Übersicht

Texte

10. April 2010Gerfried Sperl
Der Standard

Eine Welle der Musik über Amalfi

Die Amalfi-Küste ist um eine Attraktion reicher - der Konzertsaal von Oscar Niemeyer stieß in Ravello jedoch anfangs auf massive Opposition

Die Amalfi-Küste ist um eine Attraktion reicher - der Konzertsaal von Oscar Niemeyer stieß in Ravello jedoch anfangs auf massive Opposition

Wer vor der Amalfi-Küste auf einem Ausflugsschiff sitzt, sieht weit oben im Hang das Bauwerk - wie das Mittelstück eines bei Flut gestrandeten Wals - und im Fernglas eine weite Öffnung. Von innen ermöglicht dieses hinter dem Orchester platzierte Auge den Blick auf das Meer. So wie die Besucher auch während der Sommer-Konzerte im 200 Meter entfernten Rufolo-Garten die Dämmerung und die Nacht des Meeres erleben können.

Bei näherer Betrachtung kann das 400 Plätze fassende Konzerthaus auch wie eine Welle gesehen werden. Eher flach ansteigend, dann stark abfallend - mit einer weiß gestrichenen Betonfläche, die in kleinerer Form bei vielen aus der arabischen Architektur stammenden Dachflächen dieser Gegend zu sehen ist.

Da man um den felsigen Untergrund wusste, lagen die Kostenüberschreitungen bei einer dreijährigen, durch zwei Schneewinter erschwerten Bauzeit angeblich bei nur 20 Prozent. Angesichts der vielen Sprengungen und der gewaltigen Fundamentierung eine reife Leistung. Vor allem wenn man (bei allerdings anderen Dimensionen) auf die 300-prozentigen Kostenüberschreitungen bei der Hamburger Elbphilharmonie blickt. Wir sind in Italien.

Von welcher Seite man das Baukunstwerk auch betrachtet - die Ansichten sind spektakulär, manchmal sogar anschmiegsam, in jedem Fall geglückt. Vor allem die aus dem Hang kragende Längsseite gibt dem Niemeyer-Bau etwas wagemutig Experimentelles.

Wer mit dem Auto aus Neapel kommt, nimmt das Gebäude gleich am Ortsanfang wahr. Denn was hierzulande selten geschieht, ist in Ravello verwirklicht: eine gute Straßenanbindung, eine Garage für 80 Autos und vor dem Eingang zum Auditorium ein riesiger Platz für Pausenpalaver und begleitende Feste.

Darunter ein Vortragssaal sowie Proben- und Umkleideräume, dazu die Administration. Begleitgebäude bieten einen Bookshop, zwei kulinarische Zentren, wo auf den Glasflächen Entwurfszeichnungen und sehr poetische Skizzen mit Frauenfiguren festgehalten sind. Der 102-jährige Niemeyer war bisher nicht in Ravello, er ließ sich durch Filme inspirieren und am Ort von seinem Co-Architekten José Carlos Süssekind vertreten.

Ende Juni, wenn die offizielle Eröffnung stattfindet, soll der Meister endlich auch persönlich nach Italien kommen. Regierungschef Berlusconi hat sich bereits angekündigt.

Knapp vor Ostern wurden im Auditorium selbst bereits die für akustische Finessen geplanten durchsichtigen Lamellen an der Decke des Auditoriums angebracht. Die zwischen elegantem Grau und Blau variierende Bestuhlung ist so entworfen, dass die Lehnen genau in der Mitte jedes Sitzes aufeinandertreffen.

Einfache, massive Bänke und Theken aus Eichenholz komplettieren in den Pausenräumen eine auch im Detail sehr schlüssige Entwurfsskala - bis hin zu Geländern, die nach innen geneigt sind, um das Hinaufklettern zu erschweren. Das einzig störende sind Verstrebungen, die keine Zierde, sondern statische Notwendigkeit sind.

Was jetzt schon, kurz vor der endgültigen Fertigstellung sich in hoher architektonischer Qualität entfaltet, wurde jahrelang bekämpft. In dieser Märchenwelt mit moderner Architektur intervenieren? Nie und nimmer. Eine Bürgerinitiative formierte sich „zur Rettung von Ravello“ , wo einst Richard Wagner einige seiner Werke komponiert hatte.

Dahinter die Spekulanten. Wie so oft an der Traumküste, hätte man auch mit dieser „Gstätten“ viel Geld machen können. Teile des insgesamt 26.000 Quadratmeter großen Areals mussten daher ziemlich brutal enteignet werden. Vier Jahre wurde vorbereitet und geplant. 2003, als es schien, der Baubeginn liege nahe, kam es zu neuen Verzögerungen und politischen Interventionen.

Zwei Faktoren machten 2006 das scheinbar Unmögliche möglich. Die hartnäckige Arbeit der Fondazione Ravello mit Domenico Masi an der Spitze und die Regionalregierung von Kampanien mit dem eben abgetretenen Präsidenten Antonio Bassolino, dem es gelang, EU-Gelder an diese Küste zu lotsen.

Zum dritten Mal. Die erste kulturelle Großtat des damaligen Bürgermeisters von Neapel war vor der Jahrtausendwende der Bau der U-Bahn, angeblich ohne Mafia-Beteiligung, dafür mit exzellenter Architektur und mit „Kunst am Bau“ . Nicht als Illustration wie in Wien, sondern als Teil der baukünstlerischen Ausprägung.

Die zweite große kulturelle Intervention war die vor allem technische Modernisierung des Teatro San Carlo in Neapel. Wer die muffig-schwitzige Atmosphäre der früher einmal zweitwichtigsten Oper Italiens kannte, wird von der neuen Pracht überrascht sein. Die eigentliche Neuerung aber nicht bemerken: Denn mit 50 Millionen EU-Euro wurde von der bayrischen Akustik-Firma Müller (u.a. verantwortlich für das neue La Fenice oder für das Festspielhaus St. Pölten) eine international konkurrenzfähige Bühnenmaschinerie und eine Klimatisierung gebaut, die zusammen mit der tollen Bestuhlung und der Restaurierung des Zuschauerraums schöne Premieren unterstützt - zuletzt Maria Stuarda von Gaetano Donizetti.

Alt und verschroben geblieben ist das Publikum. Die Jungen flanieren rund um das San Carlo wie eh und je auf ihren Motorrollern oder in den Smarts und Fiat 500. Neapel ist ja eine komplett fahrradlose Stadt.

Der Standard, Sa., 2010.04.10

16. August 2003Gerfried Sperl
Der Standard

„Architektur ist Plastik plus Klo“

Wer braucht die Architektur? Drei prominente Architekten sollten bei einer Diskussion im Rahmen von Graz 2003 diese Frage beantworten. Eine der Thesen: Architektur ist die billigste Bildungseinrichtung, die es gibt. Gerfried Sperl hat moderiert.

Wer braucht die Architektur? Drei prominente Architekten sollten bei einer Diskussion im Rahmen von Graz 2003 diese Frage beantworten. Eine der Thesen: Architektur ist die billigste Bildungseinrichtung, die es gibt. Gerfried Sperl hat moderiert.

Prix: Günther Domenigs Biografie liest sich wie die eines normalen Architekten. Aber nur im ersten Augenblick. Günther Domenig ist manchmal Gebäudebauer und viel mehr als manchmal Architekt. Ich weiß nicht, ob er leidet, wenn man ihn nicht zu den theoretischen Architekten rechnet, aber sicher leidet er nicht, wenn man ihn als Weltmeister des Raumflusses bezeichnet. Denn er gehört eindeutig in die Reihe der österreichischen Architekten der Raumsequenz. Und diese Liste liest sich nicht schlecht. Ich könnte hier bei Fischer von Erlach, Lukas Hildebrandt beginnen, über Kiesler zu Abraham und Hollein kommen. Die barocken Österreicher mit ihren Raumdramaturgien, die sie verbal nie beschreiben können, sind undenkbar in Geld zählenden Gesellschaften.

Günther Domenig baut - katholische Klöster. 1988, schrieb ich einen Text zu seinem Steinhaus. Er heißt „Das Kloster“:

„Er baute wie andere boxen, sein Ring war das von Theodoliten abgesteckte Geviert der Baustelle, sein Gegner das Gebäude, seine Stärke war der fintenreiche Infight, nicht die Distanz. Schwer atmend stand er im Ring, den Kopf in die Papierbrust des Problems gebohrt, schlug er die Haken aus Beton, die Schwinger aus Stahl, die Uppercuts aus der Schulter des Details. Das war nicht elegant, aber ungeheuer kräftig und wirkungsvoll. Er siegte immer vor der Zeit, seine Gebäude waren stehend k.o. In seinem Kloster wird er sich, gekleidet in seinem kostbaren Erinnerungsgewand, umgeben von den Trophäensplittern seiner Siege, eingehüllt von den Chorgesängen seiner Freunde und Jünger zur Ruhe setzen, um seine Wunden zu pflegen und seinen Träumen nachzuhängen. Wir werden ihn besuchen.“
Kada: Wenn Domenig als Künstlerarchitekt bezeichnet wird, kann ich damit einverstanden sein. Deshalb kann ich mir vorstellen, dass Architektur nicht nur das Umsetzen von Funktionen ist, sondern dass Architektur mit einem Mehrwert zu tun hat. Wenn man nachvollziehen kann, was dahinter steckt ab einer gewissen Qualität, dann kann ich mir vorstellen, dass man das mit einer künstlerischen Arbeit verwechseln kann.
Sperl: Es ist immer wieder gerade auch bei Ihnen, den Diskutanten, der Begriff der Utopie im Spiel. Die Behauptung, dass Architektur ganz einfach etwas Prägendes hat und dass sich Architektur niemals herrschenden Tendenzen a priori unterwirft, weist auf diesen utopischen Aspekt. Wolf Prix hat einmal auf die Frage, welche österreichische Architektur aus der Vergangenheit ihn am meisten fasziniert, den Stephansdom genannt. Das ist diese Dimension.
Prix: Natürlich ist Architektur Kunst, aber es ist eine dreidimensionale Kunst. Das heißt, dass die Architektur ein dreidimensionaler Ausdruck unserer Gesellschaften ist. Es gibt die Interpretation der Gesellschaft auf der Ebene der Bankgebäude, die so dastehen wie langweilige Kisten. Auf der anderen Ebene gibt es die Gebäude, die sich mit dem Umfeld unseres Lebens nicht nur beschäftigen, sondern Gefäße dafür sind. Je mehr ein Architekt Künstler ist, umso mehr kann er in seinem Gebäude mehrere Themen variieren. Die Architekten leiden an zwei Krankheiten. Erstens: der vorauseilende Gehorsam, und zweitens: der verinnerlichte Zwang. Ein vorauseilender Gehorsam ist: Der Architekt denkt sich in die Haut des Auftraggebers oder Behörde so sehr hinein, dass er die Codes und Rules vorauseilend befolgt. Verinnerlichter Zwang funktioniert so: Wenn wir was ganz entsetzlich finden und schwer ertragen, macht unsere Psyche das schwer zu Ertragende einfach zur Schönheit. Also wir akzeptieren, was uns eigentlich den Lebensnerv abschneidet. Der Architekt, der heute Kisten baut, und ich sage das so, wie ich es meine - oder wie ich es denke -, leidet unter dem verinnerlichten Zwang. Ob die Kisten aus Glas, aus Stahl oder aus Beton sind, ist egal, denn Architektur hat die Tendenz, frei zu sein. Wenn man die Architektur einsperrt, dann wird sie zu einem eindimensionalen Erlebnis, dann ist sie keine Kunst mehr.
Domenig: Ich gebe im Prinzip dem Wolfgang Prix Recht, ich möchte nur ganz gern eine Sache sagen, wo er nicht Recht hat. Ich habe nie behauptet: Architektur ist Kunst. Was mich interessiert, ist die künstlerische Dimension in der Architektur. Aber ich unterscheide zwischen einem künstlerischen Architekten und einem echten Künstler. Ein Maler und ein Bildhauer hat ja etwas ganz was anderes als Voraussetzung der Freiheit und auch der Belastbarkeit. Ein Architekt leitet die künstlerischen Dinge immer vom Funktionellen oder von organisatorischen Sachen ab.
Kada: Es ist immer gefährlich, wenn die Architekten von sich selber behaupten, sie sind Künstler. Es gibt ganz bestimmte Künstlerarchitekten, die kann man ziemlich genau einteilen und definieren. Wenn man natürlich den Anspruch hat, den Prix hat, dann lass' ich zu, dass ich sage: Architektur ist Kunst. Darum hab ich zuerst gesagt, es ist die Frage, wer das beurteilt und wer Architektur als Kunst bezeichnet oder welcher Architekt seine Arbeit als Kunst bezeichnet. Es ist immer eine Frage, von welchem Standpunkt heraus man den Versuch unternimmt, Architektur als Kunst zu bezeichnen.

Prix: Die Behauptung, dass Architektur Kunst ist, ist ja nicht neu. Nur: Architektur ist Plastik, aber sie hat ein Klo. Diese Architektur, die wir machen, braucht unsere Gesellschaft wie einen Bissen Brot. Wenn wir nicht in der Lage sind, diese Art von Denken zu erlauben, dann schneiden wir uns die Ressourcen der Zukunft ab. Wir brauchen nicht die Gruppenidiotenarchitekturen, wir brauchen auch nicht die ökonomischen Zwangserfüller.

