pariser Vorsteher Henri Loyrette entschieden ab. Bald aber setzten sich die Argumente des Scheichtums durch. Die VAE zahlen allein für die auf 30 Jahre befristete Benutzung des Namens „Louvre“ 400 Millionen Euro. Dazu kommen 190 Millionen für Leihgaben wie etwa einen da Vinci (seine Mona Lisa natürlich ausgenommen). Weitere 165 Millionen geben sie aus für die technische Hilfe von Experten der zwölf bekanntesten Museen Frankreichs.

Die Sammlung wurde faktisch nach dem Prinzip zusammengestellt: Die VAE schlagen vor, die Franzosen entscheiden. Und dann zahlen die VAE. Letztere stellten die Zahlungen mindestens einmal ein, weil sie mit der Wahl nicht zufrieden waren. Zum Schluss einigte man sich aber zuverlässig.

Den Franzosen war nicht nur an einem Kulturexport in einen Wüstenstaat gelegen. Vor zehn Jahren, fast gleichzeitig mit dem Louvre-Abkommen, kauften die Emirate 40 Exemplare des Riesen-Airbus A380. Dann einigte sich der damalige Präsident Nicolas Sarkozy auf die Eröffnung eines französischen Militärstützpunktes in Abu Dhabi, der heute nur 30 Kilometer vom neuen Louvre entfernt ist. Sarkozy nannte es eine „strategische Partnerschaft“ mit den VAE.

Probleme auf der Baustelle

Das hinderte die VAE nicht, Jahre später keine französischen, sondern südkoreanische Atomkraftwerke zu kaufen. Etwa zur gleichen Zeit zirkulierten Berichte von Human Rights Watch, die 5000 asiatischen Gastarbeiter der pharaonischen Louvre-Baustelle würden nicht nur gut behandelt. Jean Nouvel wollte nichts hören.

Neuerdings sucht Frankreich zu mäßigen, während die verjüngte VAE-Führung militärisch im Jemen eingreift und als treibende Kraft hinter dem Versuch gilt, Nachbar Katar – einen anderen Verbündeten Frankreichs in der Region – zu isolieren. Alles in allem hält aber die strategische Entente zwischen Paris und Abu Dhabi. Nicht nur, aber auch dank des Louvre Abu Dhabi.

Der Standard, Do., 2017.11.09



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16. April 2009Stefan Brändle
Der Standard

Der Chirurg von Paris

Ohne ihn wäre Paris nicht, was es heute ist: Baron Haussmann, dessen Geburtstag sich Ende März zum 200. Mal jährte, revolutionierte mit seinen Boulevards die Seine-Stadt - um Volksaufstände zu verhindern.

Ohne ihn wäre Paris nicht, was es heute ist: Baron Haussmann, dessen Geburtstag sich Ende März zum 200. Mal jährte, revolutionierte mit seinen Boulevards die Seine-Stadt - um Volksaufstände zu verhindern.

„Paris kann nicht als Gemeinde betrachtet werden. Paris ist etwas ganz anderes. Es ist eine Hauptstadt. Paris gehört ganz Frankreich.“ Mit diesen Worten schmetterte der Stadtpräfekt 1864 die Forderung der Linksopposition ab, im Pariser Kommunalrat über seine neusten Baupläne abzustimmen. Georges Eugène Haussmann hatte längst entschieden: Niemand veränderte das Bild einer der großen Weltmetropolen als dieser Nachfahre deutscher Einwanderer.

Entgegen einer verbreiteten Meinung war es aber nicht Haussmann, sondern Napoleon III., der den Impuls für den Umbau der Hauptstadt gab. Der Neffe von Napoleon Bonaparte hatte erkannt, dass die Stadt zur Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Industrialisierung, die Eisenbahn und den Kaufhausboom vor einem gewaltigen Umbruch stand.

Haussmann nahm die Dinge aber bald selbst in die Hand. Der großgewachsene Protestant, mit einem eisernen Willen ausgestattet und nicht frei von Eitelkeit, benahm sich „autoritärer und imperialer als der Kaiser selbst“, wie einer seiner Biografen meinte. Als ihm Napoleon III. das erste Großprojekt, einen Stadtpark im Westen, übertrug, prüfte Haussmann die Lage nach und erklärte dem Kaiser rundheraus, die Pläne seien undurchführbar. Obwohl ein Laie in Sachen Städtebau, behielt er recht und realisierte ein eigenes Projekt - den heutigen Bois de Boulogne.

Seinen zweiten Streich, den Bau der Markthallen (Les Halles), beschloss Haussmann bereits im Alleingang: Er wählte eine weitgehend unbekannte Eisenkonstruktionen aus, die heute berühmten Pavillons von Baltard. Dann machte er sich daran, von Westen her eine Prachtallee ins Stadtzentrum zu legen. Als ihm sein Architekt Jacques Hittorff die Pläne unterbreitete, verwarf sie Haussmann mit einer Handbewegung: „40 Meter? Monsieur, es braucht das Doppelte, das Dreifache!“ Von Hand fügte er auf dem Plan Trottoirs und Rasenstreifen an. Das Resultat ist die Avenue de Foch, die in der Tat 120 Meter breit ist.

Jetzt wagte sich Haussmann ans Eingemachte: Er realisierte das alte, nie vom Fleck gekommene Vorhaben, durch Paris eine Kreuzachse in Nord-Süd- und in Ost-West-Richtung zu legen. Die enteigneten Hausbesitzer schimpften, er vierteile die Stadt; andere verlangten, dass der Stadtkern um Les Halles vom Abriss verschont bleibe. Warum man nicht einfach die bestehende, von Norden her einfallende Rue Saint-Denis verbreitere, wurde er gefragt. „Weil es leichter ist, den Teig innen zu durchstechen als an der Kruste zu kratzen“, erwiderte er.

Dieser chirurgische Schnitt ist der Boulevard Sébastopol. Bei der Einweihung meinte Napoleon III.: „Auf diese Weise werden sich nun jedes Jahr neue Verkehrsachsen eröffnen. Übervölkerte Viertel werden saniert, die Mieten werden dank der Neubauten sinken; die Arbeiterklasse wird sich durch die Arbeit bereichern, das Elend sich wegen der besseren Organisation der Wohltätigkeit lindern.“

„Dumme Arbeitermassen“

Das Hauptziel nannte der Kaiser allerdings nicht. Dafür sprach Haussmann Klartext: „Es wäre der Gipfel der Unvernunft, die rohen und dummen Arbeitermassen in Paris zusammenzupferchen, als wollte man einen Mittelpunkt des Volksaufstandes schaffen.“ In Paris war es in den Jahren zuvor zu sieben Aufständen, darunter die Revolutionen von 1830 und 1848, gekommen. Der Präfekt warnte deshalb vor Proletariern, „die den Regierungen nachhetzen und sie umsäbeln, bevor das überraschte Frankreich auch nur Zeit findet, sich dagegenzustemmen“.

Nach wenigen Jahren hatte ein ganzes Netz von Boulevards, Avenuen und Alleen das mittelalterliche Paris aufgesprengt. „Dem alten Paris wurde der Bauch geleert, indem wir durch diese undurchdringlichen Viertel der Krawalle und der Barrikaden eine gerade Linie zogen“, so Haussmann.

Er richtete seine Achsen meist auf ein großes Monument aus, um die historische Perspektive zu betonen. Die Avenue de l'Opéra läuft wie ein roter Teppich auf die Oper im Palais Garnier zu; eine Meisterleistung war die sternenförmige Straßenanlage um den Arc de Triomphe am Ende der Champs-Elysées: Nicht mehr nur vier, sondern gleich zwölf Avenuen laufen heute auf den Place de l'Etoile zu.

Nach fünfzehn Jahren hektischer Bautätigkeit verlor Haussmann langsam die Unterstützung der Pariser. Sie hatten genug von den Großbaustellen und auch von den Staatsanleihen, mit denen der Präfekt seine Herkulesarbeiten finanzierte. Mit dem Sturz des Kaisers endete auch das unumschränkte Regime seines mächtigen Hauptstadtpräfekten. Haussmann starb zwei Jahrzehnte später, 1891, vergessen und verarmt, seiner beiden Töchter beraubt.

Zu seinem 200. Geburtstag (er war am 27. März) ist der Baron längst wieder rehabilitiert. Wenn Paris heute als eine der schönsten Städte der Welt gelte, so lautet der Grundtenor der Pariser Medien, dann sei das Haussmanns Werk.

Der Standard, Do., 2009.04.16



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19. Dezember 2004Stefan Brändle
Neue Zürcher Zeitung

Eine Autofahrt über den Wolken

Eiffels Enkel übertreffen den Meister: Im südfranzösischen Millau ist am Donnerstag die höchste Autobahnbrücke der Welt in Betrieb genommen worden. Das privat finanzierte Bauwerk bringt eines der letzten Nadelöhre auf der Fahrt in den Süden zum Verschwinden. Frankreichs neuer Stolz.