Domenig: Wir müssen immer streiten, wenn wir was Neues machen wollen. Ich weiß, dass mein Steinhaus im höchsten Maß gehasst wird, vor allem in der Gegend, wo es steht. Das will keiner, und ich weiß, dass das Steinhaus wahrscheinlich erst in dreißig Jahren richtig geschätzt wird, nur bin ich da nicht mehr am Leben.

Sperl: Einer der Domenig-Aussprüche lautet: Ich baue, damit die Denkmalpflege auch später etwas zu tun hat.

Domenig: Ja, das hab ich gesagt, an dem gibt es ja nichts auszusetzen. Nur die Denkmalpfleger verstehen das nicht. Das sind die größten Feinde jeder Erneuerung . . .

Kada: Architektur ist die einfachste und billigste Bildungseinrichtung, die die Gesellschaft überhaupt hat. Es ist ein Beweis dafür, wie die Gesellschaft existiert und wie sie existiert hat. Und das zu übersetzen, diese Sprache zu finden, das ist etwas, was die Gesellschaft unbedingt braucht. Das ist das Wichtigste überhaupt, denn sonst ist sie nicht in der Lage, ihre eigene Zeit zu erkennen.

Domenig: Meine Beobachtung an den Hochschulen ist: Jeder schaut in einen PC rein, die können schon keine Bleistifte mehr halten. Es gibt heute so gut wie keinen Architekturstudenten mehr, der mit einer Frau im Bett schläft statt mit einem PC - und umgekehrt. Jeder zweite Muslim hat ein Handy, und jeder dritte Zen-Buddhist fährt einen Toyota, und das ist die Frage, die ich jetzt an den Wolfgang Prix stelle: Die Idee war immer eine Handskizze.

Prix: Es ist natürlich viel komplexer. Das Wort „entwerfen“ beschreibt genau den Zusammenhang, in dem Architektur entsteht. „Ent-“ deutet auf einen unbewussten Vorgang hin, und „werfen“ kommt eindeutig von „Wurf“. Also dieser Moment entscheidet und unterscheidet Architektur von Gebäuden. Die Handzeichnung war für uns und war auch für dich ein ganz wesentlicher Ausgangspunkt von Entwicklungen. Aber eines will ich schon sagen: Ich bin nicht in der Lage, die dynamischen Kräfte, die die Architektur der nächsten Zeit bestimmen werden, zu zeichnen. Da brauche ich den Computer als Hilfsmittel, das auszudrücken, um was es da geht - allerdings gibt es ein nach wie vor entscheidendes, dem Architekten nicht zu nehmendes Werkzeug, das ist das Auge. Das Auge und die Entscheidung, das ist die Form aus dieser Vielfalt von Formen bei der Verformung durch dynamische Kräfte. Das Auge kann den Bleistift ersetzen, aber nicht den Architekten.

Sperl: Wolf Prix hat einmal Herman Melville zitiert, und zwar den Satz: „Ich wollte, der Wind hätte einen Körper.“ Das hängt mit einem anderen Satz zusammen: Räume sollten sich wie Wolken verändern können.

Prix: Dass die Gesellschaft bei diesen Ideen nicht mitgemacht hat, wäre ein Beweis dafür, dass Architektur manchmal Grenzen sprengt. Aber: Es ist wichtig, dass es solche Ansätze gibt, um irgendwann einmal sagen zu können: Das wurde schon gedacht.

Domenig: Der Wolfi Prix war immer ein Provokateur. Ich bin '80 auf die Hochschule gekommen. Die Einstiegseinladung hab ich auch den Himmelblaus und Prix gegeben. Da hat er schon wieder ein Zitat erfunden: „Architektur muss brennen.“ Und dann haben wir - ich habe natürlich alles finanziert - ein riesiges Feuermal im Hof drinnen inszeniert. Da wäre fast die ganze Architekturfakultät abgebrannt.

Sperl: Alle drei, Domenig, Prix und Kada, sind mehr oder weniger seit Jahren international tätig. Was heißt das überhaupt, international zu arbeiten?

Kada: Developer entwickeln ein Bauwerk nicht deshalb, damit er Architektur produziert, sondern damit sie Kapital produzieren. Dass sie dabei vergessen, dass mit Architektur sehr viel Geld zu verdienen ist, ist ein weltweites Problem. Es gibt einige Leute, die interessiert daran sind, es gibt vielleicht auch Institutionen, die interessiert daran sind, und es gibt auch ganz spezifische Bauherren, die interessiert daran sind, Architektur als Transportmittel zu verwenden. Nur: Wenn man beispielsweise die EU-Richtlinien anschaut, da kommt Architektur so wenig vor wie der Begriff „Kanaldeckel“. Kultur oder Architektur ist auch international immer nur eine Angelegenheit von wenigen, die erkannt haben, was das eigentlich sein kann. Wir sind ständig in der Zwickmühle, d. h. auf der einen Seite echte Architektur zu produzieren und auf der anderen Seite Geld zu verdienen, damit man das Büro über die Runden bringt.

Prix: Wir bauen in Amerika, wir bauen in Frankreich, wir bauen in der Dänemark, in Doha, also wirklich fast überall. Wir haben große Schwierigkeiten mit den Rechtssystemen in den einzelnen Ländern, und wir haben auch große Schwierigkeiten mit der Baukultur in den einzelnen Ländern. Wir brauchen tatsächlich pro Land einen eigenen Rechtsanwalt. Wir brauchen eigene Projektmanagementgruppen. Und da zeigen sich verschiedene Bedingungen und Chancen: Holland beispielsweise hat junge Architekten bis zu einem gewissen Projektstatus unterstützt, der Staat hat die Architekten unterstützt. Und zwar in Form von tatsächlicher finanzieller Unterstützung für internationale Wettbewerbe. Dieser Support, der von den Politiker immer wieder gern behauptet wird, ist in Wirklichkeit nicht vorhanden. Es ist auch in Österreich keine Theorieschule vorhanden, die die Qualität der Österreicher wirklich präzise im internationalen Feld positionieren könnte. Das ist ein ganz, ganz großer Nachteil unserer heterogenen Szene.


[Bei einem „Fest für Günther Domenig“ am 19. Juli im Kunsthaus Mürzzuschlag diskutierte dieser mit Wolf Prix und - zugeschaltet auf einer Videowand aus dem „Dom im Berg“ in Graz - mit Klaus Kada. Moderiert und redigiert hat Gerfried Sperl.

„Günther Domenig baut, wie andere boxen“
Wolfgang Prix

„Es ist immer gefährlich, wenn Architekten sagen, sie sind Künstler“
Klaus Kada

„Wir müssen immer streiten, wenn wir was Neues machen wollen“
Günther Domenig]

Der Standard, Sa., 2003.08.16

15. Oktober 2002Gerfried Sperl
Der Standard

Der Architekt als Qualitätsgarant im Wohnbau

Rudolf Schicker, SPÖ-Stadtrat für Stadtentwicklung in Wien, diskutierte mit Johann Padutsch, Raumplanungsstadtrat von der Salzburger Bürgerliste, über Architektur im Wohnbau. Die Themenpalette reichte von fehlendem Geld für Wohnbauforschung über Experimente in der Architektur bis zur Verantwortung für architektonische Projekte. Moderiert wurde das Gespräch von Standard-Chefredakteur Gerfried Sperl.

Rudolf Schicker, SPÖ-Stadtrat für Stadtentwicklung in Wien, diskutierte mit Johann Padutsch, Raumplanungsstadtrat von der Salzburger Bürgerliste, über Architektur im Wohnbau. Die Themenpalette reichte von fehlendem Geld für Wohnbauforschung über Experimente in der Architektur bis zur Verantwortung für architektonische Projekte. Moderiert wurde das Gespräch von Standard-Chefredakteur Gerfried Sperl.

Standard: Heute ist öfters das Thema Forschung aufgetaucht. Es wurde mehrfach betont, dass speziell Wohnbauforschung unterdotiert und dadurch auch unterrepräsentiert ist. Ist das tatsächlich so?

Schicker: Ich befürchte, dass mit den Resten, die auf Bundesebene noch vom Forschungsbudget übrig geblieben sind, nicht mehr wirklich etwas anzufangen ist. Die in diesem Bereich arbeitenden Kollegen sind zwar sehr bemüht, vom Volumen her ist das aber nicht mehr wirklich spannend. Die Stadt Wien führt im Wohnbaubereich trotzdem einige Begleituntersuchungen durch.

So versuchen wir etwa, im Stadtentwicklungsplan 2005 über Veränderungen in der Nachfrage, die Auswirkungen auf die Gestaltung einzelner Stadtteile haben, herauszufinden, welche Vielfalt notwendig sein wird, um den verschiedensten Lebensstilen begegnen zu können. Welche begleitende soziale und technische Infrastruktur müssen wir zur Verfügung stellen? Und vor allem: Wie kann man das bei knapper Kasse der öffentlichen Hand finanzieren?

Padutsch: Ich denke, dass die Wohnbauforschung de facto nicht existiert. Bei uns in Salzburg schon gar nicht, weil wir ja im Gegensatz zu Wien an der Universität keine Studienbereiche haben, die in diese Richtung gehen.

Ein anderes Problem betrifft die Kompetenzaufteilung. Alle, die mit Wohnbau zu tun haben, wünschen sich eine Zusammenführung der Kompetenzen. Ich kann das nur zu 100 Prozent unterstreichen. Genauso, wie es absurd war, dass Straßenbau und öffentlicher Verkehr im Bund in zwei völlig unterschiedlichen Ressorts untergebracht waren, gehören die Kompetenzen auch beim Wohnbau in eine Hand. Beispielsweise sind derzeit Wohnbauforschung und -förderung Ländersache, für Architekturbegutachtung und Stadtplanung sind die Städte zuständig. In diesem Fall bräuchten wir eine Gesetzesänderung, die all diese Kompetenzen bei den Städten bündelt. Denn diese sind am konkretesten betroffen, bekommen am ehesten mit, was draußen permanent passiert.

STANDARD: Wie kann man nun zu mehr Qualität im Wohnbau kommen?

Padutsch: Das Thema Architektur wird oft auf die Fassade reduziert. Tatsächlich ist Architektur aber alles, was mit einem Bau und seiner Umgebung zu tun hat. Es geht um die Architektur in ihrer Gesamtheit. Die Frage nach mehr Qualität im Wohnbau führt unweigerlich zum Architekten. Dessen Rolle wird allerdings immer mehr amputiert. Heute ist es leider fast schon die Regel, dass der Architekt sein Projekt mit dem Einreichplan abgibt und dann ist er weg und der Generalunternehmer übernimmt. Damit geht auch die Verantwortung für das Projekt verloren, weil derjenige, der sich dafür verantwortlich fühlt, formal nicht mehr verantwortlich ist. Die Beseitigung dieser Entwicklung ist Voraussetzung dafür, dass wir zu neuer Qualität im Wohnbau kommen.
Schicker: Auch in Wien ist es so, dass Investoren Gewinnchancen realisieren wollen und dass dadurch manchmal die Gestaltung des Wohnumfeldes auf der Strecke bleibt. Natürlich versuchen auch hier die Bauträger, sich der Architekten auf „angenehme Art“ zu entledigen. Man kann aber Maßnahmen setzen, um dieser Entwicklung zu begegnen.

Beispielsweise haben wir durch die Bauträgerwettbewerbe ein paar Punkte erreicht, die dazu geführt haben, ohne Qualitätsverlust die Kosten erträglich zu halten. Und das zu einer Zeit, wo enormer Bedarf an zusätzlichem Wohnraum bestanden hat. Mittlerweile hat sich die Wohnbaukonjunktur etwas abgekühlt und wir haben in den nächsten 15 Jahren mit einem langsameren Wachstum in der Stadt zu rechnen.

Warum sollte man in dieser Situation nicht versuchen, themenorientiertes Wohnen, höhere Qualität in Bezug auf Umweltstandards und Wohnumfeld zustande zu bringen? Allerdings immer unter der Prämisse, dass die Wohnbauförderung seitens des Bundes nicht komplett wegfällt und wir uns solche Experimente noch leisten können.

Padutsch: Ich glaube, dass das Experimentierfeld in Wien deutlich größer ist und zumindest einige Bauträger in diesem Feld tätig sind und versuchen, einen neuen Markt für sich zu finden.

STANDARD: Nun fordert etwa Vorarlberg, dass das Engagement von Architekten als Qualitätsmerkmal gesehen und daher über höhere Förderungen entsprechend honoriert wird. Wäre das nicht ein Mechanismus, wie man Architektur auch in Bezug auf die angesprochenen Experimente unterstützen kann?

Schicker: Wenn man die Möglichkeit hat, Experimentierfreudigkeit zu fördern, sollte man sich das leisten. Ich glaube, das können wir. Etwa über die autofreie Stadt und frauengerechtes Wohnen vielleicht zu einer fahrradgerechten Stadt zu finden oder zu einer noch stärker mitbestimmten Wohngegend. Wir versuchen auch, in diese Themen sehr stark einzusteigen. Etwa mit den „50 Orten“. Das sollen ganz bewusst Plätze sein, die nicht im Zentrum der Stadt liegen, sondern solche, die zum Wohnumfeld gehören und wo gemischte Strukturen herrschen.