Eiffels Enkel übertreffen den Meister: Im südfranzösischen Millau ist am Donnerstag die höchste Autobahnbrücke der Welt in Betrieb genommen worden. Das privat finanzierte Bauwerk bringt eines der letzten Nadelöhre auf der Fahrt in den Süden zum Verschwinden. Frankreichs neuer Stolz.

Der Bürgermeister von Millau, Jacques Goldfrain, hält den Zapfenzieher hinter dem Rücken bereit, als sich ein Auto nähert. Strahlend reicht er den „tire-bouchon“ durch die geöffnete Scheibe dem Lenker als Geschenk: Mit der Durchfahrt des ersten Personenwagens gehört der berüchtigte „bouchon“, der Stau beim Provinzort Millau nördlich der Cevennen, der Vergangenheit an. Der Zapfen ist beseitigt.

Während Jahrzehnten quälten sich bis zu fünfzig Kilometer lange Autokolonnen die steilen Bergflanken hinunter ins Tarn-Tal und am anderen Ende wieder hoch. Vor allem im Sommer brauchten die Ferienreisenden Stunden, um den Engpass zwischen Zentralmassiv und Mittelmeer zu überwinden. Jetzt strecken sie an der Zahlstelle 4.90 Euro hin und fahren, wenn sie an der Oberkante des Canyons angekommen sind, einfach geradeaus, sozusagen in den Himmel hinaus.

Unten im Tal hängen Nebelbänke zwischen den Stadtdächern und dem Talboden; oben umwehen Wolkenschwaden die weissen Brückenspitzen. 342 Meter über dem Tarn liegen sie, höher als der Eiffelturm. Die ersten Automobilisten, die an diesem Donnerstag den Viadukt überqueren, fahren langsam, um durch die gläsernen Windverschalungen auf den Brückenseiten möglichst viel von dem Naturschauspiel mitzubekommen. Nach dem ersten Schrägseil-Haltepfeiler glaubt man bereits, eine Brücke überquert zu haben. Aber es folgen noch sechs weitere Masten. Auf dem 2,5 Kilometer langen Viadukt bauen sich die Brückenelemente in der leichten Biegung wie Segelschiffe in den morgendlichen Dampfschwaden auf.

Stolze Reden

Die Franzosen begeistern sich seit Tagen am Schwung der Brücke im Norden von Montpellier, und Staatschef Chirac erkannte darin bei der Einweihung einen Ausdruck des modernen, neue Eroberungen tätigenden Frankreich. (Nebenbei machte er noch ein wenig Werbung für den Roquefortkäse aus der anschliessenden Larzac-Hochebene.) An diesem Donnerstag haben die ersten Brückenbenützer gegenüber den zahlreichen Lokalreportern nur ein Wort: Stolz, an diesem Jahrhundertwerk teilzuhaben. Etwas pragmatischer sieht es der ukrainische LKW-Chauffeur Valeri, der für einen spanischen Spediteur unterwegs ist und in gebrochenem Portugiesisch erklärt, warum er an diesem Morgen die A-75-Autobahn von Clermont-Ferrand über Millau nach Béziers genommen hat: Sie ist abgesehen vom Brückenzoll - 24 Euro für Laster - insgesamt billiger und kürzer als ihre grosse Schwester im Osten, die vielbefahrene Autoroute du Soleil durch das Rhonetal. Für Schweizer Südreisende stellt die A 75 indes keine Abkürzung dar.

Da sich nun der „bouchon“ bei Millau in Luft auflöst, dürfte diese zweite Nordsüdachse einen erklecklichen Teil des Transit- und Ferienverkehrs durch Südfrankreich aufnehmen. Proteste von Autogegnern oder Landschaftsschützern gab es kaum. Sogar der Globalisierungsgegner José Bové, der im Larzac südlich des Viadukts seine Schafe hütet, schweigt für einmal. Bloss zwei Gemeinden im Languedoc-Roussillon fürchten, dass sich der Stau von Millau vor ihre Tore verlagert. Bald sollen allerdings auch sie eine Umfahrung erhalten; dann wird die A 75 von Clermont-Ferrand bis ans Meer durchgängig sein.

Zwei Algerier, die über den Viadukt nach Marseille fahren, preisen das französische Genie. Der Viadukt von Millau ist in der Tat ein Bravourstück. Von den vier anfänglich vorliegenden Projekten wählten die Pariser Behörden das gewagteste, eleganteste, grosszügigste - und erst noch billigste.