Padutsch: Auch ich halte diese Idee für recht gut. Damit würde sich nämlich die Diskussion mit den Bauträgern stark reduzieren. Derzeit gehen die Verhandlungen über die Architektenhonorare in Richtung Dumping. Das ist für die Qualität des entstehenden Hauses und letzten Endes auch für die Stadt schlecht. Möglicherweise wäre über eine solche Zusatzförderung eine wirklich durchgängige Beschäftigung des Architekten zu gewährleisten.

STANDARD: Hat man bei den Bauträgerwettbewerben auf die Architektur vergessen?

Schicker: Den Eindruck habe ich nicht. Die Wettbewerbe haben zu Beginn viel zusätzliche Qualität gebracht, sowohl architektonisch als auch in der Gestaltung der Wohnräume. Sie haben allerdings, und das ist die Kritik in Richtung Bauträger, auch dazu geführt, dass diese sehr bald gemerkt haben, wie solche Wettbewerbe funktionieren. Sobald man gelernt hat, das auszureizen, beginnt man dort zu sparen, wo man das nicht sollte. Das ist dann bei der Architektur sichtbar und spürbar.

Gerade jene, die im sozialen Wohnbau die Trägerseite vertreten, wissen sehr genau, was vermittelbar ist. Dieses Wissen hat wiederum viel damit zu tun, was nachgefragt wird. Nachdem wir in den vergangenen Jahren einen deutlichen Überhang an fertig gestellten Wohnungen im Verhältnis zur Nachfrage hatten, wurde dieses Wissen noch geschärft. Nicht jeder musste jede Wohnung nehmen, das war ein Riesenvorteil.

Noch eine Kritik an den Bauträgern: Das Problem ist, dass die Bauleistung schon wieder zurückgeschraubt wird, damit der Überhang verschwindet. Ich hoffe aber, dass wir diesen Überhang weiterhin haben, damit wir anhand der Nachfrage ablesen können, ob die Qualität beim Angebot tatsächlich gewährleistet ist.

Padutsch: Ich halte auch sehr viel von der Steuerung der Qualität über die Wohnbauförderung. Es gibt in Salzburg bei der Wohnbauförderung so genannte Zusatzpunkte, die auf ökologische Kriterien abzielen, beispielsweise auf Energieversorgung. Jemand, der sein Haus im Sinne der Nachhaltigkeit besonders energiefreundlich baut, bekommt dafür zusätzliches Geld in Form der Förderung.

STANDARD: Vielen Dank für das Gespräch.

Der Standard, Di., 2002.10.15

24. August 2002Gerfried Sperl
Der Standard

Bubble im Sonnengürtel

Gerfried Sperl sprach mit dem Architekten Peter Cook

Gerfried Sperl sprach mit dem Architekten Peter Cook

Was passiert in Graz an einem nassen Tag im Mai? Gegenfrage von Peter Cook auf den vorsichtigen Anstoß, wie er denn das kreative Potential der steirischen Landeshauptstadt einschätzen würde. Der britische Architekt, in den 60er Jahren Mitglied der innovativen Gruppe Archigram und jetzt Professor an der Bartlett School for Architecture, der zusammen mit Colin Fournier den Kunsthaus-Wettbewerb gewonnen hat, illustriert sein regnerisches Bild mit zwei Fakten: Die Konzentration an Künstlern in Wien sei möglicherweise höher als in Paris oder London. Und: Trotz des international hoch bewerteten Festivals sei Edinburgh als Stadt ziemlich konservativ geblieben.

Unterschwellige Hoffnung: Dass das Kunsthaus etwas bewegen könne in einer Region, die über eine enorme Lebensqualität verfüge. Denn das Weinland südlich von Graz erinnere tatsächlich sehr an Landstriche in der nördlichen Toskana. Mit der Gefahr, dass man sich zurücklehne wie in einem Sonnengürtel und nicht einmal mehr ausländische Zeitungen lese.

Peter Cook, der gerne Wiener Schnitzel isst und einen steirischen Wein dazu trinkt, hat sich für Graz nicht einfach irgendein Bauwerk ausgedacht. Der jahrelange Leiter des Londoner Institute for Contemporary Art blickt auf eine reiche Ausstellungserfahrung zurück. Inmitten eines Kunstmarkts, der zu den anspruchsvollsten der Welt gehört. Er und sein Partner Fournier hatten von Anfang an den Zweck des Gebäudes im Sinn - nicht nur ein Haus für Kunstausstellungen zu bauen, sondern viel Attraktivität für das Publikum zu schaffen: „Es wird ein Gebäude, das zu den Leuten spricht.“ Sogar diskursiv.

In seinem Vortrag in Alpbach hat Cook vom Grazer „bubble“ gesprochen wie von einem blauen Fantasiewesen, das da über den Häusern sitzen wird. Als „Einspruch gegen mittelmäßige Architektur.“

In unserem Gespräch schwärmt er vom öffentlichen Raum, der darunter entsteht, von den Rolltreppen, die das Publikum wie in einem Einkaufszentrum von einer Sphäre in die andere führen. Und von der Möglichkeit für die Ausstellungsmacher, sich selbst wie Architekten zu gerieren. „Die Menschen werden dieses Haus sehr mögen.“ Ansätze sieht er bereits - für die Entstehung eines Kultur-Grätzels auf dem linken Murufer. Auch das Haus der Architektur soll dorthin übersiedeln.

Über allem werde „die Nadel“ schweben, Café und Aussichtsplattform zugleich, auf der die Besucher wie auf einer Schiffsreeling beobachten können, wie der Strom hinein- und hinausschwappt.

Angesichts der Widersprüchlichkeit einer Stadt, die sowohl von Universitäten als auch von der Autoproduktion geprägt sei, wundert sich Cook über die große Zahl an Architekten, die sie hervorbringt. Gemessen an der Bevölkerungszahl gebe es in Österreich überhaupt erstaunlich viele gute Architekten. „Liegt es am Verfolgungswahn der Österreicher? Liegt es am Bildungssystem?“ Das Cook für ziemlich autoritär hält, während ihm das britische zu „nunny“-haft vorkommt. Er weiss es nicht genau. Er registriert dieses Übermaß an österreichischer Kreativität. Und man spürt seine Bewunderung.

Bei der Architektur-Biennale in Venedig Anfang September wird es eine große Präsentation des Grazer Projektes geben.

Der Standard, Sa., 2002.08.24

24. August 2002Gerfried Sperl
Der Standard

Temporär Modern

Resümee der Alpbacher Architekturgespräche

Resümee der Alpbacher Architekturgespräche

Was hat der Städtebau im Dorf zu suchen? In einem Ensemble, das vor Tiroler Balkonen mit Pelargonien, Petunien und Nelken überquillt? Diskussionen über Zustand und Zukunft der Architektur sind dem Alltag von Alpbach genauso fremd wie Vorträge über Gentechnik oder Klonen. Die Schafe der Tiroler Bergwelt sind mit Dolly (noch) nicht verwandt.

Um diese Spannung, die das Europäische Forum jedes Jahr schafft, sichtbarer zu machen, bedarf es einiger Zeichen. Das neue Konferenzgebäude duckt sich zwar übermäßig stark in den Hang hinter dem Hotel Böglerhof. Aber es atmet in die Richtung, wohin Tiroler Architekten seit Jahrzehnten das Bauen in den Alpen treiben wollen. Dass diesmal zwischen Hotel und Konferenzzentrum ein temporärer Bedenk- und Kulturraum errichtet wurde, ist ein wichtiger Schritt. Alpbacher Moderne?

Volker Giencke hat mit seinen Studenten einen Raum aus Holz und weißer Verkleidung entworfen, dessen Schlichtheit mit der überladenen Tiroler Folklore kontrastiert, der aber auch einen Verwandten hat: Die alte Blockhütte neben dem Schilift. Der Kontext figuriert damit auch als Hintergrund für die Themen der Architekturgespräche, die seit 2001 vom Tiroler Großbüro ATP (Achammer, Tritthart & Partner), unterstützt von mehreren Sponsoren mit Swarovski an der Spitze, organisiert werden.

Die Vorträge selbst hatten heuer zwei Hauptthemen - am ersten Tag die Zukunft der Großstadt, am zweiten die Spannung zwischen Qualitätsarchitektur und „Marken“ der Großindustrie, für die internationale „Stararchitekten“ Bau-Events entwerfen. Wolf Prix von Coop Himmelb(l)au hielt sich aber nicht bei der Beschreibung der neuen Autowelt für BMW in München auf, sondern knüpfte bei der Hagia Sophia als „gebautem Himmel auf Erden“ an, um (letztlich auch für sich selbst) festzuhalten: „Nur Stararchitekten können heutzutage etwas ändern.“.

Essentieller, teilweise brillant waren wissenschaftliche Analysen wie die der Soziologin Martina Löw oder des Architekturtheoretikers Peter Hall - was treibt die Stadt architektonisch an, wie kann inmitten der Globalisierung lokale Qualität entstehen?

Die Schwäche des Programms lag bei zwei oder drei mißglückten Formaten. Möglicherweise hätte man dann auch verhindern können, dass Raimund Abraham den Saal verließ, weil man ihn mit einem deutschen Standesvertreter konfrontierte. Das war nicht seine Welt. Ein Diskurs zwischen Peter Cook und Abraham wäre die spannendere Lösung gewesen. Aber man kann für das nächste Jahr ja daraus lernen.

Der Standard, Sa., 2002.08.24

19. August 2002Gerfried Sperl
Der Standard

Suche nach globaler Architektur

Und ein Eklat durch den Tiroler Amerikaner Abraham in Alpbach

Und ein Eklat durch den Tiroler Amerikaner Abraham in Alpbach

Gibt es globale Architektur? Ansatzweise schon immer. Früher in Form der Kathedrale, hineingepflanzt in mehrere Kulturkreise. Heute als Einzelobjekt von Stararchitekten, deren Hotels, deren Museen in einer jeweils unverkennbaren Handschrift auftauchen.

Die Soziologin Martina Löw von der TU Darmstadt machte in einem brillanten Vortrag beim Alpbacher Architekturgespräch jedoch darauf aufmerksam, dass diese Gebäude in verschiedenen lokalen und kulturellen Zusammenhängen eine andere Bedeutung erhielten. Eine Münchner Kirche wirke mitten in Hongkong plötzlich klein und unwichtig. Umgekehrt verändere sich das Intercontinental von Kinshasa in einer europäischen Stadt total. Wirklich globale Architektur gebe es, so die These Löws, nur als gedachte - weil sie diese Rolle bloß „ohne Kontext“, ohne lokale Umgebung spielen könne.

Die deutsche Architektin Julia Bolles-Wilson fügte der Diskussion zu diesem Thema einen weiteren interessanten Aspekt hinzu. Die „ästhetische Globalisierung“ führe zu einer „Nivellierung“ - so die These der meisten Kritiker. Tatsache sei das Gegenteil: Es steige die Vielfalt in der architektonischen Landschaft. Ein Kritikpunkt war aber auch ihr wichtig. Es gebe unzweifelhaft einen „Verlust des Traditionsbezugs zum jeweiligen Ort“. Was kann die Politik tun, um Qualität und Vielfalt zu steigern? Darauf Hannes Swoboda, von 1988 bis 1996 Wiener Planungsstadtrat und derzeit EU-Abgeordneter: Politiker, die immer nur den Mehrheiten folgten, seien ein Schaden für die Architektur. Wenn Politiker jedoch nur extreme Positionen verträten, wäre das ein Schaden für die Demokratie. Vor allem brauche Politik den „Mut zur Entscheidung“.

Die teils äußerst spannenden Vorträge und Diskussionen dieses vom Innsbrucker Architekten Christoph Achammer und seinem Team organisierten Architekturgesprächs hatten Samstagnachmittag auch ihren Eklat. Raimund Abraham, Planer des in New York gefeierten, in Österreich umstrittenen Kulturforums, verließ nach seinem eigenen Referat während der Rede des Chefs des deutschen Bundes der Architekten, Andreas G. Hempel, den vollen Saal und entzog sich dem Gespräch.

Nicht sehr geschickt. Hatte man doch selbst in den „Alpbach News“, der Tageszeitung des Europäischen Forums, dem Architekten Gelegenheit gegeben, sich gegen die vor allem in der Presse gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu wehren. Achammer interpretiert den Vorgang als Resultat einer „fortgesetzten Selbstbeschau“. Andererseits mag der Vorgang beispielhaft sein für emotionale Verletzlichkeit, die auch den Tiroler Bergen nicht fremd ist.

Der Standard, Mo., 2002.08.19

17. August 2002Gerfried Sperl
Der Standard

Wie die Vernetzung die Stadt verändert

Beginn der Alpbacher Architekturgespräche

Beginn der Alpbacher Architekturgespräche

Alpbach - „Der Bericht über meinen Tod ist eine Übertreibung.“ Dieser Satz von Marc Twain könnte auch von Thomas Bernhard stammen und auf zweierlei passen: Auf das vom Tourismus fast erdrückte Tiroler Dorf und auf die von Angst und Erfolgszwang gleichermaßen geprägte moderne Großstadt. Zum Auftakt der Alpbacher Architekturgespräche zitierte der britische Stadtplaner Peter Hall den Dichter, um aus der Übertreibung eine Wiedergeburt abzuleiten, die sein Kollege und Landsmann William J. Mitchell in die „elektronische Stadt“ münden sah.