Trotz intensivem Lobbying der nationalen Tiefbau-Industrie eliminierte die Regierung die drei Varianten herkömmlicher Betonbauweise (für Balken- oder Kastenträgerbrücken). Den Zuschlag erhielt der Baukonzern Eiffage, dessen Name auf Gustave Eiffel zurückgeht. Seiner illustren Vergangenheit treu bleibend, schlug das Unternehmen eine originelle Lösung vor: eine Fahrbahn aus Stahl. Der britische Architekt Norman Foster lieferte später sein filigranes Design dazu. Man suchte gar nicht erst wie andere die schmalste oder tiefste Stelle, um bei der Überquerung des Tarn-Tales Aufwand und Kosten zu sparen. Vielmehr setzte man die natürliche Hochplateau-Linie fort und kam damit auf eine stolze Brückenspannweite von insgesamt 2460 Metern - und das bei einer Pfeilerhöhe, wie sie die Welt bisher noch nie gesehen hatte.

Neuartige Montage

Diese Dimensionen stellten die Ingenieure vor ein neues Problem. Schrägseilbrücken dieser Art werden normalerweise errichtet, indem die horizontale Fahrbahn auf jedem Pfeiler in die Luft hinaus gebaut wird, und zwar in zwei Richtungen gleichzeitig, damit die Gewichtsbalance gewahrt bleibt. In Millau war das wegen der riesigen Ausmasse und Windstärken nicht möglich. Also verfiel der Chefingenieur auf eine fast unglaublich scheinende Idee: Er liess die stählerne Fahrbahn auf festem Boden zusammenschweissen und sie dann von den beiden Talseiten her auf die Brückenpfeiler aus Spezialbeton schieben. Man muss sich das plastisch vorstellen: Von Süden her wuchteten Hydraulikpumpen einen - erst noch leicht gebogenen - Stahlstrang von 1,7 Kilometern Länge (bei 32 Metern Breite und 4 Metern Höhe) im Schneckentempo auf weit auseinander stehende, mehrere hundert Meter hohe Stützpfeiler; von Norden her drang ein entsprechendes Fahrbahnstück von 700 Metern zur Talmitte hin vor. Zum Glück ist Stahl schwindelfrei.

Die mobilen Fahrbahnteile massgerecht auf die einzelnen Stütz- und Hilfspfeiler zu setzen, barg für die 3000 Beschäftigten ihrerseits eine gewaltige Schwierigkeit: Mit einem Totalgewicht von 34 000 Tonnen - dem Mehrfachen des Eiffelturmes - hingen die beiden gigantischen Stahlstränge zwischen den einzelnen Pfeilern mehr als einen halben Meter durch - so stark, dass die elastische Verformung vom Boden aus von blossem Auge zu erkennen war. Trotzdem trafen sie sich hoch über dem Tarn, nach einem Weg über die halbe Talschneise, mit der Präzision von fünf Zentimetern. Die nachher auf die Fahrbahn gesetzten Schrägseil-Pylonen halten die Fahrbahn nun auf einer geraden Linie. Als Test wurden einzelne Seile mit hundert Tonnen gespannt und wie eine Gitarrensaite losgelassen. Die Brücke schlug wie vorberechnet acht Zentimeter aus; aber die Schweissnähte - jede einzelne war mit Ultraschall kontrolliert worden - hielten allesamt. In Zukunft sollen sie auch Winden von bis zu 250 Kilometern pro Stunde standhalten. Bei einer Windstärke von 110 Kilometern pro Stunde können Lastwagen von der Strasse gefegt werden. Zweihundert Messgeräte, acht Beschäftigte und achtzehn Videokameras beobachten die Brücke rund um die Uhr.

Der Beton-Stahl-Konstruktion wird eine Lebensdauer von mindestens 120 Jahren eingeräumt. Vor allem die Eiffage-Stahlfiliale Eiffel leistete - wie schon beim Bau des Pariser Wahrzeichens vor 115 Jahren - ganze Arbeit. Foster, der unter anderem die Reichstagskuppel in Berlin gebaut hat, gilt hingegen nicht als Brückenspezialist; seine Themse-Passage musste er peinlicherweise wegen unerwarteter Schwingungen nachbessern. Dafür hinterlässt der Stararchitekt in Millau seine formale Handschrift. Der harte Einschnitt in die Landschaft wird gemildert durch die rationelle und transparente Bauweise in Weiss. Das Werk habe fast etwas Spirituelles, meint Foster und verweist auf die symbolische Zahl 7 der sieben Pfeiler, die sich wie von selbst aufgedrängt habe. „Als wir die Spannweiten überprüften, machten wir zudem überraschende Beobachtungen; so merkten wir zum Beispiel, dass der Abstand der zwei Hauptpfeiler im Vergleich zur Höhe dem goldenen Schnitt entspricht.“