Hall, wie mehrere Vortragende Professor der Londoner Bartlett School of Architecture, sieht in der heutigen Großstadt vor allem vier Funktionen und Phänomene versammelt: 1.) Finanz- und Geschäft, 2.) Macht und Einfluss, 3.) Kultur- und Kreativindustrien sowie 4.) Städtetourismus. Das Verschwinden der alten Industrien schaffe völlig neue Verkehrs- und Kommunikationsstrukturen. Diese „neuen Hierarchien“ entwickelte Hall vor allem nach wirtschaftlichen und verkehrstechnischen Aspekten.

Was den Wiener Verkehrsstadtrat Rudolf Schicker zum Einwand provozierte, dass auch die Bewältigung sozialer Probleme und die Lebensqualität generell Teil der Bewertung sein müssten.

Mitchell, der auch am MIT in Boston lehrt, sah die „elektronische Stadt“ vor allem unter dem Einfluss geänderter Beziehungen. Die digitalen Netzwerke lösten die alte Kommunikation durch Trans- portsysteme ab. Wodurch sich auch die städtische Architektur verändere. Die drahtlose Kommunikation schließlich bilde die persönlichen Beziehungen völlig um. Stichworte: PC, Handy, SMS. Mitchell: „Die Unterscheidung zwischen dem physikalischen Raum und dem Cyberspace schwindet.“


„Gefühlte Bedrohung“

Da passte es gut, dass Hartmut Häusermann, Soziologe an der Humboldt-Universität in Berlin, soziale und psychologische Vermutungen über „Stadtentwicklung und Globalisierung“ anstellte. Das Wachstum ungewollter Jobs, bloß befristete Beschäftigung und vielfache Dauerarbeitslosigkeit führten zu „innerer Unsicherheit“ in den Städten. Die Sehnsucht nach einer „behüteten Gesellschaft“ steigere das Ausmaß der „gefühlten Bedrohung“, was zur Ablehnung alles Fremden führe.

Wenn Urbanität jedoch „ge-lassener Umgang mit Fremden“ sei, dann stehe eine ganze Stadtkultur auf dem Spiel. Weil nach jüngsten Untersuchungen gerade jene „vernetzten Städte“ auch wirtschaftlich erfolgreich seien, in denen überproportional viele „Fremde, Schwule und kulturell Aktive“ agieren, sei Sorge um die Zukunft von Städten am Platz, in denen gerade diese Gruppen sich nicht entfalten könnten. Wie hatte Bernd-Olaf Küppers von der Universität Jena am Donnerstag in seinem Alpbacher Eröffnungsreferat formuliert? Wir seien allesamt stark durch Vorwissen, Vorurteile und Wünsche geprägt. Was wir lernen müssten, sei eine „Vernetzung des Verstehens“ - als ein zentrales Element der Kommunikation.

Der Standard, Sa., 2002.08.17

18. November 2000Gerfried Sperl
Der Standard

ArchitekturBücher

ArchitekturBücher präsentiert von Gerfried Sperl

ArchitekturBücher präsentiert von Gerfried Sperl

Der Aufreger

Seit seinem aufregenden Museumsbau in Bilbao ist der Amerikaner Frank Gehry wohl der Welt bekanntester Architekt. in Buchform ist sein Gesamtwerk erschienen. Das man auf jeden Fall besichtigen sollte - wegen des weihnachtlichen Preises in Form eines Reisegeschenks in Buchform.

Auf über 600 Seiten kriegt man Gehrys Entwicklung von putzigen Wohnanlagen Anfang der 60er Jahre über schön gegliederte Klötze Mitte des Jahrzehnts, etlichen (zum Teil nicht ausgeführten) experimentellen Entwürfen in den 70er Jahren bis herauf zu Wohnhaus-Entwürfen, die zerknautschten Metall-Würfen ähnlicher sind als bewohnbaren Strukturen: Aber Gehrys Stärke ist es gerade, auch scheinbar Zufälliges mit effizientem Funktionalismus zu verbinden.

Vor allem die Entwicklung hin zum Höhepunkt von Bilbao (Ähnliches in den USA kam danach) wird sehr schön dokumentiert - und zusätzlich mit Gehrys Möbeldesign kombiniert.


[DalCo/Forster/Arnold, Frank O. Gehry. Das Gesamtwerk, öS 1.810,-/ 610 Seiten, Deutsche Verlags-
anstalt, Frankfurt.]


Wo sie selbst leben

Wirft man Architekten nicht oft genug vor, sie würden Experimentelles bauen, selbst aber im gesicherten Alten leben. Ein bei Knesebeck erschienenes Buch (Text Jean-Luis Andre, Fotos Eric Morin) versucht das Gegenteil zu belegen.

Die faszinierendsten Bilder kommen aus Österreich - der Autor bezeichnet Günther Domenigs Steinhaus denn auch als „gebautes Manifest“, dessen immer noch unvollendete Melodie zu den großen individuellen Bau-Leistungen des vergangenen Jahrhunderts gehört.

Als Wohnhaus meines eigenen Lebensstils würde ich
Shoei Yohs schwebende Struktur auf einer Steilküste über dem Meer vor Japan wählen. Yoh, der ein Observatorium geplant hat, und das Vulkanmuseum in Fukuoka entwarf, ist ein Könner der Reduktion und ein Fan der Transparenz, die den Natur-Dialog forciert.

Welche Häuser können Sie u.a. noch besichtigen: Die von Gustav Peichl, von Oswald Mathias Ungers, von Robert Venturi, von Hiroshi Hara, von Ricardo Bofill.


[Andre/Morin, Architekten und ihre Häuser, öS 715,-/192 Seiten, 282 Bilder, Verlag Knesebeck 2000.]


Faszination Hochhaus

Wolkenkratzer hat man sie anfangs bildhaft genannt. Weil sie dort aufhörten, wo Flugzeuge an der unteren Wolkengrenze entlangflogen. Die für mich informativste Dokumentation der Hochhausbauten des 20. Jahrhunderts hat jetzt Bruno Flierl vorgelegt. Die Dynamik dieser Bauten kommt aus der rasanten Entwicklung der Banken und der Dienstleistungen.

Das Buch beschäftigt sich nicht nur mit der Entwicklung der Typen von Hochhäusern, sondern auch und intensiv mit dem Phänomen der „Hochhauswand“ und der Hochhaus-Landschaft, deren berühmteste Manhattan ist. Flierl stellt vor allem Chicago und New York, Paris, Berlin, Frankfurt und Moskau, Hongkong, Singapur/Kuala Lumpur, Hongkong/Shenzhen und die jüngste Explosion dieser Art in Shanghai vor.

Sehr interessant ist die Befassung des Autors mit den nicht gebauten Objekten, die er in die grafisch gestalteten Höhenvergleiche einbe-
zieht.


[Bruno Flierl, Hundert Jahre Hochhäuser, öS 1080,-/264 Seiten, 329 Fotos, Verlag Bauwesen, Berlin 2000. ]


Zehn mal zehn

Eines der faszinierendsten Architektur-Bücher der letzten Jahre ist heuer in einem britischen Verlag erschienen. Die deutsche Ausgabe ist für 2001 geplant: Zehn Architektur-Kritiker haben je zehn Häuser ausgewählt und so ein eigenwilliges Ranking der aktuellen Architektur-Szene erstellt.

Für Österreich erfreulich: Mit Baumschlager/Eberle, Riegler/Riewe und Wolfgang Feyferlik sind drei Büros (die alle außerhalb Wiens geführt sind) in diese Galerie aufgenommen worden. Zwei von ihnen wurden von Kirstin Feireiss nomniert, der Chefin des niederländischen Architektur-Insti-
tuts.

Drei Tendenzen dieser Auswahl, die viele Wohnhäuser enthält, fallen auf: 1. Computerstrukturen; 2. einfache Quader; 3. Verwendung von Holz. Die Kritiker erklären ausführlich ihre Auswahlkriterien. Das Herz des Buches sind die farbigen Bildmontagen der hundert Objekte.


[10 Kritiker, 10x10, öS 795,-/468 Seiten, Phaidon, London 2000. ]

Der Standard, Sa., 2000.11.18

Alle 11 Texte ansehen

Publikationen

Bauwerke

Presseschau 12

10. April 2010Gerfried Sperl
Der Standard

Eine Welle der Musik über Amalfi

Die Amalfi-Küste ist um eine Attraktion reicher - der Konzertsaal von Oscar Niemeyer stieß in Ravello jedoch anfangs auf massive Opposition

Die Amalfi-Küste ist um eine Attraktion reicher - der Konzertsaal von Oscar Niemeyer stieß in Ravello jedoch anfangs auf massive Opposition

Wer vor der Amalfi-Küste auf einem Ausflugsschiff sitzt, sieht weit oben im Hang das Bauwerk - wie das Mittelstück eines bei Flut gestrandeten Wals - und im Fernglas eine weite Öffnung. Von innen ermöglicht dieses hinter dem Orchester platzierte Auge den Blick auf das Meer. So wie die Besucher auch während der Sommer-Konzerte im 200 Meter entfernten Rufolo-Garten die Dämmerung und die Nacht des Meeres erleben können.

Bei näherer Betrachtung kann das 400 Plätze fassende Konzerthaus auch wie eine Welle gesehen werden. Eher flach ansteigend, dann stark abfallend - mit einer weiß gestrichenen Betonfläche, die in kleinerer Form bei vielen aus der arabischen Architektur stammenden Dachflächen dieser Gegend zu sehen ist.

Da man um den felsigen Untergrund wusste, lagen die Kostenüberschreitungen bei einer dreijährigen, durch zwei Schneewinter erschwerten Bauzeit angeblich bei nur 20 Prozent. Angesichts der vielen Sprengungen und der gewaltigen Fundamentierung eine reife Leistung. Vor allem wenn man (bei allerdings anderen Dimensionen) auf die 300-prozentigen Kostenüberschreitungen bei der Hamburger Elbphilharmonie blickt. Wir sind in Italien.

Von welcher Seite man das Baukunstwerk auch betrachtet - die Ansichten sind spektakulär, manchmal sogar anschmiegsam, in jedem Fall geglückt. Vor allem die aus dem Hang kragende Längsseite gibt dem Niemeyer-Bau etwas wagemutig Experimentelles.

Wer mit dem Auto aus Neapel kommt, nimmt das Gebäude gleich am Ortsanfang wahr. Denn was hierzulande selten geschieht, ist in Ravello verwirklicht: eine gute Straßenanbindung, eine Garage für 80 Autos und vor dem Eingang zum Auditorium ein riesiger Platz für Pausenpalaver und begleitende Feste.

Darunter ein Vortragssaal sowie Proben- und Umkleideräume, dazu die Administration. Begleitgebäude bieten einen Bookshop, zwei kulinarische Zentren, wo auf den Glasflächen Entwurfszeichnungen und sehr poetische Skizzen mit Frauenfiguren festgehalten sind. Der 102-jährige Niemeyer war bisher nicht in Ravello, er ließ sich durch Filme inspirieren und am Ort von seinem Co-Architekten José Carlos Süssekind vertreten.

Ende Juni, wenn die offizielle Eröffnung stattfindet, soll der Meister endlich auch persönlich nach Italien kommen. Regierungschef Berlusconi hat sich bereits angekündigt.

Knapp vor Ostern wurden im Auditorium selbst bereits die für akustische Finessen geplanten durchsichtigen Lamellen an der Decke des Auditoriums angebracht. Die zwischen elegantem Grau und Blau variierende Bestuhlung ist so entworfen, dass die Lehnen genau in der Mitte jedes Sitzes aufeinandertreffen.

Einfache, massive Bänke und Theken aus Eichenholz komplettieren in den Pausenräumen eine auch im Detail sehr schlüssige Entwurfsskala - bis hin zu Geländern, die nach innen geneigt sind, um das Hinaufklettern zu erschweren. Das einzig störende sind Verstrebungen, die keine Zierde, sondern statische Notwendigkeit sind.

Was jetzt schon, kurz vor der endgültigen Fertigstellung sich in hoher architektonischer Qualität entfaltet, wurde jahrelang bekämpft. In dieser Märchenwelt mit moderner Architektur intervenieren? Nie und nimmer. Eine Bürgerinitiative formierte sich „zur Rettung von Ravello“ , wo einst Richard Wagner einige seiner Werke komponiert hatte.

Dahinter die Spekulanten. Wie so oft an der Traumküste, hätte man auch mit dieser „Gstätten“ viel Geld machen können. Teile des insgesamt 26.000 Quadratmeter großen Areals mussten daher ziemlich brutal enteignet werden. Vier Jahre wurde vorbereitet und geplant. 2003, als es schien, der Baubeginn liege nahe, kam es zu neuen Verzögerungen und politischen Interventionen.

Zwei Faktoren machten 2006 das scheinbar Unmögliche möglich. Die hartnäckige Arbeit der Fondazione Ravello mit Domenico Masi an der Spitze und die Regionalregierung von Kampanien mit dem eben abgetretenen Präsidenten Antonio Bassolino, dem es gelang, EU-Gelder an diese Küste zu lotsen.

Zum dritten Mal. Die erste kulturelle Großtat des damaligen Bürgermeisters von Neapel war vor der Jahrtausendwende der Bau der U-Bahn, angeblich ohne Mafia-Beteiligung, dafür mit exzellenter Architektur und mit „Kunst am Bau“ . Nicht als Illustration wie in Wien, sondern als Teil der baukünstlerischen Ausprägung.

Die zweite große kulturelle Intervention war die vor allem technische Modernisierung des Teatro San Carlo in Neapel. Wer die muffig-schwitzige Atmosphäre der früher einmal zweitwichtigsten Oper Italiens kannte, wird von der neuen Pracht überrascht sein. Die eigentliche Neuerung aber nicht bemerken: Denn mit 50 Millionen EU-Euro wurde von der bayrischen Akustik-Firma Müller (u.a. verantwortlich für das neue La Fenice oder für das Festspielhaus St. Pölten) eine international konkurrenzfähige Bühnenmaschinerie und eine Klimatisierung gebaut, die zusammen mit der tollen Bestuhlung und der Restaurierung des Zuschauerraums schöne Premieren unterstützt - zuletzt Maria Stuarda von Gaetano Donizetti.

Alt und verschroben geblieben ist das Publikum. Die Jungen flanieren rund um das San Carlo wie eh und je auf ihren Motorrollern oder in den Smarts und Fiat 500. Neapel ist ja eine komplett fahrradlose Stadt.

Der Standard, Sa., 2010.04.10

16. August 2003Gerfried Sperl
Der Standard

„Architektur ist Plastik plus Klo“

Wer braucht die Architektur? Drei prominente Architekten sollten bei einer Diskussion im Rahmen von Graz 2003 diese Frage beantworten. Eine der Thesen: Architektur ist die billigste Bildungseinrichtung, die es gibt. Gerfried Sperl hat moderiert.

Wer braucht die Architektur? Drei prominente Architekten sollten bei einer Diskussion im Rahmen von Graz 2003 diese Frage beantworten. Eine der Thesen: Architektur ist die billigste Bildungseinrichtung, die es gibt. Gerfried Sperl hat moderiert.

Prix: Günther Domenigs Biografie liest sich wie die eines normalen Architekten. Aber nur im ersten Augenblick. Günther Domenig ist manchmal Gebäudebauer und viel mehr als manchmal Architekt. Ich weiß nicht, ob er leidet, wenn man ihn nicht zu den theoretischen Architekten rechnet, aber sicher leidet er nicht, wenn man ihn als Weltmeister des Raumflusses bezeichnet. Denn er gehört eindeutig in die Reihe der österreichischen Architekten der Raumsequenz. Und diese Liste liest sich nicht schlecht. Ich könnte hier bei Fischer von Erlach, Lukas Hildebrandt beginnen, über Kiesler zu Abraham und Hollein kommen. Die barocken Österreicher mit ihren Raumdramaturgien, die sie verbal nie beschreiben können, sind undenkbar in Geld zählenden Gesellschaften.

Günther Domenig baut - katholische Klöster. 1988, schrieb ich einen Text zu seinem Steinhaus. Er heißt „Das Kloster“:

„Er baute wie andere boxen, sein Ring war das von Theodoliten abgesteckte Geviert der Baustelle, sein Gegner das Gebäude, seine Stärke war der fintenreiche Infight, nicht die Distanz. Schwer atmend stand er im Ring, den Kopf in die Papierbrust des Problems gebohrt, schlug er die Haken aus Beton, die Schwinger aus Stahl, die Uppercuts aus der Schulter des Details. Das war nicht elegant, aber ungeheuer kräftig und wirkungsvoll. Er siegte immer vor der Zeit, seine Gebäude waren stehend k.o. In seinem Kloster wird er sich, gekleidet in seinem kostbaren Erinnerungsgewand, umgeben von den Trophäensplittern seiner Siege, eingehüllt von den Chorgesängen seiner Freunde und Jünger zur Ruhe setzen, um seine Wunden zu pflegen und seinen Träumen nachzuhängen. Wir werden ihn besuchen.“
Kada: Wenn Domenig als Künstlerarchitekt bezeichnet wird, kann ich damit einverstanden sein. Deshalb kann ich mir vorstellen, dass Architektur nicht nur das Umsetzen von Funktionen ist, sondern dass Architektur mit einem Mehrwert zu tun hat. Wenn man nachvollziehen kann, was dahinter steckt ab einer gewissen Qualität, dann kann ich mir vorstellen, dass man das mit einer künstlerischen Arbeit verwechseln kann.
Sperl: Es ist immer wieder gerade auch bei Ihnen, den Diskutanten, der Begriff der Utopie im Spiel. Die Behauptung, dass Architektur ganz einfach etwas Prägendes hat und dass sich Architektur niemals herrschenden Tendenzen a priori unterwirft, weist auf diesen utopischen Aspekt. Wolf Prix hat einmal auf die Frage, welche österreichische Architektur aus der Vergangenheit ihn am meisten fasziniert, den Stephansdom genannt. Das ist diese Dimension.
Prix: Natürlich ist Architektur Kunst, aber es ist eine dreidimensionale Kunst. Das heißt, dass die Architektur ein dreidimensionaler Ausdruck unserer Gesellschaften ist. Es gibt die Interpretation der Gesellschaft auf der Ebene der Bankgebäude, die so dastehen wie langweilige Kisten. Auf der anderen Ebene gibt es die Gebäude, die sich mit dem Umfeld unseres Lebens nicht nur beschäftigen, sondern Gefäße dafür sind. Je mehr ein Architekt Künstler ist, umso mehr kann er in seinem Gebäude mehrere Themen variieren. Die Architekten leiden an zwei Krankheiten. Erstens: der vorauseilende Gehorsam, und zweitens: der verinnerlichte Zwang. Ein vorauseilender Gehorsam ist: Der Architekt denkt sich in die Haut des Auftraggebers oder Behörde so sehr hinein, dass er die Codes und Rules vorauseilend befolgt. Verinnerlichter Zwang funktioniert so: Wenn wir was ganz entsetzlich finden und schwer ertragen, macht unsere Psyche das schwer zu Ertragende einfach zur Schönheit. Also wir akzeptieren, was uns eigentlich den Lebensnerv abschneidet. Der Architekt, der heute Kisten baut, und ich sage das so, wie ich es meine - oder wie ich es denke -, leidet unter dem verinnerlichten Zwang. Ob die Kisten aus Glas, aus Stahl oder aus Beton sind, ist egal, denn Architektur hat die Tendenz, frei zu sein. Wenn man die Architektur einsperrt, dann wird sie zu einem eindimensionalen Erlebnis, dann ist sie keine Kunst mehr.
Domenig: Ich gebe im Prinzip dem Wolfgang Prix Recht, ich möchte nur ganz gern eine Sache sagen, wo er nicht Recht hat. Ich habe nie behauptet: Architektur ist Kunst. Was mich interessiert, ist die künstlerische Dimension in der Architektur. Aber ich unterscheide zwischen einem künstlerischen Architekten und einem echten Künstler. Ein Maler und ein Bildhauer hat ja etwas ganz was anderes als Voraussetzung der Freiheit und auch der Belastbarkeit. Ein Architekt leitet die künstlerischen Dinge immer vom Funktionellen oder von organisatorischen Sachen ab.
Kada: Es ist immer gefährlich, wenn die Architekten von sich selber behaupten, sie sind Künstler. Es gibt ganz bestimmte Künstlerarchitekten, die kann man ziemlich genau einteilen und definieren. Wenn man natürlich den Anspruch hat, den Prix hat, dann lass' ich zu, dass ich sage: Architektur ist Kunst. Darum hab ich zuerst gesagt, es ist die Frage, wer das beurteilt und wer Architektur als Kunst bezeichnet oder welcher Architekt seine Arbeit als Kunst bezeichnet. Es ist immer eine Frage, von welchem Standpunkt heraus man den Versuch unternimmt, Architektur als Kunst zu bezeichnen.

Prix: Die Behauptung, dass Architektur Kunst ist, ist ja nicht neu. Nur: Architektur ist Plastik, aber sie hat ein Klo. Diese Architektur, die wir machen, braucht unsere Gesellschaft wie einen Bissen Brot. Wenn wir nicht in der Lage sind, diese Art von Denken zu erlauben, dann schneiden wir uns die Ressourcen der Zukunft ab. Wir brauchen nicht die Gruppenidiotenarchitekturen, wir brauchen auch nicht die ökonomischen Zwangserfüller.

Domenig: Wir müssen immer streiten, wenn wir was Neues machen wollen. Ich weiß, dass mein Steinhaus im höchsten Maß gehasst wird, vor allem in der Gegend, wo es steht. Das will keiner, und ich weiß, dass das Steinhaus wahrscheinlich erst in dreißig Jahren richtig geschätzt wird, nur bin ich da nicht mehr am Leben.

Sperl: Einer der Domenig-Aussprüche lautet: Ich baue, damit die Denkmalpflege auch später etwas zu tun hat.

Domenig: Ja, das hab ich gesagt, an dem gibt es ja nichts auszusetzen. Nur die Denkmalpfleger verstehen das nicht. Das sind die größten Feinde jeder Erneuerung . . .

Kada: Architektur ist die einfachste und billigste Bildungseinrichtung, die die Gesellschaft überhaupt hat. Es ist ein Beweis dafür, wie die Gesellschaft existiert und wie sie existiert hat. Und das zu übersetzen, diese Sprache zu finden, das ist etwas, was die Gesellschaft unbedingt braucht. Das ist das Wichtigste überhaupt, denn sonst ist sie nicht in der Lage, ihre eigene Zeit zu erkennen.

Domenig: Meine Beobachtung an den Hochschulen ist: Jeder schaut in einen PC rein, die können schon keine Bleistifte mehr halten. Es gibt heute so gut wie keinen Architekturstudenten mehr, der mit einer Frau im Bett schläft statt mit einem PC - und umgekehrt. Jeder zweite Muslim hat ein Handy, und jeder dritte Zen-Buddhist fährt einen Toyota, und das ist die Frage, die ich jetzt an den Wolfgang Prix stelle: Die Idee war immer eine Handskizze.

Prix: Es ist natürlich viel komplexer. Das Wort „entwerfen“ beschreibt genau den Zusammenhang, in dem Architektur entsteht. „Ent-“ deutet auf einen unbewussten Vorgang hin, und „werfen“ kommt eindeutig von „Wurf“. Also dieser Moment entscheidet und unterscheidet Architektur von Gebäuden. Die Handzeichnung war für uns und war auch für dich ein ganz wesentlicher Ausgangspunkt von Entwicklungen. Aber eines will ich schon sagen: Ich bin nicht in der Lage, die dynamischen Kräfte, die die Architektur der nächsten Zeit bestimmen werden, zu zeichnen. Da brauche ich den Computer als Hilfsmittel, das auszudrücken, um was es da geht - allerdings gibt es ein nach wie vor entscheidendes, dem Architekten nicht zu nehmendes Werkzeug, das ist das Auge. Das Auge und die Entscheidung, das ist die Form aus dieser Vielfalt von Formen bei der Verformung durch dynamische Kräfte. Das Auge kann den Bleistift ersetzen, aber nicht den Architekten.

Sperl: Wolf Prix hat einmal Herman Melville zitiert, und zwar den Satz: „Ich wollte, der Wind hätte einen Körper.“ Das hängt mit einem anderen Satz zusammen: Räume sollten sich wie Wolken verändern können.

Prix: Dass die Gesellschaft bei diesen Ideen nicht mitgemacht hat, wäre ein Beweis dafür, dass Architektur manchmal Grenzen sprengt. Aber: Es ist wichtig, dass es solche Ansätze gibt, um irgendwann einmal sagen zu können: Das wurde schon gedacht.

Domenig: Der Wolfi Prix war immer ein Provokateur. Ich bin '80 auf die Hochschule gekommen. Die Einstiegseinladung hab ich auch den Himmelblaus und Prix gegeben. Da hat er schon wieder ein Zitat erfunden: „Architektur muss brennen.“ Und dann haben wir - ich habe natürlich alles finanziert - ein riesiges Feuermal im Hof drinnen inszeniert. Da wäre fast die ganze Architekturfakultät abgebrannt.

Sperl: Alle drei, Domenig, Prix und Kada, sind mehr oder weniger seit Jahren international tätig. Was heißt das überhaupt, international zu arbeiten?

Kada: Developer entwickeln ein Bauwerk nicht deshalb, damit er Architektur produziert, sondern damit sie Kapital produzieren. Dass sie dabei vergessen, dass mit Architektur sehr viel Geld zu verdienen ist, ist ein weltweites Problem. Es gibt einige Leute, die interessiert daran sind, es gibt vielleicht auch Institutionen, die interessiert daran sind, und es gibt auch ganz spezifische Bauherren, die interessiert daran sind, Architektur als Transportmittel zu verwenden. Nur: Wenn man beispielsweise die EU-Richtlinien anschaut, da kommt Architektur so wenig vor wie der Begriff „Kanaldeckel“. Kultur oder Architektur ist auch international immer nur eine Angelegenheit von wenigen, die erkannt haben, was das eigentlich sein kann. Wir sind ständig in der Zwickmühle, d. h. auf der einen Seite echte Architektur zu produzieren und auf der anderen Seite Geld zu verdienen, damit man das Büro über die Runden bringt.