Privater Betrieb

Trotz seinen gewaltigen Dimensionen kostete der Viadukt den Staat kaum etwas. Die Hauptkosten von 340 Millionen Euro trägt die Privatfirma Eiffage. Sie kann während der siebzigjährigen Konzession Durchfahrgebühren erheben und will die Baukosten schon Ende des nächsten Jahrzehnts amortisieren. Da die Bauzeit in die Konzessionsdauer fällt, leistete sich Eiffage auch keine Bauverzögerungen - die Brücke wurde gar einen Monat früher als geplant in Betrieb genommen. In Paris, wo Grösse selbstverständlich immer noch vor Geld kommt, hat man seit einiger Zeit gelernt: Grossprojekte werden nicht mehr à fonds perdu finanziert und auch nicht einer wackligen Privatfinanzierung überlassen.

Aber Grösse hat noch einen anderen Preis. Demokratische oder ökologische Rücksichten wurden in Millau klein geschrieben: In der Hauptstadt beschlossene Dringlichkeitsverfahren pflegen die Befragung der Anwohner hinfällig zu machen. Ein seltsames Umweltverständnis illustrierte Chirac auch bei der Einweihung der Autobahnbrücke, die er vollmundig als Mittel gegen die Klimaerwärmung und den Treibhauseffekt pries.

Für den kartesianischen und fortschrittsgläubigen Franzosen steht der Mensch, dieses grossartige Vernunftwesen, nun einmal weit über der Natur. Auch dann, wenn er am Steuer seines Vehikels über das Nebelmeer bei Millau chauffiert.

Neue Zürcher Zeitung, So., 2004.12.19



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Viadukt Millau

26. Mai 2004Stefan Brändle
Der Standard

Terminal könnte abgerissen werden

Nach dem Einsturz eines riesigen Terminals auf dem Flughaften Paris Roissy mit vier Toten gibt es harsche Kritik an den Baufirmen. Möglicherweise wird der erst 2003 fertig gestellte Prunkbau wieder abgerissen.

Nach dem Einsturz eines riesigen Terminals auf dem Flughaften Paris Roissy mit vier Toten gibt es harsche Kritik an den Baufirmen. Möglicherweise wird der erst 2003 fertig gestellte Prunkbau wieder abgerissen.

Die Zahl der Toten durch den Einsturz eines Terminals am Pariser Flughafen Roissy/ Charles de Gaulle wurde am Montag von der Flughafenleitung auf vier korrigiert. Am Vortag war zuerst von sechs Todesopfern und drei Verletzten die Rede gewesen.

Einigkeit herrscht, dass ein viel schwereres Unglück um Haaresbreite vermieden wurde: Erstens stürzte die Decke des Terminals 2 E am Sonntagmorgen um 7 Uhr auf die Warte- und Abfertigungshalle, als noch wenige Passagiere unterwegs waren; zudem hatten Sicherheitsleute das Gelände teilweise schon wegen Knackgeräuschen evakuiert.

Am Montag mussten auch die Ermittler und Feuerwehrleute den neuen Terminal in aller Hast räumen, als neue Knirschgeräusche zu hören waren, der gesamte Terminal mit 17 aktiven Flugsteigen wurde wegen Einsturzgefahr gesperrt. Der Architekt Paul Andreu reiste aus Peking, wo er die neue Oper baut, umgehend nach Paris zurück.

Scharfe Kritik müssen sich nun die Bauherren anhören. Arbeiter berichteten, sie hätten den Terminal unter enormem Zeitdruck für Air France fertig stellen müssen. Sie hätten Tag und Nacht gearbeitet, dabei sei es auch zu tödlichen Unfällen gekommen. Das Prunkstück des riesigen Flughafens wurde im Juni 2003 erst nach mehrmaliger Verschiebung eröffnet.

Vor zwei Monaten drangen laut der Zeitung le parisien Wassermassen in den unterirdischen Bahnhof gleich neben dem Terminal 2 E ein. Man könne sich fragen, ob diese Überschwemmung den 2 E nicht geschwächt habe, folgert das Blatt.

Der Direktor von „Aéroports de Paris“, Pierre Graff, erklärte am Montag, die Unglücksursache sei noch nicht bekannt. Er wandte sich gegen die Kritik, aus Zeitdruck seien bei den Baufirmen Unklarheiten über Zuständigkeiten entstanden. Sollten sich die Ringbauten von 2 E als untauglich erweisen, werde „natürlich“ der ganze Terminal abgerissen.

Der Standard, Mi., 2004.05.26

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