Prix: Wir bauen in Amerika, wir bauen in Frankreich, wir bauen in der Dänemark, in Doha, also wirklich fast überall. Wir haben große Schwierigkeiten mit den Rechtssystemen in den einzelnen Ländern, und wir haben auch große Schwierigkeiten mit der Baukultur in den einzelnen Ländern. Wir brauchen tatsächlich pro Land einen eigenen Rechtsanwalt. Wir brauchen eigene Projektmanagementgruppen. Und da zeigen sich verschiedene Bedingungen und Chancen: Holland beispielsweise hat junge Architekten bis zu einem gewissen Projektstatus unterstützt, der Staat hat die Architekten unterstützt. Und zwar in Form von tatsächlicher finanzieller Unterstützung für internationale Wettbewerbe. Dieser Support, der von den Politiker immer wieder gern behauptet wird, ist in Wirklichkeit nicht vorhanden. Es ist auch in Österreich keine Theorieschule vorhanden, die die Qualität der Österreicher wirklich präzise im internationalen Feld positionieren könnte. Das ist ein ganz, ganz großer Nachteil unserer heterogenen Szene.


[Bei einem „Fest für Günther Domenig“ am 19. Juli im Kunsthaus Mürzzuschlag diskutierte dieser mit Wolf Prix und - zugeschaltet auf einer Videowand aus dem „Dom im Berg“ in Graz - mit Klaus Kada. Moderiert und redigiert hat Gerfried Sperl.

„Günther Domenig baut, wie andere boxen“
Wolfgang Prix

„Es ist immer gefährlich, wenn Architekten sagen, sie sind Künstler“
Klaus Kada

„Wir müssen immer streiten, wenn wir was Neues machen wollen“
Günther Domenig]

Der Standard, Sa., 2003.08.16

15. Oktober 2002Gerfried Sperl
Der Standard

Der Architekt als Qualitätsgarant im Wohnbau

Rudolf Schicker, SPÖ-Stadtrat für Stadtentwicklung in Wien, diskutierte mit Johann Padutsch, Raumplanungsstadtrat von der Salzburger Bürgerliste, über Architektur im Wohnbau. Die Themenpalette reichte von fehlendem Geld für Wohnbauforschung über Experimente in der Architektur bis zur Verantwortung für architektonische Projekte. Moderiert wurde das Gespräch von Standard-Chefredakteur Gerfried Sperl.

Rudolf Schicker, SPÖ-Stadtrat für Stadtentwicklung in Wien, diskutierte mit Johann Padutsch, Raumplanungsstadtrat von der Salzburger Bürgerliste, über Architektur im Wohnbau. Die Themenpalette reichte von fehlendem Geld für Wohnbauforschung über Experimente in der Architektur bis zur Verantwortung für architektonische Projekte. Moderiert wurde das Gespräch von Standard-Chefredakteur Gerfried Sperl.

Standard: Heute ist öfters das Thema Forschung aufgetaucht. Es wurde mehrfach betont, dass speziell Wohnbauforschung unterdotiert und dadurch auch unterrepräsentiert ist. Ist das tatsächlich so?

Schicker: Ich befürchte, dass mit den Resten, die auf Bundesebene noch vom Forschungsbudget übrig geblieben sind, nicht mehr wirklich etwas anzufangen ist. Die in diesem Bereich arbeitenden Kollegen sind zwar sehr bemüht, vom Volumen her ist das aber nicht mehr wirklich spannend. Die Stadt Wien führt im Wohnbaubereich trotzdem einige Begleituntersuchungen durch.

So versuchen wir etwa, im Stadtentwicklungsplan 2005 über Veränderungen in der Nachfrage, die Auswirkungen auf die Gestaltung einzelner Stadtteile haben, herauszufinden, welche Vielfalt notwendig sein wird, um den verschiedensten Lebensstilen begegnen zu können. Welche begleitende soziale und technische Infrastruktur müssen wir zur Verfügung stellen? Und vor allem: Wie kann man das bei knapper Kasse der öffentlichen Hand finanzieren?

Padutsch: Ich denke, dass die Wohnbauforschung de facto nicht existiert. Bei uns in Salzburg schon gar nicht, weil wir ja im Gegensatz zu Wien an der Universität keine Studienbereiche haben, die in diese Richtung gehen.

Ein anderes Problem betrifft die Kompetenzaufteilung. Alle, die mit Wohnbau zu tun haben, wünschen sich eine Zusammenführung der Kompetenzen. Ich kann das nur zu 100 Prozent unterstreichen. Genauso, wie es absurd war, dass Straßenbau und öffentlicher Verkehr im Bund in zwei völlig unterschiedlichen Ressorts untergebracht waren, gehören die Kompetenzen auch beim Wohnbau in eine Hand. Beispielsweise sind derzeit Wohnbauforschung und -förderung Ländersache, für Architekturbegutachtung und Stadtplanung sind die Städte zuständig. In diesem Fall bräuchten wir eine Gesetzesänderung, die all diese Kompetenzen bei den Städten bündelt. Denn diese sind am konkretesten betroffen, bekommen am ehesten mit, was draußen permanent passiert.

STANDARD: Wie kann man nun zu mehr Qualität im Wohnbau kommen?

Padutsch: Das Thema Architektur wird oft auf die Fassade reduziert. Tatsächlich ist Architektur aber alles, was mit einem Bau und seiner Umgebung zu tun hat. Es geht um die Architektur in ihrer Gesamtheit. Die Frage nach mehr Qualität im Wohnbau führt unweigerlich zum Architekten. Dessen Rolle wird allerdings immer mehr amputiert. Heute ist es leider fast schon die Regel, dass der Architekt sein Projekt mit dem Einreichplan abgibt und dann ist er weg und der Generalunternehmer übernimmt. Damit geht auch die Verantwortung für das Projekt verloren, weil derjenige, der sich dafür verantwortlich fühlt, formal nicht mehr verantwortlich ist. Die Beseitigung dieser Entwicklung ist Voraussetzung dafür, dass wir zu neuer Qualität im Wohnbau kommen.
Schicker: Auch in Wien ist es so, dass Investoren Gewinnchancen realisieren wollen und dass dadurch manchmal die Gestaltung des Wohnumfeldes auf der Strecke bleibt. Natürlich versuchen auch hier die Bauträger, sich der Architekten auf „angenehme Art“ zu entledigen. Man kann aber Maßnahmen setzen, um dieser Entwicklung zu begegnen.

Beispielsweise haben wir durch die Bauträgerwettbewerbe ein paar Punkte erreicht, die dazu geführt haben, ohne Qualitätsverlust die Kosten erträglich zu halten. Und das zu einer Zeit, wo enormer Bedarf an zusätzlichem Wohnraum bestanden hat. Mittlerweile hat sich die Wohnbaukonjunktur etwas abgekühlt und wir haben in den nächsten 15 Jahren mit einem langsameren Wachstum in der Stadt zu rechnen.

Warum sollte man in dieser Situation nicht versuchen, themenorientiertes Wohnen, höhere Qualität in Bezug auf Umweltstandards und Wohnumfeld zustande zu bringen? Allerdings immer unter der Prämisse, dass die Wohnbauförderung seitens des Bundes nicht komplett wegfällt und wir uns solche Experimente noch leisten können.

Padutsch: Ich glaube, dass das Experimentierfeld in Wien deutlich größer ist und zumindest einige Bauträger in diesem Feld tätig sind und versuchen, einen neuen Markt für sich zu finden.

STANDARD: Nun fordert etwa Vorarlberg, dass das Engagement von Architekten als Qualitätsmerkmal gesehen und daher über höhere Förderungen entsprechend honoriert wird. Wäre das nicht ein Mechanismus, wie man Architektur auch in Bezug auf die angesprochenen Experimente unterstützen kann?

Schicker: Wenn man die Möglichkeit hat, Experimentierfreudigkeit zu fördern, sollte man sich das leisten. Ich glaube, das können wir. Etwa über die autofreie Stadt und frauengerechtes Wohnen vielleicht zu einer fahrradgerechten Stadt zu finden oder zu einer noch stärker mitbestimmten Wohngegend. Wir versuchen auch, in diese Themen sehr stark einzusteigen. Etwa mit den „50 Orten“. Das sollen ganz bewusst Plätze sein, die nicht im Zentrum der Stadt liegen, sondern solche, die zum Wohnumfeld gehören und wo gemischte Strukturen herrschen.

Padutsch: Auch ich halte diese Idee für recht gut. Damit würde sich nämlich die Diskussion mit den Bauträgern stark reduzieren. Derzeit gehen die Verhandlungen über die Architektenhonorare in Richtung Dumping. Das ist für die Qualität des entstehenden Hauses und letzten Endes auch für die Stadt schlecht. Möglicherweise wäre über eine solche Zusatzförderung eine wirklich durchgängige Beschäftigung des Architekten zu gewährleisten.

STANDARD: Hat man bei den Bauträgerwettbewerben auf die Architektur vergessen?

Schicker: Den Eindruck habe ich nicht. Die Wettbewerbe haben zu Beginn viel zusätzliche Qualität gebracht, sowohl architektonisch als auch in der Gestaltung der Wohnräume. Sie haben allerdings, und das ist die Kritik in Richtung Bauträger, auch dazu geführt, dass diese sehr bald gemerkt haben, wie solche Wettbewerbe funktionieren. Sobald man gelernt hat, das auszureizen, beginnt man dort zu sparen, wo man das nicht sollte. Das ist dann bei der Architektur sichtbar und spürbar.

Gerade jene, die im sozialen Wohnbau die Trägerseite vertreten, wissen sehr genau, was vermittelbar ist. Dieses Wissen hat wiederum viel damit zu tun, was nachgefragt wird. Nachdem wir in den vergangenen Jahren einen deutlichen Überhang an fertig gestellten Wohnungen im Verhältnis zur Nachfrage hatten, wurde dieses Wissen noch geschärft. Nicht jeder musste jede Wohnung nehmen, das war ein Riesenvorteil.

Noch eine Kritik an den Bauträgern: Das Problem ist, dass die Bauleistung schon wieder zurückgeschraubt wird, damit der Überhang verschwindet. Ich hoffe aber, dass wir diesen Überhang weiterhin haben, damit wir anhand der Nachfrage ablesen können, ob die Qualität beim Angebot tatsächlich gewährleistet ist.

Padutsch: Ich halte auch sehr viel von der Steuerung der Qualität über die Wohnbauförderung. Es gibt in Salzburg bei der Wohnbauförderung so genannte Zusatzpunkte, die auf ökologische Kriterien abzielen, beispielsweise auf Energieversorgung. Jemand, der sein Haus im Sinne der Nachhaltigkeit besonders energiefreundlich baut, bekommt dafür zusätzliches Geld in Form der Förderung.

STANDARD: Vielen Dank für das Gespräch.

Der Standard, Di., 2002.10.15

24. August 2002Gerfried Sperl
Der Standard

Bubble im Sonnengürtel

Gerfried Sperl sprach mit dem Architekten Peter Cook

Gerfried Sperl sprach mit dem Architekten Peter Cook

Was passiert in Graz an einem nassen Tag im Mai? Gegenfrage von Peter Cook auf den vorsichtigen Anstoß, wie er denn das kreative Potential der steirischen Landeshauptstadt einschätzen würde. Der britische Architekt, in den 60er Jahren Mitglied der innovativen Gruppe Archigram und jetzt Professor an der Bartlett School for Architecture, der zusammen mit Colin Fournier den Kunsthaus-Wettbewerb gewonnen hat, illustriert sein regnerisches Bild mit zwei Fakten: Die Konzentration an Künstlern in Wien sei möglicherweise höher als in Paris oder London. Und: Trotz des international hoch bewerteten Festivals sei Edinburgh als Stadt ziemlich konservativ geblieben.

Unterschwellige Hoffnung: Dass das Kunsthaus etwas bewegen könne in einer Region, die über eine enorme Lebensqualität verfüge. Denn das Weinland südlich von Graz erinnere tatsächlich sehr an Landstriche in der nördlichen Toskana. Mit der Gefahr, dass man sich zurücklehne wie in einem Sonnengürtel und nicht einmal mehr ausländische Zeitungen lese.

Peter Cook, der gerne Wiener Schnitzel isst und einen steirischen Wein dazu trinkt, hat sich für Graz nicht einfach irgendein Bauwerk ausgedacht. Der jahrelange Leiter des Londoner Institute for Contemporary Art blickt auf eine reiche Ausstellungserfahrung zurück. Inmitten eines Kunstmarkts, der zu den anspruchsvollsten der Welt gehört. Er und sein Partner Fournier hatten von Anfang an den Zweck des Gebäudes im Sinn - nicht nur ein Haus für Kunstausstellungen zu bauen, sondern viel Attraktivität für das Publikum zu schaffen: „Es wird ein Gebäude, das zu den Leuten spricht.“ Sogar diskursiv.

In seinem Vortrag in Alpbach hat Cook vom Grazer „bubble“ gesprochen wie von einem blauen Fantasiewesen, das da über den Häusern sitzen wird. Als „Einspruch gegen mittelmäßige Architektur.“

In unserem Gespräch schwärmt er vom öffentlichen Raum, der darunter entsteht, von den Rolltreppen, die das Publikum wie in einem Einkaufszentrum von einer Sphäre in die andere führen. Und von der Möglichkeit für die Ausstellungsmacher, sich selbst wie Architekten zu gerieren. „Die Menschen werden dieses Haus sehr mögen.“ Ansätze sieht er bereits - für die Entstehung eines Kultur-Grätzels auf dem linken Murufer. Auch das Haus der Architektur soll dorthin übersiedeln.

Über allem werde „die Nadel“ schweben, Café und Aussichtsplattform zugleich, auf der die Besucher wie auf einer Schiffsreeling beobachten können, wie der Strom hinein- und hinausschwappt.

Angesichts der Widersprüchlichkeit einer Stadt, die sowohl von Universitäten als auch von der Autoproduktion geprägt sei, wundert sich Cook über die große Zahl an Architekten, die sie hervorbringt. Gemessen an der Bevölkerungszahl gebe es in Österreich überhaupt erstaunlich viele gute Architekten. „Liegt es am Verfolgungswahn der Österreicher? Liegt es am Bildungssystem?“ Das Cook für ziemlich autoritär hält, während ihm das britische zu „nunny“-haft vorkommt. Er weiss es nicht genau. Er registriert dieses Übermaß an österreichischer Kreativität. Und man spürt seine Bewunderung.

Bei der Architektur-Biennale in Venedig Anfang September wird es eine große Präsentation des Grazer Projektes geben.

Der Standard, Sa., 2002.08.24

24. August 2002Gerfried Sperl
Der Standard

Temporär Modern

Resümee der Alpbacher Architekturgespräche

Resümee der Alpbacher Architekturgespräche

Was hat der Städtebau im Dorf zu suchen? In einem Ensemble, das vor Tiroler Balkonen mit Pelargonien, Petunien und Nelken überquillt? Diskussionen über Zustand und Zukunft der Architektur sind dem Alltag von Alpbach genauso fremd wie Vorträge über Gentechnik oder Klonen. Die Schafe der Tiroler Bergwelt sind mit Dolly (noch) nicht verwandt.

Um diese Spannung, die das Europäische Forum jedes Jahr schafft, sichtbarer zu machen, bedarf es einiger Zeichen. Das neue Konferenzgebäude duckt sich zwar übermäßig stark in den Hang hinter dem Hotel Böglerhof. Aber es atmet in die Richtung, wohin Tiroler Architekten seit Jahrzehnten das Bauen in den Alpen treiben wollen. Dass diesmal zwischen Hotel und Konferenzzentrum ein temporärer Bedenk- und Kulturraum errichtet wurde, ist ein wichtiger Schritt. Alpbacher Moderne?

Volker Giencke hat mit seinen Studenten einen Raum aus Holz und weißer Verkleidung entworfen, dessen Schlichtheit mit der überladenen Tiroler Folklore kontrastiert, der aber auch einen Verwandten hat: Die alte Blockhütte neben dem Schilift. Der Kontext figuriert damit auch als Hintergrund für die Themen der Architekturgespräche, die seit 2001 vom Tiroler Großbüro ATP (Achammer, Tritthart & Partner), unterstützt von mehreren Sponsoren mit Swarovski an der Spitze, organisiert werden.

Die Vorträge selbst hatten heuer zwei Hauptthemen - am ersten Tag die Zukunft der Großstadt, am zweiten die Spannung zwischen Qualitätsarchitektur und „Marken“ der Großindustrie, für die internationale „Stararchitekten“ Bau-Events entwerfen. Wolf Prix von Coop Himmelb(l)au hielt sich aber nicht bei der Beschreibung der neuen Autowelt für BMW in München auf, sondern knüpfte bei der Hagia Sophia als „gebautem Himmel auf Erden“ an, um (letztlich auch für sich selbst) festzuhalten: „Nur Stararchitekten können heutzutage etwas ändern.“.

Essentieller, teilweise brillant waren wissenschaftliche Analysen wie die der Soziologin Martina Löw oder des Architekturtheoretikers Peter Hall - was treibt die Stadt architektonisch an, wie kann inmitten der Globalisierung lokale Qualität entstehen?

Die Schwäche des Programms lag bei zwei oder drei mißglückten Formaten. Möglicherweise hätte man dann auch verhindern können, dass Raimund Abraham den Saal verließ, weil man ihn mit einem deutschen Standesvertreter konfrontierte. Das war nicht seine Welt. Ein Diskurs zwischen Peter Cook und Abraham wäre die spannendere Lösung gewesen. Aber man kann für das nächste Jahr ja daraus lernen.

Der Standard, Sa., 2002.08.24

19. August 2002Gerfried Sperl
Der Standard

Suche nach globaler Architektur

Und ein Eklat durch den Tiroler Amerikaner Abraham in Alpbach

Und ein Eklat durch den Tiroler Amerikaner Abraham in Alpbach

Gibt es globale Architektur? Ansatzweise schon immer. Früher in Form der Kathedrale, hineingepflanzt in mehrere Kulturkreise. Heute als Einzelobjekt von Stararchitekten, deren Hotels, deren Museen in einer jeweils unverkennbaren Handschrift auftauchen.

Die Soziologin Martina Löw von der TU Darmstadt machte in einem brillanten Vortrag beim Alpbacher Architekturgespräch jedoch darauf aufmerksam, dass diese Gebäude in verschiedenen lokalen und kulturellen Zusammenhängen eine andere Bedeutung erhielten. Eine Münchner Kirche wirke mitten in Hongkong plötzlich klein und unwichtig. Umgekehrt verändere sich das Intercontinental von Kinshasa in einer europäischen Stadt total. Wirklich globale Architektur gebe es, so die These Löws, nur als gedachte - weil sie diese Rolle bloß „ohne Kontext“, ohne lokale Umgebung spielen könne.

Die deutsche Architektin Julia Bolles-Wilson fügte der Diskussion zu diesem Thema einen weiteren interessanten Aspekt hinzu. Die „ästhetische Globalisierung“ führe zu einer „Nivellierung“ - so die These der meisten Kritiker. Tatsache sei das Gegenteil: Es steige die Vielfalt in der architektonischen Landschaft. Ein Kritikpunkt war aber auch ihr wichtig. Es gebe unzweifelhaft einen „Verlust des Traditionsbezugs zum jeweiligen Ort“. Was kann die Politik tun, um Qualität und Vielfalt zu steigern? Darauf Hannes Swoboda, von 1988 bis 1996 Wiener Planungsstadtrat und derzeit EU-Abgeordneter: Politiker, die immer nur den Mehrheiten folgten, seien ein Schaden für die Architektur. Wenn Politiker jedoch nur extreme Positionen verträten, wäre das ein Schaden für die Demokratie. Vor allem brauche Politik den „Mut zur Entscheidung“.

Die teils äußerst spannenden Vorträge und Diskussionen dieses vom Innsbrucker Architekten Christoph Achammer und seinem Team organisierten Architekturgesprächs hatten Samstagnachmittag auch ihren Eklat. Raimund Abraham, Planer des in New York gefeierten, in Österreich umstrittenen Kulturforums, verließ nach seinem eigenen Referat während der Rede des Chefs des deutschen Bundes der Architekten, Andreas G. Hempel, den vollen Saal und entzog sich dem Gespräch.

Nicht sehr geschickt. Hatte man doch selbst in den „Alpbach News“, der Tageszeitung des Europäischen Forums, dem Architekten Gelegenheit gegeben, sich gegen die vor allem in der Presse gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu wehren. Achammer interpretiert den Vorgang als Resultat einer „fortgesetzten Selbstbeschau“. Andererseits mag der Vorgang beispielhaft sein für emotionale Verletzlichkeit, die auch den Tiroler Bergen nicht fremd ist.

Der Standard, Mo., 2002.08.19

17. August 2002Gerfried Sperl
Der Standard

Wie die Vernetzung die Stadt verändert

Beginn der Alpbacher Architekturgespräche

Beginn der Alpbacher Architekturgespräche

Alpbach - „Der Bericht über meinen Tod ist eine Übertreibung.“ Dieser Satz von Marc Twain könnte auch von Thomas Bernhard stammen und auf zweierlei passen: Auf das vom Tourismus fast erdrückte Tiroler Dorf und auf die von Angst und Erfolgszwang gleichermaßen geprägte moderne Großstadt. Zum Auftakt der Alpbacher Architekturgespräche zitierte der britische Stadtplaner Peter Hall den Dichter, um aus der Übertreibung eine Wiedergeburt abzuleiten, die sein Kollege und Landsmann William J. Mitchell in die „elektronische Stadt“ münden sah.

Hall, wie mehrere Vortragende Professor der Londoner Bartlett School of Architecture, sieht in der heutigen Großstadt vor allem vier Funktionen und Phänomene versammelt: 1.) Finanz- und Geschäft, 2.) Macht und Einfluss, 3.) Kultur- und Kreativindustrien sowie 4.) Städtetourismus. Das Verschwinden der alten Industrien schaffe völlig neue Verkehrs- und Kommunikationsstrukturen. Diese „neuen Hierarchien“ entwickelte Hall vor allem nach wirtschaftlichen und verkehrstechnischen Aspekten.

Was den Wiener Verkehrsstadtrat Rudolf Schicker zum Einwand provozierte, dass auch die Bewältigung sozialer Probleme und die Lebensqualität generell Teil der Bewertung sein müssten.

Mitchell, der auch am MIT in Boston lehrt, sah die „elektronische Stadt“ vor allem unter dem Einfluss geänderter Beziehungen. Die digitalen Netzwerke lösten die alte Kommunikation durch Trans- portsysteme ab. Wodurch sich auch die städtische Architektur verändere. Die drahtlose Kommunikation schließlich bilde die persönlichen Beziehungen völlig um. Stichworte: PC, Handy, SMS. Mitchell: „Die Unterscheidung zwischen dem physikalischen Raum und dem Cyberspace schwindet.“


„Gefühlte Bedrohung“

Da passte es gut, dass Hartmut Häusermann, Soziologe an der Humboldt-Universität in Berlin, soziale und psychologische Vermutungen über „Stadtentwicklung und Globalisierung“ anstellte. Das Wachstum ungewollter Jobs, bloß befristete Beschäftigung und vielfache Dauerarbeitslosigkeit führten zu „innerer Unsicherheit“ in den Städten. Die Sehnsucht nach einer „behüteten Gesellschaft“ steigere das Ausmaß der „gefühlten Bedrohung“, was zur Ablehnung alles Fremden führe.

Wenn Urbanität jedoch „ge-lassener Umgang mit Fremden“ sei, dann stehe eine ganze Stadtkultur auf dem Spiel. Weil nach jüngsten Untersuchungen gerade jene „vernetzten Städte“ auch wirtschaftlich erfolgreich seien, in denen überproportional viele „Fremde, Schwule und kulturell Aktive“ agieren, sei Sorge um die Zukunft von Städten am Platz, in denen gerade diese Gruppen sich nicht entfalten könnten. Wie hatte Bernd-Olaf Küppers von der Universität Jena am Donnerstag in seinem Alpbacher Eröffnungsreferat formuliert? Wir seien allesamt stark durch Vorwissen, Vorurteile und Wünsche geprägt. Was wir lernen müssten, sei eine „Vernetzung des Verstehens“ - als ein zentrales Element der Kommunikation.

Der Standard, Sa., 2002.08.17

18. November 2000Gerfried Sperl
Der Standard

ArchitekturBücher

ArchitekturBücher präsentiert von Gerfried Sperl

ArchitekturBücher präsentiert von Gerfried Sperl

Der Aufreger

Seit seinem aufregenden Museumsbau in Bilbao ist der Amerikaner Frank Gehry wohl der Welt bekanntester Architekt. in Buchform ist sein Gesamtwerk erschienen. Das man auf jeden Fall besichtigen sollte - wegen des weihnachtlichen Preises in Form eines Reisegeschenks in Buchform.

Auf über 600 Seiten kriegt man Gehrys Entwicklung von putzigen Wohnanlagen Anfang der 60er Jahre über schön gegliederte Klötze Mitte des Jahrzehnts, etlichen (zum Teil nicht ausgeführten) experimentellen Entwürfen in den 70er Jahren bis herauf zu Wohnhaus-Entwürfen, die zerknautschten Metall-Würfen ähnlicher sind als bewohnbaren Strukturen: Aber Gehrys Stärke ist es gerade, auch scheinbar Zufälliges mit effizientem Funktionalismus zu verbinden.

Vor allem die Entwicklung hin zum Höhepunkt von Bilbao (Ähnliches in den USA kam danach) wird sehr schön dokumentiert - und zusätzlich mit Gehrys Möbeldesign kombiniert.


[DalCo/Forster/Arnold, Frank O. Gehry. Das Gesamtwerk, öS 1.810,-/ 610 Seiten, Deutsche Verlags-
anstalt, Frankfurt.]


Wo sie selbst leben

Wirft man Architekten nicht oft genug vor, sie würden Experimentelles bauen, selbst aber im gesicherten Alten leben. Ein bei Knesebeck erschienenes Buch (Text Jean-Luis Andre, Fotos Eric Morin) versucht das Gegenteil zu belegen.

Die faszinierendsten Bilder kommen aus Österreich - der Autor bezeichnet Günther Domenigs Steinhaus denn auch als „gebautes Manifest“, dessen immer noch unvollendete Melodie zu den großen individuellen Bau-Leistungen des vergangenen Jahrhunderts gehört.

Als Wohnhaus meines eigenen Lebensstils würde ich
Shoei Yohs schwebende Struktur auf einer Steilküste über dem Meer vor Japan wählen. Yoh, der ein Observatorium geplant hat, und das Vulkanmuseum in Fukuoka entwarf, ist ein Könner der Reduktion und ein Fan der Transparenz, die den Natur-Dialog forciert.

Welche Häuser können Sie u.a. noch besichtigen: Die von Gustav Peichl, von Oswald Mathias Ungers, von Robert Venturi, von Hiroshi Hara, von Ricardo Bofill.


[Andre/Morin, Architekten und ihre Häuser, öS 715,-/192 Seiten, 282 Bilder, Verlag Knesebeck 2000.]


Faszination Hochhaus

Wolkenkratzer hat man sie anfangs bildhaft genannt. Weil sie dort aufhörten, wo Flugzeuge an der unteren Wolkengrenze entlangflogen. Die für mich informativste Dokumentation der Hochhausbauten des 20. Jahrhunderts hat jetzt Bruno Flierl vorgelegt. Die Dynamik dieser Bauten kommt aus der rasanten Entwicklung der Banken und der Dienstleistungen.

Das Buch beschäftigt sich nicht nur mit der Entwicklung der Typen von Hochhäusern, sondern auch und intensiv mit dem Phänomen der „Hochhauswand“ und der Hochhaus-Landschaft, deren berühmteste Manhattan ist. Flierl stellt vor allem Chicago und New York, Paris, Berlin, Frankfurt und Moskau, Hongkong, Singapur/Kuala Lumpur, Hongkong/Shenzhen und die jüngste Explosion dieser Art in Shanghai vor.

Sehr interessant ist die Befassung des Autors mit den nicht gebauten Objekten, die er in die grafisch gestalteten Höhenvergleiche einbe-
zieht.


[Bruno Flierl, Hundert Jahre Hochhäuser, öS 1080,-/264 Seiten, 329 Fotos, Verlag Bauwesen, Berlin 2000. ]


Zehn mal zehn

Eines der faszinierendsten Architektur-Bücher der letzten Jahre ist heuer in einem britischen Verlag erschienen. Die deutsche Ausgabe ist für 2001 geplant: Zehn Architektur-Kritiker haben je zehn Häuser ausgewählt und so ein eigenwilliges Ranking der aktuellen Architektur-Szene erstellt.

Für Österreich erfreulich: Mit Baumschlager/Eberle, Riegler/Riewe und Wolfgang Feyferlik sind drei Büros (die alle außerhalb Wiens geführt sind) in diese Galerie aufgenommen worden. Zwei von ihnen wurden von Kirstin Feireiss nomniert, der Chefin des niederländischen Architektur-Insti-
tuts.

Drei Tendenzen dieser Auswahl, die viele Wohnhäuser enthält, fallen auf: 1. Computerstrukturen; 2. einfache Quader; 3. Verwendung von Holz. Die Kritiker erklären ausführlich ihre Auswahlkriterien. Das Herz des Buches sind die farbigen Bildmontagen der hundert Objekte.


[10 Kritiker, 10x10, öS 795,-/468 Seiten, Phaidon, London 2000. ]

Der Standard, Sa., 2000.11.18

18. Dezember 1999Gerfried Sperl
Der Standard

König der Traditionalisten

Als Traditionalist stand er später im Schatten von Kollegen, deren Architektur in die Zukunft wies. Adolf Loos, Josef Hoffmann und Otto Wagner wurden zu...

Als Traditionalist stand er später im Schatten von Kollegen, deren Architektur in die Zukunft wies. Adolf Loos, Josef Hoffmann und Otto Wagner wurden zu...

Als Traditionalist stand er später im Schatten von Kollegen, deren Architektur in die Zukunft wies. Adolf Loos, Josef Hoffmann und Otto Wagner wurden zu Wegbereitern der Moderne. Carl König, als Professor Nachfolger Heinrich von Ferstels, hat einige Schlüsselbauten des Späthistorismus entworfen: Den leider zerbombten Philippshof, das Haus der Indus- trie, den Karlstrakt der Technischen Hochschule, die Landwirtschaftsbörse in der Taborstraße sowie das Palais Herberstein auf dem Michaelerplatz.

Markus Kristan hat jetzt im Verlag Holzhausen eine sehr kenntnisreiche Bau-Biografie vorgelegt. König, der von 1841 bis 1915 lebte, hat in Wien auch eine Reihe von Zins- und Geschäftshäusern hinterlassen: unter anderem am Kohlmarkt (Nr. 3 und 5), am Neuen Markt (Ecke Plankengasse), in der Mariahilferstrasse (Nr. 117). Dazu kommt eine Reihe von Villen für Industrielle.

Die meisten Diskussionen hat das Palais Herberstein ausgelöst. Aber nicht etwa deshalb, weil König im Vergleich zu dem 1883/84 erbauten und als Ecklösung ähnlichen Philippshof bereits eine ziemlich schlichte Fassade schuf, sondern wegen der Kuppelgestaltung. Sie sollte nach Meinung des Wiener Gemeinderats der Hofburg-Kuppel keine Konkurrenz machen, weshalb er ein „kegelförmiges Mansardenrondeau“ wählte - die Umschreibung für eine Zeltkuppel. Andere Kritiker wiederum wollten überhaupt ein eher schlichtes Gebäude.

Was den Gemeinderäten offenbar nicht auffiel war die ziemlich schwache Innenstruktur dieses 1897 erbauten Zinspalais. Nutzbar waren auch später noch (zuerst für Raiffeisen, dann für den STANDARD) nur die an der Straßenfassade gelegenen Räume. Zum Unterschied vom gegenüberliegenden, noch umstritteneren Loos-Haus war der innere Bereich völlig unbrauchbar.

Das hat sich jetzt geändert. Der Wiener Architekt Karl Langer hat für ein internationales Beratungsunternehmen genau diesen Bereich entkernt und entlang einer Innenfassade neu gestaltet, um „Klarheit und Großzügigkeit“ zu schaffen. Das ist ihm gelungen. Außerdem wurde das Gebäude um zwei Geschoße aufgestockt, nur eines freilich ist sichtbar - mit herrlichen Blicken über die Wiener Dachlandschaft.

Der jetzige Umbau hat keine Debatten ausgelöst. 1936 allerdings, als die Zeltkuppel und andere Aufbauten entfernt wurden, verteidigte sogar Josef Frank seinen Lehrer König, weil durch die Schleifung „die Ecklösung des Stilarchitekten König vernichtet wurde“. All das ist textlich und bildlich in Kristans Buch gut dokumentiert. Bis hin zu Königs Rolle als exzellenter Zeichner, als Lehrer und als Kritiker des aufkommenden Moder- nismus. []

[ Markus Kristan, Carl König. Ein neubarocker Großstadtarchitekt in Wien. öS 460,-/176 Seiten, Verlag Holzhausen, Wien 1999. ]

Der Standard, Sa., 1999.12.18

01. August 1999Gerfried Sperl
Der Standard

Die Grazer Entscheidung

In Graz haben Stadt- und Landespolitiker in der kommenden Woche die letzte Chance, über Planung und Bau eines gültigen Symbols für die europäische Kulturrolle...

In Graz haben Stadt- und Landespolitiker in der kommenden Woche die letzte Chance, über Planung und Bau eines gültigen Symbols für die europäische Kulturrolle...

In Graz haben Stadt- und Landespolitiker in der kommenden Woche die letzte Chance, über Planung und Bau eines gültigen Symbols für die europäische Kulturrolle im Jahre 2003 zu entscheiden. Denn es ist state of the art, daß eine spektakuläre Architektur der Hebel für den Erfolg moderner Kulturevents ist. Beispiele gibt es genug. Das Guggenheim-Museum von Frank Gehry in Bilbao ist ein positives, das Museumsquartier in Wien ein negatives, was die Begleitumstände betrifft. Sogar Norman Fosters Berliner Glaskuppel ist ein Magnet.

Wie Frido Hütter kürzlich in der Kleinen Zeitung richtig bemerkte, haben kleinere Städte den Grazern vorgeführt, wie es gehen könnte. Peter Zumthors billiger, aber architektonisch eindrucksvoller Kasten in Bregenz steigert den Zulauf zur Kunst. Die Hälfte der Zuschauer kommt wegen des Gebäudes selbst. Was heißt: Nicht mehr die alte Architektur allein ist ein Hit, die neue wird es immer öfter.

Es muß kein Gehry-Bau sein, der da an der Mur das alte Lechner-Kaufhaus überstülpen könnte. Eine Zaha-Hadid-Kreation oder eine Coop-Himmelb(l)au-Utopie wären ebenso spannend, vor allem im Zusammenspiel mit der eventuellen Realisierung des Kada-Projekts für eine Halle auf dem Gelände der Grazer Messe.

Sicher ist nur, daß angesichts der Zeitknappheit rasch ein geladener Wettbewerb stattfinden müßte, an den sich eine extrem beschleunigte Bauzeit anschließen müßte. Sonst ist der Eröffnungstermin Mai oder Juni 2003 nicht zu halten. Im Anschuß daran könnte man in Ruhe diskutieren, was man mit der Stirn am Schloßberg macht: am besten eine Privatuniversität statt des Restaurants. Graz würde noch eine Kopfgeburt brauchen.

Der Standard, So., 1999.08.01



verknüpfte Bauwerke
Kunsthaus Graz

29. September 1997Gerfried Sperl
Der Standard

Politiker-Plüsch- und Baukultur

Österreichische Regierungen haben ein gestörtes Verhältnis zur Architektur

Österreichische Regierungen haben ein gestörtes Verhältnis zur Architektur

Sowohl Bundeskanzler Viktor Klima als auch Nationalratspräsident Heinz Fischer haben sich in der vergangenen Woche bemüht, das Schicksal des österreichischen Kulturinstituts in New York optimistisch darzustellen. Der aus einem Wettbewerb hervorgegangene phantasiereiche Bau von Raimund Abraham soll realisiert werden.

Nach Jahren der Verzögerung wäre das eine Sensation. Denn die Bundesregierungen der republikanischen Neuzeit sind dafür bekannt, daß sie in ihrem unmittelbaren Einflußbereich der Direktvergabe und dem Mittelmaß den Vorzug geben. Das Verhältnis zwischen erstklassiger Architektur und (zweitklassiger?) Politik ist bekannt schlecht, sieht man ab vom Universitätsbereich und von Länderinitiativen. Auf den Universitäten sind deshalb Bauten von internationalem Format entstanden, weil einzelne Landesregierungen über die mittelbare Bundesverwaltung entscheidend mitbestimmen konnten. In Graz und in Leoben sind in der Ära Krainer beispielgebende Planungen realisiert worden � mit dem Resowi-Zentrum von Domenig-Eisenköck als Milliarden Schlußpunkt.

In Salzburg wurde die Naturwissenschaftliche Fakultät Wilhelm Holzbauers verwirklicht. Herausragend auch die direkten Länder-Initiativen: Das Modell Steiermark mit seinen Wohnbau-Innovationen, die Wohnmodelle und die Schulbauten in der Ära Swoboda in Wien und schließlich die europareife Hauptstadt-Planung in St. Pölten. Die Bundesregierung selbst konnte dem zu keiner Zeit etwas Vergleichbares entgegensetzen.

Das jahrelange Fiasko rund um das Museumsquartier unterstreicht diesen Befund. Star-Architekten wie Gustav Peichl und Hans Hollein haben nie einen Bundesauftrag erhalten � sieht man im Falle Peichl ab von der Probebühne des Burgtheaters. Aber das war ein Willensakt von Claus Peymann. So wie die ORF-Landesstudios von �Ironimus� Peichl ein Willensakt Gerd Bachers waren. Was natürlich auch bedeutet: Gute Architektur bedarf selbstbewußter Bauherrn.

Die fehlen in der Spitzenpolitik. Das hat mehrere Ursachen. Die wichtigste: Vielen Spitzenkräften der heimischen Politik und Wirtschaft fehlt die Sicherheit in der Auswahl einer funktionalen Ästhetik und gleichzeitig das Vertrauen in das Können von Architekten.

Diese Defizite sind gepaart mit der Angst vor oppositioneller (Medien)kritik und mit eklatanter Geschmacksarmut. Wer mit Plüsch und üppigen Ledermöbeln die innere Gefühlsarmut kaschiert, wird zur klaren Formensprache eigenwilliger Architekten keine enge Beziehung finden und deshalb auf Distanz gehen. Andere wiederum halten bloßes Design für architektonisches Bewußtsein. Und liegen damit genauso falsch.

Die bisher so ausgeprägt geringe Bereitschaft, das Abraham-Institut in New York endlich zu bauen, fußt auf den Realitäten der inneren und äußeren Verfassung der Verantwortlichen. Und die lähmenden (wie gleichzeitig teuren) Verzögerungen beim Museumsquartier in Wien sind die Resultate von Machtkämpfen unter Kunsthändlern und deren Exponenten. In diesem schiefen Licht muten die Auseinandersetzungen um die Pensionsreform wie der Kampf unter edlen Rittern an.

Tatsächlich: Die Realisierung des (leider reduzierten) Museumsquartiers und � noch mehr � der Bau des Kulturinstituts in New York sind eine Nagelprobe für die gestalterische Verläßlichkeit der Bundesregierung. Denn diese These gilt auch für neuzeitliche Administrationen: in der Geschichte wird ihre Bedeutung an der Reformkraft und an ihrer � innovativen � Bautätigkeit gemessen werden.

Daß kürzlich bei einer Architektur-Diskussion im Parlament nur wenig Bereitschaft von seiten der Politik bestand, sich von Fachleuten profund informieren zu lassen, zeigt den Aufholbedarf. Daher werden auch die Architekten darüber nachdenken müssen, wie sie Politiker für die Abenteuer neuen Bauens begeistern können.

Der Standard, Mo., 1997.09.29

Profil

7 | 6 | 5 | 4 | 3 | 2 | 1